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Schweigend zwischen Traum und Hoffen
Näherst du dich nie dem Ziel;
Von des Glückes Wankelmut betroffen,
Spielst du zaghaft auch das beste Spiel.
»Die Kapelle dort oben«, – sagte Rinaldo, – »scheint ein altes Werk zu sein.«
»O ja!« – antwortete der Maultiertreiber. – »Es wird sich aber wohl keine Seele die Mühe nehmen, sie zu besuchen, denn sie ist alt und baufällig und ohne Bild und Altar. Raben und Eulen werden sie vermutlich bewohnen, wenn sie zuweilen nicht gar eine Herberge für den Signor Rinaldini und seine Nachtvögel abgibt.«
Rinaldo merkte, daß von seinen Gefährten keine Nachricht, wie er sie zu haben wünschte, einzuziehen sein würde, und schwieg. Sie kamen endlich nach Saldona. Rinaldo bezahlte Lodovicos Ritt reichlich und ließ sich zu einem Juden bringen, wo er seinen Gesellen neu kleidete. Dann wurden Salben, Wasser und Pflaster in der Apotheke gekauft, Proviant wurde nicht vergessen und eine Chaise gemietet. In dieser rollten sie nach gehaltener Siesta auf der Heerstraße weiter fort.
Unterwegs untersuchte Rinaldo seine Büchse und fand sie ungeladen. Dies erklärte ihm ganz natürlich das wunderbare Versagen derselben gegen den Schwarzen.
»Man hat mir« – sprach er bei sich selbst, – »im Schlosse den Schuß aus meinem Rohre gezogen, um mich ungestraft mißhandeln zu können. – Wie? wenn Violanta, einverstanden mit der schwarzen Gesellschaft, zu irgendeinem Endzwecke lebte, der vielleicht Bezug auf die Gräfin hätte? Sollte es nicht daher kommen, daß Lodovico so mißhandelt wurde, weil er den Aufenthalt der Gräfin zu erkundschaften suchte? – Die Bilder im Schlosse, auf welchen sich die schwarze Figur befand; – Das Skelett in dem Schranke und jene Skelette, die Lodovico bei den schwarzen Richtern sah! – Hm! das alles könnte zu mancherlei Vermutungen führen. Wie? Wenn Dianora von einer gegen sie und ihr Vermögen verschworenen Bande selbst mißhandelt würde? – – O! daß ich jetzt nur an der Spitze von zwanzig der Meinigen stünde! ich wollte alle diese Rätsel gewiß lösen.«
Vor Merona stiegen Rinaldo und Lodovico aus der Chaise, schickten den Fuhrmann zurück und schlugen einen Seitenweg ein. – Hier kamen ihnen ein paar Männer mit einigen Maultieren entgegen, in denen Lodovico bald alte Bekannte erkannte. Es waren Luzo und Jordano, zwei handfeste Gesellen von Luiginos Bande.
Die gegenseitige Freude, sich zu finden, war sehr groß, und es kam bald zur Unterhaltung, die Rinaldo eröffnete.
Rinaldo Wo ist Luigino?
Jordano Soviel wir wissen, hat er sein Corps geteilt, halb steht es unter seinen und halb unter Amalatos Befehlen. Bei diesem waren wir. Vor sechs Tagen wurde unser Corps alarmiert, und wir, unserer Zwölf, wurden von demselben abgeschnitten. Wir haben uns noch nicht wieder zum Ganzen finden können und treiben indes in der Nähe unser Wesen, so gut es gehen will, für uns.
Rinaldo Habt ihr sichere Plätze?
Luzo O ja! – Wir stecken in Felsen und Forsten bis über die Ohren.
Rinaldo Ich gehe mit euch.
Jordano Wetter! das gibt uns Ehre und Glück.
Die Maultiere wurden bestiegen und Rinaldo kam bei dem Häuflein an, welches sich nun dreifach so stark fühlte, als es wirklich war, da der gefürchtete Räuberhauptmann an seiner Spitze stand.
Rinaldo machte gleich Anordnungen, sendete Einige aus, teils zu werben, teils alte Kameraden herbeizuziehen und machte allen kund, daß er gesonnen sei, einen Hauptstreich auszuführen. Das machte die Burschen stolz und froh, und das Viva Rinaldini tönte in allen Klüften wieder.
Den vierten Tag brachte man schon zwei alte Gesellen aus Luiginos Haufen, die versprengt umherstrichen und sehr froh waren, wieder Gesellschaft zu finden. Auch wurden drei neue Mitglieder hinter den Zäunen aufgerafft, aufgenommen und beeidigt, und so sah Rinaldo, mit sich selbst, seinen Haufen schon neunzehn Köpfe stark. – Mit diesen schwenkte er sich rechts und brach über Saldona in die Bergkette ein, auf deren linken Seite die verrufene Kapelle stand.
Rinaldo schlug in einem unwirtbaren Tale, zwischen Felsen, sein Lager auf und erhielt Proben von der Geschicklichkeit seiner Leute; sie schleppten reichlich von allen Seiten herbei. Es fehlte weder am Gelde noch an Proviant. – Man brachte auch noch ein paar Landstreicher ein, die sich mit großem Vergnügen zu der neu etablierten Gesellschaft begaben.
Nachdem alle gehörig mit Munition versehen waren und Lodovico wieder auf den Beinen sein konnte, brach Rinaldo mit seinem Schwarme auf, besetzte den Paß und kam in der Mitternachtsstunde bei der berüchtigten Kapelle an. Sie war verschlossen. Die Tür wurde eingeschlagen. Das Innere der Kapelle wurde mit Fackeln durchsucht. Man fand Gewölbe und Keller, aber alle waren öde und leer.
Jetzt wurde wahr, was der Maultiertreiber glaubte: Rinaldo nahm Quartier in der Kapelle.
Den folgenden Abend zog er ins Tal hinab, und als die Nacht einbrach, marschierte er auf das Schloß der Gräfin Martagno los. Da er alle Ausgänge wohlbesetzt hatte, wollte er sich mit Lodovico und Jordano in das Schloß selbst begeben, als ihm gemeldet wurde, man vernehme von weitem das Pferdegetrappel von einem nicht unbedeutenden Kavallerie-Corps. – Er zog seine Leute zusammen und schwenkte sich links in ein Buschholz, welches er kaum erreicht hatte, als die Reiterei auf der Heerstraße näher herbeikam. Seine Gesellen waren schußfertig, die Hunde lagen schweigend auf der Lauer. Fernher blinkten ihnen brennende Fackeln entgegen.
»Sonderbar!« – murmelte Lodovico, – »ein Kavallerie-Detaschement reitet doch sonst nicht mit Fackeln einher.«
Der Zug kam näher. Es waren zwölf Reiter, die einen mit Maultieren bespannten Wagen umgaben. Einige trugen Fackeln, und alle waren schwarz, genauso vermummt wie jener Schwarze, Lodovicos Schrecken und Rinaldos Gegner.
Jetzt waren sie dem Buschholze nah, welches Rinaldo verließ und dem Zuge mit gespanntem Rohre in den Weg trat. Hinter ihm standen Lodovico, Luzo, Jordano und noch zwei andere ihrer Gesellen schußfertig. Der Überrest des Corps nahm den Zug im halben Zirkel, rechts in die Flanke.
»Haltet an!« – donnerte ihnen Rinaldo entgegen. – »Hier steht ein Mann, der euch näher kennenlernen will.«
»Wer ist der Mann?« – fragte der Anführer. – »Wer ist er, der uns Befehle geben kann? Uns Gefürchteten? Uns schreckbar Gewaltigen?«
»Nennt euch, wie ihr wollt«, – sagte Rinaldo. – »Ich habe euch einen Namen entgegenzusetzen, der Staaten erschüttert, und die Mündungen meiner Kugelbüchsen liegen euch Gewaltigen und Gefürchteten entgegen. Ich bin Rinaldini.«
»Dieser«, – antwortete jener, – »ist der Mann nicht, der uns schrecken kann, ist nicht der Gewaltige, der mit Erfolg uns drohen darf, denn er selbst ist in unserer Gewalt.«
»Das lügst du!« – schrie Rinaldo erbittert. – »Rinaldini ist in keines Menschen Gewalt.«
»Törichter Brausekopf!« – sagte jener, – »Dein Drohen und Pochen könnte dir bald gelegt werden, wenn man nicht Mitleid mit dir hätte! aber zu seiner Zeit sollst du schon dafür büßen. Hart fallen die Geißelstreiche der Gewaltigen auf. Frage nur deshalb Lodovico.«
»Ich hoffe«, – schrie Lodovico, – »Hieb mit Hieb vergelten zu können.«
Der schwarze Anführer fuhr weiter fort: »Jetzt, Rinaldini! frage ich dich: warum trittst du uns in den Weg? Was willst du?«
»Genugtuung will ich haben«, – antwortete Rinaldo, – »für unbefugte Mißhandlungen, die ihr an Lodovico und an mir selbst verübt habt. Ich erkenne eure vorgebliche Macht nicht an. Auch will ich wissen, welche Heimlichkeit ihr in dem Wagen mit euch umherführt.«
»Auf alles das«, – antwortete der Schwarze, – »habe ich dir kein Wort zu antworten. Wir geben keinem Menschen von unsern Handlungen Rechenschaft. Gib dein Vorhaben auf und stelle dich zur Buße ein, sonst wird ein schweres Gericht über dich ergehen.«
Ohne eine Silbe hierauf zu antworten, gab Rinaldo das Signal, und seine Gesellen rückten dem Zuge näher.
»Noch ein Wort von mir«, – sagte er, – »und ihr liegt zu Boden gestreckt. Öffnet freiwillig die Geheimnisse eures Wagens und ergebt euch, oder euer Blut bezahlt eure Hartnäckigkeit.«
»Du kannst tun, was dir beliebt. Aber aufmerksam auf deine eigene Gefahr will ich dich doch machen. Du bist umzingelt. Auf allen Anhöhen blinken Gewehre zu deinem Verderben. Ergib dich uns auf Gnade, sonst ist dein Leben verloren.«
»Hauptmann!« – lispelte Jordano ihm zu, – »die Anhöhen sind wirklich mit Menschen besetzt.«
Lodovico sagte ihm in ihrer Räubersprache:
»Der Schein von Gewehren blinkt durch die Nacht.«
»Die Würfel liegen!« – antwortete Rinaldo. – »Gewinne, wer da will. Der Wurf ist gefallen. Man bemächtigt sich unserer nicht so leicht, und gewiß nicht ohne Blut. Angesetzt, sobald ich das Zeichen gebe. Wir schlagen uns durch.«
Hierauf wendete er sich zu seinem Gegner und fragte: »Zum letztenmal: wollt ihr euch gutwillig ergeben?«
»Zum letztenmal, nein!« – war die Antwort.
Rinaldo löste seine Pistole gegen den schwarzen Anführer, zwanzig Schüsse seiner Leute fielen auf einmal, drei der Schwarzen stürzten von den Pferden. Die andern zogen ihre Pistolen, schossen ein paar von Rinaldos Gesellen nieder, drückten ihren Pferden die Sporen in die Seiten und sprengten feldein, rechts davon.
Rinaldo näherte sich dem Wagen, riß den Schlag auf, glaubte Dianoren in seine Arme stürzen zu sehen und fand statt Menschen in dem Wagen – einen Sarg.
Jordano, Lodovico und Luzo bemächtigten sich der Pferde der Gefallenen. Jetzt hörten alle von ferne Trompetenstöße, und bald darauf ertönte die Sturmglocke im nächsten Dorfe.
»Hurtig!« – schrie Rinaldo, – »hurtig mit dem Wagen nach dem Gebirge rechts zu!«
Er warf sich auf ein Pferd, das ihm Lodovico zuführte, und jagte dem Bergpasse zu. Ihm folgten Jordano und Luzo.
Lodovico und noch einige seiner Gesellen sprangen auf und in den Wagen. Die andern schlossen sich dicht an, und der ganze Zug rückte, so schnell wie möglich, dem Hauptmann nach.
Kaum hatte Rinaldo den engen Paß des Gebirges erreicht, als er und seine Gesellen von den Pferden stiegen und Posto faßten, entschlossen, den Eingang zu ihrer Retirade auf das äußerste zu verteidigen. Aber es erschienen keine Gegner. Sie wurden nicht angegriffen.
Bald darauf kam der Wagen an, und, nach und nach, laufend die andern Gesellen. Sie zogen sich tiefer in die Gebirge und erreichten ein kleines Tal, als eben der Morgen anbrach. Hier wurde haltgemacht. Maultiere und Pferde wurden der Weide des Tals überlassen und Rinaldo musterte seine Leute. Außer den beiden, bei der Gegenwehr der Schwarzen gefallenen, fehlte kein Mann. Hierauf ließ Rinaldo den Sarg aus dem Wagen heben. Er war außerordentlich schwer und fest vernagelt. Man zerschlug den Deckel und fand wohleingepackt eine Menge goldene und silberne Gefäße aller Art. Sie packten aus: Leuchter, Schüsseln, Teller, Kannen, Becher und Schmuck; auch lagen in zwei Kästchen einige Ringe, Uhren und sechs Rollen, jede mit 1000 Dukaten gefüllt.
»Ah! siehe da!« – sagte Rinaldo, – »Nun kennen wir doch wohl die schwarzen Herren? Sie treiben unter einem gar sonderbaren Scheine unser Handwerk selbst. Daher ihre Erbitterung. Brotneid ist es, der sie gegen uns aufbringt? – Gut, daß sie gesammelt haben! Wir wollen uns, wie frohe Erben, in den Nachlaß alter Wucherer teilen. Seht, sie haben zusammengescharrt, um uns frohe Tage zu machen!«
Hierauf schritt er ohne Aufenthalt zur Teilung. Er selbst behielt nur ein Pferd und zwei Rollen mit Dukaten ausschließlich für sich.
Da es ihm sehr wahrscheinlich war, daß er aufgesucht werden würde, teilte er seine Rotte und schrieb seinen Gesellen rechts und links Wege vor, welche sie einschlagen sollten, um sich nach und nach dem Platze zu nähern, wo, wie er meinte, Luigino stand, wohin er kommen wollte.
Als nun alles angeordnet und verabredet war, setzte er sich zu Pferde. Eben das taten Lodovico und Jordano als seine Begleiter. Alle drei schlugen die Heerstraße nach Nisetto zu ein.
Sie hatten kaum das Tal im Rücken, als ihnen ein Bewaffneter begegnete, der ihnen ohne Anstand in den Weg trat und, ohne ein Wort zu sprechen, Rinaldo einen Brief überreichte. Rinaldo sah ihn mißtrauisch an und gab seinen Begleitern einen Wink, den diese verstanden, von den Pferden sprangen und den Kerl in die Mitte nahmen. Dieser blieb, ohne sich zu regen und ohne anscheinliche Furcht, auf dem Platze, wo er stand. Rinaldo öffnete den Brief und las:
»Tapferer Rinaldini!
Deine Standhaftigkeit und dein Mut flößten uns Bewunderung ein. Du hast uns überwunden und aus Feinden zu deinen Freunden gemacht. Noch mehr, wir bieten dir hiermit feierlich die Hand zu einer Vereinigung, die du nicht ausschlagen wirst, da sie dir Männer bietet, die furchtbar genug sind, sich allenthalben Ehrfurcht zu verschaffen. Des Joches einer tyrannischen Regierung müde, sind wir entschlossen, selbst zu herrschen.Lionardo Monte Bello. 1. T. S. 220. Dies wird dir genug sein. Du, der du verdientest, an der Spitze eines Kriegsheeres zu stehen, wirst den Platz einnehmen, der dir bestimmt ist. Wir fragen dich: Wo willst du dich finden lassen, damit wir dir mündlich mehr sagen können? Dem Überbringer dieses Briefes kannst du ohne Bedenken deine Antwort anvertrauen. Wir erwarten sie so, wie wir sie wünschen.
Deine Freunde, die schwarzen
Richter im Verborgenen.«
Rinaldo riß ein Blatt Papier aus seiner Schreibtafel, nahm Bleistift und schrieb:
»Rinaldini mag euch nicht besser kennenlernen, als er euch schon kennt. Er ist kein Rebell gegen den König und verachtet eure Anerbietungen. Er weiß euch zu verfolgen und mag sich nie von euch Freund nennen lassen.«
Er faltete das Billet und übergab es stillschweigend dem Boten, der es ebenso annahm und, ohne ein Wort zu sprechen, davonging.
Als er fort war, teilte Rinaldo seinen Begleitern den Inhalt des Briefes mit, die sich höchlich darob verwunderten.
Sie waren noch über diese Sache im Gespräch begriffen, als sie eine Kutsche kommen sahen, in der, als sie näherkam, Rinaldo zu seinem großen Erstaunen Olimpien gewahr wurde, die an der Seite eines Unbekannten saß, der, wie sein starkes und wohlgekleidetes Gefolge vermuten ließ, ein Mann von Ansehen und Stande war. – Sie entfärbte sich, als sie Rinaldo erblickte, sichtbar, gab aber kein Zeichen einer Bekanntschaft von sich und nickte, als sie gegrüßt wurde, sehr vornehm, ganz ohne Bezug, mit dem Kopfe. – Rinaldo hielt einen Diener an, der einige Schritte hinter dem Wagen herritt, und fragte: »Wer ist der Herr in dem Wagen?«
»Der Statthalter von Nisetto«, war die Antwort.
Lodovico sah Rinaldo an und sagte ganz lakonisch:
»Nicht wahr! wir wollen diese Dame nicht kennen?«
»Natürlich!« – lachte Rinaldo heraus, – »sonst hätten wir uns ja anders benommen.«
»Jetzt wird sie der Herr Statthalter kennenlernen sollen« – fuhr Lodovico fort. – »Das muß ich sagen, die Signora kommt doch unter mancherlei Hände. Wenn sie nur nicht auch etwa einmal die Schwarzen in die Klauen bekommen und ihr, weil sie uns kennt, eine Buße auflegen, wie die war, die mir aufgelegt wurde. Mir haben sie den Kalender auf den Leib geprägt, das kann ich wohl sagen.«
Jordano bemerkte, es erhebe sich vor ihnen eine Staubwolke, die von Reiterei herzukommen scheine. So war es auch. Die Staubwolke kam näher, und die Reiter kamen zum Vorschein. – Rinaldo ermahnte seine Begleiter, ihre Waffen in Bereitschaft zu halten, und ritt gerade auf die Reiter zu.
Ein Dragoner-Kommando kam ihnen entgegen. Der Offizier dankte sehr höflich, als er gegrüßt wurde, und fragte ebenso:
»Darf ich Euern Namen wissen?«
Ohne Anstand zu nehmen, antwortete Rinaldo:
»Ich bin ein Reisender. Baron Tegnano ist mein Name. Diese sind meine Diener.«
»Ihr habt doch Pässe?« – fragte der Offizier weiter.
»O ja!« – antwortete Rinaldo ganz unbefangen. – »Auch habe ich Empfehlungsbriefe von dem Statthalter zu Nisetto, dessen Anverwandter zu sein ich die Ehre habe, bei mir.«
»Das ist recht gut!« – fuhr der Offizier fort, – »denn Ihr werdet allenthalben angehalten werden, wo Ihr Militär antrefft, was sehr häufig der Fall sein wird.«
Rinaldo Wie kommt denn das? Besorgt man etwas von den Barbaresken?
Offizier Dazu ist man hier zu weit von der Küste entfernt. – Aber es streift viel loses Gesindel umher, und Rinaldini mit seiner Bande haust mitten unter uns.
Rinaldo Das habe ich auch gehört, habe es aber kaum glauben können.
Offizier Es ist Wahrheit. – Auch existiert noch eine andere Gaunertruppe, von der man nicht einmal recht weiß, ob sie mit zu Rinaldinis Bande gehört oder nicht. Ihre Mitglieder tragen schwarze Mönchskutten und haben sich sehr furchtbar gemacht. Es ist mir recht lieb, Euch und Eure Leute so gut bewaffnet zu sehen, ich würde mich sonst schwächen und Euch Bedeckung mitgeben müssen: denn selbst ein Militärkommando wagt, wenn es auf die Banditen trifft, die ganz verzweifelt fechten. – Ihr geht doch nach Molano zu?
Rinaldo Gerade nach Molano.
Offizier Ich wünsche Euch glückliche Reise!
Sie schieden und ritten davon.
»Das hieß wohlfeil weggekommen«, – sagte Lodovico. – »Mir war immer bange, er möchte die Pässe und Empfehlungsschreiben sehen wollen.«
Rinaldo Dann hätte ich meine Brieftasche herausgezogen, hätte darin geblättert, gesucht und mich, da ich nichts finden konnte, bestürzt gestellt. »Meine Papiere sind liegengeblieben«, wär' meine Antwort gewesen. Wir wären auf mein Erbieten nach Nisetto zum Statthalter geritten, und da Olimpia bei ihm war, meinst du denn, daß diese uns würde haben stecken lassen?
Lodovico Bravo! Darauf wär' ich, straf mich Gott! nicht so schnell gefallen wie Ihr.
Sie trabten nun stark zu, aber nicht nach Molano, wie Rinaldo dem Offizier gesagt hatte, sondern sie hielten sich links an der Gebirgskette hin, wo sie gegen Mittag ein kleines Dörfchen erreichten, bei welchem ein benachbartes Serviten-Kloster eine Herberge für Reisende hielt. Hier hielten sie an und kehrten ein.
Indes ein kleines Mittagsmahl zubereitet wurde, packte Rinaldo das Anforderungsschreiben, welches er von der schwarzen Rotte erhalten hatte, an den Statthalter zu Nisetto ein, überschickte es ihm durch einen Boten und legte folgendes Schreiben dazu:
»Mein Herr Statthalter!
Beikommendes Schreiben einer Schwarzen Brüderschaft schickt Euch zur Einsicht der Mann zu, der eingeladen wurde, einem Bunde beizutreten, der gegen den Herrn dieser Insel gerichtet ist. Er fühlt keinen Beruf dazu, mit diesen Menschen gemeinschaftliche Sache zu machen, und macht Euch aufmerksam auf eine Pest, die im Finstern schleicht. Ihr werdet Eure Maßregeln zu nehmen wissen. Der gebannte, geächtete und verachtete Räuberhauptmann ist kein Rebell; auch hat er seinem Handwerk jetzt gänzlich entsagt und wird bald nicht mehr auf dieser Insel sein. Er wünscht Euch wohl und glücklich zu leben und unterzeichnet hier seinen Namen:
Rinaldo Rinaldini.«
Nach der Besorgung dieses Geschäftes überließ er sich dem Anschauen der romantischen Gegend, in welcher er sich befand. – Das Wirtshaus lag am Fuße einer hohen Felsenmasse der Bergkette, auf deren einer Spitze ein niedliches Schloß stand, umgeben mit hohen Mauern, geschmückt mit mehreren Türmen. Rinaldo erinnerte sich des Bergschlosses der Gräfin Martagno, und die Rückerinnerung rief in seine Seele Bilder verflossener Tage zurück.
Er wandelte am Fuße der Felsen, in stille Betrachtungen verloren, auf und ab, und näherte sich gedankenvoll einem Gebüsch, aus welchem plötzlich einige handfeste Männer hervorsprangen, ihn anpackten, niederwarfen, banden und ins Gebüsch schleppten. Hier gaben sie ein Zeichen. Eine mit Rasen überlegte Falltür ging auf, und Rinaldo wurde einige Stufen hinab durch einen finstern Gang getragen. Eine Treppe und zweite Falltür brachte ihn zurück über die Erde, und er befand sich, als er wieder Tageslicht sah, in einem ziemlich geräumlichen Schloßhofe. Hier band man ihn los.
Auf seine Frage: wo er sei, erhielt er zur Antwort: er werde es mit der Zeit erfahren.
Auf der Treppe kam ihm eine Gattung von Castellan entgegen, der ihm drei Schlüssel überreichte und dabei sagte:
»Dies sind die drei Schlüssel zu den drei Zimmern, welche Euch in diesem Schlosse zur Wohnung bestimmt sind.«
Rinaldo Also doch Zimmer und keine Kerker?
Castellan Bewahre Gott uns alle vor den Kerkern dieses Schlosses! sie sind fürchterlich. – Aber wie sollten auch ein Kerker und der Herr Baron zusammenkommen?
Rinaldo Du weißt also, wer ich bin?
Castellan Von Euch weiß ich weiter nichts, als daß man mir befohlen hat, Euch hier zu bedienen, und daß Ihr ein Herr Baron seid, dessen Namen ich nicht weiß.
Rinaldo Auf wessen Veranstaltung bin ich hier?
Castellan Meine Instruktion lautet: Du räumst dem Herrn Baron die bezeichneten drei Zimmer ein, bedienst ihn und leistest ihm Gesellschaft, wenn er es haben will; wo nicht, so bleibst du für dich. Deine Frau wäscht und kocht für den Herrn Baron, und übrigens erwartest du weitere Befehle.
Rinaldo Und den Namen des Besitzers dieses Schlosses erfahre ich nicht?
Castellan Von mir nicht.
Rinaldo Ich bin also doch wohl eine Art von Staatsgefangener?
Castellan Das kann sein. Ich weiß es nicht, warum und weswegen Ihr hierher gebracht worden seid.
Rinaldo schwieg und ließ sich seine Zimmer anweisen, die sehr artig möbliert waren. Er fand Schreibzeug, Papier, Bücher, ja sogar eine Guitarre. Ein Beweis, daß die, die ihn hierher hatten bringen lassen, ihn und seine Bedürfnisse kannten.
Die Aussicht aus seinen Zimmern ins Freie war romantisch schön. Er trat an ein Fenster, sie zu genießen, und ein Fernrohr gewährte ihm dieses Entzücken doppelt.
Er sah hinab, sah das Wirtshaus, wo er noch kurz zuvor eingekehrt war, und erblickte seine Gefährten, Jordano und Lodovico, die sehr verlegen allenthalben umherblickten und sich vermutlich das Verschwinden ihres Herrn nicht erklären konnten. Er rief und winkte. Seine Stimme verhallte in den Felsen, sein Winken wurde nicht bemerkt. Er beschrieb ein Papier und vertraute es der Luft an. Es irrte kreisend umher und blieb nahe vor dem Schlosse in einem Dornstrauche hängen.
Noch sann er nach, wie er sich seinen Gesellen bemerkbar machen wollte, als er einige Reiter auf das Wirtshaus zusprengen sah. – Lodovico und Jordano wurden von den Reitern umzingelt, es fielen Schüsse, Säbel blitzten, und bald waren die Reiter und Rinaldos Gefährten verschwunden. Links wölkte sich der Staub in die Luft. Die Gegend wurde menschenleer und öde.
Die scheidende Sonne traf Rinaldo noch nachdenkend am Fenster an, und dort sahen ihn der Mond und die nächtlichen Sterne.
Drei Tage waren vergangen, als den vierten Tag, abends, da Rinaldo eben in tiefen Gedanken auf seinem Ruhebette saß, die Tür seines Zimmers aufging und eine verschleierte weibliche Gestalt ganz unvermutet erschien. Sie blieb bei der Tür stehen. Rinaldo, der sie einige Augenblicke schweigend betrachtet hatte, fragte:
»Wer ist da?«
Die Verschleierte kam näher, trat dicht an Rinaldos Lager und streckte schweigend ihre Hand aus.
Er Bekannt oder unbekannt?
Sie Rate, wer ich bin?
Er Du bist Olimpia. – Wie kommst du hierher zu mir?
Sie Auf eben dem Wege, auf welchem du hierher kamst.
Er Du kennst also die Schlupfwinkel dieses Schlosses?
Sie Noch nicht. Ich bin jetzt zum erstenmal hier.
Er Hast du von dem Statthalter abkommen können?
Sie Wie du siehst.
Er Er wird doch nicht argwöhnisch sein?
Sie Eine gute Haut!
Er Desto besser für dich.
Sie Und für dich. Er ist der Unsrigen einer.
Er Das heißt doch: er ist auch eine Maschine des Alten zu Fronteja?
Olimpia rückte einen Stuhl herbei und setzte sich.
Lächelnd fragte Rinaldo: »Warum bin ich hier?«
Er Wer ließ mich überfallen und hierher bringen?
Sie Dein Freund. Der Alte.
Er Wem gehört dieses Schloß?
Sie Einem unsrer Freunde. – Wärst du nicht hier, du säßest jetzt im Kerker. Die Schwarzen sind mächtiger als du glaubst.
Er Wie? Und die Schwarzen gehörten nicht auch zu den Eurigen?
Sie Ich weiß nichts davon. – Wie könnten sie auch dann deine Feinde sein?
Er Wer sind sie, diese imponierenden Strauchdiebe?
Sie Das, was du gesagt hast. Aber sie sind durch geheime Verbindungen mächtig.
Er Sind sie mächtiger als der Alte und seine Ergebenen?
Sie Das wohl nicht, aber sie sind dennoch sehr mächtig. Indessen, dein Brief an den Statthalter hat ihnen einen starken Schlag versetzt. Der Brief ist jetzt in den Händen der Regierung, die ohnehin schon auf diese Menschen aufmerksam gemacht worden ist, und nur noch etwas, und ihr Untergang ist da. – Doch, das wirst du hören. Jetzt meine Botschaft, die ich an dich habe. – Man fragt dich, ob du entschlossen bist, nach Korsika zu gehen? Wir wollen deinen Entschluß von deinem freien Willen haben. – Du bist frei. Der Alte überläßt dich deinem freien Willen. Auch wenn du nicht nach Korsika gehen willst, kannst du dieses Schloß verlassen; sobald du willst, kannst du gehen, wohin es dir beliebt.
Er Ich nehme euch beim Worte.
Sie Du willst also nicht nach Korsika gehen?
Er Sobald ich den Alten von Fronteja gesprochen habe, werde ich mich bestimmter erklären.
Sie Gegen mich nicht? – Gute Nacht!
Sie stand auf, ging nach der Tür, blieb stehen und schien etwas zu erwarten. Rinaldo wünschte ihr, wohl zu ruhen. – Sie ging zurück, ergriff seine Hand. Schweigend zog sie Rinaldo zurück. Sie blieb stehen.
Sie Ich habe dir noch etwas zu sagen.
Er Ist es etwas Unangenehmes?
Sie Noch mehr als das.
Er Nun! was es auch sei, darf und muß ich es wissen, so sage es.
Sie Deine geliebte Rosalie ist krank.
Er seufzte und schwieg. – Olimpia erwartete vergebens eine Antwort und ging endlich wieder nach der Tür zu. Hier blieb sie stehen.
Sie Hast du nichts an Rosalien zu bestellen?
Er Tausend Grüße und meine innigsten Wünsche für ihre Besserung.
Sie Aber, wenn sie – Rinaldo! Rosalie ist sehr krank.
Er O Gott! Aber – Es ist kein beneidenswertes Los, die Geliebte eines verrufenen Räuberhauptmanns zu sein! Welche Erdenglückseligkeit könnte das arme Geschöpf auch mit gegründeter Hoffnung erwarten? Die ihren Liebhaber auf dem Rade und sich, schon deswegen, weil sie von ihm geliebt wurde, am Pranger und zeitlebens im Zuchthaus versorgt zu sehen.
Sie Rinaldo, du vergißt die Lorbeeren, die dir in Korsikas Tälern grünen.
Er Auch diese sogar sind kein Brautkranz für ein Mädchen. Für mich aber grünen sie nicht. – Ein so edles Gewächs, geschaffen für imperatorische Siegerstirnen, kühlt die Schläfe eines Räubers nicht. Auf meinem Haupte würde der Kranz welken, und ich könnte ihn nun zur Satire für alle Helden der Nachwelt machen.
Sie Unglücklicher Mann!
Er Jetzt nennst du mich bei meinem rechten Namen.
Sie Was wird und was könnte aus dir werden?
Er Was ich schon bin. Ein Unglücklicher!
Sie Dein Unmut ist groß! Wie willst du enden?
Er Wie es mir gebührt.
Sie Wehe dir, daß du so sprechen kannst! – Ermanne dich und bleib', was du immer warst, ein großer Mann.
Er Beschimpfe die großen Männer nicht mit meiner Parallele. – Ich weiß nur allzugut, was ich bin.
Olimpia schwieg und zog den Schleier über ihr Gesicht. Rinaldo schlug sich vor die Stirn und seufzte tief auf.
Sie Rinaldo! Rinaldo!
Er Rosalie ist sehr krank?
Sie Ich kann dich nicht täuschen. Sie ist tot.
Er Tot? – Ach! – Fahre wohl, liebe, gute Seele! Wohl dir, daß du geendet hast! – Olimpia! Nicht wahr, ihr ist sehr wohl? – Auch mir muß es so wohl werden, wie es ihr ist. Nur bald! nur bald!
Er wendete sich gegen die Wand und weinte. Olimpia verließ das Zimmer.
Aus einem schweren Traume entriß ihn ein Geräusch. Er erwachte und sah das eine seiner Zimmer erleuchtet. Er rieb sich die Augen und sah: An einem mit sieben brennenden Wachskerzen besetzten Tische saßen hinter Bechern und Flaschen Cinthio, Nero, Lodovico, Jordano, Luigino, Olimpia und Eugenia, jedes hinter einer Kerze. Schweigend, und wie in eine optische Maschine, blickte Rinaldo in die Gesellschaft, die, seines erwachten Daseins unbekümmert, sich ihrer Unterhaltung fortgesetzt überließ. Er schwieg und hörte.
Lodovico Sie hatten uns schon Handschellen angelegt und führten fatale Reden, z. B. von der Folter, vom Köpfen, Hängen und dergleichen Ausdrücke, die einem braven Kerl gar nicht behagen können. Das machte uns wirklich ein wenig bange, und wir sahen schon unserm gewissen Lebensende, auf der Folterbank zerdehnt und zerzerrt, entgegen, als unvermutet Hilfe und Rettung kam.
Jordano Das hieß in der Tat Hilfe in der Not! Wir werden sie unserm ehrlichen Alten zu Fronteja nie vergessen. – Laßt uns anstoßen und seine Gesundheit trinken. Er soll leben!
Alle Er soll leben!
Lodovico Unsern braven Rinaldini hat er auch schon verschiedenemal den ungewaschenen Händen der mißlaunischen Justiz entzogen. Der wär' vielleicht schon längst eine Speise der Raben geworden, hätte der gute Alte sich nicht immer so freundschaftlich ins Spiel gemischt.
Olimpia Das ist gewiß wahr! Rinaldini hat ihm sein Leben auf vielfache Art zu verdanken.
Cinthio Das wird er auch tun. Mein Freund Rinaldo ist dankbar. – Mir ist es ein sehr großes Vergnügen, den guten Alten und seine wackern Freunde kennengelernt zu haben. Da säß ich, wenn es recht köstlich gewesen wär', als Förster in einem Dorfneste und müßte Dachse und wilde Katzen verfolgen, um nicht zu verhungern. Nun aber soll's den übermütigen Korsen-Feinden gelten.
Luigino Es soll ihnen gelten! – Es leben die wackern Korsen, die unsrer Ankunft, die ihrer Retter harren!
Alle Es leben die wackern Korsen!
Lodovico Wie stark sind wir nun aber eigentlich?
Luigino Es schiffen sich über vierhundert Mann ein und finden in Korsika über dreitausend Freunde, ohne die, die sich zu uns schlagen werden, sobald wir den ersten Streich ausgeführt und uns eines haltbaren Platzes bemächtigt haben werden. Das Fort Ajalo wird zuerst genommen. –
Lodovico Wetter! es wird einen schönen Lärm geben, wenn es heißt: Das unüberwindliche Corps des großen Rinaldini ist da! Die Kerls sind wahre Teufel gegen ihre Feinde und die großmütigsten Menschen von der Welt gegen ihre Freunde. Sie vergießen ihr Blut für die Freiheit der unterdrückten und mißhandelten braven Korsen. Freunde! das bringt uns Ehre und Ruhm. Schon sehe ich unsere Namen an dem Obelisk glänzen, der uns und unsern Siegen errichtet werden wird, und die Mitwelt und Nachwelt wird sagen: Seht, das taten Menschen, die man Räuber, Männer, die man Banditen nannte. Da stehen ihre Namen mit goldenen Buchstaben, und obenan glänzt der Name Rinaldini. Das gibt hohe Ehre!
Nero Geht denn unser Alter auch mit uns?
Luigino Das versteht sich. Auch er ist ein Korse, der das Wohl seines Vaterlandes im Herzen trägt.
Olimpia Wir gehen alle mit. – Viele unserer Schwestern werden fechten an der Seite der tapfern Streiter, mit Mannskraft und von Vaterlandsliebe beseelt. Andere winden Kränze für die Sieger, und ihre Küsse belohnen die Tapfern.
Jetzt trat ein schöner Mann von edler Bildung und schlankem Wuchse in das Zimmer. Luigino nannte ihn Astolfo und Olimpia gab ihm den Namen Bruder. Er setzte sich zu ihr. – Man zündete eine Wachskerze an und setzte sie vor ihn auf den Tisch. Sein Becher wurde gefüllt. Es wurde gesprochen.
Cinthio Nun? Wie steht es? Ist das Schloß bald voll?
Astolfo O! daß es doch bis unter das Dach vollsteckte! Es wär' ein gesegneter Aufenthalt wackerer Männer! – Unserer neunzig sind nun hier.
Lodovico Daß wir alle doch schon in Korsika wären! Dem Klingenschmied oder Büchsenmacher, dessen Klinge oder Rohr den ersten Feind in den Sand streckt, will ich zehn Messen lesen lassen, und seiner ganzen Familie soll, wenn er fällt eine ex profundis bei weißen Wachskerzen gesungen werden, auf meine Kosten.
Astolfo Spätestens bis morgen früh muß Amalato mit dreißig Mann hier auch eintreffen. Malatesto schwenkt sich noch mit seinen Leuten im Tolonischen Gebirge herum. Er macht nun einmal so gern Jagd auf die Schwarzen.
Lodovico Das vergelte ihm Gott! Wenn er doch die ganze verfluchte Rotte mit Stumpf und Stiel ausrotten könnte!
Olimpia Die Schwarzen nimmst du wohl oft in dein Gebet?
Lodovico O ja, so wie der Nachtwächter den Teufel. Die verdammten Popanze! Sie haben mir die Erinnerung an ihre Existenz so fest eingegraben, daß ich bei jedem Stoß einer Windfahne die Rückerinnerung an ihre Bekanntschaft in allen Gliedern und Nerven fühle.
Jordano Jeder Neumond muß sie dir unvergeßlich machen.
Lodovico Jeder veränderte Windstoß, sage ich! Sie haben mir ein Calendarium perpetuum dergestalt aufs Leder geprägt, daß ich die Buchstaben und Charaktere in jeder Ader fühle, wenn die Hähne musizieren. Aber dem ersten dieser Kalendermacher, den ich unter die Fäuste bekomme, will ich auch ein solches Honorarium reichen, daß er es als Zehrpfennig bis ins Fegefeuer mitnehmen soll.
Noch hörte Rinaldo dem Gespräch, bei welchem die Becher fleißig geleert wurden, schweigend zu, als die Tür aufging und der Alte von Fronteja ins Zimmer trat. Alle erhoben sich von ihren Sitzen und grüßten ihn ehrerbietig. Er winkte ihnen freundlich zu, sie setzten sich. Er nahm in dem Zirkel Platz. Zwei brennende Wachskerzen wurden vor ihn gesetzt, und sein Becher wurde gefüllt. Er sprach.
Der Alte So rein wie das Wachs und die Flamme dieser Kerzen ist die Absicht aller derer, die hier versammelt sind, entschlossen, den Boden eines Landes zu betreten, welches, mit dem Blute seiner Tyrannen gedüngt, uns eine reiche Ernte des Ruhms schenken möge! Wir säen und ernten für die Unterdrückten. Wir sind die wahren Ackerleute des Ruhms und der Gerechtigkeit. Wir kommen, die Ketten einer unterdrückten, tapfern Nation zu zerbrechen.
Luigino Ja, wir kommen!
Der Alte Der Tag der Rache, der Tag der Rettung bricht an. Eine neue Sonne geht über Korsika auf. – Geist des edlen, unglücklichen Theodors,Der bekannte König der Korsen, Baron Neuhof, ein Deutscher. – Seine Geschichte hat der Verfasser dieses Buchs der deutschen Lesewelt mitgeteilt, unter dem Titel: Theodor, König der Korsen. Rudolstadt 1801, 3 Teile, m. K. erscheine den Freunden des Landes, das du liebtest und retten wolltest!
Er sprach's, fuhr langsam im Kreuzschlag mit der Hand über den Becher, und schnell entbrauste der Wein in demselben, wie gährender Most. Die Blasen stiegen hoch auf, entschwebten dem Rande des Bechers, türmten sich pyramidisch, wurden zum schäumenden Dunstkreis, zerplatzten in der Luft und bildeten eine aufsteigende Nebelgestalt in verwischter Menschenform. Die Lichter verlöschten, die Gestalt schwebte, wie ein geformter Nebel, hell und durchsichtig über die Tafel in die Höhe und verschwand. Die Lichter entzündeten sich wieder. Die Gesellschaft saß sprachlos in feierlicher Stille da, und der Alte leerte seinen Becher auf König Theodors Wohl.
Noch saßen alle in erwartungsvoller Stille sprachlos, als der Alte sich gegen Rinaldo wendete und fragte:
»Hast du keine Rede für deine Freunde?«
Rinaldo Wohl bekomme euch alles!
Der Alte Ist das der ganze Anteil, den du an unserm Vorhaben nimmst?
Rinaldo Ich kann nicht mehr tun, als euer Wohl zu wünschen.
Der Alte Hat dich der große, ruhmvolle Gedanke, der edle Wunsch, ein Retter der Korsen zu sein, verlassen?
Rinaldo Ihre Sache liegt in guten Händen.
Der Alte Entsagst du dem Ruhme, diese gerechte Sache zu verteidigen?
Rinaldo Ich entsage jedem Gedanken nach einem Ruhme, der mir nicht gebührt. Für einen Räuberhauptmann wachsen keine Palmen des Ruhms, grünen keine Lorbeern der Unsterblichkeit.
Der Alte Kleinmütiger! du bist nicht mehr der kühne, unerschrockene Rinaldini. Dein Geist ist von dir gewichen. Du bist kaum noch der Schatten deiner vorigen Wirklichkeit. – O Freund! was würde, hörte er dich jetzt reden, dein ehemaliger Lehrer, der wackere Onorio, sagen? Er, der so oft mit dir in den Zeiten der Helden der Vorzeit umherschwärmte; was würde er sprechen? – Wie jammert uns dieser dein Zustand! Was können wir für dich tun?
Rinaldo Seid ihr wirklich meine Freunde, so vergeßt, daß man mich Rinaldini nannte. Verbindet mit diesem Namen keine Erwartung an kühne Taten und laßt mich, unbekannt und ungenannt, in Ruhe sterben.
Cinthio Rinaldo! Freund! –
Rinaldo Ich beklage dich, den man seiner ruhigen Einsamkeit entrissen hat! Du warst zu glücklich für einen Räuber, darum konnte es nicht so bleiben.
Der Alte Ich beklage dich!
Rinaldo Verschafft mir, ihr Allesvermögenden, sichere Abfahrt aus dieser Insel auf irgendein kleines, unbedeutendes Eiland, wo Platz für mich und Gras für meine Ziegen ist. Dort will ich in stiller Ruhe, unter Hirten und Fischern, mein Leben endigen, ungekannt und ungenannt.
Der Alte Wie wird das möglich sein können? Du bist zu allbekannt.
Rinaldo Doch nicht in jedem Weltteile. – Ich schenke euch meine vergrabenen Schätze, ich nenne euch die Plätze, wo sie liegen, sie werden euch bei eurem Vorhaben nicht unwillkommen sein. Mich führe unbemerkt ein Schiff über die rollenden Fluten an den Küsten des Landes vorbei, dessen Fesseln ihr zerbrechen werdet.
Der Alte Freund, du bist krank. Wir können dich nicht eher aus den Augen lassen, bis du genesen bist.
Rinaldo seufzte und verhüllte sein Gesicht. Die Gesellschaft blieb schweigend und stumm.
Der Alte gab Astolfo einen Wink. Dieser verließ das Zimmer.
Die Stille wurde durch keinen Laut unterbrochen.
Auf einmal ertönten Trommeln im Schlosse und Trompeten durchschmetterten die Säle. Man sprang auf.
»Wir sind überfallen!«
ertönte es von allen Seiten ins Zimmer. – Rinaldo sprang vom Lager auf, ergriff seinen Säbel und eilte nach der Tür. Hier umfing ihn der Alte und rief entzückt aus:
»Ja! du bist noch der Unerschrockene, der Tapfere, wie sonst! Trompetentöne und Trommelwirbel haben dich dem Schlummer entrissen, und der Mann stand vor uns. Diese Töne werden dich nach Korsika begleiten. Der Donner unsres Geschützes wird unsern Feinden entgegenbrüllen: Der Rächer kommt!«
Rinaldo sah den Alten betroffen an, und der Säbel entsank seiner Hand.
»Ha!« – schrie er: – »Ihr kennt das Spiel, das ihr mit mir spielt, und ich kenne mich selbst nicht!«
Der Alte sah ihn bedeutend an und sagte:
»Wir haben nur geweckt, was entschlummert war. Jetzt wissen wir, daß du noch Rinaldini der Tapfere bist. Trompeten und Trommeln mögen schweigen. Dein Geist spricht kräftiger und lauter als dein Mund. Was du auch sagen magst, wenn Mißmut und üble Laune dich quälen, wir glauben dir nicht. Wir kennen die Töne, die dich deinen Freunden geben, wie du bist. Was die Stimme der Freundschaft nicht vermochte, das vermochten die Töne der Trompeten. Dies ist der Ruf der Ehre. Wir wissen nun, daß du der Held bist, den wir suchen und gefunden haben.«
Rinaldo Ihr irrt Euch. Den Tod wollte ich suchen im Gefecht.
Der Alte Den sucht keiner, der unter Hirten und Fischern, bei weidenden Ziegen leben will. Er sucht der Gefahr nur zu entfliehen, aber der Tapfere bietet ihr die Stirn.
Rinaldo Verzweiflung ist nicht Tapferkeit. Sie macht den Mutlosesten zum Löwen.
Der Alte Genug, Rinaldo! Wir kennen dich.
Auf einen Wink des Alten entfernten sich die Anwesenden nach und nach und ohne Geräusch. Auch der Alte verließ endlich das Zimmer und sagte:
»Wir überlassen dich der Ruhe.«
Rinaldo warf sich wieder auf sein Lager. Die Rückerinnerung der ganzen Szene seit seinem Erwachen gaukelte wie ein Traum vor seinen Sinnen vorüber.
Den folgenden Tag verließ Rinaldo das Zimmer nicht und blieb ungestört und allein. Tages darauf verlangte er Cinthio zu sprechen und erhielt die Antwort, dieser sei nicht mehr im Schlosse. Hierauf begehrte er eine Unterredung mit dem Alten von Fronteja, und auch dieser war nicht mehr hier. Bald darauf erschien Astolfo. Diesem eröffnete Rinaldo sein Verlangen, das Schloß zu verlassen.
»Das steht in deiner Willkür«, – sagte Astolfo, – »wiewohl ich es dir nicht raten möchte, du müßtest denn mit den Unsrigen ziehen wollen. Die schwarze Rotte lauert allenthalben auf dich, und ohne Begleitung bist du immer in Gefahr, dich ihrer grenzenlosen Rache ausgesetzt zu sehen. – Die Unsrigen ziehen sich nach und nach an die Küste, wo sie eingeschifft werden und nach Korsika absegeln können. Denn viel Zeit mögen wir nun nicht mehr verlieren, um sobald wie möglich den Ort unserer Bestimmung zu erreichen.«
Rinaldo schien nachdenkend zu werden, faßte sich aber bald wieder und fragte:
»Hast du zu Fronteja ein Mädchen gesehen, das man Rosalie nannte?«
Astolfo Ich sah sie krank und im Tode.
Rinaldo Sie starb also wirklich?
Astolfo So gewiß, als wir beide noch leben.
Rinaldo Nicht gewaltsam?
Astolfo Was willst du damit sagen? Hast du Argwohn, so ist er ungegründet. Der Alte liebte sie wie seine Tochter.
Rinaldo Und doch hat er ihres Todes gegen mich mit keinem Worte gedacht.
Astolfo Das ist so seine Art. Von Verstorbenen spricht er nicht gern.
Rinaldo Rosalie war mir sehr wert! Ich liebte sie.
Astolfo Das hat man gesagt. – – Auch ich verlasse morgen dieses Schloß. Willst du mit mir gehen, so hast du Bedeckung. Wir ziehen uns, wie gesagt, alle nach und nach der Küste zu.
Rinaldo Du bist Olimpiens wirklicher Bruder? Ein Korse?
Astolfo Beides bin ich.
Rinaldo Ist auch Luigino schon fort von hier?
Astolfo Auch er.
Hier entstand eine Pause. Astolfo näherte sich langsam der Tür.
Rinaldo wendete sich auf einmal rasch zu ihm und sagte:
»Ich verlasse morgen mit dir dieses Schloß.«
Astolfo freute sich dieses Entschlusses. Ganz vergnügt verließ er das Zimmer.
Den folgenden Morgen bestieg Rinaldo ein Pferd und verließ in Astolfos Begleitung das Schloß. – Sie begegneten hier und da verschiedenen ihrer Leute, die sich zerstreut und in kleinen Trupps, doch nicht allzu entfernt voneinander, über die Gebirge hinzogen. – Die Unterhaltung auf dem Wege war sehr einsilbig.
In kurzen Tagesreisen erreichten sie Sutera, wo sie einige Tage still lagen und dann ihren Weg gerade auf Syracus zu nahmen. Sie ließen die Stadt links liegen, blieben ein paar Tage auf einer Villa, die, wie es schien, einem Bekannten der Gesellschaft gehörte, und reisten dann auf die Flächen von Marsala zu.
Hier quartierten sie sich wieder in eine Villa ein, und von hier aus machte Astolfo eine Tagesreise allein. – Als er zurückkam, sagte er:
»Auf dieser Villa kannst du sicher und ruhig leben, bis wir dich zum Einschiffen abrufen. Wird dir die Zeit lang, so gehe zuweilen in die Gebirge von Sambuca, dort ist das Hauptlager unserer Leute. – Ich reise jetzt zu dem Alten und hoffe, dich bald wiederzusehen.«
Astolfo reiste ab. In der Villa fand Rinaldo alles zu seiner Bequemlichkeit eingerichtet. Ein Gärtner und seine Tochter waren seine Hausgenossen und bedienten ihn. Etliche Diener von der Gesellschaft gingen ab und zu.
Die Tochter des Gärtners, Serena, ein gutes Naturmädchen, war seine Gesellschafterin und die Gefährtin auf seinen einsamen Spaziergängen. In ihr sah er eine zweite Rosalie und gewöhnte sich nach und nach so sehr an ihre Gesellschaft, daß er sich nicht mehr von ihr trennen konnte. Sie unterhielt ihn mit kleinen Erzählungen von Geistern, Nixen und Rittern und sang ihre und seine Romanzen, die er für sie dichtete, ihm vor.
In diesem einfachen Unterhaltungskreise verfloß ihm ein Tag nach dem andern so unbemerkt, daß er schon drei Wochen auf der Villa war, als er kaum glaubte, dahin gekommen zu sein. Einst saß er mit Serenen in einer Gartenlaube und machte gegen sie die Bemerkung, daß er glaube, seit ein paar Tagen sie nicht so heiter wie gewöhnlich zu sehen.
Sie Das kann sein! Ich bin wirklich auch nicht mehr so heiter wie sonst. Daran ist mein Vater schuld. – Der sagte mir neulich, Ihr könntet nun nicht lange mehr hierbleiben, Ihr würdet fortreisen und nicht wieder zu uns kommen.
Er Und das könnte dich mißmutig machen?
Sie Warum sollte es nicht? Ich habe mich nun an Euch gewöhnt. Man sollte sich in der Welt gar nicht kennenlernen, wenn man sich wieder trennen muß. Nach meinem Sinn müßte alles hübsch beisammenbleiben, was sich einmal kennt und sich gut ist.
Er Du bist mir also gut?
Sie Ich dächte, das hättet Ihr längst schon gemerkt.
Er Aber ob ich dir gut bin?
Sie Ich glaube es, weil Ihr mich immer um Euch haben mögt. Wenn man einem Menschen nicht gut ist, wird einem das zur Last. Aber bei Euch ist das nicht der Fall, denn wenn ich nur einmal ein paar Stunden nicht bei Euch bin, gleich ruft Ihr: Serena, wo bist du denn? – Und ich höre Euch mich gern rufen. Ich habe es schon einigemal darauf angelegt, von Euch gerufen zu werden. Das habt Ihr nicht bemerkt, aber es ist wahrhaftig wahr!
Er Was kann es dir aber helfen, wenn ich dir auch wirklich gut bin?
Sie Ei! das hilft mir gar viel. Es macht mich fröhlich und froh, munter und leicht.
Er Da ich aber nicht hierbleiben kann –
Sie Das ist freilich schlimm! – Wo geht Ihr denn hin?
Er Fort aus dieser Insel in ein anderes Land.
Sie Ist's dort auch so schön wie hier? – Ist dort auch eine Serena, die Euch gut ist?
Er Vielleicht finde ich eine.
Sie Wenn Ihr sie erst suchen müßt, warum bleibt Ihr nicht lieber hier, wo Ihr sie schon gefunden habt?
Er Ich habe Verhältnisse, Geschäfte –
Sie Das ist mir gar nicht lieb! – Wenn Ihr fortgeht, werde ich sehr traurig sein.
Er Du wirst auch wieder heiter werden. Das gibt sich alles.
Sie Nein! das gibt sich nicht. Es ist besser, es bleibt so, wie es ist.
Sie Das ist sehr ärgerlich! – Ihr kommt also auch nicht wieder?
Er Schwerlich!
Sie Wenn's auch ein Jahr währt, ich will's überstehen. Kommt nur wieder!
Er Gutes Mädchen! du weißt nicht –
Sie Ich weiß freilich nicht viel, aber ich kann vielleicht noch manches lernen; besonders, wenn Ihr mein Lehrer sein wollt. Ach! was lernte ich nicht gern von Euch!
Er Lerne mich vergessen, wenn ich fort bin.
Sie Das wird schwerlich gehen. – Nein! 's geht nicht, das weiß ich schon. Ihr kennt ja das Lied von dem schönen Fischermädchen und dem verliebten Grafen. Ich habe es Euch schon oft vorgesungen, darin heißt es:
Was ich liebe zu vergessen,
Nein, ach nein, das kann ich nicht.
Alles könnt' ich wohl versprechen;
Aber nur Vergessen nicht!
Was man liebet zu vergessen,
Nein, ach nein! das kann man nicht!
Er Liebst du mich denn?
Sie Ei! jawohl!
Er Das ist nicht gut!
Sie Wie sollte es besser sein? Und wer kann es mir wehren, wenn ich Euch liebe?
Er Was kannst du von deiner Liebe hoffen?
Sie Von Euch widergeliebt zu werden. Wißt Ihr nicht, wie es in dem Liede von dem gefangenen Ritter heißt?
Hoffnung ist der Liebe Schwester
Und verläßt im Tod sie nicht,
Schlingt die schönen Banden fester,
Die die Freude um uns flicht.
Hoffnung gibt der Liebe Leben,
Mut und Kraft, wenn Leiden droh'n.
Ach! was kann sie beß'res geben?
Gab sie nicht das Beste schon?
Ein Bote suchte Rinaldo auf und gab ihm einen Brief. Er war von Cinthio. Dieser machte ihm freundschaftliche Vorwürfe, daß er noch nicht ein einzigesmal in das Lager, zu seinen Freunden, in die Gebirge gekommen sei. Er bat ihn, dies recht bald zu tun.
Rinaldo schrieb eine Antwort, in welcher er versprach, was man forderte, und ging, als er den Boten abgefertigt hatte, ans Ufer des Meeres, wo er einige Fischer in einer Bucht beschäftigt fand, eine Barke mit Lebensmitteln zu beladen. – Er nahte sich ihnen, grüßte sie, wurde widergegrüßt und spann ein Gespräch an.
Rinaldo Wohin führt ihr diese Lebensmittel in der Barke?
Fischer Nach Pantaleria.
Rinaldo Nach Pantaleria?
Fischer Kennt Ihr das InselchenIsoleta, nämlich im Vergleich mit der großen Insel Sizilien. Pantaleria hat nur 7 bis 8 Meilen im Umkreis. Pantaleria nicht?
Rinaldo Wie sollte ich es kennen? – Liegt es weit von hier?
Fischer Sechzig Meilen! Ein Katzensprung!
Rinaldo Ist das Inselchen stark bevölkert?
Fischer Ach lieber Himmel! zählt mir außer den Bewohnern der kleinen Stadt und des Kastells noch dreihundert Menschen dort, so gewinne ich eine Wette. Es liegen ein paar Dörfchen auf der Insel und einige lustige Landhäuser. Alles ist rundherum von den Felsen des Ufers umschlossen. Aber im Innern ist es ein hübsches, feines, lustiges Inselchen! In der Mitte ist ein vortreffliches, fruchtbares Tal, und die Bergrücken sind alle gar sorgfältig bebaut. Die Insel hat Äcker, Wein, Öl, Pomeranzen und eine kleine Schafzucht. Was die Leute dort nicht haben, führen wir ihnen zu.
Rinaldo Die Bewohner der Insel sind wohl arm?
Fischer Reich sind sie freilich nicht, aber sie sind gut, arbeitsam und menschenfreundlich. Woran es ihnen am meisten fehlt, das ist an Gelde. Ein Goldstück ist unter ihnen eine rare Sache und eine wahre Seltenheit. Sie graben aber zuweilen seltene Münzen aus, auch wohl Antiken und dergleichen, diese machen sie in Sizilien zu Gelde. Sie brauchen wenig und behelfen sich lange mit ein paar Silberstückchen.
Rinaldo Die guten Leute leben also dort wohl in wahrer patriarchalischer Einfalt?
Fischer Ja, einfältig genug leben sie! Sie haben außer drei Kirchen in der Stadt auf dem ganzen Inselchen übrigens nur noch eine einzige Kirche.
Rinaldo Sie sind aber deshalb doch wohl fromme Leute?
Fischer O ja! Sie haben, außer einem Clarisser-Nonnenkloster in der Stadt, auch ein kleines Klösterchen im Lande, das bewohnen etwa vier bis sechs Franziskaner-Herren; mehrere können sie nicht ernähren. Diese terminieren aber auch in unserer Insel und schleppen, was sie bekommen, hinüber auf ihr Inselchen.
Rinaldo Ich hätte Lust, das Inselchen zu besehen.
Fischer Das kann leicht geschehen. Der Herr darf ja nur mit uns hinüberfahren. Wir wollen's schon billig machen. – Morgen, ein paar Stunden nach Sonnenaufgang fahren wir ab.
Rinaldo Ich fahre mit.
Fischer Der Herr muß sich aber zeitig einstellen. Warten können wir nicht.
Rinaldo Sorgt nicht. Ich werde frühzeitig genug hier sein. Hier habt ihr etwas auf Abschlag, und morgen sehn wir uns wieder.
Er ging mit dem festen Vorsatz in seine Wohnung zurück, nach Pantaleria mit überzuschiffen und von dort nie wieder nach Sizilien zurückzukehren.
»Vielleicht« – sprach er bei sich selbst – »gelingt es mir endlich doch noch, unter guten, unverdorbenen, reinen Naturmenschen eine stille, friedliche Stätte zu finden und mir selbst ruhig und reuig für den Himmel zu leben.«