Edgar Wallace
Die Bande des Schreckens
Edgar Wallace

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15

Einen Augenblick glaubte Nora, Miß Revelstoke würde ohnmächtig umsinken, aber die alte Dame überwand die Schwäche mit Aufbietung aller Energie.

»Außerordentlich interessant«, bemerkte sie.

Arnold Long sah sie neugierig an.

»Äußerst interessant«, wiederholte sie langsam. Er wußte, daß sie die Erregung niederzukämpfen versuchte, die sie befallen hatte, als er ihr Kopenhagen und das Jahr 1862 nannte. »Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie Nora den Ring geschickt haben.«

Das junge Mädchen sah bestürzt von einem zum andern. Was sollte das bedeuten? Sie war davon überzeugt, daß Long ihr den Ring nicht gesandt hatte. Er hatte es ja auch schon selbst zugegeben. Wie kam er nun dazu, Miß Revelstoke ein derartiges Märchen zu erzählen? Aber noch merkwürdiger war die Wirkung seiner Worte auf die alte Dame, die ihre Fassung niemals verloren hatte, solange Nora sie kannte.

»Würden Sie in mein Arbeitszimmer mitkommen, Mr. Long? Ich hätte verschiedenes mit Ihnen zu besprechen«, sagte Miß Revelstoke nach einer kleinen Pause. Noras Gegenwart schien sie vollkommen vergessen zu haben.

»Selbstverständlich«, entgegnete er. »Auch ich würde es begrüßen, mich ein wenig mit Ihnen unterhalten zu können. Ich möchte nur eben noch Miß Sanders fragen, ob sie tatsächlich etwas dagegen hat, daß ich ihr den Ring schenke?«

Miß Revelstoke warf Nora einen Blick zu.

»Nun, was meinen Sie dazu?« fragte sie beinahe barsch.

»Ich glaube, daß ich ein so kostbares Geschenk nicht ohne weiteres annehmen kann«, erklärte Nora.

Zu ihrer größten Verwunderung nahm er ihr den kleinen Kasten sofort aus der Hand.

»Ich fürchtete schon, daß es so wäre«, erwiderte er kurz und steckte den Ring in die Tasche. »Miß Revelstoke, ich stehe zu Ihrer Verfügung.«

Einige Zeit rührte sich die alte Dame nicht, aber schließlich wandte sie sich um, und er folgte ihr in das kleine Büro, das hinter dem Wohnzimmer lag. Sie schloß die Tür hinter ihm.

»Wollen Sie nicht Platz nehmen?«

Er wartete, bis sie sich gesetzt hatte, und ließ sich dann auch in einem großen, bequemen Sessel nieder. Er merkte, wie schwer es ihr fiel, einen Anfang zu finden.

»Ich bin in gewisser Weise für Miß Sanders verantwortlich«, begann sie. »Und wenn unbekannte Leute ihr kostbare Geschenke schicken, fühle ich mich verpflichtet, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich bin noch von der alten Schule, und ich möchte Sie deshalb fragen –«

Sie wußte nicht, wie sie fortfahren sollte.

»Sie wollen mich fragen, welche Absichten ich habe«, ergänzte er lächelnd. »Nun, ich kann Ihnen versichern, daß sie vollkommen ehrenhaft sind. Nora ist ein sehr schönes Mädchen, und sie gefällt mir außerordentlich. Aber es war vielleicht etwas voreilig, ihr den Ring zu schicken.«

»Sie sind ein Gentleman, und soviel ich weiß, haben Sie auch studiert. Ich wüßte nicht, warum Sie Miß Sanders nicht verehren sollten. Aber es scheint mir doch etwas merkwürdig –« Wieder stockte sie.

»Daß ich ihr schon zu Beginn unserer Freundschaft so kostbare Geschenke mache. Das ist allerdings etwas merkwürdig, wie ich zugeben muß. Es ist eins der unerklärlichsten Dinge, die ich in meinem Leben getan habe. Mein Onkel –«

»Ich interessiere mich wenig für Ihre Familiengeschichte.« Miß Revelstoke hatte ihre Fassung wiedergefunden, aber es brannten noch zwei abgezirkelte rote Flecken auf ihren Backen. »Ich möchte nur wissen, wie Sie Miß Sanders gegenüber stehen. Lieben Sie die Dame?«

Er lächelte.

»Ich will ganz offen zu Ihnen sein. Ich liebe Ihre Sekretärin nicht, und es ist auch sehr unwahrscheinlich, daß ich mich in sie verlieben werde. Sie ist nicht mein Typ, und nichts liegt mir ferner als der Gedanke an eine Heirat.«

»Dann war die Schenkung eines Ringes allerdings ein sehr voreiliger Entschluß.« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Ich kann Ihren Worten nicht ganz glauben. Im Gegenteil, ich habe den Eindruck, daß Sie Miß Nora sehr verehren. Wollen Sie so liebenswürdig sein und mir den Ring noch einmal zeigen?«

Er nahm ihn aus der Tasche und reichte ihn ihr. Ohne Warnung erhob sie sich und ging zu dem Safe, der in der anderen Ecke des Raumes stand. Sie öffnete ihn, legte den Kasten hinein und schloß wieder ab.

»Ich halte es für besser, das Schmuckstück aufzubewahren, bis Sie näher miteinander bekannt sind. Vielleicht ändert Nora ihre Meinung auch noch.«

Sie reichte ihm kühl die Hand.

»Gute Nacht, Mr. Long, und viel Glück!«

Er sah sie voll Bewunderung an, als er ihre Hand nahm.

»Sie gehen doch auch nach Heartsease, Miß Revelstoke?« fragte er liebenswürdig. »Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich es unterlassen.«

»Denselben Rat könnte ich Ihnen auch geben«, erwiderte sie mit einem ironischen Lächeln.


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