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O Theodor, meine Wonne ist aus! Verklungen wie Harfenlaute ist meine Seligkeit. Ich bin aus dem Himmel gestoßen, und auf der Erde soll ich mich nun finden?
Ach, jetzt fühl' ich: mein Glück war einst kein Traum, denn auch mein Unglück ist keiner.
Mein Leben ist wie ein reißend wilder Strom, der unterm Wirbeldrang des Sturmes brausend die Wogen an die Felsenufer schlägt und schäumend sie zu überspringen droht.
Ich bin wie das Reh, das, verwundet vom gierigen Jäger, durch Wald und Felsgeklüft sich drängt und immer und immer schwächer sich fühlt und atemlos zuletzt sich verblutet.
Ich bin angegriffen im Tiefinnersten. Das Heiligste, was ich hatte, das Geliebteste, ist mir entheiligt und geraubt.
Jetzt erst seh' ich ein, wie grenzenlos ich liebe. O ich Armer!
War das Dein Schmerz, Katon, den auf der Brust Du trugst? Und nun ist er weg? So ist es denn also gewiß: kein Mensch trägt ewig einen Schmerz.
Du Guter, Treuer, wenn Du mich liebst, so weine mit mir! Ich schlage krampfhaft meine Hände auf die Brust und wende wie verzweifelt meine Augen umher. Aber das ist kein Trost für mein verwundet Gemüt! Weine! Weine! Mit Tränen will ich auswaschen die blutende Wunde. Ich bin ja unglücklich.
Höre! Schon einige Tage ist's, als wäre zwischen mich und Atalanta ein neidischer Dämon getreten. Es lag schwer auf mir. Ich konnte nicht ruhen des Nachts.
Da wandelt' ich gestern Abend durch den Garten, von meinem Schmerz gequält. Der Himmel war umhüllt von nächtlichen Regenwolken, finster wie meine Seele.
Ich dachte bei mir selbst: Welche Verwegenheit macht Dich so unglücklich? Ein Abbild der höchsten Schönheit hast Du erkannt in ihr, und Du denkst an irdischen Besitz?
Da erinnert' ich mich an alle jene Stunden, wo ihr Herz sich mir geöffnet, wo sie mein war, ganz sich mir gab, in mich verschwamm, mich küßte.
Und dies heiße Herz in meinem Busen, dieses Verlangen und doch dies Versagen, diese Sehnsucht und doch diese Treue, o alles, alles webte zusammen. Ein unendlich tiefes Selbstvertrauen stärkte meine Seele.
Jetzt hört' ich ferne den Klang einer Laute; und leise verhallende Stimmen klangen durch die Wellen der Lüfte.
Auf die drei Säulen ging ich zu. Stille schob ich die Rosengebüsche voneinander und – Atalanta saß auf einem Trümmer, die Laute in der Hand; ihr gegenüber Katon, die Arme stützend auf das Knie.
Der Säulen eine barg mich ihrem Auge. Es herrschte eine fürchterliche Stille. Da liefen ihre Finger wieder durch die Saiten.
Sie sang:
Wo weilst Du, Vater?
Badet mein weinend Auge
voll Sehnsucht sich im Purpurlicht
der glühenden Abendröte,
so denk ich Dein! Ach, schwimmst Du
drüben in den warmen Wellen?
Schau ich himmelan,
wann im nächtlichen Äther
die goldnen Sterne schweben
wie im dunkeln Laube
die schwellenden Zitronen,
so wein' ich hinauf und rufe:
Bist Du dort, Vater,
Vater, den noch nie mein Auge sah?
O schau auf Deine Tochter,
die um Dich weint!
Schau nieder auf die Liebende!
Nahst Du?
Ist das leise warme Wehen,
das die Wangen mir küßt,
ist es Dein Geist,
ist es Vaterkuß?
Kommst Du zu lösen dies Herz,
zu stillen dies Sehnen,
das mich drängt hinüber,
hinüber zu Dir?
Und ich verlasse die Blumen,
meiner Jugend Gespielen,
um zu pflücken in Unschuld
die Blumen der Wahrheit
und seliger trunkener Liebe,
wo sie blühn um den Quell,
der aus der Gottheit Fülle quillt
wie Milch aus der Brust der Mutter?
Oder sind es Tränen Deines Auges,
die Tautropfen auf den Blättern,
die Du geweint,
weil Dein Kind Du nicht bei Dir hast?
Trockne sie, liebender Vater!
Ach, trockne sie!
Dein Kind wird zu Dir kommen,
weil rein es ist wie das Licht,
in dessen Fülle Du wohnst.
Dein Kind wird Dich sehen!
Sie schwiegen. Katon zitterte. Zittern sah ich ihn noch nie. Er hob die Arme zum Himmel und rief: O Vaterland und Liebe! Dann schlang er brünstig seine Arme um Atalanta und preßte das bebende Mädchen an seine Brust und küßte ihre Lippen. Ich kann nicht mehr! war das einzige, was er noch ausrief. Nun stand er auf und sagte mit einer Stimme, die nie noch so klang aus seinem Munde: Atalanta, komm!
Sie gab ihm die Hand, und beide verschwanden im Dunkel.
Katon! Katon! Das hätt' ich nicht gedacht!
War dies das fürchterliche Geheimnis, das Du ausgebrütet im Gewölbe beim magisch geisterhaften Schein der Kandelaber? Finsterer Sohn der rätselhaften Nacht, du ewiges Geheimnis! Ich wähnte, Du denkst am alten schwarzen Sarkophag an die abgeschiedenen Brüder und nicht an eine unverblühte Jugend. Ich wähnte, in Deiner Brust wehen die Schauer des Todes, und sie glühet für zarte Mädchenwangen. Der Sarkophag sei bestimmt für die Verstorbenen und nicht für die Lebendigen. Für mich! O Theodor, mir graust!
Lange stand ich unbeweglich an der Säule. Dann sank ich auf die Trümmer, wo die Beiden sich umarmt, und kühlte meine brennenden Lippen an dem kalten Stein und benetzt' ihn mit meinen Tränen. Dann rannt' ich davon.
Ich hätte sollen schlafen? Theodor, schlafen?
Ich lief durch die finstern Wiesen. Mein Inneres war nächtlich wie Nebelhaiden Ossians, wann durch die Wolken weht der Geist des schaudrigen Loda, und der Nachtsohn daher fährt auf Orkanen, den grauenvollen Wolkenschild schüttelnd.
Auf einem Berge legt' ich mich nieder. Die Winde rauschten durch die Eichen und schüttelten die Äste wie Nachtgedanken meine arme Brust. Allein saß ich auf dem Berge. Ich fühlte nimmer die Mutterliebe der allbeseelten Natur, nicht mehr das heilige lebendige Glühen um mich her. Es standen die Eichen vor mir wie erstarrte Riesen, und das finstre Tal am Fuß des Berges wie schaurigöde Reste einer zertrümmerten Welt voll Licht und Leben. Tot, tot war es um mich wie in meinem Innern.
O, da fand ich's: Wer den Frieden nicht im Busen trägt, der findet ihn nirgends.
Ach, ein einziger Stern am Himmel hätte mich noch glücklich gemacht. Ich hätte ja Licht gesehen.
Ich lief wieder hinab dem Schlosse zu. Keine Seele begegnete mir unterwegs. Alles, alles schwieg und ruhte, Menschen und Tiere, Bäume, Blumen und Gräser. Ich allein ruhte nicht. Am Ufer des Sees setzt' ich mich nieder. Seine Wellen klangen durch die Stille. Das einzige Bewegliche in der entschlummerten Welt! Aber ach, mir schien's, als klängen die Wellen nur, die Minuten des Todes zu zählen.
Gegen Morgen ging ich nach Hause.
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Die Sonne stieg blutrot am Osten empor und erhellte die Welt, die so fürchterlich mir war in dieser Nacht. Die schwarzen Berge glühen in Morgenrot, aber durch meine Seele ist noch kein Licht gebrochen.
Mein Busen brennt wie die glutrote Feuerlilie.
Wo sollt' ich Trost finden? O dieser Schmerz! Er ist eine Wollust, dieser Schmerz! Eure stoische Apathie ist der Greuel höchster! Bruder, wenige waren glücklich wie ich. Warum sollt' ich nicht auch unglücklicher sein als andre? Aber warum mußt' ich glücklich sein, eh' ich unglücklich wurde?
Was hilft mir nun all mein Wissen? Meinst Du, es lindre diese kämpfende Brust?
Die Sonne lächelt wieder freundlich draußen; aber ich mag nicht in die Natur. Glaubst Du, ich wolle allein durch Wies' und Aue streifen wie eine gewitterschwangere Wolke durch die heitere Luft und allein mich unglücklich fühlen unter den Kindern der Natur?
Ich hatte überlegt. Mir ist das Leben wie ein Schlaf ohne sie. Der Schlaf ist des Todes Bruder. Schlafen und Gestorbensein unterscheidet sich ja nur durchs bloße Träumen; und ob ich vollends entschlummere und nicht mehr träume, gilt mir gleich.
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Deinen Brief hab ich erhalten. Aber ich konnte Dir nicht antworten. Lieber Bruder, diesmal konnt' ich Dir nicht antworten. Es war weit mit mir. Höre!
Die Welt war mir verhaßt an jenem Morgen. Zertrümmert war mein Alles; gelöst die ganze Spannkraft meines Geistes. Ich dachte nicht an sie; nur Katon stand vor meiner Seele. Um Mittag klopft' es an meiner Türe. Sie war geschlossen. Ich öffnete; blieb stehen wie erstarrt. Atalanta stand vor mir.
Ihr Auge war ruhig und voll Frieden. Sie ahnte ja nicht, wie mir war. O Gott, warum war das so?
In meinem Innern regte sich's wie in der Erde, wenn sie die tiefgeheimen Kräfte allzerstörend zum furchtbaren Ausbruch rüstet, und wild in gärenden Wirbeln die empörten Elemente gegeneinander toben.
Lange saß sie mir gegenüber. Endlich sagte sie ängstlich: Phaethon! Deine Augen sind verstört und glühen matt wie halberloschne Flammen. War Dein Schlummer nicht sanft diese Nacht?
Schlummer? murmelt' ich finster. Werd' ich schlummern, wenn meine Welt mir in Trümmer sinkt? Ich konnte fast nimmer! Seufzte: Ach, sie sank so bald!
Was ist Dir, Phaethon? rief Atalanta weinend.
Nicht wohl! war meine Antwort. Ich stand auf und wandelte mit raschen großen Schritten in meinem Zimmer auf und ab. Mein Inneres ward düsterer und immer düsterer.
Ich blieb stehen vor ihr; sah sie starr und bewegungslos an. Sie spielte mit Blumen in ihrem Schoß und fragte mich endlich mit einem unaussprechlich traurigen Blicke: Phaethon, was ist Dir? Du bist schrecklich.
Umsonst. Es ward nur immer nächtlicher in mir. Wer hält den Strom in seinem Laufe, wenn er von himmelhohen Felsenklippen die Flut lautdonnernd in die Tiefe stürzt?
Ich schritt wieder durchs Zimmer. Ein weinend Ach! vernahm ich noch von ihren Lippen. Dann sah ich nichts mehr, hörte ich nichts mehr.
Auf einem Tische lag ein Messer. Ich ergriff's und dreht' es in den Händen. Phaethon, was hast Du? rief sie erschrocken. Ich sprach kein Wort, sondern stieß das Messer gegen meine Brust.
Das Blut floß. Mir ward schwindlig. Ich mußte mich niedersetzen.
Gott! rief Atalanta mit einem entsetzlichen Schrei und rannte durch die Türe.
Die Besinnung schwand mir. Wie ich erwachte, lag ich auf dem Bette. Der Arzt stand neben mir und verband mich.
Das Fieber rüttelte mich fürchterlich. Cäcilie war um mich geschäftig. Sie weinte.
Ich war allein mit Atalanta. Ich sah sie an mit brechendem Auge; ergriff ihre Hand; stammelte: Atalanta! Einen Kuß! O Phaethon! rief sie weinend mit einem namenlosen Ausdruck und sank über mich her. Ihr Mund glühte flammend auf dem meinen. Ihre Haare lösten sich auf und wallten über mich hinunter. Ich küßte die Tränen von ihrem Auge.
Jedes Wort war Schmerz. Gestern Abend! Katon! Das war das Einzige, wag ich konnte lispeln.
Sie verstand mich. Ich bin nicht schuldig! rief sie, heftiger weinend, immer noch matt an meiner Brust liegend.
Wo ist Katon? sagt' ich. Sie wußte, was ich wollte, riß sich los und flog durch die Türe.
Einen Augenblick war ich allein. Ich schauderte vor dem Grabe.
Atalanta kam wieder und sagte: Katon will nicht kommen.
Weiß er's?
Er weiß es! schluchzte sie.
Das grämte mich. Fürchterliche Bilder umgaukelten mich den Abend. Das Wundfieber verließ mich die ganze Nacht nicht. Gegen Morgen entschlummert' ich. Wie ich erwachte, standen Katon und Atalanta vor meinem Bette.
Wir sahen uns lange starr an. Dann sagt' er dumpf: Du bist ein schlechter Freund! Ein Blick von Atalanta milderte seinen Ernst. Er ging fort und ließ uns allein.
Theodor, Du wirst staunen! Katon hat den Schleier abgeworfen, und seine Seele steht in ihrer ganzen Größe vor mir da.
Gegen Abend trat Cäcilie mit Atalanta in mein Zimmer. Katon folgte. Er war wie ein anderer Mensch; wie verjüngt. Sein Bart war geschoren; seine Miene geheimnisvollfreundlich. Er trat zwischen mich und Atalanta und sagte: Ich hab Euch entzweit. Ich will Euch wieder einen. Atalanta! (O, dies sprach er mit einem unbeschreiblichen Schmerze.) Atalanta, ich bin Dein Vater! Cäcilie ist nicht Deine Mutter!
Die Welt verschwamm vor meinen Augen. Erwarte nicht, daß ich die Szene Dir beschreibe! In solchen Augenblicken handelt der Mensch, ohne es zu wissen. Cäcilie verhüllt' ihr Angesicht. Atalanta lag vor Katon und stammelte weinend: Vater!
O, wie der schöne hohe Mann, vom Abendlicht der Sonne verklärt, da stand, und zu seinen Füßen die Jungfrau, meine Geliebte! Wie er die Arme nach ihr ausstreckte und sie ans Herz drückte! Wie sie nun sich losriß und vor Cäcilie kniete und rief: O Mutter, Mutter! und es wieder stille ward, und sie endlich wieder schluchzte: Warum mußt' ich den Vater bekommen, da ich die Mutter verloren?
Es ward wieder ruhig. Vater und Tochter blickten sich an wie freundliche Sterne. Auch Katon weinte.
Ich ergriff seine Hand; sah ihn an mit tränendem Auge. Er lächelt' und erwiderte: Ein andermal!
Dann faßt' er Atalantas Hand und sagte: Noch etwas, meine Tochter! Du bist eine Griechin!
Griechin! rief ich außer mir. Ihr Auge war, als wollt' es zerfließen in Wasser. So sanft, so schmerzlichmild, so ganz Gefühl und Seele! O, und nur ich verstand sie!
Katon war unbeweglich stehen geblieben. Dann setzt' er noch hinzu: Doch fragt mich nicht mehr, bis ich selbst Euch das Geheimnis löse! und ging dann fort.
Die halbe Nacht wiegt' ich mich in der Betrachtung der wunderbaren Entschleierung; aber noch konnt' ich das unterirdische Gewölbe nicht enträtseln, und weiter fragen dürfen wir ihn ja nicht.
Man verband mich täglich. Die Wunde war nicht gefährlich. Ich ward ruhiger.
Oft las mir meine Griechin vor. Sie saß dann neben meinem Bette.
Wenn ich sie so ansah, wie sie da saß in ihrer unbegreiflichen Schönheit, und die großen seelenvollen Augen auf dem Buche glühten und dann mich wieder unendlich liebend ansahen; wenn die holden Lippen so melodisch die Worte sprachen, und sie mir erschien, dem Kranken, Verletzten, wie die ewige Jugend, wie die unverwelkliche Gesundheit; wie ich endlich ihre Hand ergriff, und sie schwieg, ihr Haupt über mich herein senkte und einen glühendheißen Kuß auf meine Wange drückte ... Da fühlt' ich, daß wieder Gesundheit schwellte durch mein Innerstes wie der Lebenssaft durch die getränkte Blume. Mein kalter Busen erwärmte sich an dem ihrigen und sog Leben und Fülle aus ihrem Munde wie die Biene Honig aus der Rose.
Jeden Abend kamen Cäcilie und Katon zu mir. Aber er schwieg immer. Nur einmal sagt' er beim Hinweggehn: Bald wird sich's lösen!
Meine Wunde hörte auf mich zu schmerzen. Der Schlaf erquickte mich wieder, und ich fühlte mich an einem warmen Nachmittag gestärkt genug, an Atalantas Arm durch den Garten zu wandeln. Ich grüßte jede Blume, jede Quelle, jeden Berg. Ich fühlte mich wieder ganz als den Liebling der Mutter Natur.
O, so müßt' es dem sein, der aus dem Reich der Toten wieder ans Licht der allerwärmenden Sonne träte!
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Nun, lieber Theodor, ist alles anders. Katon hat sich uns entdeckt. Atalanta ist mein. Aber nur Dir darf ich das Geheimnis anvertrauen.
Gestern Abend trat Katon zu uns herein und hatte die geliebte Tochter an der Hand. Er gab mir seine andere. Ich folgte schweigend. Ich ahnte, was er wollte. Er ging mit uns auf sein Mausoleum zu. Wir schlüpften durch die Rosenhecken und standen vor der Sphinx. Er schloß die Tür auf. Atalanta bebte und schmiegte sich furchtsam an den Vater. Nacht umgab uns. Wir stiegen eine enge Wendeltreppe hinab und gelangten auf den ebenen Boden. Lichter brannten wieder auf den drei Kandelabern. Der schwarze Sarkophag war mit weißen Rosen umkränzt. Mir schlug das Herz; doch wagt' ich nicht es zu gestehen, daß ich schon einmal hier war.
Mein Schicksal will ich Euch enthüllen, Kinder! sagte Katon freundlichernst und setzte sich oben an das Haupt des Sarkophages. Zu beiden Seiten saßen wir auf schwarzen blumenüberhangenen Stühlen. Hört, sprach er endlich, aber unterbrecht mich nie! Darauf begann er:
Ich bin ein Nachkomme der alten Spartaner und ward geboren in einem der Täler des Taygetos. Mein Vater war ein wilder Maniate. Die Freiheit liebt' er wie die andern rauhen Männer in den Schluchten des Gebirges und verteidigte sie kühn im Kampfe mit dem Pascha.
Von Jugend auf ward ich gewöhnt, die Waffen zu führen. Schon als Knabe kniet' ich mit den großen Hunden an den lohen Feuern, wenn sie brannten durch die schwarze Nacht, den Muselmann von unserm Dorf zu schrecken. Meine Mutter war mir früh gestorben, und bald fiel auch mein Vater im Gefecht. So war ich allein auf der Welt.
Ich kam nach Misitra. Hier ward mein Geist genährt mit den Riesenbildern des alten Sparta. Die Vorwelt stieg wie ein Schatten aus den Gräbern. Ich ward mit ihr befreundet und fühlte meinen Busen anschwellen von großen erhabenen Entwürfen.
Mein Mausoleum ist ein Bild des Hauses, worin ich wohnte. Es hob sich dunkel aus Platanen und Orangen wie ein alter schauriger Geist aus der jungen blumenvollen Erde. Doch mir war es immer zu eng im Hause. Hinaus trieb's mich mit ungestümer Kraft, wo ich die große Natur in ihrer Fülle sah und die mütterliche Erde, und weinend dankt' ich oft meinem Gotte, daß er mich werden ließ in Griechenland.
Die Spiele meiner Kindheit waren die Spiele der alten griechischen Jugend. Um die Zeit, als der erste Flaum noch um mein Kinn blühte, war ich immer Sieger im Wettlauf und beneidete die Älteren, die schon den Diskos werfen oder den Gegner im Ringen zu Boden werfen konnten. Auf meinen wilden Sinn wirkte bei den Tänzen wenig die Hymne, wenn die Leier erklang am Fest und die baskische Trommel; aber da glühte meine Brust, wenn im pyrrichischen Tanz die Männer wie starke Löwen mit den Waffen einander entgegenschritten.
Oft saß ich bei Nacht, wann der Mond am Himmel schwebte, allein unter den Trümmern der persischen Säule oder am dunkeln Gemäuer des alten Tempels der Venus Armata oder auf den steinernen Sitzen des Dromos und dachte an die Zeit, wo die Väter noch wandelten in diesen Räumen und der ernste eiserne Sinn sich bildete, der mich in düstern Schauern anwehte aus den finstern nächtlichen Gestalten.
Die Gegenwart verschwand vorm Heldenglanze der Vergangenheit. Ich wiegte mich in Träumen wie die Biene in Blumenkelchen und war gesund an Geist und Körper.
Da sprach aus meinem Innern eine Stimme. Sie hieß mich mein Vaterland durchwandeln. Allein mußt' ich gehen. Meine Geliebten waren ja tot. Ich nahm Abschied von meinen angebeteten Trümmern, von den Lorbeerufern des Vasilipotamo und wandelte von Misitra. Damals war ich siebzehn Jahre alt.
Ich kannte den Menschen noch nicht. Ich liebte bloß den Griechen und haßte den Türken.
Meinen Weg wandt' ich auf Arkadien zu. Bald umfingen mich die Täler des schönen Hirtenlandes. Ich streifte tagelang durch die rauhen waldbewachsenen Gebirge, wo ungeheure Felsenklüfte wechseln mit wild emporstarrendem Geklipp, und um die kahlen Riesenstirnen nur einsam Moos und Farnkraut sich rankt. Dann stieg ich wieder hinab in die grünen lachenden Tale.
Da setzt' ich mich dann auf ein altes Säulenstück am Abend, wenn zarte volle Wölkchen sich im glühendreinen Gold des Himmels badeten, und sah, wie die Bienen um duftende Blumen, um Lorbeer und Myrte schwebten, und die raschen mutigen Rosse an den lachenden Ufern des klaren Flusses sprangen. Dann flog mein trunkener Blick hinweg über die fetten Gründe mit ihren Platanen und Maulbeerbäumen und irrte um dunkelgrüne Hügel, wo die weißen Schafe hüpften und ihren Quendel und Thymian suchten. Und weiter hinaus schweifte mein Auge, wo auf den breiten Höhen Tannen, Fichten und Therebinthen ihre unermeßlichen Wälder bildeten, und überhundertjährige Eichenstämme die Felsen ihre grauen Häupter türmten, und blieb endlich stehn auf dem hohen Pholoë, der über den grünen Tälern mit seinem ehrwürdigen, in den schneegewobenen Schleier gehüllten Haupte dastand wie auf der jungen beblümten Wiese der Priester des Sonnengottes.
Dann dacht' ich an die schönen Zeiten, wo der fromme dankbare Mensch alles, was um ihn war, Wälder und Fluren, Quellen und Flüsse, Täler und Berge mit dem Geist einer Gottheit belebte, wo die Nymphen, die heitern Töchter der Natur, durch Blumen und Fluren irrten, in jedem Baume eine Dryas webte, über dem klaren spiegelnden Wasser der volle Busen einer Göttin schwoll, und der muntere Pan Gebirg und Wald mit seinem Flötenklang erfüllte. Da schwebte das ganze Gewimmel der alten Götter an mir vorüber, und ich sah sie um mich wirken und lächeln als die Kräfte der heiligen wirkenden Natur.
Ich wandelte durch die Ebene Mantineias und suchte das Grab des Epameinondas. Nie vergess ich diesen Morgen. Die Sonne war eben aufgestiegen und schien in ihrem wandellosen Licht herab auf die Erde. Das ewige Spiel der Zerstörung und Umwandlung! Ich wand mich durch das Rosmaringesträuch, das um die Gräber meiner Väter sich wob wie der Blumenkranz um das Haupt eines abgeschiedenen Greisen, und irrte trauernd durch die Ruinen und las die Inschriften auf dem alten Gestein. Dann setzt' ich mich nieder. Frisch blinkte der Tau auf den Blättern im Glanze der Sonne, die durch Lorbeer und Oliven ihre zitternden Strahlen auf mich warf und mit warmem Kusse mir um die Wangen spielte. Über den Rebenhügeln lag vor mir der Mänale mit seinen Fichten, der Artemisios und der waldige Parthenios standen zur Seite, und in weiter Ferne dämmerten wie ein Traum, im rötlichen Morgenduft verschwimmend, die weißen schneeumwobenen Riesenstirnen des Taygetos. Da kniet' ich nieder auf die geweihte Erde und betete die Sonne an und schwur in Tränen bei den Geistern meiner Ahnen, würdig zu werden ihrer erhabenen Heldengröße und zu sterben, wenn die Zeit kommt, für mein unterdrücktes Vaterland.
Nun ging ich durch die Haide von Tegea, wo traurig um die ungeheuren Trümmer der gelbe Grashalm wankt, und bald lag das verarmte Korinth vor mir, dem hohen, von zwei Meeren bespülten Geranion die Füße küssend.
Umsonst suchte mein Auge die Tempel der Freude, wo einst die schöne Jugend der Macht der Aphrodite ihre Opfer brachte, und die Hetären, mild wie ihr sanfter Himmel, im Arm der Wollust in tausend schwelgenden Genüssen die Triebe freier Männer wiegten. Einst war's der Sitz der Schönheit, Kunst und Freude. Der Reichtum warf seine Fülle wie Apfelblüten über diese jugendliche Stadt. Jetzt hatte die Armut die gefallenen Brüder gebleicht wie zu Schatten und Gespenstern. Alles, was die Menschen gebaut und geordnet, ist verschwunden. Wie ein Fremdling klimmt der späte Nachkomme um die Trümmer seiner Väter; und doch lächelt der Himmel noch so rein wie vordem, und das Meer rauscht ewig in seinen Ufern, und die Berge schauen ewig jung über die verwandelte Erde.
Von Korinth schifft' ich nach Athen. Dort saß ich tagelang auf der Höhe der Akropolis und sah durch die grauen Säulen und die jungen Lorbeere hinüber zum bienenreichen Hymettos. Ich wandelt' an den verlassenen Ufern des Ilyssos und des getrockneten Kephissos – und durfte mir nicht sagen: Auch du bist ein Grieche!
Nun kam ich durch das alte Böotien, durchwandelte die Wälder und Haiden des dürren Ätoliens, weinte über die Raubhorden der Schluchten von Manina und goß meine Tränen in den alten weißen Acheloos. Wie eine Furie trieb mich der Geist des alten Hellas durch die Länder. Eine wilde Unruhe jagte mich über die Berge, und mein Volk stand in seiner ganzen Niedrigkeit vor meiner Seele. Ich schifft' ab von Öniadä, stieg zu Dyma ans Land und wandelt' ins schöne Elis. Kinder, da ward vollendet das Bild! Wildverwobenes Gesträuch, Säulenstümpfe, Mauerstücke, zerbrochne Basreliefs, Schilder, Trophäen bedeckten das Tal von Olympia. Der Alpheios wälzte sich wie eine blaue Schlange mit kühner Windung durch die Ebene, wo nur der Tod und die Zerstörung wehten, die Wölfe des Pholoe und des Erymanthos in der Wildnis hausen, und nur hie und da ein einsamer Mann in der schweigenden Gegend gräbt, dem Boden seine Schätze abzugewinnen.
Mein Leben war ein Schmerz geworden. Ich versank in Schwermut wie der Mond in Wolken, und die Freiheit war mir zu einem fernen verschwebenden Luftbild geworden.
Die Donner, die wilden Vorboten des Winters, erschollen am Himmel, und ich war wieder in Arkadien.
Die Blumen der Tale waren gestorben wie meine seligen Träume. Ich suchte sie vergebens. Der Schnee umhüllte die Erde wie die Silberlocken das Haupt eines Greises, und die hochstämmigen breitästigen Eichen standen da wie die Geister ihrer Frühlingsblüten. Das Pentedaktylon glänzte mit seinen Schneehäuptern wie eine milchweiße Wolke im blauen Äther.
Da half ich nun den armen Brüdern die unbändigen Wölfe verscheuchen von den Dörfern, wenn sie herunterkamen in heulenden Scharen von den Waldgeklüften des Lykeios, und des Abends saß ich am Herde, wärmte mich an der Flamme und horchte träumend den Märchen von Sylphen zu, die der Aberglaube von Mund zu Mund geleitet.
Der Frühling kehrte wieder. Das Veilchen blickte wie der bescheidene Wunsch unsers Innern aus dem Schnee. Die Fluren wurden frei, und die Störche kamen wieder von Libyens Gestaden und bauten ihre Nester auf alte Mauern, auf hohe Säulenkapitäle. Es grünten und blühten Platanen, Feigen und Maulbeerbäume. In meine Seele kehrte kein Frühling.
Da wandelt' ich wieder am königlichen Eurotas und sah die Schwäne ziehen in seinem blauen Gewässer im Schatten des Lorbeers. Die Burg von Sparta lag vor meinem Auge. Von den weißen Höhen des Taygetos rollten donnernd die Schneelawinen in die Täler.
Ein alter Mann mit langem Barte saß am Ufer unter einer jähen Felswand. Er schien in tiefe Gedanken versunken.
Ich wünscht' ihm einen guten Abend. Er schaute auf. Ich sah aus langen grauen Locken ein altes ehrwürdiges Gesicht mit hoher freier Stirne, mit feurigem Auge, voll edler Würde blicken. Ein tiefer Gram schwebte wie der Schatten einer Wolke um seinen Mund.
Er schaute mich lange unbeweglich an und schien sich zu erfreuen an meinem Wesen. Dann fragt' er mich: Wer bist Du?
Ich antwortete mit kühnem Stolz: Ein Grieche!
Der Alte stutzte. Woher kommst Du?
Von den Ruinen meiner Väter!
Was suchst Du hier?
Einen Spartaner!
Wo bist du geboren?
Zu Sparta!
Das Antlitz des Greises verklärte sich wie die grauen Bergesscheitel, wann die Wolken über sie hinwegwandeln und die Sonne sie heiter beleuchtet.
Dann sagt' er: Und wenn Du einen Spartaner findest, Jüngling mit dem Feuerauge?
O, dann will ich an die Brust ihn pressen und den Bruderkuß ihm auf die Lippen drücken und mit ihm beweinen mein Vaterland!
Das Antlitz des Alten trübte sich. Er sagte: Beweinen nur?
Nein! rief ich mit Leidenschaft. Leben und kämpfen für mein Vaterland, daß es emporsteigt aus den Trümmern wie die Morgensonne und noch einmal wie sie die Riesenbahn durchwandelt! Aber ach, ich werde keinen finden. Die Spartaner liegen im Grabe.
Jüngling, Du hast einen gefunden, rief der Greis mit Entzücken und sprang empor und schloß mich in die Arme.
Ehrwürdiger Vater, erwidert' ich, aus seinen Armen mich befreiend, Deine Haare sind grau. Bald wirst Du ins Grab steigen wie Deine Väter. Es braucht Jugend und Kraft, die Ketten zu lösen von unsern Brüdern.
Fahre Du fort, wo ich begonnen, rief er aus, und pflege Du, was ich gepflanzt! Du wirst Dich um mich schlingen wie der junge Efeu um den alten Eichenstamm, und wir wollen Arm in Arm dahinschweben über die Lande wie Engel des Weltgerichts, daß die Völker sich emporheben wie frische Akazien über den Gräbern und die Heldenbrust schwellen fühlen vom Donnerworte: Freiheit!
Ich staunte ob der Begeisterung des Alten. Ich glaubte, es sei ein Geist, der wieder heraufgestiegen, die Nachwelt zu erwecken, zu befeuern.
Sein Auge blickte sinnend hinüber auf die Inseln und ihre Rosen und Myrten im Gewässer des Eurotas und wandelte dann über das Pentedaktylon und den waldigen Tornika.
Ich wußte nicht, was er wollte mit diesem Blick, als er sagte: Ist ja doch das Land noch schön wie vor drei Jahrtausenden, als an den lorbeerbeschatteten Ufern man die Blumen pflückte zum Brautkranz für die schöne Helena und aus dem Taygetos die Opferflammen brannten dem gefeierten Gotte!
Dann ward er wieder ein wenig still und sagte endlich: Folge mir in meine Wohnung! Ich folgte schweigend.
Unterwegs erzählt' ich mein früheres Leben. Der Alte ward immer heiterer, fiel mir wieder in die Arme und rief: Du mußt bei mir bleiben!
Wir wandelten so unsern Weg. Unvermerkt stand ich unter hohen Felswänden, die ein finstrer Geist in regellosem Wurf gestaltet zu haben schien. Aus verwobenem Myrtengesträuch sprudelt' ein frischer Quell und wandelte mit melodischem Murmeln durch die Felsen.
Im Schatten hoher Zypressen und Lorbeerbäume stand ein freundlich Häuschen, auf dem der beruhigte Blick sich erholte von den wilden Gestalten der Felsklippen.
Es ist mein Haus! sagte der Alte. Es ist auch das Deine.
Wir traten hinein. Ein gewölbtes Zimmer umgab mich. Ich mußte mich niedersetzen. Der Alte saß mir gegenüber.
Wir sprachen noch eine Zeitlang, als errief: Theone!
Bald ging die Tür auf, und ein Mädchen trat herein, weiß wie die Schwäne des Eurotas, mit langen braunen Locken und einem Auge voll Unschuld und Frieden. Lächelnd und unbefangen grüßte sie mich und den Alten. Ihr Anblick machte einen wunderbaren Eindruck auf mein Herz. Ich fühlte etwas quillen in meinem Innern, das ich noch nie gefühlt.
Bring' uns das Abendbrot, Theone! rief freundlich der Greis, und das Mädchen flog wieder durch die Türe.
Es ist meine Tochter, sagt' er zu mir, wie sie draußen war.
Bald war sie wieder da und stellte einen Korb voll frischer Früchte und einen großen steinernen Krug voll Wein auf den Tisch. Dann entfernte sie sich wieder.
Wir sprachen noch einige Stunden. Dann wies mir der Greis ein Zimmer an, drückte mir herzlich die Hand und schied. Ich setzte mich ans Fenster. Der Mond blickt' in seinem blassen Licht zwischen zwei Felsen, die ihre Riesenschatten weit über die Fläche warfen. Unerklärbare Schauer zogen durch meine Brust. Der wunderbare Greis mit seinem Feuer und das Gefühl meiner Bestimmung lag feierlich vor meiner Seele wie die schlummernde Natur. Das Bild des zarten Mädchens umschwebte mich wie eine stille lindernde Ahnung und spielte mir heiter wie das Mondlicht um die gekühlten Wangen. So schlummert' ich ein.
Kaum war die Sonne aufgegangen, da stand Hilarion – so hieß der Alte – an meinem Lager und sagte: Wir wollen nach Sparta wandeln!
Wir gingen. Unterwegs sagte Hilarion: Aus dem Kampfspiel holten unsre Väter ihre Stärke. Aus ihm entsprang jene Vollkraft, jene erhabene Gesinnung, jene Größe und Fülle des Lebens, jene Harmonie des Geistes und Körpers. Da galt kein Stand, kein Rang; die angeborene Stärke siegte. Da waren sie Menschen im vollen Sinne, Kinder der allbeseelten Natur, frei wie der Vogel in den Lüften und lebenskräftig wie die frischbetaute Blume. Da entstand jener Gemeingeist, der alle beseelte. Das ist der Fehler unserer Zeit, daß der Einzelne sich trennt vom Einzelnen und darum nie ein Ganzes waltet. Würde jeder sich selbst vergessen und alle zusammenwirken zu einem Zwecke, da würde ein Volk entstehen, groß wie das untergegangene und stark genug, den Erbfeind zu vernichten. Darum sollen sich unsere Jünglinge üben in jenen Spielen, die Geist und Körper stärken; und das wird der Keim sein, aus dem der ewigkräftige Heldensinn entsproßt, jenes Zusammenweben aller für Eines.
Unterdessen waren wir nach Misitra gelangt. Laßt uns vorher zu meiner Tochter gehen! sagte Hilarion, indem er auf ein Haus deutete, das nahe vor uns stand. Sie lebt hier bei einem Verwandten. Es ist die Ältere.
Hier lernt' ich Cäcilien kennen, die Du für Deine Mutter hieltest, Atalanta!
Darauf gingen wir zu vielen wackern Männern und sprachen über unsern Plan.
In wenigen Tagen waren unsere Wiesen voll von Knaben, Jünglingen und Männern. Jetzt ist es Deine Sache, sprach Hilarion, zu ihnen zu reden!
Die Brust schwoll mir von Begeisterung. Auf einem Rasen redet' ich zu den Spartanern.
Meine Worte waren wie der Gießbach, der von Felsenhöhen in die Täler strudelt, die Eichen aus den Wurzeln reißt und alles faßt und wogend mit sich fortreißt. Die Ungestümen rissen Zweige von den Lorbeerbäumen und warfen sie mit lautem Ruf über mich. Hilarion drückte mir schweigend die Hand.
Von nun an kamen sie täglich zusammen zum Ringen, Laufen und Werfen. Und wenn ich schweißbedeckt am Abend nach Hause kam, trat mir Theone entgegen und gab mir mein Abendbrot. Da ruhte die wilde Kampfeslust und der tobende Sinn. Aus ihrem milden Auge quoll ein sanfter Friede und wehte kühlend und besänftigend durch meine Seele.
Ich fühlte mir ein neues Leben entstehen. Meine Seele war gestillt, erweitert, angefüllt, war frisch wie das Tal, wann die Morgensonne überm Hügel schwebt.
Oft drückten wir uns die Hände, wenn wir allein waren und küßten uns die Lippen; und wenn der Vater kam, wand sie sich errötend von meiner Brust.
Der Vater lächelte.
Oft auch saßen wir am Ufer des Eurotas, wo über uns sich Lorbeer und Platanen wölbten und die Trauerweiden in die klare Flut sich tauchten.
Die Schwäne spielten um Myrten- und Rosengesträuch zu unsern Füßen, und der Seidenbaum würzte die Lust mit balsamischem Gerüche.
Veilchen waren durch Theonens dunkle Locken geflochten, die herabwallten über den jugendlichen Busen. Sie war zart und mild wie das freundliche Schneeglöckchen.
Ewige Gesundheit sog ich aus ihrem keuschen Munde. Ich sah in ihr das Bild der ewigen Jugend. Das Leben fühlt' ich in seiner höchsten Fülle, im Vollgenuß meiner Kraft und Stärke.
Unser Gefühl war rein wie das weiße Licht der Sonne. Die ganze Schöne des griechischen Himmels hatte sich abgedrückt in Theonens Körper und Seele.
Und wenn dann der Mond hervortrat und die beschneiten Gipfel des Taygetos im blassen dämmernden Lichte glänzten wie zartgehauchte Wolkenbilder, da schwiegen wir und lauschten der Nachtigall, die ihre Lieder in den Akazien aus der melodischen Kehle wogte, und wandelten Hand in Hand wieder unsern Felsen zu.
Einstmals nahm Hilarion mich an der Hand und führte mich zu Theone. Dann ging er schweigend mit uns aus dem Hause. Die Sonne stand am Mittagshimmel. Der Alte blickte die junge Tochter an und dann mich und sagte: Liebe Kinder, Ihr liebt Euch! Das Mädchen errötete; mein Auge glühte. Ich warf mich zu des Vaters Füßen; auch das Mädchen sank auf ihre Knie. Hilarion legte unsre Hände ineinander, gab uns seinen Segen und ging ins Haus. Dann sahen wir einander an auf den Knien, und unsere Lippen küßten sich zum ewigen Bunde.
Zu Sparta wurden wir getraut. Meine Brüder kamen zusammen auf der Wiese und feierten unser Fest. Die männliche Jugend strebte im Wettkampf nach den Preisen, die wir ausgesetzt; und nach dem Mahle begannen Tänze und Spiele, wo sich die frohen, von Wein und Gespräch trunkenen Jünglinge mit den blumengeschmückten Mädchen bis zum Morgen unterhielten. Theone sank mir weinend an die Brust. Sie war mein, ganz mein.
Selig verlebten wir den Sommer. Auch den Winter hindurch dauerten unsre Spiele. Ich war im Ringen und im Laufen der Erste. Die Greise sorgten für die Ordnung und bestimmten die Preise. Hilarion ward wieder jung.
So kehrte der Frühling wieder, und meine Theone fühlte sich Mutter. Von nun an ward sie mir heilig, das Kind und Abbild der erzeugenden Natur. Da gebar sie, und Du, liebe Atalanta, betratest die Welt.
Überschwänglich war Deines Vaters Wonne. Die Worte starben ihm auf den Lippen. Er druckte mit stummem Entzücken die geschwächte blasse Mutter und dann Dich an seine Brust. Mein häuslich Glück war nun vollendet.
Da ward auf einmal Hilarion geheimnisvoll. Ich drängte mich an sein Herz, und er sagte mir, vom Norden segle eine Macht herbei, den Muselmann auf seinem Boden anzugreifen. Ich staunte; ich ward entzückt. Gott! rief ich begeistert. Der Tag ist gekommen, auf den wir gewartet!
Ich stürzte auf die Wiese, verkündet' es den Brüdern. Alles eilte voneinander.
In einigen Tagen war Misitra unter den Waffen. Die Nachricht erscholl durch die Täler des Taygetos. Die Völker standen auf.
Vor meinen Sinnen war nichts als das Geschnaube, das morddrohende Gerassel anrennender Kriegsrosse; das Feld und Stadt durchhallende dröhnende Waffengetös der geharnischten Brüder; das einherwogende Gebrüll vom Atem des Ares geschwellter Männer; der furchtbar vom Widerhall zurückgetriebne Donner der Geschütze; die stöhnenden Seufzer und Gebete hülfeflehender, das Bild der Panagia umfassender Jungfrauen; himmelanwirbelnde Staubgewölke; die Flamme des allzerstörenden männerzermalmenden Schlachtgewühls; Mordende und Gemordete; Weinende; den furchtbaren Gesang des Hades und der Erinnyen Singende.
Ich feuerte meine Genossen an. Sie rasten in Kampflust. Der Bey von Misitra ward gemordet.
Kinder, ich nahe nun dem unglücklichsten Teile meines Lebens. Laßt mich kurz sein in meiner Erzählung! O, sie schmerzt mich!
Achaia, Arkadien und Argos hatten die Fesseln abgeworfen. Orlow war mit sechs Schiffen erschienen. Wir Mainotten wollten nach dem Isthmos ziehen.
Noch wußte meine Theone nichts.
Den Tag vor dem Abzug trat ich vor sie hin. Die junge schöne Mutter saß auf einem Stuhl und säugte ihr Kind am weißen Busen und blickte so schmerzlichsüß auf das Kleine herab, als wenn sein Trinken sie verletzte. Dann drückte sie mir die Hand und lächelte.
Ich fiel ihr um den Hals. Theone, rief ich, wir müssen scheiden! Das Vaterland ruft. Bald werd' ich wieder in Deine Arme eilen und frei die Freie an den Busen drücken.
Sie war heftig erschrocken. Ihr Auge war überfüllt mit Tränen. Sie lag halb ohnmächtig an meiner Brust. Der Alte tröstete sie. Aber ihr schönes Auge blieb naß noch den ganzen Abend.
O, Katon! rief sie einmal, wie zerfließend, matt an meinen Lippen bebend. Ich verstand sie; weinte mit ihr.
Mein innerer Kampf war fürchterlich.
Aber der Geist der Freiheit stieg vor meinem trunkenen Auge wie ein Riese aus der Erde. Ich hatte überwunden, preßte die Geliebte noch einmal an meine Brust, drückte den letzten Kuß auf ihre nassen Wangen und eilte durch die Felsen.
Hilarion konnte nicht folgen. Die Nacht hindurch versammelten wir uns. Mit Anbruch des Tages nahm ich Abschied von Hilarion und eilte mit meinen Scharen gegen den Isthmos.
Überall hatten die Griechen sich erhoben und ergriffen wütend die Waffen.
Am Isthmos standen wir den Türken gegenüber.
Ich lag auf meinen Knien, wie die Sonne emporstieg, und flehte zum allbarmherzigen Gott, Richter zu sein des entscheidungsvollen Kampfes.
Wir stürzten in die Schlacht und wurden geschlagen.
Ich weinte blutige Tränen; aber noch verzweifelt' ich nicht. Der Seraskier war bis nach Messenien gedrungen. Ich eilte durch den Peloponnes. Neue Scharen kampflustiger Mainotten strömten zusammen.
Wir kämpften wie Rasende.
Umsonst. Die geschlagenen Brüder flohen auseinander und verloren sich in den Gebirgen des Pentedaktylon.
Da stand ich allein wieder auf der Erde, allein in meinem Vaterlande wie einst, als ich den Peloponnes durchwandelte!
Überall hört' ich vom Rauben und Morden der zügellosen Griechen. Ich eilt' auf ein Schiff; landete am Vorgebirge Tänaros. Mit Grauen sah ich die schwarzen schaurigen Felsen, auf deren jähen Gipfeln wie Adlernester die Dörfer der Kakovouniotten schweben. Die Ungeheuer, sagten die Schiffer, haben fürchterlich gehaust. Die Albanier haben in Misitra gewütet.
Mich faßte Schrecken. Ich eilte der Heimat zu; erreichte die Ufer des Vasilipotamo, und der Alte saß auf derselben Stelle unter dem Lorbeer an der Felswand, wie ich ihn einst getroffen. Ich flog auf ihn zu. Er starrte mich an. Sein Angesicht war blaß; das Feuer seiner Augen erloschen.
Er fragte dumpf: Jüngling, was suchst Du hier?
Trost! rief ich. Trost am Busen meines Weibes!
Er stand auf und führte mich zu den Felsen. Kein Wort kam über seine Lippen. Eine schreckliche Ahnung fuhr mir eiskalt durch die Seele.
Ein Grabhügel war vor der Hütte. Rosen, Akazien und Myrten schlangen sich um ihn.
Wo ist Theone? fragt' ich zitternd.
Der Alte sah mich an und sagte dumpf: Ihr Leib liegt unter diesem Hügel; ihre Seele ist bei Gott.
Ich stürzte besinnungslos über den Hügel. Der Alte hob mich auf und sprach finster: Du kommst vom Grabe Deines Vaterlandes und verzweifelst am Grabe Deines Weibes?
Ich verstand ihn; aber umsonst. Vaterland und Weib war mir Eines geworden.
Wo ist mein Kind? rief ich jetzt von neuem schaudernd. Es lebt, erwiderte Hilarion. Cäcilie trat aus dem Hause; brachte mir mein Kind.
Ach, erlaßt mir, zu erzählen, wie meine Theone starb! Albanier mordeten sie. Ich darf, ich kann nichts weiter sagen.
Den andern Morgen fand ich den Alten nicht im Bett. Ich eilt' ans Fenster. Er saß auf Theonens Grabhügel. Ich stürzt' auf ihn zu. Er hatte nur noch wenige Kräfte; sein Leben war wie die balderlöschende Lampe.
Ich sank zu seinen Füßen. Er sprach: Mein Leben ist zu Ende. Meiner Träume schönster war, frei zu sehen mein Vaterland. Aber wo nicht Einigkeit herrscht, wo sich nicht alle opfern für Eines, da wird nichts Großes werden. Die Acht verfolgt Dich, mein Sohn. Flieh' aus Griechenland. Lebe garnicht darin, wenn Du nicht frei darin leben kannst! Wandre nach Deutschland!
Cäcilie eilt' aus dem Haus. Er ergriff ihre Hand. Auch sie sank weinend zu seinen Füßen. Katon, sprach der Greis, sei Du meiner Tochter Schutz! Nimm sie mit Dir nach Deutschland! In einem Gewölb unter dem Hause findet Ihr Reichtümer genug, bis ans Ende des Lebens zu gelangen. Gebt Euch die Hand!
Dann brach er noch Rosen und Akazien von dem Grab und sagte, zum blauen Himmel hinaufblickend, mit einer Träne: Das Leben ist schön in Griechenland. Dank Dir, Gott, daß ich in ihm ward; in ihm sterbe! Dann blickt' er uns noch einmal liebend an und verschied.
Wir begruben ihn den andern Tag. Ich öffnete das Grab und den Sarg meiner Theone. Ich sah noch einmal ihren schönen Körper. Dann schloß ich ihn auf ewig. Des Nachts brachten wir unsere Schätze samt dem Sarg auf einen Wagen. Zu Kalamata schifften wir uns ein.
Mit heißen Tränen sah ich die schönen Ufer im Meere verschwimmen, tröstete Cäcilien und hatte für mich keinen Trost.
Unsere Reise war glücklich. Wir wählten uns diesen Platz und bauten unsere Häuser.
O Kinder, ich konnte nicht leben ohne Begeisterung und hatte doch nichts mehr, das mich begeisterte.
Mein Schmerz war unermeßlich.
Cäciliens zarte Seele versteht ihn. Eine wundersame Freundschaft schließt unsere Herzen zusammen, seit wir unser Griechenland verließen. In diesem Gewölbe betrauert' ich mein Vaterland und meine Theorie. Ihre Hülle ruht im Sarkophag.
Du wuchsest auf, liebe Atalanta, und wußtest nicht, daß ich Dein Vater bin und Griechenland Deine Heimat. Ich wollte Dir den Schmerz ersparen und lieber eine Mutter Dir geben als einen Vater. Du solltest, durftest es nicht wissen. Frage mich nicht!
Ich wollte Dir ein Abbild schaffen des schönen Landes in unserm Garten.
Nun weißt Du ja, Du Liebe: Du bist meine Tochter, bist eine Griechin!
Katon schwieg. Wir sahn uns an und sanken ihm zu Füßen. Er neigte sein Haupt zu uns herab; hob uns sanft auf, ergriff unsere Hände und legte sie auf den Sarkophag. Dann blickte sein Auge gerührt hinan, und er sagte: Ihr liebt Euch, Kinder. Nehmt meinen Segen!
Wir sanken einander in die Arme, weinten vor Entzücken.
Spät stiegen wir wieder aus dem Gewölbe.
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Gestern waren wir auf der Burg. Atalanta und ich gingen voraus. Katon und Cäcilie folgten. Es war ein heiterer Herbsttag.
Wir wandelten den Waldpfad hinauf und hatten bald den schlanken Berg erstiegen. Wir irrten durchs verwitterte Burggemäuer, durchs zerbröckelte moosbewachsene Ruinengestein, das innig wie Geist und Gemüt mit jungem traurig einsamem Buschwerk sich verwob.
Durch halbzerfallene Mauerbögen und Fensteröffnungen blickten der blaue Himmel und die versilberten Fernen, und der Blick suchte oft vergebens die äußersten Berge von der gleichfarbigen Luft zu trennen.
Das weiße rosenbekränzte Mädchen lag an meiner Brust. Ich sah mit stummer Wonne auf sie herab und war entzückt, wie eine solche Schönheit, eine solche Jugend mir am Herzen ruhte.
Katon kam mit Cäcilien.
Wir setzten uns nieder unter einem schlanken, von Efeuranken umschlungenen Turm.
Katon war ungewöhnlich heiter und sagte endlich: Liebe Kinder, wir wollen über Unsterblichkeit sprechen. Auf dieser Höhe, wo wir nichts mehr über uns sehen als den blauen Himmel, in dem die ungeheuren Welten des Schöpfers schwimmen, fühlen wir uns freier und voller, und es ist, als ob der luftiggewobene Schleier um unsere Seele sich hinanhöbe in weiten fließenden Falten.
Atalanta soll bestimmen, wer sprechen soll!
Sie saß zu meiner Seite und blickte mich liebevoll an. Katon rief: Ja, Phaethon soll uns von der Unsterblichkeit sprechen!
Nun denn, wenn Ihr so wollt, so erfüll' ich Euern Wunsch! erwidert' ich. Aber Ihr müßt mir vergeben, wenn ich meinen Worten zuweilen einen höhern Schwung leihe, wenn ich in Bildern spreche. Denn ich glaube, so will es der Gegenstand.
Das steht zu Dir! versetzte Katon.
Ich hielt ungefähr folgende Rede:
Die Seele, meine Lieben, ist unsterblich. Jede Kraft, die durch sich selbst wirkt und ohne eine fremde regelnde Kraft sich selbst bewegt, ist unsterblich. Denn sie bewegt sich ewig und wird nie von sich selbst verlassen. Dagegen jeder Körper sterblich ist, der nur durch eine fremde Kraft, von außen, Bewegung und eine Art von Leben erhält, weil jene fremde Kraft ja aufhören kann, auf den Körper zu wirken.
So lehrt uns der göttliche Platon.
Vernichtung ist Auflösung eines zusammengesetzten Körpers in so viele Teile, daß die Sinne sie nicht mehr bemerken können. Die völlige Vernichtung aber eines Körpers ist nicht denkbar. Die Teile bleiben, wenn sie auch nicht mehr bemerkbar sind, ewig im Raume. Die Seele aber ist eine reine einfache geistige Kraft, die durch sich selbst Bewegung und Leben erhält. Sie hat keine Teile; ist ein unzertrennbares Ganzes. Wie könnte sie also aufgelöst, zernichtet werden? Wer trennt die reine lodernde Flamme und zerlegt sie in Teile?
Weil die Seele eine zusammengesetzte, durch sich selbst bewegte Kraft ist, so hat sie auch keinen Anfang, wie sie kein Ende hat. Laßt mich sie begleiten auf ihrem Stufengange!
In der ganzen Natur ist eine mit unmerklichen Sprossen aufsteigende Leiter zu bemerken. Nichts bleibt einen Augenblick in derselben Gestalt, auf derselben Stelle. Zwar scheint die Flut, die sich vom jähen Felsgeklipp ins Tal stürzt, eine einzige bewegungslose Wassersäule, aber es sind nur neue Tropfen, die andern schnell die Stelle räumen. Die Flamme scheint ein unveränderlicher Feuerstrom, aber es sind nur einzelne Funken, die entsprühen, wenn die andern verlöschen. Diese Stufenleiter geht durchs Reich der Pflanzen, Steine, durch alle Körper.
Auch im Tier ist eine einfache treibende Kraft, die selbständig einen Körper bewegt und wärmt. Durch ein Dreifaches wird der Mensch zum Menschen. Er ist Pflanze, Leben, Seele oder Geist. Das Tier hat wohl das Leben aber nicht den Geist. Unsterblich ist der Geist; aber auch das Leben ist es. Darum kann auch das Tier nicht sterblich sein. Und wär' es nicht ebenso ungerecht von der Gottheit, das Tier im Verhältnis zu uns in ewiger Niedrigkeit zu halten, als es ungerecht wäre, unser Sehnen nach Gottähnlichkeit nicht zu stillen? Das Leben bildet sich allmählich zum Geist herauf; das Tier zum Menschen, der Mensch zur Einigung mit Gott, dem Geiste, der alle Geister in sich aufnimmt.
Die Seele entsteht durchaus nicht erst, wenn der Körper entsteht. Im Mutterschoß kann zwar wieder etwas Körperliches, Organisches entstehen, aber nichts Geistiges, Einfaches sich bilden. Denn wie könnte das Geistige aus dem Körperlichen entspringen? Und überhaupt kann ja das Geistige nicht entstehen, weil es die Bewegung nicht von außen erhält.
Die Seele stammt von Gott. Aus einem uns unbekannten Grunde, vielleicht zur Strafe, bekam sie die Hülle des Körpers. Darum sehnt sie sich ewig wieder nach der Gottheit. Ihr höchstes Streben ist, zusammenzuschwimmen mit ihr.
Gott selbst aber ist so wenig zu beschreiben als die Schönheit. Jeder Begriff von ihm ist ein Unding. Er ist das in sich Wahre, Schöne und Gute, alles Daseins Schöpfer, alles Lebens, aller Liebe Vater, der Geist der Geister, der Alleinige selbst, das Hen auto des Platon!
Das ganze Weben und Wirken der Seele auf dieser Welt bezieht sich au jene ewige Sehnsucht. Je lebhafter diese ist, desto mehr befreit sich die Seele von der Herrschaft des Körpers; desto besser ist sie; desto näher der Gottheit. Ohne diese Sehnsucht wäre das Weltall ein Traum.
Der Körper schließt den Geist in seine Hülle wie der Blumentopf die wachsende keimende Wurzel. Immer reicher, saftiger und voller wird der Keim und drängt sich am Ende siegend aus dem Topfe.
Der Körper ist wie ein Spiegel, durch den die Seele alles beschauen und erkennen kann, aber nicht unmittelbar, nicht rein und ganz. Einst wird sie, wenn sie frei ist, die Dinge schauen, wie sie sind, ohne Hülle, nicht nur an der Oberfläche, durch und durch.
Auch in der Bildung des Körpers offenbart sich der schaffende göttliche Verstand. Er ist das schönste vollendetste Werk des Schöpfers; denn die Seele ist ja kein Werk, sondern entflossen aus Gott, ewig, einfach.
Auch die Auflösung des Körpers geschieht nicht plötzlich, sondern nur allmählich. Wenn er endlich stirbt, so lösen die edelsten geistigen Säfte sich von ihm ab und bilden einen für uns unbegreiflichen feinern und zartgewebten Lichtkörper. Denn nicht mehr das rauhe Element der Erde bildet die Hülle, sondern das zartere des Lichts.
Aber nicht auf einmal kann die befreite Seele nun der Gottheit nahe kommen. Der Abstand ist zu groß. Darum schwebt sie auf eine andere Welt, wo sie vollkommnerer Wirksamkeit sich erfreut. Da aber alle Seelen, die in unserer Welt waren, einen gleichorganisierten Körper hatten, so muß auch bei allen dieselbe Körperauflösung, dieselbe Bildung einer neuen Hülle stattfinden. Aus eben diesem Grunde kommen sie auch in die gleiche Welt. Denn die Abstufungen von Vervollkommnung unter uns sind zu gering gegen das Riesenmäßige des Unendlichen νους πας όμοιος εστι χαι όμειζων χαι ό ζλασσων Anaxagoras. So wandeln wir von einer Welt zur andern wie Bienen von Blume zu Blume. Denn unser Sein auf dieser Erde ist so wenig ein Leben als ein Atom eine Welt.
Wir werden immer reiner und vollkommner, je näher wir der Gottheit kommen, aus der wir entstanden sind.
Alles, was ist im Weltall, ist schön und gut, von den Millionen im Äther schwimmenden Welten bis zum Blumenblättchen, das auf einer Spiegelwelle schwimmt; von der Riesensonne, die ihre Lichtwogen durch den unermeßlichen Raum auf unsere wandelnde Erde sendet, bis zum einsamleuchtenden Weben des Glühkäfers auf der dämmernden Nebelhaide. Er ist ja gebildet vom Geiste des Schönen und Guten. Das ganz zu fühlen, das allein zu fühlen, das ist das Streben, mit dem wir wandeln von Sonne zu Sonne, von einer Milchstraße zur andern, uns vollendend und annähernd dem Höchsten, in ewiger ununterbrochner Stufenleiter. Unser Dasein entfaltet sich immer größer und freier; unsere Kräfte schwellen gewaltig an und wirken mit immer größerer Stärke, schaffen und weben mit immer reicherer Fülle. Noch brauchen wir einen Körper, daß unser Geist nicht erblinde vom allreinen Licht, von der heiligen alldurchdringlichen Schöne Gottes. Immer reiner aber wird der ewige, zur Reife schwellende Geist; immer mehr Festigkeit erhält er durch die in immer größern Erscheinungen geoffenbarte Gottheit; immer riesenmäßiger werden die Flügel, je mehr sie getränkt werden von der zarten wallenden Morgenschöne des unendlichen Vaters. Unsere Körper werden immer feiner, ätherischer, farbloser, reiner, bis wir endlich gar keine Hülle mehr brauchen, Geist und Geist mit der Gottheit zusammenfließen und in ihr, im Anschaun unserer Vollkommenheit, in alle Ewigkeit fortleben.
Ich schwieg.
Schön! rief Katon. Du hast Dich gezeigt, wie ich's erwartete. Schwärmerisch!
Aber beseligend! lispelte Atalanta und drückte mir die Hand mit einem Blicke, der mir ihre tiefe schöne Seele in ihrer unendlichen Durchsichtigkeit zeigte.
Cäcilie weinte und sagte endlich, zum blauen Himmel blickend, mit tränenvollem Auge: Ich werde Euch wiedersehen, Vater und Schwester! Katon sah sie schmerzlich an.
Wir standen auf. Atalanta hüpfte an meiner Hand den waldigen Bergpfad hinunter. Wir waren wie Kinder.
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Sieh, wenn sie vor mir steht, und so ein unerklärbar liebes Wesen um Auge und Lippen lächelt, wenn sie mich ansieht, so ganz voll Unschuld, Liebe, voll grenzenloser Hingebung, das keusche Mädchen, – Bruder! – und ich mir denke, wie ein frischer schöner Knabe lächelt in ihren Armen, ihr Ebenbild, nur kühner gewaltiger wilder als die ewig sanfte lächelnde junge Mutter, und der Kleine die Ärmchen nach mir ausstreckt und sie selbst, die Liebliche, mit ihrer Mutterliebe blickt auf den wilden Knaben an ihrem Busen und dann auf mich, wenn ich dann nimmer kann und der Guten, Zarten die Lippen küsse, der Mutter, der Keuschen, die mein ist, auf ewig mein: denke Dir, was Du willst: da stehen mir die Sinne still!
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Die plastische Vollkommenheit der Formen ist nur dann Schönheit, wenn eine Idee sie beseelt.
Wie der Geist den Körper, so muß eine Seele die Form beleben.
Die Schönheit muß rein und klar das Geistige gleichsam verkörpert zeigen wie Wasser den Himmel.
Die wahre Schönheit kann nicht sein ohne diese Einigung des Geistigen und Sinnlichen. Das Geistige muß auf der Form beruhen wie befruchtender Tau auf der Blume.
Die Schönheit der Form ohne den beseelenden Hauch des Geistes kann zwar dem Auge, das nicht eingeweiht ist, die wahre Schönheit zu erkennen, als eine wahre erscheinen; aber sie ist es nicht.
Wenn sich aber beides eint wie mit einem weichen Kuß der Liebe, dann entzückt es sowohl die Sinne wie den Geist. Er öffnet sich dann in seiner Fülle wie die ausgehende Morgenrose.
Die höchste Eigenschaft dieser Schönheit ist Reinheit. Sie ist wie eine weiße gestaltete Lichtflamme. Auch ist sie mäßig bei aller Fülle. Ihr Auge ist die unergründbare Tiefe der Seele, das innigste wärmste Leben des Gemüts, das Empfindung aus sich sendet wie Lichtstrahlen die Sonne. Der Mund ist das Geheimnis der Einung durch den Kuß, und die Strahlen, die durch das Auge flossen, quillen aus ihm in dem Augenblick, wo die Sehnsucht gestillt wird. Aus dieser Einung aber wird ein drittes erzeugt, und der schwellende Busen ist die Fülle der Fruchtbarkeit.
Das helle Sonnenlicht drang durch die Fenster. Atalanta stand vor mir. Ich folgte der Natur in der Bildung ihrer Schönheit und ahmte sie nach in ihren fließenden Formen, in ihren Wellenlinien, in ihren zartgehauchten Rundungen, in ihren wallenden Wölbungen. Wie der Schleier vom seligsten tiefsten Geheimnis war die letzte Hülle gefallen, und ihr Busen quoll wie zarte Milch aus dem dunkeln Gewande. Ihn deckte halb die Hand, und das Auge ruhte jungfräulich verschämt auf ihm.
Mein Auge zitterte wie das Auge des Jüngers, wenn der Schleier sich lüftet vom Allergeheimsten und er mit heiliger Scheu sich angereiht sieht an die Eingeweihten.
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Heute kommt ein Brief. Ich erbrech' ihn. Er ist von meinem Fürsten. Er ruft mich zurück. Ich soll die Büste seiner Gemahlin ausarbeiten. Ich soll ... O, ich muß, muß fort!
Am Anfang konnt' ich's nicht überdenken. Es war wie ein betäubender Schlag, wo die Besinnung schwindet und die Seele sich bewußtlos in ein dumpfes Starren verliert.
Dann wacht' ich auf, stürzte zu Atalanta, fiel ihr weinend um den Hals.
Sie erschrak. Ich gab ihr den Brief. Ihr großes Auge füllte sich mit Tränen. Schmerzlichliebend sah sie mich an, ergriff meine Hand, stammelte: Phaethon!
Ich sah's, wie sie sich halten, wie sie mir ihren Schmerz verbergen wollte. Durch ihr Auge sprach's in zärtlichen wunderbaren Schauern. O, die Meine, die Gute!
Bruder! Sie sank mir mit lautem Weinen an mein Herz.
Wir konnten nichts sprechen. Ein dunkel gewobener Schleier dehnte sich um unser klares Bewußtsein.
Katon und Cäcilie traten herein. Sie lasen den Brief. Cäcilie drückte Atalanten an die Brust, tröstete sie; aber das Mädchen weint' immer heftiger.
Katon sah mich traurig an, drückte dann meine Hand und sagte: Lieber Freund, wir haben uns lieb. Du wirst wiederkehren. Sie bleibt ja die Deine.
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Noch bin ich wie von Sinnen. Es kam zu unerwartet. Ich saß die halbe Nacht hindurch bei den drei Säulen. Fürchterliche Ahnungen stiegen aus den Schatten.
Sie zu verlassen, Gott, das ist zuviel für mich! Wenn ich des Morgens aufstehe, lächeln mir ihre Wangen zum Kusse wie die frische Morgenröte; eh ich des Abends zu Bette gehe, drück' ich sie noch einmal an meine Brust und blicke mit ihr zu den Sternen und danke dem Schöpfer für unser Glück, für unsere Wonne. O, ich war wieder zum Kind geworden, zum liebenden geliebten Kinde, das sein göttliches Dasein kaum fühlte vor seiner Trunkenheit, seiner lautern innigen Begeisterung!
Und das alles nun vorüber! Ich werde unter fremden Menschen wandeln, die mich nicht lieben, die ich nicht lieben kann. Kein Blick aus ihrem Auge stärkt mich mehr. Kein Händedruck, kein Kuß.
O Theodor, nicht beten, nicht weinen mehr mit ihr!
Bruder, die Blätter fallen schon vom Baume. Der Wanderer tritt über sie. Auch mein Herbst ist da, aber ich ernte keine Früchte; ich sehe nur dem Winter ins bleiche verglommene Auge.
Ich will nicht weiterschreiben. Du fassest doch nicht, wie mir ist.
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Übermorgen ist meine Abreise bestimmt. Mir ist fürchterlich bange darauf.
Atalanta ist wie ein andres Wesen. Ihr Angesicht ist blaß wie der Mond. Sie weint fast immer und spricht wenig. Aber in ihrem Auge schwimmt der ganze Schmerz der Seele. Sie scheint ihn mit Gewalt zu unterdrücken. Nur manchmal bricht er hervor in heißen Tränen, wenn ich zu wild bin und die Bebende ans Herz presse. Katon ist wenig um mich.
Alles zu verlassen! Das alte Mausoleum, das Schlößchen, die drei Säulen, den Tempel des Eros, den heitern See, meine Polyxena, Katon, Cäcilie und sie, sie! Ach, Theodor, das kann ich nicht denken! Auch sie, mein Leben, meinen Himmel!
Menschen, die mich nicht kennen, nicht lieben, nicht verstehen! O, da steh' ich stille!
Das Wörtchen Tod war für mich Unsinn! Aber nun? O!
Reiße mich los von Gott wie von ihr, dann bin ich – tot!
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Die Sonne ging auf. Heut ist der Abschiedstag. Morgen vor Tagesanbruch reit' ich vom Schlosse weg. O Theodor, bete für mich!
Den Abend saßen wir noch beisammen und sprachen von all den Freuden, die wir genossen in der Zeit. Näher und immer näher kam die Stunde des Abschieds. Ich ergriff Atalantas Hand und zog sie mit mir hinaus ins Freie.
Der Himmel war mit Sternen übersät. Mein Inneres war übervoll von der Empfindung der Stunde. Mein Auge irrte wild umher auf den Gestalten der Nacht. Zwischen den drei Säulen blinkte der Abendstern in mattem schwankendem Licht. Alles schwieg; nur der leise Windhauch spielte mit den Blättern des Rosengebüsches und erklang wie die Erinnerung geschwundener Abende vor meinen trunkenen Sinnen. Atalanta ging mir zur Seite.
Auch wir schwiegen lange. Nur manchmal bebten unsere Lippen: Gedenke mein! Und dann zerflossen die Worte wieder in die Tränen unsers Schmerzes.
Da begann ich endlich: O blicke hinauf, Geliebte! Hinauf zum gestirnten Himmel! Da wandelt der Schöpfer unter den Sternen wie der Gärtner unter seinen Blumen. Er ist die ewige Liebe. Gott ist die ewige Liebe. Atalanta, denke diesen erhabenen Gedanken! Er ist das ewige unerklärbare Wesen, das jene schweren Riesenwelten durch die Unendlichkeit gestreut hat wie leichten zarten Samen, das sie aus dem Elemente rief, werden ließ und gestaltete. Wenn die Morgensonne mit ihrem Hochrot über den glühenden Hügeln schwebt und durch die Eichenwipfel quillend unsere Häupter bescheint, wenn das alles stille wird, ein hohes feierliches Gefühl unsern Busen schwellt, und wir zu vernehmen glauben, ein dunkles Etwas wehe mit seinem beseligenden Geiste daher über Wiesen und Gründe, Wälder und Berge, und alles glühe, lebe und öffne sich bei seinem allbelebenden Hauche. Er ist's! Der Gott der Liebe ist's! Wir wandeln auf seiner Erde, die Abbilder seiner Schönheit und Fülle, und liebend drückt er uns täglich an seinen Busen. Er küßt uns, der unsichtbare himmlische Vater, mit dem Strahle des Mondes und der Sonne die Wangen wie seinen geliebten Kindern. Er spricht aus jeder Blume zu unserm Herzen im Geiste seiner Mäßigung und Größe.
Ja, sagte Atalanta, wir wollen nicht mehr weinen! Er ist ja unser Vater; wir sind seine Kinder. Wer ist es, Phaethon, der unsere Herzen füllte mit diesem überschwänglichen Gefühl, mit dieser heilig geläuterten Flamme? Ist es nicht Gott, der sich regt in uns, wenn unsere Seelen beben vom Hauche der trunkenen Ahnung und streben nach einem unerklärbar seligen Etwas und dann ineinander schwimmen wie quillende Lichter? Ist es nicht Gott?
Gott! stammelt' ich weinend und durchschauert von ihrer Heiligkeit.
Wenn zwei Herzen sich einen, Phaethon, fuhr sie fort, dann steigen sie auf wie Weihrauchsäulen zu Gott. Wir sind nur in Gott; wir lieben nur in Gott. Wir sind eins mit ihm, wenn unser Auge sich trifft und unser Verlangen sich stillt. Dann ahnen wir ihn nicht mehr; wir sehn ihn in seinem innigsten glühendsten Weben. Er ist's, wenn unsere Lippen im Kuß aneinanderbeben. Er ist der Kuß selbst. Er ist die Träne, die in unserm Auge zittert, wenn wir fühlen, wie wir uns lieben.
Wir müssen uns trennen, Geliebter! Aber wir lieben uns ja in Gott. Wir finden uns auch wieder in ihm. Darum ist unsere Trennung nur scheinbar. Wir sind ewig ineinander, ewig Eines; wir sind eins in Gott! Wenn Du des Nachts durch die schweigenden Fluren wandelst und den Mond am Himmel blinken siehst, und die heilige Stille Dich umwaltet, dann denk': Auch ihr Auge blickt ja empor voll Tränen; auch um ihre Lippen spielt sein bescheidenes Licht wie um die Deinigen! Dann wirst Du mich finden im Lichte des Mondes. Wir werden eins sein in ihm. Unser Sehnen wird sich kühlen und stillen in ihm, und Du wirst Deine Liebe erkennen im Geiste der Natur, die um Dich liegt, zu der ich gehöre wie Du; und Du wirst dann stille werden und die Tränen trocknen und glauben, ich läg' an Deinem Busen.
O Atalanta, Geliebte! rief ich halb wahnsinnig und stürzte mich ihr zu Füßen. Vergib mir, Heilige, den Schmerz meiner Seele!
Da sank auch sie auf ihre Knie und betete mit gefalteten Händen: Du Gott, unser liebender Vater, wir fühlen Deine Nähe!
Dann blickte sie mich an – die ganze Fülle des Himmels quoll aus ihrem Auge – und sprach: Mein Herz ist rein und keusch, o Gott, wie das Blau Deines Himmels, wie die Blumen auf Deiner Erde! Jüngling, bleibe auch Du rein; dann finden wir uns wieder in Gott!
Sie konnte nicht mehr; sank an meine Brust. Wir lagen stumm aneinander in einem glühenden Kusse; tranken unsterbliche Wonne aus unsern Lippen. Unsere Seelen stiegen aus der Hülle wie der reine körperlose Duft aus der Blume. Wir sahen nichts mehr, hörten nichts mehr; die Sinne schwanden uns. Unsere Entzückung war zu groß.
Wir erwachten aus der Betäubung; hoben uns auf. Wir wandelten zurück. Mein Auge wandte sich nicht vom Himmel. Ich träumte, wir wandelten so, Arm in Arm, von Stern zu Stern durch die weite unermeßliche Schöpfung Gottes.
Nun standen wir vor dem Hause. Da fühlte ich ganz, ganz den Schmerz der Trennung. Sie schwieg. Aber ich wußte doch, wie es in ihrem Herzen schwoll.
Wie wir uns trennten, Theodor, ich weiß es nicht! Nur das weiß ich, daß wir uns noch einmal am Busen lagen. O Lieber, wie sie weinte! Wie sie weinte!
Kaum war ich wieder auf meinem Zimmer, da traten Katon und Cäcilie herein. Der Vater meiner Atalanta drückte mich warm aber gefaßt an seine Brust, zog mich ans Fenster und sagte voll wunderbarer Innigkeit: Freund, schone sie! Solch ein überschwängliches Gefühl wie das ihre zu Dir begreift in seiner Unaussprechlichkeit nicht ein Mensch auf Erden. Es ist nicht Liebe, was sie fühlt, wenn sie mit Geist, Seele, Gemüt in Dich verschwimmt. Nenne es, wie Du willst! Du findest keinen Namen. Ein Hinaufschauern zu Gott mit Dir ist all ihr Wesen. Daß ob dem Geiste nur der junge schöne Körper nicht leide! O, schone sie!
Ich verstand ihn. Sie war vor mir in ihrer ganzen Heiligkeit, in ihrer ganzen unendlich durchsichtigen Seele. Alles, alles Seele! Die Worte schwanden mir. Meine Tränen sprachen!
Nun sitz' ich allein beim Schein der Lampe an meinem Tische. Meine Seele ist zu voll. O, schone sie!
Lebe wohl, Theodor! Mir ahnet, als ob ich Dir nie mehr schriebe von hier.
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Von einem Dorf aus schreib' ich Dir, mein Lieber, das zwei Tagereisen entfernt ist von Cäciliens Schlosse.
O ihr Träume, ihr seligen Träume von ewiger Wonne, die ihr mich umquollet wie der Kuß des Mondlichts, warum seid ihr entflohn wie wesenlose Dunstgebilde? Ach, warum so bald entflohn?
Man weckte mich. Ich kleidete mich an. O Gott, mit welcher Empfindung! Dann blickt' ich noch einmal die dunkeln Häuser an, wo die Geliebte schlummerte.
Es war so schaurig still umher. Jedes verwehende Ach! wäre hörbar gewesen.
Lebe wohl, Geliebte, lebe wohl! rief ich noch einmal in heißen Tränen, schwang mich aufs Pferd und flog zum Hoftor hinaus.
Nach und nach ward der Osten von dämmerndem Blaßgelb umsäumt. Die Nacht war nicht mehr so grausig still. Ein Vogel sang hie und da sein Morgenlied auf einem Zweige.
Mit jedem Schritte ward's mir schwerer ums Herz. Eine namenlose Gewalt zog mich zurück. Vielleicht, dacht' ich, schlägt sie nun die Augen auf und – weint!
Die Morgenglocken vorn Dorfe klangen herüber mit ihren wohlbekannten Tönen durch die Stille.
Da ging die Sonne auf und schwebte wie ein glutroter Flammenball in ihrer ganzen unermeßlichen Größe hinter grauem am Horizont gelagertem Dufte. Der trübe dünngewobene Schleier des hüllenden Morgennebels verbarg die ferne Landschaft dem Blick.
Ich war auf einem Hügel, wo auf dem einsam verlassenen Boden alte breitästige Eichen und einzelnstehende Tannen dunkelschattend in großartigen Gruppen dem Aug' entgegentraten.
Die dichten, mit Gezweig vermählten Bäume breiteten einen ernsten hellgrauen Schatten umher, und die Sonne goß durch die Äste zitternd mit mondähnlicher Beleuchtung einen ungewissen Lichtton über die saftgrünen Wiesengründe.
Durch die Eichenblätter flüsterte der wallende Windhauch wie Küsse der Liebe.
Ich stieg ab, blieb lange sitzen auf einem Stein und weinte wie ein Kind. Wohin ich komme, wußte ich nicht, aber woher, ach, das fühlte ich nur zu lebhaft!
Bruder, ich kann Dir dieses Gefühl nicht schildern. Die Welt war mir anders; ich hatte mich selbst verloren.
Der Morgennebel verschwand nach und nach, und die Sonne versilberte den verklärten Himmel mit milchweißen Feuerstrahlen. Es war, als ob der Herr durch das Silbermeer in edler stiller Majestät nach geöffneten Himmelstoren sich enthüllte und mitteilte, und um ihn selige Geister und Engel schwebten wie ausfließende Lichtstrahlen seiner grenzenlosen Herrlichkeit. Mein Schmerz aber blieb in meiner Brust.
O, wenn ich in die Zukunft blicke, da klingt's mir wie eine Ahnung. Das werd' ich nicht überleben! Mein heißes Herz wird sich verbluten.
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Schon seit einigen Tagen bin ich in der Stadt. Die Fürstin ist mir gestern gesessen. Es ist eine Frau von vieler Bildung aber wenig Innigkeit und warmem Gefühl.
Man zieht mich in vielfache Zerstreuungen. Aber es ist doch umsonst. Die Welle schlägt an den starren kalten Felsen, aber sie wogt ihn nicht dahin; ihr Andrang macht nur ein grausig Getöse.
Viele Menschen sind um mich, aber wenige, denen ich mich nähern mag. Da ist niemand, der mich verstünde, meinem Herzen in seinem Erguß entgegenkäme, von dem es wieder zurückklänge in mein Inneres.
Und doch hätt' ich so nötig, mir Trost zu saugen von eines Freundes Lippen! O, ich hätt' es so nötig!
Es erkrankt so nach und nach mein Herz und schwindet dahin in seiner eigenen Fülle.
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Es ist schrecklich, wie wenig die Menschen teilnehmen aneinander! Glückliche und Unglückliche, Lachende und Weinende. Nirgends ein Blick aus reinem uneigennützigem Herzen. Keine Tugend geliebt um ihrer selbst Willen. Alles nur Eitelkeit und Selbstliebe. Jeder geht nur seinen eignen Weg, und nach dem Schmerz des Bruders fragt er wenig.
Und jene allwirkende Verbindung von Verstand und Gemüt, wie ist sie so selten! Das Herz, das warme jugendliche, muß sich um den Geist schlingen wie Rosen um die ernste Stirn eines Greisen, wie zarte junge Akazienblätter um graue unerschütterliche Mauern.
Der Verstand ohne Herzenswärme macht unerträgliche Pedanten; das Herz ohne den ernsten Blick des Verstandes wird zur Schwachheit.
Mich halten sie für einen Schwärmer und Sonderling. Der eine lächelt; der andere spöttelt; und wieder einer rümpft bedächtlich die Nase.
Und ich möchte doch alle umfassen, alle lieben!
Ich stand gestern so vor einem Menschen, der redlich und brav vom Morgen zum Abend arbeitet und sich erstaunlich viel zu machen weiß aus dem bißchen Gelehrsamkeit, das er mit Mühe zusammenscharrt. Ich wußte von ihm, er habe noch nie geliebt, und – lächle nur! – ich sah den Menschen an mit einer seltsamen Bewegung. Ich wunderte mich, daß der Arme nur stehen könne ohne Liebe; und er glaubte gar, er sei vergnügt.
Das lerne ich einsehn: es kann keine Allgemeinheit mehr geben in unserer Zeit; jeder Versuch ist vergebens. Darum ist es das Klügste, den Schmerz in die Brust zu pressen und zu wirken für sich und andere so viel als möglich.
Lieber, es gibt Dinge, die das innigste Heiligtum unserer Seele sind und Wert und Gehalt verlieren, wenn man sie ausspricht. Drum laß mich schweigen! Nur das!
Länger kann's doch nicht mehr so dauern. Ich glaube, unsere Zeit ringt mit einer schweren großen Geburt. Es werden unsere Umstände sich umgestalten und neue Bahnen einer angemessenern Wirksamkeit eröffnen den Vielen, die jetzt nicht wissen, wo ein noch aus.
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Sieh, das Sehnen, das unaussprechliche Sehnen in meiner Brust kannst Du nicht begreifen! Auf dem Gipfel eines hohen Berges lieg' ich halbe Tage lang. Unter mir die Erde mit ihren Wäldern, Wegen, Bergen und Dörfern, so rein, so keusch, die ewig junge liebende! Der blaue Himmel über mir. Die fernen Berge so wunderzart in blassen Duft gehaucht. Die Vergangenheit wie ein weinender Engel, mit ihrem lieben Munde mir die Wangen küssend. All ihre Bilder und Farben! Die Zukunft im Spiegel meiner Ahnung wie ein Regenbogen in den sonnenhellen Tränen meiner Wehmut glänzend ...
Da lieg' ich, nur so ein kleines Männchen, und doch meine Wünsche, meinen wundgeweinten Blick von den ragenden Höhen hinüberstreckend in die ungeheuern Fernen, wo sie lebt, die Liebe, Gute! Ahnend, durchschauert von Schmerz und Wonne, mich fühlend als das wunderbare Kind der Natur, so ganz zerfließend in Eins, in ein Sehnen nach ihr ...
O Theodor, Theodor, ich gehe zu Grunde!
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Ich bin so empfindlich, so verletzbar! Das macht mich unglücklich unter den Menschen. Wohin ich mich bewege, stoß' ich an, und das schmerzt und wird nach und nach zu einer großen, vielleicht unheilbaren Wunde.
Ich weiß nicht, ist's meine Schuld oder der Menschen? Jeder nimmt mich nur teilweise, nimmt mich nicht ganz. Darum bin ich jedem ein anderer und keinem der wahre, der ganze.
Ich würde verzweifeln in dieser Zeit; aber ein unendlich seltsames Etwas fühl' ich quillen aus dem Tiefinnersten, aus dem Geiste selbst, aus dem Mittelpunkte meines Wesens, und gründen und bilden aus all der Fülle eine selige Einheit, schaffen und ordnen darin und erzeugen ein volles jugendlichstrebendes Bewußtsein.
Ich blicke dann in mich selbst zurück, verschwimme trunken in meiner eigenen Tiefe, fühl' aus der ersten Quelle mein Ich, mein Sein; fühl' es im Anschaun einer selbstgeschaffenen Welt im Busen. Das, Bruder, das ist so etwas Riesenhaftes, dieses in sich Schauen, dieses in sich Verschwimmen. Das muß die Wonne der Gottheit sein!
Ich kann's nicht leugnen, ich bin stolz. Ich fühle lebhaft in mir etwas Ursprüngliches, Ungeschaffenes, Unzerstörbares, etwas Unabhängiges, das sich genug ist in seiner eigenen Fülle, waltet und herrscht, etwas, das ewig anstrebt, voll Kraft und innerer Stärke, etwas – Göttliches.
Das fühlen alle die Vielen nicht, die sich wegwerfen und krümmen, sei es vor Gott oder Menschen.
Ich lass alle Kräfte meines Innern wogen und walten, sich anstrengen und erneuern. Aber ich gesteh' es mir selbst, ich halte sie nicht in Zucht, im Gleichmaß.
Meine Seele hat Freiheit, kann wählen nach Gefallen und richten, unmittelbar, aus eigner Quelle über Sein und Nichtsein. Das ist das Göttliche in mir, der unveränderliche Wille zu wählen zwischen Gutem und Bösem. Das ist die hohe ewig lebendige Liebe. Ich fühle: ich bin, bin Mensch!
Überall ist Leben und Wärme. Ich gebe Leben und nehme Leben. Wie unendlich viel Schönes und Gutes um mich; wie viel tausend zum Genuß einladende Dinge! Und ich kann es doch nicht mehr recht genießen. Einst hab' ich alles gewagt, alles gepflegt und genossen; ich hab' auch geduldet, o überschwänglich viel geduldet. Nun ist es aus! Aus, Bruder! Durch alle meine Nerven, meine Muskeln klang es einst: Lebe! Genieße! Die Stimme schweigt. Ich harre vergebens auf sie. Ich sehne mich nach ihr, weine nach ihr; aber sie – schweigt.
Die Blumen meiner Kindheit sind wohl noch; blühen immer noch; aber ich kann, ich darf sie nicht pflücken. Ich sog einst meinen Mut, Glauben und Vertrauen aus ihren Kelchen. Mir fehlt nun der Sinn für ihren Geruch.
O sieh, nicht das Untergehen fürcht' ich, aber jenes Dahinschwinden, jene allmähliche Auflösung, jenes Verdorren und Vertrocknen. So mit einemmal aus den Wurzeln gerissen zu werden, mit einemmal, – das möcht' ich lieber!
Die Menschen sind mir viel zu altklug; haben viel zu wenig Kindersinn. Das Frische, Jugendliche, die Einfalt ist doch mehr als all das verdrießliche Fortschlendern, das Ineinandergreifen von tausend verwobenen Sitten und Gebräuchen.
Das ist die höchste, die allein wahre Tugend, die unmittelbar aus dem Innern quillt, ohne Gesetz und Vorschrift, ohne Buchstaben und Wort, mitten aus dem Geiste, durch seine eigentümliche Kraft, durch die Stimme des Göttlichen in ihm. So geradezu handeln, wie's einem der Geist eingibt, dem innern Drange zu folgen und dem unverdorbnen Sinn und Herzen, das gefällt mir, und das tun die Kinder.
Ich hab' auch so einen Knaben um mich. Du solltest den Jungen sehen mit seiner vollen Traubenwange, seinem Feuerauge, seinen langen blonden Locken.
Oft wandl' ich an seiner Hand durch stille grüne Wiesen. Der Kleine vergnügt mich mit tausend sonderbaren Fragen, die ich oft nicht zu beantworten weiß. O, dieses Schaffen und Treiben, dieses Hinansteigen von der Folge zum Grund, ist dem Menschen so eigen! Und wenn dann das blaue Gebirge vor uns dämmert, worüber ich herkam, Theodor, da wird alles, jeder Pulsschlag wird zum Schmerz, zu einer unüberwindlichen Sehnsucht, die mich hinüberzieht über alle Fernen zu ihr. Ich blicke dann hinaus mit blutendem Herzen und presse den Knaben an mich und seufze: Wärst Du mein! Wäre sie Deine Mutter!
O, ich vergehe über dem Gedanken!
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Nach Dir verlangt es mich, Himmlische! Wenn ich die Augen öffne des Morgens, fühl' ich Deine warmen Lippen im rosigen weichwallenden Morgenrot, und wenn die Nacht kommt, sehe ich Dein Bild durch das Dunkel wie ein lichtvolles Wesen heranschweben zu mir, mich anlächeln. Ich glaube Deinen Kuß zu fühlen und den Druck Deiner Hände und schlummere dann so hinüber! Dann erscheinst Du mir im Traume, ganz wie Du warst, wie Du bist, mit Deinem Angesicht voll Engelsliebe, voll Glauben und Hoffnung. Du streust Blumen auf mich herab, zarte jugendliche Blumen aus Deinem Schoße. Dann blickst Du zum Himmel und gehst wieder von mir.
Du Angebetete, warum bin ich ferne von Dir? Gerade jetzt ferne von Dir? Warum kann ich mein Herz nicht an Deinen Busen legen, Du Zarte, Liebende?
Ein Schmerz füllt meine Seele, und doch lebe ich nur in diesem Schmerz.
Ich kann's nicht nennen mit einem Namen, das Gefühl, mit dem Du meinen Busen füllst. Wo ich fallen will, da glänzt es mir wie ein Licht durch die Finsternis, reinigt mich, läutert mich, gibt mir das vollste erhabenste Bewußtsein meines Selbst, vergeistigt mich, hebt mich auf zum Urbild der Menschheit, zu Gott! Ist es Ehrfurcht, Liebe, Freundschaft, anbetende Neigung?
Dich sehen, Dich lieben war eins. Ich lebte nicht vordem. Ich war nicht. Ich träumte nur zu sein.
Alles ist mir anders in der Natur geworden. Ich bin nicht mehr ihr Kind. Ich bin im Kampfe mit ihr.
Oft wenn ich die Sonne hinabgehen sehe, und alles glüht der Scheidenden und wallt in ihrem unsterblichen Licht, da stürzen mir die Tränen aus den Augen, und ich rufe: Hinab! Hinab! Und wenn des Nachts der Mond am Himmel ist, dann wandl' ich hinaus allein ins Freie. Das magische Licht und die riesigen Schatten, das Zusammenschwimmen der Bilder und Gestalten im Duft, die zitternden funkelnden Wellen im Lichtregen, das geheime tiefe Rauschen und Wogen durch Blätter und Äste, der Mond über den alten Eichenkronen schwebend, der hohe feierliche Geist über der Gegend wallend, die Ruh und Bewegung, die Kinder seines Hauches, das Licht im Wasser, und das Leben und Regen in den Pflanzen ...
Und dann die Welten, wie sie wandeln in ihrem Riesengange, zusammenschwimmen wie bleiche Milch, wie unaussprechliche zerfließende Regungen unserer Sehnsucht! Ein blasser Nebel die unendlichen Körper der Schöpfung, dämmernd wie Träume von Blumen, in ewigem unveränderlichem Schwung, alle, alle! Schneller als Gedanken, geworfen und geschleudert aus der Hand des ordnenden allwaltenden Geistes, Kinder der Unermeßlichen, diese Fülle, diese Größe und doch diese Ordnung!
Atalanta, da weiß ich mich nicht zu fassen. Ich verliere mich selbst. Ich kann die Ordnung der Welten nicht begreifen. Sie wirbeln untereinander, Millionen und wieder Millionen Sonnen. Ich höre das Sausen und Dröhnen ihres Schwunges, das Donnern ihres Zusammenstoßens. Alle wanken und zittern, erlöschen, zertrümmern sich. Alles, alles im Wirbel. Alles aus Schranken und Fugen. Die ganze Schöpfung ein Klang, ein Krachen, ein Knattern, über mir, unter mir!
Wo bin ich, Atalanta, Du Überschwängliche? Ich bin nicht mehr. Ich fühle nicht mehr. Aus, aus! Die Schöpfung, das Dasein aus! Das All ein Nichts!
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Warum dies fürchterliche Glühen? Dies verwirrte innerliche Beben? Dieser Abfall von der Natur?
O Du, den ich liebe, mit Dir ist es weit gekommen! Phaethon, mein Auge füllt sich mit Tränen, mit Tränen für Deine Seele!
Warum hast Du den Weg verloren? O Phaethon, dachtest Du denn nicht an mich?
Ich sah Dich und bebte. Wie eine Erinnerung aus den Tagen eines schöneren Lebens, wie die Erfüllung einer seligen Ahnung war der Blick Deines Auges.
Da schwammen wir zusammen, Seele mit Seele, Geist mit Geist, schauernd in Wonne! Du fühltest, Du lebtest in mir, und ich in Dir! Unser Dasein war verschmolzen, über und über getaucht in überschwängliches Entzücken wie zusammengeflossene Wölkchen ins glühende wallende Meer der Abendröte.
Du führtest mich mit Dir fort, die Bebende, wie der kühne Adler die zarte Taube. Ich folgte Dir, und mir schwindelte nicht.
Mein Inneres entfaltete sich wie der lebensreiche geschlossene Blumenkeim an Deinem Busen, Geliebter, an Deinem Munde! Du dachtest, und ich fühlte; Du dachtest, und ich ahnte. Du warst der schaffende kräftige Sinn; ich war, voll erwiedernder Liebe, voll Willen und Neigung, die Überlegung; und aus uns entsprossen wie heitere lächelnde Kinder die Weisheit und Tugend.
Ich hing an Dir mit einem Busen voll Liebe wie Immergrün um sonnige Felsen, und wir schwärmten wie jugendliche Sommervögel um alles Gute und Schöne und sogen jene Fülle daraus, jene allbeseelte Innigkeit, die so lebendig macht, so offen für jede Stimme der Gottheit in uns und außer uns.
Unser ganzes Wesen war Andacht. Wenn wir wandelten in der Natur, unser Inneres so wogte und doch so tiefbeseligt war, aus Bäumen und Blättern, Blumen und Gräsern, aus Wellen und Wolken nur Eines uns überquoll, der Geist der Gottheit in seiner stillen ruhigen Größe, um uns, in uns alles so innig war, so warm und so voll, so vieles und das Viele nur Eines ... Diese Fülle und doch dieser selige Gleichklang! Ewiger Frühling, ewige Jugend! O, das war schön!
Ordnung überall und Übereinstimmung! Und Du hast das geheimnisvolle Band aus dem inneren Auge verloren, das diese Mannigfaltigkeit zur Einheit bringt? Überall Leben und Liebe! Du allein bist ohne Glauben, Hoffnung und Zuversicht?
Hab' ich die Kraft verloren, Dich glücklich zu machen?
O warum diese verzehrende Glut, dieses betäubende Sehnen? Du bist so unruhig geworden, so wild in der Ferne; und meine Seele liebt Dich doch mit so viel Frieden, so viel Ruhe und so viel Stärke.
Die höchste Liebe ist wie das Schweigen der allbeseelten stummlebendigen Natur, tief und ruhig wie das klare unermeßliche Meer! Ewig, unergründlich, unaussprechlich!
Ahnst Du das nicht in stillen Nächten, wenn Du allein bist und doch so warm Dich geliebt fühlst, so innig gedrückt an den Mutterbusen der Natur?
Die Schöpfung ist wie ein ungeheurer Baum, der ewig sich gleich bleibt. Auf ihm blühen, wachsen und welken die Welten; sie glühen im dunkeln Raume wie freundliche goldene Früchte im dunkel schwellenden Laub. Unter ihm wandelt Gott. Sein Geist durchsäuselt den Baum und stärkt und erhält mit Liebe die Früchte. Sagen Dir das nicht die Sterne des Himmels?
Lieber, o wie machst Du mir bange? Wie möchte ich um Dich sein, Dich zu schützen, in Liebe zu erhalten. Gedenkst Du der Nacht, wo wir uns gelobten, uns zu suchen im Mond, dem keuschen Bilde der ruhigen unveränderlichen Gottheit? O geliebter Jüngling, warum vergaßest Du denn den heiligen Schwur?
Die drei Säulen sind verlassen. Einsam steht der geliebte Homeroskopf, wo jene Fülle der Gesichte wie zartbewegtes Laub um uns spielte. Nur im Tempel des Eros sitze ich oft einsam und lange und weine, weine um Dich! Da schweben zu mir heran die Geister geschwundener Stunden. Die Vergangenheit naht an der Hand der Erinnerung wie ein weinendes Kind am Arme der Mutter, und Dein Bild, Dein Wesen begegnet mir wie das Wehen zarter Lindenblüte.
Oft bin ich heiter. Mein Schmerz ist so süß. Natur, Gott, Unsterblichkeit, Liebe, alles wird mir eins. Ein überströmendes Gefühl! Ein tiefer, sich selbst stärkender Sinn!
Katon ist wieder still geworden, aber ohne Schmerz. Nur manchmal wird er offner und verklärter, wenn wir des Abends von Griechenland sprechen. Dann blickt er oft lange stumm in Cäciliens Auge, seufzt und schweigt. Oft mahnen sie sich auch an die Tage, wo sie am Eurotas lebten. Ich werde dann still und immer stiller und weiß nicht warum? Er ist so ernst, so groß. Sein Schweigen ist so tief.
Lebe wohl, Phaethon! Lege meine Worte in Deinen Busen!
Ruhe kehre Dir von oben, Friede von Gott! O, kein Mädchen hat inniger, heißer geweint um den Geliebten als das Deine um Dich.
Gedenke meiner, Phaethon, gedenke jener Nacht, wo wir uns trennten!
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O Theodor, Freund meiner Jugend, es ist weit mit mir gekommen!
Ach, ihre Seele ist so rein, so lauter, und die meine, wie wüst, wie verworren!
O wie sie mich liebt! Mich! Mich!
Das ist das erhabenste, was ich denke: Sie liebt mich, diese Seele voll Gottheit! Sie liebt mich! Und diese Liebe, die ich fühle, die meinen ganzen Geist durchschauert – Unsterblichkeit! Gott! – das fließt zusammen mit ihr, innig, glühend, beseligend!
Und Vorsehung, Bruder, Vorsehung! Welch ein Gedanke! Ein Geist ruht auf uns, voll Liebe, voll Wahrheit! Und doch, ich kann mir das nicht mehr so denken wie sonst!
Ich kenne die Ruhe nicht mehr, jenes göttliche Schweigen der Seele, jenes befriedigte Anschaun der inneren Welt.
So lang ich hier bin, hab' ich noch nie in meinem Homer gelesen. Ich bin ja geschieden von dieser Welt voll Ruhe, voll Licht, voll Einheit.
Ich lese nichts mehr als die griechischen Briefe, die sie mir schreibt. Da glaub' ich oft ihre Seele in einem Wort zu finden; schau starr hin; küsse das Wort, bis ich es nimmer sehe vor meinen Tränen!
Bei Nacht auf einsamen Wegen durch öde verlassene Felder, da hab ich meine Lust.
Ich sitz' auf einem Berge. Da bin ich dann allein. Kalte dunkle Schauer wehen um mich; meine Seele antwortet in dumpfen verklingenden Tönen. Das Weltgebäude betracht' ich dann.
Wenn ich ruhig bin und in mir beseligt durch den Geist der Gottheit, der in meiner Seele webt, dann glaub' ich die Musik der Welten zu vernehmen; ich glaube zu hören, wie sie sich schwingen und klingen in der ungemessenen Bahn!
Theodor, am Sternenhimmel blüht meine einzige Wonne. Die Gottheit steht nie so groß, so klar, so überschwänglich da in ihrer Fülle vor mir, als wenn ich zum nächtlichen Himmel aufblicke.
Manchmal fass' ich wieder diese Ordnung und Einheit.
Ewig bewegen die Welten sich, ewig! Und doch nach einem Gesetze! Im Riesenschwunge, den unsere Sinne nicht fassen, und doch nach Regel und Ordnung!
Überall Sein und Werden! Im ganzen unermeßlichen All! Welten dämmern wie blasse Nebelflecken, wie milchweiße verschwimmende Streifen, werdend, sich gestaltend, in allmählich reifendem Entfalten, sich sammelnd aus dem unendlichen Stoff in die riesigen Formen. Welten sind geworden, wurden gebildet aus dem gewaltigen Element wie volle blühende Blumen aus dem Keime; schwimmen im ewigen Äther in Jugend und Vollendung. Welten schwinden zusammen, vertrocknend, erstarrend, alternd, sich lösend vom Wasser, dem nährenden, tränkenden. Abgespiegelt der Mensch mit seinem Werden, Wachsen und Welken in den Gestalten der Schöpfung!
An- und zurückstrebend, sich nähernd und entfernend, liebend und hassend, die Körper gegeneinander im uferlosen Raume!
Und wie Kinder der Liebe, wie unwillkürliche Regungen unsers Innern, geschweifte Riesenkometen mit gewaltigem Gange, wandelnd durch die bewegten Welten, glänzend im unerforschten Laufe bald über unserm Weltenkranze, bald schreitend zwischen Mond und Erde! Und all das Wechselwirken, getrieben, geschwungen vom Allmächtigen! Alles im ewigen Gange, durch einen Hauch seines Odems, durch eine Bewegung seiner Hand!
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Sieh, Theodor, immer geht es weiter! Kein Stillstand! Ewiger Stufengang! Das ist so der Natur gemäß.
O lächle nicht! Weine! Weine!
Ruhe, Stille, Frieden, Demut, Zuversicht und Mut! Davon weiß ich nichts mehr.
O mein Name! Der Sohn eines Himmlischen ist kein Himmlischer selbst! Ein Mann, gemischt aus irdischem und überirdischem Stoff, vermaß sich den Sonnenwagen zu führen durchs All, mit kühnem Selbstvertrauen, verblendet vom Übermut, verlassen von oben! Die Rosse des Wagens schnaubten. O Bruder, der Arme konnte die Ungebändigten nicht leiten. Sie rannten aus der Bahn, verbrannten die Erde! Der Übermütige, mit seiner endlichen Kraft sich brüstend, ward niedergeschmettert vom Blitze des Olympiers!
Ach, diese irdische Kraft, die sich selbst die Schranken nicht setzt, wirft der zürnende Gott zurück.
Auf dem Kirchhofe sitz' ich nächtelang. Diese Stille, dieses Schweigen umher! Tot, verstorben, verlassen alles, alles! Über mir, unter mir, in mir nur ein mattes verwehendes Beben im gerüttelten Zweige, im flüsternden Blatte! Die Geister der Verschiedenen im einsamen Zittern des Grashalms, im grauen traurigen Leichenstein, im dämmernden herabwallenden Mondlicht webend! Noch so eine dumpfe Rückerinnerung von all der Fülle, von all dem überschwänglichen Sein, dem ewigen Wogen und Fließen, und nun dies Nichts! Dies Dahinschwinden! Auf all dies Gerege solche Totenstille! Solch ein stummes Verzweifeln in mir selbst!
Und dann auf einmal ist's wie ein geschwungenes Rad in meinem Gehirn. Ich kann nichts mehr denken, nichts mehr fühlen. O Bruder, Bruder, wie wird das werden?
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Der Wirbel wird nicht lange mehr dauern!
Höre!
Nur Gott weiß es, der Alliebende, aber auch der Allgerechte! Meine Unschuld ist befleckt! Ich bin nicht mehr rein! O schaudre! Schaudre!
Und sie! O Theodor, mein Theodor, ich sehe keine Rettung mehr!
Nur einmal meine Hand zu tauchen in die Feuerwogen des Morgenrots und erwärmt zu werden von seiner unsterblichen Fülle über und über! Nur einmal Gott zu schauen, wie er ist, ohne Hülle, Bild, Gestalt und Farbe. Ihn! Die ewige wandellose Liebe! Dann gäbe es kein Nichts mehr für mich! Meine Brust wäre voll von den Wellen seines unversiegbaren Lichtquells! Leben wieder in mir! Frieden und Ruhe der Gottheit!
Unsterbliche Liebe! Eins ist Alles, und Alles ist Eins. Das fühlt' ich einst! Und nun?
Meine Seele hing einst an der Natur wie der Säugling an den Brüsten der Mutter. Ich fühlte mich so groß, so ewig, so geliebt!
Glühend, zerfließend weinte meine Seele vor Wonne! Ein Lied des Dankes, eine Freudenträne war mein Leben.
O, sie hätte mich glücklich gemacht! Bruder, wenn ich vor ihr stand, und mein Blick sich verlor im Seelenmeer ihres Auges, und ihr Mund lächelte, als ob er mich bäte, ihn zu küssen, so innig, ganz Liebe, so ganz Hingebung, und sie nichts wußte, nichts kannte als mich; ich ihr alles, alles war, und sie so ganz befriedigt; all ihr Sehnen und Wünschen gestillt schien in meinen Armen!
Ihr Auge befruchtete die Keime meiner Seele. Sie schossen alle auf und standen alle in Blüte. Ihre Tränen waren der linde tränkende Tau. Ihre Seele floß von ihrem Busen, von ihrem Auge in das meine, unbegrenzt, endlos, ewig!
Nun ist auch sie allein! Es wandeln ja schwere ungeheure Sonnen durch die Räume des Alls ohne Erde.
Es schwimmen ja grenzenlose ungestaltete Flecken im Unermeßlichen, die noch nicht gereift sind, die sich erst in Jahrtausenden zu Riesenwelten bilden.
Sie und das ganze All des unendlichen Gottes ist mir Eines. Es drücken beide mich nieder.
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Schicksal? O, das macht mich wahnsinnig: zu stehen am Abgrund, hinunter zu starren in seine Tiefen! Bruder, nur ein Sprung! Die Felsenrippen gähnen! Und die Stimme aus dem Innern donnernd: Hinunter! Nachhallend durch meine tiefste Seele: Hinunter! Du mußt! Magst du wollen oder nicht! Dich lenkt ein Gott! Nur Täuschung ist dein Wille! Hinunter!
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Maß zu halten bei solcher Fülle, das war sonst mein Höchstes. Ich kann's nicht mehr!
Auch jene süße Bewegung des Herzens kenn' ich nicht mehr, wo es, so einig mit sich selbst, sich regt und wallt wie die glühenden Feuerwellen des Meeres am Abend, so zart, so verschmolzen und doch so liebendeinig!
Ein kalter schauriger Frost durchwirbelt meine Seele, und wenn er einmal weicht, so ist's keine freundliche begeisternde Freude, die an seine Stelle tritt; es ist eine zuckende Wonne, ein verzehrendes Sehnen, das durch mein Inneres fährt und schnell verrauscht und der alten Nacht die Stelle wieder räumt.
Und beten? Warum kann ich nicht mehr beten? Sieh, da hatt' ich gestern meinen Knaben vor mir stehen, faßt ihn, hob ihn auf, drückt' ihn weinend an meinen Busen, küßte seine vollen unschuldigen Wangen und stammelte: Bete! Ach, und er betete, so klar, so innig, so harmlos, als kennt' er zu dem ihn, er betete; als fühlt' er seine Nähe! Und mich! Wie er mich ansah! Ich ließ ihn sinken, als dürft' ich ihn nicht anhauchen, das reine gottbefreundete Wesen.
Theodor, wär' ich einmal frei, und hielte mich die Erde nicht an sich, die Erde, die ich nicht lieben kann, dann stürzt' ich in den leeren Raum, der sich ausdehnt zwischen den wandelnden Welten des Schöpfers; dann stürzt' ich ewig von einem Weltsystem ins andre, vorüber an allen Millionen Sonnen und Monden; begegnete den Kometen, die sich vor Jahrtausenden unsrer Erde näherten, die in Jahrtausenden noch kommen werden! Bruder, ewig, ewig würd' ich taumeln und fallen und kein Ufer, keinen Grund, keine Grenze finden. Immer tiefer und immer weiter und doch kein Ende! Jahrtausende stürzen durch das All, und doch kein Ende!
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Atalanta, Du Liebe, Gute, laß mich zurückgehn in die Tage der Wonne!
Die Seelen aller Menschen haben einst das Heilige, das Wahre, das Wesentliche gesehen in seiner Göttlichkeit.
Auch wir schwebten einst mit der Gottheit in der Höhe; wir waren in ihr, eins mit ihr, lenkten mit ihr das unermeßliche All.
Aber es schwanden uns die Flügel. Wir sanken tiefer und immer tiefer durch die Schöpfung, und fielen auf unsere Erde. Da wand sich der Körper um uns, die unsterblichen Seelen; eine kurze, bald welkende Hülle schloß sich um unser unvergängliches Wesen.
Atalanta, wir liebten einst das Schöne, das Gute, ganz wie es ist, göttlich und übermenschlich. Wie ein belebender Saft quoll es stärkend und kräftigend durch unser Innerstes und tränkte die wachsenden Flügelkeime. Aber wir liebten das Böse und fielen!
Ach, das eine Roß, das meine Seele lenkt an ihrem Wagen, will wohl hinan, will über den Kreis des Himmels, will zur Anschauung der Gottheit; aber das andere hält mich schnaubend an der Erde. Ich ringe, kämpfe; aber die Schwungkraft meiner Flügel ist gelähmt.
Einst schwammen, webten und wirkten wir in Gott und sahen die Schönheit wie trunkne Eingeweihte, im Wogen und Wallen ihres lauteren Lichtes. Nun wandeln wir, in einen Körper gehüllt, wir göttlichen Wesen, getrennt von unserer Mutter, der Gottheit, ewig uns sehnend nach ihr, auf einem Wandersterne, den wir einst kaum kannten als bleichdämmerndes Lichtbild. So klein war er uns im Anschaun der Gottheit!
So kamen wir auf die Erde. Du wardst in Griechenland in einen Körper gehüllt, und ich im rauhern Norden. Wir kannten uns nicht, wenn wir schon einst zusammenwebten in Gott.
Wir sahen uns; wir küßten uns wie zwei bebende glühende Strahlen, entflossen aus einem Urlicht der Sonne.
Wir fühlten uns leichter und freier in unserer Körperhülle. Mächtiger und gewaltiger wuchsen die Federn aus ihren Wurzeln.
Wir sahen uns, strebten, glühten, uns zu einen, ganz ineinander zu fließen. Dein Angesicht, Du Göttliche, war mir der reine seelenvolle Abdruck der körperlosen Schöne.
Gestillt war unser Schmachten, unser Sehnen. Wir liebten; wir hatten gefunden, was wir bewußtlos suchten. Die Urschönheit bebte wie klares quillendes Mondlicht durchs Nebeldunkel unsers Innern. Wie das verschwebende Säuseln der Linde klang die alte liebende Stimme der Erinnerung.
Wir brachten einander näher der Gottheit durch Liebe, durch unaussprechliche Liebe.
O Atalanta, was taten wir nicht füreinander!
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Jüngling, hast Du kein Gefühl für mein Weinen um Dich?
Nicht so, Geliebter, kannst Du mich lieben! Nicht das ist die wahre innige Liebe. Du bist eine wilde lodernde Flamme, die prasselnd ausschlägt und schnell erlöschend sich selbst wie das Dasein Anderer verzehrt. Du nanntest mich Dein Mädchen, das Du liebst, und Du liebst mich so wenig, daß Du mich tötest?
Einst war unser Gefühl süße innige keusche Blumenliebe. Glühende Wonne flocht sich in ewiger Jugend durch unsere Tage wie Rosen durch unser Haar.
Wenn Du vor mir standest und Dein blaues Auge glühte, voll Geist, voll gestillter Sehnsucht, voll seliger Liebe, voll heiliger keuscher Neigung, so treu, so voll Glauben und Gott: Jüngling, wenn Du so vor mir standest und Deine dunkeln Locken von Deinen Schläfen wogten wie um das Haupt eines jugendlichen Gottes, da weinten Aug' und Seele in mir, und allmächtig, in einem Wirbel, schlug mein Inneres wie eine wogende Weihrauchsäule nach oben! Nicht Mädchen, nicht Kind mehr, mit Gott mich vereinend in einem Kusse der Liebe, wie auferstanden als reiner geläuterter Geist aus dem Grabe, schwebend über der Erdenhülle wie die ewigjunge Morgensonne in ihrer wallenden Lichtfülle über der alten Erde!
Ich sah ja Gott in Dir. Er sprach aus Deinem Auge, wenn Du weintest oder mich anlächeltest, aus Deinen Lippen, wenn sie Worte der Liebe stammelten, wenn sie im Kuß an den meinigen brannten. Aus Deinem ganzen Wesen sprach der ewige liebende Gott!
Da faßte ich ihn wieder und drang durch sein keusches lauteres Himmelblau und erkannte ihn mit dem verklärten Auge meines Geistes. Und das quoll wieder zu Dir, hinüber und herüber, ewig erwiedert!
Du hattest mich gesehen! Das weiße Roß, das Du lenktest am Wagen, ward erfüllt mit tiefer Liebe. Das schwarze toste und schäumte schnaubend an den Zügeln und zog voll wilder Brunst den Wagen tobend mit sich fort. Ich war Dein Liebling geworden; aber vor Deinem Geiste schwebte die Erinnerung der echten Schöne und füllte Deinen Busen an mit keuscher heiliger Scheu. Denn die wahre Schönheit ist rein wie das weiße Silberlicht der Sonne und unberührbar wie die Unschuld der Jungfrau.
Du zogst die Zügel, und die Rosse stürzten.
Ich bebte.
Wir kamen uns nahe und immer näher. Die Liebe quoll wie ein Strom von Deinen Augen in die meinen, von meinen in die Deinen. Unsere Geister waren erfüllt von ihr.
Phaethon, warum hast Du Deinem wütenden Rosse die Zügel gelassen, daß es schnaubt und wiehert und die wallende Mähne schüttelt? Kennst Du nimmer den alldurchdringlichen Strahl der heiligen Liebe, die von Seele zu Seele zittert wie der Echoklang von Berg zu Berg? Ist die heilige Scheu, der ruhige, sich immer verstärkende Sinn, das heitere züchtige Gefühl gewichen aus Deinem Busen?
Jüngling, lenke Deine Rosse! Deine Arme sind stark. Der Strahl der Gottheit in Deinem Innern ist warm und groß. Lenke Deine Rosse! Das Mädchen Deiner Liebe weint um Dich! O schone die Weiche, die erbebt vor dem Geschnaube Deiner zügellosen Rosse! Schone sie! Sie sinkt auf die Knie vor Dir und bittet Dich weinend: Liebender, schone die Arme, die Dich liebt!
Phaethons Zustand war schrecklich. Er rang und kämpfte sich wund.
Den Tag über arbeitete er. Man hörte ihn oft die halbe Nacht hindurch laut weinen. Keine Seele war um ihn, die ihn hätte trösten, seinen Schmerz hätte lindern können. Wenn er ein Buch zur Hand nahm, so warf er es gleich wieder auf die Seite.
Vor den Leuten preßte er seinen Schmerz in die Brust; aber er sprach laut genug aus dem wilden Glühen der Augen, dem blassen eingefallenen Gesichte.
Er schwelgte, stürzte sich in Genüsse aller Art. Seine Seele ward immer finstrer, wilder, verdorbener; immer schwerer wurde die Rettung.
Viele, die ihn kannten, wollte er nicht mehr kennen. In seinen Reden verlor er immer den Faden wieder, machte die wunderbarsten Kombinationen und schien oft das Vergangene vom Gegenwärtigen nicht mehr unterscheiden zu können. Immer aber sprach er von Reinheit. Er hatte lauter fixe Ideen, die ihm niemand berühren durfte.
Am liebsten lief er durch Wälder oder über Berge. Er glaubte seinem Schmerz zu entgehen; und wenn es nicht möglich war, so knirschte er in Anfällen von Verzweiflung.
An Theodor schrieb er nur abgebrochene Sätze wie folgende.
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Mit Gott zu kämpfen, war das nicht von jeher mißlich? Die Riesen, die Gebirge türmten aufeinander und mit gewaltiger Kraft die wandellose Macht des Vaters der Götter und der Menschen stürzen wollten, die eichenstarken Männer, warf ewig unerschüttert, den Donner von der Höhe schmetternd, allmächtig der erzürnte Gott zu Boden.
Wie mir einst alles Leben war, ist mir alles nun Tod, wohin ich blicke.
Die Millionen Welten, die werden, sind und vergehen wie der Mensch, die aus dem Elemente sprangen wie Blasen und wachsen! Ich bin so garnichts gegen das unermeßliche All!
Ewiges Sein! Ewiges Nichts! Wie fürchterliche Feinde sich gegenüberliegend, einander zerstörend und aufreibend, beide mir gleich verhaßt! Mir wirbelt's!
Denke Dir das Nichts! Bruder! Das Nichts! Mensch!
Was ist auf Erden der Mensch? Was der Blumenstaub auf dem Blatte. Sie verwehen.
Als ich mich noch so ewig fühlte, o da war ich wie ein Gott!
Auf das ewige Sehnen und Kämpfen, das Ringen und Treiben muß doch Ermattung folgen, und auf Ermattung?
Tod?
Eine Träne im Auge meines Mädchens, ein Blick in ihre Seele, ein Kuß auf ihre reinen Wangen, ein stummer Druck ihrer Hand, machte mich das nicht unsterblich?
Das Leben ist ein ungeheures Meer, in dem wir schwimmen, bis seine Wogen uns verschlingen.
Es ist Gott wohl ein liebender Gott; aber ich fühle doch, wenn er mich an seinen Busen drückt, daß ich so klein bin gegen ihn.
O, sich ihm zu nähern und nicht zu Nichts zu werden! Vor ihm bleiben zu können, dazu muß man rein sein wie sie, wie sie!
Wir Menschen sind nur Wolken, die vorüberwandeln am Himmel und manchmal durchglüht werden von seinem Hochrot; aber sie verwehen wie Träume.
Alles, was er noch in dieser Zeit zeichnete, trug den Stempel seiner Geistesverwirrung: himmelstürmende zurückgeschleuderte Riesen; Eichenstämme, samt den Wurzeln aus dem Boden gewirbelt und über wildes jähes Felsgeklippe taumelnd; engelschöne Mädchen, die Hände betend zu Gott hebend; abgezehrte, die Hände ringende, zu Boden liegende Jünglinge; Kirchhöfe, worin beim Mondlicht die Geister über den Gräbern schweben und einsame Menschen um ihre verstorbenen Geliebten trauern. Dann zeichnete er wieder Atalanta mit dünnem fließendem Gewande, mit aufstrebenden Flügeln, auf Wolken schwebend, in den langen fließenden Locken junge Blumen, mit zartem offenem Busen, die gott-trunknen Augen zu einem großen Auge hebend, das über ihr aus wallendem Lichte quoll, womit er das Auge Gottes bezeichnen wollte. Das wiederholte er hundertmal und fügte zuletzt immer seltsamere Bilder und Zeichen hinzu. Er verschloß alles sorgfältig, was er gebildet.
Wenn er einen schönen weißen Knaben sah, drückte er ihn an den Busen, weinte, nannte ihn ein Kind der Sonne.
Gegen Erwachsene war er verschlossen und geheimnisvoll. Die Worte Gott und Natur kamen nie auf seine Lippen.
Um diese Zeit erhielt er einen Brief von Atalanta, der sich schloß auf folgende Weise:
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Ich stand am See. Der Mond schien ebenso hell auf die stille dämmernde Gegend wie einst, als wir miteinander in den Kahn traten. Blasses Gewölk küßte die verschwimmenden Bilder der Berge. Der Wind spielte wie ein liebender Geist in den Blättern. Überall war ein sanftes inniges Wogen der Natur, in den silbernen zitternden Wellen, im wankenden Laub, in den Bildern der Bäume auf dem Wasserspiegel, in den Wolken des lautern Äthers. Selbst der dunkle Himmel schien zu quillen und zu wogen wie ein seelenvolles lieberfülltes Auge. Und doch war's so eine heilige Stille, so ein überschwänglichsüßes Schweigen.
Ich schaukelte mich allein im Kahne. Mein Auge hob sich zum Mond und weinte seine Tränen hinauf und trank Ruhe, Demut und Frieden aus seinem Lichte. Immer stiller und stiller ward mein Gemüt und immer lauterer, voller. Ein unbegreiflich seliges Sehnen schwang mich fort. Dann verlor sich mein nasses Auge in Himmel und Wasser, drang tiefer und immer tiefer, bis es schwamm in Licht und Dunkel.
Ich schlummerte ein im Kahne. Mir träumte, es wäre auch Mondnacht und ich triebe in der nämlichen Gegend auf dem See. An Dich dacht' ich. Vom Ufer herüber aus dem Laube schwebten unendlich zarte Töne, drangen durch mein Tiefinnerstes, voll Liebe, voll Innigkeit, voll reiner Seele. Mit einemmal hob sich der Kahn im Gewässer. Ich erschrak. Ein weißer zarter Knabe mit blonden Locken und duftenden Rosenkränzen lenkte mit rosenroten Banden ein paar blendendweiße Schwäne durch die Luft. Seine Nähe war wunderbar beseligend. Er schwebte zu mir in den Kahn und legte seine Händchen um meinen Hals und blickte mich so liebend an mit seinem blauen Auge und küßte meine Lippen. Dann zogen die Schwäne den Kahn durch die Luftwellen weiter und immer weiter. Es schwand das Dunkel. Mich umwogte das glänzendste reinste Licht. Da wachte ich auf. Der Kahn war wieder ans Ufer getrieben. Ich stieg aus; aber den Traum sagte ich weder dem Vater noch Cäcilien.
Die Guten sagen, ich sei blaß geworden. Diese Tage fühlte ich körperliche Schmerzen. Vielleicht schwebe ich bald hinüber! Eine Ahnung sagt es mir.
Erschrick nicht, Du bange zerrüttete Seele! Ich bringe zu Gott einen Busen voll unsterblicher Liebe.
Mit starrem Entsetzen legte Phaethon den Brief aus der Hand. Von nun an war alle Ruhe für ihn dahin. Er rang mit dem Wahnsinn.
Alles Maß verlor er in Genüssen. Der Fürst erfuhr davon und verwies es ihm nachdrücklich. Phaethon wurde trotzig, stolz und übermütig. Es war umsonst, daß ihn Freunde warnten. Er hielt sie für keine Freunde.
Eine Krankheit warf ihn nieder; aber seine Natur war stark und hielt die Stürme aus.
Um diese Zeit kam unvermutet sein Theodor an, den er noch immer warm und treu liebte. Er erschrak über Phaethons Aussehen.
Er gab sich alle Mühe, die Gemütskrankheit des Freundes zu lindern oder gar zu heilen. Er hätte ihm eine Reise zu Atalanta vorgeschlagen, aber er kannte den Unglücklichen und wußte wohl, wie dann seine entflammten Lebensgeister vollends rasten, alles Maß verlören.
Phaethon war oft mürrisch, immer empfindlich, leicht zu beleidigen; und wenn er es war, so tobte er bald; bald weinte er wieder. Theodor gab ihm nach, fügte sich ihm ganz. Er duldete alle seine Launen und Stimmungen; kam ihm überall entgegen mit Liebe. Phaethon fühlte es wohl.
Halbe Tage lang sprach er von Griechenland, aber immer unzusammenhängend. Er versicherte, daß er dahin gehe, sobald es der Fürst erlaube.
Auf seinem Klavier spielte er wilde grelle Phantasien; und wenn er etwas ruhiger wurde, hauchte er ein brennendes Gefühl in unendlich traurigen Elegien aus.
Theodor erfuhr seine Ausschweifungen. Er war entsetzt. Fast gab er den Armen verloren.
Er war immer um ihn; bat ihn oft mit Tränen, an seinem Halse liegend, sich zu bessern. Phaethon ward dann rasend. Seine Augen rollten wütend im Kreise; Zuckungen wandelten den Unglücklichen an. Er weinte laut; raufte sich die Haare.
Theodor schwieg endlich.
Einst kam er des Morgens auf sein Zimmer. Vor Schreck blieb er stehen. Phaethon kniete an der Wand. Sein Kopf lag auf einem Stuhle. Theodor lief auf ihn zu. Der Arme regte sich nicht. Er schüttelte ihn voll Entsetzen. Endlich bewegte er sich, drehte den Kopf zurück und sah den Freund mit einem fürchterlich irren verglühenden Blick an, voll verbissenem Schmerz, voll Wahnsinn. Die Haare hingen ihm wild über das Gesicht. Plötzlich sprang er auf und ergriff den Freund am Halse mit einem wütenden Schrei. Dieser hielt ihm mit Mühe die Arme. Phaethon stürzte stumm zu Boden.
Ein Brief lag auf dem Tische. Mit Zittern ergriff ihn Theodor. Er war von Atalanta.
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Empfange die letzten Worte Deiner Atalanta und weine mit ihr, aber heilige selige Tränen, wie sie einst in Deinem Auge schwammen, als wir noch, blühend und gesund, wie befreundete Quellen ineinanderflossen.
Deine Geliebte gehört der Erde nicht mehr an. Ihr einziges, ihr überschwänglich brünstiges Sehnen ging nach dem Himmel. Er lächelt mich an, o Phaethon, so unschuldig, so süß wie die Mutter ihr wiedergefundenes Kind.
Meine Hülle wird erstarren; aber meinen Geist erfüllt die Wärme der Gottheit, meine Seele die Fülle des Himmels. Ein tiefes seliges Wogen durchbebt mein Tiefinnerstes. Wie sonst nur mein Auge in den Äther verschwimme ich nun ganz in sein ewiges Blau wie eine Träne!
Meine Hülle wird sinken; aber mein unsterblicher Geist steigt aus dem welkenden Körper wie ewiger Duft aus dem Kelche der sterblichen Blume.
Ich werde sterben!
Zittere nicht! Bebe nicht! Nur weinen darfst Du, weinen mit einem Auge voll Glauben und Himmel.
O Phaethon, Gott stärke Deinen Mut! Die Du liebst, wirst Du verlieren!
Ach freilich bin ich noch jung. Ich hätte noch lange, lange leben können in Deinen Armen! Aber das wollte mein liebender Vater nicht.
Ich stand noch da wie die aufgehende Rose. Das Morgenrot sandte seine Lichtwogen auf mich und spielte mit seinem unsterblichen Strahl um meine kindlichen Wangen. Alles glühte, webte, regte sich am Busen der warmen Sonne! Alles war eins! Ein unendlicher Schauer der Wonne!
Schöner Jüngling, Du warst mein Glück! Du fandest mich in meinem innersten geheimsten Heiligtum, in meiner tiefsten Seele, wohin nur Gott dringt. Du drangst hinein, umfaßtest mein Ich in einem Kusse! Alles Ewigkeit! Unermeßliches Leben!
Selig, selig war die Ahnung der geoffenbarten Gottheit, die in unserm endlosen entzückten Geiste quoll wie die Träne der Feuerwonne in einem frommen Auge.
Auch auf dieser Erde schon sollte uns ein ewiges Glück werden.
Es ward nicht.
Dein Mädchen weint. Es sollte Dein Weib, sollte Mutter werden. Jüngling, wenn Du keusch bist wie Dein Mädchen, so fühle mein weinend Herz. Ein lächelndes Kind an meinem reinen Busen, Dich, mich, eine ewige alldurchglühende Liebe darin zu fühlen! Unser schönstes heiterstes Dasein in dem jungen blumigen Wesen zu finden! Die Liebe des Vaters und der Mutter wie gestaltet! O Jüngling, was die Gottheit ihr selbst, ist die reine keusche Mutter dem Kinde. Wie sie das zarte weiche Geschöpf, das verloren wäre ohne ihre Liebe, mit der Milch des Busens nährt, so nährt die Gottheit sie selbst mit ihrer ewigen lauteren Fülle. Ich durfte nicht Mutter werden! Ich sterbe noch so jung.
Mein Gott wollte es. Ich habe mich ihm ganz ergeben. Kennst Du diese entzückendste der Wonnen, dieses grenzenlos selige Gefühl noch? Zu leben, zu sein in ihm, dem Geiste der Liebe? Zu glühn in ihm wie in einem warmen allesdurchquillenden Lichte? Zu schauen in die endlose Tiefe seines Wesens wie ein Auge in den klaren und doch unergründbaren Äther!
Und ist der Tod denn schrecklich? Ist das Morgenrot nicht schön nach der kurzen Nacht? Ist der Tod nicht die erhabenste Wiedergeburt des unsterblichen Geistes? Nicht der Triumph der Seele über den Körper? O, aus dem Grabe blüht wie eine ewigjunge Blume neues glühenderes Leben, volleres schöneres Dasein Rosen und Myrten, die Blumen der Liebe, sind die Sinnbilder des Todes.
Es ist das seligste Hochzeitsfest, das Fest der ewigen und innigen Verbindung mit Gott! Jüngling, die Deine Braut auf Erden war, feiert es nun mit Gott für die Ewigkeit!
Siehe, Du Lieber, wenn Du in stillen Nächten hinaufblickst in den Äther, dann irrt Dein Auge voll gestillter Sehnsucht durch die Sterne, aber voll Licht, voll Liebe. Denn auf einem der Sterne wandelt Dein Mädchen, wandeln die Geister all Deiner Geliebten! Auch sie blickt dann mit einem höheren Auge nieder auf die kleine unendlich ferne Erde, wo Du wandelst, und denket Dein.
Die letzte Scheidewand fällt! O laß uns noch einmal miteinander beten, beten wie unsterbliche Geister, wie Kinder des alliebenden Gottes:
Heilig, Gott, ist Deine Welt, das Werk Deiner Allmacht! Licht der Lichter, Kraft der Kräfte, Du Geist der Reinheit, Dein Wesen ist wie eine lautere Flamme! Nur die Reinen kommen zu Dir! Nimm uns auf, Deine Kinder! Nimm uns auf an Deinen Busen!
Phaethon, Phaethon, wir sehen uns drüben! Meine Seele füllen unendliche Gesichte.
Wir werden schweben in Deinem Morgenrot, o Gott, und uns baden in seinen wallenden Wogen wie milchweiße Schwäne, auf- und untertauchen in den glühenden Wellen voll Licht und Wärme, dahinfliegen durchs All, Arm in Arm, zwei selige Geister! Unsere Häupter umwallt die ewige Schöne Gottes. Auf unserer Stirne schwebt der große Gedanke der unsterblichen Schöpfung. Unser Auge ist die göttliche Kraft des hellen befreiten Geistes, der das Wesen durchdringt seines liebenden Gottes! Auf unsern Wangen bebt die Liebe des Allerhalters, die er kundtut dem Menschen in allen Sonnen und Monden, Erden und Milchstraßen, in jedem saftigen Kraut, jedem flüsternden Blatte, jedem freundlichen Sonnenblick. Unsere Brust schwellt die Wonne der Unsterblichkeit, unsers freien göttlichen Wirkens und Webens in Gott. In ihr drängt sich zusammen die ganze überschwängliche Fülle des Guten und Schönen, das im Weltall keimt und reift!
Schon fühl' ich mich freier; schaue die Bahn, auf der ich wandle zum Schöpfer, wandle so schnell wie der Gedanke entgegen der ewigen Wonne, dem ewigen reineren Sein, entgegen der heranwallenden Schöne Gottes.
Phaethon, willst Du Deine Braut auf Erden noch an Deine Brust drücken, so eile, so eile!
Ein Bote war gekommen und hatte den Brief gebracht. Zugleich erzählte er auch das Nähere von Atalantas Krankheit.
Theodor wußte sich kaum zu fassen. Er war entschlossen, Phaethon dahin zu begleiten.
Er weckte ihn aus seiner Betäubung, wollte sprechen und konnte es nicht vor Weinen. Phaethon bekam von neuem Zuckungen. Theodor mußte ihm mit Gewalt die Arme halten. Der Unglückliche sprach nichts. Nur einmal stieß er mit einem fürchterlichen Seufzer die Worte aus: Nur die Reinen kommen zu Gott!
Theodor bestellte den Augenblick ein paar Reitpferde und hielt selbst beim Fürsten an. Er bekam die Erlaubnis.
Sie ritten ab. Tag und Nacht brausten sie fort.
In dritthalb Tagen ritten sie zum Schloßtor hinein.
Ein Brief von Theodor, den er an einen seiner Freunde schrieb, meldet folgendes:
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Es ist entschieden mit unserm Freunde! Es ist fürchterlich entschieden!
Der Phaethon, der einst jene große Welt im Busen trug, der einst das geliebteste Kind der liebenden Natur war, der einst so kühn unter uns allen stand wie ein gewaltiger in die Wolken gestreckter Riesenberg unter niedern Hügeln, der Phaethon ist – wahnsinnig!
Weine mit mir! Beweine den Armen! O, was hab ich gelitten in diesen Tagen!
Noch bin ich wie betäubt, zittre, schaudre in allen Nerven.
Wir ritten Tag und Nacht. Am andern Morgen wechselten wir die Pferde.
Phaethon sprach kein Wort. Mit fliegenden, vom Wind gewirbelten Haaren rannte er besinnungslos die Straße dahin.
Zwei Nächte durch schliefen wir nicht.
Am dritten Tag waren wir in der Nähe des Schlosses. Phaethon sprang vom Pferde, stürzte mir wütend um den Hals und preßte mich riesenmäßig an seine klopfende Brust.
Da stand ich einst! rief er fürchterlich weinend. Gott! Gott! Verlaß mich nicht! Seine Lippen schäumten. Es war das letzte vernünftige Wort, das ich von ihm hörte.
Wir stürmten durchs Schloßtor hinein. Es war ein heiterer schöner Abend. Der Westen brannte von wallendem Golde.
Ein Diener lief uns entgegen. Seid Ihr da? rief er schluchzend. Sie stirbt, sie stirbt!
Wir rannten die Treppen hinauf. Phaethon riß eine Tür auf. O Gott! Ich muß aufhören; die Worte schwimmen vor meinen Augen.
Freund, ich sah sie, die mir Phaethon einst mit solch trunkenen Worten geschildert! Ich sah sie in ihren letzten Augenblicken.
Höre und bete!
Ein hochgewölbtes Zimmer umfing uns, wo oben auf blauem Grunde die lieblichsten Engelsgestalten in tausendfachen Stellungen schwebten. Auf einem mit Purpur überwallten Bette lag sie:
Ein sterbender Engel!
Ihr blasses Haupt ruhte matt auf einem Kissen. Ihre dunkeln Locken lagen in langen Wallungen um sie her. Hellgrüne Akazien, glühende Rosen waren im Kranz um ihr Haupt geschlungen. Ein paar große dunkle Augen voll Himmel und Frieden blickten traurig und doch selig die Umstehenden an. So lag die Blasse, die Schöne.
An ihrem Bette kniete seine Cäcilie, wie in einen unaussprechlichen Körper hingegossen, ohne Seufzer, ohne Sprache. Ein hoher Mann stand am Haupte der Sterbenden, der die Stirn mit seiner Hand verdeckte. Katon war's, ihr Vater.
Das Wort faßt dieses Bild nicht!
Phaethon lag vor ihr, bedeckte ihr bleiches Angesicht mit seinen wilden Locken, küßte sie wütend.
Er sprach kein verständliches Wort. Nur fürchterliche Seufzer stöhnte er aus.
Sie wand sich los mit schwachen Kräften und erhob sich etwas und neigte sich gegen den Knienden.
Gott, Du hast Menschen, die Dir gleichen!
Dieses Auge, ach dieses überschwängliche Auge, mit dem sie ihn ansah! So unendlichwunderbar schauernd! So voll Trauer; voll Milde! Halb verletzt und doch voll unaussprechlicher göttlicher Liebe.
Er aber glühte; sein Blick rollte wild. Aber er fühlte doch die Seele in dem Auge, die Fülle, die Liebe!
Der große Mann ging ans Fenster. Es war, als ob er's nicht mehr aushalten könnte.
Atalanta ergriff halb zitternd Phaethons Hand. Eine Träne glänzte in ihrem Auge. Der junge zarte Busen hob sich, voll Liebe anschwellend, unter den Tüchern. Sie sagte mit einem tiefen Seufzer: Ach, warum bist Du so gefallen?
O, das sagte sie so unendlich traurig, so zerflossen in Wehmut und doch so ganz voll Liebe!
Er aber raste. Mit einem gräßlichen Oh! stürzte er von neuem über sie. Seine Lippen brannten auf den ihren.
Wir hörten sie weinen. Sie konnte sich nicht losmachen. Wir richteten den Wahnsinnigen auf.
Wie sie sich wieder frei sah, weinte sie noch stärker. Dann lispelte sie wieder wie betend: Ach, warum muß ich ihn so Wiedersehen!
Sie schien sich zu sammeln. Wieder ergriff sie seine Hand und sagte: Ach, so bist Du noch mein!
Dann verschwamm ihr Blick in den Wogen des Abendrots durch die hohen offenen Bogenfenster.
Sie ward verklärt.
Dahinein! sagte sie mit einer Engelsstimme. Dahinein werd' ich tauchen, ein unsterblicher Geist, mich baden im ewigen Licht! Auch Du ... – ihr Auge blickte schmerzlichliebend auf den Unglücklichen, – auch Du wirst einst wieder im Licht wallen, wenn Deine Seele zu Gott schwebt!
Sie sank in seine Arme, die Liebende! Blumen und Locken ruhten auf ihm.
Noch einmal blickte sie auf und sah den Vater an und die weinende Cäcilie! Dann sank sie wieder an Phaethons Brust, seufzte nur noch in einem namenlosen Tone: Rein!
Lange blieben sie aneinander.
Er hielt sie, küßte sie. Ihr Auge war geschlossen. Ihre Wangen fühlten seine Küsse nicht mehr. Ihren Busen füllte nicht mehr das warme jugendliche Leben.
Wir alle schluchzten laut. Phaethon hielt kniend die tote Braut an Mund und Brust.
Wir wollten ihn losmachen. Er blickte uns rasend an, mit funkelndem Auge. Wir ließen ihn. Erstarrt blieben wir stehen.
Er legte sie wieder auf das Kissen, so sanft, so zärtlich, und kniete neben sie hin.
Ich trat der Abgeschiedenen nahe. Mich überwallte die unaussprechliche Schöne. Wie Milch war ihr ganzes Angesicht. Und diese Lippen! Wie noch warm von den Küssen, die Phaethon auf die weichen gedrückt hatte.
Katon schien gefaßt. Cäcilie war untröstlich. Atalantas Tod, Phaethons Wahnsinn hatten zu sehr auf sie gewirkt. Man mußte sie ohnmächtig wegtragen.
Phaethon wollte das Zimmer durchaus nicht verlassen. Er sprach kein vernünftiges Wort mehr.
Die ganze Nacht soll er im Zimmer auf und abgegangen sein, ohne ein Wort zu sprechen.
Am nächsten Morgen dankte mir Katon freundlich für meine Begleitung. Wir gingen in das Zimmer, wo die Tote lag. Phaethon war nicht da. Wir erschraken.
Aber bald tat sich die Tür auf, und Phaethon trat herein mit allerlei Blumen, Jasminen, Lavendel, Ringelblumen, Tulpen, Rosen, Lilien, Narzissen, Nelken, Tremsen, Akazienzweigen und roten und blauen Kornblumen. Er hatte ein langes rotes Tuch umgeworfen, in dem er die Blumen zum Teile trug. Uns schien er gar nicht zu bemerken.
Er trat auf das Bett zu, legte seine Hülle zurück, küßte die bleichen schönen Wangen der Geliebten und bedeckte sie ganz mit Blumen. Dann kniete er wieder vor sie hin, schlang seine Arme um sie und regte sich nicht mehr.
Wir wagten ihn nicht zu stören. Heilung schien unmöglich. Die Diener, die die Nacht durch wachen mußten, sagten, er habe nur wenig geschlummert, viel im Schlafe gesprochen; sie hätten dem Bette durchaus nicht nahekommen dürfen.
Den ganzen Tag nahm er nichts zu sich. Mit uns sprach er kein Wort. Die Nacht hindurch blieb er wieder neben ihrem Bette sitzen.
Am andern Morgen sollte sie begraben werden. Man wollte ihn mit Gewalt aus dem Zimmer bringen. Er wehrte sich verzweifelt, schlug einen der Männer zu Boden. Dann verhielt er sich ruhiger.
Man brachte den Sarg herein. Da riß er sich wieder los. Kein Arm war nun stark genug, den Rasenden zu halten. Seine Kraft war riesenmäßig.
Er kniete vor dem Mädchen, weinte laut, küßte sie auf Mund und Stirne, löste ihre Locken auf, faßte sie dann um den Leib, legte ihr wankendes Haupt an seinen Busen und trug sie zum Sarg. Keine fremde Hand durfte sie anrühren. Er legte sie selbst hinein. Bei all dem sprach er nichts.
Katon führte Cäcilie herein. Sie war entkräftet und lehnte sich an Katons Brust. Sie zerfloß in Tränen, wie sie das junge geliebte Mädchen im Sarge sah und die vielen Blumen auf ihr und den wahnsinnigen Jüngling daneben kniend. Auch Katons männliches Auge war voll Tränen.
Auf einmal schlug Phaethon den Sargdeckel zu. Cäcilie sank mit einem lauten Schrei zu Boden. Man brachte sie weg. Phaethon lächelte.
Der Sarg ward in ein Gewölbe des Mausoleums getragen. Phaethon folgte. Gegen Abend brachte ihn Katon wieder herauf. Nun erst nahm er wieder etwas zu sich.
Am vierten Morgen nahm ich Abschied. Phaethon wollte durchaus nicht mit mir. Er schien mich kaum zu kennen. Wie ich ihm um den Hals fiel, weinte er auch und sprach lauter seltsame Worte. Was ich denn von ihm wolle? Er sei ja unsichtbar. Er habe längst schon keinen Körper mehr. Ich solle nur ruhig sein. Er wolle mir schon auch blaue Tremsen bringen. Gott liebe ja seine Menschen. Ob ich's denn nicht gesehen, wie der Mond sein Auge zugedrückt habe. Er sei sehr gern im Himmel; werde sich nächstens auch einen Regenbogen machen, und für das Übrige werde er schon sorgen.
Mit blutendem Herzen empfahl ich Katon noch einmal die Sorge für den Armen, nahm Abschied von der kranken Cäcilie und schied.
Ach, Freund, das Viele, das mir begegnet, drängt sich so eng und mächtig vor meinen Sinnen zusammen, daß ich mich nicht mehr zu fassen weiß.
Du kanntest ihn ja, wie er war. Du würdest schaudern, wenn Du sähest, wie er ist.
Alles, alles hat er verloren, was er hatte, was ihn so groß machte, was ihn zu Gott hinanhob. Er hak alles verloren, sich selbst, die Welt und Gott.
Mensch, was bist Du in Deinem Stolze?
Ich will nichts weiter sagen. Es ist fürchterlich. Meine Sinne verwirren sich schon ob dem Gedanken.
Lebe wohl!
Phaethons Raserei ging in einen stillen Wahnsinn über. Katon tat alles, was er konnte. Es half nichts.
Von allen seinen Freunden und Bekannten, von seinem ganzen vorigen Leben, selbst von Atalanta sprach er nie ein Wort. Alles, was er über die Lippen brachte, waren Worte, aus einer Menge fremder Sprachen untereinander gemischt, und tausend sonderbare Sätze voll Unsinn und Halbsinn.
Nur einmal lief er davon und ging in das Dorf, wo er einst gewohnt. Er wußte noch Johannes Haus; öffnete die Türe. Der Gute saß am Fenster, sah die schreckliche Gestalt zur Tür hereinkommen; kannte sie nicht, erschrak. Phaethon legte sich über einen Tisch herein, blickte ihm starr ins Gesicht, sagte mit fürchterlicher Stimme, durch den Bart murmelnd: Phaethon! und lief wieder zur Türe hinaus. Er ging dann wieder dem Schlosse zu. Von da an besuchte ihn Johannes fast alle Tage. Der Wahnsinnige schien sich aber an nichts zu erinnern.
Wenn er Katon oder Cäcilie beleidigt hatte, kam er immer wieder zu ihnen, bat sie in lauter Worten ohne Sinn um Vergebung.
Er spielte viel auf dem Klavier, aber lauter verwirrte Phantasien. Schrecklich war's, den Wahnsinnigen spielen zu hören!
Des Nachts stand er meistens auf und wandelte durch den Garten oder durch die Gänge des Schlosses. Wenn er ein Kind sah, winkte er ihm freundlich, wollte es zu sich locken; aber die Kinder flohen ihn. Alles, was er bekommen konnte von Papier, überschrieb er in dieser Zeit. Hier sind einige Blätter aus seinen Papieren, die zugleich einen tiefen Blick in den schrecklichen Zustand seines verwirrten Gemütes geben. In der Urschrift sind sie abgeteilt wie Verse nach pindarischer Weise.
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In lieblicher Bläue blüht mit dem metallnen Dache der Kirchturm. Den umschwebt Geschrei der Schwalben; den umgibt die rührendste Bläue. Die Sonne geht hoch darüber und färbt das Blech im Winde; aber oben stille kräht die Fahne. Wenn einer unter der Glocke dann herabgeht, jene Treppen; ein stilles Leben ist es, weil, wenn abgesondert so sehr die Gestalt ist, die Bildsamkeit herauskommt dann des Menschen. Die Fenster, daraus die Glocken tönen, sind wie Tore an Schönheit. Nämlich, weil noch der Natur nach sind die Tore, haben diese die Ähnlichkeit von Bäumen des Waldes. Reinheit aber ist auch Schönheit. Innen aus Verschiedenem entsteht ein ernster Geist. So sehr einfältig aber die Bilder, so sehr heilig sind die, daß man wirklich oft fürchtet, die zu beschreiben. Die Himmlischen aber, die immer gut sind, alles zumal wie Reiche, haben diese Tugend und Freude. Der Mensch darf das nachahmen. Darf, wenn lauter Mühe das Leben, ein Mensch aufschauen und sagen: So will ich auch sein? Ja. So lange die Freundlichkeit noch am Herzen, die reine, dauert, mißt nicht unglücklich der Mensch sich mit der Gottheit. Ist unbekannt Gott? Ist er offenbar wie der Himmel? Dieses glaub' ich eher. Des Menschen Maß ist's. Voll Verdienst, doch dichterisch, wohnt der Mensch auf dieser Erde. Doch reiner ist nicht der Schatten der Nacht mit den Sternen, wenn ich so sagen könnte, als der Mensch; der heißt ein Bild der Gottheit.
Gibt es auf Erden ein Maß? Es gibt keines. Nämlich es hemmen den Donnergang nie die Welten des Schöpfers. Auch eine Blume ist schön, weil sie blüht unter der Sonne. Es findet das Auge oft im Leben Wesen, die viel schöner noch zu nennen wären als die Blumen. O, ich weiß das wohl! Denn zu bluten an Gestalt und Herz und ganz nicht mehr zu sein, gefällt das Gott? Die Seele aber, wie ich glaube, muß rein bleiben; sonst reicht an das Mächtige auf Fittichen der Adler mit lobendem Gesange und der Stimme so vieler Vögel. Es ist die Wesenheit, die Gestalt ist's! Du schönes Bächlein, du scheinst rührend, indem du rollst so klar wie das Auge der Gottheit durch die Milchstraße. Ich kenne dich wohl; aber Tränen quillen aus dem Auge. Ein heiteres Leben seh ich in den Gestalten mich umblühen der Schöpfung, weil ich es nicht unbillig vergleiche den einsamen Tauben auf dem Kirchhofe. Das Lachen aber scheint mich zu grämen der Menschen; nämlich ich hab ein Herz. Möcht ich ein Komet sein? Ich glaube. Denn sie haben die Schnelligkeit der Vögel; sie blühen am Feuer und sind wie Kinder an Reinheit. Größeres zu wünschen, kann nicht des Menschen Natur sich vermessen. Der Tugend Heiterkeit verdient auch gelobt zu werden vom ernsten Geiste, der zwischen den drei Säulen wehet des Gartens. Eine schöne Jungfrau muß das Haupt umkränzen mit Myrtenblumen, weil sie einfach ist ihrem Wesen nach und ihrem Gefühl. Myrten aber gibt es in Griechenland. Wenn einer in den Spiegel sieht, ein Mann, und sieht darin sein Bild wie abgemalt; es gleicht dein Manne. Augen hat des Menschen Bild; hingegen Licht der Mond. Der König Ödipus hat ein Auge zu viel vielleicht. Die Leiden dieses Mannes, sie scheinen unbeschreiblich, unaussprechlich, unausdrücklich. Wenn das Schauspiel ein solches darstellt, kommt's daher. Wie ist mir's aber, gedenk ich Deiner jetzt? Wie Bäche reißt das Ende von Etwas mich dahin, das sich wie Asien ausdehnt. Natürlich dieses Leiden, das hat Ödipus. Natürlich ist's darum. Hat auch Herkules gelitten? Wohl. Die Dioskuren in ihrer Freundschaft, haben die nicht Leiden auch getragen? Nämlich wie Herkules mit Gott zu streiten, das ist Leiden! Und die Unsterblichkeit im Neide dieses Lebens, diese zu teilen, ist ein Leiden auch. Doch das ist auch ein Leiden, wenn mit Sonnenflecken bedeckt ein Mensch, mit manchen Flecken ganz überdeckt zu sein! Das tut die schöne Sonne; nämlich die zieht alles auf. Die Jünglinge führt die Bahn sie mit Reizen ihrer Strahlen wie mit Rosen. Die Leiden scheinen so, die Ödipus getragen, als wie ein armer Mann klagt, daß ihm etwas fehle. Sohn Laios, armer Fremdling in Griechenland! Leben ist Tod, und Tod ist auch ein Leben.
Solche Papiere verwahrte er sorgfältig. Wenn er zeichnete, waren es lauter Figuren, die keinen Sinn hatten.
Plötzlich starb Cäcilie. Von Atalantas Tod an war sie nicht mehr gesund. Katons Schmerz war unermeßlich. Der wahnsinnige Phaethon schmückte ihren Leichnam auch mit Blumen.
Noch ein Jahr blieb Katon auf dem Schlosse. Dann gab er den unglücklichen Freund einem wackern Tischler in sein Haus, der im Dorfe wohnte.
Katon verschwand an einem Morgen vom Schlosse. Die drei Särge seiner Geliebten hatte er mit sich genommen. Er hatte das Schloß verkauft. Man glaubte, er sei nach Griechenland gegangen.
Phaethons Zustand ward immer elender. Er spielte nicht mehr Klavier; schrieb kein Wort mehr. Den ganzen Tag lief er in seinem Zimmer auf und ab.
Im Sommer klagte er immer über Unruhe und Beklemmung. Er wandelte dann gewöhnlich bei Nacht im Hause umher.
Der Tischler nahm ihn oft mit sich aufs Feld. Er mußte ihn aber hüten.
Ein alter Freund Phaethons schrieb nach vielen Jahren einmal an einen andern Freund:
Ich kam durchs Dorf T * * * Hier besuchte ich den wahnsinnigen Phaethon, der in der ganzen Umgegend bekannt ist.
Wir waren einst Jugendfreunde. Sein hoher strebender Geist, sein edler kräftiger Sinn, sein heißes Herz, selbst seine körperliche Schönheit machte ihm alle Herzen gewogen. Geliebt, geachtet ward er, wohin er kam.
Uns allen war er ein Rätsel. Er galt für einen Schwärmer. Immer klagte er über tausenderlei Dinge, wollte alles in größerem Maße, als wir begreifen, als wir geben konnten. Mit unserer Freundschaft war er nie zufrieden. Das wolle nichts heißen. Wir sollten ihn viel glühender lieben.
O, denke Dir den schönen wunderbaren Jüngling mit den blauen Augen, dem blassen lieben Angesicht, den langen braunen Locken! Denke ihn Dir zurück!
Seine Geschichte ist Dir bekannt. Laß Dir erzählen und schaudere, wie ich ihn traf.
Ich stieg eine enge steinerne Treppe hinab, die von einem kleinen Bergabhang zu einem einsamen Tischlerhause führte. Da sollte er wohnen. Ich ging eine schmale Stiege hinauf. Ein freundliches junges Mädchen trat mir entgegen. Ich fragte das hübsche Kind nach Phaethon. Sie öffnete eine Türe!
In einem kleinen engen Stübchen stand ein Mann mit langem wildem Barte, nur halb angekleidet, mit großen unbeschnittenen Nägeln, die Hände auf dem Rücken zusammenschließend, sich unaufhörlich gegen mich verneigend. Er ist's, sagte das Mädchen. Ich stand da wie ein Gerichteter. Die Worte starben mir auf der Zunge. Das Mädchen sprach mir Mut ein. Ich ging endlich auf ihn zu und gab mich ihm zu erkennen. Er verneigte sich noch tiefer, schüttelte den Kopf und lispelte: Eure königliche Majestät kenne ich nicht! Nein, nein! Kenne ich nicht! Nein!
Ich schauderte.
Er stand an der Türe, die Hand auf einen Stuhl gestützt und die Füße übereinanderlegend. Unaufhörlich sprach er mit sich selbst in einer Mischung fremder Sprachen und selbsterfundener Worte. Ich sah ihn starr an. Nur noch matte Spuren seiner alten Schönheit hatte die furchtbare Krankheit zurückgelassen. In seinem großen Auge allein war noch Geist; ein unaussprechlich sonderbarer Blick, der mir durch Mark und Bein schauerte.
Ich fragte ihn noch Einiges. Er antwortete aber auf alles mit unverständlichen Worten und versicherte mir, das könne, das dürfe er nicht beantworten.
Auf einmal verneigte er sich wieder und noch tiefer als vorher. Ich glaubte, er wolle, daß ich ihn verlasse, und trat hinaus. Außen blieb ich noch eine Zeit lang stehen und sah, wie er im Zimmer auf und abging. Ich dachte an die wilden Tiere, die so in ihrem Käfig wandeln, und rannte schaudernd die Treppen hinunter.
Wird der verwegen aus den Schranken getretene, sich mit Gott zu messen erkühnende, in seinem Riesenschmerz in und durch sich selbst zermalmte Geist anderswo Licht, Maß und Wahrheit finden und wie?
Reizt ihn nicht, den höchsten Geist! Lernt ihn erkennen durch – Ruhe! Dann liebet! Dann betet an! Nur wer bei Fülle Maß hält, ist ihm ähnlich, dem Maße selbst.
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