Heinrich Leopold Wagner
Die Kindermörderin
Heinrich Leopold Wagner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweyter Akt.

(Wohnstube im Humbrechtischen Haus; bürgerlich meublirt; auf der Seite ein Klavier. – Martin Humbrecht sitzt ganz mürrisch in einer Ecke, den Kopf auf die Hand gestützt: Frau Humbrecht arbeitet.)

Fr. Humbrecht. Ich weiß auch gar nicht, wie du mir vorkommst, Mann! – du gönnst deinem Kind, die liebe Sonne nicht, die es bescheint, vielweniger ein anders Vergnügen.

Humbrecht. Du hast Recht, Frau! – hast immer Recht!

Fr. Humbrecht. Ists nicht wahr, sag? – sitzt er nicht da und macht ein Gesicht, wie eine Kreuzspinne: – wenn wir alle halb Jahr nur einmal zum Haus naus schmecken, so ist gleich Feuer im Dach.

Humbrecht. Hast Recht, Frau! hast immer Recht! – wenn ich dir aber gutmeynend rathen soll, so halts Maul – verschwören will ichs jemals wieder aus dem Haus zu gehn, und sollt alles den Krebsgang nehmen!

Fr. Humbrecht. So sag doch warum? du hast keine Ursach über mich zu klagen; ich verschleck dir nichts; ich versauf dir nichts; ich geh nicht neben hinaus.

Humbrecht (lacht ihr unter die Nase.) O! du bist ein Muster von einer guten Frau; das ist ja stadtkundig; – ewig schade! daß du nicht katholisch bist; könntst mit der Zeit wohl gar noch kanonisirt werden. – Heilige Frau Humbrecht bitt für uns! ha ha ha!

Fr. Humbrecht. Spott, wie du willst: ich bin und bleib doch, was ich bin.

Humbrecht. Wer läugnets? du bist und bleibst halt in alle Ewigkeit eine – –

Fr. Humbrecht. Was eine? – heraus! wenn du was weist: heraus! – kanst du mir beweisen, daß ich dir das geringste verwahrlose? – hab ich die Augen nicht allerwärts?

Humbrecht. Nur da nicht, wo du sie am allerersten haben solltst. – Deiner Tochter läßt du zu viel Freyheit, wenn ich denn doch alles zehnmal sagen muß.

Fr. Humbrecht. Und du läßt ihr zu wenig – es ist wohl eine große Sache, daß sie einmal auf dem Ball gewesen ist; was ist denn übels dran? he! – gehn nicht so viel andre honette Leute auch drauf?

Humbrecht. Es gehört sich aber nicht für Bürgersleut – ich bin funfzig Jahr mit Ehren alt geworden, hab keinen Ball gesehn, und leb doch noch. (Magister Humbrecht kommt herein.)

Fr. Humbrecht. Er kommt eben recht, Herr Vetter Magister; mein Mädel wird heut keine Klavierstunde nehmen, und da kann er mir jetzt helfen meinem Mann dort den Kopf zurecht setzen.

Magister. Das werden die Frau Baas wohl ohne mich können. – Aber – (sich das weiße Krägelchen zurechtlegend.) darf ich fragen, ist die Jungfer Tochter krank?

Humbrecht. Gar nicht, Vetter! gar nicht! sie fängt nur an nach der neuen Mode zu leben, macht aus Nacht Tag und umgekehrt.

Magister. Das heißt wohl so viel, als sie schläft noch?

Fr. Humbrecht. Ich will ihm nur sagen Herr Vetter Magister. Wir waren gestern Nachts auf dem Ball, meine Eve und ich; unser Herr Leutenant hier oben, ließ uns die leibliche Ruh nicht: – die ganze Faßnachten über hat er uns alle Sonntag sehr inständig gebeten, ihm die Ehr anzuthun; – gestern kam er wieder und lud uns ein; und da es der letzte Ball war, wie er sagte, auf den man mit Ehren gehn könnte, denn am mardi gras, sagte er, giengen nur Perukenmacher drauf, so wollt er sich absolut keinen Korb geben lassen, und –

Humbrecht. Und, weil ich just in meinem Beruf ausgeritten war, so machten sie sichs zu nutz, und schwänzelten auf den Ball.

Fr. Humbrecht. Ist denn da aber was übels dran, Herr Vetter Magister?

Humbrecht. Da fragst du den rechten! was weiß ein Klosterer vom Ball? da versteht er grad so viel davon, als von der Mast. – Hängen will ich mich lassen, wenn er Buch- und Eich-Mast zu unterscheiden weiß!

Fr. Humbrecht. Je nun! die Herren kommen aber doch überall herum; sie hören doch auch, was mores ist: – sag er nur ungescheut, Herr Vetter, ists denn so was sündlichs ums Ballgehn?

Magister. Ihnen diese Frage zu beantworten, muß ich unterscheiden, werthste Frau Baas! erstlich das Ballgehn an sich selbst, und zweytens die verschiedene äußere Umstände, die damit verbunden sind, oder verbunden seyn können, betrachten. – Was nun den erstern Punkt betrifft, so seh ich am Ballgehn an und für sich eben nichts sündliches: es ist eine Ergötzung, und nach der neuen Theologie, die aber im Grund auch die älteste und natürlichste ist, ist jede Ergötzung auch eine Art von Gottesdienst. –

Humbrecht. Vetter! Vetter! gebt Acht, daß man euch Schwarzkittel nicht all zum Teufel jagt, wenn dieser neue Gottesdienst erst eingeführt wird!

Magister. Ich sagte ja nur, Ergötzung wäre eine Art von Gottesdienst: dies schließt aber die andern Arten alle noch nicht aus, und folglich sind wir Lehrer auch noch nicht überflüßig. Doch – diesen Beweißgrund, den ich ihnen bey einer andern Gelegenheit besser erklären, deutlicher exegesiren will, beyseite gesetzt, – will ich mit ihrer Erlaubniß, Herr Vetter, sokratisch demonstriren, und nur zwo Fragen an sie thun; – erstens, glauben sie denn, daß so viele rechtschaffene Mütter, brave Weiber, die so gar Personen vom Stande sind, theils selbst auf den Ball gehn, theils ihre Töchter darauf führen würden, wenn sie sich ein Gewissen darüber machen müßten?

Fr. Humbrecht. So recht! Herr Vetter Magister; das wars!

Humbrecht. Die mögen meintwegen auch ein Gewissen haben, das größer ist als die Metzger-Au draußen! – Was scheeren mich die mit samt ihrem Stand? – ich hab auch einen Stand, und jeder bleib bey dem Seinigen! – Und dann, so hab ich ja noch nicht gesagt, daß das Ballgehn überhaupt nichts taugte; – meine Leut aber sollten nicht drauf gehn, das sagt ich! – Laßt die immerhin drauf herumtänzeln, die drauf gehören, wer wehrts ihnen? – für die vornehmen Herren und Damen, Junker und Fräuleins, die vor lauter Vornehmigkeit nicht wissen, wo sie mit des lieben Herrgotts seiner Zeit hinsollen, für die mag es ein ganz artigs Vergnügen seyn; wer hat was darwider? – aber Handwerksweiber, Bürgerstöchter sollen die Nas davon lassen; die können auf Hochzeiten, Meisterstückschmäusen, und was des Zeugs mehr ist, Schuh genug zerschleifen, brauchen nicht noch ihre Ehr und guten Namen mit aufs Spiel zu setzen. – – Wenn denn vollends ein zuckersüßes Bürschchen in der Uniform, oder ein Barönchen, des sich Gott erbarm! ein Mädchen vom Mittelstand an solche Orter hinführt, so ist zehn gegen eins zu verwerten, daß er sie nicht wieder nach Haus bringt, wie er sie abgehohlt hat.

Fr. Humbrecht. Ey Mann! bist du närrisch? – du wirst doch etwa nicht gar glauben, daß unsre Tochter –

Humbrecht (ihr nachäffend.) Du wirst doch etwa nicht gar glauben – – über die Fratze! – ich glaub nur was ich weiß – wenn ichs aber glaubte! – wenn! wenn! – (mit geballten Fäusten) Himmel, wie wollt ich mit euch umspringen! –

Magister. Nicht doch, Herr Vetter! sie werden ja, hoff ich, nicht in Harnisch gerathen über eine Handlung, die an sich so gleichgültig ist, die vollkommen unter diejenigen gehört, die nach der strengsten Kasuistick weder für gut noch für bös können gehalten werden.

Humbrecht. Gibts viel solcher Handlungen in seinem Katechismus?

Magister. Verschiedene! und daß das Ballgehn mit dazu zu rechnen sey, bin ich so sehr überzeugt, daß ich ihnen – doch unter uns – gestehn will, ich bin selbst einmal drauf gewischt.

Humbrecht (mit Hitze aufspringend.) So wird davor alle Jahr zweymal für euer Kloster an den Kirchthüren kollektirt! – (im Fortgehn) Adieu Vetter! und hohl mich der Teufel, wenn ich noch einen Sols in die Schüssel werfe. Adieu! (ab.)

Fr. Humbrecht. Das hat er nun eben nicht gescheut gemacht, Herr Vetter! ich förcht, er hat es jetzt wieder auf lange Zeit bey meinem Mann verdorben.

Magister. Solls wohl sein Ernst seyn?

Fr. Humbrecht. Freilich ist ers; er ist noch ganz von der alten Welt; er kann sichs nicht vorstellen, wie ich mein Kreuz mit ihm hab! – Vor zwey Jahren zu Anfang des Winters hätten wir uns bey einem Haar von Tisch und Bett, Gott verzeih mirs! geschieden, weil ich mein mardern Palatin, daß er von seiner Grosmutter geerbt hatte, gegen ein neumodischers vertauschte; und noch erst vor acht Tagen sollte mein Evchen ein Kind heben, da bestand er mit Leib und Seel darauf, sie müßte die goldne Haube aufsetzen, und doch sieht man sie keinem Menschen mehr auf haben als höchstens Gärtners und Leinwebers Töchtern. – – Nein! das hätt er pfeifen sollen, Herr Vetter Magister! aber nicht sagen.

Magister. Sobald ich mir keinen Vorwurf mache etwas gethan zu haben, so kann ichs auch sagen. Freilich mit Unterschied! meinen Vorgesetzten, zum Beyspiel, die um den Misbrauch zu verhindern, manche Dinge ganz verbieten müssen, das sie nicht thun würden, wenn jener nicht zu befürchten wäre, so etwas auf die Nase zu hängen, verbietet die Klugheit; sonst aber mach ich so wenig ein Geheimniß daraus, daß ichs viel mehr für Pflicht halte alles zu sehn, alles zu prüfen um selbst davon urtheilen zu können. (Der Lieutenant von Gröningseck kommt hastig herein, lauft auf Frau Humbrecht los; Magister steht auf.)

v. Gröningseck. So ganz tête à tête! das ist schön, das will ich dem Herrn Liebsten sagen, Frau Wirthinn, wenn sie mir nicht gleich den Mund stopfen.

Fr. Humbrecht. Hi hi, hi hi hi! das thun sie, mein Mann weiß es schon, er ist erst fortgegangen.

v. Gröningseck. So! (singt.) der gute Mann, der brave Mann! – können sie das Liedchen? nicht? – das muß ich sie lehren. – Den Herrn soll ich schon mehr gesehn haben.

Fr. Humbrecht. Es ist mein Herr Vetter: er instruwirt mein Evchen auf dem Klavier.

v. Gröningseck (nimmt nachläßig eine Prise Toback.) So, so! der Herr Vetter Klaviermeister also! –

Magister. Ihr gehorsamer Diener! (der Lieutenant nimmt den Stuhl des Magisters und setzt sich hart neben die Frau Humbrechtin: dieser hohlt sich einen andern Stuhl, und setzt sich auf die andre Seite.) – Mit ihrer Erlaubniß, Frau Baas!

v. Gröningseck. Ohne Komplimenten! – pardieu! ich glaub gar das war ihr Stuhl, – verzeihn sie, Herr Klaviermeister! –

Magister. Ich binns nur für Freunde, denen ich einen Gefallen damit erweisen kann, und verbitte mir also –

v. Gröningseck. Gar gern! gar gern! – es geschah nicht mit Vorsatz, Herr Abbe! –

Fr. Humbrecht. Ja, wenn sie wüßten, Herr Leutenant, was ich mit meinem Mann vor eine Hatze gehabt habe! wegen dem gestrigen Ballgehn – o das können sie sich gar nicht denken!

v. Gröningseck. Comment? wegen dem Ballgehn! c'est drole! – das ist auf meine Ehr toll genug!

Fr. Humbrecht. Und denken sie nur: da kam der Herr Vetter eben dazu, und da glaubt ich, er sollte mir helfen ihm den Kopf wieder zurecht setzen, aber da ist er grad noch rappelköpfischer geworden.

v. Gröningseck. Das bedaur ich! – es geht aber den Herren Schwarzröcken sehr oft so.

Fr. Humbrecht. Es wär alles gut gewesen, sehn sie; er hat ihm tüchtig die Wahrheit gesagt; aber da verschnappt er sich in der Hitze, und plazte heraus, er wär selbst schon drauf gewesen, und da wollt mein Mann nichts mehr hören noch wissen. – Sehn sie, das hats verdorben – das ganz allein!

v. Gröningseck. Ho ho! der Herr Abbe selbst schon auf dem Ball gewesen! – das hätt ich warlich nicht hinter ihnen gesucht: gewiß nicht!

Magister. Und weswegen nicht, mein Herr?

v. Gröningseck. Hm! des Rocks wegen.

Magister. Wahrhaftig! dies Vorurtheil kleidet sie, da sie sich sonst so einen großen Ton zu geben wissen, sehr schlecht: wären sie tiefer in Frankreich, oder auch an den geistlichen Höfen Teutschlands gewesen, so würden sie wissen, daß Prälaten vom ersten Rang ihrem Anspruch, den sie auf alle menschliche erlaubte Vergnügungen zu machen berechtigt sind, keineswegs entsagen. – Würde man bey unsrer Kirch anfangen eben so klug zu denken und zu handeln, so würde es weniger übertriebene Zeloten, und eben dadurch auch weniger Religionsspötter geben.

Fr. Humbrecht. Ey, ey! Herr Vetter!

v. Gröningseck. Der Teufel, war das eine Predigt! – Ma foi, die erste Hofmeisterstelle, die ich zu vergeben habe, sollen sie bekommen.

Magister. Ich zweifle. – Der Vater wenigstens, der mir, wenn ich eine Viertelstunde erst mit ihm gesprochen, dennoch seinen Sohn anvertrauen wollte, ist schwerlich schon gebohren.

v. Gröningseck. Wie so! bald machen sie mich aufmerksam.

Magister. Sie wollen spotten, mein Herr!

v. Gröningseck. Parole d'honneur! nein! – ich wiederhohl es, sie haben mich neugierig gemacht ihre Ursachen anzuhören.

Magister. Die alle hier gleich anzuführen, ist mir unmöglich. Überhaupt aber würden meine Erziehungs-Grundsätze wohl schwerlich heut zu Tag wo Beyfall finden.

Fr. Humbrecht. Ey Herr Vetter Magister! er wird doch nicht so altväterisch denken, wie mein Mann?

Magister. Im Gegentheil! – zu neu, als daß ich nicht darüber sollte verfolgt werden.

v. Gröningseck. Ein Pröbchen nur, Herr Magister! nur ein einiges! ich höre so was gar zu gern; ich glaube, man nennt es Paradoxe, nicht wahr?

Magister. So würd ich zum Exempel in dem kritischen Zeitpunkt, in welchem der Knabe zum Jüngling übergeht, sich selbst zu fühlen und der physischen Ursache seines Daseyns nachzuspüren beginnt – ein Zeitpunkt, der der Tugend fast aller junger Leute ein Stein des Anstoßes, eine gefährliche Klippe ist. – –

Fr. Humbrecht (steht auf.) Das ist mir viel zu hoch, meine Herren; ich will einmal meine Tochter herausstöbern. (lauft ab.)

Magister. So würd ich, wollt ich sagen, in diesen Jahren meinen Eleven auf eine Manier behandeln, die der gewöhnlichen grad entgegen gesetzt ist. – Statt ihn in seiner Unwissenheit auf gut Glück einem bloßen Ungefähr – das unter zwanzigen gewiß neunzehn irre führt – zu überlassen; würde ich ihm den ganzen Adel, die ganze Größe seiner Bestimmung begreiflich zu machen bedacht seyn. –

v. Gröningseck. Das haben schon mehrere vorgeschlagen!

Magister. Noch mehr! – ihm auf Zeitlebens vor allen Vergehungen dieser Art einen schaudernden Ekel beizubringen, würde ich – wie die Spartaner ihre junge Leute vor dem Laster der Trunkenheit zu warnen, ihnen ein paar trunkne Sklaven zum Gespötte Preis gaben – so würde ich meinen Eleven selbst an die zügellosesten und ausgelaßensten Örter begleiten: das freche, eigennützige niederträchtige Betragen solcher feilen Buhldirnen müßte auf sein zartes noch unverdorbenes Herz ganz gewiß einen unauslöschlichen Eindruck machen, den keine Verführung jemals auslöschen könnte.

v. Gröningseck. Sie können vielleicht Recht haben: – bey alle dem aber scheint mir die Kur verdammt scharf.

Magister. Um so viel sicherer ist sie auch. – – Alle andre Präservativmittel kann ein Glas Wein, ein ausschweifender Freund, ein unglücklicher Augenblick über einen Haufen werfen. – Und ganz sicher zu gehn, hab ich noch ein andres Recept im Hinterhalt.

v. Gröningseck. Nemlich?

Magister. Das erste beste Lazareth oder Siechhaus. – Den jungen Herrn, wenn er obige Scene gehörig verdaut, und selbst darüber nachgedacht hat, in diesen Wohnplatz des Jammers geführt, ihm die erbärmlichen scheuslichen Folgen eines einzigen Fehltritts, einer einzigen Ausschweifung dieser Art anschauend vor Augen gestellt– – wen das nicht in Schranken zurückhält, der muß weder Kopf noch Herz haben.

v. Gröningseck. Sie werden warm, Herr Magister: und das gefällt mir: – ich haß alles, was Pflegma heißt; – verzeihn sie, wenn mein erstes Betragen vorhin ihren Verdiensten nicht angemessen war: – Wir müssen uns mehr sprechen; schlagen sie ein! (Magister gibt ihm treuherzig die Hand, indem kommen Frau Humbrecht und Evchen.)

Fr. Humbrecht. Ey guck doch! – wie artig! schon so bekannt?

v. Gröningseck. Jetzt kenn ich ihren Herr Vetter: vorher nahm mich das Kleid wider ihn ein. – Guten Morgen Mademoiselle Evchen!

Magister. Schon ausgeschlafen Bäschen? (Evchen schlägt erröthend die Augen nieder, verneigt sich und setzt sich hin zu arbeiten.) – So rothe Augen! haben sie geweint?

Fr. Humbrecht. Nicht doch! – er weiß ja wohl Herr Vetter, wer selten reitet, dem – – sie ist halt das Aufbleiben nicht gewohnt und das ist alles.

v. Gröningseck. Es sollte mir wahrhaftig sehr leid thun, wenn ich – wenn der Ball –

Evchen (unterbricht ihn.) Sie sind sehr gütig Herr Lieutenant.

Fr. Humbrecht. So sey doch nicht so mürrisch! ich weiß gar nicht wie sie mir heut vorkommt; wenn ich nicht immer um sie gewesen wäre, wenn ich nicht wüßte, daß sie alles Liebs und Guts genossen hat, so sollt ich Wunder denken, was ihr vor ein Unglück widerfahren ist.

v. Gröningseck. Wenn ich etwas zu ihrer Beruhigung – Zerstreuung wollt ich sagen! beytragen kann, Mademoiselle! – so solls mir eine Freude seyn.

Evchen (mit gezwungenem Lächeln.) Ich wills erwarten Herr Lieutenant, ob sie Wort halten.

v. Gröningseck. Ganz gewiß! (sieht auf die Uhr.) – Pardieu! kaum noch Zeit auf die Parade zu springen!

Magister. Ich begleite sie. – für heute scheint mir die Jungfer Baas doch nicht zur Musik gestimmt.

Evchen. Nein, heute nicht! – ich hab Kopfweh. (Lieutenant und Magister ab.)

Fr. Humbrecht. Ey Mädel! Mädel! ich bitt dich um Gottswillen, häng mir den Kopf nicht so – wenn dein Vater wiederkommt – du weist wie er ist – und sieht dich so niedergeschlagen, so geht der Tanz wieder von vornen an.

Evchen. Sie hat gut reden Mutter! – (mit einem tiefen Seufzer) – wär sie nicht eingeschlafen! – so –

Fr. Humbrecht. Fort! – was so?

Evchen. So wär sie vielleicht nicht muntrer als ich, oder ich so munter als sie.

Fr. Humbrecht. Kindskopf! das Bischen Schlaf wirds ihm wohl thun! – Du sagtest ja selbst, ich hätte nicht lang geschlafen? –

Evchen. Nein, nicht lang: und doch länger als –

Fr. Humbrecht. Bald werd ich wild: – soll ich dir jedes Wort aus dem Hals heraushaspeln? – (ihr nachspottend) nein, nicht lang; und doch länger als – was denn als – –

Evchen. Ey nun, als ich! ists etwa nicht wahr?

Fr. Humbrecht. Dachte Wunder, was herauskommen würde! – Schau, Evchen! thus deiner Mutter zu gefallen, und mach kein finster Gesicht so: dein Vater hat sich so schon merken lassen, daß er glaubt, ich wär mehr meintwegen als deintwegen auf den Ball gegangen; findet er dich nun vollends so niedergeschlagen, so muß ich gewiß alles allein fressen. Nicht wahr Evchen, du thust mirs zu lieb? wenns dir auch nicht drum ist.

Evchen. Ich will thun, was ich kann.

Fr. Humbrecht. Potztausend noch eins! – weist du nicht, wo meine Tobacksbüchs hingekommen ist?

Evchen. Nein! – die silberne mit vergoldeten Reifen?

Fr. Humbrecht. Die nemliche; dein Vater gab mir sie noch in unserm Brautstand: ich nähm nicht weiß was –

Evchen. Den Morgen hatte sie sie noch in der Hand, das sah ich.

Fr. Humbrecht. Ach Gott! – wenn ich sie verlohren hätte! – den Augenblick will ich gehn und noch einmal alles durchsuchen: find ich sie nicht, so laß ich sie gleich nach dem Essen ausrufen. – (lauft ab.)

Evchen. Arme Mutter! jammert um eine Dose! – Wenn dies der gröste Verlust wäre! – – Fataler Augenblick! unglücklicher Ball! – Wie tief bin ich gefallen! – Mir selbst zur Last! – Die Zöpf hätt ich mir beym Aufbinden herabreißen mögen, wenn ich mich nicht vor der Magd geschämt hätte. – Dürft ich nur niemanden ansehn, säh mir nur kein Mensch in die Augen! – – Wenn die Hofnung nicht wär – die einige Hofnung! – er schwur mirs zwey, dreymal! – Sey ruhig mein Herz! – – (erschrocken) Gott! ich hör meinen Vater; – jedes Wort von ihm wird mir ein Dolchstich seyn! – Wie er lärmt! Himmel! sollt er meinen Fehltritt schon entdeckt haben? (kehrt das Gesicht ängstlich von der Thüre weg, und verbirgts mit den Händen.)

Humbrecht (zu seiner Frau, die mit ihm hereinkommt.) Das Lumpengezeug! der verdammte Nickel! – Den Augenblick soll sie mir aus dem Haus: hasts gehört, Frau? den Augenblick! sag ich. Keinen Bissen kann ich in Ruhe fressen, so lang die Gurr noch unter einem Dach mit mir ist: – Wirsts ihr bald ankündigen oder nicht? wenn ichs ihr selbst sagen muß, so steh ich nicht dafür, daß ich sie nicht mit dem Kopf zuerst die Treppen hinunterschmeiß.

Evchen. Gott! das gilt mir!

Fr. Humbrecht. So sag mir doch erst – ich muß ihr doch auch eine Ursache sagen können – du hast ja doch die ganze Zeit über nichts über sie zu klagen gehabt.

Humbrecht. Ursache? Die soll ich dir sagen? – Schäm dich ins Herz hinein so eine schlechte Hausmutter zu seyn, nicht bessere Ordnung zu halten! – weil sie ein Nickel ist, eine Hure! das ist die Ursache. –

Evchen (aufspringend.) Länger halt ichs nicht aus! (ihrem Vater, der sie noch nicht gesehn plötzlich zu Füßen fallend.) Vater! liebster Vater! Vergebung – (verstummt und läßt den Kopf zur Erde sinken.)

Fr. Humbrecht (ihr nach dem Arm greifend) Ey Mädel! was ist dir? – träumst? – Steh doch auf! – Ich glaube gar, sie meynt, du wärst so böse auf sie –

Humbrecht. Der Narr – hat sie mich nicht erschreckt! – vor mir da niederzufallen wie ein Sack: – steh auf! steh auf! – (hilft ihr in die Höh.) – Die Grimassen kann ich nicht leiden, dies weißt du: – Ich hatte mir zwar freilich vorgenommen dich tüchtig auszufilzen, aber – es ist grad, als wenn ich kein Quentchen Gall mehr im Leib hätte – der Schrecken hat, glaub ich, alles verwischt. – Nu –! dankst mir nicht einmal für meine Nachsicht? – Diesmal sollst noch so durchschlupfen; – Wenns aber noch einmal geschieht, Blitz und Donner! nur noch einmal, so tret ich dir alle Ribben im Leib entzwey, daß dir der Lusten zum drittenmal vergehen soll.

Evchen. Ich schwörs ihm, Vater! hätt ichs noch zu thun, ich thäts gewiß nicht.

Humbrecht. Nicht? thätsts nicht? – so gefällst du mir Evchen! Das war brav: es reut dich also? – komm her, daß ich dich küße dafür – Was! du wirst roth, wenn dich dein Vater küßt! – solltst du wohl schon so verdorben – doch, ich vergaß, daß die Mamsell auf dem Ball war; – in Zukunft bleib hübsch zu Haus; der Ball wird doch Ball bleiben, ohne dich –

Evchen. Mamsell!

Fr. Humbrecht. So geh doch auch nicht so gar unbarmherzig mit ihr um – sieh, wie sie zittert –

Humbrecht (Evchen bey der Hand fassend.) Fiel dir das Wort auf, meine Tochter? das freut mich! – man muß nie mehr seyn wollen, als man ist. – Ja so Frau! das nöthigst hätten wir bald verplaudert: daß du es denn nur weißt, wenn ichs dir doch erst sagen muß – die schöne Jungfer dahinten hat sich von einem Serjeanten eins anmessen lassen, die Mutter weiß drum und läßt alles so hingehen: die ganze Nachbarschaft hält sich drüber auf. – Jetzt marsch! und kündig ihnen das Logis auf: du weißt jetzt, warum? – Wollte eher den ganzen Hinterbau Zeitlebens leer stehn lassen, Ratten, Mäusen und Nachteulen Preiß geben, eh ich solch Lumpengesindel beherbergen wollt. – Meine eigne Tochter litt ich keine Stund mehr im Haus, wenn sie sich so weit vergieng. – (Fr. Humbrecht geht ab, er ruft ihr nach) Noch vor Sonnenuntergang sollen sie aufpacken, sonst schmeiß ich alles zum Fenster hinaus, und sie beyde, alt und jung hinter drein! – (gelaßen zur Tochter.) Du, laß den Tisch zurecht machen. (ab.)

Evchen. Seine eigne Tochter! in den paar Worten liegt mein ganzes Verdammungsurtheil! – Welch ein Schatz ist doch ein gutes Gewissen! – (sich im Abgehn vor die Brust schlagend.)Das verlohren – alles verlohren! – (ab.)


 << zurück weiter >>