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(In Sachs Werkstatt. Kurzer Raum. Im Hintergrund die halb geöffnete Ladentür, nach der Straße führend. Rechts zur Seite eine Kammertür. Links das nach der Gasse gehende Fenster, mit Blumenstökken davor, zur Seite ein Werktisch. Sachs sitzt auf einem großen Lehnstuhle an diesem Fenster, durch welches die Morgensonne hell auf ihn hereinscheint:
Er hat vor sich auf dem Schoße einen großen Folianten und ist im Lesen vertieft.
David zeigt sich, von der Straße kommend, unter der Ladentür, er lugt herein, und da er Sachs gewahrt, fährt er zurück. Er versichert sich aber, daß Sachs ihn nicht bemerkt, schlüpft herein, stellt seinen mitgebrachten Korb auf den hinteren Werktisch beim Laden und untersucht seinen Inhalt:
Er holt Blumen und Bänder und kramt sie auf dem Tische aus, endlich findet er auf dem Grunde eine Wurst und einen Kuchen und läßt sich sogleich an, diese zu verzehren, als Sachs, der ihn fortwährend nicht beachtet, mit starkem Geräusch eines der großen Blätter des Folianten umwendet.)
David
(fährt zusammen, verbirgt das Essen und wendet sich zurück):
Gleich, Meister! Hier!
Die Schuh' sind abgegeben
in Herrn Beckmessers Quartier.
Mir war's, als rieft Ihr mich eben?
(Beiseite.)
Er tut, als säh' er mich nicht?
Da ist er bös', wenn er nicht spricht! –
(Er nähert sich sehr demütig langsam Sachs.)
Ach, Meister, wollt mir verzeih'n!
Kann ein Lehrbub' vollkommen sein?
Kenntet Ihr die Lene wie ich,
dann vergäbt Ihr mir sicherlich.
Sie ist so gut, so sanft für mich
und blickt mich oft an so innerlich.
Wenn Ihr mich schlagt, streichelt sie mich
und lächelt dabei holdseliglich.
Muß ich karieren, füttert sie mich
und ist in allem gar liebelich.
Nur gestern, weil der Junker versungen,
hab ich den Korb ihr nicht abgerungen.
Das schmerzte mich; und da ich fand,
daß nachts einer vor dem Fenster stand
und sang zu ihr und schrie wie toll,
da hieb ich ihm den Buckel voll.
Wie käm' nun da was Großes drauf an?
Auch hat's uns'rer Liebe gar wohl getan.
Die Lene hat mir eben alles erklärt
und zum Fest Blumen und Bänder beschert.
(Er bricht in größere Angst aus.)
Ach, Meister, sprecht doch nur ein Wort!
(Beiseite.) Hätt' ich nur die Wurst und den Kuchen erst fort!
Sachs
(hat unbeirrt immer weitergelesen. Jetzt schlägt er den Folianten zu. Von dem Geräusch erschrickt David so, daß er strauchelt und unwillkürlich vor Sachs auf die Knie fällt. Sachs sieht über das Buch, das er noch auf dem Schoße behält, hinweg, über David, welcher immer auf den Knien furchtsam nach ihm aufblickt, hin und heftet seinen Blick unwillkürlich auf den hinteren Werktisch).
(Sehr leise):
Blumen und Bänder seh' ich dort!
Schaut hold und jugendlich aus!
Wie kamen mir die ins Haus?
David
(verwundert über Sachs' Freundlichkeit):
Ei, Meister! ‘s ist heut festlicher Tag;
da putzt sich jeder, so schön er mag.
Sachs
(immer leise, wie für sich):
Wär' heut Hochzeitsfest?
David: Ja, käm's erst so weit, daß David die Lene freit!
Sachs
(immer wie zuvor):
‘s war Polterabend, dünkt mich doch?
David
(für sich):
Polterabend? – Da krieg' ich's wohl noch?
(Laut.) Verzeiht das, Meister! Ich bitt', vergeßt!
Wir feiern ja heut' Johannisfest.
Sachs: Johannisfest?
David
(beiseite):
Hört er heut' schwer?
Sachs: Kannst du dein Sprüchlein? Sag es her!
David
(ist allmählich zu stehen gekommen):
Mein Sprüchlein? Denk', ich kann es gut. (Beiseite.)
‘s setzt nichts! Der Meister ist wohlgemut! –
(Stark und grob.)
»Am Jordan Sankt Johannes stand« –
Sachs: Wa – was?
David
(lächelnd):
Verzeiht, das Gewirr! Mich machte der Polterabend irr.
(Er sammelt sich und stellt sich gehörig auf)
»Am Jordan Sankt Johannes stand,
all' Volk der Welt zu taufen;
kam auch ein Weib aus fernem Land,
von Nürnberg gar gelaufen;
sein Söhnlein trug's zum Uferrand,
empfing da Tauf' und Namen;
doch als sie dann sich heimgewandt,
nach Nürnberg wieder kamen,
in deutschem Land gar bald sich fand's,
daß wer am Ufer des Jordans
Johannes war genannt,
an der Pegnitz hieß der Hans.«
(Sich besinnend.)
Hans? Hans!
Herr! Meister!
(Feurig.) ‘s ist heut Eu'r Namenstag!
Nein! Wie man so was vergessen mag!
Hier! Hier, die Blumen sind für Euch,
die Bänder – und was nur alles noch gleich?
Ja, hier schaut! Meister, herrlicher Kuchen!
Möchtet Ihr nicht auch die Wurst versuchen?
Sachs
(immer ruhig, ohne seine Stellung zu verändern):
Schön Dank, mein Jung', behalt's für dich!
Doch heut auf die Wiese begleitest du mich.
Mit Blumen und Bändern putz' dich fein;
sollst mein stattlicher Herold sein.
David: Sollt' ich nicht lieber Brautführer sein?
Meister, ach Meister! Ihr müßt wieder frein!
Sachs: Hätt'st wohl gern eine Meist'rin im Haus?
David: Ich mein', es säh' doch viel stattlicher aus.
Sachs: Wer weiß! Kommt Zeit, kommt Rat.
David: ‘s ist Zeit!
Sachs: Dann wär' der Rat wohl auch nicht weit?
David: Gewiß! Gehn schon Reden hin und wieder,
den Beckmesser, denk' ich, sängt Ihr doch nieder?
Ich mein', daß der heut' sich nicht wichtig macht.
Sachs: Wohl möglich! Hab mir's auch schon bedacht. –
Jetzt geh' und stör' mir den Junker nicht!
Komm wieder, wenn du schön gericht't.
David
(küßt Sachs gerührt die Hand):
So war er noch nie, wenn sonst auch gut!
Kann mir gar nicht mehr denken, wie der Knieriemen tut!
(Er packt alles zusammen und geht in die Kammer ab.)
Sachs
(immer noch den Folianten auf dem Schoße, lehnt sich, mit untergestütztem Arme, sinnend darauf; es scheint, daß ihn das Gespräch mit David gar nicht aus seinem Nachdenken gestört hat):
Wahn! Wahn! Überall Wahn!
Wohin ich forschend blick'
in Stadt- und Weltchronik,
den Grund mir aufzufinden,
warum gar bis aufs Blut
die Leut' sich quälen und schinden
in unnütz toller Wut!
Hat keiner Lohn noch Dank davon:
in Flucht geschlagen, wähnt er zu jagen.
Hört nicht sein eigen Schmerzgekreisch,
wenn er sich wühlt ins eig'ne Fleisch,
wähnt Lust sich zu erzeigen.
Wer gibt den Namen an?
‘s ist halt der alte Wahn,
ohn' den nichts mag geschehen,
‘s mag gehen oder stehen!
Steht's wo im Lauf,
er schläft nur neue Kraft sich an;
gleich wacht er auf,
dann schaut, wer ihn bemeistern kann!
Wie friedsam treuer Sitten
getrost in Tat und Werk,
liegt nicht in Deutschlands Mitten
mein liebes Nürenberg!
(Er blickt mit freudiger Begeisterung ruhig vor sich hin.)
Doch eines Abends spat,
ein Unglück zu verhüten,
bei jugendheißen Gemüten,
ein Mann weiß sich nicht Rat;
ein Schuster in seinem Laden
zieht an des Wahnes Faden.
Wie bald auf Gassen und Straßen
fängt der da an zu rasen!
Mann, Weib, Gesell und Kind
fällt sich da an wie toll und blind;
und will's der Wahn gesegnen,
nun muß es Prügel regnen,
mit Hieben, Stoß' und Dreschen
den Wutesbrand zu löschen.
Gott weiß, wie das geschah? –
Ein Kobold half wohl da!
Ein Glühwurm fand sein Weibchen nicht;
der hat den Schaden angericht't.
Der Flieder war's:
Johannisnacht. –
Nun aber kam Johannistag! –
Jetzt schau'n wir, wie Hans Sachs es macht,
daß er den Wahn fein lenken kann,
ein edler' Werk zu tun.
Denn läßt er uns nicht ruh'n
selbst hier in Nürenberg,
so sei's um solche Werk',
die selten vor gemeinen Dingen
und nie ohn' ein'gen Wahn gelingen.
(Walther tritt unter der Kammertür ein. Er bleibt einen Augenblick dort stehen und blickt auf Sachs. Dieser wendet sich und läßt den Folianten auf den Boden gleiten.)
Sachs: Grüß Gott, mein Junker! Ruhtet Ihr noch? Ihr wachtet lang:
nun schlieft Ihr doch?
Walther
(sehr ruhig):
Ein wenig, aber fest und gut.
Sachs: So ist Euch nun wohl baß zumut?
Walther
(immer sehr ruhig):
Ich hatt' einen wunderschönen Traum.
Sachs: Das deutet Gut's! Erzählt mir den.
Walther: Ihn selbst zu denken wag' ich kaum; ich fürcht' ihn mir vergeh'n zu sehn.
Sachs: Mein Freund, das grad' ist Dichters Werk,
daß er sein Träumen deut' und merk'.
Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn
wird ihm im Traume aufgetan:
all Dichtkunst und Poeterei
ist nichts als Wahrtraumdeuterei.
Was gilt's, es gab der Traum Euch ein,
wie heut' Ihr sollet Meister sein?
Walther
(sehr ruhig):
Nein, von der Zunft und ihren Meistern
wollt' sich mein Traumbild nicht begeistern.
Sachs: Doch lehrt' es wohl den Zauberspruch, mit dem Ihr sie gewännet?
Walther
(etwas lebhafter):
Wie wähnt Ihr doch nach solchem Bruch, wenn Ihr noch Hoffnung kennet!
Sachs: Die Hoffnung laß ich mir nicht mindern,
nichts stieß sie noch über'n Haufen.
Wär's nicht, glaubt, statt Eure Flucht zu hindern,
wär' ich selbst mit Euch fortgelaufen!
Drum bitt ich, laßt den Groll jetzt ruh'n;
Ihr habt's mit Ehrenmännern zu tun,
die irren sich und sind bequem,
daß man auf ihre Weise sie nähm'.
Wer Preise erkennt und Preise stellt,
der will am End' auch, daß man ihm gefällt.
Eu'r Lied, das hat ihnen bang gemacht;
und das mit Recht:
denn wohlbedacht,
mit solchem Dicht'- und Liebesfeuer
verführt man wohl Töchter zum Abenteuer;
doch für liebseligen Ehestand
man andre Wort' und Weisen fand.
Walther
(lächelnd):
Die kenn' ich nun auch seit dieser Nacht:
es hat viel Lärm auf der Gasse gemacht.
Sachs
(lachend):
Ja, ja! Schon gut! Den Takt dazu
hörtet Ihr auch! – Doch, laßt dem Ruh'
und folgt meinem Rate, kurz und gut,
faßt zu einem Meisterliede Mut.
Walther: Ein schönes Lied, ein Meisterlied, wie faß ich da den Unterschied?
Sachs
(zart):
Mein Freund! In holder Jugendzeit,
wenn uns von mächt'gen Trieben
zum sel'gen ersten Lieben
die Brust sich schwellet hoch und weit,
ein schönes Lied zu singen
mocht' vielen da gelingen:
der Lenz, der sang für sie.
Kam Sommer, Herbst und Winterzeit,
viel Not und Sorg' im Leben,
manch ehlich Glück daneben,
Kindtauf', Geschäfte, Zwist und Streit:
denen's dann noch will gelingen,
ein schönes Lied zu singen,
seht, Meister nennt man die.
Walther: Ich lieb' ein Weib und will es frein,
mein dauernd Ehgemahl zu sein.
Sachs: Die Meisterregeln lernt beizeiten,
daß sie getreulich Euch geleiten
und helfen wohl bewahren,
was in der Jugend Jahren
mit holdem Triebe Lenz und Liebe
Euch unbewußt ins Herz gelegt,
daß Ihr das unverloren hegt.
Walther: Stehn sie nun in so hohem Ruf,
wer war es, der die Regeln schuf?
Sachs: Das waren hochbedürft'ge Meister,
von Lebensmüh' bedrängte Geister;
in ihrer Nöten Wildnis
sie schufen sich ein Bildnis,
daß ihnen bliebe der Jugendliebe
ein Angedenken klar und fest,
dran sich der Lenz erkennen läßt.
Walther: Doch, wem der Lenz schon lang entronnen,
wie wird er dem im Bild gewonnen?
Sachs: Er frischt es an, so oft er kann!
Drum möcht' ich, als bedürft'ger Mann,
will ich die Regeln Euch lehren,
sollt Ihr sie mir neu erklären.
Seht, hier ist Tinte, Feder, Papier:
ich schreib's Euch auf, diktiert Ihr mir!
Walther: Wie ich's begänne, wüßt' ich kaum.
Sachs: Erzählt mir Euren Morgentrauml
Walther: Durch Eurer Regeln gute Lehr' ist mir's, als ob verwischt er wär'.
Sachs: Grad' nehmt die Dichtkunst jetzt zur Hand; mancher durch sie das Verlorene fand.
Walther: So wär's nicht Traum, doch Dichterei?
Sachs: ‘s sind Freunde beid', steh'n gern sich bei.
Walther: Wie fang' ich nach der Regel an?
Sachs: Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann.
Gedenkt des schönen Traums am Morgen;
fürs and're laßt Hans Sachs nur sorgen!
Walther
(hat sich zu Sachs am Werktisch gesetzt, wo dieser das Gedicht Walthers nachschreibt. Er beginnt sehr leise, wie heimlich):
»Morgenlich leuchtend in rosigem Schein,
von Blüt' und Duft geschwellt die Luft,
voll aller Wonnen, nie ersonnen,
ein Garten lud mich ein, Gast ihm zu sein.«
Sachs: Das war ein Stollen:
nun achtet wohl,
daß ganz ein gleicher ihm folgen soll.
Walther: Warum ganz gleich?
Sachs: Damit man seh',
Ihr wähltet Euch gleich ein Weib zur Eh'.
Walther: »Wonnig entragend dem seligen Raum
bot goldner Frucht heilsaft'ge Wucht
mit holdem Prangen dem Verlangen
an duft'ger Zweige Saum herrlich ein Baum.«
Sachs: Ihr schlosset nicht im gleichen Ton.
Das macht den Meistern Pein;
doch nimmt Hans Sachs die Lehr' davon,
im Lenz wohl müss' es so sein. –
Nun stellt mir einen Abgesang.
Walther: Was soll nun der?
Sachs: Ob Euch gelang,
ein rechtes Paar zu finden,
das zeigt sich [jetzt] an den Kinden.
Den Stollen ähnlich, doch nicht gleich,
an eig'nen Reim' und Tönen reich;
daß man's recht schlank und selbstig find',
das freut die Eltern an dem Kind,
und Euren Stollen gibt's den Schluß,
daß nichts davon abfallen muß.
Walther: »Sei Euch vertraut,
welch hehres Wunder mir gescheh'n:
an meiner Seite stand ein Weib,
so hold und schön ich nie geseh'n;
gleich einer Braut
umfaßte sie sanft meinen Leib;
mit Augen winkend,
die Hand wies blinkend,
was ich verlangend begehrt,
die Frucht so hold und wert
vom Lebensbaum.«
Sachs
(gerührt):
Das nenn' ich mir einen Abgesang!
Seht, wie der ganze Bar gelang.
Nur mit der Melodei seid Ihr ein wenig frei;
doch sag' ich nicht, daß das ein Fehler sei;
nur ist's nicht leicht zu behalten,
und das ärgert uns're Alten! –
Jetzt richtet mir noch einen zweiten Bar,
damit man merk', welch' der erste war.
Auch weiß ich noch nicht, so gut Ihr's gereimt,
was Ihr gedichtet, was Ihr geträumt.
Walther: »Abendlich glühend in himmlischer Pracht
verschied der Tag, wie dort ich lag;
aus ihren Augen Wonne zu saugen,
Verlangen einz'ger Macht in mir nur wacht'.
Nächtlich umdämmert der Blick mir sich bricht!
Wie weit so nah' beschienen da
zwei lichte Sterne aus der Ferne
durch schlanker Zweige Licht hehr mein Gesicht.
Lieblich ein Quell
auf stiller Höhe dort mir rauscht;
jetzt schwellt er an sein hold' Getön',
so stark und süß ich's nie erlauscht:
leuchtend und hell, wie strahlten die Sterne da schön;
zu Tanz und Reigen in Laub und Zweigen
der gold'nen sammeln sich mehr,
statt Frucht ein Sternenheer
im Lorbeerbaum.« –
Sachs
(sehr gerührt):
Freund!
Euer Traumbild wies Euch wahr;
gelungen ist auch der zweite Bar.
Wolltet Ihr noch einen dritten dichten?
Des Traumes Deutung würd' er berichten.
Walther
(steht schnell auf):
Wo fänd' ich die? Genug der Wort'!
Sachs
(erhebt sich gleichfalls und tritt mit freundlicher Entschiedenheit zu Walther):
Dann Tat und Wort am rechten Ort!
Drum bitt' ich, merkt mir wohl die Weise:
gar lieblich drin sich's dichten läßt:
und singt Ihr sie im weit'ren Kreise,
so haltet mir auch das Traumbild fest.
Walther: Was habt Ihr vor?
Sachs: Eu'r treuer Knecht
fand sich mit Sack und Tasch' zurecht;
die Kleider, drin am Hochzeitfest
daheim Ihr wolltet prangen,
die ließ er her zu mir gelangen.
Ein Täubchen zeigt' ihm wohl das Nest,
darin sein Junker träumt!
Drum folgt mir jetzt ins Kämmerlein!
Mit Kleiden, wohlgesäumt,
sollen beide wir gezieret sein,
wenn's Stattliches zu wagen gilt.
Drum kommt, seid Ihr gleich mir gesinnt.
(Walther schlägt in Sachsens Hand ein; so geleitet ihn dieser ruhig festen Schrittes zur Kammer, deren Tür er ihm ehrerbietig öffnet und dann ihm folgt.)
(Beckmesser. Sachs. Man gewahrt Beckmesser, welcher draußen vor dem Laden erscheint, in großer Aufregung hereinlugt und, da er die Werkstatt leer findet, hastig eintritt Er ist reich aufgeputzt, aber in sehr leidendem Zustande. Er blickt sich erst unter der Tür nochmals genau in der Werkstatt um, dann hinkt er vorwärts, zuckt aber zusammen und streicht sich den Rükken. Er macht wieder einige Schritte, knickt aber mit den Knien und streicht nun diese. Er setzt sich auf den Schusterschemel, fährt aber schnell schmerzhaft wieder auf. Er betrachtet sich den Schemel und gerät dabei in immer aufgeregteres Nachsinnen. Er wird von den verdrießlichsten Erinnerungen und Vorstellungen gepeinigt; immer unruhiger beginnt er sich den Schweiß von der Stirne zu wischen. Er hinkt immer lebhafter umher und starrt dabei vor sich hin. Als ob er von allen Seiten verfolgt wäre, taumelt er fliehend hin und her. Wie um nicht umzusinken, hält er sich an dem Werktisch, zu dem er hin geschwankt war, an und starrt vor sich hin.
Matt und verzweiflungsvoll sieht er um sich; sein Blick fällt endlich durch das Fenster auf Pogners Haus; er hinkt mühsam an dasselbe heran, und, nach dem gegenüberliegenden Fenster ausspähend, versucht er, sich in die Brust zu werfen, als ihm sogleich der Ritter Walther einfällt. Ärgerliche Gedanken entstehen dadurch, gegen die er mit schmeichelndem Selbstgefühl anzukämpfen sucht. Die Eifersucht übermannt ihn; er schlägt sich vor den Kopf. Er glaubt die Verhöhnung der Weiber und Buben auf der Gasse zu vernehmen, wendet sich wütend ab und schmeißt das Fenster zu.
Sehr verstört wendet er sich mechanisch wieder dem Werktische zu, indem er vor sich hinbrütend nach einer neuen Weise zu suchen scheint. Sein Blick fällt auf das von Sachs zuvor beschriebene Papier; er nimmt es neugierig auf, überfliegt es mit wachsender Aufregung und bricht endlich wütend aus.)
Beckmesser: Ein Werbelied! Von Sachs! Ist's wahr?
Ha! Jetzt wird mir alles klar!
(Da er die Kammertür gehen hört, fährt er zusammen und steckt das Papier eilig in die Tasche.)
Sachs
(im Festgewande, tritt ein, kommt vor und hält an, als er Beckmesser gewahrt):
Sieh da, Herr Schreiber! Auch am Morgen?
Euch machen die Schuh' doch nicht mehr Sorgen?
Beckmesser: Zum Teufel! So dünn war ich noch nie beschuht!
Fühl' durch die Sohl' den kleinsten Kies!
Sachs: Mein Merkersprüchlein wirkte dies,
trieb sie mit Merkerzeichen so weich.
Beckmesser: Schon gut der Witz! Und genug der Streich'!
Glaubt mir, Freund Sachs, jetzt kenn' ich Euch!
Der Spaß von dieser Nacht, der wird Euch noch gedacht.
Daß ich Euch nur nicht im Wege sei,
schuft Ihr gar Aufruhr und Meuterei!
Sachs: ‘s war Polterabend, laßt Euch bedeuten;
Eure Hochzeit spukte unter den Leuten:
je toller es da hergeh', je besser bekommt's der Eh'.
Beckmesser
(wütend):
O Schuster, voll von Ränken
und pöbelhaften Schwänken,
du warst mein Feind von je:
nun hör, ob hell ich seh'!
Die ich mir auserkoren,
die ganz für mich geboren,
zu aller Witwer Schmach,
der Jungfer stellst du nach.
Daß sich Herr Sachs erwerbe
des Goldschmieds reiches Erbe,
im Meisterrat zur Hand
auf Klauseln er bestand,
ein Mägdlein zu betören,
das nur auf ihn sollt' hören
und, andern abgewandt,
zu ihm allein sich fand.
Darum! Darum!
Wär' ich so dumm?
Mit Schreien und mit Klopfen
wollt' er mein Lied zustopfen,
daß nicht dem Kind werd' kund,
wie auch ein and'rer bestund!
Ja ja! Haha! Hab ich dich da?
Aus seiner Schusterstuben
hetzt' endlich er den Buben
mit Knüppeln auf mich her,
daß meiner los er wär'!
Au au! Au au! Wohl grün und blau,
zum Spott der allerliebsten Frau,
zerschlagen und zerprügelt,
daß kein Schneider mich aufbügelt!
Gar auf mein Leben war's angegeben!
Doch kam ich noch so davon,
daß ich die Tat Euch lohn'!
Zieht heut' nur aus zum Singen,
merkt auf, wie's mag gelingen;
bin ich gezwackt auch und zerhackt,
Euch bring' ich doch sicher aus dem Takt!
Sachs: Gut Freund, Ihr seid in argem Wahn!
Glaubt, was Ihr wollt, daß ich getan,
gebt Eure Eifersucht nur hin;
zu werben kommt mir nicht in Sinn.
Beckmesser: Lug und Trug! Ich kenn' es besser.
Sachs: Was fällt Euch nur ein, Meister Beckmesser?
Was ich sonst im Sinn, geht Euch nichts an.
Doch glaubt, ob der Werbung seid Ihr im Wahn.
Beckmesser: Ihr sängt heut nicht?
Sachs: Nicht zur Wette.
Beckmesser: Kein Werbelied?
Sachs: Gewißlich, nein!
Beckmesser: Wenn ich aber drob ein Zeugnis hätte? (Er greift in die Tasche.)
Sachs
(blickt auf den Werktisch):
Das Gedicht? Hier ließ ich's. Stecktet Ihr's ein?
Beckmesser
(das Blatt hervorziehend):
Ist das Eure Hand?
Sachs: Ja – war es das?
Beckmesser: Ganz frisch noch die Schrift?
Sachs: Und die Tinte noch naß!
Beckmesser: ‘s wär' wohl gar ein biblisches Lied?
Sachs: Der fehlte wohl, wer darauf riet.
Beckmesser: Nun denn?
Sachs: Wie doch?
Beckmesser: Ihr fragt?
Sachs: Was noch?
Beckmesser: Daß Ihr mit aller Biederkeit
der ärgste aller Spitzbuben seid!
Sachs: Mag sein! Doch hab ich noch nie entwandt,
was ich auf fremden Tischen fand –
und daß man von Euch auch nicht Übles denkt,
behaltet das Blatt, es sei Euch geschenkt.
Beckmesser
(in freudigem Schreck aufspringend):
Herrgott! ...
Ein Gedicht? ... Ein Gedicht von Sachs!
Doch halt, daß kein neuer Schad' mir erwachs'!
Ihr habt's wohl schon recht gut memoriert?
Sachs: Seid meinethalb doch nur unbeirrt!
Beckmesser: Ihr laßt mir das Blatt?
Sachs: Damit Ihr kein Dieb.
Beckmesser: Und mach' ich Gebrauch?
Sachs: Wie's Euch belieb'.
Beckmesser: Doch sing' ich das Lied?
Sachs: Wenn's nicht zu schwer!
Beckmesser: Und wenn ich gefiel'?
Sachs: Das ... wunderte mich sehr!
Beckmesser
(ganz zutraulich):
Da seid Ihr nun wieder zu bescheiden:
ein Lied von Sachs,
(gleichsam pfeifend) das will was bedeuten!
Und seht nur, wie mir's ergeht,
wie's mit mir Ärmsten steht!
Erseh' ich doch mit Schmerzen,
das Lied, das nachts ich sang –
dank Euren lust'gen Scherzen! –
es machte der Pognerin bang'.
Wie schaff' ich mir nun zur Stelle
ein neues Lied herzu?
Ich armer, zerschlag'ner Geselle,
wie fänd' ich heut dazu Ruh'?
Werbung und ehlich Leben,
ob das mir Gott beschied,
muß ich nun grad aufgeben,
hab ich kein neues Lied.
Ein Lied von Euch, des bin ich gewiß,
mit dem besieg' ich jed' Hindernis!
Soll ich das heute haben,
vergessen, begraben
sei Zwist, Hader und Streit
und was uns je entzweit.
(Er blickt seitwärts in das Blatt: plötzlich runzelt sich seine Stirn.)
Und doch! Wenn's nur eine Falle wär'?
Noch gestern wart Ihr mein Feind:
Wie käm's, daß nach so großer Beschwer'
Ihr's freundlich heut' mit mir meint?
Sachs: Ich macht' Euch Schuh' in später Nacht:
hat man je so einen Feind bedacht?
Beckmesser: Ja ja! Recht gut! Doch eines schwört:
wo und wie Ihr das Lied auch hört,
daß nie Ihr Euch beikommen laßt,
zu sagen, das Lied sei von Euch verfaßt.
Sachs: Das schwör' ich und gelob' es Euch,
nie mich zu rühmen, das Lied sei von mir.
Beckmesser
(sich vergnügt die Hände reibend):
Was will ich mehr? Ich bin geborgen!
Jetzt braucht sich Beckmesser nicht mehr zu sorgen!
Sachs: Doch, Freund, ich führ's Euch zu Gemüte
und rat' es Euch in aller Güte:
studiert mir recht das Lied!
Sein Vortrag ist nicht leicht:
ob Euch die Weise geriet
und Ihr den Ton erreicht!
Beckmesser: Freund Sachs, Ihr seid ein guter Poet;
doch was Ton und Weise betrifft,
gesteht, da tut mir's keiner vor!
Drum spitzt nur fein das Ohr.
Und:
»Beckmesser, keiner besser!«
darauf macht Euch gefaßt,
wenn Ihr mich ruhig singen laßt.
Doch nun memorieren,
schnell nach Haus;
ohne Zeit zu verlieren
richt' ich das aus.
Hans Sachs, mein Teurer!
ich hab Euch verkannt;
durch den Abenteurer
war ich verrannt:
(sehr zutraulich) So einer fehlte uns bloß!
Den wurden wir Meister doch los!
Doch mein Besinnen
läuft mir von hinnen.
Bin ich verwirrt
und ganz verirrt?
Die Silben, die Reime,
die Worte, die Verse:
ich kleb' wie am Leime,
und brennt doch die Ferse.
Ade, ich muß fort!
An andrem Ort
dank' ich Euch inniglich,
weil Ihr so minniglich;
für Euch nun stimme ich,
kauf' Eure Werke gleich,
mache zum Merker Euch:
doch fein mit Kreide weich,
nicht mit dem Hammerstreich!
Merker! Merker! Merker Hans Sachs!
Daß Nürnberg schusterlich blüh' und wachs'!
(Beckmesser nimmt tanzend von Sachs Abschied, taumelt und poltert der Ladentür zu; plötzlich glaubt er das Gedicht in seiner Tasche vergessen zu haben, läuft wieder vor, sucht ängstlich auf dem Werktische, bis er es in der eigenen Hand gewahr wird; darüber scherzhaft erfreut, umarmt er Sachs nochmals voll feurigen Dankes und stürzt dann, hinkend und strauchelnd, geräuschvoll durch die Ladentür ab.)
Sachs
(sieht Beckmesser gedankenvoll lächelnd nach):
So ganz boshaft doch keinen ich fand;
er hält's auf die Länge nicht aus:
vergeudet mancher oft viel Verstand,
doch hält er auch damit Haus;
die schwache Stunde kommt für jeden,
da wird er dumm und läßt mit sich reden.
Daß hier Herr Beckmesser ward zum Dieb,
ist mir für meinen Plan sehr lieb.
(Eva nähert sich auf der Straße der Ladentür. Sachs wendet sich um und gewahrt Eva.)
Sieh, Evchen! Dacht' ich doch, wo sie blieb'!
(Eva, reich geschmückt, in glänzender weißer Kleidung, etwas leidend und blaß, tritt zum Laden herein und schreitet langsam vor.)
Sachs: Grüß Gott, mein Evchen! Ei, wie herrlich
und stolz du's heute meinst!
Du machst wohl alt und jung begehrlich,
wenn du so schön erscheinst.
Eva: Meister! ‘s ist nicht so gefährlich:
und ist's dem Schneider geglückt,
wer sieht dann, wo's mir beschwerlich,
wo still der Schuh mich drückt?
Sachs: Der böse Schuh! ‘s war deine Laun',
daß du ihn gestern nicht probiert.
Eva: Merk' wohl, ich hatt' zu viel Vertrau'n;
im Meister hatt' ich mich geirrt.
Sachs: Ei, ‘s tut mir leid! Zeig' her, mein Kind,
daß ich dir helfe gleich geschwind.
Eva: Sobald ich stehe, will es geh'n;
och will ich geh'n, zwingt's mich zu steh'n.
Sachs: Hier auf den Schemel streck den Fuß:
der üblen Not ich wehren muß.
(Sie streckt einen Fuß auf dem Schemel am Werktisch aus.)
Was ist's mit dem?
Eva: Ihr seht, zu weit!
Sachs: Kind, das ist pure Eitelkeit,
der Schuh ist knapp.
Eva: Das sagt' ich ja:
drum drückt er mich an den Zehen da.
Sachs: Hier links?
Eva: Nein, rechts.
Sachs: Wohl mehr am Spann?
Eva: Hier, mehr am Hacken.
Sachs: Kommt der auch dran?
Eva: Ach Meister! Wüßtet Ihr besser als ich,
wo der Schuh mich drückt?
Sachs: Ei, ‘s wundert mich,
daß er zu weit und doch drückt überall?
(Walther, in glänzender Rittertracht, tritt unter die Tür der Kammer. Eva stößt einen Schrei aus und bleibt, unverwandt auf Walther blickend, in ihrer Stellung, mit dem Fuße auf dem Schemel. Sachs, der vor ihr niedergebückt steht, bleibt mit dem Rücken der Tür zugekehrt, ohne Walthers Eintritt zu beachten. Walther, durch den Anblick Evas festgebannt, bleibt ebenfalls unbeweglich unter der Tür stehen.)
Aha! Hier sitzt's! Nun begreif' ich den Fall!
Kind, du hast recht:
‘s stak in der Naht.
Nun warte, dem Übel schaff' ich Rat.
Bleib nur so steh'n; ich nehm' dir den Schuh
eine Weil' auf den Leisten:
dann läßt er dir Ruh'!
(Er hat ihr sanft den Schuh vom Fuße gezogen; während sie in ihrer Stellung verbleibt, macht er sich am Werktisch mit dem Schuh zu schaffen und tut, als beachte er nichts anderes.)
Sachs
(bei der Arbeit):
Immer schustern, das ist nun mein Los;
des Nachts, des Tags komm' nicht davon los!
Kind, hör' zu! Ich hab mir's überdacht,
was meinem Schustern ein Ende macht:
am besten, ich werbe doch noch um dich;
da gewänn' ich doch was als Poet für mich!
Du hörst nicht drauf? – So sprich doch jetzt!
Hast mir's ja selbst in den Kopf gesetzt.
Schon gut! – Ich merk':
»Mach deinen Schuh!«..
Säng' mir nur wenigstens einer dazu!
Hörte heut' gar ein schönes Lied:
wem dazu wohl ein dritter Vers geriet?
Walther
(den Blick unverwandt auf Eva geheftet):
»Weilten die Sterne im lieblichen Tanz?
So licht und klar im Lockenhaar,
vor allen Frauen hehr zu schauen,
lag ihr mit zartem Glanz ein Sternenkranz. –
Sachs
(immerfort arbeitend):
Lausch, Kind, das ist ein Meisterlied!
Walther: Wunder ob Wunder nun bieten sich dar:
zwiefachen Tag ich grüßen mag;
denn gleich zwei'n Sonnen reinster Wonnen
der hehrsten Augen Paar nahm ich da wahr. –
Sachs
(beiseite zu Eva):
Derlei hörst du jetzt bei mir singen.
Walther: Huldreichstes Bild,
dem ich zu nahen mich erkühnt:
den Kranz, von zweier Sonnen Strahl
zugleich geblichen und ergrünt,
minnig und mild,
sie flocht ihn um das Haupt dem Gemahl.
Sachs
(hat den Schuh zurückgebracht und ist jetzt darüber, ihn Eva wieder anzuziehen):
Nun schau, ob dazu mein Schuh geriet?
Walther: Dort Huld-geboren, nun Ruhm-erkoren,
Sachs: Mein' endlich doch, es tät' mir gelingen?
Walther: gießt paradiesische Lust sie in des Dichters Brust
Sachs: Versuch's! Tritt auf! – Sag, drückt er dich noch?
Walther: im Liebestraum.«
(Eva, die wie bezaubert regungslos gestanden, gesehen und gehört hat, bricht jetzt in heftiges Weinen aus, sinkt Sachs an die Brust und drückt ihn schluchzend an sich. Walther ist zu ihnen getreten; er drückt begeistert Sachs die Hand. Sachs tut sich endlich Gewalt an, reißt sich wie unmutig los und läßt dadurch Eva unwillkürlich an Walthers Schulter sich anlehnen.)
Sachs: Hat man mit dem Schuhwerk nicht seine Not!
Wär' ich nicht noch Poet dazu,
ich machte länger keine Schuh'!
Das ist eine Müh', ein Aufgebot!
Zu weit dem einen, dem andern zu eng;
von allen Seiten Lauf und Gedräng':
da klappt's, da schlappt's,
hier drückt's, da zwickt's!
Der Schuster soll auch alles wissen,
flicken, was nur immer zerrissen
und ist er [nun] gar Poet dazu,
da läßt man am End' ihm auch da keine Ruh';
und ist er erst noch Witwer gar,
zum Narren hält man ihn fürwahr.
Die jüngsten Mädchen, ist Not am Mann,
begehren. er hielte um sie an.
Versteht er sie, versteht er sie nicht,
all eins, ob ja, ob nein er spricht:
am End' riecht er doch nach Pech
und gilt für dumm, tückisch und frech!
Ei, ‘s ist mir nur um den Lehrbuben leid;
der verliert mir allen Respekt;
die Lene macht' ihn schon nicht recht gescheit,
daß aus Töpf' und Tellern er leckt!
Wo Teufel er jetzt nur wieder steckt?
(Er stellt sich, als wolle er nach David sehen.)
Eva
(indem sie Sachs zurückhält und von neuem an sich zieht):
O Sachs, mein Freund! Du teurer Mann!
Wie ich dir Edlem lohnen kann?
Was ohne deine Liebe, was wär' ich ohne dich,
ob je auch Kind ich bliebe,
erwecktest du mich nicht?
Durch dich gewann ich,
was man preist,
durch dich ersann ich,
was ein Geist!
Durch dich erwacht',
durch dich nur dacht'
ich edel, frei und kühn,
du ließest mich erblüh'n!
Ja, lieber Meister, schilt mich nur!
Ich war doch auf der rechten Spur:
denn, hatte ich die Wahl,
nur dich erwählt' ich mir:
du warest mein Gemahl.
Den Preis reicht' ich nur dir! –
Doch nun hat's mich gewählt
zu nie gekannter Qual:
und werd' ich heut' vermählt,
so war's ohn' alle Wahl!
Das war ein Müssen, war ein Zwang!
Euch selbst, mein Meister, wurde bang'.
Sachs: Mein Kind, von Tristan und Isolde
kenn' ich ein traurig Stück:
Hans Sachs war klug und wollte
nichts von Herrn Markes Glück.
‘s war Zeit, daß ich den Rechten fand,
wär' sonst am End' doch hineingerannt. –
Aha! Da streicht die Lene schon ums Haus:
Nur herein! – He, David! Kommst nicht heraus?
(Magdalene, in festlichem Staate, tritt durch die Ladentür herein; David ebenfalls im Festkleid, mit Blumen und Bändern sehr reich und zierlich aufgeputzt, kommt zugleich aus der Kammer.)
Die Zeugen sind da, Gevatter zur Hand;
jetzt schnell zur Taufe, nehmt euren Stand.
(Alle blicken ihn verwundert an.)
Ein Kind ward hier geboren;
jetzt sei ihm ein Nam' erkoren!
So ist's nach Meisterweis' und Art,
wenn eine Meister-Weise geschaffen ward:
daß die einen guten Namen trag',
dran jeder sie erkennen mag.
Vernehmt, respektable Gesellschaft,
was euch hier zur Stell' schafft!
Eine Meisterweise ist gelungen,
von Junker Walther gedichtet und gesungen;
der jungen Weise lebender Vater
lud mich und die Pognerin zu Gevatter.
Weil wir die Weise wohl vernommen,
sind wir zur Taufe hierher gekommen.
Auch daß wir zur Handlung Zeugen haben,
ruf' ich Jungfer Lene und meinen Knaben.
Doch da's zum Zeugen kein Lehrbube tut
und heut' auch den Spruch er gesungen gut,
so mach' ich den Burschen gleich zum Gesell;
knie nieder, David, und nimm diese Schell'!
(David ist niedergekniet: Sachs gibt ihm eine starke Ohrfeige.)
Steh' auf, Gesell', und denk' an den Streich;
du merkst dir dabei die Taufe zugleich! –
Fehlt sonst noch was, uns keiner schilt:
wer weiß, ob's nicht gar einer Nottaufe gilt.
Daß die Weise Kraft behalte zum Leben,
will ich nur gleich den Namen ihr geben:
»Die selige Morgentraumdeut-Weise«
sei sie genannt zu des Meisters Preise.
Nun wachse sie groß, ohn' Schad' und Bruch.
Die jüngste Gevatterin spricht den Spruch.
(Er tritt aus der Mitte des Halbkreises, der von den übrigen um ihn gebildet war, auf die Seite, so daß nun Eva in die Mitte zu stehen kommt.)
Eva: Selig, wie die Sonne
meines Glückes lacht,
Morgen voller Wonne
selig mir erwacht!
Traum der höchsten Hulden,
himmlisch' Morgenglüh'n!
Deutung euch zu schulden,
selig süß Bemüh'n!
Einer Weise mild und hehr
sollt' es hold gelingen,
meines Herzens süß Beschwer'
deutend zu bezwingen.
Sachs: Vor dem Kinde lieblich hold
möcht' ich gern wohl singen;
doch des Herzens süß' Beschwer
galt es zu bezwingen.
Walther: Deine Liebe ließ mir es gelingen,
meines Herzens süß' Beschwer' deutend zu bezwingen.
Magdalene und David: Wach' oder träum' ich schon so früh?
Das zu erklären macht mir Müh':
Eva: Ob es nur ein Morgentraum?
Walther: Ob es noch der Morgentraum?
Sachs: ‘s war ein schöner Morgen-Traum:
Eva und Walther: Selig deut' ich mir es kaum.
Doch die Weise, was sie leise
mir/dir vertraut
Walther: im stillen Raum,
Beide: hell und laut,
in der Meister vollem Kreis
Walther: werbe sie um den höchsten Preis!
Eva: deute sie auf den höchsten Preis!
Sachs: dran zu deuten wag' ich kaum.
Diese Weise, was sie leise
mir anvertraut' im stillen Raum,
sagt mir laut:
auch der Jugend ew'ges Reis
grünt nur durch des Dichters Preis.
Magdalene und David: ‘s ist wohl nur ein Morgentraum?
Was ich seh', begreif' ich kaum!
David: Ward zur Stelle gleich Geselle?
Lene Braut?
Im Kirchenraum wir gar getraut?
‘s geht der Kopf mir wie im Kreis,
daß Meister gar bald ich heiß'!
Magdalene: Er zur Stelle gleich Geselle?
Ich die Braut?
Im Kirchenraum wir gar getraut?
Ja, wahrhaftig! ‘s geht:
wer weiß,
daß ich die Meist'rin bald heiß'!
Sachs
(zu den übrigen sich wendend):
Jetzt all' am Fleck!
(Zu Eva.) Den Vater grüß'!
Auf nach der Wies', schnell auf die Füß'!
(Eva und Magdalene gehen.)
(Zu Walther.)
Nun, Junker, kommt! Habt frohen Mut! –
David, Gesell! Schließ' den Laden gut!
(Als Sachs und Walther ebenfalls auf die Straße gehen und David über das Schließen der Ladentür sich hermacht, wird ein Vorhang von beiden Seiten zusammengezogen, so daß im Proszenium er die Szene gänzlich verschließt.)
(Die Vorhänge sind nach der Höhe aufgezogen worden; die Bühne ist verwandelt.
Diese stellt einen freien Wiesenplan, im ferneren Hintergrunde die Stadt Nürnberg. Die Pegnitz schlängelt sich durch den Plan, der schmale Fluß ist an den nächsten Punkten praktikabel gehalten.
Buntbeflaggte Kähne setzen die ankommenden, festlich gekleideten Bürger der Zünfte mit Frauen und Kindern, an das Ufer der Festwiese über. Eine erhöhte Bühne mit Bänken und Sitzen darauf ist rechts zur Seite aufgeschlagen; bereits ist sie mit den Fahnen der angekommenen Zünfte geschmückt; im Verlaufe stecken die Fahnenträger der noch ankommenden Zünfte ihre Fahnen ebenfalls um die Sängerbühne auf so daß diese schließlich nach drei Seiten hin ganz davon eingefaßt ist. Zelte mit Getränken und Erfrischungen aller Art begrenzen im übrigen die Seiten des vorderen Hauptraumes. Vor den Zelten geht es bereits lustig her:
Bürger mit Frauen, Kindern und Gesellen sitzen und lagern daselbst. Die Lehrbuben der Meistersinger, festlich gekleidet, mit Blumen und Bändern reich und anmutig geschmückt, üben mit schlanken Stäben, die ebenfalls mit Blumen und Bändern geziert sind, in lustiger Weise das Amt von Herolden und Marschällen aus. Sie empfangen die am Ufer Aussteigenden, ordnen die Züge der Zünfte und geleiten diese nach der Sängerbühne, von wo aus, nachdem der Bannerträger die Fahne aufgepflanzt, die Zunftbürger und Gesellen sich unter den Zelten zerstreuen. Soeben werden die Schuster am Ufer empfangen und nach dem Vordergrunde geleitet.)
Die Schuster
(mit fliegender Fahne aufziehend):
Sankt Krispin, lobet ihn!
War gar ein heilig' Mann,
zeigt', was ein Schuster kann.
Die Armen hatten gute Zeit,
macht' ihnen warme Schuh';
und wenn ihm keiner ‘s Leder leiht,
so stahl er sich's dazu.
Der Schuster hat ein weit Gewissen,
macht Schuhe selbst mit Hindernissen;
und ist vom Gerber das Fell erst weg,
dann streck, streck, streck!
Leder taugt nur am rechten Fleck.
(Die Stadtwächter und Heerhornbläser mit Trompeten und Trommeln sowie die Stadtpfeifer, Lautenmacher usw. ziehen, auf ihren Instrumenten spielend, auf. Ihnen folgen Gesellen mit Kinderinstrumenten.)
Die Schneider
(mit fliegender Fahne aufziehend):
Als Nürnberg belagert war
und Hungersnot sich fand,
wär' Stadt und Volk verdorben gar,
war nicht ein Schneider zur Hand,
der viel Mut hatt' und Verstand.
Hat sich in ein Bocksfell eingenäht,
auf dem Stadtwall da spazierengeht
und macht wohl seine Sprünge
gar lustig guter Dinge.
Der Feind, der sieht's und zieht vom Fleck:
der Teufel hol' die Stadt sich weg,
hat's drin noch so lustige Meck-meck-meck!
Meck! Meck! Meck!
Wer glaubt's, daß ein Schneider im Bocke steck'!
Die Bäcker
(ziehen mit fliegender Fahne auf):
Hungersnot! Hungersnot!
Das ist ein greulich Leiden!
Gäb' euch der Bäcker nicht täglich Brot,
müßt' alle Welt verscheiden.
Beck! Beck! Beck!
Täglich auf dem Fleck!
Nimm uns den Hunger weg!
Die Schuster
(welche ihre Fahne aufgesteckt, begegnen beim Herabschreiten von der Sängerbühne den Bäckern):
Streck! Streck! Streck!
Leder taugt nur am rechten Fleck.
Die Schneider
(nachdem die Fahne aufgesteckt, herabschreitend):
Meck! Meck! Meck!
Wer meint, daß ein Schneider im Bocke steck'!
(Ein bunter Kahn mit jungen Mädchen in reicher bäuerischer Tracht kommt an.)
Lehrbuben
(laufen nach dem Gestade):
' Herrje! Herrje! Mädel von Fürth!
Stadtpfeifer, spielt, daß's lustig wird!
(Sie heben die Mädchen aus dem Kahn.)
(Das Charakteristische des Tanzes, mit welchem die Lehrbuben und Mädchen zunächst nach dem Vordergrund kommen, besteht darin, daß die Lehrbuben die Mädchen scheinbar nur an den Platz bringen wollen; sowie die Gesellen zugreifen wollen, ziehen die Buben die Mädchen aber immer wieder zurück, als ob sie sie anderswo unterbringen wollten, wobei sie den ganzen Kreis, wie wählend, ausmessen und somit die scheinbare Absicht anmutig und lustig verzögern.)
David
(kommt vom Landungsplatz vor und sieht mißbilligend dem Tanze zu):
Ihr tanzt? Was werden die Meister sagen?
(Die Lehrbuben drehen ihm Nasen.)
Hört nicht? – Laß ich mir's auch behagen!
(Er nimmt sich ein junges, schönes Mädchen und gerät im Tanze mit ihr schnell in großes Feuer. Die Zuschauer freuen sich und lachen.)
Einige Lehrbuben
(winken David):
David! David! Die Lene sieht zu!
David
(läßt das Mädchen erschrocken fahren, um das die Lehrbuben sogleich tanzend einen Kreis schließen. Da er Lene nirgends gewahrt, merkt David, daß er nur geneckt worden, durchbricht den Kreis, erfaßt sein Mädchen wieder und tanzt noch feuriger weiter):
Ach, laßt mich mit euren Possen in Ruh'!
(Die Buben suchen ihm das Mädchen zu entreißen, er wendet sich mit ihr jedesmal glücklich ab, so daß nun ein ähnliches Spiel entsteht wie zuvor, als die Gesellen nach den Mädchen faßten.)
Gesellen
(vom Ufer her):
Die Meistersinger!
Lehrbuben: Die Meistersinger!
(Sie unterbrechen schnell den Tanz und eilen zum Ufer.)
David: Herrgott! Ade, ihr hübschen Dinger!
(Er gibt dem Mädchen einen feurigen Kuß und reißt sich los.
Die Lehrbuben reihen sich zum Empfang der Meistersinger. Das Volk macht ihnen willig Platz.
Die Meistersinger ordnen sich am Landungsplatze zum festlichen Aufzuge.
Wenn Kothner im Vordergrunde ankommt, wird die geschwungene Fahne, auf welcher König David mit der Harfe abgebildet ist, von allem Volk mit Hutschwenken begrüßt.
Der Zug der Meistersinger ist nun auf der Singerbühne angelangt, wo Kothner die Fahne aufpflanzt. Pogner, Eva an der Hand führend, diese von festlich geschmückten, reich gekleideten jungen Mädchen, unter denen auch Magdalene, begleitet, voran.
Als Eva, von den Mädchen umgeben, den mit Blumen geschmückten Ehrenplatz eingenommen und alle übrigen, die Meister auf den Bänken, die Gesellen hinter ihnen stehend, ebenfalls Platz genommen, treten die Lehrbuben, dem Volke zugewendet, feierlich vor die Bühne in Reih und Glied.)
Lehrbuben: Silentium! Silentium!
(Sachs erhebt sich und tritt vor. Bei seinem Anblick stößt sich alles an; Hüte und Mützen werden abgezogen. Alle deuten auf ihn.)
Macht kein Reden und kein Gesumm'.
Einige im Volk: Ha! Sachs! ‘s ist Sachs!
Seht Meister Sachs!
Mehrere: Stimmt an! Stimmt an!
(Alle Sitzenden erheben sich; die Männer bleiben mit entblößtem Haupte. Beckmesser bleibt, mit dem Memorieren des Gedichtes beschäftigt, hinter den anderen Meistern versteckt, so daß er bei dieser Gelegenheit der Beachtung des Publikums entzogen wird.)
Alle
(außer Sachs):
Wach' auf, es nahet gen den Tag,
ich hör' singen im grünen Hag
ein' wonnigliche Nachtigal,
ihr' Stimm' durchdringet Berg und Tal;
die Nacht neigt sich zum Okzident,
der Tag geht auf von Orient,
die rotbrünstige Morgenröt'
her durch die trüben Wolken geht.«
(Das Volk nimmt wieder eine jubelnd bewegte Haltung an und singt nun allein. Die Meister auf der Bühne sowie die anderen Teilnehmer am Gesange geben sich dem Schauspiele des Volksjubels hin.)
Heil Sachs! Heil dir, Sachs!
Heil Nürnbergs teurem Sachs! Heil! Heil!
(Sachs, der unbeweglich, wie geistesabwesend, über die Menge hinweg geblickt hatte, richtet endlich seine Blicke vertrauter auf sie und beginnt mit ergriffener; schnell sich festigender Stimme.)
Sachs: Euch macht Ihr's leicht, mir macht Ihr's schwer,
gebt Ihr mir Armen zuviel Ehr'.
Soll vor der Ehr' ich besteh'n,
sei's, mich von Euch geliebt zu seh'n!
Schon große Ehr' ward mir erkannt,
ward heut' ich zum Spruchsprecher ernannt.
Und was mein Spruch Euch künden soll,
glaubt, das ist hoher Ehren voll!
Wenn Ihr die Kunst so hoch schon ehrt,
da galt es zu beweisen,
daß, wer ihr selbst gar angehört,
sie schätzt ob allen Preisen.
Ein Meister, reich und hochgemut,
der will heut' Euch das zeigen:
sein Töchterlein, sein höchstes Gut,
mit allem Hab und Eigen,
dem Singer, der im Kunstgesang
vor allem Volk den Preis errang,
als höchsten Preises Kron'
er bietet das zum Lohn.
Darum so hört und stimmt mir bei:
die Werbung steh' dem Dichter frei.
Ihr Meister, die Ihr's Euch getraut,
Euch ruf' ich's vor dem Volke laut:
erwägt der Werbung seltnen Preis,
und wem sie soll gelingen,
daß der sich rein und edel weiß
im Werben wie im Singen,
will er das Reis erringen,
das nie bei Neuen noch bei Alten
ward je so herrlich hoch gehalten
als von der lieblich Reinen,
die niemals soll beweinen,
daß Nürenberg mit höchstem Wert
die Kunst und ihre Meister ehrt.
(Große Bewegung unter allen. Sachs geht auf Pogner zu, der ihm gerührt die Hand drückt.)
Pogner: O Sachs! Mein Freund! Wie dankenswert!
Wie wißt Ihr, was mein Herz beschwert!
Sachs
(zu Pogner):
‘s war viel gewagt! Jetzt habt nur Mut!
(Er wendet sich zu Beckmesser, der fortwährend eifrig das Blatt mit dem Gedicht herausgezogen, memoriert, genau zu lesen versucht und oft verzweiflungsvoll sich den Schweiß getrocknet hat.)
Herr Merker! Sagt, wie steht es? Gut?
Beckmesser: O dieses Lied! Werd' nicht draus klug
und hab' doch dran studiert genug!
Sachs: Mein Freund, ‘s ist Euch nicht aufgezwungen.
Beckmesser: Was hilft's? – Mit dem meinen ist doch versungen!
‘s war Eure Schuld! Jetzt seid hübsch für mich!
‘s wär' schändlich, ließt Ihr mich im Stich!
Sachs: Ich dächt', Ihr gäbt's auf.
Beckmesser: Warum nicht gar?
Die and'ren sing' ich alle zu Paar', wenn Ihr nur nicht singt!
Sachs: So seht, wie's geht!
Beckmesser: Das Lied! – bin's sicher – zwar niemand versteht;
doch bau' ich auf Eure Popularität.
Sachs: Nun denn, wenn's Meistern und Volk beliebt, zum Wettgesang man den Anfang gibt.
Kothner
(tritt vor):
Ihr ledig' Meister, macht Euch bereit!
Der Ältest' sich zuerst anläßt:
Herr Beckmesser, Ihr fangt an, ‘s ist Zeit!
(Die Lehrbuben führen Beckmesser zu einem kleinen Rasenhügel vor der Singerbühne, welchen sie zuvor festgerammt und reich mit Blumen überdeckt haben.)
Beckmesser
(strauchelt darauf, tritt unsicher und schwankt):
Zum Teufel! Wie wackelig! Macht das hübsch fest!
(Die Buben lachen unter sich und stopfen lustig am Rasen.)
Das Volk
(stößt sich gegenseitig lustig an):
Wie, der? Der wirbt? Scheint mir nicht der Rechte!
An der Tochter Stell' ich den nicht möchte.
Seid still! ‘s ist gar ein tücht'ger Meister!
Still! Macht keinen Witz;
der hat im Rate Stimm' und Sitz.
Ach, der kann ja nicht mal steh'n.
Wie soll es mit dem geh'n?
Er fällt fast um! Gott, ist der dumm!
Stadtschreiber ist er:
Beckmesser heißt er.
(Viele lachen.)
Die Lehrbuben
(in Aufstellung):
Silentium! Silentium!
Macht kein Reden und kein Gesumm!
Kothner: Fanget an!
Beckmesser
(der sich endlich mit Mühe auf dem Rasenhügel festgestellt hat, macht eine erste Verbeugung gegen die Meister, eine zweite gegen das Volk, dann gegen Eva, auf welche er, da sie sich abwendet, nochmals verlegen hinblinzelt,' große Beklommenheit erfaßt ihn; er sucht sich durch das Vorspiel auf der Laute zu ermutigen.):
»Morgen ich leuchte in rosigem Schein,
von Blut und Duft geht schnell die Luft; –
wohl bald gewonnen wie zerronnen –
im Garten lud ich ein – garstig und fein.«
(Er versucht, besser auf den Füßen zu stehen. Die Meistersinger leise unter sich.)
Foltz, Ortel: Mein! Was ist das?
Kothner, Nachtigall: Ist er von Sinnen?
Moser, Eißlinger: Was ist das?
Vogelgesang, Zorn: Ist er von Sinnen?
Foltz, Ortel, Schwarz: Höchst merkwürd'ger Fall! Was kommt ihm bei?
Die übrigen Meister:
Woher mocht' er solche Gedanken gewinnen?
Volk
(leise unter sich):
Sonderbar! Hört ihr's? Wen lud er ein?
Verstand man recht? Wie kann das sein?
Schwarz
(allein):
Verstand man recht?
Beckmesser
(zieht das Blatt verstohlen hervor und lugt eifrig hinein; dann steckt er es ängstlich wieder ein):
Wohn' ich erträglich im selbigen Raum,
hol' Gold und Frucht – Bleisaft und Wucht.
(Er lugt in das Blatt.)
Mich holt am Pranger – der Verlanger –
auf luft'ger Steige kaum – häng' ich am Baum.«
(Er wackelt wieder sehr; sucht im Blatt zu lesen, vermag es nicht,' ihm schwindelt, Angstschweiß bricht aus.)
Das Volk: Schöner Werber! Der find't wohl seinen Lohn:
bald hängt er am Galgen; man sieht ihn schon.
Kothner
(zu Nachtigall):
Was soll das heißen?
Zorn, Eißlinger, Nachtigall: Was soll das heißen?
Vogelgesang, Moser, Kothner: Ist er nur toll?
Foltz, Schwarz: Wie? Ist er nur toll?
Zorn, Eißlinger, Vogelgesang, Moser, Nachtigall, Kothner: Sein Lied ist ganz von Unsinn voll!
Ortel, Foltz, Schwarz: Alles von Unsinn voll!
Beckmesser
(rafft sich verzweiflungsvoll und ingrimmig auf):
»Heimlich mir graut,
weil hier es munter will hergeh'n:
an meiner Leiter stand ein Weib,
sie schämt' und wollt' mich nicht beseh'n.
Bleich wie ein Kraut
umfasset mir Hanf meinen Leib; –
mit Augen zwinkend – der Hund blies winkend –
was ich vor langem verzehrt –
wie Frucht, so Holz und Pferd –
vom Leberbaum.«
(Alles bricht in ein dröhnendes Gelächter aus.)
Beckmesser
(verläßt wütend den Hügel und stürzt auf Sachs zu):
Verdammter Schuster, das dank' ich dir!
Das Lied, es ist gar nicht von mir.
Von Sachs, der hier so hoch verehrt,
von Eurem Sachs ward mir's beschert!
Mich hat der Schändliche bedrängt,
sein schlechtes Lied mir aufgehängt.
(Er stürzt wütend fort und verliert sich unter dem Volke.)
Volk: Mein! Was soll das sein? Jetzt wird's immer bunter!
Von Sachs das Lied? Das nähm' uns doch wunder!
Kothner: Erklärt doch, Sachs!
Nachtigall: Welch ein Skandal!
Vogelgesang: Von Euch das Lied?
Ortel und Foltz: Welch eig'ner Fall!
Sachs
(hat ruhig das Blatt, welches ihm Beckmesser hingeworfen, aufgenommen):
Das Lied fürwahr ist nicht von mir.
Herr Beckmesser irrt wie dort so hier!
Wie er dazu kam, mag selbst er sagen;
doch möcht' ich nie mich zu rühmen wagen,
ein Lied, so schön wie dies erdacht,
sei von mir, Hans Sachs, gemacht.
Vogelgesang, Zorn, Kothner: Wie? Schön? Dieser Unsinnswust!
Nachtigall: Das Lied wär' schön? Dieser Unsinnswust!
Volk: Hört, Sachs macht Spaß! Er sagt es nur zur Lust.
Sachs: Ich sag' Euch Herrn, das Lied ist schön:
nur ist's auf den ersten Blick zu ersehn,
daß Freund Beckmesser es entstellt.
Doch schwör' ich, daß es Euch gefällt,
wenn richtig Wort' und Weise
hier einer säng' im Kreise.
Und wer dies verstünd', zugleich bewies',
daß er des Liedes Dichter
und gar mit Rechte Meister hieß',
fänd' er gerechte Richter.
Ich bin verklagt und muß besteh'n:
drum laßt mich meinen Zeugen auserseh'n!
Ist jemand hier, der Recht mir weiß,
der tret' als Zeug' in diesen Kreis!
(Walther tritt aus dem Volke hervor und begrüßt Sachs, sodann Meister und Volk mit ritterlicher Freundlichkeit. Es entsteht sogleich eine angenehme Bewegung. Alles weilt einen Augenblick schweigend in seiner Betrachtung.)
So zeuget, das Lied sei nicht von mir,
und zeuget auch, daß, was ich hier
vom Lied hab' gesagt, zuviel nicht sei gewagt.
Ortel und Foltz: Wie fein ist Sachs!
Vogelgesang, Zorn, Eißlinger: Ei Sachs, Ihr seid gar fein!
Doch mag es heut' geschehen sein!
Nachtigall und Kothner: Wie fein! Doch mag es heut' geschehen sein!
Sachs: Der Regel Güte daraus man erwägt,
daß sie auch mal ‘ne Ausnahm' verträgt.
Das Volk: Ein guter Zeuge, stolz und kühn!
Mich dünkt, dem kann wohl was Gut's erblühn.
Sachs: Meister und Volk sind gewillt
zu vernehmen, was mein Zeuge gilt.
Herr Walther von Stolzing, singt das Lied!
Ihr Meister lest, ob's ihm geriet.
(Er übergibt Kothner das Blatt zum Nachlesen.)
Die Lehrbuben
(in Aufstellung):
Alles gespannt! ‘s gibt kein Gesumm.
Da rufen wir auch nicht Silentium!
Walther
(beschreitet festen Schrittes den kleinen Blumenhügel):
»Morgenlich leuchtend in rosigem Schein,
von Blüt' und Duft geschwellt die Luft,
voll aller Wonnen, nie ersonnen,
ein Garten lud mich ein –
(Kothner läßt das Blatt, in welchem er mit den anderen Meistern eifrig nachzulesen begonnen, vor Ergriffenheit unwillkürlich fallen; er und die übrigen hören nur noch teilnahmsvoll zu. Wie entrückt.)
dort unter einem Wunderbaum,
von Früchten reich behangen,
zu schaun in sel'gem Liebestraum,
was höchstem Lustverlangen
Erfüllung kühn verhieß –
das schönste Weib, Eva im Paradies.«
Das Volk
(leise flüsternd):
Das ist was andres! Wer hätt's gedacht?
Was doch recht Wort und Vortrag macht!
Die Meistersinger
(ohne Foltz und Schwarz, leise flüsternd):
Jawohl! Ich merk'! ‘s ist ein ander Ding,
Sachs: Zeuge am Ort, fahret fort!
Walther: »Abendlich dämmernd umschloß mich die Nacht;
auf steilem Pfad war ich genaht
zu einer Quelle reiner Welle,
die lockend mir gelacht:
dort unter einem Lorbeerbaum,
von Sternen hell durchschienen,
ich schaut' im wachen Dichtertraum
von heilig holden Mienen,
mich netzend mit dem edlen Naß,
das hehrste Weib,
die Muse des Parnaß.«
Das Volk
(immer leiser, für sich):
Wie so hold und traut, wie fern es schwebt,
doch ist es grad', als ob man selber alles miterlebt!
Vogelgesang, Zorn, Moser, Eißlinger: ‘s ist kühn und seltsam, das ist wahr;
doch wohlgereimt und singebar.
Kothner, Nachtigall: Kühn ist's und seltsam.
Doch wohlgereimt und singebar.
Ortel: Sehr seltsam!
Foltz: ‘s ist kühn und seltsam, das ist wohl wahr.
Schwarz: Sehr kühn!
Sachs: Zeuge wohl erkiest, fahret fort und schließt!
Walther
(sehr feurig):
»Huldreichster Tag,
dem ich aus Dichters Traum erwacht!
Das ich erträumt, das Paradies,
in himmlisch neu verklärter Pracht
hell vor mir lag,
dahin lachend nun der Quell den Pfad mir wies:
die dort geboren, mein Herz erkoren,
der Erde lieblichstes Bild,
als Muse mir geweiht,
so heilig ernst als mild,
ward kühn von mir gefreit,
am lichten Tag der Sonnen
durch Sanges Sieg gewonnen
Parnaß und Paradies!«
Volk: Gewiegt wie in den schönsten Traum,
hör' ich es wohl, doch faß es kaum.
(Zu Eva.)
Reich ihm das Reis! Sein sei der Preis!
Keiner wie er zu werben weiß!
Die Meister
(sich erhebend):
Ja, holder Sänger!
Nimm das Reis!
Dein Sang erwarb dir Meisterpreis!
Keiner so wie nur er zu werben weiß!
Pogner
(mit großer Ergriffenheit zu Sachs sich wendend):
O Sachs! Dir dank' ich Glück und Ehr'!
Vorüber nun all Herzbeschwer!
(Walther ist auf die Stufen der Singerbühne geleitet worden und läßt sich vor Eva auf ein Knie nieder.)
Eva
(zu Walther, indem sie ihn mit einem Kranz aus Lorbeer und Myrten bekränzt, sich hinabneigend):
Keiner wie du so hold zu werben weiß!
Sachs
(zum Volk gewandt, auf Walther und Eva deutend):
Den Zeugen, denk es, wählt' ich gut:
tragt Ihr Hans Sachs drum üblen Mut?
Volk
(bricht schnell und heftig in jubelnde Bewegung aus):
Hans Sachs! Nein! Das war schön erdacht!
Das habt Ihr einmal wieder gut gemacht!
Meistersinger
(sich feierlich zu Pogner wendend):
Auf, Meister Pogner! Euch zum Ruhm
meldet dem Junker sein Meistertum.
Pogner
(mit einer goldnen Kette, daran drei große Denkmünzen, zu Walther):
Geschmückt mit König Davids Bild,
nehm' ich Euch auf in der Meister Gild'.
Walther
(mit schmerzlicher Heftigkeit abweisend):
Nicht Meister! Nein!
(Er blickt zärtlich auf Eva.)
Will ohne Meister selig sein!
(Alles blickt in großer Betroffenheit auf Sachs.)
Sachs
(schreitet auf Walther zu und faßt ihn bedeutungsvoll bei der Hand):
Verachtet mir die Meister nicht
und ehrt mir ihre Kunst!
Was ihnen hoch zum Lobe spricht,
fiel reichlich Euch zur Gunst!
Nicht Euren Ahnen, noch so wert,
nicht Eurem Wappen, Speer noch Schwert,
daß Ihr ein Dichter seid,
ein Meister Euch gefreit,
dem dankt Ihr heut' Eu'r höchstes Glück.
Drum, denkt mit Dank Ihr d'ran zurück,
wie kann die Kunst wohl unwert sein,
die solche Preise schließet ein?
Daß uns're Meister sie gepflegt,
grad' recht nach ihrer Art,
nach ihrem Sinne treu gehegt,
das hat sie echt bewahrt.
Blieb sie nicht adlig wie zur Zeit,
wo Höf' und Fürsten sie geweiht,
im Drang der schlimmen Jahr'
blieb sie doch deutsch und wahr;
und wär' sie anders nicht geglückt,
als wie, wo alles drängt und drückt,
Ihr seht, wie hoch sie blieb in Ehr'!
Was wollt Ihr von den Meistern mehr?
Habt acht! Uns dräuen üble Streich'!
Zerfällt erst deutsches Volk und Reich,
in falscher welscher Majestät
kein Fürst bald mehr sein Volk versteht;
und welschen Dunst mit welschem Tand
sie pflanzen uns in deutsches Land.
Was deutsch und echt, wüßt' keiner mehr,
lebt's nicht in deutscher Meister Ehr'.
Drum sag' ich Euch:
ehrt Eure deutschen Meister,
dann bannt Ihr gute Geister!
Und gebt Ihr ihrem Wirken Gunst,
zerging' in Dunst
das Heil'ge Röm'sche Reich,
uns bliebe gleich
die heil'ge deutsche Kunst!
(Während des Schlußgesangs nimmt Eva den Kranz von Walthers Stirn und drückt ihn Sachs auf; dieser nimmt die Kette aus Pogners Hand und hängt sie Walther um. Nachdem Sachs das Paar umarmt, bleiben Walther und Eva zu beiden Seiten an Sachs' Schultern gestützt; Pogner läßt sich, wie huldigend, auf ein Knie vor Sachs nieder. Die Meistersinger deuten auf Sachs als auf ihr Haupt)
Alle: Ehrt Eure deutschen Meister,
dann bannt Ihr gute Geister!
Und gebt Ihr ihrem Wirken Gunst,
zerging' in Dunst
das Heil'ge Röm'sche Reich,
uns bliebe gleich
die heil'ge deutsche Kunst!
(Das Volk schwenkt begeistert Hüte und Tücher; die Lehrbuben tanzen und schlagen jauchzend in die Hände.)
Volk: Heil Sachs! Nürnbergs teurem Sachs!