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Vierter Theil.
1861-1864

So reiste ich wiederum durch Thüringen und der Wartburg vorbei, deren Anblick oder Besuch somit einen eigenthümlichen Zusammenhang mit meinem Scheiden von, oder meiner Zurückkehr nach, Deutschland erhielt. In Weimar traf ich Nachts um zwei Uhr ein, um des anderen Tages in die von Liszt mir bereitete Wohnung auf der Altenburg geführt zu werden. Dieser meldete mir mit Bedeutung, dass ich in Prinzess Marien's Zimmer aufgenommen sei. Im Uebrigen fehlten diessmal alle Frauen zur Bewirthung; Fürstin Caroline befand sich bereits in Rom, und ihre Tochter war an Fürst Constantin Hohenlohe nach Wien verheirathet. Nur Miss Anderson, die Erzieherin Marien's, war zurückgeblieben, um Liszt bei der Bewirthung seiner Gäste behilflich zu sein. Im Uebrigen fand ich die Altenburg im Begriff versiegelt zu werden; der jugendliche Onkel Liszt's, Eduard, war zu diesem Zwecke, so wie zur Aufnahme des Inventares alles Eigenthumes, aus Wien angekommen. Nebenher herrschte aber eine ungemeine gastliche Belebtheit, da es einer Tonkünstler-Versammlung galt, und Liszt einen guten Theil derselben bei sich im Hause untergebracht hatte. Unter diesen Hausgästen waren zunächst Bülow und Cornelius inbegriffen; alle, und namentlich Liszt selbst, boten mir den sonderbaren Anblick ihr Haupt nur mit Reisekappen bedeckt zu sehen, was ich sogleich auf die grosse Ungenirtheit dieses, Weimar zugedachten, ländlichen Musikfestes zu deuten hatte. In dem oberen Stocke des Hauses war Franz Brendel, nebst Gemahlin, mit einiger Feierlichkeit logirt; bald wimmelte es von Tonkünstlern, unter denen ich meinen alten Bekannten Dräseke, sowie einen jungen Weisheimer, welchen mir Liszt ein Mal zum Besuche nach Zürich geschickt hatte, antraf. Auch Tausig stellte sich ein, schloss sich aber von unseren ungenirten Zusammenkünften meisten Theils aus, um einem Liebesverhältnisse mit einer jungen Dame nachzugehen. Bei kleineren Ausflügen wurde mir von Liszt Emilie Genast als Begleiterin zugetheilt, worüber ich mich, da sie sehr verständig und witzig war, nicht zu beklagen hatte. Auch lernte ich den Violinspieler und Musiker Damrosch kennen. Sehr erfreut war ich, meine alte Freundin Alwina Frommann, obwohl in einiger Spannung mit Liszt, hier wiederum begrüssen zu können. Da endlich auch Blandine mit Ollivier aus Paris eintraf, um neben mir in der Altenburg zu wohnen, gewannen die an sich lustigen Tage eine fast aufgeregte Heiterkeit. Am ausgelassensten fand ich Bülow, welchem die Orchester-Direktion bei der Faust-Symphonie Liszt's zugetheilt war. Seine Regsamkeit war ausserordentlich; er hatte die Partitur vollständig auswendig gelernt, und führte sie uns mit dem, keinesweges aus der Elite der deutschen Musiker bestehenden, Orchester mit ganz ungemeiner Präzision, Feinheit und Feuer vor. Nächst dieser Symphonie war das Gelungenste die Musik zu »Prometheus«; besonders ergreifend aber wirkte auf mich der Vortrag eines von Bülow komponirten Lieder-Cyclus: »die Entsagende«, durch Emilie Genast. Ausserdem boten die Aufführungen des Festkonzertes wenig Erfreuliches, worunter eine Cantate von Weisheimer »das Grab im Busento« zu rechnen ist; wogegen es zu einem wahren und grossen Aergerniss mit einem »deutschen Marsche« von Dräseke kam. Diese wunderliche Komposition des sonst so begabten Menschen, welche wie im Hohn verfasst aussah, wurde aus nicht leicht zu verstehenden Gründen von Liszt mit herausfordernder Leidenschaft protegirt; Liszt bestand auf der Durchführung des Marsches unter Bülow's Direktion. Auch diese gelang schliesslich Hans, und zwar auswendig: doch führte diess endlich zu einem unerhörten Aergerniss. Liszt, welcher in Folge der jubelnden Aufnahme seiner eigenen Komposition nicht zu bewegen war, dem Publikum sich ein einziges Mal zu zeigen, erschien bei der schliessenden Aufführung des Dräseke'schen Marsches in der Proscenium's-Loge, um dem Werke seines Schützlings, welches von den Zuhörern endlich mit unaufhaltsamem Missmuth zurückgewiesen wurde, mit weit hervorgestreckten Händen und donnernden Bravo-Rufen zu applaudiren. Es entspann sich hierüber ein völliger Kampf, welchen Liszt allein, zorngerötheten Antlitzes, mit dem Publikum führte. Blandine welche an meiner Seite sass, war gleich mir in heller Verzweiflung über dieses unerhörte provozirende Benehmen ihres Vaters, und es dauerte lange, ehe auch wir über den Vorgang uns beruhigten. Von Liszt selbst war als Erklärung wenig heraus zu bekommen; wir hörten nur einige Male wüthend verachtende Bezeigungen über das Publikum, für welches dieser Marsch noch viel zu gut sei; und ich erfuhr andrerseits, dass diess sonderbarer Weise aus Rancüne gegen das eigentliche Weimarische Publikum geschah, welches jedoch hier gar nicht in Betreff kam. Liszt behandelte diese Angelegenheit nämlich als eine Revanche für Cornelius, dessen Oper »der Barbier von Bagdad« vor einiger Zeit unter Liszt's persönlicher Leitung aufgeführt, und vom Weimarer Publikum ausgepfiffen worden war. Ausserdem bemerkte ich nun wohl auch, dass Liszt in diesen Tagen anderweitig grossen Aerger zu erleiden hatte. Wie er mir selbst gestand, war es ihm darauf angekommen, den Grossherzog von Weimar zu einem auszeichnenden Benehmen gegen mich zu bewegen; er wollte, dass dieser mich mit ihm zur Hoftafel einladen sollte; da Jener Bedenken fand, einen noch jetzt vom Königreich Sachsen ausgeschlossenen politischen Flüchtling zu bewirthen, vermeinte Liszt wenigstens den weissen Falken-Orden für mich durchsetzen zu können. Auch dieses war ihm abgeschlagen worden. Da er mit seinen Bemühungen für mich beim Hofe so übel angekommen war, sollte nun wenigstens die Bürgerschaft der Residenzstadt das ihrige zur Feier meiner Anwesenheit thun; es war ein Fackelzug für mich beschlossen. Als ich hiervon hörte, gab ich mir alle Mühe, das Vorhaben zu hintertreiben; was mir denn auch gelang. Ganz ohne Ovation sollte es jedoch nicht abgehen; eines Vormittags stellte sich der Justizrath Gille aus Jena mit sechs Studenten unter meinem Fenster zur Absingung eines gemüthlichen Sing-Vereins-Liedes ein, welcher Bezeigung ich mich auf das Herzlichste dankbar erwies. Dagegen gestaltete sich ein grosses Festmahl, bei dem alle Tonkünstler versammelt waren, und welchem auch ich zwischen Blandine und Ollivier beiwohnte, zu einer recht herzlichen Ovation für den nun wieder in Deutschland begrüssten, während der Zeit seiner Verbannung lieb und berühmt gewordenen Komponisten des »Tannhäuser« und des »Lohengrin«. Liszt sprach kurz, aber energisch, und einem besonderen Festredner gegenüber hatte auch ich mich ausführlicher vernehmen zu lassen. Sehr angenehm waren mehrere ausgewählte Versammlungen an Liszt's Mittagstische, bei deren einer ich auch der abwesenden Wirthin der Altenburg gedachte. Ein Mal aber speisten wir im Garten, und hier hatte ich die Freude, auch die gute Frommann, welche sich sehr verständig mit Ollivier unterhielt, mit Liszt ausgesöhnt, Theil nehmen zu sehen.

So nahte nach einer sehr mannigfaltig aufgeregt durchlebten Woche der Tag der Trennung für uns Alle. Es war eine freundliche Fügung, dass ich meine beschlossene Reise nach Wien zu einem grossen Theil in der Begleitung Blandinen's und Ollivier's ausführen konnte. Diese hatten beschlossen, Cosima in Reichenhall, wo diese einer Kur wegen sich aufhielt, zu besuchen. Als wir am Bahnhofe gemeinschaftlich von Liszt Abschied nahmen, gedachten wir auch Bülow's, welcher in den vergangenen Tagen sich so ungemein ausgezeichnet hatte, und der einen Tag früher verreist war; wir ergossen uns in seinem Lobe, nur bemerkte ich vertraulich scherzend: er hätte Cosima nicht zu heirathen gebraucht; worauf Liszt mit einer kleinen Verneigung hinzusetzte: »das war Luxus.«

Nun überkam uns Reisende, d. h. namentlich Blandine und mich, bald eine ausgelassen heitere Laune, welche sich namentlich durch Ollivier's, bei jedem Auflachen unsrerseits wiederholte, neugierige Frage: qu' est ce qu' il dit? steigerte. Dieser musste es sich gutmüthig gefallen lassen, dass wir fortgesetzt im Deutschen unsere Spässe trieben; doch wurden seine häufigen Nachfragen nach einem Tonique oder Jambon cru, welche die Hauptelemente seiner Ernährung auszumachen schienen, immer französisch von uns bedient. In Nürnberg, wo wir unser Nachtlager zu halten gezwungen waren, kamen wir erst spät nach Mitternacht an, und wurden mit vieler Mühe nach einem Gasthof gebracht, welcher uns jedoch nur nach langem Warten geöffnet wurde. Ein ältlicher dicker Gastwirth entschloss sich auf unsere Bitten, in so später Zeit uns noch Zimmer anzuweisen; um diess zu bewerkstelligen liess er uns jedoch, nach vielem ängstlichen Ueberlegen, erst längere Zeit in einem Hausflur warten, entfernte sich durch einen hinteren Corridor, und dort hörten wir ihn vor einer Kammerthüre mit schüchterner Freundlichkeit den Namen: »Margarethe« rufen. Er wiederholte diess mehrere Male mit dem Bedeuten, es seien Gäste da; fluchend wurde ihm von einem Frauenzimmer geantwortet. Nach vielem inständigen Bitten von Seiten des Wirthes kam Margarethe, im Négligé, endlich heraus, und brachte uns, nach mancher geheimen Ueberlegung mit dem Wirthe, in die für uns ausgewählten Kammern; wobei das Sonderbare des Vorfalles darin bestand, dass das unmässigste Gelächter, welches wir alle drei beständig unterhielten, weder vom Wirth, noch von seiner Magd bemerkt zu werden schien. Des anderen Tages besichtigten wir einige Merkwürdigkeiten der Stadt, zuletzt auch das germanische Museum, welches seiner damaligen Armseligkeit wegen namentlich meinem französischen Freunde Geringschätzung abgewann; die bedeutende Sammlung von Marter-Instrumenten, unter denen sich ein mit Nägeln ausgeschlagener Kasten besonders auszeichnete, erregten Blandinen aber einen mitleidigen Ekel.

Am Abend gelangten wir nach München, welches am anderen Tage, nachdem für »Tonique« und Schinken wieder gesorgt war, namentlich von Ollivier mit grosser Befriedigung in Augenschein genommen wurde. Er fand, dass der antikisirende Styl, in welchem namentlich die vom König Ludwig I. ausgeführten Kunstgebäude sich darstellten, höchst vortheilhaft gegen die Gebäude sich auszeichnete, mit welchen Louis Napoléon, zu Ollivier's grösstem Aerger, Paris anzufüllen beliebt hatte. Er versicherte, er würde hierüber in Paris sich vernehmen lassen. Hier traf ich zufällig einen ehemaligen jungen Bekannten, Herrn von Hornstein, wieder; ich stellte ihn als »Baron« meinen Freunden vor: seine putzige Gestalt und sein tölpelhaftes Benehmen unterhielten ihre Heiterkeit, welche wiederum zu einem wahren Feste ausartete, als » le baron« vor unserer nächtlichen Abreise nach Reichenhall uns Alle, damit wir auch nach dieser Seite hin München kennen lernten, noch in eine ziemlich entfernt liegende Bierbrauerei führen musste. Es geschah diess in finsterer Nacht; ausser einem Lichtstumpfe, mit welchem »der Baron« selbst in den Keller steigen musste, um uns Bier heraufzuholen, bot sich keine Beleuchtung dar; doch schien das Bier ausserordentlich zu schmecken, und nachdem Hornstein mehrere Male seine Kellerfahrt wiederholt hatte, bemerkten wir bei der nun mit nöthig gewordener Eile auszuführenden, ungemein beschwerlichen Wanderung durch Feldäcker und Gräben zum Bahnhofe hin, dass das ungewohnte Labsal uns etwas verwirrt hatte. Blandine verfiel sogleich nach dem Besteigen des Waggons in tiefen Schlaf, aus dem sie erst bei Tagesanbruch erwachte, als wir in Reichenhall anlangten, wo uns nun Cosima empfing und nach der zu unserer Aufnahme hergerichteten Wohnung geleitete.

Wir freuten uns zunächst über den Gesundheitszustand der Schwester, den wir als bei weitem weniger beängstigend erkannten, als er zuvor, namentlich mir, zur Kenntniss gekommen war. Ihr war hier eine Molkenkur verordnet worden. Wirklich wohnten wir auch am anderen Morgen einer Promenade nach der Molken-Anstalt bei; auf das hier eingenommene Heilmittel schien jedoch Cosima weniger Werth zu legen, als auf die Wanderungen und den Aufenthalt in der so ausgezeichnet stärkenden Gebirgsluft selbst. Von der Heiterkeit des Umganges, welche auch hier sogleich sich einstellte, blieben jedoch Ollivier und ich meistens ausgeschlossen, da die beiden Schwestern, zur grösseren Vertraulichkeit ihrer durch stetes Lachen bis in die Ferne bemerkbaren Gespräche, sich gewöhnlich in ihre Kammer vor uns verschlossen, sodass mir die französische Conversation mit meinem politischen Freunde fast allein verblieb. Doch wusste ich mir einige Male Zutritt zu den Schwestern zu verschaffen, um ihnen unter Andrem mein Vorhaben anzukündigen, sie, da um Beide ihr Vater sich nicht mehr bekümmere, zu adoptiren, – was weniger mit Vertrauen als mit Heiterkeit aufgenommen wurde. Ich beklagte mich einmal gegen Blandine über Cosima's Wildheit, was jene zunächst nicht begreifen wollte, bis sie mich dahin verstand, dass sie mir meinen Ausdruck selbst als gemeinte »timidité d'un sauvage« erklärte. Nach wenigen Tagen musste ich aber endlich an die Fortsetzung meiner bis jetzt so anmuthig unterbrochenen Reise denken; ich nahm im Hausflur Abschied und begegnete hier einem fast scheu fragenden Blicke Cosima's.

In einem Einspänner fuhr ich zunächst das Thal hinab nach Salzburg. An der österreichischen Grenze hatte ich ein Abenteuer mit dem Zollamte zu bestehen. Liszt hatte mir in Weimar ein Kistchen der kostbarsten, von Baron Sina ihm selbst verehrten, Cigarren geschenkt; von meinem Aufenthalte in Venedig her die unerhörten Chicanen kennend, durch welche die Einbringung dieses Artikels in Oesterreich erschwert ist, war ich darauf verfallen gewesen, diese Cigarren einzeln unter meiner Wäsche und in den Kleidertaschen zu verstecken. Der Zolldiener, ein alter Soldat, schien aber auf solche Vorsichtsmassregeln vorbereitet zu sein, und zog geschickt aus allen Falten meines kleinen Reisekoffers die Corpora delicti hervor. Ich hatte ihn durch ein Trinkgeld zu bestechen gesucht; dieses hatte er auch wirklich zu sich genommen, und ich war um desto empörter, als er mich nun doch vor dem Amte denunzirte. Hier hatte ich eine starke Strafe zu zahlen, erhielt aber nun die Erlaubniss, die Cigarren rückkaufen zu können, wovon ich jedoch wüthend abstand; als mir dann die Quittung für meine ausgezahlte Strafe zugestellt wurde, übergab man mir aber zugleich auch den preussischen Thaler, welchen zuvor der Zollsoldat ruhig zu sich gesteckt hatte. Als ich mich nun zur Weiterreise in den Wagen setzte, sah ich diesen Zolldiener ruhig vor einem Schoppen sitzen und sein Stück Brod mit Käse verzehren, wobei er mich höflich grüsste; ich bot ihm jetzt seinen Thaler wiederum an, diessmal aber verweigerte er ihn anzunehmen. Ich habe mich später oft noch darüber geärgert, dass ich damals nicht den Namen dieses Menschen mir geben liess, da ich den Gedanken festhielt, er müsse ein ausgezeichnet treuer Diener sein, als welchen ich ihn später gern zu mir genommen hätte.

Ueber Salzburg, wo ich von Regengüssen überfluthet ankam und die Nacht zubrachte, gelangte ich anderen Tages endlich an meinen vorläufigen Bestimmungsort Wien. Hier gedachte ich die Gastfreundschaft des aus der Schweiz her mir befreundeten Kolatschek anzunehmen; dieser, von Oesterreich längst amnestirt, hatte mich in Wien bei meinem vorherigen Aufenthalte aufgesucht, und für den Fall, dass ich auf längere Zeit zurückkommen würde, um mir den unangenehmen Aufenthalt in einem Gasthofe zu ersparen, sein Haus angeboten. Schon aus Gründen der Sparsamkeit, welche um diese Zeit mir so sehr zur Nöthigung gemacht war, war ich auf dieses Anerbieten gern eingegangen, und fuhr nun mit meinem kleinen Gepäcke sogleich nach dem mir bezeichneten Hause hin. Zu meinem Erstaunen erkannte ich alsbald, dass ich mich in der allerentferntesten Vorstadt, fast ohne alle Verbindung mit Wien selbst, befand, ausserdem das Haus aber auch ganz verlassen war, weil Kolatschek mit seiner Familie einen Sommeraufenthalt in Hütteldorf bezogen hatte; mit Mühe fand ich eine alte Magd heraus, welche durch ihren Herrn von meiner Ankunft ungefähr berichtet zu sein glaubte. Sie zeigte mir ein kleines Zimmer, in welchem, wenn ich wollte, ich schlafen könnte; weder für Wäsche noch sonstige Bedienung schien sie aber vorgesehen zu sein. Höchst ungemüthlich berührt durch diese Enttäuschung fuhr ich zunächst in die Stadt zurück, um in einem Kaffeehause am Stephan's-Platze, wo den Aussagen der Magd nach Kolatschek um eine gewisse Zeit sich einfinden sollte, diesen zu erwarten. Ich sass da längere Zeit, erkundigte mich wiederholt nach dem von mir Erwarteten, bis ich endlich Standhartner eintreten sehe. Sein höchstes Erstaunen mich hier anzutreffen wurde in der gemüthlichsten Weise noch dadurch gesteigert, dass er mir erklärte nie in seinem Leben noch in dieses Kaffee eingetreten zu sein, und dass nur ein ganz besonderer Zufall ihn gerade heute um diese Stunde hierher geführt habe. Er vernahm die Lage, in der ich mich befand, war sogleich in höchster Weise darüber aufgebracht, dass ich bei meiner so dringenden Beschäftigung im Mittelpunkte der Stadt am verlassensten Ende Wiens wohnen sollte, und bot mir sofort seine eigene Wohnung, welche er mit seiner ganzen Familie jetzt für sechs Wochen verlassen werde, zu einstweiligem Unterkommen an. Eine hübsche Nichte, welche mit ihrer Mutter und Schwester im gleichen Hause wohnte, sollte für alle nöthige Bedienung, auch Frühstück u. s. w. sorgen, und ich würde somit zu höchster Bequemlichkeit in der ganzen Wohnung mich ausdehnen können. Jubelnd führte er mich sofort in sein Haus, welches bereits von seiner Familie, die zu einem Sommeraufenthalt nach Salzburg vorausgegangen, verlassen worden war. Kolatschek wurde benachrichtigt, mein Reisegepäck herein geholt, und noch einige Tage genoss ich in Standhartner's Gesellschaft die Annehmlichkeit der behaglichen Gastfreundschaft. Nun hatte ich aber auch aus meines Freundes weiteren Mittheilungen die für meine Lage eingetretenen Schwierigkeiten zu vernehmen. Die im vergangenen Frühjahr für jetzt (ich war am 14. August in Wien angekommen) entworfenen Proben zu »Tristan und Isolde« hatten bereits auf unbestimmte Zeit vertagt werden müssen, weil der Tenorist Ander sich stimmkrank hatte melden müssen. Auf diese Nachricht glaubte ich eigentlich sofort meinen Aufenthalt in Wien als unnütz erkennen zu müssen; nur hätte mir Niemand zu rathen gewusst, wohin ich mich wenden sollte, um irgend einem Zwecke nachzugehen.

Meine Lage war, wie mir nun erst deutlich wurde, gänzlich verlassen, denn ich erschien mir von aller Welt aufgegeben. Hatte ich mir vor wenigen Jahren noch damit schmeicheln können, in einem ähnlichen Falle bei Liszt in Weimar einen freundlichen Aufenthalt für das Abwarten zu gewinnen, so hatte ich nun, wie ich diess bereits erwähnte, bei meiner Rückkehr nach Deutschland, bloss der Versiegelung seines Hauses beizuwohnen gehabt. So beschäftigte mich jetzt vor Allem das Umsehen nach irgend einem befreundeten Unterkommen. Somit wendete ich mich, fast nur noch in diesem Sinne, an den Grossherzog von Baden, welcher mich ja vor Kurzem erst so freundschaftlich und theilnahmvoll begrüsst hatte. Ich legte ihm in einem ausdrucksvollen Schreiben mein Bedürfniss an das Herz, versicherte ihm, dass es mir vor Allem auf ein, wenn auch noch so bescheidenes, Asyl ankäme, und ersuchte ihn, mir dieses in oder bei Karlsruhe durch die Gewährung einer Pension von 1200 Gulden zu verschaffen. Wie erstaunt war ich, hierauf eine nicht mehr eigenhändige, sondern nur von dem Grossherzog unterschriebene Antwort zu erhalten, in welcher mir auseinander gesetzt wurde, dass bei einer Gewährung meiner Bitte eine Einmischung meinerseits in die dortigen Theater-Angelegenheiten, und somit leicht berechenbare Misshelligkeiten mit dem Direktor desselben, meinem jetzt so vortrefflich sich bewährenden alten Freunde E. Devrient, vorauszusehen seien; da in solchen Fällen der Grossherzog sich genöthigt sehen würde, vielleicht zu meinen Ungunsten, wie er sich ausdrückte, »das Amt der Gerechtigkeit zu verwalten«, so müsse er nach reiflicher Erwägung bedauern mir die Erfüllung meines Wunsches versagen zu müssen. – Die Fürstin Metternich glaubte, bei meinem Fortgange von Paris, mein Bedürfniss auch nach dieser Seite hin zu errathen, und wies mich für Wien mit herzlicher Betonung an die Familie des Grafen Nakó, von dessen Frau namentlich sie mir in bedeutungsvollem Sinne sprach. Nun hatte ich, sogleich nach meinem Einzug in die Wohnung Standhartner's, durch diesen während der wenigen Tage vor seiner Abreise noch die Bekanntschaft des jungen Fürsten Rudolf Liechtenstein, unter seinen Freunden nur unter dem Namen »Rudi« bekannt, gemacht. Er wurde mir als leidenschaftlicher Verehrer meiner Musik von seinem sehr vertrauten Arzte in einnehmendster Weise empfohlen. Mit diesem, den ich, als Standhartner nun zu seiner Familie abgegangen war, häufig im »Erzherzog Karl« beim Speisen antraf, wurde der Plan eines Besuches bei Graf Nakó, auf dessen entfernterem Gute Schwarzau, verabredet. In gemüthlichster Weise wurde die, theilweise auf der Eisenbahn stattfindende Fahrt, in der Begleitung der jungen Frau des Fürsten ausgeführt. Von ihnen wurde ich nun in Schwarzau den Nakó's vorgestellt: ich traf in dem Grafen einen ausgezeichnet schönen Mann, in ihr dagegen eine Art von kultivirter Zigeunerin an, deren Talent im Malen sich durch riesengrosse Kopien Van-Dyck'scher Bilder, von denen die Wände prangten, in auffälliger Weise kundgab. Peinigender war dagegen ihr Musiziren am Klavier, bei welchem sie nur Zigeunerweisen mit allerächtestem, wie sie sagte, von Liszt verfehltem, Vortrage zu Gehör brachte. Die Musik des »Lohengrin« schien andrerseits alle sehr für mich eingenommen zu haben; diess bestätigten mir noch andere zum Besuch anwesende Magnaten, unter welchen ich auch den von Venedig her mir bekannten Grafen Edmund Zichy vorfand. Ich lernte hier die Tendenz einer freimüthigen ungarischen Gastfreundschaft kennen, ohne jedoch von dem Inhalte der Gespräche sonderlich erbaut zu sein. Leider hatte ich mich bald zu fragen, was ich unter diesen Leuten zu thun haben sollte. Für die Nacht war mir ein anständiges Gastzimmer angewiesen, und des anderen Tages sah ich mich bei Zeiten nach dem Umfange der schön gepflegten Umgebung des stattlichen Schlosses um, mit dem Erwägen, in welchem Theil desselben mir vielleicht ein längerer gastlicher Aufenthalt gewährt sein dürfte. Meinen anerkennenden Bemerkungen über die Ausdehnung der Gebäude wurde beim Frühstück jedoch mit der Versicherung begegnet, dass es leider kaum für die Bedürfnisse der gräflichen Familie ausreiche, da namentlich die junge »Comtesse« mit ihrer Bedienung eines grossen Aufwandes bedürfe. Es war ein kalter Septembermorgen, den wir bei dieser Gelegenheit im Freien zubrachten; mein Freund »Rudi« schien verstimmt; ich fror, und bald nahm ich meinen Abschied von der Magnatentafel, mit dem Bewusstsein, noch selten mit so artigen Menschen mich zusammen befunden zu haben, ohne im mindesten zu begreifen, was ich mit ihnen etwa gemein haben könnte. Diess Gefühl drang sich mir vollends bis zum Ueberdruss auf, als ich mit mehreren der »Cavaliere« gemeinschaftlich bis zu der Eisenbahnstation von Mödling fuhr, und während dieser Stunde zu stetem Schweigen mich gezwungen sah, da buchstäblich nur das so bekannt gewordene Gespräch über Pferde von ihnen geführt wurde.

In Mödling stieg ich aus, um hier den Tenoristen Ander zu besuchen, bei welchem ich mich für diesen Tag, mit der Absicht den »Tristan« vorzunehmen, eingeladen hatte. Es war noch sehr früh und ein heller, mit der Zeit sich erwärmender, Vormittag; ich beschloss, ehe ich Ander aufsuchte, einen Spaziergang in die liebliche Brühl. Dort liess ich mir in dem Garten des schön gelegenen Gasthofes ein zweites Frühstück bereiten, und genoss in vollendeter Einsamkeit eine höchst erquickliche Stunde. Die Waldvögel waren bereits verstummt, dafür gesellte sich ein bis in das Ungeheuere anwachsendes Heer von Sperlingen um mein Frühmahl; da ich sie mit den Brodkrumen fütterte, wurden sie endlich so kirr, dass sie in ganzen Flügen auf dem Tisch vor mir zum Raube sich niederliessen. Diess erinnerte mich an jenen Morgen in der Taverne des Gastwirthes Homo bei Montmorency. Auch hier, nachdem ich manche Thräne vergossen, lachte ich endlich laut auf, und schlug meinen Weg nach der Sommerwohnung des Herrn Ander ein. Leider fand ich an diesem bestätigt, dass seine Stimmkrankheit nicht wohl nur ein Vorwand sei. Jedenfalls musste ich mir bald gestehen, dass dieser dürftige Mensch, welcher zwar in Wien als ein Halbgott verehrt wurde, seiner Aufgabe als »Tristan« unter keinen Umständen gewachsen sein würde. Doch that ich das Meinige, weil ich doch nun einmal hier war, ihm den ganzen »Tristan«, in meiner mich so sehr aufregenden Weise, vorzuführen; wobei er behauptete, die Partie sei wie für ihn geschrieben. Mit Tausig und Cornelius, die ich in Wien wiederum angetroffen und welche ich für diesen Tag zu Ander herausbeschieden hatte, kehrte ich des Abends nach Wien zurück.

Mit diesen Beiden, welche sich herzlich um mich bekümmerten und nach Kräften mich zu erheitern suchten, verkehrte ich viel; nur hielt sich Tausig, der in gewisse vornehme Aspirationen gerathen war, etwas mehr zurück. Doch nahm auch dieser junge Freund noch an Einladungen Theil, welche uns gemeinschaftlich zu Frau Dustmann, damals zum Sommeraufenthalt in Hietzing sich befindend, beriefen. Hier kam es einige Male zu Diners, auch zu einzelnen Gesangstudien von der projektirten »Isolde«, für welche dieser Sängerin Stimme die seelische Empfänglichkeit nicht abzugehen schien. Dort las ich auch ein Mal wieder das Gedicht des »Tristan« vor, immer in der Meinung, ich werde mit Geduld und Enthusiasmus das Vorhaben seiner Aufführung doch noch ermöglichen. Für jetzt bedurfte es aber der ersteren am meisten, während mit dem letzteren gar nichts zu erreichen war; Ander war und blieb stimmkrank, und kein Arzt wollte genau die Zeit bestimmen, in welcher er von seinem Uebel erlöst sein würde.

Ich verbrachte die Zeit, so gut es ging, und verfiel darauf, die für Paris auf französischem Texte ausgeführte neue Scene zu Tannhäuser in das Deutsche zurück zu übersetzen. Cornelius musste mir hierfür die in sehr defekten Zustand gerathene Originalpartitur kopiren; seine Kopie eignete ich mir zu, ohne dem in seinen Händen verbliebenen Original weiter nachzufragen: was hieraus sich entwickelte, werden wir später erfahren.

Zu uns gesellte sich auch noch der von früher her mir bekannte Musiker Winterberger, welchen ich in einer von mir sehr beneideten Lage antraf: in dem sehr freundlichen Hause der Gräfin Banfy, einer alten Freundin Liszt's, war er in Hietzing ganz vortrefflich aufgenommen; dort lebte er behaglich und hatte für nichts zu sorgen, da die gütige Dame es für ihre Pflicht hielt, es dem sonst so verdienstlosen Menschen an nichts fehlen zu lassen. Von ihm erhielt ich nun wieder auch Nachrichten über Karl Ritter, und erfuhr, dass Ritter jetzt in Neapel im Hause eines Klaviermacher's gegen Ertheilung von Unterricht an dessen Kinder freie Wohnung und Kost anzunehmen hatte. Nachdem alles aufgebraucht, hatte Winterberger, wie es scheint, auf einige Empfehlungen Liszt's hin, sich auf Abenteuer in Ungarn aufgemacht; dieses schien ihm aber nicht nach Behagen ausgefallen zu sein, wofür er denn nun jetzt im Hause der guten Gräfin entschädigt wurde. Bei dieser Dame, gleichfalls als Hausgenossin, traf ich eine vortreffliche Harfenspielerin Fräulein Mössner an; diese hatte sich auf Anordnung der Gräfin mit der Harfe in den Garten zu verfügen gehabt, und nahm sich hier, an und mit ihrem Instrumente, in recht kühner Weise ganz erfreulich aus, so dass ich davon einen angenehm nachhaltigen Eindruck gewann. Leider gerieth ich mit der jungen Dame darüber, dass ich ihr kein Solo für ihr Instrument komponiren wollte, in Zerwürfniss: nachdem sie meine bestimmte Weigerung erhalten ihrem Ehrgeiz zu fröhnen, beachtete sie mich nicht mehr.

Zu den besonderen Bekanntschaften, welche mir Wien in dieser für mich so beschwerlichen Epoche verschaffte, gehörte nun auch der Dichter Hebbel. Da es mir nicht undenkbar erschien, dass ich vielleicht für längere Zeit Wien als den Ort meiner Wirksamkeit zu bestimmen haben würde, hielt ich eine nähere Bekanntschaft mit den dortigen litterarischen Notabilitäten für rathsam. Auf diejenige mit Hebbel bereitete ich mich durch eine vorherige Bekanntmachung mit seinen Theaterstücken umständlicher vor, wobei ich den besten Willen darein setzte sie gut zu finden, und ein näheres Vertrautwerden mit Hebbel für wünschenswerth zu halten. Die Wahrnehmung der grossen Schwäche seiner Dichtungen, welche ich namentlich in der Unnatürlichkeit der Konzeptionen, sowie des zwar immer gesuchten, meistens aber gemein bleibenden Ausdruckes derselben erkannte, schreckte mich für jetzt nicht ab, meinen Vorsatz auszuführen. Ich habe ihn nur einmal besucht, und bei dieser Gelegenheit mich auch nicht sonderlich lange mit ihm unterhalten: die exzentrische Kraft, welche in den meisten seiner dramatischen Figuren explodiren zu wollen scheint, fand ich in der Persönlichkeit des Dichters in keiner Weise ausgedrückt; das was mich hieran unangenehm befremdete, fand ich plötzlich erklärt, als ich wenige Jahre nachher erfuhr, Hebbel sei an einer Knochenerweichung gestorben. Ueber das Wiener Theaterwesen unterhielt er sich mit mir in der Stimmung eines vernachlässigten, seine Angelegenheiten aber dennoch geschäftsmässig betreibenden Dilettanten. Ich fühlte mich nicht besonders angeregt einen Besuch bei ihm zu wiederholen, namentlich seit er den bei mir verfehlten Gegenbesuch mir durch eine Karte notifizirte, auf welcher er sich als: »Hebbel, chevalier des plusieurs ordres«, meldete.

Meinen alten Freund Heinrich Laube fand ich hier als längst eingeübten Direktor des k. k. Hof-Burgtheater's wieder. Bereits bei meinem ersten Besuche im vergangenen Frühjahre hatte er es für seine Pflicht erachtet, mich den Wiener litterarischen Notabilitäten vorzuführen; unter diesen verstand er, sehr praktisch gesinnt, hauptsächlich Journalisten und Rezensenten. Als besonders interessant für mich hatte er bei einem grösseren Diner auch Dr. Hanslick eingeladen, und hier war er sofort darüber erstaunt, dass ich mit diesem kein Wort sprach, woraus er den Grund zu der Voraussagung nahm, dass ich es in Wien schwer haben würde, wenn ich auf ein Feld künstlerischer Wirksamkeit Bedacht nähme. Bei meiner diessmaligen Wiederkehr war ich ihm einfach als alter Freund willkommen, und er bot mir, so oft ich dazu Lust hatte, seinen Mittagstisch, welchen er als passionirter Jäger durch frisches Wildpret zu bereichern wusste, zum Mitgenuss an. Nicht sehr häufig machte ich jedoch von dieser Einladung Gebrauch, da mich der aus der trockensten Theatergeschäftsroutine einzig sich belebende Geist der Unterhaltung bald unangezogen liess. Nach der Mahlzeit versammelten sich, zu Kaffee und Cigarre, gewöhnlich Schauspieler und Litteraten um einen grösseren Tisch, an welchem, da Laube schweigend im Rauche seiner Cigarre nur ausruhte, seine Frau zumeist den Hof hielt. Diese war nämlich gänzlich, ihrem Manne zu Liebe, Theater-Directrice geworden, und hielt es für nöthig mit gewählten Reden längere Zeit über Dinge zu sprechen, von denen sie nicht das Mindeste verstand; wobei einzig die in früherer Zeit von mir so gern an ihr wahrgenommene grosse Gutmüthigkeit mich wiederum erfreute, da sie, wenn keiner der Höflinge ihr zu widersprechen wagte, auf meine sehr ungenirten Berichtigungen gewöhnlich mit unverhohlener Heiterkeit einging. Ihr und ihrem Gemahl, mit denen ich, da ihr Ernst mir so sehr gleichgültig war, gewöhnlich nur scherzend und in Witzen verkehrte, galt ich hauptsächlich wohl nur als genialer Faselhans, so dass mir Frau Laube, als ich später in Wien meine Konzerte aufführte, sich mit freundlicher Verwunderung darüber zu erkennen gab, dass ich ja ganz gut dirigiren könnte, was sie nach irgend welchem Zeitungsberichte über mich gar nicht erwartet hätte.

In Einem wurde mir Laube's praktische Kenntniss der Dinge nicht unwichtig, nämlich durch die Bekanntmachung mit dem Charakter der Persönlichkeiten der höheren Intendanzen der k. k. Hoftheater. Da kam es denn heraus, dass hier ein Hofrath von Raymond von allergrösster Wichtigkeit sei; der alte Graf Lanckoronski, der sonst auf seine Autorität sehr eifersüchtige Oberhofmarschall, getraute sich ohne diesen, als namentlich im Finanzfach sachverständig geltenden Mann, nicht gut selbständige Entschlüsse zu fassen. Raymond selbst, den ich bald als ein Muster von Ungebildetheit kennen lernte, wurde, besonders durch die fortwährend mich herabziehende Wiener Presse, in Bezug auf mein Vorhaben den »Tristan« aufzuführen, scheu gemacht, und zur Hinterhaltigkeit getrieben. Officiell blieb ich für meinen Verkehr immer nur an den eigentlichen Direktor des Operntheater's, Herrn Salvi, den früheren Gesangslehrer einer Kammerfrau der Erzherzogin Sophie, angewiesen; dieser, ein durchaus unfähiger, kenntnissloser Mensch, musste sich nun mir gegenüber die Miene geben, als ob ihm, dem Befehle der obersten Instanz gemäss, nichts dringender als die Förderung des »Tristan« am Herzen läge. Er suchte demgemäss, durch stets bezeigten Eifer und Wohlwollen, die immer bedenklichere Stimmung, welche sich in dem Personale selbst ausbreitete, mir zu verdecken.

Wie es hier stand, erfuhr ich eines Tages, als eine Gesellschaft unserer Sänger mit mir auf das Landgut eines Herrn Dumba, der mir als enthusiastischer Gönner bekannt gemacht wurde, eingeladen war. Herr Ander hatte seine Tristan-Partie mitgenommen, wie um zu zeigen, dass er sich keinen Tag von ihr zu trennen vermöchte: hierüber erzürnte Frau Dustmann, welche Ander eines auf meine Täuschung berechneten, heuchlerischen Spieles, bezichtigte; denn Ander, so gut wie sonst Jeder, wisse, dass er die Partie nicht singen werde, und dass es nur auf eine Gelegenheit abgesehen werde, die Verhinderung des Tristan in irgend einer Weise ihr, der Frau Dustmann, in die Schuhe zu schieben. Gegen so üble Wahrnehmungen suchte nun Salvi immer wieder wie eifrig fördernd sich einzumischen. Er empfahl mir den Tenoristen Walter vorzunehmen; da ich diesen, als mir durchaus widerwärtig, verwarf, verwies er mich auf fremde Sänger, welche er zu berufen bereit sei. Hier kam es wirklich zu einigen Versuchs-Gastspielen, von denen ein Herr Morini die besten Aussichten zu eröffnen schien. Wirklich war ich so tief herabgestimmt und nur von dem Triebe mein Werk um jeden Preis zu fördern eingenommen, dass ich, mit Cornelius einer Aufführung der » Lucia« von Donizetti beiwohnend, selbst meinen Freund für ein günstiges Urtheil über den Sänger zu gewinnen suchte. Cornelius, in ernstliches Anhören versunken, fuhr, als ich ihn voll Spannung betrachtete, plötzlich mit einem »Scheusslich, scheusslich!« heraus, worüber wir Beide so herzlich lachen mussten, dass wir alsbald in wirklich heitrer Stimmung das Theater verliessen.

Als mit einem ehrlichen Menschen vom Theater verkehrte ich schliesslich nur noch mit dem Kapellmeister Heinrich Esser. Er hatte sich mit grossem Ernste in das für ihn sehr beschwerliche Studium des »Tristan« hineingearbeitet, und nie verlor er ernstlich die Hoffnung, die Aufführung doch noch zu ermöglichen, wenn ich mir nur den Tenoristen Walter auswählen wollte; trotz meiner steten Weigerung, von dieser Hilfe Gebrauch zu machen, blieben wir immer gute Freunde. Da auch er ein tüchtiger Fussgänger war, durchwanderten wir öfters die Umgegend Wien's, unter meinerseits enthusiastischen und seinerseits redlich ernsten Unterhaltungen.

Während diese Tristan-Angelegenheit sich wie ein unabsehbar chronisches Leiden dahin zog, war Ende September Standhartner mit seiner Familie zurückgekehrt. Im nächsten Zusammenhang hiermit stand, dass ich mich nach einer Wohnung umsah, für welche ich mir einen Gasthof zur »Kaiserin Elisabeth« auswählte. Im fortgesetzten freundlichen Verkehr mit der Familie meines Freundes, lernte ich nun auch dessen Frau, nebst den dreien Söhnen und einer Tochter aus deren erster Ehe, sowie ein junges Mädchen aus ihrer zweiten Ehe mit Standhartner, vertraulich kennen. Im Betreff meiner vorangehenden Niederlassung in der mir befreundeten Wohnung hatte ich vor Allem die angenehme Pflege zu bedauern, welche mir die genannte Nichte Seraphine, sowohl durch ihre nie ermüdende Sorgfalt, als auch ihren angenehmen witzigen Umgang bereitet hatte. Sie war von mir, ihrer niedlichen Figur und ihres stets sorgfältig »à l'enfant« gelockten Haares wegen, die Puppe benannt worden. Jetzt hatte ich mich im düstren Gasthofszimmer schwieriger zu behelfen. Auch wuchsen die Kosten meines Unterhalts bedenklich an. Von Theaterhonoraren entsinne ich mich in dieser Zeit nur 25 oder 30 Louisd'or für den »Tannhäuser« aus Braunschweig erhalten zu haben. Dagegen erhielt ich aus Dresden von Minna einige Blätter des silberflitternen Blattkranzes übersandt, welchen einige Freundinnen ihr zu der am 24. November von ihr gefeierten silbernen Hochzeit verehrt hatten. Dass es bei dieser Sendung ihrerseits an bitteren Auslassungen nicht fehlte, konnte mich nicht verwundern; ich versuchte dagegen, ihr Hoffnung auf eine goldene Hochzeit beizubringen. – Für jetzt, da ich so ganz zwecklos in einem kostspieligen Wiener Gasthof sass, that ich noch mein Möglichstes, um mir für die Aufführung des »Tristan« noch eine Aussicht zu verschaffen. Ich wandte mich an Tichatschek nach Dresden, ohne natürlich eine Zusage erhalten zu können. Das Gleiche versuchte ich und wiederfuhr mir mit Schnorr. So musste ich mir denn sagen, dass es um meine Angelegenheit ziemlich elend stünde.

In einer gelegentlichen Mittheilung an Wesendonck's in Zürich hatte ich hiervon kein Hehl gemacht: wie es scheint um mich zu erheitern, luden sie mich zu einem Rendez-vous in Venedig ein, wohin sie sich soeben für einen Vergnügungs-Ausflug aufmachten. Gott weiss was mir im Sinne liegen mochte, als ich auf das Ungefähre hin im grauen November mich wirklich auf der Eisenbahn zunächst nach Triest, und von da mit dem Dampfschiff, welches mir wiederum sehr schlecht bekam, nach Venedig aufmachte, und im Hôtel »Danieli« mein Kämmerchen bezog. Meine Freunde, welche ich in sehr glücklichen Beziehungen antraf, schwelgten im Genuss der Gemälde und schienen es darauf abgesehen zu haben, durch meine Theilnahme am gleichen Genuss mir die Grillen zu vertreiben. Von meiner Lage in Wien schienen sie nichts begreifen zu wollen, wie ich denn überhaupt nach dem schlimmen Ausfalle der, mit so glorreichen Hoffnungen betrachteten Pariser Unternehmung, bei den meisten meiner Freunde ein still resignirtes Aufgeben fernerer Hoffnungen auf meine Erfolge immer mehr kennen zu lernen hatte. Wesendonck, der immer mit einem ungeheueren Opernglase bewaffnet zu Kunstbesichtigungen sich bereit hielt, brachte mich nur einmal zur Mitbesichtigung der Kunst-Akademie, welche ich bei meiner früheren Anwesenheit in Venedig nur von Aussen kennen gelernt hatte. Bei aller Theilnahmlosigkeit meinerseits, muss ich jedoch bekennen, dass Titian's Gemälde der Himmelfahrt der Maria eine Wirkung von erhabenster Art auf mich ausübte, so dass ich seit dieser Empfängniss in mir meine alte Kraft fast wie urplötzlich wieder belebt fühlte.

Ich beschloss die Ausführung der »Meistersinger«.

Nachdem ich mit meinen alten Bekannten Tessarin und Wesendonck's, welche ich hierzu eingeladen, noch einmal frugaler Weise im »albergo St. Marco« gespeist, auch Luigia, meine frühere Pflegerin im »Pallazzo Giustiniani« wieder gesehen und ihrer Freundschaft mich erfreut hatte, verliess ich nach vier, äusserlich wahrhaft trübseligen Tagen, zur Verwunderung meiner Freunde plötzlich Venedig, und trat, den Umwegen zu Lande auf der Eisenbahn folgend, meine lange graue Rückreise nach Wien an. Während der Fahrt gingen mir die »Meistersinger«, deren Dichtung ich nur noch nach meinem frühesten Konzepte im Sinne trug, zuerst musikalisch auf; ich konzipirte sofort mit grösster Deutlichkeit den Haupttheil der Ouvertüre in C-dur.

In einer wahrhaft behaglichen Stimmung kam ich unter diesen letzten Eindrücken in Wien an. Cornelius verkündigte ich sogleich meine Zurückkunft durch die Uebersendung einer kleinen Venezianischen Gondel, welche ich in Venedig für ihn gekauft hatte, und welche ich mit einer, in unsinnigen italienischen Worten verfassten, Canzona begleitete. Die Mittheilung meines Planes zur sofortigen Ausführung der »Meistersinger« machte ihn ganz verrückt vor Freude. Bis zu meinem endlichen Fortgange von Wien blieb er in einer völligen Berauschung. Sogleich spannte ich meinen Freund an, mir die Materialien zur Bewältigung des Sujets der »Meistersinger« herbei zu schaffen. Zunächst fiel mir Grimm's Streitschrift über den Gesang der Meistersinger zu genauem Studium ein; nun aber galt es der Habhaftwerdung der Nürnberger Chronik des alten Wagenseil; Cornelius begleitete mich auf die Kaiserliche Bibliothek; die Erlaubniss, das glücklich vorgefundene Buch ausgeliehen zu erhalten, musste mir aber mein Freund erst durch einen von ihm mir als höchst peinlich geschilderten Besuch bei dem Baron Münch-Bellinghausen (Halm) erwirken. Jetzt sass ich eifrig in meinem Gasthofe, um mir die Auszüge aus der Chronik anzueignen, welche ich bald zum Erstaunen so vieler Kenntnissloser in meiner Dichtung zu verwerthen wusste.

Nun galt es aber vor allen Dingen mich der Mittel des Unterhaltes während der Zeit der Ausführung meines Werkes zu versichern. Ich verfiel auf Musikalienhändler Schott in Mainz, welchem ich gegen die nöthigen Vorschüsse die Ausführung der »Meistersinger« in Aussicht stellte. Vom Triebe beseelt, mich nur für so lange wie möglich mit Geld zu versehen, erbot ich mich ihm nicht nur das litterarische Eigenthumsrecht, sondern auch das dramatische Aufführungsrecht meines Werkes für 20 000 Franken zu überlassen. Eine gänzlich abschlägige Depesche Schott's zerstörte zunächst alle Hoffnung. Als ich mich genöthigt sah auf andere Mittel zu denken, beschloss ich sofort mich nach Berlin zu wenden. Von dorther, wo Bülow immer freundschaftlich besorgt für mich bemüht war, hatte dieser mir die Möglichkeit gemeldet, durch ein grosses, von mir dirigirtes Konzert, eine recht bedeutende Summe gewinnen zu können; da ich zugleich mich sehnsüchtig nach einem Unterkommen bei Freunden umsah, schien mir Berlin jetzt als letzte Rettung zu winken. Bereits wollte ich eines Abends abreisen, als Mittags zuvor seiner ablehnenden Depesche ein Brief Schott's nachfolgte, welcher mir allerdings tröstliche Aussichten eröffnete: er bot mir nämlich an, sofort den Klavierauszug der »Walküre« zu übernehmen, und mir hierfür, bis auf spätere Abrechnung, 1500 Gulden vorzuschiessen. Cornelius' Freude über die hierdurch von ihm für gerettet erachteten »Meistersinger« war unaussprechlich. Von Berlin musste mir ausserdem Bülow die üblen Erfahrungen, welche er bei den vorbereitenden Versuchen für mein Konzert gemacht, mit zorniger Niedergeschlagenheit melden. Herr von Hülsen hatte ihm erklärt, er würde meinen Besuch in Berlin nicht empfangen, und ein Konzert in der grossen Tabagie des Kroll musste Bülow bei näherer Ueberlegung für unzulässig halten.

Während ich nun eifrig einen ausführlichen scenischen Entwurf der »Meistersinger« ausarbeitete, trat, durch die Ankunft des Fürsten und der Fürstin Metternich in Wien, eine neue, anscheinend günstige Diversion für mich ein.

Die Bekümmerung meiner Pariser Protektoren um mich und meine Lage war unverkennbar ernstlich; hierfür mich ihnen wiederum freundlich zu erweisen, bestimmte ich die Operntheater-Direktion mir zu gestatten, dass ich für einige Vormittagsstunden das vortreffliche Orchester zur Durchspielung einiger Stücke aus »Tristan«, gleichsam zur Probe, in das Theater einladen dürfe. Das Orchester, sowie auch Frau Dustmann, waren auf das Freundlichste bereit meinem Wunsche zu willfahren: Fürstin Metternich, mit einigen ihrer Bekannten, wurde zu dieser Audition eingeladen, in welcher ich drei grössere Fragmente, das Vorspiel des ersten und den Anfang des zweiten Aktes, bis ziemlich in die Mitte desselben, nach einmaligem Durchspielen mit dem Orchester und der für den Gesangstheil bis dahin unterstützenden Frau Dustmann, in so glücklicher Weise zur Ausführung brachte, dass ich des vortrefflichsten Eindruckes ohne jede Täuschung mich versichert halten durfte. Auch Herr Ander war hierbei erschienen, ohne jedoch eine Note zu kennen noch zu versuchen. Meine fürstlichen Freunde, sowie auch, merkwürdiger Weise, die erste Tänzerin Frl. Couqui, welche verstohlen der Probe beigewohnt hatte, überschütteten mich mit enthusiastischen Bezeigungen. – Eines Tages eröffneten mir nun Metternich's, nachdem sie meinen Wunsch einer ungestörten Zurückgezogenheit für die Ausführung eines neuen Werkes kennen gelernt hatten, dass sie gerade dieses stille Asyl in Paris mir sehr gut anbieten könnten: der Fürst habe jetzt sein sehr geräumiges Gesandtschafts-Hôtel vollständig eingerichtet, und könne mir, ähnlich wie ich diess im preussischen Gesandtschafts-Hôtel gefunden, eine angenehme Wohnung, auf einen stillen Garten hinausgehend, zu Gebote stellen; mein »Erard« stehe ja noch in Paris, und wenn ich am Ende des Jahres dort eintreffen werde, sollte ich alles zu meiner Aufnahme und dem Beginne meiner Arbeit bereit finden. Mit unverhohlener Freude nahm ich diese liebenswürdige Einladung dankbar an, und sorgte des Weiteren nur dafür, meine Angelegenheit so weit in Ordnung zu bringen, dass ich meinen Aufbruch von Wien, und meine Uebersiedelung nach Paris mit Anstand ausführen könnte. Hierzu schien mir ein durch Standhartner vermitteltes Anerbieten der Direktion, einen Theil des für den »Tristan« zu stipulirenden Honorar's mir auszuzahlen, mit behülflich sein zu können. Da ich jedoch nur unter so verklausulirten Bedingungen, welche einer gänzlichen Verzichtleistung nicht unähnlich sahen, jetzt 500 fl. ausbezahlt bekommen sollte, wies ich sofort das Anerbieten zurück, was jedoch die stets mit der Theater-Direktion in Rapport stehende Journalistik nicht verhinderte zu veröffentlichen, ich hätte eine Abfindungs-Zahlung für die Nicht-Aufführung des Tristan angenommen; wogegen ich denn glücklicherweise mit der Bezeugung der Wirklichkeit meines Benehmens protestiren konnte. Mit Schott zogen sich nun auch die Unterhandlungen einiger Maassen hinaus, da ich auf sein Anerbieten im Betreff der »Walküre« jetzt nicht eingehen wollte; ich blieb bei meinem ersten Anerbieten einer neuen Oper »die Meistersinger«, und erhielt endlich von ihm die für die Walküre mir angebotene Abschlagszahlung von 1500 Gulden, als auf mein neues Werk zu leisten, zugestanden. Sofort als ich den Wechsel erhielt ward eingepackt, als mir ein Telegramm der bereits nach Paris zurückgekehrten Fürstin Metternich zukam, worin ich gebeten wurde, meine Abreise bis zum ersten Januar zu verschieben. Ich nahm mir vor, um nur zunächst von Wien fortzukommen, mich von meinem Vorhaben nicht abhalten zu lassen, und zunächst mich nach Mainz, zu weiteren Unterhandlungen und Festsetzungen mit Schott, zu begeben. Der Abschied am Bahnhofe ward mir besonders durch Cornelius erheitert, welcher eine von mir ihm bereits mitgetheilte Strophe des »Sachs« wie mit geheimnissvollem Enthusiasmus mir zuraunte; es war diess der Vers: »der Vogel, der heut' sang, dem war der Schnabel hold gewachsen; ward auch den Meistern dabei bang, gar wohl gefiel er doch Hans Sachsen!«

In Mainz lernte ich nun die Familie Schott, welche bereits in Paris an mir vorübergegangen war, näher kennen. Auch jener junge Musiker Weisheimer war hier als täglicher Gast, im Beginne seiner Laufbahn als Musikdirektor beim dortigen Theater, anzutreffen. Bei einem Mittagsmahle brachte ein andrer junger Mann, der Jurist Städl, mit sehr weit gehender und mich überraschender Rede, einen wirklich sinnvollen Toast aus. Trotzdem gingen meine Unterhandlungen mit dem höchst sonderbaren Menschen, als welchen ich nun Franz Schott zu begreifen hatte, ungemein schwierig vor sich. Ich bestand durchaus auf der Ausführung meines ersten Vorschlages, welcher darauf ausging, mich für zwei Jahre successive mit den nöthigen Fonds zu versehen, um ungestört mein Werk ausführen zu können. Seine Abneigung hiergegen beschönigte er damit, dass es seinem Gefühle widerstehe, mit einem Manne wie mir gleichsam einen Handel zu treiben, indem er mir mein Werk für irgend eine Summe auch zur Ausbeutung meiner Autorenrechte im Betreff der theatralischen Aufführungen abkaufen solle; er sei Musik-Verleger und wolle nicht mehr sein. Ich stellte ihm dagegen vor, dass er mir nur immerhin in der verlangten Form die nöthigen Vorschüsse machen solle, wogegen ich die Zurückzahlung des Theiles, welcher als Honorar für das litterarische Eigenthum zu rechnen sei, durch die zukünftigen, ihm bis dahin gleichsam verpfändeten Theater-Einnahmen, gewährleiste. Sehr langsam war er endlich dazu zu bringen, auf von mir »zu liefernde musikalische Compositionen« im Allgemeinen Vorschüsse zu machen, was ich denn endlich gern annahm, jedoch immer darauf bestehend, dass ich mich im Ganzen auf eine successive Zahlung von 20 000 Franken verlassen könnte. Da ich nach meiner Auslösung aus meinem Wiener Gasthof jetzt sofort wieder Geld bedurfte, stellte mir Schott Wechsel auf Paris aus. Von dort erhielt ich nun eine briefliche Mittheilung von Fürstin Metternich, deren Sinn mir in so fern unverständlich blieb, als sie mir nur den plötzlichen Tod ihrer Mutter, GräfinSandor, und die dadurch eingetretene Veränderung in ihrer Familienlage meldete.

Nochmals überlegte ich nun, ob es nicht rathsamer sei, auf das Gerathewohl in oder bei Karlsruhe eine bescheidene Niederlassung zu versuchen, welche mit der Zeit vielleicht zu einer beruhigenden Dauer reifen könnte; im Betreff des schwierigen Unterhaltes Minna's, für welche ich meinem Versprechen gemäss in Dresden mit jährlichen 1000 Thalern aufzukommen hatte, schien es mir vernünftiger und namentlich sparsamer, wenn ich meine Frau dann zur Theilnehmung an dieser Niederlassung zu mir berief. Ein Brief, den ich um jene Zeit von ihr erhielt, und welcher im Ganzen nichts anderes als einen Versuch zu Verhetzungen mit mir befreundeten Personen enthielt, schreckte mich sofort von jedem Gedanken einer neuen Vereinigung mit ihr zurück, und bestimmte mich durch Festhaltung meines Pariser Planes mich so weit wie möglich von ihr fern zu halten.

So reiste ich gegen Mitte Dezember nach Paris ab, wo ich für das Erste in dem unscheinbaren Hôtel »Voltaire«, am Quai gleichen Namen's, ein sehr bescheidenes Zimmer aber mit angenehmer Aussicht bezog. Hier wollte ich, immerhin für meine Arbeit mich sammelnd, so lange unbeachtet mich erhalten, bis ich, wie sie zuvor es gewünscht hatte, der Fürstin Metternich erst mit dem Beginn des neuen Jahres mich vorstellen könnte. Um hierdurch den mit Metternich's befreundeten Pourtalès und Hatzfeld keine Verlegenheiten zu bereiten, betrachtete ich mich auch diesen gegenüber als gar nicht in Paris angekommen, und suchte einzig meine in jener Angelegenheit gänzlich unberührten alten Bekannten Truinet, Gaspérini, Flaxland und den Maler Czermak auf. Mit Truinet und dessen Vater traf ich regelmässig wieder zur Abendmahlzeit in der »Taverne Anglaise« zusammen, wohin ich mich bei eingetretener Finsterniss, ohne von Jemand beachtet werden zu können, die gewohnten Strassen durchschlich. Da auf einmal traf mich, beim Aufschlagen eines Journals, die Nachricht vom plötzlichen Tode des Grafen Pourtalès. Gross war mein Schmerz und besonders mein Bedauern darüber, dass ich durch jene sonderbare Rücksicht auf das Metternich'sche Haus bisher meinen Besuch bei diesem so bewährten Freunde unterlassen hatte. Nun suchte ich allerdings den Grafen Hatzfeld sofort auf, der mir zunächst die traurige Nachricht zu bestätigen, und die Umstände des so plötzlichen Todes, welcher durch eine bis in den letzten Augenblicken den Aerzten verborgen gebliebene Herzkrankheit herbeigeführt war, mitzutheilen hatte. Zugleich aber erfuhr ich von ihm die wahre Beschaffenheit der Vorgänge im Metternich'schen Hôtel. Der Tod der Gräfin Sandor, welchen Fürstin Pauline mir gemeldet, hatte folgende Bedeutung: der Graf, jener famose ungarische Tollkopf, war von seiner Gattin bis dahin, im Interesse der ganzen Familie, als Kranker gehütet worden; nach dem Ende derselben befürchtete die Familie nun die ungeheuersten Störungen durch den jetzt nicht mehr bewachten Grafen, wesshalb Metternich's es für nöthig hielten, ihn sofort nach Paris zu sich zu nehmen, und ihn unter ihrer Obhut in der nöthigen Pflege zu erhalten. Hierfür hatte die Fürstin sogleich, als einzig zweckmässig, die mir zuvor angebotene Wohnung bestimmt; somit erkannte ich jetzt, dass an meine Aufnahme im österreichischen Gesandtschaftshôtel bereits gar nicht mehr gedacht wurde, und ich hatte auch diesen sonderbaren Streich des Schicksals, welcher mich diessmal wiederum nach dem verhängnissvollen Paris geworfen hatte, zu erwägen.

Für's Erste blieb mir nichts anderes übrig, als mein nicht sehr kostspieliges Unterkommen im Hôtel Voltaire, bis zur Beendigung meiner Dichtung der »Meistersinger«, beizubehalten, und während dem gleichzeitig gründlich zu überlegen und darnach auszuspähen, wohin ich mich nun zu wenden hätte, um das so mühevoll aufgesuchte Asyl für die Ausführung meines neuen Werkes aufzufinden. Es war nicht leicht hierfür zu sorgen; meinen Namen und meine Person, welche unwillkürlich doch von Jedem in dem bedenklichen Lichte des Pariser Misserfolges ersehen wurden, schien eine Dunstwolke zu umgeben, die mich selbst alten Freunden unkenntlich zu machen schien. Fast wollte ich eine ähnliche misstrauische Vorstellung meinem neuesten Empfange im Ollivier'schen Hause entnehmen: jedenfalls hielt man es für mehr als bedenklich, mich so früh wieder auf der Pariser Arena erscheinen zu sehen. Ich hatte zu erklären, welcher sonderbare Umstand mich zunächst wieder hergeführt hatte, und wie ich an ein längeres Verweilen meinerseits gar nicht dächte. Von diesem, gewiss betrügerischen, Eindrucke absehend, erkannte ich nun wohl aber bald die Veränderung, welche im Innern der Familie vorgegangen war. Die Grossmutter lag an einem, in ihrem Alter unheilbaren, Beinbruche darnieder; Ollivier hatte sie in seiner an und für sich beschränkten Wohnung zur Pflege aufgenommen, und an ihrem Bette im kleinen Stübchen versammelten wir uns zum Diner. Blandine schien mir seit dem Sommer ausserordentlich verändert und einen traurigen Ernst auszudrücken; ich glaubte zu bemerken, dass sie guter Hoffnung sei. Emile, trocken und flüchtig, gab mir einzig etwas recht nützlich zu Verwendendes an: als nämlich jener R. Lindau durch seinen Avoué sich wegen einer, für seine imaginäre Mitarbeitung an der Uebersetzung des »Tannhäuser's« vom Gericht ihm zuerkannten Entschädigung, mahnend an mich wandte, zeigte ich den Brief Ollivier und frug, was ich machen sollte. »Ne répondez pas«, war die ganze Antwort; und sein Rath war ebenso nützlich als leicht zu befolgen; ich habe nie wieder etwas von dieser Seite zu erfahren gehabt. Mit Beklommenheit nahm ich mir vor, Ollivier nicht mehr zu belästigen; mit einem unendlich melancholischen Blick auf mich nahm Blandine von mir Abschied. –

Dagegen gerieth ich nun in einen fast regelmässigen Umgang, namentlich mit Czermak, mit welchem ich des Abends, neben der stets mit der Familie Truinet mich vereinigenden »Taverne Anglaise«, noch andere ähnlich wohlfeile Restaurants aufsuchte. Gewöhnlich begaben wir uns dann auch in eines der kleinen Theater, welche ich in meinem früheren Drange gänzlich unbeachtet gelassen hatte. Als Krone derselben erkannte ich das »Gymnase«, wo von der ausgezeichnetsten Truppe auch fast durchweg nur gute Stücke gespielt wurden. Unter diesen habe ich besonders ein sehr zart rührendes einaktiges Stück, »je dine chez ma mère«, in der Erinnerung behalten. Im »Theâtre du Palais Royal«, wo es nun allerdings nicht mehr so feinsinnig herging, sowie auch im »Theâtre Déjazet«, musste ich die hier originalen Urtypen aller der Possen erkennen, mit welchen in schlechter Bearbeitung und unpassender Lokalisirung das deutsche Publikum Jahr aus Jahr ein unterhalten wird. – Ausserdem hielt ich mich auch zuweilen am Mittagstische der Familie Flaxland auf, welche sonderbarer Weise an meinem zukünftigen Pariser Erfolge durchaus nicht verzweifeln wollte; für jetzt fuhr mein Pariser Verleger fort, den »fliegenden Holländer«, sowie auch den »Rienzi« herauszugeben, für welchen er mir sogar, da er in jenem ersten Verkauf nicht mit einbedungen gewesen, mit 1500 Franken ein kleines Honorar zahlte.

Der Grund der fast heiteren Behaglichkeit, mit welcher ich meine so widerwärtige Lage in Paris mir diessmal sogar zu einer freundlichen Erinnerung für spätere Zeiten gestalten konnte, lag allerdings darin, dass ich jetzt täglich mein Gedicht der »Meistersinger« in massenhaften Reimen anschwellen lassen konnte. Wie hätte es mich nicht mit humoristischer Laune erfüllen müssen, von dem Fenster des dritten Stockes meines Hôtels aus den ungeheueren Verkehr auf den Quais und über die zahlreichen Brücken, mit der Aussicht auf die Tuilerien, das Louvre, bis nach dem Hôtel de Ville hinab, an mir vorbeistreifen zu sehen, sobald ich, über die wunderlichen Verse und Sprüche meiner Nürnberger »Meistersinger« sinnend, den Blick vom Papier erhob.

Bereits war ich im ersten Akte weit vorgeschritten, als der verhängnissvolle Neujahrstag 1862 erschien, und ich nun den bis dahin mir vorbehaltenen Besuch bei Fürstin Metternich ausführte. Ich traf hier auf eine sehr natürliche Verlegenheit, und gegenüber den grossen Versicherungen ihres Bedauerns unter den mir bekannten Umständen ihre Einladung zurücknehmen zu müssen, hatte ich nur mit heiterster Laune mir ihre Beruhigung angelegen sein zu lassen. – Den Grafen Hatzfeld bat ich, mich davon benachrichtigen zu wollen, wann die verwittwete Gräfin Pourtalès sich so weit wohl fühlen würde, um meinen Besuch zu empfangen. – So fuhr ich denn im Verlaufe des Monats Januar fort, das Gedicht meiner Meistersinger, in genau dreissig Tagen, zu vollenden. Die Melodie zu dem Bruchstücke aus »Sachs'« Gedicht auf die Reformation, mit welchem ich im letzten Akte das Volk seinen geliebten Meister begrüssen lasse, fiel mir, auf dem Wege zur »Taverne Anglaise« die Galerien des »Palais Royal« durchschreitend, ein; ich fand Truinet mich bereits erwartend und verlangte von ihm einen Streifen Papier nebst Bleistift, um meine Melodie, die ich ihm zugleich heimlich vorsang, aufzuzeichnen. Dieser, den ich mit seinem Vater gewöhnlich dann über die Boulevards nach seiner Wohnung im Faubourg St Honoré, begleitete, hatte für mich fast nichts als den jubelnden Ausruf: »mais quelle gaité d'esprit, cher maître!«

Je mehr sich aber meine Arbeit dem Ende näherte, desto ernstlicher hatte ich nun für mein ferneres Unterkommen zu sorgen; ich bildete mir immer noch ein, es müsse mir etwas dem, was ich mit Liszt's Verlassen der Altenburg verloren hatte, ähnliches beschieden sein. Da entsann ich mich denn, dass ich noch im vergangenen Jahre von Frau Street die feurigste Einladung zu einem längeren Besuche bei ihr und ihrem Vater in Brüssel erhalten hatte; hierauf bezog ich mich nun, als ich bei der Dame jetzt anfrug, ob sie mir eine bescheidene Aufnahme für einige Zeit bei ihr gewähren könne: man war in »désolation«, meinen Wunsch mir abschlagen zu müssen. Auch an Cosima wandte ich mich nach Berlin mit einer ähnlichen Anfrage, worüber diese wirklich erschrocken zu sein schien, was ich mir, bei einem späteren Besuche Berlin's, durch den Charakter der Niederlassung Bülow's allerdings zu erklären verstand. Sehr auffallend war es dagegen, dass mein Schwager Avenarius, von dem ich erfuhr, dass er, in recht guten Verhältnissen, ebenfalls in Berlin Haus halte, sehr ernstlich auf meine Anfrage einging, und mich zunächst wenigstens bat, bei ihm abzusteigen, um mich selbst von der Möglichkeit eines längeren Auskommens in seinem Hause zu überzeugen. Meine Schwester Cäcilie verbat sich nur Minna's Mitkunft, welche sie jedoch für einen etwaigen Besuch in ihrer Nähe gut unterbringen zu können glaubte. Zu ihrem Unglücke musste diese Aermste nun wieder nichts andres zu thun haben, als mir einen wüthenden Brief über das verletzende Benehmen meiner Schwester zu schreiben: die Möglichkeit, unter irgend welchen Umständen so bald wieder zwischen die alten Hetzereien zu gerathen, schreckte mich sogleich von der Annahme des Vorschlages meines Schwagers ab. – So verfiel ich denn endlich darauf, in der Umgegend von Mainz, unter dem finanziellen Schutze Schott's, mir einen ruhigen Aufenthaltsort auszusuchen. Dieser hatte mir von einem hübschen Landgute des jungen Barons von Hornstein, in jener Gegend gelegen, gesprochen; ich glaubte diesem wirklich eine Ehre zu erweisen, als ich ihm nach München um die Erlaubniss, auf seinem Gute im Rheingau für einige Zeit Unterkunft zu suchen, schrieb. Dagegen war ich nun höchst betroffen, als Antwort ebenfalls nur den Ausdruck des Schreckens über meine Zumuthung zu empfangen. Jetzt beschloss ich denn geradeswegs nach Mainz zu gehen, wohin ich bereits unser sämmtliches, in Paris seit nun bald einem Jahre zurückgestelltes Mobiliar und Hausgeräthe dirigirte. Ehe ich nach diesen Entschlüssen Paris verliess, ward mir noch die Tröstung einer erhabenen Mahnung zu entsagungsvoller Standhaftigkeit zu Theil. Auch an Frau Wesendonck hatte ich über meine Lage und den Hauptgegenstand meiner Sorge, jedoch nur in dem Sinne, wie man theilnehmenden Freunden sich mittheilt, berichtet; sie beantwortete diess mit der Zusendung eines kleinen Briefbeschwerer's von Eisenguss, welchen sie damals in Venedig noch als Geschenk für mich eingekauft hatte; er stellte den Löwen von S. Marco mit der Tatze auf dem Buche vor, und sollte mich ermahnen, diesem Löwen in irgend etwas auch nachzueifern. Dagegen gestattete mir Gräfin Pourtalès schliesslich noch einen Besuch bei sich. Die so hart betroffene Dame wollte mir doch, trotz ihrer Trauer, einen innigen Antheil an mir nicht unausgedrückt lassen; da ich ihr meldete, womit ich mich soeben beschäftigt, frug sie nach meiner Dichtung: meinem Bedauern, sie jetzt gewiss nicht aufgelegt finden zu können mit dem heiteren Charakter meiner »Meistersinger« bekannt zu werden, entgegnete sie freundlich mit dem Wunsche, sie doch durch mich kennen zu lernen, und lud mich für den Abend ein. Sie war die Erste, der ich mein jetzt fertiges Gedicht vorlesen konnte, und es machte auf uns Beide einen nicht bedeutungslosen Eindruck, dass wir oft in herzliches Lachen darüber ausbrechen konnten.

Am Abend meiner Abreise, am ersten Februar, vereinigte ich noch meine Freunde Gaspérini, Czermak und die beiden Truinet's zu einer letzten Mahlzeit, in meinem Hôtel. Alles war vortrefflich aufgelegt, und namentlich durch meine eigene gute Laune erheitert, obwohl keiner recht begreifen wollte, was es mit dem Sujet für eine Bewandtniss habe, von dem ich nun die Dichtung vollendet, und von deren weiterer Ausführung ich mir für Deutschland so viel Gutes versprach.

Immer noch in der Sorge für das mir jetzt so nöthige Asyl das Richtige zu wählen, richtete ich jetzt meine Reise zunächst noch einmal nach Karlsruhe. Abermals wurde ich von dem grossherzoglichen Ehepaare freundlich empfangen, und über meine nächsten Lebensbeschlüsse befragt. In keiner Weise liess man mich jedoch durchblicken, dass die von mir gesuchte Niederlassung mir etwa in Karlsruhe bereitet sein könnte. Auffallend war mir eine theilnahmvoll sich ausnehmende Bekümmerniss des Grossherzogs darüber, aus welchen Mitteln ich nur eigentlich die Kosten meines jetzt so beschwerlichen Lebens, selbst wenn er nur meine Reisen in Berechnung ziehen wollte, zu bestreiten vermöchte; hierüber suchte ich ihn mit heitrer Miene zu beruhigen, und zwar durch einen Hinweis auf mein kontraktliches Verhältniss zu Schott, welcher mir bis zur Vollendung meiner »Meistersinger« die nöthigen Unterhaltssubsidien in der Form von Vorschüssen auf meine Arbeit zu liefern habe. Diess schien ihn zu trösten. Späterhin erfuhr ich von Alwina Frommann, der Grossherzog habe sich einmal darüber geäussert, ich hätte mich spröde gegen ihn benommen, nachdem er mir selbst, wie einem Freunde, seine Börse angeboten habe. Hiervon hatte ich nun allerdings nichts gemerkt; es war vielmehr nur noch davon die Rede, dass ich bald einmal wieder mich in Karlsruhe einfinden möchte, um eine meiner Opern, etwa den »Lohengrin«, neu einzustudiren und zu dirigiren.

Für jetzt setzte ich meine Reise nach Mainz fort, wo ich, am 4. Februar, bei einer grossen Ueberschwemmung eintraf. Der Rhein war in Folge eines frühzeitigen Eisbruches in ungewöhnlicher Weise ausgetreten; fast nur mit Gefahr konnte ich in das Haus Schott's gelangen; dennoch hatte ich bereits auf den 5. dieses Monates Abends auch für hier eine Vorlesung der »Meistersinger« angesagt, und hierzu, noch von Paris aus, Cornelius von Wien her einzutreffen verpflichtet, indem ich ihm mit 100 Franken das Reisegeld besorgt hatte. Mir war keine Antwort von ihm zugegangen, und da ich nun erfuhr, dass die gleiche Ueberschwemmung, wie ich sie in Mainz antraf, sich auf alle Flussgebiete Deutschlands erstreckte und allen Eisenbahnverkehr hemmte, rechnete ich zwar nicht mehr auf Cornelius' Eintreffen, verzögerte aber doch den Beginn der Vorlesung bis zu der ihm festgesetzten Stunde, und wirklich – Schlag sieben Uhr trat Cornelius bei uns ein. Er hatte die schwierigsten Abenteuer zu bestehen gehabt, sogar seinen Paletot unterwegs verloren, und war halb erfroren vor wenigen Stunden soeben erst jetzt bei seiner Schwester angelangt. So versetzte uns auch hier die Mittheilung meines Gedichtes in die heiterste Laune; nur betrübte es mich Cornelius von seinem Vorsatze, des anderen Tages sogleich wieder zurückzureisen, nicht abbringen zu können: er hielt diese pünktliche Ausführung seines Vorsatzes, eben nur für eine Vorlesung der »Meistersinger« nach Mainz zu kommen, für unerlässlich um dem ganzen Vorgange seinen absonderlichen Charakter zu bewahren. Wirklich reiste er anderen Tages, trotz Eisschollen und Wasserfluthen, wieder nach Wien zurück. –

Verabredeter Maassen begab ich mich nun alsbald, mit Schott, zum Aufsuchen einer Wohnung für mich auf das entgegengesetzte Rheinufer. Wir hatten es namentlich auf Biberich abgesehen; da sich hier nichts Rechtes vorfand, nahmen wir aber auch Wiesbaden selbst in Betracht; endlich entschied ich mich dafür, in dem »Europäischen Hof« zu Biberich zunächst ein Absteigequartier zu nehmen, um von hier aus das Weitere zu erkunden. Da es mir immer daran gelegen war, einsam und namentlich von jeder Möglichkeit eines musikalischen Geräusches fern zu wohnen, entschloss ich mich, in einem von dem Architekten Frickhöfer neu gebauten, dicht am Rheine gelegenen grösseren Sommerhause, eine sehr kleine, mir aber ganz entsprechende Wohnung zu miethen. Um sie mir einzurichten, hatte ich die Ankunft meines Mobiliars aus Paris abzuwarten; diess traf ein; mit unendlichen Kosten und Bemühungen wurde es in dem Bibericher Zollschuppen abgeladen, und ich bemächtigte mich nun zunächst des für meine Einrichtung Nöthigsten.

Nur was ich hierzu bestimmte, sollte überhaupt in Biberich verbleiben, der grössere Theil dagegen meiner Frau nach Dresden übersandt werden. Hiervon hatte ich Minna Meldung gethan, und nun bemächtigte ihrer sofort sich die Sorge, dass ich bei unregelmässigem Auspacken Alles beschädigen und zum Theil verlieren würde. Kaum hatte ich mich, mit dem nun wieder erlangten Erard'schen Flügel, innerhalb acht Tagen erträglich eingerichtet, als Minna plötzlich bei mir in Biberich ankam. Wirklich empfand ich zunächst nichts als herzliche Freude über ihr gutes Aussehen und ihre unverwüstliche Energie in der Handhabung praktischer Dinge: ich glaubte im ersten Augenblicke sogar, am Besten daran zu thun, wenn ich sie hier an meiner Seite sich einrichten liesse. Leider konnte meine gute Stimmung nicht lange anhalten, da die alten Auftritte sich alsbald erneuerten: als wir in dem Zollschuppen die Auseinandersetzungen eines jetzt in das Auge zu fassenden Meines und Deines vornahmen, konnte sie vor Zorn darüber sich nicht halten, dass ich ihre Ankunft nicht abgewartet und eigenmächtig aus dem Gepäcke das mir Taugliche entnommen hätte. Da sie dem ungeachtet es für schicklich hielt, mich mit einigen wirthschaftlichen Gegenständen zu versorgen, wendete sie sogar vier Bestecke von Messern, Gabeln und Löffeln, einige Tassen und die hiezu gehörigen Teller an meine Ausstattung, sorgte für sichere Verpackung des nicht ganz unansehnlichen übrigen Hausrathes, und nachdem diess Alles in ihrem Sinne wohl geordnet war, kehrte sie nach einer Woche nach Dresden zurück. Für ihre dortige Niederlassung schmeichelte sie sich nun genügend ausgerüstet zu sein, um auch mich, wie sie hoffte, bald bei sich empfangen zu können; hierfür hatte sie bereits diejenigen Schritte bei höheren Regierungsbeamten gethan, welche ihr die Erklärung des Ministers erwirkt hatten, ich möge bei dem Könige formell um meine Amnestirung einkommen, so würde für jetzt meiner Rückkehr nach Dresden nichts im Wege stehen.

Was hierin zu thun sei, überlegte ich mir jetzt noch mit Zögern. Minna's Anwesenheit hatte meine, an und für sich durch die Unruhe der letzten Zeiten gestörte Stimmung in erhöhtem Maasse verschlimmert; rauhes Wetter, schlecht heizende Oefen, grosse Unbeholfenheit im Haushalte, unberechnet starke Geldausgaben, namentlich auch für Minna's Einrichtung, verdarben mir zunächst alle Freude an der Ausführung des im Hôtel Voltaire begonnenen Werkes. Die Familie Schott lud mich, vermuthlich um mich zu zerstreuen, zu einer Aufführung des »Rienzi« mit Niemann nach Darmstadt ein: dort angekommen, stellte sich der damalige Minister, Herr von Dalwigk, welcher eine die Gegenwart des Grossherzogs leicht verletzende Demonstration für mich im Theater befürchtete, schon am Bahnhofe mir vor, um mich in seine eigene Loge zu geleiten, wo er sich sehr klug das Ansehen geben konnte, als ob er für den Grossherzog mich selbst dem Publikum präsentire. In diesem Sinne ging denn auch Alles sehr artig und freundlich ab: die Aufführung selbst, welche mir Niemann in einer seiner besten Rollen zeigte, war im Uebrigen dadurch für mich interessant, dass man so viel wie möglich darin ausliess, um dagegen, vermuthlich einer Vorliebe des Grossherzogs zu schmeicheln, dem Ballette durch Wiederholung der trivialsten Stücke eine besondere Ausdehnung zu geben. – Auch von diesem Ausfluge hatte ich wiederum durch die Eisschollen des Rheines zu mir zurück zu kehren. Sehr verdriesslich, suchte ich nun einige Bequemlichkeit in meinen Hausstand zu bringen, und miethete dazu ein Dienstmädchen, welche mir auch das Frühstück bereiten musste; Mahlzeiten nahm ich im »Europäischen Hof«.

Da es aber noch immer nicht zur Arbeitslaune kommen wollte, und eine gewisse Unruhe sich meiner bemächtigt hatte, trug ich mich, meinem Versprechen gemäss, dem Grossherzoge von Baden für einen abermaligen Besuch zu einer Vorlesung der »Meistersinger« an. Der Grossherzog antwortete mir sehr freundlich durch ein persönlich von ihm unterzeichnetes Telegramm, worauf ich am 7. März in Karlsruhe eintraf, und dem Grossherzoglichen Paare mein Manuskript vortrug. Es war zu dieser Vorlesung, sinniger Weise, ein Salon bestimmt worden, welcher mit einem grossen historischen Tableau meines alten Freundes Pecht, der junge Goethe die ersten Bruchstücke seines »Faust« den Ahnen der herzoglichen Familie vorlesend, geziert war. Mein Stück wurde sehr freundlich aufgenommen, und es nahm sich artig aus, als die Grossherzogin am Schlusse mir besonders die musikalische Ausführung des vortrefflichen »Pogner« anempfahl, – was wie ein freundliches Zugeständniss der Beschämung darüber anzusehen war, dass ein Bürger sich eifriger als mancher Fürst für die Kunst bemühte. Abermals wurde eine Aufführung des »Lohengrin« unter meiner Leitung besprochen, und ich hierfür neuerdings zum Einverständniss mit Eduard Devrient angewiesen. Dieser hatte nun das Unglück, durch eine mir dargebotene Aufführung des »Tannhäuser« im Theater sich mir auf das Abschreckendste zu empfehlen. Ich musste dieser Produktion an seiner Seite beiwohnen, und hatte hierbei mit Erstaunen zu erkennen, dass dieser sonst von mir so sehr empfohlene Dramaturg in den allergemeinsten Schlendrian des Theaterwesens verfallen war. Meiner Verwunderung über die haarsträubendsten Verstösse in der Darstellung erwiderte er mit noch grösserer und dabei vornehm ärgerlicher Verwunderung darüber, dass ich über so etwas viel Wesens machen könnte, da ich doch wüsste, dass es beim Theater nicht anders herginge. Dennoch ward für den bevorstehenden Sommer eine auf Mustergültigkeit berechnete Aufführung des »Lohengrin« unter Mitwirkung des Ehepaares Schnorr verabredet.

Einen angenehmeren Eindruck hatte mir, auf der Durchreise, eine Aufführung im Frankfurter Theater hinterlassen, wo ich ein hübsches Lustspiel sah, in welchem mir Friederike Meyer, die Schwester meiner Wiener Sängerin Dustmann, in einem Sinne, wie ich diess bei deutschen Schauspielern noch wenig gewahrt hatte, durch feines und zartes Spiel auffiel. Ich legte mir nun die etwaigen Chancen für ein erträgliches Auskommen im Betreff des, um Biberich verstreuten, möglichen Umganges mit einigen Menschen vor, um nicht blos auf die Familie Schott und meinen Gasthof-Wirth beschränkt zu sein. So hatte ich bereits die Familie Raff in Wiesbaden aufgesucht. Frau Raff, eine Schwester der mir von Weimar her vortheilhaft bekannten Emilie Genast, war als Schauspielerin am Wiesbadener Hoftheater angestellt. Von ihr erzählte man mir das Vorzügliche, dass sie durch ungemeine Sparsamkeit und Ordnungspflege die Lage ihres, bis dahin in diesem Punkte sehr verwahrlosten Gemahles zu einem vortrefflichen Gedeihen umgewandelt hatte. Raff selbst, welcher mir durch allerlei Berichte über sein früher unter Liszt's Protektion getriebenes Unwesen, in der Gestalt eines excentrisch Genialen vorschwebte, enttäuschte mich hierin sofort, als ich den ungemein trockenen, nüchternen, auf seinen Verstand eingebildeten, und doch dabei ohne allen weiten Blick sich behelfenden Menschen näher kennen lernte. Von der vortheilhaften Lage aus, in welche die Sorgfalt seiner Frau ihn gebracht hatte, glaubte er jetzt im Betreff der Lage, in welcher ich mich befand, durch freundliche Ermahnungen mich hofmeistern zu dürfen; er vermeinte mir als heilsam anrathen zu müssen, für meine dramatischen Kompositionen doch mehr auf die Wirklichkeit der Zustände Rücksicht zu nehmen, und wies in diesem Sinne auf meine Partitur des »Tristan«, als eine Ausgeburt idealistischer Extravaganzen, hin. Während ich bei seiner im Ganzen wohl unbedeutenden Frau, gelegentlich meiner Fusswanderungen nach Wiesbaden, in der Folge zuweilen gern einsprach, wurde Raff selbst mir doch bald ausserordentlich gleichgültig. Doch stimmte er, als er auch mich etwas näher kennen lernte, allmählich seine Weisheitsaussprüche etwas herab, und schien sich endlich sogar vor meiner scherzhaften Laune zu hüten, gegen welche er sich waffenlos fühlte.

In Biberich selbst dagegen sprach jetzt häufiger der von früher her mir oberflächlich bekannt gewordene Wendelin Weisheimer ein. Er war der Sohn eines reichen Bauern in Osthofen, der sich zum Staunen seines Vaters nicht mehr von der Musik abbringen lassen wollte. Ihm lag viel daran mit seinem Vater mich bekannt zu machen, um diesen für die Wahl der Künstlerlaufbahn seines Sohnes günstig zu stimmen. Diess führte mich auch auf Ausflüge nach jener Gegend hin, während ich des jungen Weisheimer's Talent als Orchesterdirigent durch eine Aufführung von Ottenbach's »Orpheus«, bis wohin er einzig in einer untergeordneten Stellung am Theater zu Mainz gelangt war, kennen lernte. Ich war wahrhaft entsetzt, durch die Theilnahme an dem jungen Mann mich bis zur Assistenz einer solchen Scheusslichkeit herabgebracht zu sehen, und konnte lange Zeit nicht anders als Weisheimer meinen Missmuth hierüber auffällig nachtragen. – Dagegen suchte ich mir eine edlere Unterhaltung durch meine schriftlich an Friederike Meyer nach Frankfurt gerichtete Bitte, mich davon benachrichtigen zu wollen, wann eine Wiederholung der von mir zu spät angezeigt gesehenen Aufführung des Calderon'schen Lustspieles »Das öffentliche Geheimniss« stattfinden sollte. Sehr erfreut über meine Theilnahme hierfür, meldete sie mir, dass diess Lustspiel wohl sobald nicht wiederholt werden würde, dafür jedoch Calderon's »Don Gutierre« für mich in Aussicht stünde. Zu der Aufführung dieses Stückes begab ich mich abermals nach Frankfurt, lernte die interessante Künstlerin jetzt persönlich kennen, und erhielt allen Grund, von der Aufführung der Calderon'schen Tragödie im Ganzen sehr befriedigt zu sein, obwohl der geistvollen Darstellerin der weiblichen Hauptrolle nur die zarteren Theile ihrer Aufgabe vollständig gelangen, während für das gewaltige Pathos ihre Kräfte nicht ausreichten. Sie erzählte mir, dass sie öfter eine befreundete Familie in Mainz besuchte, woran ich den Wunsch knüpfte, dass sie bei solchen Gelegenheiten doch auch Biberich berühren möchte: sie stellte mir diess für ein Mal in Aussicht.

Eine grosse Soirée, welche Schott's ihren Mainzer Bekannten gaben, verschaffte mir die freundliche Bekanntschaft mit Mathilde Maier, welche von Frau Schott ihrer »Gescheidtheit« wegen, wie sie sich ausdrückte, besonders ausgewählt war, mir beim Souper als Nachbarin Gesellschaft zu leisten; ihr sehr verständiges, wahrhaftiges, dabei für den Ausdruck von dem Mainzer Dialekt eigenthümlich bestimmtes Wesen, zeichnete sie, ohne dass dadurch irgend etwas Auffälliges geschah, vor der ganzen übrigen Gesellschaft sehr vortheilhaft aus. Ich versprach ihr, sie bei ihrer Familie aufzusuchen, und lernte nun ein städtisches Idyll kennen, wie ich desgleichen bisher wenig beachtet hatte. Mathilde, die Tochter eines mit Hinterlassung eines kleinen Vermögens gestorbenen Notars, lebte mit ihrer Mutter, zweien Tanten und einer Schwester in enger aber sauberer Häuslichkeit, während ihr Bruder, welcher in Paris die Handlung erlernte, ihr fortgesetzt Noth machte. Denn ihr tüchtiger praktischer Sinn war es, welcher die Angelegenheiten der ganzen Familie, und wie es schien zur grossen Zufriedenheit aller, besorgte. Ich ward hier ungemein herzlich aufgenommen, wenn ich, was wohl wöchentlich ein Mal geschah, meiner eigenen Angelegenheiten wegen nach Mainz wanderte, und wurde jedes Mal genöthigt, einen kleinen Imbiss von ihnen zu empfangen. Da sie im Uebrigen eine sehr ausgebreitete Bekanntschaft, unter andern auch die des einzigen Freundes Schopenhauer's, eines alten Herrn in Mainz, besass, traf ich Mathilde öfters auch anderswo, z. B. bei Raff's in Wiesbaden, von wo aus sie mit einer älteren Freundin, Luise Wagner, mich auf dem Heimwege zu Zeiten begleitete, wie ich ihr ebenso zuweilen das weitere Geleite nach Mainz gab.

Beim Herannahen der schönen Jahreszeit kam mir, unter derartigen gemüthlichen Eindrücken, zu denen die häufigen Promenaden in dem schönen Parke des Bibericher Schlosses das ihrige beitrugen, endlich auch die Arbeitslaune wieder an. Bei einem schönen Sonnenuntergange, welcher mich von dem Balcon meiner Wohnung aus den prachtvollen Anblick des »goldenen« Mainz mit dem vor ihm dahinströmenden majestätischen Rhein in verklärender Beleuchtung betrachten liess, trat auch plötzlich das Vorspiel zu meinen »Meistersingern«, wie ich es einst aus trüber Stimmung als fernes Luftbild vor mir erscheinen gesehen hatte, nahe und deutlich wieder vor die Seele. Ich ging daran das Vorspiel aufzuzeichnen, und zwar ganz so, wie es heute in der Partitur steht, demnach die Hauptmotive des ganzen Drama's mit grösster Bestimmtheit in sich fassend. Von hier aus ging ich sogleich weiter im Texte vorwärts, um ganz der Reihe nach die weiteren Scenen folgen zu lassen. – In so guter Stimmung fand ich auch die Laune zu einem Besuch bei dem Herzog von Nassau. Er war mein Nachbar, und ich war ihm so oft bei meinen einsamen Spaziergängen im Parke begegnet, dass ich es für schicklich fand, mich ihm vorzustellen. Leider wollte bei der hier stattfindenden Unterredung nicht viel herauskommen: ich hatte es mit einem sehr beschränkten, aber gutartigen Menschen zu thun, welcher sich entschuldigte seine Cigarre in meiner Gegenwart immer fort zu rauchen, weil er ohne dem nicht bestehen könnte. Im Uebrigen erklärte er mir seine Vorliebe für die italienische Oper, bei welcher ich ihn von ganzem Herzen beliess. Doch hatte ich eine heimliche Absicht, als ich ihn mir gewogen zu stimmen suchte. In einem hinteren Theile seines Parkes stand an einem Teiche ein alterthümlich aussehendes kleines Schlösschen, welches in dem Sinne einer pittoresken Ruine verwendet war, und zur Zeit einem Bildhauer als Atelier diente. Es regte sich in mir der kühne Wunsch, dieses kleine, halb verwitterte Gebäude mir für Lebenszeit zugetheilt wissen zu können; denn schon jetzt entstand in mir die bange Sorge, ob ich in meiner bisherigen Wohnung ausdauern können würde, da der grössere Theil desselben Stockwerkes, in welchem ich nur zwei kleine Zimmer einnahm, für den bevorstehenden Sommer an eine »Familie« vermiethet war, von welcher ich erfuhr, dass sie mit einem Klavier bewaffnet einziehen würde. Bald rieth man mir jedoch davon ab, der Gnade des Herzogs von Nassau für meine Spekulation weiter nachzugehen, da jenes Schlösschen seiner feuchten Lage wegen durchaus ungesund für mich sein würde.

Im Uebrigen liess ich mich jedoch nicht davon abhalten, immer wieder zum Aufsuchen des von mir ersehnten einsamen kleinen Häuschen's mit Garten mich aufzumachen. Bei den Ausflügen, die ich zu diesem Zwecke sehr häufig unternahm, begleitete mich öfters, neben Weisheimer, auch jener junge Jurist Dr Städl, welcher mir bei Schott den erwähnten hübschen Toast ausgebracht hatte. Es war ein sonderbarer Mensch, dessen oft sehr aufgeregtes Wesen ich mir gelegentlich dadurch zu erklären hatte, dass er ein leidenschaftlicher Spieler am Roulette zu Wiesbaden sei. Dieser machte mich noch mit einem anderen Freunde, welcher zugleich geübter Musiker war, Dr Schüler aus Wiesbaden, bekannt; mit Beiden erwog ich nun alle Möglichkeiten eines Erwerbens, oder auch nur Auffindens meines kleinen Zukunftsschlösschens. Einmal besuchten wir in dieser Absicht Bingen, und bestiegen dort den berühmten alten Thurmbau, in welchem dereinst Kaiser Heinrich IV. gefangen gehalten worden war. Nachdem man eine ziemliche Felsenhöhe zu besteigen gehabt, auf welcher der Thurm lag, geriethen wir in dessen viertem Stockwerke auf einen, das ganze Quadrat des Gebäudes einnehmenden Raum, von welchem ein einziges Erkerfenster auf den Rhein hinausging. Ich erkannte diesen als das Ideal aller meiner Vorstellungen einer Wohnung für mich, indem ich ihm durch Benutzung von Vorhängen die nöthigen kleineren Wohnungsabtheilungen hineinkonstruirte, und so mir für alle Zeiten ein herrliches Asyl zu bereiten gedachte. Städl und Schüler hielten es nicht für unmöglich mir zur Erfüllung meiner Wünsche zu verhelfen, da sie mit dem Eigenthümer dieser Ruine in Verkehr standen. Wirklich eröffneten sie mir auch nach einiger Zeit, dass der Besitzer gegen eine Abtretung dieses Saales für billigen Miethzins nichts einzuwenden hätte; nur wurde ich sogleich auf die gänzliche Unmöglichkeit mein Vorhaben auszuführen hingewiesen: kein Mensch, so hiess es, würde mich dort bedienen können und wollen, da unter anderem der Ort keinen Brunnen habe, und ein schlechtes Wasser nur aus einer in furchtbarer Tiefe gelegenen Cisterne des Burgverliesses zu gewinnen sei. Es genügte unter derartigen Umständen auf eine Schwierigkeit zu stossen, um mich sofort von solch ausschweifenden Projekten abzubringen. – So erging es mir ebenfalls mit einem dem Grafen Schönborn gehörigen herrschaftlichen Gute im Rheingau, auf welches ich, weil es gänzlich von der Herrschaft unbewohnt blieb, aufmerksam gemacht wurde: hier fand ich allerdings viele leere Räume, von welchen ich mir schon einiges für meinen Zweck Geeignete hätte herrichten können; nach näheren Erkundigungen bei dem Verwalter, welcher desshalb auch Anfrage an Graf Schönborn ergehen liess, hatte ich jedoch eine abschlägige Antwort zu erfahren.

Ein sonderbarer Vorfall war um diese Zeit geeignet, in der begonnenen Arbeit mich wiederum einiger Maassen zu stören: Friederike Meyer hielt ihr Versprechen und besuchte mich eines Nachmittags, von ihrem gewöhnlichen Mainzer Ausflug zurückkehrend, in Begleitung einer Freundin. Nach kurzem Verweilen überfiel sie plötzlich eine grosse Angst, und sie erklärte zu Aller Schrecken, dass sie befürchte vom Scharlachfieber befallen zu sein. In der That war der Zustand sehr bald beängstigend, so dass sie für das Nächste im europäischen Hofe sich eine Unterkunft suchen und einen Arzt bestellen musste. Die Bestimmtheit, mit welcher sie sofort die sie befallende Krankheit erkannte, die sonst nur in der Folge einer Ansteckung von Kindern häufig vorkommt, durfte mir wohl auffallen, meine Verwunderung steigerte sich jedoch, als, nach erhaltener Nachricht hiervon, am frühesten Morgen des anderen Tages Herr von Guaita, der Direktor des Frankfurter Theaters, sich bei der Kranken einfand, und eine Besorgniss für sie äusserte, deren Heftigkeit wohl nicht einzig aus dem Interesse des Theaterdirektors herzuleiten war. Ich fand mich dadurch, dass er Friederike sofort in seinen bekümmertsten Schutz nahm, für meine peinliche Theilnahme an diesem seltsamen Falle sehr erleichtert, verkehrte ein weniges mit Herrn von Guaita über die Möglichkeit eine meiner Opern in Frankfurt aufzuführen, und wohnte am zweiten Tage der von Guaita, wie es mir schien mit zärtlichster väterlichster Sorgfalt, geleiteten Transportirung der Kranken nach dem Bahnhofe bei. – Bald darauf führte sich ein Herr Bürde, Gemahl der namhaften Sängerin Ney, jetzt Schauspieler am Frankfurter Theater, bei mir ein: dieser, mit welchem ich unter Andrem auch das Talent Friederike Meyer's besprach, theilte mir mit, sie gelte als die Geliebte des Herrn von Guaita, eines in der Stadt durch seine patrizische Stellung angesehenen Mannes, und habe von diesem ein Haus geschenkt bekommen, in welchem sie wohne. Da Herr von Guaita durchaus auf mich keinen angenehmen, sondern vielmehr einen unheimlichen Eindruck gemacht hatte, erfüllte mich diese Nachricht mit einer gewissen Bekümmerniss. Dagegen benahm sich die meinem Bibericher Aysle näher gelegene Umgebung recht zutraulich und freundlich, als ich am Abend meines Geburtstages, am 22. Mai, diese kleine Gesellschaft in meiner Wohnung bewirthen liess, wobei Mathilde Maier, mit Schwester und Freundin, meinen erbärmlichen Vorrath an Geschirr mit sehr artigem Geschick verwendete, und gewisser Maassen die Honneurs als Hauswirthin machte. –

Nur störte wiederum bald ein immer mehr sich verschlimmernder Briefwechsel mit Minna. Da ich sie in Dresden fixirt, zugleich ihr aber auch das Beschämende einer ausgesprochenen häuslichen Trennung von mir ersparen wollte, hatte ich mich endlich dazu genöthigt gesehen, den von ihr angeregten Schritt beim sächsischen Justizminister auszuführen: ich war um meine schliesslich vollständige Amnestirung eingekommen, und erhielt jetzt mit der Gewährung derselben die Erlaubniss, mich in Dresden niederlassen zu dürfen. Somit fand sich Minna nun auch autorisirt, eine mit dem ihr zugewiesenen Mobiliare sehr gut einzurichtende grössere Wohnung zu miethen, und diess zwar in der Annahme, dass ich dieselbe nach einiger Zeit, wenigstens periodisch, mit ihr theilen würde. Ihren Geldforderungen hierfür musste ich ohne Widerrede zu entsprechen suchen, und unter andrem auch die 900 Thaler schaffen, welche sie hierfür ansprach. Je gelassener ich mich in diesem Punkte benahm, desto mehr schien sie die ruhige Kälte meiner Briefe zu verletzen: Vorwürfe über vermeintliche Kränkungen aus alten Zeiten, sowie Schmähungen aller Art wurden ihr wieder geläufiger als je zuvor. So wandte ich mich denn endlich an meinen alten Freund Pusinelli, welcher mir zu Liebe dem schwer zu behandelnden Weibe immer treu behilflich geblieben, um durch seine Vermittelung ihr die starke Medizin zu verordnen, welche mir meine Schwester Clara kurz zuvor als bestes Heilmittel für die Leidende angerathen hatte. Ich bat meinen Freund, Minna die Nothwendigkeit einer Scheidung an das Herz zu legen. Es schien kein Leichtes für den armen Freund gewesen zu sein, diesen Auftrag, wie es der Fall war, sehr ernstlich auszuführen. Er berichtete mir, dass sie sehr erschrocken gewesen sei, auf eine gutwillige Scheidung einzugehen aber mit Bestimmtheit verweigert habe. Jetzt änderte sich allerdings Minna's Benehmen, wie meine Schwester diess vorausgesehen, sehr auffällig; die Quälereien nahmen ein Ende, sie schien sich in ihre Lage zu fügen. Pusinelli hatte ihr zu einiger Erleichterung ihrer Herzkrankheit die Kur in Reichenhall verordnet; ich verschaffte ihr die Mittel hierfür, worauf sie an demselben Orte, wo ich vor einem Jahre Cosima ebenfalls zur Kur angetroffen hatte, den Sommer, wie es schien, in erträglicher Laune verbrachte.

Von Neuem wandte ich mich zu meiner Arbeit, zu welcher ich, sobald die Unterbrechungen beseitigt waren, als zur besten Erheiterung dienend, immer wieder griff. Ein sonderbarer Vorfall störte mich in einer Nacht. Ich hatte das freundliche Thema von der Anrede Pogner's »das schöne Fest Johannistag« u. s. w., an einem heiteren Abende entworfen, als ich, im Halbschlummer es immer noch vor mir vorüberziehen lassend, plötzlich durch ein ausgelassenes Frauengelächter, im Hause über mir, vollständig geweckt wurde. Das immer tollere Lachen ging endlich in grässliches Wimmern und furchtbares Heulen über. Entsetzt sprang ich auf, und gewahrte nun, dass diese Erscheinung von meinem Dienstmädchen Lieschen herrührte, welche, in der Kammer über mir gebettet, von hysterischen Krämpfen überfallen war. Die Magd meines Wirthes stand ihr bei; ein Arzt ward herbei geholt: während ich mit Schrecken besorgt war, das Mädchen würde alsbald seinen Geist aufgeben, hatte ich mich über die eigenthümliche Ruhe und Gelassenheit der übrigen Assistenten zu verwundern; ich erfuhr, dass solche Krämpfe sich häufig bei jungen Mädchen, namentlich nach Tanzvergnügungen, einstellten. Dem ungeachtet bannte mich der Vorgang mit seinen entsetzlichen Phänomenen noch lange zur Beobachtung fest, da ich hierbei, in der Weise des Wechsels von Ebbe und Fluth, eine anscheinend kindische Heiterkeit durch alle Uebergänge bis durch das frechste Lachen zu dem Schreien einer qualvoll Verdammten, mehrere Male vor mir wechseln sah. Als sich das Uebel einigermaassen beruhigte, legte ich mich wieder zu Bett, und nun erschien von Neuem der »Johannistag« Pogner's, welcher allmählich die vorher empfangenen grässlichen Eindrücke verbannte.

Nicht ganz unähnlich dem armen Dienstmädchen erschien mir bald auch der junge Städl, als ich ihn eines Tages an der Spielbank zu Wiesbaden beobachtete. Mit ihm und Weisheimer hatte ich vergnüglich im Kurgarten den Kaffee getrunken, als Städl für einige Zeit verschwand; um ihn aufzusuchen führte mich Weisheimer zur Spielbank. Eine entsetzlichere physiognomische Umwandlung, als ich jetzt an dem der Spielwuth Verfallenen gewahr wurde, war mir selten noch vorgekommen. Wie zuvor das arme Lieschen, so hatte jetzt auch diesen ein Dämon in Besitz genommen, der, wie das Volk sagt, sein böses Wesen in ihm trieb. Kein Zuspruch, ja keine beschämende Ermahnung vermochten den von Spielverlust Geplagten nur irgend wie zu einer Zusammenfassung seiner moralischen Kräfte zu bewegen. Da ich selbst der Spielwuth mich erinnerte, welcher ich eine Zeit lang als Jüngling verfallen war, unterhielt ich hiervon den jungen Weisheimer, und erbot mich ihm zu zeigen, wie ich wohl dem Zufalle, nicht aber dem Glücke etwas zu bieten mir getraue. Als ein neues Spiel beim Roulette begann, sagte ich ihm mit ruhiger Bestimmtheit, Nr. 11 werde zutreffen: so geschah es. Der Verwunderung über den glücklichen Zufall gab ich neue Nahrung, indem ich für das nächste Spiel Nr. 27 voraussagte, wobei ich mich allerdings einer extatischen Entrücktheit entsinne, welche mich einnahm: wirklich schlug diese Nummer wiederum zu, und nun gerieth mein junger Freund in ein solches Erstaunen, dass er mir auf das Dringendste anrieth, doch auch wirklich auf die von mir vorausgesehenen Nummern zu setzen. Wiederum muss ich mich der eigenthümlichen, sehr ruhigen Extase erinnern, mit welcher ich ihm erklärte: dass, sobald ich mein persönliches Interesse hierbei in das Spiel bringen würde, meine bisher bewährte Gabe sofort verschwinden müsste. Ich zog ihn alsbald vom Spieltische zurück; worauf wir bei schönem Sonnenuntergang den Rückweg nach Biberich antraten.

In sehr peinigende Berührungen gerieth ich nun mit der armen Friederike Meyer: sie meldete mir den Antritt ihrer Wiedergenesung, und bat mich um meinen Besuch, weil sie das Bedürfniss habe, sich bei mir für die mir zugezogenen Beschwerden zu entschuldigen. Da mich die kurze Fahrt nach Frankfurt oft zu unterhalten und zu zerstreuen vermochte, erfüllte ich gern ihren Wunsch, fand die Rekonvaleszentin noch sehr schwach, und in der ersichtlichen Bemühung begriffen, unangenehme Vorstellungen in ihrem Betreff von mir fern zu halten. Sie sprach über ihr Verhältniss zu Herrn v. Guaita als von dem zu einem fast überzärtlich besorgten Vater. Sie habe sich sehr jung von ihrer Familie getrennt, namentlich von ihrer Schwester Luise zurückgezogen, und so, sehr verlassen, sei sie in Frankfurt angekommen, wo ihr die angelegentliche Protektion des bereits in reiferem Alter stehenden Herrn von Guaita sehr willkommen gewesen sei. Leider habe sie unter diesem Verhältnisse in sehr peinlicher Weise zu leiden, da sie namentlich durch die Familie ihres Protektor's, welche von dem Gedanken eingenommen schien, dieser möchte sie gar heirathen wollen, in widerwärtigster Weise vornehmlich auch im Bezug auf ihren Ruf verfolgt werde. Ich konnte, dieser Mittheilung gegenüber, wirklich nicht umhin, sie darauf aufmerksam zu machen, dass ich von den Folgen dieser Feindschaft einiges bemerkt hätte, wobei ich so weit ging, auch von dem, wie das Gerücht besagte, ihr geschenkten Hause zu sprechen. Diess schien eine ganz ausserordentliche Wirkung auf die kaum genesene Friederike hervorzubringen; sie äusserte die höchste Entrüstung über diese Gerüchte, obwohl sie seit lange wohl vermuthen zu müssen geglaubt hätte, dass derlei Verleumdungen über sie ausgestreut wurden: sie habe schon öfter mit sich den Entschluss berathen, die Frankfurter Bühne aufzugeben, und sei nun mehr als je hierzu entschlossen. Ich fand in ihrem Benehmen keinen Grund ihren Aussagen meinen Glauben zu versagen. Da ausserdem Herr von Guaita, so wohl seiner Persönlichkeit, als auch seinem, mir damals ganz unbegreiflichen Benehmen nach, sich mir immer unverständlicher darstellte, nahm ich in meinem ferneren Verhalten zu dem sehr begabten Mädchen unbedingte Partei für ihr, durch augenscheinliche Ungerechtigkeiten bedrängtes, Interesse. Ich rieth ihr für jetzt zu ihrer Erholung einen längeren Urlaub für einen Aufenthalt am Rheine sich auszuwirken.

Jetzt wendete sich auch, der vom Grossherzog ihm ertheilten Weisung gemäss, Eduard Devrient im Betreff der besprochenen Aufführung des »Lohengrin« in Karlsruhe unter meiner Leitung, an mich. Um diesen, ehemals so blindlings hochgeschätzten, Menschen mir in seiner gänzlichen Entfremdung zu zeigen, war der in seinem Schreiben enthaltene, geradesweges ärgerlich hochmüthig ausgedrückte Vorwurf darüber, dass ich den »Lohengrin« ohne Kürzungen hergestellt wissen wollte, vollständig geeignet. Er schrieb mir, dass er von vorne herein die Partitur nach den für die Leipziger Aufführung von K.-M. Rietz eingeführten Kürzungen für das Orchester habe ausschreiben lassen, und somit alle die Stellen, welche ich restituirt wünschte, erst mühselig in die Stimmen einzutragen sein würden, welche Forderung er geradesweges als eine Chicane meinerseits ansehe. Hatte ich mir nun zurückzurufen, dass die einzige Aufführung des »Lohengrin«, welche ihrer gänzlichen Erfolglosigkeit wegen fast gar keine Wiederholung fand, eben vom Kapellmeister Rietz in Leipzig veranstaltet worden war, dass dennoch Devrient, weil er Rietz für den Nachfolger Mendelssohn's und den gediegensten Musiker der »Jetztzeit« hielt, gerade diese Verarbeitung meines Werkes zu dessen Einführung in Karlsruhe für zweckmässig gehalten hatte, so musste mich wohl ein wahrer Schauder über die Verblendung erfassen, welche ich so lange über diesen Menschen fast gewaltsam aufrecht erhalten hatte. Ich meldete ihm kurz meine Empörung hierüber, und meinen Entschluss, mit dem »Lohengrin« in Karlsruhe mich nicht befassen, dagegen gelegentlich beim Grossherzog hierfür mich entschuldigen zu wollen. Bald darauf erfuhr ich nun, dass der »Lohengrin« dennoch, mit dem Ehepaar Schnorr als Gästen, nach gewohnter Weise in Karlsruhe aufgeführt werden solle. Mich bestimmte ein grosses Verlangen, Schnorr und seine Leistungen endlich kennen zu lernen; ich reiste demnach ohne Anmeldung nach Karlsruhe, verschaffte mir durch Kaliwoda ein Billet, und wohnte so, das Weitere nicht beachtend, der Vorstellung bei. Meine jetzt empfangenen Eindrücke, namentlich von Schnorr, habe ich in meinen veröffentlichten »Erinnerungen« an ihn genauer bezeichnet; er war mir sofort ein geliebter Mensch geworden, und ich liess ihn ersuchen, nach der Vorstellung sich noch auf ein Plauderstündchen nach meinem Gasthofzimmer zu begeben. – Ich hatte so viel von seinen krankhaften Zuständen vernommen, dass ich wahrhaft erfreut war, ihn so spät in der Nacht, nach nicht unbedeutender Anstrengung, frisch und mit strahlendem Auge bei mir eintreten zu sehen. Meiner Besorgniss, um Schonung für ihn durch Abhaltung jeder Art von Ausschweifung, entgegnete er durch willige Annahme meines Anerbietens, unsere neue Bekanntschaft mit Champagner einweihen zu wollen. In heiterster Stimmung verbrachten wir mit Gesprächen, die für mich namentlich über den Charakter Devrient's sehr belehrend waren, einen guten Theil der Nacht, bis ich mir vornahm, auch noch den folgenden Tag zu verweilen, um seiner Einladung, bei ihm und seiner Frau zu speisen, entsprechen zu können. Da ich bei diesem längeren Verweilen in Karlsruhe wohl annehmen musste, dass dem Grossherzoge meine Anwesenheit bekannt werden würde, liess ich mich den nächsten Tag bei ihm anmelden, und wurde für eine Nachmittagsstunde beschieden. Nachdem ich über dem Mittagsmahle auch von Frau Schnorr, welche ich an Allem als grosses und wohlausgebildetes theatralisches Talent hatte kennen gelernt, die wunderlichsten Aufschlüsse über Devrient's Benehmen in der »Tristan«-Angelegenheit erfahren hatte, ging meine kurz darauf geführte Unterredung im grossherzoglichen Schlosse mit einer gegenseitigen Beklemmung vor sich. Die Gründe für die Zurückziehung meines Versprechens im Betreff der »Lohengrin«-Aufführung, so wie auch meine bestimmte Annahme der Hintertreibung der früher projektirten Aufführung des »Tristan« durch Devrient, theilte ich unverhohlen mit. Da nun durch Devrient's sehr kluges Verhalten von je her dem Grossherzog der Glaube an seine innige und wahrhaft besorgte Freundschaft für mich beigebracht worden war, berührte ihn diess offenbar höchst peinlich; doch schien er annehmen zu wollen, es handle sich nur um artistische Differenzen zwischen mir und seinem Theaterdirektor, da er beim Abschied mir den Wunsch ausdrückte, die vermeintlichen Missverständnisse durch ein gutes Einvernehmen noch ausgeglichen zu sehen, worauf ich ihm leichthin erwiderte, dass ich nicht glaube, mit Devrient noch zu etwas zu kommen. Jetzt brach der Grossherzog in wirkliche Entrüstung aus: er habe nicht geglaubt, dass es mir so leicht werde, einen bewährten Freund undankbar zu behandeln. Dem Ernste dieses Vorwurfes gegenüber hatte ich mich zunächst dafür zu entschuldigen, dass ich in einer, an Ort und Stelle für schicklich erachteten, nicht zu ernsten Weise meinen Entschluss ausgesprochen hatte; dass jedoch der Grossherzog durch eine sehr ernste Auffassung dieser Angelegenheit mich nun zu dem ebenfalls sehr ernstlichen Ausdrucke meiner wahren Gesinnung über jenen vermeintlichen Freund zu berechtigen schiene, und ich somit im vollkommen entsprechenden Ernste ihm erklären müsste, mit Devrient nichts mehr zu thun haben zu wollen. Hiergegen suchte der Grossherzog, mit wieder hervortretender Güte, mich zu bedeuten, dass er meine Erklärung für nicht so unwiderruflich auffassen wolle, da es ja doch wohl in seiner Macht läge, andrerseits auf ein mich versöhnendes Benehmen zu wirken. Ich schied mit dem ernstlich bezeugten Bedauern, dass ich jeden Versuch in dem Sinne meines Gönner's für erfolglos erachte. – Späterhin erfuhr ich, dass Devrient, welcher natürlich durch den Grossherzog von dem Vorgang Kenntniss erhielt, hierin einen Versuch meinerseits ihn zu stürzen und mich an seine Stelle zu bringen, erkannte. Der Grossherzog war nämlich bei dem Wunsche verblieben, von mir ein Konzert mit Bruchstücken aus meinen neuesten Werken aufgeführt zu wissen; hierüber hatte nach einiger Zeit Devrient mir wieder offiziell zu schreiben, bei welcher Gelegenheit er sich als Sieger über meine gegen ihn gespielten Intriguen zu erkennen gab, indem er mich zugleich versicherte, sein hoher Gönner wünsche dennoch das besprochene Konzert ausgeführt zu sehen, da er in seinem hohen Sinne die »Sache sehr wohl von der Person zu scheiden« wisse. Hierauf erwiderte ich mit einer einfachen Ablehnung.

Mit Schnorr's, mit denen ich mich viel über den Vorfall unterhielt, traf ich jetzt noch die Abmachung, dass sie mich mit Nächstem in Biberich besuchen sollten; worauf ich selbst dorthin zurückkehrte, um zunächst den mir angekündigten Besuch Bülow's entgegen zu nehmen. Dieser traf Anfangs Juli ein, um Quartier auch für Cosima zu suchen, welche in zwei Tagen nachfolgte. Wir freuten uns ungemein unseres Wiedersehens, welches jetzt in dem freundlichen Rheingau zu Erholungsausflügen jeder Art benützt wurde. Im Gastsaal des »Europäischen Hofes«, wo sich nun alsbald auch Schnorr's einfanden, speisten wir regelmässig und zwar meist in heiterster Laune, zusammen. Des Abends ward bei mir musizirt. Zu einer Vorlesung der »Meistersinger« stellte sich auch die vorüber reisende Alwina Frommann ein: auf Alle schien das Bekanntwerden mit meinem neuesten Gedichte, namentlich im Betreff des bisher von mir noch nicht angewendeten populär heiteren Styles, einen überraschenden Eindruck hervorzubringen. Auch die Sängerin Dustmann, auf einem Gastspiel in Wiesbaden begriffen, stellte sich zum Besuch ein; leider nahm ich an ihr eine heftige Abneigung gegen ihre Schwester Friederike wahr, was mich unter andrem auch darin bestätigte, dass es für diese die höchste Zeit sein möge, ihren Frankfurter Verbindlichkeiten sich zu entziehen. – Nachdem es mir durch Bülow's Unterstützung möglich geworden war, den Freunden die fertigen Theile der Komposition der »Meistersinger« vorzuführen, ward auch sonst viel aus »Tristan« durchgenommen, wobei nun Schnorr's zeigen mussten, wie weit sie sich bereits mit dieser Aufgabe vertraut gemacht hatten. Im Ganzen fand ich, dass Beiden noch viel zur Deutlichkeit des Ausdruckes hierfür fehlte.

Jetzt führte der Sommer immer mehr Gäste, darunter auch manchen mir Bekannten, in unsere Gegend: der Konzertmeister David aus Leipzig stellte sich mit seinem jungen Schüler, August Wilhelmj, dem Sohne eines Wiesbadener Advokaten, bei mir ein, und es ward nun so recht im eigentlichen Sinne musizirt, wozu auch der Kapellmeister Alois Schmitt aus Schwerin durch den Vortrag eines »alten Schinken's« seiner Komposition, wie er es nannte, einen sonderbaren Beitrag gab. Eines Abends kam es zu völliger Soirée, als zu meinen übrigen Freunden sich auch Schott's einfanden, und hier die beiden Schnorr's durch den Vortrag der sogenannten Liebesscene im 3. Akte des »Lohengrin« uns lebhaft erfreuten. – Grosse Ergriffenheit brachte das plötzliche Eintreten Röckel's in unserem gemeinschaftlichen Speisesaale des Hôtels bei uns allen hervor. Dieser war nun, nach daselbst bestandenen dreizehn Jahren, aus dem Waldheimer Zuchthause entlassen. Erstaunlich war es für mich, an meinem alten Bekannten, ausser dem jetzt erbleichten Haare, gar keine wesentliche Veränderung wahrzunehmen. Er selbst erklärte mir diess damit, dass er sich wie aus einer Kruste, in welcher er zu seiner Konservierung festgehalten worden wäre, herausgetreten vorkomme. Als wir überlegten, in welche Thätigkeit er nun einzutreten haben solle, glaubte ich ihm anrathen zu müssen, einen nützlichen Dienst bei einem so wohlwollenden und freisinnigen Fürsten, wie der Grossherzog von Baden, nachsuchen zu sollen. Er glaubte in irgend einem Ministerium, seiner fehlenden juristischen Kenntnisse wegen, nicht fortkommen zu können; wogegen er sich den besten Erfolg seiner Wirksamkeit verspräche, wenn man ihm die Leitung einer Strafanstalt übergeben wollte, weil er hierüber sich die genauesten Kenntnisse verschafft und zu gleicher Zeit eingesehen habe, welche Verbesserungen hier nothwendig seien. Er begab sich auf das deutsche Schützenfest, welches um diese Zeit in Frankfurt abgehalten wurde, und entging dort, in Anerkennung seines Martyriums und seines standhaften Benehmen's, einer bei öffentlicher Gelegenheit ihm dargebrachten schmeichelhaften Ovation nicht. Dort und in der Umgegend verweilte er für einige Zeit.

Ausserdem plagte mich und meine näheren Freunde ein Maler Cäsar Willig, welcher von Otto Wesendonck den Auftrag erhalten hatte, mich für seine Rechnung zu malen. Leider wollte es nicht gelingen, den Maler auf ein richtiges Bekanntwerden mit meiner Physiognomie hinzuführen: trotzdem Cosima fast bei allen Sitzungen zugegen war, und sorgsamst sich abmühte, den Künstler auf die richtige Spur zu bringen, blieb endlich nichts andres übrig, als ihm in schroffster Weise mein Profil zu präsentiren, mit welchem es doch wenigstens zu einer erkennbaren Aehnlichkeit gelangen sollte. Nachdem er diess zu seiner Zufriedenheit ermöglicht hatte, verfasste er dankbar auch noch eine Kopie als Geschenk für mich, welche ich sofort an Minna nach Dresden übersandte, durch welche sie späterhin an meine Schwester Luise überging. Es war ein schreckliches Bild, welchem ich noch ein Mal begegnete, als es in Frankfurt vom Künstler ausgestellt war.

Einen anmuthigen Ausflug machte ich mit Bülow's und Schnorr's für einen Abend nach Bingen; von dem gegenüberliegenden Rüdesheim holte ich hierzu die jetzt dort ihren Urlaub geniessende Friederike Meyer ab, und machte sie mit meinen Freunden bekannt, von denen namentlich Cosima für das nicht gewöhnlich begabte Frauenzimmer ein freundliches Interesse gewann. Unsere Heiterkeit beim Glase Wein, in freier Luft, steigerte sich durch einen unerwarteten Auftritt: von einem entfernteren Tische trat zu uns mit gefülltem Glase, in ehrerbietiger Haltung, ein Reisender herzu, der mir eine sehr feurige und anständige Begrüssung bot; er war Berliner und weitgehender Enthusiast für meine Arbeiten, und es geschah diess im Namen noch zweier seiner Freunde, welche gemeinschaftlich an unseren Tisch sich setzten, wo die gute Laune uns endlich bis zum Champagner verführte. Ein herrlicher Abend, mit wundervollem Mond-Aufgange, weihte die schöne Stimmung, in welcher wir spät Nachts von diesem freundlichen Ausfluge zurückkehrten. – Nachdem wir in ähnlicher guter Laune auch das Schlangenbad, wo Alwina Frommann sich aufhielt, besucht, verführte uns jetzt der Uebermuth zu einer noch weiteren Ausfahrt nach Rolandseck. Unseren ersten Aufenthalt nahmen wir hierbei in Remagen, wo wir die schöngelegene Kirche, in welcher, bei ungeheuerem Andrange, ein junger Mönch predigte, besuchten, und in einem Garten am Rheinufer unser Mittagsmahl einnahmen. Das Nachtlager wurde in Rolandseck genommen, von wo wir andren Tags bei Zeiten den Drachenfels bestiegen. Im Zusammenhang mit dieser Besteigung trug sich ein heiter endendes Abenteuer zu. Als wir nach dem Herabsteigen bei der Eisenbahnstation am anderen Rheinufer angekommen waren, vermisste ich mein Brieftäschchen, welches mir mit dem Inhalte eines 100 Gulden-Scheines aus der Tasche des Ueberrockes entschlüpft war: zwei Herren, welche sich uns vom Drachenfels aus angeschlossen hatten, erboten sich sogleich den nicht unbeschwerlichen Weg zurückzulegen, um dem Verlorenen nachzuspüren. Wirklich kehrten sie nach einigen Stunden zurück, und überbrachten mir die Brieftasche mit ihrem vollen Inhalte, welche auf der Höhe des Berges zwei dort beschäftigte Steinklopfer gefunden und sogleich zurückgegeben hatten. Den ehrlichen Leuten war, wie ich diess sogleich bestimmt hatte, ein anständiger Finderlohn bezahlt worden, und nun musste der freundliche Ausgang des Abenteuer's bei einem heiteren Mahle mit dem besten Weine gefeiert werden. In einem viel späteren Jahre sollte sich dasselbe für mich aber noch ergänzen: als ich 1873 bei einem Restaurant in Köln einkehrte, stellte sich mir dessen Wirth als derselbe vor, der uns vor eilf Jahren in jenem Gasthaus am Rhein bewirthet und von mir den bewussten 100 Gulden-Schein zum Auswechseln erhalten hatte; mit diesem Scheine hatte sich, wie er mir jetzt meldete, folgendes zugetragen: ein Engländer, dem er noch desselbigen Tages den Vorfall erzählt hatte, erbot sich dem Wirthe, diesen Schein mit dem doppelten Werth abzukaufen; der Wirth wollte von diesem Geschäfte nichts wissen, überliess jedoch den Schein dem Engländer gegen die Verpflichtung, die gerade anwesende Gesellschaft, welcher der Vorgang auch erzählt worden war, mit Champagner zu traktiren, was denn auch auf das Anständigste eingehalten wurde.

Zu einem weniger befriedigenden Ausfluge veranlasste uns eine Einladung der Familie Weisheimer nach Osthofen; dort wurden wir für eine Nacht einquartiert, nachdem man uns zu jeder Zeit des vorhergehenden Tages zum Genusse eines fortwährenden Bauernhochzeitsmahles genöthigt hatte. Cosima war die Einzige, welche über die Vorgänge hierbei in gute Laune zu gerathen vermochte, worin ich ihr nach besten Kräften beistand, während Bülow's längere Zeit hindurch wachsende Verstimmung über alle ihm bereiteten Begegnungen des Lebens bis zu Ausbrüchen der Wuth gereizt wurde. Wir wollten uns damit trösten, dass so etwas uns nicht mehr widerfahren könnte. Während ich Tags darauf anderen Gründen der Verstimmung über meine Lebenslage nachhängend, mich zur Rückkehr anschickte, bewog Cosima, Zerstreuung und Erheiterung in der Aufsuchung des dortigen alten Domes suchend, Hans zu einer Weiterfahrt nach Worms, von wo aus sie mir später nach Biberich nachfolgten.

Noch ist mir ein kleines Abenteuer, welches wir gemeinschaftlich an der Wiesbadener Spielbank erlebten, in Erinnerung geblieben. Mir war dieser Tage für eine Oper ein Theater-Honorar von 20 Louisd'or zugekommen; nicht recht wissend, was ich gerade mit dieser kleinen Summe anfangen sollte, da andrerseits meine Lage im Grossen sich immer misslicher gestaltete, reizte es mich Cosima zu bitten, die Hälfte der Summe am Roulette für unser gemeinschaftliches Glück zu versuchen. Ich sah mit Erstaunen zu, wie sie, ohne jede Kenntniss selbst nur der gemeinsten Aeusserlichkeit des Spieles, auf das Gerathewohl ein Goldstück nach dem anderen auf den Spieltisch warf, ohne weder eine Nummer noch eine Farbe bestimmt damit zu bedecken, so dass es regelmässig hinter dem Rechen des Croupier's verschwand. Mir ward bang; und schnell verschwand ich, um an einem benachbarten Spieltische Cosima's Un- und Missgeschick zu korrigiren. In diesem sehr ökonomischen Bestreben war mir das Glück so schnell behülflich, dass ich die von der Freundin dort verlorenen zehn Louisd'or hier sofort gewann, was uns alsbald zu grosser Heiterkeit stimmte. – Weniger anmuthig ging es bei einem gemeinschaftlichen Besuche einer Aufführung des »Lohengrin« in Wiesbaden ab. Nachdem uns der erste Akt so ziemlich befriedigt und in gute Stimmung versetzt hatte, gerieth die Darstellung während des weiteren Verlaufes in ein Geleise von so empörender Entstellung, wie ich sie nicht für möglich gehalten hatte; wüthend verliess ich noch vor dem Schlusse das Theater, während Hans auf Cosima's Ermahnung zur Berücksichtigung des Anstandes, beide jedoch nicht minder empört als ich, das Martyrium der Anhörung des Schlusses bestand.

Ein anderes Mal erfuhr ich, dass Metternich's auf ihrem Schlosse Johannisberg angekommen seien. Immer noch von meiner Hauptsorge für ein ruhiges Domizil zur Beendigung meiner »Meistersinger« befangen, fasste ich sogleich das für gewöhnlich leer stehende Schloss in das Auge, und meldete mich beim Fürsten zu einem Besuche an, zu welchem auch alsbald eine Einladung für mich erfolgte. Bülow's begleiteten mich bis zur Eisenbahnstation. Ich durfte mit der Freundlichkeit meiner Aufnahme von Seiten meiner Gönner zufrieden sein. Auch sie hatten die Frage meines temporären Unterkommen's auf Schloss Johannisberg bereits erwogen und gefunden, dass sie mir eine kleine Wohnung bei dem Schlossverwalter recht füglich überlassen könnten, nur aber auf die Schwierigkeit meiner Beköstigung mich aufmerksam machen müssten. Mehr als die Frage hatte den Fürsten aber die andere, der Möglichkeit mir in Wien eine dauernde Stellung zu gründen, beschäftigt. Er wolle, so sagte er, bei seinem nächsten Aufenthalte in Wien dort mit dem Minister Schmerling, welchen er für diese Angelegenheit am geeignetsten hielt, eine Abrede in meinem Bezug treffen: dieser würde mich verstehen, vielleicht auch meine richtige Stellung in einem höheren Sinne auffinden, und den Kaiser für mich zu interessiren vermögen. Wenn ich wieder nach Wien käme, sollte ich Schmerling einfach nur aufsuchen, und hierbei meine Einführung bei ihm durch den Fürsten voraussetzen. Einer Einladung an den herzoglichen Hof zur Folge, hatten Metternich's alsbald sich nach Wiesbaden begeben, bis wohin ich sie begleitete, um dort wieder mit Bülow's zusammen zu kommen. –

Nachdem uns Schnorr's nach einem zweiwöchentlichen Aufenthalte bereits verlassen hatten, nahte nun auch die Zeit für Bülow's Abreise. Ich begleitete sie nach Frankfurt, wo wir noch zwei Tage verweilten, um einer Aufführung des Goethe'schen »Tasso« beizuwohnen, welche durch den Vortrag der Liszt'schen symphonischen Dichtung gleichen Namens eingeleitet werden sollte. Mit sonderbaren Empfindungen wohnten wir dieser Vorstellung bei, in welcher Friederike Meyer als »Prinzessin«, und namentlich auch ein Herr Schneider als »Tasso«, durch ihre Leistungen uns sehr ansprachen, während Hans namentlich die schändliche Ausführung des Liszt'schen Werkes durch den Kapellmeister Ignaz Lachner nicht verwinden konnte. Zu einem Mittagsmahle in der Restauration des botanischen Garten's, welches uns Friederike vor der Aufführung darbot, fand sich schliesslich auch der geheimnissvolle Herr von Guaita ein. Wir hatten hier mit Verwunderung wahrzunehmen, dass von jetzt an alle Unterhaltung zu einem für uns unverständlichen Zwiegespräche zwischen jenen Beiden wurde, welches nur durch die wüthende Eifersucht des Herrn von Guaita und die witzig höhnische Abwehr Friederiken's uns klar wurde. Doch kam es zu einiger Fassung bei dem aufgeregten Manne, als er mir sein Anliegen, eine Aufführung des »Lohengrin« unter meiner Leitung in Frankfurt zu Stand zu bringen, vortrug. Ich fasste zu dem Projekte Neigung, indem ich hierin ein neues Vereinigungsziel für ein abermaliges Zusammentreffen mit Bülow's und Schnorr's in das Auge fasste. Bülow's versprachen mir zu kommen, und an Schnorr's wandte ich mich für eine Zusage ihrer Mitwirkung. So wollte es uns dünken, als könnten wir diessmal heiter scheiden, trotzdem die zunehmende, oft excessive Misslaunigkeit des armen, wie es schien immer sich gequält fühlenden Hans mir zuweilen machtlose Seufzer entwunden hatte. An Cosima schien sich dagegen die, bei meinem Besuch in Reichenhall vor einem Jahre von mir wahrgenommene, Scheu in freundlichstem Sinne verloren zu haben. Als ich eines Tages den Freunden in meiner Weise »Wotan's Abschied« vorgesungen hatte, gewahrte ich in Cosima's Mienen denselben Ausdruck, den sie mir damals zu meinem Erstaunen bei jenem Abschied in Zürich gezeigt hatte: nur war diessmal das Extatische desselben in eine heitere Verklärung aufgelöst. Hier war alles Schweigen und Geheimniss: nur nahm mich der Glaube an ihre Zugehörigkeit zu mir mit solcher Sicherheit ein, dass ich bei exzentrischer Erregung es damit selbst bis zu ausgelassenem Uebermuthe trieb. Als ich jetzt in Frankfurt Cosima über einen offenen Platz nach dem Gasthofe geleitete, fiel es mir ein sie aufzufordern, sich in eine leer dastehende einräderige Handkarre zu setzen, damit ich sie so in das Hôtel fahren könne: augenblicklich war sie hierzu bereit, während ich, vor Erstaunen wiederum hierüber, den Muth zur Ausführung meines tollen Vorhabens verlor.

Nach Biberich zurückgekehrt, hatte ich zunächst schweren Sorgen zu begegnen. Nach längerem Hinhalten verweigerte mir endlich Schott mit Bestimmtheit, fernere Subsidien mir auszahlen zu wollen. Allerdings hatte ich, bis vor Kurzem, seit meinem Fortgange von Wien alle meine Ausgaben für die Ansiedelung meiner Frau in Dresden, meine eigene Uebersiedelung nach Biberich, und diese zwar über Paris, wo ich noch manchen verborgenen Gläubiger zu befriedigen hatte, durch meines Verleger's Vorschüsse einzig bestritten. Trotz dieses schwierigen Anfanges, welcher allerdings wohl die Hälfte der mir für die »Meistersinger« bedungenen Summe gekostet haben mochte, konnte ich nun verhoffen, mit dem Rest jenes ausbedungenen Honorares mein Werk in Frieden beendigen zu können. Seither hatte mich Schott durch Vertröstungen auf eine gewisse Periode der Abrechnung mit den Buchhändlern hingehalten. Bereits hatte ich mir in schwieriger Weise zu helfen suchen müssen: Alles schien mir davon abzuhängen, dass ich Schott bald einen fertigen Akt der »Meistersinger« übergeben könnte. Hierin war ich bis zu der Scene, in welcher »Pogner« »Walther von Stolzing« den Meistersingern vorstellen will, gelangt, als mich, ungefähr Mitte August und noch während Bülow's Anwesenheit, ein an sich geringer Unfall traf, welcher mich jedoch für zwei volle Monate zum Schreiben unfähig machte. Mein mürrischer Hausherr hielt sich einen Bulldoggen, Namens »Leo«, als Kettenhund, dessen grausame Vernachlässigung von Seiten seines Herrn mich zu fortgesetztem Mitleiden stimmte. So wollte ich ihn eines Tages von seinem Ungeziefer reinigen, wozu ich ihm, damit er die hiermit beschäftigte Magd nicht ängstige, beim Kopfe festhielt: trotz des grossen Vertrauens, welches der Hund zu mir gewonnen hatte, schnappte er einmal unwillkürlich auf und verwundete mich, anscheinend sehr geringfügig, am Vordergelenk des rechten Daumens; keine Wunde war zu sehen, nur stellte es sich bald heraus, dass die innere Knochenhaut durch die Quetschung in einen entzündlichen Zustand gerathen war. Als der Schmerz beim Gebrauche des Finger's immer mehr überhand nahm, ward mir verordnet, bis zur völligen Genesung meine Hand namentlich zum Schreiben nicht mehr zu gebrauchen. Hatten mich die Zeitungen schon von einem tollen Hunde gebissen werden lassen, so war der Fall, wenn auch nicht so schrecklich, doch immerhin geeignet, mich über menschliche Gebrechlichkeit ernstlich nachdenken zu lassen. Ich brauchte also zur Vollendung meines Werkes nicht nur Gesundheit des Geistes, gute Einfälle und sonstige erlangte Geschicklichkeit, sondern auch eines gesunden Daumen's zum Schreiben, da ich hier nicht ein Gedicht zu diktiren, sondern eine undiktirbare Musik aufzuschreiben hatte.

Um Schott nur etwas Waare zu übergeben, verfiel ich nach dem Rathe Raff's, welcher ein Heft Lieder von mir für 1000 Franken werth hielt, darauf, fünf Gedichte meiner Freundin Wesendonck, welche ich ihr, meistens mit Studien des damals mich beschäftigenden »Tristan«, musikalisch ausgestattet hatte, meinem Verleger als einstweiligen Ersatz anzubieten. Die Lieder wurden angenommen und herausgegeben, ohne dass ich dadurch auf Schott's Stimmung vortheilhaft eingewirkt zu haben schien. Ich musste bei diesem auf irgend welche Verhetzung wider mich, welcher er unterlegen war, schliessen: um diesem auf dem Grund zu kommen und darnach meine ferneren Entschlüsse zu fassen, begab ich mich selbst nach Kissingen, wo jener zur Kur verweilte. Ein Gespräch mit ihm blieb mir hartnäckig verwehrt, da Frau Schott, als Schutzengel vor seinem Zimmer postirt, mir einen starken Anfall von Leberleiden als Verhinderungsgrund ihres Gemahles anzugeben hatte. Somit wusste ich genug, versorgte mich zunächst durch den jungen Weisheimer, welcher, auf seinen reichen Vater gestützt, sich hierzu sehr willig mir erbot, mit einigem Gelde, und überlegte mir nun, was ferner zu thun sei, da ich auf Schott nicht mehr rechnen, somit an die ungehinderte Ausführung der »Meistersinger« nicht mehr denken konnte.

Unter diesen Umständen überraschte es mich sehr, von der Direktion des Wiener Operntheater's die erneuerte bündige Einladung zur Aufführung des »Tristan« zu erhalten. Man meldete mir, alle Schwierigkeiten seien gehoben, da Ander von seiner Stimmkrankheit vollkommen genesen sei. Mich setzte diess in aufrichtige Verwunderung, und auf nähere Erkundigung wurden mir die Vorgänge, welche sich in meinem Bezug seitdem in Wien zugetragen hatten, in folgender Weise klar. Noch vor meinem letzten Fortgang von Wien hatte Frau Luise Dustmann, welche wirkliches Gefallen an der Partie der »Isolde« genommen zu haben schien, das eigentliche Hinderniss, welches meinem Unternehmen dort entgegenstand, dadurch hinweg zu räumen gesucht, dass sie zu einer Abend-Gesellschaft, bei welcher sie den Dr Hanslick von Neuem mir vorstellen wollte, auch mich zu kommen bestimmt hatte. Sie wusste, dass ohne eine Umstimmung dieses Herrn zu meinen Gunsten nichts für mich in Wien durchzusetzen sein würde; meine gute Laune machte es mir sehr leicht, an jenem Abende Hanslick so lange als oberflächlich Bekannten zu behandeln, bis er mich zu einem intimen Gespräch bei Seite zog, in welchem er unter Thränen und Schluchzen mir versicherte, er könne es nicht ertragen sich von mir länger verkannt zu sehen; es sei, was mir an seinem Urtheil über mich auffällig gewesen sein dürfte, gewiss nicht einer böswilligen Intention, sondern lediglich einer Beschränktheit des Individuums Schuld zu geben, um dessen Erkenntnissgrenzen zu erweitern er ja nichts sehnlicher wünsche als von mir belehrt zu werden. Diese Erklärungen gingen unter einer so starken Explosion von Ergriffenheit vor sich, dass ich zu gar nichts anderem mich aufgelegt fühlte, als seinen Schmerz zu beruhigen, und ihm meine rückhaltlose Theilnahme an seinem ferneren Wirken zu versprechen. Wirklich hatte ich noch kurz vor meiner Abreise von Wien erfahren, dass Hanslick gegen meine Bekannten sich in ungemessenen Ausdrücken über mich und meine Liebenswürdigkeit ergehe. Diese Veränderung hatte nun, so wie auf die Sänger der Oper, namentlich auch auf jenen Hofrath Raymond, den Rathgeber des Oberhofmeister's, in der Weise gewirkt, dass endlich von oben herab die Durchführung des »Tristan« als eine Ehrensache für Wien angesehen werden sollte. Diess der Grund meiner jetzt erneuerten Berufung.

Zugleich meldete mir der junge Weisheimer von Leipzig aus, wohin er sich begeben hatte, dass er dort ein gutes Konzert zu arrangiren sich getraue, wenn ich ihn dabei mit der Aufführung meines neuen Vorspieles zu den »Meistersingern«, sowie auch der »Tannhäuser«-Ouverture unterstützen wollte. Er nahm an, das Aufsehen hiervon würde so gross sein, dass er die Preise erhöhen und bei dem voraussichtlichen Absatze sämmtlicher Billete, nach einzigem Abzuge der Kosten mir wahrscheinlich eine nicht unbedeutende Summe zur Verfügung stellen können würde. Dazu kam, dass ich mein Herrn von Guaita gegebenes Versprechen, im Betreff einer Aufführung des »Lohengrin« in Frankfurt, trotzdem Schnorr's ihre Mitwirkung absagen mussten, nicht gut wieder zurücknehmen konnte. Die Erwägung aller dieser Anträge bildete nun in mir den Plan aus, die »Meistersinger« liegen zu lassen, und dafür durch auswärtige Unternehmungen mir so viel zu gewinnen zu suchen, dass ich von nächstem Frühjahr an das jetzt Unterbrochene an Ort und Stelle, unabhängig von Schott's Laune, wieder aufnehmen und durchführen könnte. So beschloss ich die, im Uebrigen mir zusagende, Wohnung in Biberich um jeden Preis beizubehalten. Da mich andrerseits Minna drängte, mein Bett, und einiges andere woran ich gewöhnt war aus meinem zurückbehaltenen Mobiliar, der von ihr eingerichteten Wohnung in Dresden zur Vervollständigung einzufügen, – »damit ich, wenn ich sie besuche, doch alles gehörig in Ordnung fände«, – wollte ich dem einmal gefassten Vorgeben, welches ihr die Trennung von mir erleichtern sollte, nicht zuwider handeln, sandte ihr das Verlangte zu, und richtete nun meine rheinische Wohnung, mit Hülfe eines Wiesbadener Möbel-Fabrikanten, welcher mir längeren Kredit gewährte, neu ein.

Ende Septembers begab ich mich jetzt auf acht Tage nach Frankfurt, um die Proben zu »Lohengrin« wirklich zu übernehmen. Hier bewährte sich denn einmal wieder dieselbe Erfahrung, welche ich bereits so oft an mir gemacht hatte: nach der ersten Berührung mit dem Opernpersonale war ich Willens das Unternehmen sofort aufzugeben; hiergegen trat nun durch die wahrgenommene Bestürzung und die mir zugewandte Beschwörung, doch nur auszuhalten, die Reaktion ein, welcher ich dann wieder unterlag, bis es mich endlich zu interessiren begann, zum Mindesten die Wirkung der Unverstümmeltheit, des richtigen Tempo's so wie der richtigen szenischen Anordnung, ganz für sich und mit Absehung von einem elenden Sängerpersonale, zu erfahren. Doch war wohl Friederike Meyer die Einzige, die eben diese Wirkung vollständig empfand; die gewöhnliche »Animirtheit« des Publikum's blieb zwar auch nicht aus, nur berichtete man mir späterhin, dass die folgenden Aufführungen, unter der Direktion des Herrn Ignaz Lachner, eines in Frankfurt sorgsam gepflegten vorzüglich elenden Dirigenten und Stümper's, derartig von der Höhe ihrer Wirkung zurückfielen, dass, um die Oper zu erhalten, hierzu der frühere Verhunzungs-Modus wieder angewendet werden musste.

Der Eindruck von dem Allen war auf mich um so niederschlagender, als ich selbst Bülow's vergebens unter meinen Gästen hatte erwarten müssen. Cosima war um diese Zeit, wie ich nun erfuhr, eiligst, an mir vorüber, nach Paris gereist, um der in längeren Leiden dahinsiechenden, und nun durch einen schmerzlichsten Schlag neu betroffenen, Grossmutter für kurze Zeit hilfreich zur Seite zu sein. Blandine war gestorben, und zwar in Folge einer Entbindung, welche sie in St. Tropez zu überstehen gehabt hatte. Jetzt verschloss ich mich für einige Zeit, bei plötzlich eingetretener rauher Witterung, in meine Bibericher Wohnung, und gewann meinem noch sehr behutsam zu behandelnden Daumen die Fähigkeit ab, einzelne Stücke aus der fertigen Komposition der Meistersinger für den nächsten Gebrauch im Konzerte zu instrumentiren. Das Vorspiel schickte ich sogleich an Weisheimer, um es in Leipzig ausschreiben zu lassen, und setzte noch die »Versammlung der Meistersinger« mit »Pogner's Anrede« für das Orchester aus.

Endlich war ich so weit, Ende Oktober selbst meine Reise nach Leipzig anzutreten. Auf dieser Fahrt wurde ich auf eine sonderbare Weise veranlasst, nochmals auf der Wartburg einzukehren: in Eisenach, wo ich für einige Minuten ausgestiegen war, hatte sich der Bahnzug soeben in Bewegung gesetzt, als ich eilig noch einsteigen wollte; unwillkürlich lief ich dem dahineilenden Zuge, mit hastigem Zuruf an den Condukteur, nach, ohne natürlich ihn aufhalten zu können. Die Abfahrt eines Prinzen hatte eine ziemliche Volksmenge auf dem Bahnhofe versammelt, welche nun über mich in ein lautes Gelächter ausbrach; ich frug sie: das mache ihnen wohl Freude, dass mir diess begegnet sei? »Ja, das macht uns Freude«, antworteten sie. Dieser Vorgang bildete bei mir das Axiom aus, dass man dem deutschen Publikum doch wenigstens durch seinen Schaden zur Freude verhelfen könne. Da erst nach fünf Stunden ein neuer Zug nach Leipzig erwartet wurde, zeigte ich durch den Telegraphen meinem Schwager Hermann Brockhaus, bei dem ich mich zu gastlicher Aufnahme gemeldet hatte, meine verspätete Ankunft an, liess mich von einem Menschen, der sich als Führer mir vorstellte, zu einer Einkehr auf der Wartburg bestimmen, sah dort die vom Grossherzoge getroffene theilweise Restauration derselben, auch den Saal mit den Schwind'schen Bildern mir an, fand mich von Allem sehr kalt berührt, und kehrte in der Restauration dieses Eisenacher Lustortes ein, wo ich verschiedene Bürgerinnen mit dem Strickstrumpfe beschäftigt antraf. Der Grossherzog von Weimar hat mir späterhin versichert, dass der »Tannhäuser« durch ganz Thüringen, bis zu den niedrigsten Bauernjungen hinab, Popularität genösse: weder der Wirth noch mein Führer schienen aber etwas davon zu wissen; doch schrieb ich mich in das Fremdenbuch mit meinem vollen Namen ein, und erzählte darin die anmuthige Begrüssung, welche mir auf dem Bahnhof zu Theil geworden. Ich habe nie erfahren, dass diess beachtet worden sei.

In Leipzig wurde ich bei später Nacht von dem ziemlich gealterten und dick gewordenen Hermann Brockhaus auf das Heiterste empfangen, und nach seiner Wohnung geleitet, wo ich mit Ottilien ihre Familie antraf, und in behaglicher Weise aufgenommen wurde. Wir hatten uns über vieles zu unterhalten, und die eigenthümliche Gutlaunigkeit meines Schwager's in der Theilnahme an solchen Gesprächen machte dieselben oft bis in die spätesten Morgenstunden hinaus für uns fesselnd. Meine Verbindung mit dem gänzlich unbekannten jungen Komponisten Weisheimer erregte einige Bedenken: in der That war sein Konzertprogramm mit einer starken Anzahl seiner eigenen Kompositionen, unter welchen sich eine soeben vollendete symphonische Dichtung »der Ritter Toggenburg« befand, angefüllt. Hätte ich den Proben hiervon in gleichmüthiger Stimmung beigewohnt, so würde ich wahrscheinlich gegen die vollständige Ausführung dieses Programm's Einspruch erhoben haben; dagegen wurden mir diese hierfür verwendeten Stunden im Konzertsaal zu den traulichsten und freundlichsten Erinnerungen meines Lebens, und zwar durch mein Wiederzusammentreffen mit Bülow's. Auch Hans hatte sich nämlich bestimmt gefühlt, an meiner Seite Weisheimer's Début die Weihe zu geben, indem er ein neues Klavierkonzert Liszt's darin zum Vortrag brachte. Hatte mich mein blosser Eintritt in den altbekannten Raum des Leipziger Gewandhaus-Saales, so wie die Begrüssung der mir so sehr entfremdeten Orchestermitglieder, denen ich mich als einen gänzlich Unbekannten erst selbst vorzustellen hatte, in unheimlicher Weise verstimmt, so fühlte ich mich plötzlich wie aller Welt entrückt, als ich Cosima in tiefer Trauer, sehr blass, aber freundlich mir zulächelnd, in einer Ecke des Saales gewahrte. Sie war vor Kurzem aus Paris vom Bette ihrer unheilbar darnieder liegenden Grossmutter, mit dem tiefen Schmerz über den unerklärlich plötzlichen Tod ihrer Schwester, zurückgekehrt, und erschien somit selbst mir wie aus einer anderen Welt wieder auf mich zutretend. Alles was uns erfüllte war so ernst und tief, dass nur die unbedingte Hingebung an den Genuss unseres Wiedersehens über jene Abgründe uns hinweg helfen konnte. Alle Vorgänge der Proben wurden uns zu einem sonderbar erheiternden Schattenspiel, dem wir wie lachende Kinder zusahen. Hans, der mit uns gleich gut aufgelegt war, – denn wir alle erschienen uns wie in einem Don Quixotischen Abenteuer begriffen – machte mich auf Brendel aufmerksam, welcher nicht weit von uns sass, und meine Begrüssung zu erwarten schien. Es reizte mich nun die hierdurch eingetretene Spannung zu unterhalten, indem ich mich stellte, als ob ich ihn nicht erkennte; was den armen Menschen so sehr gekränkt zu haben scheint, dass ich, in Erinnerung an mein hierbei begangenes Unrecht, bei Gelegenheit meiner späteren öffentlichen Besprechung des »Judenthums in der Musik«, Brendel's Verdienste noch besonders hervorzuheben mir angelegen sein liess, gleichsam zum Sühnopfer an den nun bereits Gestorbenen. – Auch die Ankunft Alexander Ritter's mit Franziska, meiner Nichte, trug zu unserer heiteren Laune bei; diese ward nämlich beständig unterhalten und angeregt durch die Ungeheuerlichkeit der Weisheimerischen Kompositionen; Ritter, welcher das Gedicht meiner »Meistersinger« bereits kannte, bezeichnete eine tief melancholische, höchst unverständliche Melodie der Bässe im »Ritter Toggenburg« mit der »abgeschiedenen Vielfrass-Weis'«. Vielleicht wäre uns doch aber endlich wohl die gute Laune ausgegangen, wenn sie nicht andrerseits durch den glücklichen Eindruck, welchen das schliessliche Gelingen des Vortrags des Meistersinger-Vorspiel's, so wie die neue Liszt'sche Komposition mit Bülow's herrlichem Klavierspiel hervorbrachte, in einem edlen Sinne erfrischt worden wäre. Die endliche Aufführung des Konzertes selbst bestätigte nun endlich den gespenstischen Charakter des Abenteuers, in dessen Vorgefühl wir uns bis jetzt mit so heiterem Behagen erhalten hatten. Zu dem Entsetzen Weisheimer's blieb das ganze Leipziger Publikum aus, und es schien wohl von den Führern der Abonnement-Konzerte hierzu die Weisung ertheilt gewesen zu sein. Mir ist eine solche Leere bei ähnlicher Gelegenheit noch nie vorgekommen: ausser meiner Familie, unter welcher sich meine Schwester Ottilie mit einer sehr exzentrischen Haube auszeichnete, waren auf einigen Bänken nur mehrere Besucher, welche von auswärts zu diesem Konzerte gekommen waren, zu bemerken. Hierunter zeichneten sich meine Weimaranischen Freunde aus: Kapellmeister Lassen, und Regierungsrath Franz Müller, so wie die nie fehlenden Richard Pohl und Justizrath Gille, waren getreulich eingetroffen. Ausserdem bemerkte ich mit unheimlichem Erstaunen den alten Hofrath Küstner, ehemaligen Intendanten des Berliner Hoftheater's, dessen Begrüssung und Verwunderung über die unbegreifliche Leere des Saales ich mit guter Laune dahin zu nehmen hatte. Von Leipzigern waren sonst nur spezielle Freunde meiner Familie, welche sonst nie ein Konzert besuchten, zugegen, darunter Dr Lothar Müller, der mir sehr ergebene Sohn des aus meiner frühesten Jugend her mir freundlich bekannten allöopathischen Arztes Dr Moritz Müller. In der eigentlichen Mitte des Saales befand sich nur die Braut des Konzertgebers mit ihrer Mutter; in einiger Entfernung, ihr gegenüber, nahm ich während des Verlaufes des Konzertes mit Cosima meinen Platz, und zwar, wie es schien, zum Aergerniss meiner aus der Ferne uns beobachtenden Familie, welche, selbst in tiefster Verstimmung, nicht begreifen konnte, dass wir uns in fast unaufhörlichem Lachen befanden. – Was das Vorspiel der »Meistersinger« betraf, so brachte dessen gelungene Ausführung auf die wenigen Freunde, welche das Publikum bildeten, eine so günstige Wirkung hervor, dass wir, selbst zur Freude des Orchesters, es sofort wiederholen mussten. Bei diesem schien überhaupt das Eis des künstlich genährten Misstrauen's gegen mich gebrochen zu sein; denn als ich das Konzert mit der »Tannhäuser«-Ouverture beschloss, feierte das Orchester mein verlangtes Wieder-Erscheinen mit einem gewaltigen Instrumenten-Tusch, welcher besonders meine Schwester Ottilie zu den freudigsten Gefühlen hinriss, da sie behauptete, dass diese Ehre bisher nur erst der Jenny Lind erwiesen worden sei. Freund Weisheimer, welcher wirklich die allgemeine Geduld in unverantwortlicher Weise ermüdet hatte, verfiel seit dieser Zeit in ein, späterhin sich ausbildendes, Missbehagen mir gegenüber: er glaubte sich sagen zu müssen, dass, wenn er meine glänzenden Orchesterwerke nicht zur Seite gehabt, und nur seine eigenen Kompositionen zu einem billigen Preise dem Publikum geboten hätte, er viel besser daran gewesen sein würde. Für jetzt hatte er, zur grossen Enttäuschung seines Vaters, die Unkosten zu tragen und dazu die sehr unnöthige Beschämung, mir keinen Gewinn bringen zu können, zu verwinden.

Mein Schwager liess sich durch diese peinlichen Eindrücke jedoch nicht davon abhalten, die zuvor zur Feier meiner erwarteten Triumphe bestellten häuslichen Festlichkeiten auszuführen. Auch Bülow's nahmen an einem Bankette Theil. Eine Abend-Gesellschaft fand statt, in welcher ich einer stattlichen Anzahl von Professoren die »Meistersinger« und zwar mit vieler Anerkennung vorlas. Hier erneuerte ich auch die Bekanntschaft mit dem, aus meiner Jugend und seinem Umgange mit meinem Onkel mir hoch interessanten, Professor Weiss, welcher besonders erstaunt über meine Kunst des Vorlesen's sich äusserte.

Bülow's waren jetzt leider bereits nach Berlin zurückgereist; wir hatten uns noch einmal bei grosser Kälte und unter unfreundlichen Umständen, da sie Rücksichtsbesuche zu machen hatten, auf der Strasse wiedergesehen, wo bei unserem kurzen Abschiede der allgemeine Druck, welcher uns belastete, sich mehr als die flüchtige gute Laune der letzten Tage, auszusprechen schien. Auch meine Freunde begriffen wohl, in welcher gänzlich verlassenen und widerwärtigen Lage ich mich befand: ich war wirklich so thörig gewesen von der Leipziger Konzert-Einnahme mir wenigstens das für den Augenblick Nöthigste zu versprechen. In diesem Betreff setzte es mich für das erste in Verlegenheit, meine jetzt fällige Hausmiethe in Biberich meinem Wirthe nicht pünktlich auszahlen zu können, da ich anderseits alles daran setzte mir dieses Asyl für ein neues Jahr zu erhalten, und ich es ausserdem hierbei mit einem eigensinnigen grämlichen Menschen zu thun hatte, den ich überhaupt für die Fortgewähr der Wohnung nur durch Vorausbezahlung zu gewinnen vermeinte. Da zu gleicher Zeit auch Minna wieder mit ihrem Vierteljahrsgeld zu versorgen war, so kam mir eine Hülfe, welche mir jetzt der Regierungsrath Müller im Auftrage des Grossherzogs von Weimar zuführte, wirklich wie vom Himmel gesandt. In meiner Noth hatte ich, nachdem Schott gänzlich aufgegeben gewesen war, mich auch an jenen alten Bekannten mit der Bitte gewandt, dem Grossherzog meine Lage mitzutheilen, um diesen, etwa als Vorausbezahlung von Honoraren für meine neuen Opern, zu einer Unterstützung zu bewegen. Sehr auffallend und unerwartet kam mir auf diese Weise durch die Uebermittelung Müllers jetzt die Summe von 500 Thalern zu. Ich glaubte mir erst späterhin diese Grossmuth daraus erklären zu können, dass auch dieses freundliche Benehmen gegen mich vom Grossherzoge mit einer bestimmten Absicht auf seinen Freund Liszt ausgeübt worden war, da er diesen um jeden Preis wieder nach Weimar zu ziehen wünschte, und darin gewiss nicht irrte, dass er ein verpflichtendes und generöses Benehmen gegen mich als von vorzüglicher Wirkung auf unseren beiderseitigen Freund in Anschlag brachte.

So war ich denn in den Stand gesetzt, für's Nächste auf ein paar Tage nach Dresden zu gehen, um, indem ich sie von Neuem versorgte, zu gleicher Zeit Minna die zur Aufrechterhaltung ihrer schwierigen Lage nöthig erachtete Ehre meines Besuches zuzuwenden. – Hier geleitete mich Minna vom Bahnhof in die von ihr bezogene und eingerichtete Wohnung in der »Walpurgisstrasse«, welche zu der Zeit, als ich Dresden verliess, noch gar nicht vorhanden war. Diese Wohnung hatte sie wiederum mit vielem Geschick, und jedenfalls mit der Absicht mir es darin gefallen zu machen, hergerichtet; am Eingange empfing mich ein kleiner Schwellenteppich, auf welchen sie »Salve« gestickt hatte. Unseren Pariser Salon erkannte ich sofort an den rothseidenen Gardinen und Möbeln wieder, ein stattliches Schlafzimmer für mich, sowie auf der andern Seite ein recht behagliches Arbeitszimmer, sollten mit dem Salon mir einzig zur Verfügung stehen, während sie nach dem Hof ein kleines Gemach mit Alkoven allein für sich hergerichtet. Das Arbeitszimmer schmückte jenes stattliche Bureau von Mahagoni-Holz, welches ich mir einst zu meiner Dresdner Kapellmeister-Einrichtung anfertigen liess, das seit der Dresdner Flucht aber von der Familie Ritter angekauft und ihrem Schwiegersohne Kummer übergeben worden war; für jetzt hatte es Minna von diesem nur ausgeliehen, indem sie mir freistellte, gegen 60 Thaler es wieder zurückzukaufen: da ich hierzu keine Lust zeigte, verfinsterte sich ihre Laune. In der Sorge der bangen Verlegenheit, in welcher sie sich befand, mit mir allein überlassen zu sein, hatte sie meine Schwester Clara aus Chemnitz zum Besuche eingeladen, und theilte nun mit dieser ihre kleine Wohnung. Clara bezeigte sich hier, wie auch schon früher, ausserordentlich klug und mitleidig: wohl dauerte sie Minna, und gern mochte sie ihr über die schwere Zeit hinweg helfen, doch immer nur in der Absicht, sie in dem Glauben an die Nothwendigkeit unserer fortgesetzten Trennung zu befestigen. Die genaue Kenntniss meiner äusserst schwierigen Lage musste dazu verhelfen: die Geldsorgen waren so überwiegend, dass Minna nur die Theilnahme an diesen beizubringen war, um ihr dadurch ein Gegengewicht für ihre unruhigen Vorstellungen zu verschaffen. Im Uebrigen gelang es mir alle Auseinandersetzungen mit ihr fern zu halten, was auch dadurch möglich ward, dass wir meistens die Zeit in Gesellschaft Anderer zubrachten, wozu das Wiedersehen in der Familie des Fritz Brockhaus mit dessen verheiratheter Tochter Klara Kessinger, sowie Pusinelli's, des alten Heyne, und endlich der beiden Schnorr's, hauptsächlich Veranlassung gab. – Die Vormittage brachte ich mit Besuchen zu, für welche ich, als ich zu dem Minister Bär, meiner Dankesaufwartung für die Amnestie wegen, mich aufmachte, nun zum ersten Mal wieder die Strassen Dresden's durchschritt, welche zunächst den Eindruck einer grossen Langweiligkeit und Leere auf mich machten, da ich sie zuletzt in dem phantastischen Zustand mit Barrikaden bedeckt gesehen hatte, wo sie sich so ungemein interessant ausgenommen hatten. Keinen der auf dem Wege mir begegnenden Menschen kannte ich; auch ich schien selbst von dem Handschuhhändler, bei dem ich sonst immer meinen Bedarf bezogen und dessen Laden ich jetzt wieder aufzusuchen hatte, nicht erkannt zu werden, bis mir, eben dorthin, ein älterer Mann in höchster Aufregung und mit Thränen in den Augen, von der Strasse her nachstürzte: es war der nun gealterte Kammermusikus Karl Kummer, der genialste Hoboebläser, dem ich jemals begegnet bin, und den ich um dieser Eigenschaft wegen fast zärtlich in mein Herz geschlossen hatte. Freudig umarmten wir uns, ich frug, ob er noch immer so schön sein Instrument blase, worauf er mir aber erklärte, dass ihm die Hoboe, seitdem ich fort sei, keine rechte Freude mehr habe machen wollen: er habe sich seit längerer Zeit pensioniren lassen. Auf meine Erkundigungen erfuhr ich, dass meine alte Kapellmusikergarde, auch der lange Contrabassist Dietz, gestorben oder pensionirt sei, unser Intendant von Lüttichau, Kapellmeister Reissiger todt, Lipinsky seit lange schon nach Polen zurückgekehrt, Conzertmeister Schubert dienstunfähig; so dass mir alles neu und grau vorkam. Minister Bär äusserte mir seine immer noch bestehenden grossen Bedenken gegen meine Amnestirung, welche er allerdings selbst zu unterzeichnen gewagt habe, worüber er aber immer noch in der Sorge sich befinde, ich könnte bei meiner grossen Beliebtheit als Opernkomponist es leicht zu verdriesslichen Demonstrationen bringen, in welchem Betreff ich ihn zunächst dadurch beruhigte, dass ich ihm versprach mich nur wenige Tage hier aufzuhalten und das Theater unbesucht zu lassen: mit einem tiefen Seufzer und einem schweren Blick auf mich, entliess er mich. – Sehr ungleich war dagegen mein Empfang von Seiten des Herrn von Beust: mit lächelnder Eleganz unterhielt er sich mit mir davon, dass ich denn doch wohl nicht so unschuldig sein möchte, als ich mir dessen jetzt bewusst schien; er machte mich auf einen Brief von mir aufmerksam, der zu jener Zeit in Röckel's Tasche gefunden worden sei: diess war mir neu, und gern gab ich zu verstehen, dass ich die mir ertheilte Amnestie als eine Verzeihung begangener Unvorsichtigkeiten zu betrachten mich gedrungen fühlte. Unter den heitersten Freundschaftsbezeigungen trennten wir uns.

Noch feierten wir einen Gesellschafts-Abend in dem Salon Minna's, wo ich abermals den damit noch Unbekannten die »Meistersinger« vorlas. Nachdem ich Minna für längere Zeit wieder mit Geld versorgt hatte, begleitete sie mich am vierten Tage wieder zum Bahnhofe, wo sie mit den bangsten Vorgefühlen, mich wohl nie wieder zu sehen, einen sehr beklemmenden Abschied von mir nahm.

In Leipzig kehrte ich für einen Tag noch in einem Gasthof ein, wo ich Alexander Ritter abermals antraf und mit ihm einen gemüthlichen Abend bei Punsch zubrachte. Was mir diesen kurzen Aufenthalt eingab, war, dass man mir versichert hatte, wenn ich für mich allein ein Konzert geben wollte, würde dieses ausserordentlich sein: aus Rücksicht auf eine mir nöthige Geldeinnahme, hatte ich auch diese Nachweisung in Betracht gezogen, fand nun aber, dass das Unternehmen in keiner Weise gesichert sei, und kehrte jetzt eiligst nach Biberich zurück, wo ich meine Wohnungsangelegenheiten in Ordnung zu bringen hatte. Hier fand ich, zu meinem grossen Aerger, meinen Hauswirth in immer schwierigerer Laune; er schien mir nicht vergessen zu können, dass ich ihn wegen der Behandlung seines Hundes getadelt, sowie auch mein Dienstmädchen, um eines Verhältnisses mit einem Schneider wegen, gegen ihn in Schutz genommen hatte. Trotz Zahlung und Versprechung blieb er grämlich und behauptete, um seiner Gesundheit willen im nächsten Frühjahr die von mir innegehabte Wohnung selbst beziehen zu müssen. Während ich ihn durch Vorausbezahlung nöthigte, wenigstens bis zu Ostern meinen Hausrath, wie er stehe, unberührt zu erhalten, machte ich mich, unter Anleitung des Herrn Dr. Schüler und der Mathilde Maier, nochmals in die Orte des Rheingau's auf, um eine mir passende Wohnung für nächstes Jahr auszusuchen. Diess gelang zwar, der Kürze der Zeit wegen, nicht, meine Freunde versprachen aber sich unablässig nach dem Gewünschten umsehen zu wollen. –

In Mainz traf ich auch nochmals mit Friederike Meyer zusammen. Ihre Verhältnisse in Frankfurt schienen immer schwieriger geworden zu sein; sie gab mir sehr Recht, als sie erfuhr, dass ich den Regisseur des Herrn von Guaita, welchen er mir vor einiger Zeit mit dem Auftrage, mir 15 Louisd'or für die Direktion des »Lohengrin« auszuzahlen, nach Biberich gesandt, abgewiesen hatte; sie selbst habe mit jenem Herrn vollkommen gebrochen, ihre Entlassung durchgesetzt, und stehe nun im Begriff ein ihr zugesagtes Gastspiel am Burgtheater anzutreten. Durch diese Handlungsweise und ihren Entschluss gewann sie von Neuem meine Theilnahme, da ich sie als eine kräftige Widerlegung der ihr widerfahrenen Verleumdungen zu betrachten hatte. Da auch ich im Begriff war nach Wien abzureisen, freute sie sich einen Theil des Weges mit mir zurücklegen zu können, weil sie sich in Nürnberg einen Tag aufzuhalten gedenke, wo ich sie dann zur weiteren Fahrt antreffen würde. Diess geschah so; und wir trafen zusammen in Wien ein, wo meine Freundin im Hôtel »Munsch«, ich dagegen in der mir bereits heimischen »Kaiserin Elisabeth« abstieg. Diess war am 15. November. Ich suchte sofort den Kapellmeister Esser auf, und erfuhr von ihm, dass wirklich eifrig am »Tristan« studirt würde; dagegen gerieth ich, durch mein leicht misszuverstehendes Verhältniss zu ihrer Schwester Friederike, mit Frau Dustmann alsbald in sehr unangenehme Zerwürfnisse. Dieser war die Lage der Dinge durchaus nicht klar zu machen, da sie ihre Schwester als in einem Verhältnisse stehend, von ihrer Familie geächtet, und demnach ihre Uebersiedelung nach Wien als für sie kompromittirend betrachtete. Hierzu kam nun, dass Friederike's eigener Zustand mir bald die allerhöchsten Beschwerden verursachte. Sie hatte für das Burgtheater ein dreimaliges Gastspiel abgeschlossen, ohne zu beachten, wie wenig sie gerade jetzt zu einer glücklichen Erscheinung auf dem Theater, namentlich vor dem Wiener Publikum, geeignet war; die überstandene grosse Krankheit, von welcher sie nur unter den aufregendsten Umständen genesen war, hatte sie besonders durch grosse Magerkeit sehr entstellt; so war ihr auch der Kopf fast ganz kahl geworden, wobei sie aber grosse Abneigung gegen den Gebrauch einer Perrücke festhielt. Die Feindseligkeiten ihrer Schwester hatten ihr das Personal des Burgtheaters entfremdet, und in Folge alles dessen, so wie auch wegen einer ihr nicht zusagenden Rollenwahl, misslang ihr Auftreten, und von ihrer Anstellung an dieser Bühne konnte keine Rede sein. Bei zunehmender Schwäche und steter Schlaflosigkeit, suchte sie dennoch die Schwierigkeit ihrer Lage voll grossherziger Scham mir immer zu verbergen. In einem etwas wohlfeileren Gasthof, zur »Stadt Frankfurt«, wollte sie zunächst, da sie im Betreff der Geldmittel nicht in Verlegenheit zu sein schien, den Erfolg einer möglichsten Schonung ihrer Nerven abwarten: auf meinen Wunsch berief sie Standhartner, welcher ihr nicht viel zu helfen zu wissen schien. Da gegenwärtig, Ende November und Anfangs Dezember, das Klima äusserst rauh geworden, Bewegung in freier Luft ihr aber sehr empfohlen war, gerieth ich auf den Gedanken, ihr einen längeren Aufenthalt in Venedig anzuempfehlen. Auch hierfür schienen ihr die Mittel nicht abzugehen: sie befolgte meinen Rath, und an einem eisig kalten Morgen begleitete ich sie nach dem Bahnhof, auf welchem ich sie mit einer treuen Kammerjungfer, welche sie begleitet hatte, für jetzt einem verhofften freundlicheren Schicksale überliess. Ich hatte die Genugthuung bald tröstlichere Nachrichten von ihr, namentlich über ihr Befinden, aus Venedig zu erhalten. –

Während mich diese Beziehungen einerseits in schwierige Sorgen verwickelten, war ich mit meinen älteren Wiener Bekannten in fortgesetztem Verkehr geblieben. Hier hatte sich sogleich Anfangs ein sonderbarer Vorfall ereignet. Ich hatte der Familie Standhartner, wie diess jetzt überall geschehen war, meine »Meistersinger« vorzulesen: da Herr Hanslick jetzt als mir befreundet galt, glaubte man gut zu thun, auch diesen dazu einzuladen; hier bemerkten wir im Verlaufe der Vorlesung, dass der gefährliche Rezensent immer verstimmter und blässer wurde, und auffallend war es, dass er nach dem Beschlusse derselben zu keinem längeren Verweilen zu bewegen war, sondern alsbald, in einem unverkennbar gereizten Tone, Abschied nahm. Meine Freunde wurden darüber einig, dass Hanslick diese ganze Dichtung als ein gegen ihn gerichtetes Pasquill ansähe, und unsere Einladung zur Vorlesung derselben von ihm als Beleidigung empfunden worden war. Wirklich veränderte sich seit diesem Abend das Verhalten des Rezensenten gegen mich sehr auffällig, und schlug zu einer verschärften Feindschaft aus, davon wir die Folgen alsbald zu ersehen hatten.

Cornelius und Tausig hatten sich wieder bei mir eingefunden. Beiden hatte ich zunächst meine wirkliche Verstimmung wegen ihres Benehmens im vorangegangenen Sommer nachzutragen: als ich damals die Aussicht hatte Bülow's und Schnorr's bei mir in Biberich zu vereinigen, bestimmte mich meine herzliche Theilnahme für diese beiden jüngeren Freunde, sie ebenfalls zu mir einzuladen. Wirklich erhielt ich auch sofort die Zusage des Cornelius, war aber desto mehr erstaunt, eines Tages von diesem ein Schreiben aus Genf zu erhalten, wohin ihn Tausig, der plötzlich über Fonds zu disponiren schien, zu einer, jedenfalls bedeutenderen und angenehmeren, Sommerpartie mit sich gezogen hatte. Ohne der geringsten Erwähnung eines Bedauerns, diesen Sommer nicht mit mir zusammen zu treffen, wurde mir nur gemeldet, dass man soeben jubelnd eine »herrliche Cigarre auf meine Gesundheit geraucht« habe. Als ich beide jetzt wieder in Wien antraf, blieb es mir unmöglich, ihnen das Kränkende ihres Benehmens nicht zu Gemüthe zu führen, wogegen sie nicht zu begreifen schienen, was ich darwider haben könnte, dass sie die schöne Reise nach der französischen Schweiz meinem Besuch in Biberich vorgezogen hatten. Ich galt ihnen offenbar für einen Tyrannen. Tausig wurde mir noch ausserdem durch sein sonderbares Benehmen in meinem Gasthofe verdächtig. Wie ich erfuhr, nahm er seine Mahlzeiten gewöhnlich dort in der unteren Restauration, und stieg sodann, mit Uebergehung meiner Etage, in den vierten Stock zu anhaltenden Besuchen bei einer Gräfin Krockow. Als ich ihn hierüber befrug und erfuhr, dass jene Dame auch mit Cosima näher befreundet sei, äusserte ich meine Verwunderung darüber, dass er mich nicht ebenfalls mit der Dame bekannt mache; mit sonderbar undeutlichen Ausdrücken wich er meiner Zumuthung fortgesetzt aus; als ich ihn mit der Annahme eines Liebesverhältnisses necken zu dürfen glaubte, sagte er, davon könne gar nicht die Rede sein, da jene Dame bereits alt sei. So liess ich ihn denn gewähren, nur hatte meine Verwunderung über das sonderbare Benehmen Tausigs noch zuzunehmen, als ich in späteren Jahren die Gräfin Krockow endlich näher kennen lernte, von ihrem ernsten Antheil an mir mich überzeugte, und erfuhr, dass sie bereits damals nichts mehr gewünscht, als auch mich kennen zu lernen, wozu Veranlassung zu verschaffen Tausig sich jedoch immer geweigert hätte, und zwar unter dem Vorgeben, ich mache mir nichts aus Umgang mit Frauen.

Endlich geriethen wir dennoch wieder in einen belebten, freundschaftlichen Verkehr, als ich jetzt ernstlich an die Ausführung meiner Absicht ging, in Wien Konzerte zu geben. Während ich es dem, sehr ernstlich hierfür besorgten, Kapellmeister Esser überliess in, wie es schien, fleissig fortgesetzten Klavierproben die Hauptpartien des »Tristan« musikalisch einzustudiren, blieb mein Misstrauen gegen das wirkliche Gelingen der Studien, und zwar weniger aus Zweifel an der Befähigung als an dem guten Willen des Personales, ungebrochen bestehen. Namentlich verleidete mir das absurde Benehmen der Frau Dustmann meine häufigere Anwesenheit bei den Proben. Dagegen verhoffte ich mir nun, durch eine Vorführung von Bruchstücken aus meinen in Wien noch unbekannten Werken, schon um desswillen eine günstige Wirkung, weil ich dadurch meinen heimlichen Gegnern zu zeigen vermochte, dass mir auch noch andere Wege, mit meiner neueren Musik vor das Publikum zu gelangen, offen stünden, als der durch sie mir so leicht zu vertretende der Theateraufführungen. Für alles Praktische der Ausführung ward jetzt Tausig von vorzüglicher Hülfe. Wir kamen überein, das Theater an der Wien für drei Abende zu miethen, um das Ende Dezember zu gebende Konzert nach je acht Tagen daselbst zu wiederholen. Für das Erste galt es nun die Orchesterstimmen der Stücke auszuschreiben, welche ich aus meinen Partituren für dieses Konzert herausschnitt: es waren diess zwei Bruchstücke aus dem »Rheingold«, ebenso zwei aus der »Walküre« und den »Meistersingern«, wogegen ich das Vorspiel zu »Tristan«, um nicht mit der immer noch angekündigten Aufführung des ganzen Werkes im Operntheater zusammenzutreffen, jetzt noch zurückhielt. Mit einigen Hülfsschreibern machten sich jetzt Cornelius und Tausig an die Arbeit, welche, der nöthigen musikalischen Korrektheit wegen, nur von vertrauten Partiturlesern auszuführen war. Zu ihnen hatte sich auch Weisheimer gesellt, welcher, um schliesslich dem Konzert beiwohnen zu können, in Wien eingetroffen war. Nun meldete mir Tausig auch Brahms an, den er mir als einen »sehr guten Burschen« empfahl, welcher, so berühmt er auch selbst schon sei, gern einen Theil ihrer Arbeit übernehmen wollte: dieser erhielt ein Bruchstück der »Meistersinger« zugetheilt. Wirklich benahm sich auch Brahms bescheiden und gutartig; nur zeigte er wenig Leben, so dass er in unseren Zusammenkünften oft kaum bemerkt wurde. Mit dem aus älterer Zeit her mir bekannten Friedrich Uhl, welcher jetzt mit Julius Fröbel, unter Schmerling's Auspizien, ein politisches Journal »der Botschafter« herausgab, traf ich jetzt ebenfalls wieder zusammen. Er stellte mir sein Journal zur Verfügung, und veranlasste mich, in seinem Feuilleton den ersten Akt der Dichtung der »Meistersinger« mitzutheilen: meine Freunde wollten bemerken, das Hanslick immer giftiger würde.

Während ich und meine Genossen übermässig mit den Vorbereitungen des Konzertes beschäftigt waren, trat eines Tages auch ein, in Paris durch Bülow mir als lächerlicher Mensch bereits vorgestellter, Herr Moritz zu uns, und brachte es durch ungeschicktes, aufdringliches Benehmen und alberne, jedenfalls erfundene Berichte von Aufträgen Bülow's an mich, dahin, dass ich, durch Tausig's kecken Unwillen dazu hingerissen, dem sehr unberufenen Störer mit grosser Heftigkeit die Thüre wies. Hierüber berichtete er an Cosima in einer für Bülow so kränkenden Weise, dass diese sich wiederum veranlasst fand, ihre höchste Indignation über mein so rücksichtsloses Benehmen gegen meine bewährtesten Freunde schriftlich mir zukommen zu lassen. Ich war wirklich so erstaunt und tief niedergeschlagen über dieses so unerklärlich wunderliche Begebniss, dass ich sprachlos Tausig den Brief Cosima's übergab, und ihn einzig frug, was nun wieder gegen solchen Unsinn anzufangen sei: er übernahm es sogleich, Cosima den Vorfall im rechten Lichte zu zeigen, und das Missverständniss zu lösen; ich hatte die Freude, bald hiervon den gewünschten guten Erfolg zu erfahren.

Jetzt gelangten wir zu den Proben für das Konzert; mit den mir benöthigten Sängern versah mich die Hofoper, um die Bruchstücke aus »Rheingold«, der »Walküre« und »Siegfried« ( Schmiede-Lieder), so wie Pogner's Anrede aus den »Meistersingern« ausführen lassen zu können. Nur für die drei »Rheintöchter« hatte ich mich mit Dilettanten zu versorgen. Sehr behülflich auch hierfür, so wie sonst in jeder Angelegenheit, war mir der Konzertmeister Hellmesberger, welcher unter allen Umständen durch gute Leistungen und enthusiastische Bezeigungen den Musikern voran ging. Nach den betäubenden Vorproben in einem kleinen Musikzimmer des Opernhauses, welche Cornelius durch das hier entstehende grosse Geräusch in Perplexität setzten, gelangten wir auf die Bühne des Theater's »an der Wien« selbst, wo ich, neben der theueren Lokal-Miethe, auch die Kosten für den nöthigen Orchesterbau zu erstatten hatte. Der von lauter Theater-Coulissen umgebene Raum blieb dennoch der Akustik ausserordentlich ungünstig; eine Schallwand und Ueberdeckung für meine Rechnung herrichten zu lassen schien mir aber zu viel gewagt. Die erste Aufführung am 26. Dezember ergab mir, trotz des starken Besuches derselben, dennoch nichts als übergrosse Unkosten und den grossen Kummer, welchen mir die schlechte Wirkung des Orchesters in Folge der üblen Akustik verursachte. Trotz schlechter Aussichten beschloss ich, zur Hebung der Wirkung der beiden nachfolgenden Konzerte, noch die Kosten der Herstellung eines Schallgehäuses zu übernehmen. Hierbei schmeichelte ich mir auf den Erfolg anderseitiger Bemühungen um Erweckung von Theilnahme in höchsten Kreisen rechnen zu können. Mein Freund Fürst Liechtenstein hatte diess nicht für unmöglich gehalten: er glaubte den Weg zu einer Anregung für den kaiserlichen Hof durch die Palast-Dame, Gräfin Zamoïska, versuchen zu dürfen; zu dieser Dame geleitete er mich eines Tages durch unzählige Gänge der kaiserlichen Burg. Wie es mir späterhin deutlich wurde, hatte auch hier Frau Kalergis empfehlend gearbeitet; nur die junge Kaiserin schien sie aber für mich gewonnen zu haben, denn diese ganz allein, ohne jede Begleitung, wohnte der Aufführung bei. Jede Art von Enttäuschung erlitt ich jedoch bei dem zweiten Konzerte, welches ich allerdings allen Warnungen zum Trotz auf den ersten Neujahrstag 1863 angesetzt hatte: der Saal war ausserordentlich schwach besetzt, und ich hatte einzig die Genugthuung, das Orchester durch die akustische Verbesserung des Raumes zu vortrefflicher Wirkung gebracht zu wissen. So war denn auch diessmal der Eindruck der aufgeführten Stücke so günstig, dass ich das am 8. Januar gegebene dritte Konzert wiederum vor sehr gefülltem Hause stattfinden lassen konnte. Ich erlebte hierbei ein schönes Zeugniss für die grosse Begabung des Wiener Publikum's im Betreff der Musik: das keineswegs aufregende Vorspiel zu der Anrede »Pogner's« an die Meistersinger musste, trotzdem der Sänger sich zu seinem Vortrage bereits erhoben hatte, auf stürmischen Zuruf wiederholt werden. Hierbei traf mein Blick in einer der Logen auf ein für meine Lage tröstliches Anzeichen: ich erkannte Frau Kalergis, welche soeben angekommen war, um für einige Zeit in Wien zu verweilen, wie es mich dünkte, nicht ohne die Nebenabsicht auch hier mir wiederum behülflich zu sein. Auch mit Standhartner befreundet, setzte sie sich sofort mit diesem in Berathung darüber, wie mir in der kritischen Lage, in welche ich wiederum durch die Unkosten von Konzert-Aufführungen gerathen war, zu helfen sei. Sie selbst hatte unserem Freunde bekannt, über gar keine Mittel verfügen zu können und besondere Ausgaben, nur durch Schuldenmachen bestreiten zu können. So sollten denn wohlhabendere Gönner geworben werden. Unter diesen zeichnete man zunächst Frau Baronin von Stockhausen, die Frau des Hannöverschen Gesandten, aus: als sehr innige Freundin Standhartner's verfuhr diese auch gegen mich mit warmer Theilnahme, indem sie auch Lady Bloomfield, mit deren Gatten, dem englischen Gesandten, für mich gewann. Bei diesem gab es eine Soirée, sowie bei Frau von Stockhausen es zu mehreren Abend-Gesellschaften kam. Eines Tages überbrachte mir Standhartner, als von unbekannter Hand ihm zugestellt, 500 Gulden als Beitrag zur Deckung meiner Unkosten. Frau Kalergis hatte dagegen sich 1000 Gulden zu verschaffen gewusst, welche mir nun ebenfalls durch Standhartner für weitere Bedürfnisse zur Verfügung gestellt wurden. In ihren Bemühungen, den Hof für mich zu interessiren, war sie jedoch, trotz ihrer nahen Befreundung mit Gräfin Zamoïska, gänzlich erfolglos geblieben, da schliesslich ein Mitglied der überall zu meinem Unglück auftauchenden sächsischen Familie Könneritz, als damaliger Gesandter, sich eingefunden, und namentlich bei der alles beinflussenden Erzherzogin Sophie jede Regung zu meinen Gunsten dadurch zu unterdrücken gewusst hatte, dass er behauptete, ich habe zu seiner Zeit das Schloss des Königs von Sachsen abgebrannt. –

Unverdrossen suchte aber meine Gönnerin, nach jeder Seite meiner Bedürfnisse hin, mir behülflich zu sein. Um meinem grössesten Wunsche, für einige Zeit in eine ruhige Wohnung untergebracht zu sein, zu genügen, war sie darauf verfallen, die Wohnung des englischen Gesandtschafts-Attachés, des Sohnes des berühmten Lytton Bulwer, mir zu verschaffen, da dieser abberufen war, jedoch für längere Zeit noch seinen Haushalt zu seiner Verfügung behielt. Ich wurde mit dem jugendlichen, sehr liebenswürdigen Menschen durch sie bekannt gemacht; gemeinschaftlich mit Cornelius und Frau Kalergis, speiste ich eines Abends bei ihm, wohernach ich schliesslich mich an die Vorlesung der »Götterdämmerung« machte, ohne jedoch, wie es schien, mir dadurch eine aufmerksame Zuhörerschaft zu gewinnen; da ich diess bemerkte, brach ich ab, und zog mich mit Cornelius zurück. Es war uns auf dem Heimwege sehr kalt; auch Bulwer's Zimmer kamen uns ungenügend geheizt vor: wir flüchteten uns in eine Restauration um uns dort durch ein Glas Punsch zu erwärmen, welcher Vorgang mir in Erinnerung geblieben ist, weil ich hier zum ersten Male an Cornelius eine ganz unbändige exzentrische Laune kennen lernte. Während wir uns so gehen liessen, benutzte, wie es mir wohl zum Bewusstsein kam, Frau Kalergis ihre Macht als bedeutende und unabweisbare weibliche Fürsprecherin, um Bulwer ein möglichst entscheidendes Interesse für mich einzuflössen. So viel gelangte hiervon an mich, dass dieser seine Wohnung für ¾ Jahre mir unbedingt zu Gebote stellte. Nur wusste ich bei näherer Ueberlegung nicht recht, welchen Vortheil ich hieraus ziehen sollte, da ich andrerseits in Wien keine Aussicht auf Einnahmen zu meinem Lebensunterhalt auffinden konnte.

Hiergegen wirkte auf meine Entschlüsse entscheidend die Einladung, welche mir aus Petersburg zukam, daselbst im Monat März zwei Konzerte der philharmonischen Gesellschaft, für ein Honorar von 2000 Silberrubel, zu dirigiren. Frau Kalergis, deren Bemühung um mich ich auch hierin zu erkennen hatte, rieth mir eindringlich zur Annahme dieser Aufforderung, wobei sie mir, für die Vergrösserung meiner Einnahme, ein selbständig zu gebendes Konzert, mit jedenfalls sehr bedeutendem materiellen Erfolge, in Aussicht stellte. Was mich von der Annahme dieser Einladung hätte abhalten können, würde nur die Gewissheit gewesen sein, im Laufe der nächsten Monate in Wien den »Tristan« zur Aufführung zu bringen; neue Erkrankungen des Tenoristen Ander hatten jedoch die Vorbereitungen dazu wieder in das Stocken gebracht; wie mir denn überhaupt jedes Vertrauen auf jene Zusicherung, die mich wieder nach Wien verwiesen hatte, verloren gegangen war. Hierzu hatte schon alsbald nach meiner diessmaligen Ankunft das Ergebniss meines Besuches bei dem Minister Schmerling beigetragen. Dieser war sehr überrascht, als ich mich bei ihm auf eine Empfehlung des Fürsten Metternich berief; denn dieser hatte, der Versicherung des Minister's gemäss, kein Wort von mir zu ihm gesprochen. Sehr galant erklärte er mir jedoch, dass ich auch einer solchen Empfehlung gar nicht bedürfe, um ihn genügend für einen Mann von meinem Verdienste zu interessiren. Als ich ihm nun die, in dem Entgegenkommen des Fürsten Metternich in meinem Betreff enthaltenen Gedanken über eine besondere Stellung, welche mir der Kaiser in Wien verleihen sollte, mittheilte, beeilte er sich dagegen, mir seine vollständigste Einflusslosigkeit auf irgend einen Entschluss des Kaiser's zur Kenntniss zu bringen. Um mir das Benehmen des Fürsten Metternich selbst klar zu machen, war diess Bekenntniss des Herrn von Schmerling recht dienlich, und nahm ich an, dass Jener eine Aktion auf den Oberstkämmerer zu Gunsten einer ernstlichen Wiederaufnahme des » Tristan« erfolglosen Bemühungen beim Minister vorgezogen hatte.

Da, wie gesagt, aber auch diese Aussicht sich wieder in die Ferne verschob, sagte ich jetzt für Petersburg zu, suchte mich jedoch zuvor noch mit dem nöthigen Gelde zu versehen, wozu mir ein von Heinrich Porges in Prag für mich vorbereitetes Konzert behülflich sein sollte. Demnach reiste ich Anfangs Februar nach Prag, und gewann dort allen Grund, meiner Aufnahme mich zu erfreuen. Der junge Porges, ein entschiedener Parteigänger für Liszt und mich, gefiel mir, sowohl persönlich als durch seinen mir bewiesenen Eifer, sehr gut. Das Konzert, in welchem ausser einer Beethoven'schen Symphonie, Bruchstücke meiner neueren Werke zur Aufführung kamen, fand mit günstigem Erfolge im Saale der Sophieninsel statt. Als am folgenden Tage Porges, noch mit Vorbehalt kleinerer Nachzahlungen, mir eintausend Gulden zustellte, erklärte ich laut lachend, dass diess das erste Geld sei, welches ich durch eine persönliche Leistung mir verdient hätte. Ausserdem machte er mich mit einigen sehr ergebenen und gebildeten jungen Leuten von der Deutschen wie der Czechischen Partei, unter welchen ein Lehrer der Mathematik Lieblein, und ein Schriftsteller Musiol, in recht befriedigender Weise bekannt. Rührend war es für mich die aus meiner frühesten Jugend her mir bekannte Marie Löwe, welche vom Gesang jetzt gänzlich zur Harfe übergegangen war, für diess letztere Instrument im Orchester angestellt und bei meinen Konzerten mitwirkend, nach so langen Jahren wieder anzutreffen. Bereits nach einer ersten Aufführung des »Tannhäuser« in Prag hatte sie mir mit grossem Enthusiasmus hierüber berichtet; dieser verstärkte sich jetzt nur noch und blieb mir lange Jahre hindurch mit rührender Aufmerksamkeit zugewandt. So, recht befriedigt und neu erwachter Hoffnung voll, eilte ich für jetzt noch ein Mal nach Wien zurück, um die Angelegenheit des »Tristan« zu einer möglichst festen Abmachung zu bringen. Eine in meiner Anwesenheit wiederum ermöglichte Klavier-Probe der beiden ersten Akte versetzte mich in wahre Verwunderung über die recht erträgliche Leistung des Tenoristen, während ich Frau Dustmann meine vollste Anerkennung ihrer vortrefflichen Durchführung der schwierigen Gesangspartie nicht zurückhalten konnte. So wurde es denn festgesetzt, dass mein Werk etwa nach Ostern zur Aufführung kommen sollte, was mit der Berechnung meiner Rückkehr aus Russland sehr wohl in Uebereinstimmung war.

Die Hoffnung auf die dort mir zu gewinnenden grösseren Einnahmen bestimmte mich nun, meinen Plan einer völligen Ansiedelung in dem stillen Biberich wieder aufzunehmen. Da mir für meine Reise nach Russland noch Zeit übrig blieb, begab ich mich auch jetzt an den Rhein zurück, um dort so schnell wie möglich alles in Ordnung zu bringen. Nochmals stieg ich in der Frickhöfer'schen Wohnung ab, durchsuchte in Begleitung Mathilde Maier's und ihrer Freundin Luise Wagner nochmals den Rheingau nach der gewünschten Wohnung; da aber auch diess erfolglos blieb, machte ich mich sogar an Unterhandlungen mit Frickhöfer wegen des Baues eines kleinen Häuschen's für mich auf einem in der Nähe seiner Villa zu erwerbenden Grundstücke. Jener Herr Schüler, den ich durch den jungen Städel kennen gelernt hatte, sollte als Rechts- und Geschäftskundiger die Angelegenheit in die Hand nehmen; ein Kostenanschlag ward berechnet, und es sollte nun auf die Höhe meiner russischen Einnahmen ankommen, ob das Unternehmen im Frühjahr seine Ausführung finden werde. Da ich jedenfalls mit Ostern die Wohnung im Frickhöfer'schen Hause zu verlassen hatte, liess ich bereits meinen ganzen Hausrath aus derselben entfernen und verpackt dem Möbelhändler in Wiesbaden zustellen, welchem ich noch den grössten Theil der Zahlung für die mir gelieferte Einrichtung schuldete.

So reiste ich in hoffnungsvoller Stimmung zunächst nach Berlin, wo ich mich sofort in Bülow's Wohnung meldete. Cosima, welche in kürzester Zeit einer Entbindung entgegensah, liess sich, erfreut mich wieder zu sehen, durch nichts abhalten, mich zunächst in die Musikschule zu geleiten, in welcher wir Hans aufzusuchen hatten. Ich trat dort in einen länglichen Saal ein, an dessen Ende Bülow so eben eine Klavierstunde ertheilte; da ich längere Zeit stumm an der Thüre verweilte, fuhr er in höchstem Aerger auf den störenden Eindringling los, um nun in ein um so freudigeres Lachen auszubrechen, als er mich erkannte. Unser gemeinschaftliches Mittagsmahl ward beredet, und mit Cosima allein verfügte ich mich auf eine vortrefflich gelaunte Spazierfahrt in einem schönen Wagen des Hôtel de Russie, über dessen Auspolsterung mit grauem Atlas wir unaufhörlich uns freuten. Bülow hatte Sorge gehabt, mir seine Frau in gesegnetem Zustande vorzustellen, da ich ihm ein Mal mit Beziehung auf eine andere Frau unserer Bekanntschaft meine damals empfundene Abneigung davon zu erkennen gegeben hatte. Es verursachte uns gute Laune ihn in dem jetzigen Falle vollkommen beruhigen zu können, da an Cosima gar nichts mich zu stören im Stande wäre. So wurde ich von den, meine Hoffnung theilenden und über die Wendung meines Schicksales herzlich erfreuten, Freunden auf dem Königsberger Bahnhof zur weiten Reise in die Nacht entlassen.

In Königsberg hatte ich einen halben Tag und eine Nacht zuzubringen, welche ich, von einer Wiederaufsuchung der für mich einst so verhängnissvollen Lokalitäten dieses Ortes keineswegs angezogen, still in einem Zimmer eines Gasthofes, um dessen Lage ich mich nicht ein Mal bekümmerte, verbrachte, um mit frühem Morgen meine Reise an die russische Grenze fortzusetzen. In einer gewissen Befangenheit wegen meiner ehemaligen gesetzwidrigen Ueberschreitung dieser Grenze, betrachtete ich mir während meiner langen Fahrt die Physiognomie der Mitreisenden genau. Unter diesen fiel mir ein liefländischer Edelmann deutscher Herkunft besonders dadurch auf, dass er im härtesten deutschen Junker-Tone sein Missbehagen an der Emanzipation der Bauern durch den russischen Kaiser aussprach: es ward mir hieran deutlich, dass etwaige Freiheitsbestrebungen der Russen durch unseren, unter ihnen ansässigen deutschen Adel keine grossen Förderungen erhalten möchten. Sehr erschreckte es mich, bei immer weiterer Annäherung an Petersburg, den Zug plötzlich angehalten und von Gensdarmerie untersucht zu sehen. Es galt, wie man mir sagte, einigen der Theilnahme an dem in Ausbruch begriffenen, neuesten polnischen Aufstande Verdächtigen. Nicht weit von der Hauptstadt selbst füllten sich aber die leeren Sitze des Waggons mit mehreren Leuten, deren hohe russische Pelzmützen mir um so mehr Verdacht erregten, als ich auf das Aufmerksamste von den Trägern derselben fixiert wurde. Plötzlich aber verklärte sich das Gesicht des Einen, welcher sich ganz begeistert mir zuwandte, und mich als denjenigen begrüsste, dem er mit mehreren andern Musikern des k. Orchester's zur Einholung entgegen gefahren sei. Es waren lauter Deutsche, welche mich nun nach der Ankunft im Petersburger Bahnhofe zahlreichen anderen Abgeordneten des Orchester's, mit dem Comité der philharmonischen Gesellschaft an der Spitze, jubelnd zuführten. Man hatte mir eine deutsche »Pension« in einem an der Newsky Perspektive gelegenen Hause als geeignetes Unterkommen empfohlen. Sehr zuvorkommend ward ich hier von Frau Kunst, der Gattin eines deutschen Kaufmannes, aufgenommen, mit Auszeichnung in einem Salon, mit voller Aussicht auf die grosse lebhafte Strasse, untergebracht und behaglich gepflegt. Ich speiste gemeinschaftlich mit den übrigen Pensionären und Kostgängern, zu welchen ich meistens den von Luzern her mir früher bekannt gewordenen Alexander Séroff als meinen Gast herbeizog. Diesen, der sich sofort bei mir eingefunden hatte, lernte ich hier in einer sehr ärmlichen Stellung, als Censor der deutschen Journale, kennen. Im Aeusseren sehr vernachlässigt, kränklich, und dürftig sich behelfend, erwarb er sich meine Achtung zunächst mit seiner grossen unabhängigen Gesinnung und Wahrhaftigkeit, durch welche, verbunden mit seinem ausgezeichneten Verstande, er sich auch, wie ich bald erfuhr, zu einem der einflussreichsten und gefürchtetsten Kritiker erhoben hatte. Ich lernte diess in der Folge bald kennen, als ich von hochgestellter Seite her darum angegangen wurde, meinen Einfluss auf Séroff dahin zu verwenden, dass er den dort schmerzlich protegirten Anton Rubinstein fortan mit weniger Bitterkeit verfolge. Als ich ihn hierum anging, und er mir alle seine Gründe, aus denen er Rubinstein's Wirken als Künstler in Russland für so verderblich hielte, auseinandersetzte, bat ich ihn, wenigstens mir zu Liebe, der ich bei diesem kurzen Aufenthalte in Petersburg nicht als Rubinstein's Rivale angesehen sein möchte, mit seiner Verfolgung einzuhalten; wogegen er mit der Heftigkeit eines krankhaft Leidenden mir zurief: »ich hasse ihn, und kann kein Zugeständniss machen.« Hiergegen trat er mit mir in das allerinnigste Einvernehmen; er verstand mich und meine Art so vollständig, dass wir fast nur noch scherzend mit einander umzugehen hatten, da wir über alles Ernste vollkommen einverstanden waren. Nichts glich seiner Sorgsamkeit, mit welcher er mir nach jeder Seite hin behilflich war. Für die Gesangstexte der Bruchstücke aus meinen Opern, welche in meinen Konzerten vorgetragen werden sollten, sowie für meine explikativen Programme, veranstaltete er die nöthigen Uebersetzungen in das Russische. Zur Auffindung der geeignetsten Sänger war er nach vortrefflichster Einsicht besorgt. Dafür schien er denn auch durch die Assistenz bei den Proben und Aufführungen reichlich belohnt. Sein strahlendes Gesicht glänzte mir überall ermuthigend und neu belebend entgegen. – Das Orchester selbst, welches ich in dem grossen und schönen Saale der adligen Gesellschaft um mich versammelte, gereichte mir zur höchsten Befriedigung; es war durch die Auswahl von 120 Musikern der kaiserlichen Orchester zusammengesetzt, und bestand zumeist aus tüchtigen Künstlern, welche, für gewöhnlich nur zur Begleitung der italienischen Oper und des Ballets verwandt, jetzt hoch erfreut aufathmeten, unter einer Leitung, wie sie mir zu eigen ist, sich ausschliesslich mit edlerer Musik beschäftigen zu können.

Nach dem bedeutenden Erfolge des ersten Konzertes meldete man sich mir nun auch aus den Kreisen, an welche ich, wie mir diess sehr begreiflich wurde, durch Marie Kalergis heimlich, aber bedeutend empfohlen war. Höchst vorsichtig war von meiner verborgenen Protektorin meine Vorstellung an die Grossfürstin Helene eingeleitet worden. Zunächst hatte ich eine von Standhartner an den ihm von Wien her befreundeten Dr. Arneth, den Leibarzt der Grossfürstin, mir gegebene Empfehlung zu benutzen, um durch diesen wiederum Fräulein von Rhaden, der vertrautesten Hofdame derselben, vorgestellt zu werden. Mir hätte die Bekanntschaft mit dieser Dame allein schon recht wohl genügen können; denn ich lernte in ihr eine Frau von vollendeter Bildung, grossem Verstande und edler Haltung kennen, deren immer ernstlicheres Interesse für mich sich mit einer gewissen Aengstlichkeit mir kund that, welche sich auf eine Sorge im Betreff der Grossfürstin zu beziehen schien. Mich dünkte es, als fühlte sie, dass für mich etwas Bedeutenderes zu geschehen habe, als von dem Geiste und dem Charakter ihrer Herrin zu erwarten stehen würde. Noch wurde ich auch jetzt nicht der Grossfürstin unmittelbar zugeführt, sondern ich erhielt zuerst die Einladung zu der fürstlichen Palastdame für eine Abendgesellschaft, in welcher unter andren auch die Grossfürstin selbst zugegen sein würde. Hier machte Anton Rubinstein die künstlerischen Honneurs; nachdem dieser mich der Palastdame vorgestellt hatte, wagte diese wiederum ihrer Herrin, der Grossfürstin selbst, mich vorzuführen. Hierbei schien es denn ganz erträglich abgegangen zu sein, und ich erhielt dem zu Folge bald eine direkte Einladung zum vertrauten abendlichen Thee-Cirkel bei der Grossfürstin. Hier traf ich, ausser Fräulein von Rhaden, noch die ihr nächste Hofdame Frl. von Stahl, sowie einen alten gemüthlichen Herrn, den man mir als General von Brebern und langjährigen Hausfreund seiner Fürstin vorstellte. Fräulein von Rhaden schien ungemeine Anstrengungen zu meinen Gunsten gemacht zu haben, deren Erfolg sich jetzt darin äusserte, dass die Grossfürstin mit meiner Dichtung des Nibelungen-Ringes durch mich bekannt gemacht zu werden verlangte. Da ich kein Exemplar davon bei mir hatte, dagegen der von Weber in Leipzig besorgte Druck derselben soeben beendet sein musste, bestand man auf sofortige telegraphische Aufforderung nach Leipzig, die bereits fertigen Bogen schleunigst an den grossfürstlichen Hof zu senden. Für jetzt hatten sich meine Gönner mit meiner Vorlesung der »Meistersinger« zu begnügen. Hiezu war auch die Grossfürstin Marie, die wegen ihres etwas leidenschaftlichen Lebens bekannte, äusserst stattliche und noch schöne Tochter des Kaisers Nikolaus, hinzugezogen worden. Von der Auffassung meines Gedichtes von Seiten dieser Dame ward mir durch Fräulein von Rhaden nur bekannt, dass sie in peinlichster Sorge, »Hans Sachs« möge zum Schluss »Eva« heirathen, geschwebt habe.

Nach wenigen Tagen kamen denn auch vereinzelt die Aushängebögen meines Nibelungen-Gedichtes an, und der vertraute Thee-Cirkel der Grossfürstin schloss sich noch vier Mal zur geneigten Anhörung meiner Vorlesung um mich; auch General Brebern wohnte diesen regelmässig bei, um, wie mir Frl. von Rhaden sagte, in immer tieferem Schlafe »wie eine Rose zu erblühen«, was besonders der sehr heitren und hübschen Frl. von Stahl Stoff zu munteren Auslassungen gab, wenn ich des Nachts die beiden Hofdamen aus den weiten Sälen, über Treppen und unendliche Corridore, in ihre entfernteren Wohngemächer begleitete.

Von einflussreichen Hochgestellten lernte ich nur noch den Grafen Wilohorsky kennen, welcher, in einer hohen und vertrauten Stellung am kaiserlichen Hofe, hauptsächlich als Protektor der Musik sich geltend gemacht hatte, so wie er denn selbst durch sein Violoncello-Spiel sich auszeichnen zu dürfen glaubte. Der alte Herr schien mir freundlich gewogen und mit meinen Musikaufführungen durchaus einverstanden zu sein; so versicherte er mich, die 8. Symphonie von Beethoven (in F-dur) erst durch meine Aufführung kennen gelernt zu haben. Auch mein Vorspiel zu den »Meistersingern« glaubte er vollständig begriffen zu haben; wogegen er die Grossfürstin Marie, welche dieses Stück unverständlich gefunden, über das Vorspiel zu »Tristan« sich jedoch in höchstem Grade passionirt geäussert habe, für affectirt hielt, da er selbst doch wiederum nur mit Anstrengung aller seiner Musikkenntnisse zu einem Verständniss dieses letzteren Stückes gekommen wäre. Als ich dies Séroff mittheilte, rief er enthusiastisch aus: »ah! l'animal de Comte! Cette femme connaît l'amour!« – Der Graf veranstaltete mir zu Ehren ein splendides Diner, bei welchem auch Anton Rubinstein und Madame Abaza zugegen waren. Da ich nach dem Diner wünschte, dass Rubinstein etwas musizire, bestand Mme. Abaza auf den Vortrag von dessen »Persischen Liedern«, was den Komponisten sehr zu ärgern schien, da er wohl vermeinte, noch manches andere Schöne geschaffen zu haben. Dennoch gaben mir sowohl die Komposition als der Vortrag desselben einen sehr vortheilhaften Begriff von dem Talente der beiden Künstler. Durch diese Sängerin, welche zuvor bei der Grossfürstin für ihr Fach angestellt gewesen und nun an einen vornehmen, reichen und gebildeten russischen Herrn verheirathet war, wurde ich auch in das Haus des Herrn Abaza selbst eingeführt und mit Auszeichnung dort aufgenommen. Nebenher hatte sich auch ein Baron Vittinghof, als musikalischer Dilettant und Enthusiast, bei mir eingeführt und mich mit Einladungen beehrt, bei deren einer ich mit Ingeborg Stark, der schönen, von Paris her mir bekannten klavierspielenden und Sonaten-komponirenden Schwedin, zusammen traf. Sie überraschte mich durch die unverschämteste Heiterkeit, mit welcher sie den Vortrag der Komposition des Herrn Barons laut lachend begleitete. Ausserdem zeigte sie mir ein serieuses Air, da sie mit Hans von Bronsart, wie sie mir mittheilte, in Brautstand getreten sei. – Rubinstein selbst, mit dem ich freundliche Besuche gewechselt hatte, betrug sich durchaus anständig, wie mir jedoch schien, etwas leidend gegen mich, da er mich denn auch versicherte, dass er seine, namentlich durch Séroff's Gegnerschaft ihm verleidete, Stellung in Petersburg aufzugeben beabsichtigte. Auch in die Kreise der Petersburger Kaufmannschaft glaubte man, zum Vortheil meines zunächst zu gebenden Benefice-Konzertes, mich einführen zu müssen; hierzu wurde der Besuch eines Konzertes im Saale des Kaufmanns-Vereines in das Werk gesetzt. Schon auf der Treppe empfing mich dort ein stark betrunkener Russe, welcher sich mir als der Kapellmeister vorstellte. Dieser dirigirte mit einer kleinen Auswahl kaiserlicher Musiker u. a. die Ouverturen zu Rossini's »Tell«, und Weber's »Oberon«, bei deren Ausführung die Pauken durch eine kleine Militär-Trommel ersetzt waren, was namentlich in der schönen Verklärungs-Stelle der Oberon-Ouverture einen wunderlichen Effekt hervorbrachte.

Wenn ich für meine eigenen Konzerte in Betreff des Orchester's sehr gut bedacht war, so hatte ich dagegen für die Sänger mich äusserst mühsam zu behelfen. Der Sopran war durch Fräulein Bianchi ganz erträglich vertreten; dagegen musste ich für die Tenor-Partie mit einem Herrn Setoff vorlieb nehmen, welcher zwar viel Muth aber so gut wie gar keine Stimme besass; dennoch ermöglichte er die Ausführung der Schmiede-Lieder aus »Siegfried«, da er mir wenigstens durch seine Gegenwart den Anschein eines Gesanges lieferte, wenn gleich das Orchester einzig die effektuirende Wirklichkeit übernahm. Nach Beendigung der beiden Konzerte der philharmonischen Gesellschaft hatte ich mein eigenes Konzert im kaiserlichen Opernhause in Angriff genommen, für dessen materielle Arrangements mir ein pensionirter Musiker behülflich war, welcher in Séroff's Gegenwart oft lange Stunden in meiner wohlgeheizten Stube zugegen war ohne seinen enormen Pelz abzulegen; da wir ausserdem mit seiner Unfähigkeit grosse Noth hatten, fanden wir, dass er »das Schaf im Wolfspelz« vorstellte. Das Konzert selbst gelang über alle Erwartung gut, und nie glaube ich von einem Publikum so enthusiastisch aufgenommen worden zu sein, als es hier der Fall war, da sogleich der erste Empfang durch seine stürmische Andauer mich, was sonst so leicht nicht der Fall war, ausser Fassung brachte. Zu dieser enthusiastischen Stimmung des Publikum's schien mir die feurige Ergebenheit des Orchesters selbst viel beigetragen zu haben. Denn meine 120 Musiker waren es hauptsächlich, welche immer wieder den rasenden Sturm der Akklamation erneuerten, was in Petersburg wohl ein neues Erlebniss zu sein schien. Ausrüfe wie: »gestehen wir, dass wir jetzt erst wissen was Musik ist« hatte ich von ihnen unter sich zu vernehmen. Diese ausserordentlich günstigen Dispositionen benutzte nun der Kapellmeister Schuberth, welcher bisher mit ziemlichem Anstande durch seinen geschäftlichen Rath mir behülflich gewesen war, zu der Aufforderung an mich, in seinem demnächst zu gebenden eigenen Benefice-Konzerte mit zu wirken. Etwas verdriesslich, da ich wohl erkannte, dass es ihm darauf ankomme eine jedenfalls zu erwartende neue glänzende Einnahme aus meiner Tasche in die seinige zu eskamotiren, glaubte ich jedoch auf den Rath meiner anderen Freunde ihm gewähren zu müssen, und so wiederholte ich denn nach acht Tagen die gefälligsten Stücke meines Programmes vor einem gleich zahlreichen Publikum und mit demselben Erfolge, nur dass diessmal die schöne Einnahme von 3000 Rubeln für die Bedürfnisse eines schwächlichen Menschen berechnet waren, welcher zur unerwarteten Rache für diese an mir begangene Schmälerung noch in diesem Jahre durch den Tod von der Welt abberufen wurde.

Hiergegen hatte ich nun durch einen, mit dem dortigen Intendanten General Lwoff abgeschlossenen Vertrag, neuen Erfolgen und Einnahmen in Moskau entgegen zu sehen. Hier hatte ich, auf die mit 1000 Rubel garantirte Hälfte der Einnahme eines jeden, drei Konzerte im grossen Theater zu geben. Bei einem, mit neuem Frost abwechselnden, Thauwetter kam ich, erkältet, in einer schlecht gelegenen deutschen Pension verdriesslich und von Unbehagen gepeinigt an. Nachdem ich mit einem, trotz seiner am Halse getragenen Orden, mir sehr geringfügig erscheinenden Intendanten über die näheren Angelegenheiten verkehrt, mich auch mit einem russischen Tenoristen und einer emeritirten italienischen Sängerin über die schwierig auszuwählenden Gesangstücke einverstanden hatte, schritt ich alsbald zu den Orchester-Proben. Hier ward ich zunächst mit dem jüngeren Rubinstein, Anton's Bruder Nikolaus, bekannt, welcher, als Direktor der russischen musikalischen Gesellschaft, die Haupt-Autorität in seinem Fache für Moskau repräsentirte, und gegen mich sich durchgängig bescheiden und gefällig benahm. Das Orchester bestand aus den hundert Musikern, welche den kaiserlichen Dienst für italienische Oper und Ballet zu versehen hatten, und durchschnittlich von weit geringerer Qualität als die Petersburger waren. Doch traf ich unter ihnen eine kleine Anzahl wiederum sehr tüchtiger und mir leidenschaftlich ergebener Quartettspieler an, unter denen ich einen alten Bekannten aus der Riga'schen Zeit, den damals namentlich durch seinen Witz sich auszeichnenden Violoncellisten von Lutzau vorfand. Vorzüglich erfreute mich aber ein Violinist Albrecht, der Bruder desselben, der mich vor meiner Ankunft in Petersburg durch seine russische Pelzmütze erschreckt hatte. Diese wenigen vermochten jedoch nicht, den Umgang mit dem Moskauer Orchester mich nicht als ein künstlerisches Herabsinken empfinden zu lassen. Ich quälte mich ab ohne Freude daran zu haben, wozu noch der Aerger über meinen russischen Tenor kam, welcher in den Proben in einem rothen Hemde erschien, um mir seinen patriotischen Widerwillen gegen meine Musik zu erkennen zu geben, als er mit, den Italienern abgelernten, faden Manieren Siegfried's Schmiedelieder auf russisch zu singen hatte. Am Morgen des ersten Konzerttages musste ich mich wegen stark eingetretenen katarrhalischen Fieber's für den Abend krank melden und das Konzert absagen lassen. In dem von Schneejauche überschwemmten Moskau schienen Veranstaltungen zur Bekanntmachung dieses Falles an das Publikum unmöglich gewesen zu sein, und ich erfuhr, dass die vergebliche Anfahrt der glänzendsten Equipagen, welche zu spät zurückgewiesen werden mussten, grosses und ärgerliches Aufsehen gemacht hatte. Nachdem ich mich zwei Tage ausgeruht, bestand ich jedoch darauf, die drei vertragsmässigen Konzertaufführungen in 6 Tagen vor sich zu bringen, zu welcher Anstrengung mich besonders auch der Eifer, mit dieser mir unwürdig dünkenden Expedition fertig zu werden, antrieb. Trotzdem das grosse Theater stets, und zwar von einer so prachtvoll sich ausnehmenden Versammlung, wie sie mir nicht wieder vorgekommen ist, angefüllt war, brachte ich es, in Folge der Berechnungen der kaiserlichen Intendanz, nicht über die mir garantirte Summe, wogegen ich durch die stets sehr glänzende Aufnahme meiner Leistungen, vor allem aber durch den auch hier wieder erregten Enthusiasmus der Musiker des Orchesters, mich entschädigt fühlte. Von den Letzteren erbat sich eine Deputation noch ein viertes Konzert; da ich diess abschlug, suchte man mich wenigstens noch zur Abhaltung einer »Probe« zu überreden, was mit Lächeln ebenfalls zurückgewiesen werden musste. Doch feierte mich das Orchester noch durch ein mir zu Ehren veranstaltetes Banket, wobei es schliesslich, nachdem N. Rubinstein sich in sehr schicklicher und warmer Rede hatte vernehmen lassen, zu ziemlich tumultuarischen Freuden-Bezeigungen kam. Jemand hatte mich auf seinen Rücken gesetzt und durch den Saal getragen; und nun entstand ein Geschrei, weil alle mir den gleichen Dienst leisten wollten. Hier wurde mir auch aus den Zusammenschüssen der Orchestermusiker das Ehrengeschenk einer goldenen Tabatière gemacht, auf welche das Wort aus »Siegmund's« Gesang in der »Walküre« eingravirt war: »Doch Einer kam«. Ich erwiederte dieses Geschenk mit einem dem Orchester gewidmeten grösseren photographischen Portrait von mir, auf welchem ich den jener Stelle vorangehenden Vers aufschrieb: »Keiner ging.« – Ausser dieser Musikanten-Welt lernte ich, in Folge einer sehr bedeutungsvollen Empfehlung und Hinweisung auf ihn durch Frau Kalergis, einen Fürsten Odoiewsky kennen. In diesem Manne hatte ich, der Andeutung meiner Freundin gemäss, den edelsten der Menschen, der mich vollkommen verstehen würde, kennen zu lernen. In der That wurde ich von ihm, als ich nach stundenlanger, höchst beschwerlicher Fahrt in seiner bescheidenen Wohnung anlangte, mit patriarchalischer Einfachheit am Mittagstisch seiner Familie empfangen. Von meinem Wesen und meinen Absichten ihn zu unterrichten fiel mir ausserordentlich schwer; dagegen er alles, was von Eindrücken von ihm zu erwarten sei, auf die Wirkung des Anschauen's eines Orgel-ähnlichen grossen Instrumentes setzte, welches er in einem grösseren Raume nach seinen Angaben hatte erfinden und anfertigen lassen. Leider war niemand da, der darauf spielen konnte; doch musste ich mir eine Vorstellung von dem nach einem eigenen System eingerichteten Gottesdienst machen, welchen er hier mit Unterstützung des Instrumentes allsonntäglich den Verwandten und Bekannten seines Hauses zum Besten gab. Immer noch meiner Gönnerin eingedenk, versuchte ich dennoch dem gemüthlichen Fürsten einen Einblick in meine Lage und das Ziel meiner Bestrebungen zu verschaffen; mit anscheinender Ergriffenheit rief er mir zu: »j'ai ce qu'il vous faut, parlez a Wolffsohn!« – Nach späterer Erkundigung, erfuhr ich, dass dieser mir zugewiesene Schutzgeist keineswegs ein Banquier, sondern ein jüdisch-russischer Romanschreiber war. –

Bei alledem schienen sich meine Einnahmen, namentlich wenn ich eine noch mögliche grosse Einnahme in Petersburg mit hinzurechnete, genügend herauszustellen, um das Projekt meines Hausbaues in Biberich zur Ausführung zu bringen, weshalb ich noch von Moskau aus, welches ich nun nach einem zehntägigen Aufenthalte verliess, an meinen Bevollmächtigten in Wiesbaden hierüber ein Telegramm sendete. Auch an Minna, welche sich über die Kosten ihrer Dresdener Ansiedelung beklagte, übersandte ich jetzt 1000 Rubel.

Hiergegen traf ich sogleich bei meiner Wiederankunft in Petersburg auch grosse Verdriesslichkeiten. Man rieth mir allgemein von einem zweiten Benefice-Konzerte, welches ich für den 2. Ostertag bestimmt hatte, ab, weil dieser Tag von der russischen Gesellschaft, Gewohnheit gemäss, zur Privat-Geselligkeit verwendet werde. Zudem hatte ich es nicht verhindern können, für ein auf den dritten Tag nach dem meinigen angekündetes, Konzert zum Besten der Petersburger Schuldgefangenen zuzusagen, da ich namentlich durch Grossfürstin Helene dringend hierzu aufgefordert war. Für dieses letztere war ganz Petersburg schon Ehren halber engagirt, da es unter hohem Protektorate stand, und während alle Plätze zu demselben im Voraus verkauft waren, hatte ich bei einem sehr leeren Saale im adeligen Casino mich mit einer Einnahme zu begnügen, welche glücklicher Weise wenigstens die Kosten deckte. Dafür ging es in dem Konzerte für die Schuldgefangenen desto festlicher her: General Suwarof, ein Mann von vollkommenster Schönheit, dazu Gouverneur von Petersburg, überreichte mir als Dank der Schuldgefangenen ein sehr schön gearbeitetes silbernes Trinkhorn. – So begab ich mich denn auf das Abschiednehmen, wobei sich Fräulein von Rhaden durch Bezeigung grosser Theilnahme für mich hervorthat. Um den Verlust meiner zuletzt erwarteten Einnahme zu vergüten, übersandte die Grossfürstin mir durch sie 1000 Rubel, mit der Andeutung, bis zur Besserung meiner äusseren Lage, das gleiche Geschenk jährlich wiederholen zu wollen. Beim Antreffen so guter Dispositionen für mich hatte ich zu bedauern, dass das hiermit angetretene Verhältniss nicht gründlichere und erspriesslichere Folgen haben sollte. Ich liess der Grossfürstin durch Fräulein von Rhaden den Vorschlag machen, mich jedes Jahr auf einige Monate nach Petersburg kommen zu lassen, um dort sowohl für Konzerte als Theater-Aufführungen mich mit meinen ganzen Fähigkeiten in Verwendung zu bringen, wofür sie mir einen eben nur genügenden Jahres-Gehalt zu zahlen haben würde. Hierauf wurde mir ausweichend geantwortet. Noch am Tage vor meiner Abreise theilte ich demnach der liebenswürdigen Fürsprecherin meinen Plan einer Niederlassung in Bieberich mit, wobei ich ihr meine Bangigkeit davor nicht verbarg, dass, wenn ich mein hier gewonnenes Geld darauf verwendet hätte, meine Lage dieselbe wie früher sein würde; was mir die Besorgniss eingäbe, ob ich jenen projektirten Hausbau nicht lieber unterlassen möchte: worauf ich die feurige Antwort erhielt: »bauen Sie und hoffen Sie.« Im letzten Augenblick vor der Fahrt nach dem Bahnhofe, erwiderte ich ihr dankend in gleicher Weise, dass ich jetzt wüsste, was ich zu thun hätte. So fuhr ich Ende April, von Séroff und den enthusiastischen Musikern des Orchesters mit herzlichen Segenswünschen entlassen, durch die russische Oede, ohne Riga, wohin man mich zu einem Konzerte eingeladen hatte, zu berühren, den langen Weg dahin, um zunächst an der Grenze, der Station Wirballen, ein nachgesandtes Telegramm des Frl. von Rhaden in Empfang zu nehmen, worin sie mir in Bezug auf meine zuletzt hinterlassenen Zeilen zurufen zu müssen glaubte: »nicht zu kühn,« was mir denn genug sagte, um gegen die Ausführung meines Hausbau-Projektes wiederum Bedenken aufkeimen zu lassen.

Ohne weitere Verzögerung gelangte ich nach Berlin, wo ich sofort mich nach Bülow's Wohnung begab. Ich hatte in den letzten Monaten durchaus keine Nachrichten von Cosima's Befinden erhalten, und meldete mich jetzt, von grosser Bangigkeit bewegt, an der Thüre, durch welche ich von dem Mädchen nicht eingelassen werden sollte: »die gnädige Frau sei nicht wohl;« – »ist sie wirklich krank?« frug ich; als ich hierauf eine lächelnd ausweichende Antwort erhielt, begriff ich zu meiner Freude den Stand der Dinge, und eilte freudig Cosima zu begrüssen, welche, seit länger bereits von ihrer Tochter Blandine entbunden, jetzt in voller Genesung begriffen war, und nur gegen die gewöhnlichen Besuche sich abgeschlossen hatte. Alles schien gut zu stehen, auch Hans war heiter, da er durch die russischen Erfolge mich für längere Zeit als von Sorgen entbunden betrachten wollte. Diese Annahme konnte ich jedoch immer nur für berechtigt halten, wenn ich meinen Wunsch, alljährlich nach Petersburg für einige Monate zu wiederholter Wirksamkeit berufen zu werden, erfolgreich beachtet fand. Hierüber belehrte mich jetzt aber ein, jenem Telegramm nachgesandter, ausführlicherer Brief des Frl. von Rhaden, dahin, dass ich auf keinerlei Zusage zu rechnen habe. Dieser bestimmten Weisung zur Folge hatte ich nun den Rest meines russischen Gewinns, welcher nach Abzug der Kosten meines Aufenthaltes und meiner Reisen, so wie der bereits an Minna versandten und an meinen Wiesbadener Möbel-Händler bezahlten Gelder, sich auf nicht viel mehr über 4000 Thaler belief, ernstlich in Berechnung zu ziehen, wobei natürlich der Plan des Ankaufes eines Grundstückes und des Baues eines Hauses aufgegeben werden musste. Cosima's vortrefflichstes Befinden und heiterste Stimmung liess jedoch bei mir für jetzt keine Sorgen aufkommen, wir fuhren wieder in einem prächtigen Wagen, in übermüthigster Laune, durch die Alleen des Thiergartens, dinirten im Hôtel de Russie nach Herzenslust, und nahmen an, dass die schlechten Zeiten vorbei seien.

Zunächst hatte ich mich jeden Falls nach Wien zu wenden. Vor Kurzem hatte ich zwar von dort her schon die Anzeige erhalten, dass, und diess Mal aus Gründen der Angegriffenheit von Frau Dustmann, der »Tristan« wieder hätte zurückgelegt werden müssen. Um diese wichtige Angelegenheit näher im Auge zu behalten, wohl aber auch, weil ich mit keinem anderen deutschen Orte noch in so nahe künstlerische Verbindung getreten war als mit Wien, hielt ich diesen Punkt für jetzt als den mir anständigsten Aufenthalt fest. Tausig, den ich hier in vollster Blüthe jetzt wieder antraf, bestätigte mich hierin auf das Angelegentlichste und bestimmte mich auch dadurch, dass er sich anheischig machte, gerade in der Umgebung von Wien mir am Besten die angenehme und ruhige Wohnung verschaffen zu können, auf die ich mein Haupt-Augenmerk gerichtet hatte. Diess gelang ihm vermittelst seines Hauswirthes in ganz erwünschter Weise. Das sehr freundliche Haus eines alten Herrn Baron von Rackowitz in Penzing, in welchem mir der ganze obere Raum, nebst dem ausschliesslichen Genuss eines nicht unbeträchtlichen schattigen Gartens, zur Verfügung gestellt wurde, bot mir, gegen eine Jahresmiethe von 1200 Gulden, ein sehr erfreuliches Unterkommen. – Als den Hausmeister lernte ich Franz Mrazek, einen sehr zuthulichen Menschen kennen, welchen ich mit seiner Frau, Anna, einer sehr begabten und einschmeichelnden Person, sofort in meine Dienste nahm, in welchen sie für längere Jahre hindurch unter wechselnden Schicksalen verblieben. Jetzt hiess es denn wieder Geld ausgeben, um mir das lang ersehnte Asyl für Ruhe und Arbeit behaglich her zu richten. Aus Bieberich liess ich den letzten Rest des mir erhaltenen Hausrathes, so wie die zu dessen Vervollständigung angeschafften Mobilien mit meinem Erard'schen Flügel, mir zuschicken. Bei schönstem Frühlingswetter zog ich am 12. Mai in die freundliche Wohnung ein, und verlor zunächst manche Zeit durch die Aufregung, in welche ich durch die Sorge für die Einrichtung meiner behaglichen Wohnräume gerieth. Hier begründeten sich meine Beziehungen zu Philipp Haas & Söhne, welche mit der Zeit bedenkliche Verhältnisse annehmen sollten. Für jetzt versetzte mich jede Bemühung um meine, von mir für so hoffnungsreich angesehene Niederlassung, in die beste Laune. Das Musikzimmer, mit dem angekommenen Flügel und verschiedenen Kupferstichen nach Raphael, welche mir bei der Bibericher Theilung zugefallen, war bereits hergestellt, als ich am 22. Mai meinen fünfzigsten Geburtstag beging, und hierzu des Abends eine Serenade mit »Lampions« vom kaufmännischen Gesangvereine gebracht erhielt, welchem sich eine Deputation von Studenten angeschlossen hatte, von denen ich mit feuriger Anrede begrüsst wurde. Ich hatte für Wein gesorgt, und hiermit lief alles vortrefflich ab. Von dem Ehepaar Mrazek ward meine Haushaltung ganz erträglich besorgt; Anna machte es durch ihre Küchenkünste sogar möglich, dass ich Tausig und Cornelius öfters bei mir zu Tisch sehen konnte.

Leider traten jetzt nochmals grosse Störungen ein, welche mir Minna durch heftige Vorwürfe über alles, was ich that, bereitete. Da ich mir vorgenommen hatte, ihr niemals selbst mehr zu antworten, schrieb ich auch diessmal nur an ihre, immer noch vor sich verheimlichte, Tochter Natalie, indem ich auf die Entscheidung des vorigen Jahres verwies. – Wie sehr ich, auf der anderen Seite, gerade jetzt, einer gewissen weiblichen Pflege und Führung des Hausstandes bedürftig war, erhellte mir selbst, als ich an Mathilde Maier in Mainz den unbefangenen Wunsch aussprach, sie möge zu mir kommen, um das mir Fehlende in schicklicher Weise zu ersetzen. Ich musste diese gute Freundin für so verständig halten, dass sie ohne irgend welche Scham zu empfinden meinen Gedanken hierbei richtig erkennen würde. Hierin mochte ich mich wohl auch nicht getäuscht haben; nur hatte ich ihre Mutter und sonstige bürgerliche Umgebung nicht richtig in Anschlag gebracht. Sie schien durch meine Aufforderung in die höchste Aufregung gebracht worden zu sein, welcher sich endlich ihre Freundin Luise Wagner dahin bemächtigte, dass sie, mit bürgerlichem Verstande und Präzision, einfach mir den guten Rath ertheilte, zunächst von meiner Frau mich scheiden zu lassen, wonach alles Uebrige dann leicht sich arrangiren lassen würde. Hierüber heftig erschrocken, nahm ich sofort meine Aufforderung als unüberlegt zurück, und suchte die entstandenen Aufregungen so gut wie möglich zu beruhigen. – Andrerseits fuhr, wie bisher so auch jetzt, Friederike Meyer fort, wenn auch ganz gegen ihren Willen, so doch durch ihr mir ganz unbegreifliches Schicksal, mich sehr zu beunruhigen. Nachdem sie im vergangenen Winter mehrere Monate, wie es schien zu ihrem Gedeihen, in Venedig zugebracht, hatte ich von Petersburg aus ihr den Wunsch zu erkennen gegeben, sie möge bei Bülow's in Berlin mit mir zusammen treffen, wobei ich das freundliche Interesse, welches Cosima für sie gefasst hatte, reiflich in Anschlag brachte, um auch mit dieser gemeinschaftlich zu erwägen, in welcher Weise für die Ordnung der auffällig gestörten Lebenslage der Freundin zu helfen sei. Zu diesem Zusammentreffen war sie nicht erschienen; dagegen meldete sie mir, dass sie für jetzt, wo ihre noch sehr leidende Gesundheit ihre theatralische Laufbahn ernstlich hemme, bei einer Freundin in Coburg sich niedergelassen habe, und durch gelegentliches Auftreten auf dem dortigen kleinen Theater sich zu souteniren suche. Eine Einladung, wie ich sie an Mathilde Maier gestellt hatte, konnte ich ihr aus vielen Gründen wohl nicht zukommen lassen. Dagegen hegte sie den heftigen Wunsch, mit mir auf kurze Zeit noch ein Mal zusammen zu kommen, wobei sie mir versicherte, sie würde mich dann für immer in Ruhe lassen. Mir musste es zwecklos und abenteuerlich erscheinen, sofort ihre Bitte zu gewähren; doch stellte ich diess für etwas später in Aussicht. Sie wiederholte im Verlaufe des Sommers von verschiedenen Orten aus dasselbe Verlangen, bis ich, im Spätherbste dazu bestimmt ein Konzert in Karlsruhe zu geben, ihr diese Zeit und diesen Ort für die gewünschte Begegnung in Aussicht stellte. Hierauf habe ich von dieser seltsamen und anregenden Freundin nie auch nur die mindeste Mittheilung mehr erhalten, so dass ich mit ihr, deren Aufenthalt mir ebenfalls unbekannt blieb, jede Verbindung abgebrochen sah. Erst nach mehreren Jahren ward mir das Geheimniss ihrer allerdings höchst schwierigen Lage bekannt, nach welchen Mittheilungen ich schliessen musste, dass sie im Betreff ihres Verhältnisses zu jenem Herrn von Guaita mir die Wahrheit zu sagen sich gescheut hatte. Demnach hatte jener Mann bei weitem ernstlichere Ansprüche an sie, als ich vermuthet hatte, und jetzt war sie, wie es schien, durch die Noth ihrer Lage gedrängt worden, dem immerhin ernstlich ihr anhängenden Manne als letztem Freunde sich zu übergeben. Ich erfuhr, dass sie – man glaubte sogar, Herrn von Guaita »still« angetraut – mit zweien Kindern, nicht nur vom Theater, sondern auch von der Welt gänzlich zurückgezogen, auf einem kleinen Gütchen am Rhein ihr Leben unbemerkt zubringe.

Noch war ich aber jetzt zu der feierlich umständlich vorbereiteten Arbeitsruhe nicht gelangt. Das Erlebniss eines Diebstahls, welcher durch Einbruch an der, von den Moskauer Musikern mir geschenkten goldenen Dose begangen wurde, rief mir wieder den Wunsch des Besitzes eines Hundes zurück: mein freundlicher alter Hausherr überliess mir hierfür seinen alten, von ihm bereits sehr vernachlässigten Jagdhund, genannt Pohl, eines der liebenswürdigsten und vortrefflichsten Thiere, welche je sich mir zugesellt haben. Mit ihm machte ich mich alltäglich auf starke Fuss-Promenaden, wozu die höchst angenehme Umgebung mir die befriedigendsten Veranlassungen bot. Ausserdem blieb ich für jetzt noch ziemlich einsam, da Tausig durch eine schwere Erkrankung auf lange Zeit an sein Bett gefesselt war, und Cornelius ebenfalls an einer Fusswunde litt, die er sich bei einem Besuche in Penzing durch unvorsichtiges Herabsteigen vom Omnibus zugezogen hatte. In freundschaftlichem Umgange blieb ich stets mit Standhartner und dessen Familie; auch hatte sich der jüngere Bruder Heinrichs Porges, Fritz, als angehender Arzt und recht angenehmer Mensch, schon bei Gelegenheit der Serenade des kaufmännischen Gesangvereines, welche er veranlasst hatte, zu mir gesellt.

Ich hatte mich davon überzeugt, dass an eine Wiederaufnahme des »Tristan« im Operntheater nicht mehr zu denken sein würde, da, wie ich erfuhr, die Angegriffenheit der Frau Dustmann nur ein Vorgeben, die vollständige Stimmlosigkeit des Herrn Ander aber der wahre Grund der letzten Unterbrechung gewesen war. Der ehrliche Kapellmeister Esser suchte mich zwar stets dazu zu überreden, dass ich die Partie des »Tristan« einem anderen Tenoristen des Theaters, Namens Walther, übergeben sollte; dieser war mir jedoch so widerwärtig, dass ich mich selbst nicht dazu entschliessen konnte, ihn ein Mal im »Lohengrin« anzuhören. So liess ich denn diese Angelegenheit jetzt gänzlich in Vergessenheit gerathen, und suchte mich einzig zur Wieder-Aufnahme meiner Arbeit an den »Meistersingern« zu stimmen. Somit nahm ich denn zunächst die Instrumentirung des fertig komponirten Theiles des ersten Aktes, von welchem ich zuvor nur einige Bruchstücke aufgesetzt hatte, wieder vor. Zugleich aber schlich sich, beim Herannahen des Sommer's, wiederum die Sorge um mein künftiges Auskommen in alle meine Empfindungen von der Gegenwart ein: bei der Erfüllung meiner Verpflichtungen, namentlich auch gegen Minna, ersah ich, dass ich bald wieder an Unternehmungen für Geldgewinn werde denken müssen.

Somit kam mir schon jetzt eine mich überraschende Einladung der Direktion des Pester National-Theater's zu zwei von mir dort zu gebenden Konzerten durchaus nicht ungelegen. Dem zu Folge begab ich mich Ende Juli nach der Hauptstadt Ungarn's, wurde dort von dem Intendanten Radnodfay, gänzlich unbekannter Weise, empfangen, und erhielt durch Remenyi, einem von Liszt seiner Zeit protegirten, in Wahrheit nicht ungenialen Geigen-Virtuosen, welcher sich gränzenlos leidenschaftlich für mich gebärdete, die Aufklärung, nach welcher er ganz von sich aus meine Berufung veranlasst hätte. Obwohl hierbei nicht viel für mich zu gewinnen war, da ich für jedes der beiden Konzerte mit 500 Gulden mich zu begnügen bereit erklärt, hatte ich doch über das Gelingen des Konzertes selbst, und die grosse Theilnahme des Publikum's an demselben, mich zu erfreuen. Ich lernte hier, wo man noch in strengster magyarischer Opposition gegen Oesterreich lebte, einige stattlich, gut begabte junge Männer kennen, unter welchen Herr Rosti mir in freundlicher Erinnerung geblieben ist. Diese bereiteten mir eine idyllische Feier durch ein Gastmahl, abgehalten von wenigen Vertrauten, auf einer Insel der Donau, wo wir uns unter einer uralten Eiche, wie zu einer patriarchalischen Feier, niederliessen. Die Festrede hatte ein junger Advokat, dessen Namen ich leider vergessen habe, übernommen, welcher hierbei nicht nur durch das Feuer seines Vortrages, sondern namentlich auch durch den wirklich erhabenen Ernst seiner Gedanken, die auf einer vollkommenen Kenntniss aller meiner Arbeiten und Wirksamkeiten fussten, mich in Staunen und grosse Ergriffenheit versetzte. Die Rückfahrt ging auf der Donau wieder in den kleinen schnell fahrenden Kähnen des Ruderer-Vereines, zu welchem meine Gastgeber gehörten, vor sich, und hier erlebten wir nun die Wirkungen eines orkanartigen Gewitter-Sturmes, welcher den mächtigen Strom in die wildeste Bewegung setzte. Eine einzige Dame, die Gräfin Bethlen-Gabor, begleitete uns hierbei, und befand sich mit mir in dem schmalen Kahne, welchen Rosti nebst einem Freunde als Ruderer leitete. Diese Beiden waren nur von der Angst besessen, ihr Kahn möge an einem der Holzflösse, auf welche uns die Fluth zutrieb, zerschmettert werden, und gaben sich desshalb die äusserste Mühe von diesen Flössen sich fern zu halten, während ich die einzige Rettung, namentlich auch der neben mir sitzenden Dame, darin ersah, dass wir uns auf ein solches Floss hinüber begeben könnten. Um diess gegen den Wunsch unserer Ruderer zu bewirken, erfasste ich mit der einen Hand, als wir daran streiften, den hervorragenden Pflock eines Flosses, und hielt damit das Schiff fest; während die beiden Ruderer aufschrieen, die »Ellida« sei verloren, hob ich schnell meine Dame aus dem Boot auf das Floss, liess meine Freunde getrost »Ellida« retten, und schritt nun, über die Flösse hinweg, endlich dem Ufer entlang, durch den furchtbarsten Sturm-Regen, aber doch sicher und fest, der Stadt zu. Mein Benehmen bei dieser Gefahr verfehlte nicht das Ansehen, in welchem ich bei meinen Freunden stand, einiger Maassen zu vermehren; worauf es denn noch zu einem feierlichen Banket in einem öffentlichen Garten kam, zu welchem sich eine grosse Anzahl von Theilnehmern eingefunden hatte. Hier wurde ich denn ganz ungarisch behandelt. Eine enorme Zigeuner-Musik-Bande war aufgestellt, und empfing mich bei meiner Annäherung mit dem Rakoczy-Marsche, welchen stürmische »Eljen's« der Gesellschaft begleiteten. Auch hier wurde sehr feurig beredt und kenntnissvoll von mir und meiner Wirksamkeit, welche weit über Deutschland hinausreiche, gesprochen. Die Einleitungen dieser Reden waren stets in ungarischer Sprache, und hatten zur Entschuldigung dafür zu dienen, dass man die eigentliche Rede dem Gaste zu Liebe deutsch halten würde. Auch wurde ich hierbei nicht »Richard Wagner«, sondern »Wagner Richard« genannt.

Aber auch die oberste Militär-Behörde liess es nicht fehlen, in der Person des Feldmarschall's Coronini mir eine Huldigung darzubringen: ich ward von dem Grafen zu einer Vorstellung sämmtlicher Militär-Musikkräfte auf das Schloss von Ofen geladen, wo ich von ihm und seiner Familie sehr verbindlich empfangen, mit Gefrorenem traktirt, und zur Anhörung eines Konzertes von sämmtlichen Musikchören vom Balkon aus geleitet wurde. – Der Eindruck von diesem Allen erfrischte mich sehr, so dass es mir fast leid that, aus dem jugendlich belebenden Elemente, in welchem sich Pest gezeigt hatte, mich in mein stummes, muffiges Wiener Asyl wieder zurück begeben zu müssen. – Auf meiner Rückreise, im Anfang August, traf ich für einen Theil der Fahrt mit Herrn von Seebach, dem von Paris her mir bekannten, freundlichen sächsischen Gesandten zusammen. Dieser beklagte sich über ungeheure Einbussen, welche er durch die schwierige Verwaltung seiner angeheiratheten, in Süd-Russland gelegenen Güter, von denen er jetzt soeben zurückkehre, erlitten habe; wogegen ich ihn über meine eigene Lage zu beruhigen suchte, was ihm sehr wohl gefiel.

Die kleine Einnahme aus den Pester Konzerten, von welchen ich sogar nur die Hälfte zurückbringen konnte, vermochte mich nicht sonderlich bei meinem Blick in die Zukunft zu beruhigen. Jetzt, nachdem Alles auf eine, wie ich vermeinte, dauernde Niederlassung verwendet war, handelte es sich darum, mich einer jährlichen sicheren, wenn auch nicht übermässigen, Gehalts-Einnahme zu versichern. Während ich hierfür meine Verbindungen mit Petersburg, und meinen auf diese gegründeten Plan, noch keineswegs aufzugeben mich gedrungen fühlte, kam es mir dennoch bei, die Versicherungen jenes Réményi, welcher sich eines grossen Einflusses auf die ungarische Magnaten-Welt rühmte, nicht gänzlich unbeachtet zu lassen, als er mir erklärte, dass es gewiss nichts Grosses sei, mir eine solche Pension mit ähnlichen Verpflichtungen, wie ich sie für Petersburg im Auge hätte, für Pest zu erwirken. Wirklich besuchte er mich schon bald nach meiner Rückkehr in Penzing, und zwar in Begleitung seines Adoptiv-Sohnes, des jungen Plotenyi, dessen ausgezeichnete Schönheit und Liebenswürdigkeit auf mich einen sehr freundlichen Eindruck machte. Dem Adoptiv-Vater selbst, obwohl er durch einen sehr genialen Vortrag des Rakoczy-Marsches auf der Violine sich meine grosse Anerkennung erwarb, musste ich jedoch bald anmerken, dass er mit seinen grossartigen Versprechungen es mehr auf einen augenblicklichen Eindruck auf mich, als auf eine dauernde Wirkung abgesehen hatte. Ich verlor ihn später, seiner Absicht entgegenkommend, aus dem Auge.

Während ich mich wieder mit Plänen für Konzertreisen beschäftigen musste, genoss ich einstweilen bei grosser Hitze meinen schattigen Garten, und begab mich mit meinem treuen Hunde Pohl allabendlich auf grössere Wanderungen, von denen die Sennerei zu St. Veit, mit schönem Milch-Genuss, mir die meiste Erquickung bot. Mein kleiner Freundeskreis beschränkte sich dabei immer auf Cornelius, und den endlich wieder genesenen Tausig, welcher Letztere jedoch durch seinen Umgang mit reichen österreichischen Offizieren mir für längere Zeit wieder verschwand. Dagegen stellte sich, neben dem jüngeren, für einige Zeit auch der ältere Porges zu häufigen Ausflügen mit ein. Auch meine Nichte Ottilie Brockhaus, bei der von Seiten ihrer Mutter ihr befreundeten Familie Heinrich Laube's wohnend, erfreute mich zu Zeiten durch ihren Besuch.

So oft ich mich jedoch ernstlich an meine Arbeit begab, stachelte mich immer wieder die bange Besorgniss für die ruhige Erhaltung meiner Tage auf. Da eine neue Reise nach Russland erst für die Osterzeit des nächsten Jahres in Anschlag gebracht werden konnte, hatte ich zunächst nur deutsche Städte für meine Zwecke vor mir. Von mancher Seite her, z. B. von Darmstadt, erhielt ich durchaus abschlägige Antwort: von Karlsruhe, wohin ich mich unmittelbar an den Grossherzog gewandt hatte, wurde mir für jetzt verzögernd geantwortet. Am meisten gerieth meine Zuversicht in das Schwanken, als ich auf meine schliessliche Anfrage in Petersburg, im Betreff des dort vorgelegten Planes, durch dessen Annahme ich einer geordneten Gehaltzahlung versichert worden wäre, eine durchaus abschlägige Antwort erhielt. Dort war es nun die im laufenden Sommer ausgebrochene polnische Revolution, welche, wie mir versichert wurde, alle Kräfte zu künstlerischen Unternehmungen lähmte. – Erfreulicher lauteten Nachrichten aus Moskau, wo man mir im nächsten Jahre einige gute Konzerte in Aussicht stellte. Jetzt entsann ich mich denn auch einer sehr zuversichtlichen Hinweisung auf Kiew, welches mir durch den Sänger Setoff als höchst lohnend empfohlen worden war. Auch hierüber trat ich in Correspondenz, und wurde ebenfalls auf die Ostern des nächsten Jahres, wo in Kiew sich der ganze kleine russische Adel versammelt, verwiesen. Das waren nun ferne Pläne, deren Ausführung, wenn ich sie jetzt in Ueberlegung zog, mir bereits alle Arbeitsruhe zu nehmen im Stande war. Jedenfalls hatte ich schon für eine lange Zeit bis dahin, wie für mich, so auch für Minna zu sorgen. Etwaige Aussichten auf eine Stellung in Wien konnte ich nur mit grösster Vorsicht auffassen, so dass mir beim Herannahen des Herbstes für jetzt nichts übrig blieb, als durch Aufnahme von Geld mir zu helfen, wobei, als in diesen Dingen ausserordentlich erfahren, Tausig mir zu Hülfe kam.

Wohl musste mir schon der Gedanke ankommen, dass ich auch meine Penzinger Niederlassung wiederum aufzugeben hätte; nur frug es sich stets, wohin? Keimte die Lust zum Komponiren ein Mal wieder auf, so drängte sich immer von Neuem die Sorge dazwischen und verwies mich, da es immer nur den Aufschub von Tag zu Tag galt, auf das Studium der »Geschichte des Alterthum's« von Dunker. Endlich verschlang alle meine Zeit die Correspondenz um Konzerte. Zunächst musste Heinrich Porges wiederum für Prag arbeiten; er stellte mir jedoch auch ein Konzert in Löwenberg, bei sehr guten Dispositionen des dortigen Fürsten von Hohenzollern, in aussichtsvolle Berechnung. Auch ward ich auf Hans von Bronsart hingewiesen, welcher damals in Dresden eine Privat-Orchester-Gesellschaft leitete. Mit grosser Ergebenheit ging dieser auf meine Vorschläge ein, und es wurde zwischen uns die Zeit und das Programm eines von mir in Dresden zu dirigirenden Konzertes verabredet. Da nun noch der Grossherzog von Baden mir sein Theater für ein im November in Karlsruhe zu gebendes Konzert zur Verfügung stellte, glaubte ich in diesem Betreff für jetzt genug gethan zu haben, um auch nach anderer Seite hin einen Angriff zu machen. Ich verfasste für die Uhl-Fröbel'sche Zeitung, der »Botschafter«, einen grösseren Artikel über das kaiserliche Hofoperntheater in Wien, in welchem ich Vorschläge zur gründlichen Reform dieses so sehr missleiteten Institutes bekannt gab, deren Vortrefflichkeit sogar von der Presse allgemein anerkannt wurde. Selbst in den höheren administrativen Kreisen schien ich einige Wirkung hervorgerufen zu haben; denn bald erfuhr ich, durch meinen Freund Rudolf Liechtenstein, dass man mit ihm wegen der Uebernahme der Intendanten-Stelle in einiges Vernehmen getreten war, was jedenfalls damit im Zusammenhange stand, dass man auch für mich eine Berufung zur Leitung des Hofoperntheater's in Erwägung gezogen hatte. Unter den Gründen zum Fallenlassen des Projektes machte sich auch, wie Liechtenstein mir mittheilte, die Befürchtung geltend, man würde unter dessen Intendanz wohl nur noch »Wagner'sche Opern« zu hören bekommen. –

Endlich that es mir wohl, aus der Beklommenheit meiner Lage mich durch den Aufbruch zu meinen Konzertreisen zu befreien. Zunächst, Anfangs November, gelangte ich nach Prag um dort abermals mein Glück in Bezug auf eine gute Einnahme zu versuchen; leider hatte hier Heinrich Porges diessmal die Vorbereitungen nicht in die Hand nehmen können, und seine Stellvertreter, in Schulen sehr beschäftigte Lehrer, waren der Sache nicht im gleichen Maasse gewachsen gewesen. Die Kosten hatten sich gesteigert, aber die Einnahme verringert, weil man die früheren hohen Preise nicht wiederum gewagt hatte. Ich wünschte das Fehlende durch ein zweites Konzert, wenige Tage darauf gegeben, eingebracht zu wissen: hierauf bestand ich, obwohl man mir davon abrieth, wobei, wie es sich zeigte, meine Freunde im Rechte waren. Die Einnahme deckte diessmal kaum die Kosten, und da ich genöthigt gewesen war, das im ersten Konzert gewonnene Geld zur Auslösung eines in Wien zurückgelassenen Wechsels von mir zu schicken, blieb mir jetzt zur Bezahlung meiner Gasthof-Rechnung und meiner Weiterreise nur übrig, das Anerbieten eines sich als Protektor gebärdenden Banquiers zur Hülfe aus der Verlegenheit anzunehmen. – In der diesen Vorgängen entsprechenden Stimmung lenkte ich nun meine Reise nach Karlsruhe, und diess zwar unter höchst mühseligen Umständen, über Nürnberg und Stuttgart, bei grosser Kälte und unter stäten Verzögerungen. Hier in Karlsruhe versammelten sich sogleich verschiedene Freunde um mich, welche der Ruf des Vorhabens hieher gezogen hatte. Richard Pohl aus Baden, der nie fehlte, Mathilde Maier, Frau Betty Schott, meine Verlegerin, selbst Raff aus Wiesbaden und Emilie Genast, sogar der damals vor kurzem in Stuttgart als Kapellmeister angestellte Karl Eckert, fanden sich ein. Für das erste, am 14. November stattfindende Konzert, hatte ich sofort mit den Sängern meine Noth, da der Baritonist Hauser, für »Wotan's Abschied« und »Hans Sachs'« Schuster-Lied, erkrankt war, und für ihn ein stimmloser aber sehr routinirter Vaudeville-Sänger eintreten musste, – was nach Eduard Devrient's Ansicht gar nichts ausmachte. Dieser Letztere, mit welchem ich nur im alleroffiziellsten Sinne zu verkehren hatte, war übrigens für die Herstellung namentlich des Orchesterbaues nach meinen Angaben sehr korrekt besorgt gewesen. Von der Seite des Orchester's her hatte überhaupt das Konzert einen sehr guten Verlauf, so dass der Grossherzog, welcher mich in seiner Loge sehr wohlwollend empfangen hatte, eine Wiederholung der Aufführung in acht Tagen wünschte. Ich sprach hiergegen sogleich meine Bedenken aus, da mich bereits meine Erfahrungen gelehrt hatten, dass der starke Besuch von derlei Konzerten, namentlich bei hohen Preisen, allergrössten Theiles stets nur durch die Neugierde der oft von weit her zusammentreffenden Zuhörer sich erklären lasse, wogegen die eigentlichen Kunstverständigen und für die Sache selbst sich Interessirenden immer nur eine geringe Anzahl ausmachten. Der Grossherzog bestand jedoch darauf, da er seiner Schwiegermutter, der Königin Augusta, welche in wenigen Tagen ankommen werde, den Genuss meiner Leistung darbieten wollte. Besonders lästig war es mir, die lange Zeit in meinem Karlsruher Gasthof allein zuzubringen, als mir Marie Kalergis, soeben verheirathete Moukhanoff, welche sich zu meiner Freude ebenfalls eingefunden hatte, mit einer Einladung nach Baden-Baden, wo sie jetzt residirte, freundlich entgegenkam. Dort empfing mich meine Freundin sofort im Bahnhof, und bot mir ihre Begleitung nach der Stadt an, welche ich ablehnen zu müssen glaubte, da ich mich in meinem »Räuberhute« nicht anständig genug ausnehmen dürfte; mit der Versicherung »wir tragen hier alle solche Räuberhüte«, hing sie sich jedoch in meinen Arm, und so gelangten wir in die Villa von Pauline Viardot, wo wir das Diner einnehmen mussten, da meine Freundin in ihrem eigenen Hause noch nicht genügend eingerichtet war. An der Seite meiner alten Bekannten, lernte ich jetzt den russischen Dichter Turgenjeff kennen; ihren eigenen Gemahl stellte mir Mme. Moukhanoff mit dem Bedenken darüber vor, was ich zu dieser Heirath sagen würde. Sie bemühte sich, von ihrer welterfahrenen Umgebung unterstützt, während unseres Zusammenseins eine erträgliche Unterhaltung in's Werk zu setzen. Von der vortrefflichen Absicht meiner Freundin und Gönnerin sehr befriedigt, verliess ich für diessmal Baden, um meine Zeit durch einen kleinen Abstecher nach Zürich auszufüllen, wo ich nochmals im Hause der Familie Wesendonck mich einige Tage auszuruhen suchte. Einen Gedanken, mir in meiner aufrichtig vor ihnen besprochenen Lage behülflich zu sein, sah ich bei meinen Freunden nicht aufkeimen. So wendete ich mich nach Karlsruhe zurück, wo ich am 19. November mein zweites Konzert, wie voraus gesehen, vor schwach besetztem Saale abhielt. Nur die Königin Augusta sollte, nach der Meinung des grossherzoglichen Paares, mir etwa aufkommende unangenehme Eindrücke zerstreuen: wiederum ward ich in die Hofloge eingeladen und fand alle Fürstlichkeiten um die Königin versammelt, welche, mit einer blauen Rose auf der Stirn geschmückt, mir dasjenige Belobende auszudrücken hatte, auf was der badische Hof mit höchster Gespanntheit lauschte; nur als die hohe Dame nach einigen Allgemeinheiten in das nähere Détail einzugehen hatte, trat sie die Kundgebung hierüber an ihre Tochter ab, weil diese davon mehr verstehe als sie. Des anderen Tags erhielt ich meinen Antheil an der Einnahme, welcher auf die Hälfte derselben nach Abzug der Kosten berechnet war, mit 100 Gulden zugesandt. Ich kaufte mir dafür sofort einen Pelz, für welchen 110 Gulden verlangt waren, davon ich aber zehn Gulden, unter der Hinweisung darauf, dass meine Einnahme nur 100 Gulden betragen, abhandelte. Nun aber gelangte noch das Privat-Geschenk des Grossherzog's an mich, welches in einer goldenen Dose mit 15 Louisd'or darin bestand. Ich hatte hierfür schriftlich meinen Dank abzustatten, und zugleich einen Entschluss darüber zu fassen, ob ich nach den kummervollen Ermüdungen der letzten Wochen noch die Reihe der mir gewordenen Enttäuschungen durch ein in Dresden zu gebendes Konzert vermehren wollte. Vieles, ja fast Alles was ich im Betreff eines Besuches in Dresden zu berücksichtigen hatte, stimmte mich dafür, mir ein Herz zu fassen und dem freundlichst hierfür besorgten Hans von Bronsart in letzter Stunde zu melden, dass er alles Vorbereitete rückgängig machen und mich in Dresden nicht erwarten möge, was er, obwohl es ihm gewiss grosse Beschwerden verursachte, mit schönem Anstande entgegennahm.

Noch wollte ich nun einen Versuch mit der Firma Schott in Mainz machen, und wandte mich daher in nächtlicher Reise dorthin, wo die Familie Mathilde Maier's mir ein gemüthliches Unterkommen in ihrer kleinen Wohnung für den Tag meines Dortseins freundlich aufgenöthigt hatte. In der kleinen »Karthäusergasse« wurde ich für einen Tag und eine Nacht auf das Angelegentlichste verpflegt, und von hier aus unternahm ich einen neuen Einfall in die Schott'sche Verlagshandlung, ohne jedoch grosse Beute zu gewinnen, da ich mich weigerte, die für das Konzert ausgezogenen und hergerichteten Stücke aus meinen neuen Werken einzeln, eben für den Konzert-Gebrauch, herauszugeben.

Da mir jetzt als einzig ergiebig nur noch mein Konzert in Löwenberg bevorstand, richtete ich jetzt meinen Weg dahin, schlug hierfür aber, um Dresden zu vermeiden, den kleinen Umweg über Berlin ein, wo ich nach durchfahrener Nacht sehr ermüdet am 28. November früh eintraf und von Bülow's, wie ich mir erbeten, empfangen, zugleich aber auf das Eindringlichste dazu beredet wurde, meine im Sinne gehabte sofortige Weiterreise nach Schlesien auf einen Tag, welchen ich ihnen schenken sollte, zu unterbrechen. Hans wünschte wohl vor Allem auch, dass ich einer Konzert-Aufführung, welche an diesem Abend unter seiner Direktion stattfand, beiwohnte, was mich denn wohl auch zum Bleiben bestimmte. Bei kalter, rauher und trüber Witterung unterhielten wir uns, so gut gelaunt wie möglich, über meine widerwärtige Lage. Um meine Fonds zu vermehren ward beschlossen, die goldene Dose des Grossherzog's von Baden unserm alten Freunde, dem guten Weitzmann, zum Verkauf zu übergeben. Im Hôtel »Brandenburg«, wo ich mit Bülow's speiste, ward mir der Erlös mit ungefähr 90 Thalern übermittelt, wobei es an Scherzen über diese Stärkung meines Dasein's nicht fehlte. Da Bülow Vorbereitungen zu seinem Konzerte zu treffen hatte, fuhr ich mit Cosima allein, noch ein Mal in einem schönen Wagen, auf die Promenade. Diessmal ging uns schweigend der Scherz aus: wir blickten uns stumm in die Augen und ein heftiges Verlangen nach eingestandener Wahrheit übermannte uns zu dem keiner Worte bedürfenden Bekenntnisse eines gränzenlosen Unglückes, das uns belastete. Uns war Erleichterung geworden. Eine tiefe Beruhigung gab uns die Heiterkeit, ohne Beklemmung dem Konzerte beizuwohnen, in welchem sogar eine vollendet feine und schwungvolle Aufführung der kleineren Beethoven'schen Konzert-Ouverture (C-dur), sowie die ebenfalls von Hans sehr sinnig bearbeitete Gluck'sche Ouverture zu »Paris und Helena« sogar deutlich meine Aufmerksamkeit fesseln konnten. Wir gewahrten Alwine Frommann, und trafen während der Pause auf der grossen Treppe des Konzert-Saales mit ihr zusammen; nachdem der zweite Theil begonnen, und diese Treppe wieder leer geworden war, verweilten wir, auf einer Stufe derselben niedergesetzt, mit der alten Freundin noch längere Zeit in traulich heiterem Gespräche. Noch hatten wir uns nach dem Konzerte bei Freund Weitzmann zu einem Souper einzufinden, dessen wuchtige Copiosität uns der tiefsten Seelenruhe Bedürftige in fast wüthende Verzweiflung versetzte. Doch war der Tag beschlossen, nach einer in der Bülow'schen Wohnung verbrachten Nacht, trat ich meine Weiterreise an, beim Abschied an jene erste wunderbar ergreifende Trennung von Cosima in Zürich in der Weise gemahnt, dass mir die dazwischen liegenden Jahre als ein wüster Traum zwischen zwei Tagen der höchsten Lebensentscheidung verschwanden. Nöthigte damals das ahnungsvoll Unverstandene zum Schweigen, so war es nicht minder unmöglich, dem jetzt unausgesprochen Erkannten Worte zu geben. – Auf einer schlesischen Bahnstation empfing mich Kapellmeister Seifriz, um mich in einem fürstlichen Wagen nach Löwenberg zu geleiten. –

Der alte Fürst von Hohenzollern-Hechingen, durch seine grosse Befreundung mit Liszt auch mir vorzüglich gewogen, war durch Heinrich Porges, welcher auf einige Zeit zu ihm berufen gewesen, von meiner Lage in Kenntniss gesetzt worden, und hatte mich nun zur Aufführung eines, nur für Eingeladene in seinem bescheidenen Schlosse zu gebenden Konzertes zu sich eingeladen. Nach freundlicher Aufnahme in einer, im Parterre seines Hauses gelegenen, Wohnung, zu welcher er sich sehr häufig, auf seinem Rollstuhle gefahren, von seinen gegenüber liegenden Zimmern begab, durfte ich mich hier nicht unbehaglich und selbst einiger Maassen hoffnungsvoll fühlen. Sogleich ging ich an das Einüben der von mir gewählten Bruchstücke aus meinen Opern mit dem ganz leidlich bestellten Privat-Orchester des Fürsten, welchen Studien mein Wirth stets mit grosser Befriedigung anwohnte. Die Mahlzeiten wurden mit grosser Gemüthlichkeit gemeinsam eingenommen; am Tage der Konzert-Aufführung selbst aber kam es zu einer Art von Gala-Diner, bei welchem ich durch die Anwesenheit der von Zürich her mir genauer befreundeten Henriette von Bissing, der Schwester der Frau Dr. Wille in Mariafeld, überrascht wurde. In der Nähe Löwenberg's begütert, war auch sie vom Fürsten eingeladen worden, und bezeugte jetzt mir die treue Fortdauer ihrer enthusiastischen Anhänglichkeit. Sehr verständig und witzig, ward sie mir sogleich zur bevorzugten Gesellschafterin. Nachdem das Konzert ganz erträglich verlaufen, hatte ich am anderen Tage noch einen Wunsch des Fürsten zu erfüllen, indem ich ihm die Beethoven'sche C-moll-Symphonie privatim aufführte; auch diesem wohnte Frau von Bissing, welche seit einiger Zeit Wittwe geworden war, bei, und sie versprach mir, auch nach Breslau, zu dem dort zu gebenden Konzerte, kommen zu wollen. Vor meiner Abreise von Löwenberg stellte mir Kapellmeister Seifriz das mir bestimmte Geschenk des Fürsten in 1400 Thalern zu, und zwar mit der Bezeigung des Bedauern's für jetzt mich nicht reichlicher bedenken zu können. Nach allen von mir bisher gemachten Erfahrungen wahrhaft überrascht und befriedigt, freute es mich meinen herzlichsten Dank dem wackeren Fürsten in ausdrucksvoller Weise kund geben zu können.

So reiste ich denn nach Breslau, wo mir Konzertmeister Damrosch, von meinem letzten Besuche in Weimar her mir bekannt und durch Liszt empfohlen, ebenfalls ein Konzert besorgt hatte. Leider stimmte mich hier Alles ungemein traurig und verzweiflungsvoll: die ganze Angelegenheit, wie es andererseits wohl auch zu erwarten stand, war in kleinlichster Weise eingeleitet. Ein ganz abscheuliches Konzertlocal, welches für gewöhnlich nur als Bierhalle diente, und mit dem Hintergrunde auf ein kleines Tivoli-Theater mit davor herabgelassenem, entsetzlich gemeinem Vorhange ausging, und in welchem ich mir erst einen erhöhten Bretterboden für das Orchester herbeischaffen lassen musste, widerte mich so stark an, dass ich eigentlich sofort die schlecht aussehenden Musiker entlassen wollte. Mein beängstigter Freund Damrosch musste mir wenigstens versprechen, den fürchterlichen Tabaksgeruch des Lokales neutralisiren zu lassen. Da er mir dennoch im Betreff der Einnahme gar keine Garantie zu bieten hatte, konnte nur die Rücksicht darauf, ihn nicht stark zu kompromittiren, mich endlich noch zur Ausführung des Konzertes bestimmen. Zu meinem Staunen sah ich fast das ganze Lokal, namentlich den Vordertheil desselben, nur von Juden inne gehabt, und dass ich überhaupt nur der angeregten Theilnahme dieses Theiles der Bevölkerung irgend welchen Erfolg zu verdanken hatte, erfuhr ich des andern Tages, als ich einem von Damrosch mir zu Ehren veranstalteten Mittags-Mahle beiwohnte, an welchem nur Juden theilnahmen. Wie ein Licht-Strahl aus einer bessern Welt hatte mich dagegen schon beim Verlassen des Konzert-Saales die Erscheinung des Fräulein Marie von Buch erheitert, welche mit ihrer Grossmutter von den Hatzfeld'schen Gütern zur Assistenz meines Konzertes herbeigeeilt war, und in einem zur Loge dienenden Bretterverschlage bis nach der Entfernung des Publikum's mein Vorbeigehen erwartet hatte. So trat die junge Dame auch nach dem Schlusse des Damrosch'schen Diners in Reisekleidern noch ein Mal an mich heran, um mir mit freundlichen und theilnehmenden Versicherungen die wohl angemerkte Trauer über meine Lage einigermaassen zu benehmen. Ich dankte ihr für diese Bezeigungen noch brieflich nach meiner Rückkehr nach Wien, welches sie mit dem Begehren eines Albumblattes erwiederte; diesem fügte ich, eingedenk des erschütternden Eindruckes, mit dem ich Berlin verlassen hatte, gleichsam als Mittheilung meiner Seelenstimmung an eine nicht Unwürdige, die Worte Calderon's ein: »Was unmöglich zu verschweigen und unmöglich auszusprechen«, womit ich, nur mir bewusst, das einzig in mir Lebende mit glücklicher Unverständlichkeit einem mir befreundeten Wesen mitgetheilt zu haben glaubte.

Von durchaus andren Folgen war dagegen meine erneuete Begegnung mit Henriette von Bissing in Breslau gewesen. Diese war mir hierher nachgefolgt und im gleichen Gasthofe wie ich abgestiegen. Sie schien namentlich wohl auch durch mein krankhaftes Aussehen bestimmt, einem grossen Mitgefühl für mich und meine Lage Raum zu geben. Ohne Scheu stellte ich ihr die Letztere dar und bezeichnete hierbei die seit meinem Fortgange von Zürich im Jahre 1858 eingetretene Störung einer mir und meinem Berufe einzig förderlichen gleichmässigen Lebensordnung, sowie mein bis jetzt, ebenso oft wiederholtes als stets vergebliches, Ringen nach Gewinnung einer förderlich andauernden Ordnung meiner äusseren Verhältnisse. Meine Freundin scheute sich nicht, der Beziehung zwischen Frau Wesendonck und meiner Frau eine Schuld beizumessen, welche sie nun selbst zu sühnen sich berufen fühle. Sie stimmte meiner Niederlassung in Penzing bei, und wünschte nur, dass ich durch keinerlei Unternehmung nach Aussen ihre wohlthätige Wirkung auf mich beeinträchtigen möchte. Von meinem Plan, nothgedrungener Weise schon diesen Winter Russland des Geldes wegen zu bereisen, wollte sie durchaus nichts hören, und übernahm es dagegen, aus ihrem eigenen, allerdings sehr bedeutenden, Vermögen mir die nicht geringe Summe zu verschaffen, welche mich auf längere Zeit unabhängig erhalten sollte. Für einige Zeit müsste ich mir noch zu helfen suchen, so gut und schlimm es eben ginge, da sie wohl nur mit, vielleicht nicht unbedeutender, Mühe das versprochene Geld mir zur Disposition würde stellen können.

Von dem Eindrucke dieser Begegnung trostreich gestimmt, kehrte ich nun am 9. Dezember nach Wien zurück. Bereits hatte ich von Löwenberg den grössten Theil des fürstlichen Geschenkes, theils für Minna, theils zur Bezahlung von entstandenen Schulden, nach Wien zu schicken gehabt. Mit geringer Baarschaft, aber nun gründlich gefasster Hoffnung, konnte ich meine wenigen Freunde jetzt in erträglicher Laune begrüssen. Von diesen stellte sich fortan Peter Cornelius allabendlich bei mir ein, und es begründete sich zwischen uns, zu denen auch Heinrich Porges, sowie Gustav Schönaich sich zu Zeiten gesellten, ein traulicher Gewohnheits-Verkehr ein. Für den Weihnachts-Abend lud ich sie alle zu mir, und bei angezündetem Christbaume bescheerte ich jedem von ihnen eine beziehungsvolle Kleinigkeit. Auch bekam ich jetzt noch ein Mal zu thun, da Tausig für ein, von ihm im grossen Redouten-Saale zu gebendes, Konzert meine Mitwirkung erbat. Neben einigen Bruchstücken aus meinen neuen Opern, führte ich zu meiner besonderen Genugthuung auch, und zwar ganz nach meinem Sinne, die Ouverture zu »Freischütz« auf, davon die Wirkung selbst für das Orchester eine ganz überraschende war. – Für eine offizielle Beachtung meiner Leistungen zeigte sich aber nicht die mindeste Aussicht; ich war und blieb von höherer Stelle unbeachtet. Die Mittheilungen der Frau von Bissing deckten allmählig Schwierigkeiten auf, denen sie bei der Erfüllung ihres Versprechens begegnete: doch blieben sie immer noch hoffnungsvoll, so dass ich mit guter Laune den Sylvester-Abend bei Standhartner's zubringen, und durch ein ebenso humoristisches als weihevolles Gelegenheitsgedicht von Cornelius erfreut werden konnte.

Das neue Jahr 1864 trat jedoch mit bald immer ernsterer Miene an mich heran. Ich erkrankte an einem schmerzlich sich steigernden katarrhalischen Leiden, welches Standhartner's Fürsorge häufig in Anspruch nahm. Noch ernstlicher wurde ich aber durch die Wendung bedroht, welche die Mittheilungen der Frau von Bissing jetzt nahmen. Wie es schien, konnte sie ohne Hilfe ihrer Hamburger Familie, der des Schiffsrheders Sloman, das mir versprochene Geld nicht erheben, und hatte dagegen von hier aus die heftigsten, wie es schien auch mit Verleumdungen gegen mich gewürzten, Abmahnungen zu bekämpfen. Bereits beunruhigten mich diese Umstände der Art, dass ich wünschte der Hülfe dieser Freundin gänzlich entsagen zu dürfen, und ich nahm hierfür meine früheren Pläne auf Russland ernstlich wieder auf. Frl. von Rhaden, an welche ich mich wiederum gewandt hatte, musste mir von jedem Versuche, Petersburg zu besuchen, dringend abrathen, da ich selbst den Weg dahin, der in den polnischen Provinzen entstandenen Kriegsunruhen wegen, nicht frei, so wie auch im Allgemeinen gar keine Beachtung in Petersburg selbst finden würde. Noch wurde mir aber ein Besuch von Kiew, mit einer Aussicht auf einen Gewinn von 5000 Rubel, als durchaus möglich erklärt. Dahin richtete ich nun meine Gedanken, und entwarf mit Cornelius, der mich dorthin begleiten wollte, den Plan, über das schwarze Meer nach Odessa, und von dort aus nach Kiew zu reisen, wofür wir beide uns bereits mit den gehörigen Pelzen zu versehen beschlossen. Einstweilen blieb mir nichts andres übrig, als durch immer neue Wechsel auf kurze Frist zur Bezahlung von allen, ebenfalls auf kurze Frist lautenden Wechseln zu denken. Ich gerieth hierdurch in ein wirthschaftliches System, welches, da es auf offenbaren und unaufhaltsamen Ruin hinausgeht, nur durch die Annahme einer endlich noch rechtzeitig eintretenden gründlichen Hülfe geklärt werden konnte. In diesem Betreff musste ich mich endlich gedrängt fühlen, von meiner Freundin die bestimmte Erklärung zu erbitten, nicht ob sie mir sofort helfen könne, sondern ob sie überhaupt mir helfen wolle, da ich den Verfall meiner Lage nicht mehr aufzuhalten im Stande sei. Sie musste durch mir unbekannte Vorstellungen sich im höchsten Grade gepeinigt fühlen, als sie es über sich gewann mir ungefähr so zu antworten: »Sie wollen endlich auch wissen, ob ich will? Nun denn, in Gottes Namen: nein!« Für dieses mir damals ganz unerklärliche, und einzig durch die Schwäche ihres nicht unabhängigen Charakters verständlich Dünkende, erhielt ich wenige Zeit hierauf, durch ihre Schwester, Frau Dr. Wille, eine sehr überraschende Aufhellung.

Unter diesen Schwankungen war jetzt bereits der Monat Februar zu Ende gegangen, und während ich mit Cornelius unsern russischen Reiseplan ausarbeitete, erhielt ich von Kiew und Odessa die Nachricht, dass für dieses Jahr von jeder künstlerischen Unternehmung dort abzurathen sei. Es stellte sich mir klar heraus, dass unter den eingetretenen Umständen an eine Aufrechthaltung meiner Lage in Wien, so wie meiner Haushaltung in Penzing, nicht mehr zu denken war, da sich mir nicht nur keinerlei Aussicht auf, wenn auch nur vorübergehenden, Gelderwerb zeigte, sondern auch meine Wechselschulden, die sich nach dem genügend bekannten Wucher-Systeme bis zu einer bedenklichen Höhe gesteigert hatten, in der Art drohend mich bedrängten, dass, ohne eine ausserordentliche Hülfe, selbst meine Person davon betroffen wurde. In dieser Lage wendete ich mich mit vollster Offenheit, zunächst jedenfalls nur um Rath, an den kaiserlichen Landgerichtsrath Eduard Liszt, den jungen Oheim meines alten Freundes Franz. Dieser hatte sich mir bereits bei meinem ersten Aufenthalt in Wien als warm ergebener und zu jeder Dienstleistung erbötiger Mann bekannt gemacht. Für die Auslösung meiner Wechsel konnte er natürlich keinen anderen Weg ersehen, als die Dazwischenkunft eines reichen Gönner's, welcher die Gläubiger abfinden würde. Er glaubte eine Zeit lang, eine mir sehr geneigte, zugleich reiche Kaufmanns-Frau, Madame Schöller, würde die Mittel hierzu besitzen und anzuwenden willig sein. Auch Standhartner, für den ich keinen Hehl hatte, vermeinte in diesem Sinne für mich etwas erwirken zu können. Hierdurch ward meine Lage wiederum auf einige Wochen im Schwanken erhalten, bis es sich herausstellte, dass meine Freunde mir höchstens so viel bieten konnten, dass ich eine durchaus nothwendig dünkende Flucht nach der Schweiz ausführen könnte, wo und von wo aus ich, mit bis dahin geschützter Person, für die später zu ermöglichende Einlösung der von mir ausgestellten Wechsel Mittel finden müsste. Dem Gerichtsmanne Eduard Liszt schien dieser Ausweg namentlich auch desshalb erwünscht, weil er dadurch in die Lage gelangen könnte, den an mir ausgeübten unerhörten Wucher bestrafen zu lassen. – Während der bänglichen Zeit der letzten Monate, welche eine undeutliche Hoffnung stets noch durchzogen hatte, war der Verkehr mit meinen wenigen Freunden andauernd lebhaft geblieben. Ganz regelmässig stellte sich jeden Abend noch immer Cornelius ein, zu welchem sich O. Bach, sowie der kleine Graf Laurencin, ein Mal auch Rudolph Liechtenstein, gesellten. Mit Cornelius begann ich allein die Wiederaufnahme der Lektüre der »Ilias«: als ich an den »Schiffskatalog« kam, wollte ich denselben überschlagen; allein Peter bestand darauf, und bot sich selbst zum Vorlesen desselben an: ob wir ihn noch ganz zu Ende lasen, entsinne ich mich nicht mehr. Dafür bestand meine einsame Lektüre in der Geschichte des Grafen Rancé von Chateaubriand, welche mir Tausig in das Haus gebracht hatte, der nun aber selbst spurlos verschwunden war, bis er nach einiger Zeit als Bräutigam einer ungarischen Klavierspielerin wieder auftauchte. Ich befand mich in dieser Zeit stets sehr leidend und von schmerzhaften katarrhalischen Zuständen heftig geplagt. Todesgedanken traten mir so nahe, dass ich endlich zu ihrer Abwehr keine Lust mehr empfand. Ich ging an die Vererbung von Büchern und Manuscripten, von denen Cornelius ein Theil zufiel. Schon vor einiger Zeit hatte ich an Standhartner meinen übrigen, in der Wohnung von Penzing befindlichen, leider jetzt gänzlich problematisch gewordenen Besitzstand, zum vorsorglichen Schutz empfohlen. Da jetzt meine Freunde mir mit grösster Bestimmtheit die Flucht-Bereitschaft anempfahlen, hatte ich mich, da der Weg nach der Schweiz führen sollte, an Otto Wesendonck mit der Bitte um Aufnahme in seinem Hause gewendet. Dieser schlug meine Bitte ganz vollständig ab; worauf ich nicht umhin konnte, ihn durch eine Antwort meinerseits auf sein Unrecht aufmerksam zu machen. Es galt jetzt meine Verreisung, als eine kurze und auf schnelle Wiederkunft berechnete, auszuführen. Standhartner, in der grössten Sorge meinen Fortgang nicht bemerkt werden zu lassen, liess mich in seine Wohnung zum Mittagessen kommen, wohin mein Diener Franz Mrazek mir meinen Reisekoffer zustellte. Von ihm, seiner Frau Anna und dem guten Hunde Pohl, nahm ich sehr beklommenen Abschied. Standhartner's Stiefsohn, Karl Schönaich, dieser unter Schmerzen und Weinen, so wie Cornelius, der dagegen in frivol angelegter Laune war, begleiteten mich nach dem Bahnhof, wo ich am 23. März Nachmittags abfuhr, um zunächst mich in München, wie ich hoffen durfte, unbeachtet, von den schrecklichen Aufregungen der letzten Zeit während zweier Tage zu erholen. Diese brachte ich daselbst im »bayerischen Hofe« zu, von wo aus ich gelegentlich einige Gänge durch die Stadt unternahm. Es war Charfreitag: bei sehr rauhem Wetter, schien die Stimmung dieses Tages die ganze Bevölkerung, welche ich in tiefste Trauer gekleidet von Kirche zu Kirche sich bewegen sah, einzunehmen. Vor wenigen Tagen war der den Bayern so lieb gewordene König Maximilian II. gestorben, und hatte seinen Sohn in dem so jugendlichen, dennoch bereits zum Antritt der Regierung berechtigenden Alter von 18½ Jahren, als Thron-Erben hinterlassen. An einem Schaufenster sah ich ein Porträt des jungen Königs Ludwig II., welches mich mit der besonderen Rührung ergriff, die uns Schönheit und Jugend in vermutheter ungemein schwieriger Lebenslage erweckt. Hier schrieb ich eine humoristische Grabschrift für mich auf, und reiste nun unbehelligt über den Bodensee, abermals in Flucht begriffen, und Asyl-bedürftig, nach Zürich, von wo aus ich mich sofort nach Mariafeld, dem Gute des Dr. Wille, begab.

An die, von meinem früheren Züricher Aufenthalt mir vertraut gewordene, Frau jenes meines, sonst mir ziemlich fern stehend gebliebenen Freundes, hatte ich mich bereits brieflich um Aufnahme für einige Tage gemeldet, um die nöthige Zeit zur Aufsuchung eines mir geeignet dünkenden Unterkommens in einer der Ortschaften des Züricher See's aufzusuchen; was sie mir freundlich gewährt hatte. Den Dr. Wille selbst traf ich jetzt noch nicht an, da er auf einer Vergnügungsreise nach Konstantinopel begriffen war. Es fiel nicht schwer der Freundin meine Lage begreiflich zu machen, zu deren Abhülfe ich sie höchst willig aufgelegt fand. Zunächst räumte sie mir einige Wohnzimmer in dem ehemals von Frau von Bissing bewohnten Nebengebäude ein, aus welchem jedoch das frühere, nicht unbehagliche Mobiliar entfernt war. Ich hatte den Wunsch, mich selbst zu beköstigen, musste aber ihrer Bitte, diese Sorge für sich zu übernehmen, nachgeben. Nur fehlte es an Mobiliar, und hierfür glaubte sie sich an Frau Wesendonck wenden zu dürfen, welche ihr sofort einiges Entbehrliche aus ihrem Hausrathe, sowie ein Pianino zusandte. Auch wünschte sie, um einen üblen Schein abzuwenden, dass ich meinen alten Freunden in Zürich einen Besuch machen möchte; grosse Kränklichkeit, durch die schwer heizbaren Räume vermehrt, hielten mich so lange davon ab, bis Otto und Mathilde Wesendonck uns selbst in Mariafeld aufsuchten. Dieses Paar schien sich in sehr unklarer und gespannter Lage zu befinden, davon die Gründe mir nicht ganz unerkenntlich waren, in meinem Benehmen jedoch keine Beachtung fanden. Schlechte Witterung und tiefster Unmuth verschlimmerten fortwährend meine katarrhalischen Leiden, welche mich auch unfähig dazu machten, in den benachbarten Ortschaften mich nach einer Wohnung umzusehen. In meinem Karlsruher Pelz von Früh bis Abend eingehüllt, verbrachte ich die schauerlichen Tage mit betäubender Lektüre, zu welcher Frau Wille mir einen Band nach dem andren in meine Abgeschiedenheit herübersandte. Ich las »Siebenkäs« von Jean Paul, das »Tagebuch« Friedrich's des Grossen, Tauser, Romane von G. Sand, Walter Scott, endlich auch »Felicitas«, aus der Feder meiner theilnehmenden Wirthin selbst. Von aussen gelangte an mich, ausser einem heftigen Lamento Mathilde Maier's, nur, wunderlich genug mich erfreuend, eine Sendung von 75 Franken Pariser Tantiemen, von Truinet mir zugesandt. Hierüber gerieth ich, in halblauniger, halb galgenhumoristischer Unterredung mit Frau Wille, darauf, was ich wohl zu thun hätte, um mich vollständig aus meiner elenden Lebenslage zu befreien. Wir verfielen unter Andrem auf die Nothwendigkeit, eine Scheidung von meiner Frau herbei zu führen, um auf eine reiche Heirath ausgehen zu können. Da mir alles räthlich und nichts unräthlich erschien, schrieb ich wirklich an meine Schwester Luise Brockhaus, ob sie nicht in einer vernünftigen Unterredung Minna dazu bringen könnte, sich fortan nur an das ausgesetzte Jahrgeld, nicht aber an meine Person mehr zu halten; worauf mir mit grossem Pathos der Rath gegeben ward, doch fürerst noch an die Feststellung meines Rufes zu denken, und durch ein neues Werk mich in unangefochtenen Credit zu setzen, was dann ja wohl mir auch ohne exzentrische Schritte zum Guten verhelfen würde: jedenfalls würde ich gut thun, mich um die frei gewordene Kapellmeisterstelle in Darmstadt zu bewerben. – Aus Wien bekam ich sehr schlimme Nachrichten: um, vor allen Dingen, mein in der dortigen Wohnung zurückgelassenes Mobiliar zu beschützen, hatte Standhartner einen Verkauf auf Wiederkauf desselben mit einem Wiener Negozianten abgeschlossen, worüber ich meine höchste Entrüstung zurückäusserte, da ich namentlich hierdurch meinen Hauswirth, welchem ich in den nächsten Tagen einen Mieth-Zins schuldig wurde, beeinträchtigt sah. Es gelang mir durch Frau Dr. Wille, das nöthige Geld zur Bezahlung dieses Zinses zu meiner Verfügung zu erhalten, welches ich jetzt sofort dem Baron Rackowitz zusandte. Leider erfuhr ich jedoch, dass Standhartner mit Eduard Liszt bereits reine Wirthschaft gemacht, aus dem Ertrag der Möbel die Hausmiethe bezahlt, und hierdurch mir jede Rückkehr nach Wien, welche sie beide für durchaus verderblich für mich hielten, abgeschnitten hatten. Da mir zugleich aber Cornelius meldete, dass Tausig, der bei einem der Wechsel mit unterzeichnet hatte, durch mich von der von ihm gewünschten Rückkehr nach Wien sich abgehalten sah (er war damals in Ungarn), ward ich davon so empfindlich betroffen, dass ich auf jede Gefahr hin sofort nach Wien zurück zu reisen mich entschloss. Ich kündigte diess meinen dortigen Freunden an, entschied mich jedoch dafür, zuvor erst zu versuchen, ob ich mich mit so viel Geld versehen könnte, dass ich meinen Gläubigern einen Vergleich anzubieten im Stande wäre. Hierfür hatte ich mich auf das Dringendste, und nicht ohne heftige Vorwürfe über sein Benehmen gegen mich, an Schott nach Mainz gewendet. Den Ausgang dieser Bemühungen abzuwarten und in etwas grösserer Nähe zu betreiben, beschloss ich jetzt, mich von Mariafeld nach Stuttgart zu wenden. Zur Ausführung dieser Diversion bestimmten mich noch andere, und zwar folgende Beweggründe.

Dr. Wille war zurückgekehrt, und sogleich konnte ich ihm anmerken, dass ihm mein Aufenthalt in Mariafeld beängstigend sei, da er vermuthlich befürchten mochte, es könnte auch auf seine Hülfe für mich gezählt werden. In einiger Beschämung, zu welchem ihn mein hierauf folgendes Verhalten veranlasste, bekannte er mir in einer aufgeregten Stunde, dass er gegen mich in einem Gefühle befangen sei, welches man einem Manne, der sich unter seines Gleichen denn doch auch als etwas vorkommen dürfte, sehr wohl verzeihen würde, wenn er in nahe Berührung mit einem Andren käme, dem er als sich durchaus fremdartig sich untergeordnet fühle: »Man wolle in seinem Hause doch auch etwas sein, gerade hier aber nicht einem Andern blos zur Unterlage dienen.« Frau Wille hatte, unter Voraussicht der Stimmung ihres Mannes, mit der Familie Wesendonck ein Abkommen eingeleitet, nach welchem diese mir während meines Aufenthaltes in Mariafeld eine monatliche Sustentation von 100 Franken zukommen lassen sollte; als ich hiervon Kenntniss erhielt, hatte ich nichts anderes zu thun, als an Frau Wesendonck meine sofortige Abreise aus der Schweiz zu melden, und sie in freundlichster Weise zu ersuchen, sich aller Bekümmerniss um mich als enthoben zu betrachten, da ich die Ordnung meiner Angelegenheiten ganz meinem Wunsche gemäss eingeleitet hätte. Ich erfuhr späterhin, dass sie diesen Brief, den sie für kompromittirend gehalten haben mochte, uneröffnet an Frau Wille zurückstellte.

Für jetzt reiste ich am 30. April nach Stuttgart ab; dort nämlich wusste ich Karl Eckert seit einiger Zeit als Kapellmeister des königlichen Hoftheater's niedergelassen, und ich hatte Grund, diesen sehr gutartigen Menschen, nach seinem vortrefflichen Benehmen als Director der Wiener Oper gegen mich, sowie auch im Betracht seines enthusiastischen Besuches bei meinem vorjährigen Konzert in Karlsruhe, als mit grosser Unbefangenheit mir ergeben, anzusehen. Nichts andres erwartete ich mir auch von ihm, als dass er beim Aufsuchen eines stillen Unterkommens, etwa in Cannstadt bei Stuttgart, für die Dauer des bevorstehenden Sommer's, mir behülflich sein möchte. Hier wollte ich nämlich in möglichster Schnelligkeit zuvörderst den ersten Akt der »Meistersinger« vollenden, um Schott endlich einen Theil des Manuscriptes übersenden zu können, auf dessen baldigen Empfang ich ihn verwiesen hatte, als ich ihn um so lange mir verweigerte Vorschüsse anging. Sodann wollte ich in grösster Zurückgezogenheit und, wie ich wünschte, Verborgenheit, die Mittel zu sammeln suchen, mit welchen ich meinen Wiener Verpflichtungen mich zu entledigen vermöchte. Von Eckert ward ich äusserst freundschaftlich aufgenommen. Seine Frau, eine der grössten Schönheiten Wien's, welche aus phantastischem Verlangen, mit einem Künstler vereint zu sein, eine sehr vorteilhafte äussere Stellung aufgegeben hatte, war hinreichend vermögend geblieben, um dem »Kapellmeister« ein gastliches und behagliches Haus zu halten, wovon ich jetzt einen freundlichen Eindruck gewinnen durfte. Eckert hielt es durchaus für seine Pflicht, mir den Intendanten des Hoftheater's, Baron von Gall, zuzuführen: dieser äusserte sich verständig und wohlwollend im Betreff meiner schwierigen Lage in Deutschland, wo mir wohl so lange alles verschlossen bleiben würde, als die überall zerstreuten sächsischen Gesandten und Agenten mit Verdächtigungen aller Art mir zu schaden suchen dürften. Er vermeinte, nach genauerer Bekanntschaft mit mir, sich veranlasst zu sehen, durch den würtembergischen Hof für mich einzutreten. Als ich am Abend des 3. Mai im Eckert'schen Hause mich über alle solche Dinge unterhielt, wurde hier, ziemlich spät, die Karte eines Herrn an mich abgegeben, welcher sich »Secretär des König's von Bayern« nannte. Sehr unangenehm davon überrascht, dass mein Aufenthalt in Stuttgart schon Durchreisenden bekannt wäre, liess ich hinaussagen, ich sei nicht anwesend, worauf ich mich alsbald in meinen Gasthof zurückzog, um hier wiederum von dem Wirthe desselben davon benachrichtigt zu werden, dass ein Herr aus München mich dringend zu sprechen wünsche, welchen ich nun für den anderen Morgen um zehn Uhr beschied. Stets auf Uebles mich vorbereitend, verbrachte ich eine unruhige Nacht, nach welcher ich andren Tags Herrn Pfistermeister, Kabinets-Secretär S. M. des König's von Bayern, in meinem Zimmer empfing. Dieser äusserte mir zunächst seine grosse Freude darüber, mich nach allem vergeblichen Aufsuchen in Wien, endlich sogar in Mariafeld am Züricher See, durch glückliche Nachweisungen geleitet, hier angetroffen zu haben. Er überbrachte mir ein Billet des jungen König's von Bayern, zugleich mit einem Portrait sowie einem Ring als Geschenk desselben. Mit wenigen, aber bis in das Herz meines Lebens dringenden Zeilen, bekannte mir der junge Monarch seine grosse Zuneigung für meine Kunst und seinen festen Willen, mich für immer als Freund an seiner Seite jeder Unbill des Schicksal's zu entziehen. Zugleich meldete mir Herr Pfistermeister, dass er beauftragt sei, mich sofort dem Könige nach München zuzuführen, und erbat sich von mir die Erlaubniss seinem Herrn telegraphisch meine Ankunft für morgen melden zu dürfen. Ich war für Mittag zur Mahlzeit bei Eckert's eingeladen, Herr Pfistermeister musste ablehnen mich dorthin zu begleiten. Meine Freunde, zu denen sich auch jener junge Weisheimer aus Osthofen gesellt hatte, geriethen durch die von mir ihnen überbrachte Nachricht in das, sehr begreiflich, freudevollste Erstaunen. Ueber Tisch ward an Eckert telegraphisch der soeben in Paris erfolgte Tod Meyerbeer's gemeldet: Weisheimer fuhr mit bäurischem Lachen auf über diesen wunderbaren Zufall, dass der mir so schädlich gewordene Opernmeister gerade diesen Tag nicht mehr hatte erleben sollen. Auch Herr von Gall stellte sich ein, um in sehr gewogenem Erstaunen mir zu bekennen, dass ich allerdings jetzt seiner Vermittelung nicht mehr bedürfe. Er hatte den »Lohengrin« bereits bestellt und zahlte mir jetzt sofort das dafür stipulirte Honorar aus. Des Abends um fünf Uhr traf ich nun auf dem Bahnhofe mit Herrn Pfistermeister zusammen, um mit ihm gemeinschaftlich nach München zu fahren, wo mein Besuch dem Könige bereits für den folgenden Morgen angemeldet war.

Von Wien her hatte ich am gleichen Tage die dringendsten Abmahnungen von einer Rückkehr dorthin erhalten. Schrecken dieser Art sollten sich seitdem in meinem Leben nie wiederholen. Der gefahrvolle Weg, auf den mich heute mein Schicksal zu höchsten Zielen berufen hatte, sollte nie frei von Sorgen und Nöthen von bis dahin mir noch ganz ungekannter Art sein; nie jedoch hat unter dem Schutze meines erhabenen Freundes die Last des gemeinsten Lebensdruckes mich wieder berühren sollen.

 


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