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Wer über die Mode schreibt, kommt aus dem Widerspruch entgegengesetzter Stimmungen nicht heraus. Die eine ist klar, stolz, ja ziemlich erhaben. Von ihr geschwellt, hatten wir folgenden Anfang niedergeschrieben.
»Thöricht, auf Bessrung der Thoren zu harren«: so thöricht waren wir schon damals nicht, als wir »Vernünftige Gedanken über die jetzige Mode« Morgenblatt 1859. Wieder abgedruckt Krit. Gänge. Neue Folge Bd. 1. 1861. vorbrachten, es war vor neunzehn Jahren; der Titel war Nachahmung zum Spaß und der Ernst hinter dem Spaß sollte unter Anderem bedeuten, man traue sich so viel Vernunft zu, einzusehen, daß man die Leute nicht vernünftig machen kann. In der That, wer über die Mode schreibt, wäre ein Narr, wenn er meinte, auch nur das Geringste zur Heilung ihrer Verrücktheit beitragen zu können. Warum aber doch schreiben? Zu welchem Zweck? Nun, das Wörtchen Zweck möchte ich bitten lieber ganz beiseite zu lassen. Es muß ja nicht Alles einen Zweck haben. Aber freilich, einen Grund hat Alles und verstehe ich recht, so ist hier der Grund der: wir müssen schreiben für spätere Generationen, vor deren heller gewordenem Auge unsere jetzige Mode als unbegreifliches Zerrbild auf der Fläche der Vergangenheit liegen wird und denen wir als blinde, der Selbsterkenntniß bare Wesen erscheinen müssen; zu ihnen soll Kunde gelangen, daß die Wir doch nicht Alle waren, daß nicht sie erst sehen, sondern daß es jederzeit Einige gibt, welche sehen, welche nicht dumpf in der Schafheerde dem Leithammel Modeton folgen; kurz, wenn sich die Zukunft bewußter vorkommt, als unsere dann Vergangenheit gewordene Gegenwart, so soll sie doch merken, daß es immer Bewußtsein gegeben hat. Die Klagen, die Predigten, der Spott auf Moden-Unsinn und Hoffahrt sind so alt, als die Bildung. Neben dem Kameel mit dem Affen auf dem Höcker, genannt Mode, ist, so lang es durch die Welt trabt, auch die Satyre hergetrabt, bald als Hanswurst in bunter Jacke, bald als Bußprediger in schwarzem Rock und Mantel; es wäre nur langweilig, die Reihen der Strafredner, Spötter und Lacher durch die Jahrhunderte zu verfolgen; sollten wir denen, die nur von Juvenal und Martial wissen, eine Vorlesung halten über die Kostüm- und Sitten-Satyriker des achtzehnten, siebzehnten, sechzehnten, fünfzehnten, insbesondere des vierzehnten Säculums, um dessen Mitte der Narrentanz des Weibes Mode in ganz Europa zum ersten Mal seit dem Untergang des klassischen Alterthums so recht losgieng, sollten wir aus dem siebzehnten etwa Moscheroschs Capitel Alamode-Kehraus abdrucken oder daraus wenigstens die vielen, enggedruckten Seiten über Hüte, Bärte und Lätze, sollten wir dann zurück zu den Griechen wandern und weiter in den Orient bis zu Jesaias? Fällt uns nicht ein; warum sollten wir durch Wisserei verrathen, daß unser Wissen Stückwerk ist? Stein und Bein kann man darauf schwören, daß schon die Aegypter, die Assyrer, die Perser, die Indier in Olims Zeiten ihren Juvenal oder Rabelais gehabt haben, aber wer weiß ihre Namen? – Ein großer Theil dieser Bewußteren hat gemeint, bessern zu können, und diese Meinung bedingt allerdings einen Abzug von der Ehre ihrer Bewußtheit, der Helle ihres Auges, aber genug, sie sahen doch und so stehen sie über dem blinden Rudel der Mehrheit; sie stehen, sage ich, nicht: sie standen, denn die kleine Minderheit der Sehenden ist nur eine Kette, die durch die Weltalter läuft, obwol wir lang nicht alle ihre Gelenke kennen, diese Wachen bieten sich die Hand über die Kluft der Jahrhunderte; wo sie nicht sichtbar sind, dürfen wir, wie gesagt, sicher sein, daß sie da waren, und so ist dieses Bewußtsein, das sich aus der schweren, die blinde Menge umfangenden Dämmerung hebt, immer gleiche Gegenwart dem menschlichen Geschlecht. Und billig muß man doch auch sein gegen den Wahn, es sei den Narren zu helfen, gegen den Eifer, drein zu schlagen, damit es besser werde. Man darf es auch nicht vergessen, daß die Kleidermode – und in dieser Beschränkung nimmt unsere Aufschrift das Wort – von der Sittenmode sich nicht völlig trennen läßt, und man wird es nicht mit Martial, der freilich nur lacht, gegen Juvenal halten, der beißt. Zudem kommt es auf den Grad der Geduldprobe an. Die nachdenklicheren Menschen haben für gewöhnlich Anderes und Besseres zu thun, als sich um das Werk des Schneiders, Schusters und Hutmachers zu bekümmern, die Mode hat auch ihre zahmeren Zeiten, nur in den Epochen, wo sie toll wird, schauen die Freunde des Maßes auf und erheben die Stimme, dann treibt sie es aber auch gewöhnlich bunt, so bunt, daß es kaum zum Aushalten ist und daher kein Wunder, daß auch der Klare in die Täuschung verfällt, sein Wort müsse doch etwas fruchten. Der Hoffnung kann sich ja Niemand entziehen, der Drang, die bessere Zukunft herbeizuführen, liegt aber so hart neben der Hoffnung, daß man beide kaum unterscheiden kann.
So weit hatte ich geschrieben und ganz gemüthlich weiter schreibend war ich im Begriff zu gestehen, daß ich mich selbst eben gar nicht immergleicher philosophischer Ruhe rühmen dürfe. Ich merkte nicht, daß ich damit nicht in eine bloße Abschwächung meines stolzen Anfangs, sondern in einen vollen Widerspruch hineingelangte. Das muß aber erkannt, das muß gesagt, es will betont sein, daß man diesen Widerspruch nicht vermeiden kann, denn es weist auf eine Schwierigkeit, die tief in der Sache selbst liegt. Unser Gang wird uns darauf führen. Und nach dieser Einschaltung fahre ich mit erleichtertem logischem Gewissen im alten Texte fort.
Schreiber dieses, den der Leser, weil er sich merklich zu den Klaren rechnet, bereits der Selbstgefälligkeit zeihen wird, zupft sich an der eigenen Nase. Sein lachender Seufzer von 1859 geht in ein Aufathmen der Hoffnung über, er vertraut, das Platzen der Krinoline werde der Aufgang eines vernünftigen Kleides sein; er kann nicht verbergen, daß er dazu beitragen will, diesen Naturprozeß zu beschleunigen, er predigt. Arme, wohlweise Hoffnung! Wie ist es gekommen! Gekommen just in der Heldenzeit unserer Nation! So geht es! Und trotz dieser Erfahrung muß auch diesmal gestanden werden, daß wir uns vor Rückfall aus Betrachtung in Bekehrungseifer keineswegs sicher fühlen, daß uns insbesondere noch ganz dunkel ist, wie der Schluß unseres unsichern Sermons ausfallen wird. Sei es drum!
Wie Rede und Schrift, so folgt auch die Kunst der Gugelfuhr der Mode auf dem Fuß, sie ist lustiger, freier von Bekehrungswahn und hüpft ihren spöttlichen Grotesk-Tanz sich und den Leuten einfach zum Vergnügen. Warum sollte sie auch eifrig sein, zu bessern? Woher sollten Fliegende Blätter, Kladderadatsch, Punsch, Caricature, Charivari, Spirito Foletto genug des Stoffes ziehen, wenn die Narrenkappen, die Gouchröcke nicht immer neu und dicht wüchsen wie Kartoffel in einem guten Jahr? Doch auch diese heitere Person, die Kunst, spielt nicht immer gar so harmlos; sie kann schon recht in's Fleisch schneiden und wer aufmerksam zusieht, wird es schon ihren Linien anmerken, ob unter ihrem Lachen ein Grimm kocht oder nur ein behaglicher Kitzel. Auch sie kann ja nicht vergessen, daß die Dinge zusammenhängen, verlacht sie Kleider, so verlacht sie immer auch Sitten und da wird sie bald fein, bald grob verfahren, wird bald einem lächelnden Erasmus, bald einem eifernden Hutten gleichen, je nach Gegenstand und Stimmung.
Fein oder grob: eine schwere Frage für den besonders, der mit dem Worte zeichnet. Bei der Kleidermode handelt es sich so vorherrschend um die weibliche, daß die Hütchen, Röckchen, Schühlein selbst uns wie mit winkenden Fingerchen zu mahnen scheinen: sei fein! sei kein Lümmel! Eine Seele von Stein müßte man im Busen tragen, wenn man nicht den besten Vorsatz hätte, zu gehorchen, sich nach Kräften zierlicher Schreibart zu befleißigen. Aber was hilft das Alles! Was nicht möglich ist, ist nicht möglich!
Und dieser Seufzer führt in mediam rem.
Wir hielten die Krinoline für das Symbol des zweiten Kaiserreichs in Frankreich, seiner aufgeblasenen Lüge, seiner windigen und protzigen Frechheit. Es stürzte und uns fiel es zwar nicht ein, mit etlichen Biederfrauen von einer deutschen Tracht zu träumen, aber, wie bereits gestanden, wir hofften, es werde etwas kommen, eine Form, welche irgendwie ausdrücke, daß die Wahrheit über die Lüge gesiegt habe. Ja freilich, so etwas ist auch gekommen, aber es ist eine andere Wahrheit, als die wir meinten. Die Pariser Welt hatte just vor dem Sturze des Kaiserreichs noch Zeit, in der weiblichen Mode eine andere Seite ihrer Stimmung hervorzukehren, und die Republik war sich nicht zu gut, sie aufzunehmen und zu behalten, aber auch die Frauen und Töchter der deutschen Heldensieger beeilten sich sammt ihren Schwestern in Europa, das expressive Sinnbild einer liederlichen Gesellschaft, das falsche Gegentheil des Reifrocks, anzulegen und wie ein Heiligthum treu zu bewahren bis heute.
Das Kleid wird quer über den Leib geschnitten und spannt über – da haben wir's gleich! Wie wäre das zierlich auszudrücken? Sollen wir sagen: über die gewölbte Plastik des Mittelkörpers? oder: über die gewisse Gegend, wohinter sich die Verdauungsstätte befindet? Wäre das nicht viel cynischer, als wenn wir ehrlich schreiben: über den Bauch? So steht's mit dem guten Vorsatz, fein, elegant und graziös vorzugehen! Es wird dienlich sein, wenn wir ohne Verzug nachfragen, wie es bei einem solchen Schnitt den nicht Jungen, nicht Schlanken ergeht. Man sollte meinen, eine Mode müßte so beschaffen sein, daß auch diese sich noch darin sehen lassen können. Wie ist das möglich bei einem Schnitte, der den Bauch heraustreibt! Der castigatus venter der Jugend: da geht's noch an, läßt sich's zur Noth hinnehmen. Aber die Formen der Reife, der Ueberreife, der Fettigkeit – nun, ich frage, wer sieht es nicht hundertmal des Tages mit Ekel, wenn so ein vorgewölbter tuchüberspannter Bauch vor ihm aufschwillt! Man hätte erwartet, daß sie mit Schwert, Spieß, Ofengabel auszögen gegen den Verrätherschnitt, alle diese Verrathenen! Aber Gott behüte! Die Alten pfeifen wie die Jungen singen und ganz zufrieden und glücklich trägt die gedunsene Vettel ihre Trommel vor sich her über Straße, Zimmer und Parket des Salon. Es ist keine Schande, dick zu sein; wir sind keine Spartaner mehr, die einen dick gewordenen Mitbürger verbannten, aber wenn eine Dame diesen Umstand so accentuirt, wie es durch den jetzigen Kleidschnitt geschieht, darf sie sich über das derbe Wort nicht beschweren.
Es ist aus der Statistik der Prostitution bekannt, daß die verlorene Dirne einen Stolz darin sucht, von der Natur noch der Mutterschaft gewürdigt zu werden, ein Wunsch, womit nicht im Widerspruch steht, daß ihr die Beschwerlichkeit und das Entstellende in dieser Ehre nicht willkommen ist. Sie ergreift daher gern den Mittelweg, zu scheinen; sie legt auf pour deux mois, pour trois mois, nur natürlich nicht weiter. Das Spannen des Kleides über den Bauch erspart aber etwa das pour deux mois.
Es erhellt mit unerbittlicher Logik, daß diese Mode – und es hilft nichts, wir müssen deutsch reden – eine Hurenmode ist.
Weiter! Spannt das Kleid über den Bauch, so wird Hüfte, Schenkel und Schwellung gegen hinten in den Umrissen natürlich ganz anders aufgezeigt, als wenn ein Kleid in fließenden Falten fällt. Wir sind, versteht sich, nicht so absurd, zu verlangen, das Weib solle in ihrer Kleidung die schönen Linien verbergen, die schließlich mit seiner Geschlechtsbestimmung zusammenhängen; nicht so absurd, der Formenfreude zu zürnen, weil sie sich vom Reize nicht ganz trennen läßt; aber es sind Grenzen und hier sind sie zu Gunsten des groben Reizes überschritten. – Die Spannung bringt beim Sitzen zugleich gewisse Buchten mit sich, Schattenzüge in der Leistengegend auf beiden Seiten und nach der Schrittstelle hin convergirend – genug, genug – es ist so, daß der Anblick selbst einem Manne von nichts weniger als mädchenhaften Gesichtshautcapillargefäßen eine Schamröthe für das Weib austreiben kann, das so vor ihm dasitzen mag, daß er sein ganzes Gehirn vergeblich anstrengt, sich einen Begriff zu bilden, wie in aller Welt es möglich sei, sich so in Kleidern nackt vor das andere Geschlecht hinzupflanzen. Leicht lesen wir die entrüstete oder boshafte Gegenrede, die bei einem so starken Wort auf mancher Lippe schweben wird: »Dem Reinen ist Alles rein; ein sittsames Weib sieht und weiß das nicht, – es ist dein Blick, der das hineinträgt.« Wir werden die Antwort daraus nicht schuldig bleiben. Wir kennen das, wir wissen, wie sich die liebe Unschuld im Mitmachen unsauberer » Nouveautés« verhält, und können uns vorerst nur nicht unterbrechen lassen in Verfolgung des saubern Textes.
Besagte Expression ist auch durch die Behandlung einer anderweitigen Partie des Kleides gegeben. Das weibliche Knie ist etwas eingezogen; dies ist durch die Breite der Hüfte bedingt und die Breite der Hüfte durch die Geschlechtsbestimmung; daher gehört diese Einziehung zu den Intimitäten des Körpers, die ein gleichmäßig fallendes Gewand schamhaft verbirgt. Die jetzige Mode hebt sie im Gegentheil hervor, denn nachdem sie dem Kleid ein Stück weit unterhalb der Hüfte wieder so viel Luft gegeben hat, als zur Hebung des Oberbeins absolut unentbehrlich ist, verengt sie es um die Kniee. Von da aus geht denn nothwendig ein ausdrucksvoller Faltenzug aufwärts nach hinten zu und vermehrt kräftig die Hebung des Profils der ganzen Gegend, die sich nach dem Sitzmuskel hin erstreckt. Und so haben wir wol genug beisammen, um das Wort zu rechtfertigen: in Kleidern nackt. Empören wir damit eine Unschuld, so wäre sie vorläufig zu fragen, ob ihr unbekannt ist, daß weltfeine Damen jetzt statt des dichteren Unterrocks hirschlederne Hosen tragen, um alle Formen vom Gürtel bis zum Knie recht rein plastisch heraus und hinein zu modelliren. Es ist gleichgültig, ob wir das Leibchen noch hinzunehmen, wie man es bei großer Toilette öfters sieht oder wenigstens vor Kurzem noch gesehen hat, Panzerleibchen genannt, wenn wir nicht irren, – ein Ding, so pure und glattweg anliegend, daß man die Insassin schlechthin im Corset vor sich zu haben meint.
Also in Kleidern nackt. Warum nicht lieber ganz nackt? Nun, die Antwort ist nicht schwer: jenes ist pikanter, dies wäre unschuldiger.
Es ist dagewesen, wir wissen es ja. Der Classicismus der ersten Revolution, fortgesetzt in's erste Kaiserreich, hat das Kleid ebenso über die Hüfte gespannt, was damals auch mit der hohen Gürtung zusammenhieng. Man kann in diesem Vergleich zu Gunsten unseres Tagesgeschmacks anführen, daß wir die Kleider nicht so frech ausschneiden, wie es damals geschah. Wir kommen darauf zurück, für jetzt handelt es sich um den weit keckeren Naturalismus tagheller Zeichnung und Heraushebung der Gegend vom Gürtel ab zu den Knieen. Was soll aber die Berufung? Jener Zeit dient immerhin zu einem Grad von Entschuldigung, daß sie ganz naiv meinte, die genannte Form sei antik. Die Mutter der Gracchen, die Portia, die Octavia ist ja so gegangen, wie nachahmenswerth! Unsere archäologisch bewanderte Zeit weiß das besser, sie greift nach dem pikant Reizenden um seiner selbst willen. Und übrigens ist Berufung auf frühere Unform überhaupt keine Ausrede. Jene ist durch die Zeit überwunden, verurtheilt; das längst Gerichtete wieder aufnehmen ist etwas Anderes, als blind dem Gericht in die Hände laufen, Rückfall schlimmer, als Lasters Anfang. Und wollen Sie, meine ungnädige Schöne, eine Wette eingehen, wenn ich behaupte: kämen heut wieder die Aspasien der ersten Revolution und ihres Vorabends, schnitten das Kleid auf einer Seite von unten bis an's Knie auf, trügen Sandalen und keinen Tricot, man thät's ihnen eben auch nach!? Top!
Offener Busen und Rücken ist allerdings jetzt in den Ballsaal und die Festabendräume verwiesen, hat sich da immer behauptet und wird sich leider wol immer behaupten. Darum hier ein Wort über die eigentliche Entblößung. Noch einmal verwahren wir uns: nur ein Mucker kann zeternd eifern, die schönen Formen der weiblichen Gestalt seien geschaffen, um von Niemand gesehen zu werden. Das Weib darf sich freuen, durch den vergönnten Anblick des Naturkunstwerks ihrer Gestalt zu beglücken. Aber wen? Jedermann? Auf einem Ball und auch im Festsaal der ausgewähltesten Gesellschaft ist der Jedermann, den ich hier meine, sie sind da, die jungen und älteren Herren, die nicht mit reinem Bildhauerauge, sondern mit innerem (und im Hintergrund auch mit äußerem) Bocksgemäcker Ihre enthüllten Reize sehen, meine holde Sylphide! Und wären auch alle Tänzer und Salongäste idealgestimmte Skopas und Praxiteles, mögen Sie denn so vielen Bildhauern Modell stehen? Doch Sie werden so unerfahren nicht sein, nicht zu wissen, wie unsere liebe männliche Jugend jetzt im Café chantant sich bildet. Sie hängen aus wie den Wecken auf dem Laden das, womit Sie doch billig nur den Einen beglücken sollten, der Sie liebt und den Sie lieben; sind Sie so unschuldig, daß Ihr künftiger Bräutigam Sie nicht dauert, wenn er in der Brautnacht denken muß: o, ein gut Stück davon hat mancher Ladenschwengel und vornehme Schwenkfelder auch schon gesehen und hat nachher ohne Zweifel bei einer Nymphe aus jenen Regionen davon erzählt und gespaßt.
Während wir dies schreiben, gelangt aus der großen Welt in unsere Einsiedlerzelle eine Kunde stark fleischlichen Inhalts. Ein junger Mann, noch in tanzlustigen Jahren, doch schon gesetzterer Apoll, der diesen Winter in zwei größeren Städten Deutschlands Bälle der gewähltesten Gesellschaft besucht hat, thut uns zu wissen, daß heuer die Ballkronleuchter auf das denkbar Aeußerste von Entblößung herunterleuchten, ja daß man – ich frage noch einmal, ob es für das Schamlose ein schamhaftes Wort gibt? – daß man bei den Damen das Haar unter den Achseln gesehen habe; es gelte für Pflicht, so zu erscheinen, weil es vornehm sei, und für sehr bürgerlich, ein Aergerniß daran zu nehmen. Aber kein Glanz und kein Adel macht das Gemeine vornehm, und da eine vermeintliche Vorschrift des feinsten Tones zur Folge hat, daß auch das verblühte und überreife Weib seine Reize (?) bloslegt, so wird das Gemeine zum Ekelhaften, ja zum Schweinischen. Das gehört in den Schmutzwinkel der feilen Schande, nicht in ein Haus der Ehre.
Dies als kurze, nur also ganz bürgerliche Episode; ein Wörtchen jetzt von dem Aufputzsystem. Die Einziehung des Kleides am Knie wird zur schritthemmenden Fessel erst so recht durch die Zugabe der tunique nebst dem Geschlepp verschiedentlicher Besätze mit allerhand Namen: Fransen, Volants, Plissés und weiß der Himmel, was Alles. Ein kürzeres Ueberkleid wäre ja an sich ganz hübsch und möchte die schöne Trägerin mehr oder minder zur »Diana« vergöttlichen, nur vorausgesetzt, daß es fallende Faltenlinien des Hauptkleids nicht zu stark durch eine Querlinie bräche, sondern gefällig mit ihnen fiele. Davon geschieht ja aber nach dem jetzigen Princip das Gegentheil, dieser Halbrock läuft, die Einengung vermehrend, schmal über dem Knie hinüber und dann seitlich zur Hüfte hinauf, und so hat denn, die genannten Verzierungsanhängsel dazu genommen, das Knie ein hübsches Stück Arbeit, vorwärts zu dringen. Man muß die Kraft bewundern, womit die zarten Gestalten, mit diesem vielen Ornament umhängt, von all dem Gebimbel und Gezottel umschlenkert sich fortbewegen. »Sie scheint mit geschlossenen Füßen zu gehen« – armes Gretchen! Marschiren heißt hier in Knieschellen sich fortschieben, heißt sich durch ein Gestrüpp hindurcharbeiten, das man nicht im Wege findet, sondern mitbringt. O Rhythmus, o Musik eines schönen Ganges, wie willst du aufkommen gegen all den Salat! Während wir schreiben, scheint die Mode sich darin etwas bekehren zu wollen; allein noch immer will sie sich nicht zum Einfachsten, Besten entschließen, zum Princip der einfach fallenden Falten; sie thut es nicht anders, allerhand Gewurl muß diesem natürlichsten Gesetze in den Weg gedrückt werden. Will denn das Weib nicht einsehen, daß es das einfach lange Kleid ist, was ihrer Erscheinung das Ideale gibt, allein schon dadurch, daß es die Höhe des Wuchses vergrößert!
Drehen wir die Figur, so finden wir zu unserem Troste, daß der wie vom Wind aufgewirbelte Bausch jetzt verschwunden ist, der noch vor Kurzem einen Theil auszeichnete, den man nicht nennen soll und dessen ästhetischer Werth doch dem zarten Geschlechte sehr bewußt ist. Wir stimmen diesem Bewußtsein gerne zu und beharren muthig auf dem längst hingestellten Satze: keinen oder einen schlechten Hintern haben ist immer ein ästhetisches Unglück. Nur ganz begreiflich, daß daher ein Bestreben durch die Jahrhunderte geht, diesen Theil zu heben. Aber wie hat man's nun getrieben! So mit Fingern auf jene Stelle weisen, das geht denn doch über den Spaß. Die Natur, ja die erlaubt sich mitunter, dort ein Ornament anzubringen, daß man so recht hinsehen muß; sie setzt einigen Vierfüßlern und vielen Vögeln einen Prachtschwanz an, sie färbt einigen Affen zwei betreffende nackte Flächen schön zinnoberroth oder himmelblau, sie dreht dem Pinscher zwei niedliche gelbe Wirbelchen hin in Quittenform, aber Donnerwetter! muß ihr denn der Mensch, muß ihr gerade das Weib solche Witze nachmachen? Einmal habe ich Unglaubliches gesehen, und zwar an einem bildschönen Weib und in höllisch noblem Salon (ich mag gar nicht sagen, wie nobel, man könnte sonst meinen, ich wolle dick thun): da saß mitten in diesem Gebausch ein zierliches Röschen just auf – nun, ich frage, ob es ein schickliches Wort gibt, um fortzufahren! Ich frage, ob ein Mensch die Ideenassociation in sich unterdrücken kann, die – unter Anderem auch von den Gesetzen der Nachbarschaft und des Contrastes geleitet wird, – ei pfui Teufel!
So schnell scheint übrigens die eintretende Besinnung von diesem Vor- oder eigentlich Hinterposten nicht lassen zu wollen. Noch immer hat dortherum der anzügliche, fürwitzige, wunderfitzige Kobold Mode etwas zu nesteln und zu besteln, kann wie eigensinnige Kinder die Finger nicht davon lassen, will nicht begreifen, daß man dort lieber nichts thut, als nicht höchst taktvoll und behutsam. Meist wird jetzt ein herabhängender Luftbeutel, Luftsack angebracht, sogar ein doppelter, – säuberlich, aber nicht sehr appetitlich, obwohl nur decorativ.
Daß hier keine Kapuzinade geschrieben wird, soll nun durch die Liberalität bekräftigt werden, womit wir die Schleppe behandeln, soweit ein vernünftiger Gebrauch von ihr gemacht wird. Sie ist wirklich antik, ist festlich, sie hat Styl und das sichert ihr ein Recht auf Dasein trotz der Beschwerlichkeit für die Trägerin und ihre Umgebung. Aber sie gehört nicht auf die Straße, weil sie hier durch Staubaufwirbeln und Kothmitschleppen ihre Würde in Gemeinheit, ihre Pracht zum Aufwischlumpen verkehrt, sie soll sich für gewöhnlich auch nicht in Hausgesellschaft blähen, weil man da nicht vornehm thun soll auf Kosten der Behaglichkeit, sie gehört zur Repräsentation im Festsaal, sie ist feierliche Ausnahmeform.
Um eine Art Schleppe zu tragen, doch zugleich diesen Mißstand zu meiden, griff man vor einiger Zeit zu einer sonderbaren Auskunft, einer Form, die wir Schleppe-Rudiment nennen wollen. Es ist ein Convolut von Falten, das nicht ganz bis auf den Boden reicht und beim Gehen eine merkwürdige Rolle spielt: die linke Ferse schleudert diesen Faltenbüschel nach rechts, die rechte nach links: ein Gebaumel von widerlich lächerlichem Effect. So ist zu sagen, denn es gibt auch ein Lachen mit Aerger, mit Widerwillen. An der Erscheinung des Weibes macht ein curioses, spöttliches Anhängsel einen ganz anderen Eindruck, als an der des Mannes. Sieht diesem etwa die Rockschleife hinten über den Kragen heraus oder ein Lappen des Hosengurts zum Rock, ein Unterhosen-Bändel zu den Hosen, oder haben ihm muthwillige Buben einen Papierzopf angeheftet: man lacht eben einfach. Beim Weib aber sind wir auf Wohlgefälligkeit, auf Anmuth gefaßt, unser Gefühl weiß Plattkomisches mit dem Ganzen seiner Gestalt nicht zu reimen, eine Empfindung lästiger, peinlicher Art muß sich erzeugen, wenn diese Verbindung des Widersprechenden eintritt, also lachen mit saurem Gesicht muß man zu diesem Geschlenker, wenn man hinter einer Dame hergeht. Doch neuerdings ist gleichzeitig auch die wirkliche Schleppe wieder mehr aufgekommen, wird nun aber, um den Uebelstand des Straßenfegens zu vermeiden, mit Hülfe eines Hakens und einer Schnur im Gehen gehalten und getragen. Also eine Zierde, von der das Weib in all den Stunden, wo es auf der Straße sich bewegt, nicht die Zierde, wohl aber die Last genießt! Es wird wohl auch noch Mode werden, ein Stück Kleid auf einem Kinderwägelchen hinter sich herzuführen! Wohl, wenn das heute von Paris diktirt wird, es findet sicher dienstwillig gehorsamste Nachahmung. Vielleicht kommt dann auch auf, daß der Mann, während er in Schuhen geht, ein paar Kanonenstiefel in der Hand mit sich herumträgt; wäre auch nett und würde beim biederen Deutschen, wenn der lustige Franzos es vorschriebe, nicht minder Nachfolge finden.
Es sei vergönnt, jetzt nach den Füßchen zu sehen. Das Stöckel hat sich erhalten, seit wir zum letzten Mal kritisch gefrevelt haben. Verständlich: der hohe Absatz verstärkt eine Linie, die unzweifelhaft schön ist. Häufiger als beim männlichen findet man beim weiblichen Fuß den schwungvoll gehobenen, also hohl stehenden Rist (süddeutsch: Reien). Diese Wölbung weist auf elastischen Gang, auf Anlage zu rhythmischer Bewegung, zu schwebendem Tanz. Das häßliche Gegentheil ist Plattfuß. Aber ist es denn nicht besser, wenn die organische Wohlbildung sich geltend macht ohne die lügnerische, übertreibende Nachhülfe mit all ihren Beschwerden und Gefährden? Wir müßten durch Wiederholung ermüden, wenn wir diesmal wieder darauf eingehen sollten; es sei daher zum längst Gesagten nur gefügt: längeres Tragen von Stöckelschuhen macht Affenbeine. Wir sind bereit, dies mechanisch, statisch, anatomisch, physiologisch des Näheren zu erhärten, falls nicht der correcte Schluß von selbst einleuchtet: der starke Absatz stellt die Ferse höher, als den Vorderfuß, stellt also das Schienbein schief und nöthigt so das Kniegelenk, mit dem Oberschenkel einen stumpfen Winkel zu bilden, und mit der Zeit wird diese Stellung zur bleibenden werden. So aber hängt das Affenknie vor, da es bei diesem Thier eben nicht zum Menschen, nicht zum ganz aufrechten Stand und Gang gereicht hat.
Springen wir nun kühnen Auges von der Basis zum Gipfel! Es wird auch hier etwas besser, der Haarthurm, im Hauptstück bestehend aus dem Ungeziefernest, Chignon genannt, scheint schwinden zu wollen. Sich höher zu machen, als man gewachsen, ist in Mann und Weib ein natürlicher Trieb. Was stecken die Wilden alles auf den Kopf! Man kennt auch die Mitren des Orients, Bischofs- und Papstmützen, die spitzhohen Pelzkappen der heutigen Perser und die Grenadiermützen. Lotze im »Mikrokosmos« hat feine Anmerkungen darüber wie über das ganze Gebiet; er zeigt, wie der Mensch in solche Erweiterungen seiner Persönlichkeit sich wirklich, wesenhaft fortgesetzt glaubt, als seien sie ein Stück von ihm. Die weibliche Mode hat in verschiedenen Jahrhunderten durch hohe Frisur, hochragende gesteifte röhren- und radförmige Hauben von diesem psychischen Naturgesetze Act genommen, man wolle nur in einem Trachtenbuch z. B. den sogenannten Hennin Schief nach hinten fast ellenhoch aufragender zuckerhutartiger Kopfputz des 14. und 15. Jahrhunderts. Rest davon noch in der Normandie. nachschlagen. Nun ist das aber denn doch ein gefährliches Spiel. Die Regierungsform der Mode ist bekanntlich die absolute. Ihre Ukasse nach der Individualität modificiren ist keine leichte Sache und setzt drei Dinge voraus: Erstens Willen; was das heißen soll, kann man sich ungefähr denken, näheres Eingehen verschieben wir auf eine andere Stelle. Zweitens Bewußtsein der Individualität, d. h. ein Wissen von der eigenen Gestalt wie sie eigentlich ist, und solches Wissen ist bei der unendlichen Mehrheit auf das Allergröbste beschränkt, die Meisten kennen ja nur die abstracten Kategorien: groß, klein, dick, schlank und so viel als Null von den Proportionen im Einzelnen. Drittens Geschmack; es versteht sich, daß er das Zweite in sich begreift oder voraussetzt, aber er enthält mehr, als diese Selbstkenntniß, er entscheidet, was nun geschehen soll, die Bekleidungsformen mit der Form, welche die Natur dem Individuum gegeben, in Einklang zu bringen. Er ist ein höchst schwieriger Begriff und wir müssen darauf zurückkommen; vorerst mag ein und das andere Bild diesem mühsamen Geschäfte vorarbeiten. Man konnte in der soeben verschwindenden Blüthezeit der Kopfaufthürmung einer dünnen Person mit langem dürrem Hals und sehr kleinem Kopfe begegnen, einem Wesen, dem alle Geister des Wohlverhältnisses zurufen mußten: setze doch oben etwas in der Breite zu, damit der besenreisartigen Verticularen und ihrem tüpfeligen Schluß, dem armen Pünktchen Kopf eine Gegenwirkung geschaffen werde! Fällt ihr nicht ein! Sie treibt die dünne Senkrechte höher und höher, dem Pünktchen Kopf wird ein Haarobelisk aufgeklebt, hoch auf diesem sitzt wieder ein Pünktchen, das mikroskopische Hütchen, und so geht denn ein langes Ý, unten am Schaft mit etwas Arabesken, in den Straßen um. Oder dort in der Colonnade läuft mir ein längst verblühtes Weib in Sicht, auch mit sehr langem Hals, der aber auf groben Schultern vorgestreckt ragt, einer schief ausgezogenen getrockneten Gansgurgel ähnlich, darauf sitzt ein Kopf mit langem spitzem Kinn, zurückgeworfen, das Hinterhaupt groß und lang, dies nun mit dem langen Hals einen stumpfen Winkel bildend, und auf dem Hinterkopf weit draußen über Gelock und allerhand Gefetz und Geklunker das spöttlich kleine Hütchen mit Federn, Blumen, Maschen, weiß der Henker was Allem: ganz als trüge man auf langer schiefgehaltener Stange schief übergelegt irgendwelche Narrengabe für ein altstädtisches Handwerkerfest, etwa eine mit allerhand Kraut, Binsen, Grasbüscheln verzierte geräucherte Rindszunge oder Popanzfratze durch die Straßen. Was treibt der Mensch Alles, um sein organisches Gebilde unter seine Menschenehre, nicht nur in's Thierische, sondern in die Region des Mechanischen, Vegetabilischen, humoristischer Artefacte hinabzudrücken!
Die eingetretene Wendung zum Bessern ist nicht so weit gediehen und wird wol nicht so weit gedeihen, Einfälle zu unterdrücken, wie in der Haarbehandlung die »Simpelfransen«. So nennt man bei uns den Kranz der kurz und meistens gerad abgeschnittenen Locken auf der Stirne. Eine allgemeinere Betrachtung, die sich allerdings ebenso gut an irgend eine andere Marotte knüpfen ließe, mag an diese Häkchen oder Borsten gehängt werden.
Das Weib – will hier sagen, das Mädchen – ist in einer übeln Lage, das muß man billig bedenken. Sie will einen Mann, das ist doch wahrhaftig in Ordnung, ist Naturordnung und sittliche Ordnung. Werben darf sie nicht. Sie muß sich finden lassen. Ob einer, ob der Rechte sie findet, wer kann es wissen? Diese Ungewißheit, diese Abhängigkeit vom Zufall, der doch über ein ganzes Lebensschicksal entscheiden soll, trägt einen Zustand der Fraglichkeit, daher nothwendig der Unruhe, der Aufregung in's weibliche Leben, vollends in den Jahren, wo es hohe Zeit ist. Allein auch im Lenz des Lebens – man muß doch etwas thun, um sich leichter finden zu lassen, muß doch dem dummen Zufall etwas nachhelfen. Ganz und gar nicht zu verargen ist's, wenn der Gedanke sich dahin erweitert: und wie nett wär's, wenn mich Viele fänden! wenn ich nur so wählen dürfte nach Lust und die Uebrigen so ein bischen zwicken und zerren! Merkwürdig nur, daß zu genannter Nachhülfe nie und nimmer die Schönheit als genügend gilt. Und gienge es aus ihre Kosten, der Putz muß es thun! Genug, es ist nur ganz natürlich, daß also eines der findungwünschenden Wesen etwa denkt: halt, ich mache meinen Kopf höher, da noch eine Masche, hier ein Band angenadelt, dort einen Lockenhügel erhöht, auf den Hut noch dies Bouquet: da rage ich hervor, so findet man mich leichter. Das sieht eine Zweite und denkt: das kann ich auch und besser, treibt's um einen Zoll und etliche Besätze weiter, die Dritte noch mehr und der Teufel ist los. In der That, die Wuth des Ueberbietens im Mannfang (– das Wort ist nicht so übel gemeint, als es scheint, wir wissen nur kein anderes, das nicht zu lang wäre für den Sinn: Anstaltensystem, sich finden zu lassen –), sie ist vielleicht der stärkste unter den Holzbränden, die den Wahnsinn der Mode, ihres hirnlosen Wechsels, ihrer furiösen Neigungen, ihres wüthenden Verzerrens zur Siedhitze schüren. Goethe sagt, die Weiber putzen sich noch mehr für einander, als für die Männer. Aber was in diesem Satz unterschieden wird, kommt logisch auf ein Causalverhältniß hinaus: die Weiber putzen sich ursprünglich für die Männer, darüber gerathen sie in einen Wettstreit, welche sich besser putzen könne zu diesem Zweck; und so kommt es zu einem entbrannten Kriege der Eifersucht in der Putzkunst zwischen Weib und Weib, einer Fehde, in welcher mindestens ebenso viel Leidenschaft, ja Haß und Wuth auflodert oder stille glüht, als in der directen Jagd des Mannfangs. So nun wird einmal ein liebes Kind gedacht haben: mir fällt was Neues ein, darauf ist noch keine gekommen, ich lasse mir eine Zeile von Locken auf die Stirn hereinfallen. Vielleicht hatte sie antike Büsten, Statuen, pompejanische Gemälde gesehen und wußte, daß die Frauen des Alterthums es gerne so hielten; sie vergaß nur, daß man damals keine Damenhüte trug und daß, was zu freiem Haupte paßt, nicht auch mit diesem Deckel sich vereinigen läßt; oder sie kannte van Dyks Porträt der Gemahlin Karls I., deren weißer Stirne diese spielende Beschattung so lieblich ansteht, und übersah nur auch hier, daß der Kopf unbedeckt ist. Es gibt gewisse naturfreie Formen, die mit Zuthaten, wie sie die moderne Putzmacherin schneidert, schlechterdings nicht stimmen, und dazu gehört das Hereinwallen der Haare über die Stirne. Von den Alten weiß man, daß ihr Schönheitsbegriff ein Vorherrschen der Stirne über die anderen Theile des Angesichts ausschloß, daher liebten sie auch diese Haartracht. Man weiß aber auch, daß das Ganze ihrer Kleidung auf freien Fluß der Formen gieng: wie die Falten, so durften auch die Locken fallen; auch nach dieser Seite stimmt doch ein solches Motiv mit dem modernen weiblichen Modesystem nicht zusammen wie mit dem antiken. – Genug, besagte Schöne kam auf den Gedanken der stirnumkränzenden Löckchen und sagte sich vor dem Spiegel: es sieht so halb träumerisch, halb wild, eben gar so nett bubig aus, ist lang nicht dagewesen, o, das muß wirken! Dem ist doch kaum zu widerstehen! Sie macht's noch gnädig, beläßt es bei einer Löckchenreihe, worunter die Stirne noch aufkommen kann. Sie zeigt sich, eine Zweite sieht's und denkt: o, so? Das kann unser Eins auch! Bubig? Ich mach's noch bubiger! Und sie läßt sich nicht Locken, sondern straffe Borsten oder einen weichselzöpfischen Haarwald auf die Stirne hängen, die Dritte macht den Ueberhang noch dichter und länger, der Vierten fällt nicht ein, daß sie eine sehr niedrige Stirne hat und sich mit dieser Verdunklung vollends ganz zum Bild eines Simpels, Fexen, Trottels, Daggels macht, und so steht denn der Kretinismus in Blüthe, der Blödsinn, das Schönste am Menschenantlitz, den Tempel des Gedankens mit Haar zu verfinstern, ist Mode.
Vom Hut noch ein Wörtchen. Es ist jetzt statt des Deckelchens, das aus dem Haar-Chimborasso schwebte, ein etwas ansehnlicherer Hut aufgekommen, neuestens sieht man ab und zu sogar einen sogenannten Rembrandt-Hut, was ja ganz hübsch ist, nur daß der flach abstehende Theil der Krempe etwas breiter sein dürfte; was aber in den letzten Jahren herrschte, war ein etwas verkleinerter Tiroler Hut mit verjüngter (wie man ungenau sagt: zugespitzter) Kopfform. Für unseren Menschenschlag eine unglückliche Wahl! Es muß hier ein Satz begründet werden, den wir nachher bei den Männern sehr wieder brauchen. Linien, Profile unorganischer Formen, am organisch Lebendigen angebracht, setzen unter gewissen Kombinationen die Phantasie des Betrachters in Bewegung, so daß sie die Linie unwillkürlich über ihr Ende hinaus noch weiter fortführt. Die Täuschung ist eine vollständige, wir meinen, die Form so zu sehen. Nun denke man sich einen breiten Kopf, und solcher ist im deutschen Volke der weitaus vorherrschende, auch im weiblichen Geschlecht, bei welchem überhaupt starke Backenknochen zu Hause sind. Auf diesem Kopfe sitzt ein Hut von konischer (nach oben verjüngter) Form; zwei schräge Linien laufen also über den Kopf herunter und brechen in Kurzem ab. Das Auge des Anblickenden setzt diese Linien parallel dem Gesichte um Einiges fort. Nun ist aber dieser Hut nicht ein leerer Körper, sondern ein Menschenkopf steckt in seiner Höhle, daraus folgt, daß es dem Auge vorkommt, die weitergeführten schrägen, in der Schräge sich erweiternden Linien seien noch immer vom Gesicht ausgefüllt, die Backen wachsen in diese Linien hinein. Also macht ein zugespitzter Hut, daß das Gesicht viel breiter erscheint, als es ist. Es ergibt sich, daß verjüngte Form der Kopfbedeckung nur in einem Volke angeht, wo schmales Gesicht, länglicher Kopf vorherrscht. Man hat es gesehen, als unsere Soldaten noch das konische (etwa auch vorgestürzte) Käpi trugen. Was den Franzosen ganz hübsch steht, sah bei unsern Breitköpfen aus wie ein Fingerhut auf einem Simrischaff. Dem italienischen Bauern, dem Tiroler von rhätischem Stamme steht der Spitzhut, deutscher Bauernschädel erscheint unter ihm wie ein grobdicker Rübenkopf auf die breite Basis gestellt, so daß der Schwanz nach oben steht. Umgekehrt wirkt ein Hut mit etwas nach oben ausgeladener Kopfform, der Augenschein führt die gegebene Linie hier in einwärts laufender Richtung über ihre Grenze nach unten fort und so wird vom breiten Gesicht auf beiden Seiten ein Stück abgeschnitten: die richtige Tracht also für tête quarré. Doch einfach cylindrischer Hutkopf thut es auch, nur, versteht sich, darf er nicht sehr hoch sein; Volkstrachten böten sehr hübsche Motive; so tragen die Weiber in der Ramsau ein schwarzes Hütchen mit niedriger, unverjüngter Kopfform und etwa wenig über drei Zoll breiter Krempe; eine Goldborte faßt jene ein und fällt mit ein paar Quasten auf diese. Das Gold führt auf einen Punkt, der besprochen sein will; davon nachher. Auch ein Baret, ein diademartig über der Stirne steigender und umlaufender Aufsatz von Sammt oder dergleichen, wie die ungarische Parta, stünde ja trefflich. Der Mailänder Schleier sei nicht vergessen, der eine so wahrhaft noble Reminiscenz antiker Tracht enthält. Dies Alles liegt aber nicht im Zuge der Zeit und im Charakter der Mode. Beliebt sind außer dem Hut allerhand unbestimmte Formen, haubenartige Deckelchen, welche unter mancherlei Aufputz in's Unerkennbare verschwimmen.
Zu diesem Aufputz gehören nun vor Allem gemachte Blumen. Die Uebertreibungshetze hat solche auch in Früchte, Beeren, Birnen, Aepfel, Orangen, ja in ganze Vögel hineingesteigert: wir sehen Pomona und Diana zugleich als Vogelstellerin. Caricaturblätter haben sich natürlich der Sache bemächtigt; ein paar Kotelettes, ein Lock Sauerkraut mit Blutwurst, kleinem Schinken, pommerischer Gänsebrust müßte auch nicht übel lassen. Spaß beiseite! wir müssen uns zu der schweren Ketzerei bekennen, daß wir gemachte Blumen überhaupt verwerfen. Daß Blumen dem Weibe gut stehen, wer wollte das bezweifeln! Gleiches zu Gleichem; ist ja das Weib selbst eine Blume, ich meine das nicht als verbrauchtes Compliment, sondern in ehrlichem botanischem Sinn. Das Uebel ist nur, daß die natürliche Blume zum Schmuck über eine Viertelstunde sich nicht verwenden läßt, und so liegt es nahe, daß zu der gemachten gegriffen wird. Aber gemachte Blumen sehen immer papierig aus, unsolid, verlogen und ihre Herrschaft im modernen weiblichen Putze ist allein schon Ursache der vollendeten Styllosigkeit unserer Mode. Der ächte Prüfstein hiefür sind Mädchen aus dem Volke, will sagen einfache Bürgerkinder, Landmädchen, die in unseren Städten dienen, ich rede von Unverdorbenen. Ehe die letzten etwa vier oder fünf Jahrzehnte alle Stände nivellirten, ehe man der Kellnerin Fräulein rief und der Soldat die Magd am Brunnen so anredete, trug die Bürgertochter mit dem Gefühl der Ehre in der Bescheidung, das ihren Stand zierte, ihren überlieferten Kopfschmuck, Rieglhäubchen, Linzer, Ulmer, Frankfurter Hauben und andere. Man sehe hin, ob sie nicht im leichten Modehütchen mit Blumen einer verdächtigen Dirne gleich sieht! denn unwillkürlich tragen wir den Begriff des Unsoliden, der zunächst nur schlicht buchstäblichen Sinn hat, in symbolisch sittlichem auf die Persönlichkeit über. »Das macht das grobe Gesicht, machen die groben Formen der ganzen Erscheinung, der Widerspruch des Leichten und Derben,« wird man sagen. Wohl, ja, aber die feine Erscheinung wird darum noch nicht schön durch dies Geflunker, sie stellt nur keinen Widerspruch dar, sie wird eben als Ganzes zu einem saftlos eleganten, knitterigen Wesen. Zu den gemachten Blumen trägt sie außer den Besätzen am Kleid, Spitzen, gefalteten Säumen an Hals, Arm nun also noch am Kopf, an der Kopfbedeckung allerhand indefinibles Geflock, Schleierchen, Vorhängchen, Schleifen, Maschen, Florflügelchen, und wer kann aufzählen, was Alles für namenlosen Anflug und Anhauch. Die Losung ist: erscheinen wir sanft wie Nebel, leicht wie der Mond aus gestaltlosen Wölkchen flimmernd, schwebend, traumhaft, kurz erscheinen wir als Feen! Dies nun ist vollendete Verrichtung auf allen Styl, denn Styl ist klar, gibt dem Auge klare Bahnen und Grenzen, Styl ist fest, ganz und bestimmt. Und dies führt auf die edeln Metalle zurück. Ich habe eine Jacke gesehen, die ein Reisender aus Island mitgebracht hat: dunkelgrüner Sammt, ein Theil der Nähte mit schmalen Goldborten besetzt, dazu goldene Knöpfchen von Filigranarbeit. Das hat Styl, das ist nobel und dagegen ist all jenes Geflitter und Geflatter von unbestimmten Formen nichts als ein ärmlicher Kehricht von abgefegten Spinnweben. Nicht auf dem Theater muß man Solches, muß man die wahre Pracht der guten Trachten sehen, auch nicht auf Maskenbällen, denn da ist das Meiste unächt und fühlt das Auge im ersten Blick zugleich die Flüchtigkeit der Arbeit, aber auf Festzügen wohlhabender Städte wie im letzten Sommer bei der Münsterjubiläumsfeier in Ulm, wo alle Anzüge solid waren und der Gold- und Silberschmuck nicht falsch, da kann man seine Freude erleben. Die Mädchen leuchteten in Schönheit. Wenn das Weib wüßte, was es verschmäht, indem es von der Mode den schlechten Rath annimmt, auf so gediegene Mittel der Hebung seiner Anmuth und Wohlgestalt und Gesundheitsblüthe zu verzichten!
Freilich ist leicht einzusehen, warum die Mode dies gediegene Schöne ausschließt. Man kann nicht Gewänder mit dem edlen Schmucke ächten, kostbaren Metalls tragen, wenn mindestens alle Jahre gewechselt sein muß. Die Kindersucht des Neuen ist der Untergang jeder besten Form. Man hat heute das Richtige gefunden, das einfach Wohlkleidende oder solid Glänzende, morgen muß es zum Teufel fahren, denn Neues muß her, Gold und Silber aber mag auch der Reichste nicht nach kurzem Gebrauch zum Plunder werfen.
Stellen wir uns noch einmal die Figur vor Augen, wie sie aus einigen Hauptstücken – auf Alles einzugehen, wäre denn doch der Mühe nicht werth – sich uns zusammengesetzt hat; halten wir fest daß die Ausartungen, die wir geschildert, doch in den wichtigsten Theilen noch bestehen, daß das Bessere in einigen noch ohne Consequenz auftaucht, daß wir also kein Unrecht thun, wenn wir das Bild in der Consequenz seines Charakters belassen; nehmen wir ferner an, es stehe eine Tochter vor uns, deren Eltern noch leben: so müßten wir doch keine Menschen sein, wenn sich uns nicht die Frage den Hals herauf und über die Lippen drängte: warum duldet denn aber die Mutter das ebenso abgeschmackte als freche Gefratz? Warum rupft sie der jungen Gans nicht den Bauchspanner und Kniewetzer mit dem Gansfuttersalat, der drum und dran hängt, den Podexbausch oder Beutel, die Affenstöckelschuhe, das wolkenumfetzte Kopfdolomiten-Gebirg, die Trottelstirnhaarpinsel: warum rupft sie ihr nicht dies Alles vom Leibe und schmeißt's in's Feuer?
Was? Sie? Die alte Gans spannt sich ja selbst den Kleidstoff über den Leib, daß sie aussieht, als wollte sie ihren alten Genserich noch mit Quillingen beglücken!
Aber er, der Genserich, warum thut er es nicht und warum nicht beiden?
Der? Woher soll er das Urtheil bringen zu solchem Richteract, da er für die eigene Erscheinung keines hat? Seht hin! Trägt er nicht ein schwarzes Bienenstöckchen auf seinem Kartoffelkopf, rasirt er sich nicht den Schnurrbart und läßt er sich nicht am vorgeschobenen Unterkiefer den Vollbart wachsen, daß man meint, man sehe eine Galerie an einem Thurm herausragen, wo die Zinkenisten drauf abblasen können? O, nur hinauf! Muß nett sein, wenn die Posaunenzinken so über die Unterlippenbalustrade auf- und niedergehen! Und trägt er nicht seine zwei Taillenknöpfe drei Zoll tief unter dem Kreuz, daß der Mitchrist, der hinter ihm geht, sein Sitzcapitel noch zum Oberleib rechnen muß? Ei, so laß sie dir doch lieber noch ein paar Schuh tief in die Erde graben, Esel!
Wir sind unversehens zum Mann herübergekommen und gedenken, unsere Sünden gegen das schöne Geschlecht durch unsere Unparteilichkeit gegen das starke gut zu machen.
Vor etwa drei Jahren sahen wir einen langen Jüngling auf der Königsstraße uns entgegenwallen, dem etwas wie eine Glocke oder Waschschüssel um die Knötchen schlampte. Wird wol ein Mexikaner sein, dachten wir, denn die Spanier drüben in Amerika tragen ja längst dies non plus ultra der Tulpenhose. Bald aber sah man einen Zweiten, Dritten, Vierten und die absurde Mißform war Mode. Das specifisch Schöne am Bein, die feine Reduction seines Umfangs am Fußgelenk: gerade an diese Stelle eine plötzliche Ausweitung des Beinkleides verlegen – sollte man es für möglich halten? Wir haben längst, im Seufzer von 1859, zugegeben, daß phantastische Abweichungen von der organischen Form, die doch ein für allemal der Kleidung ihr Grundgesetz gibt, immerhin erträglich sind, wenn starke Farben, Verschnürung, Besetzung mit Metallknöpfchen und dergleichen das Auge nach dem malerischen Gesichtspunkt ablenken; das fällt ja aber ganz hinweg bei der jetzigen Herrschaft dunkeltrüber Farben. Schon bisher konnten wir die Frage nach dem Geschmacksgrade des Einzelnen nicht ganz von der Besprechung des Allgemeinen, der herrschenden Mode, trennen, oder, um ehrlich zu sein, wir haben beide doch verschiedenen Fragen durcheinandergeworfen, wir denken uns darin zu bessern, vorerst sei es drum und mag hier gleich erwähnt werden, wie oft man geschmacklose, widersinnige Narren sieht, die, von der Natur mit Schneiderbeinen, d. h. einwärts gedrückten Knieen gesegnet, dazu ganz enge Hose mit dieser Terrine am untern Ende tragen, als ritte sie der Teufel, ihre Mißbildung noch recht über ihre Grenzen zu treiben. Warum, im Namen aller guten Geister der Wohlgestalt, warum kann das Mannsvolk nicht bei den einfach richtigen mäßig weiten Hosen verharren, die der Dürre noch etwas erweitern, der Elephantenfüßler noch etwas verengen kann?
Es ist vorhin etwas von einem Bienenkorb gesagt. Vor bald vier Jahren sah ich ein Ding an den Schaufenstern der Hutmacher stehen, dem besagter Name zu geben ist: glanzloser Filzhut mit ganz schmaler Krempe, die Kopfform oben gewölbt, zugleich von unten auf verjüngt. Daneben neue Gestalt des Glanzhutes, sogenannten Schlossers: hoch, theils reiner Cylinder, theils ebenfalls etwas zugespitzt, Krempe auch sehr schmal und seitlich nicht aufgebogen, sondern gleich flach umlaufend. Das ist also auf dem neuesten Hutmachercongreß decretirt, dachte ich, wird aber doch hoffentlich nicht acceptirt. Thörichte Hoffnung! Kurz darauf läuft mir ein Phänomen in den Weg, bei dessen Anblick ich denken mußte: hat der Mensch seinen Kopf auf, umgekehrt, schwarz, ein kleines Komma (das Krempchen) zwischen Kopf a und Kopf b. Der Jüngling hatte doch wenigstens nur mittelbreites Gesicht, bald aber stieg ein Mann daher mit dickem, großem, katerhaft breitbackenknochigem, rothem Kopf, auf dem die schwarze Eierschaalenhälfte saß wie ein Lampenlöschhelmchen auf einer Feuersbrunst oder Kinderhäubchen auf Elephantenschädel. Warum der Kopf noch sechsmal dicker aussah, als er war, das ist im Obigen wissenschaftlich begründet und ich verweise hier auf jene Demonstration zurück. Ein dritter, ditto Dickkopf, trug den Glanzcylinder in geschilderter Form. Von diesem Gebilde, nämlich in solcher Façon, haben wir schon vor neunzehnthalb Jahren behauptet, daß es kein Gesicht geben kann, das unter ihm nicht albern, insipid erscheint; denn es nähert sich streng geometrischer Form und die menschliche Gestalt als organisch lebendige, bewegte und beseelte duldet der Art nichts an sich, sie wird unter sich selbst herabgestoßen, wenn es ihr aufgestülpt wird. Es war von einer andern Hutgattung die Rede, als wir im Obigen einfach cylindrische Kopfform für ganz thunlich hielten: vom weichen Hut mit breiter Krempe, deren seitliche Aufbiegung der trockenen Regel durch Fluß der Bewegung aufhilft. Gelegentlich gesagt: aus genanntem Grunde meldet sich jeder als Philister dem ersten Blick schon an, der seinen Hut ganz gerad aufhat, während freilich stark schiefes Aufsetzen den Träger allerdings sogleich, als Schwenkfelder, als Windbeutel signalisirt. Man sieht auch in diesem Punkt Erstaunliches. Da geht einer mit einem Gurkenkopf, – sein Gesicht bildet die innere Curve dieser Frucht, da Oberstirn und Kinn hervorragen; drückt sich der Mensch noch den Hut vornüber und macht so sein Menschenhaupt erst noch recht zur Kukumer! Schwer habe ich immer begriffen, wie es selbst bei würdigen Männern vorkommen kann, daß sie sich angewöhnen, den Hut tief zurück auf den Hinterkopf zu setzen. Junge Franzosen, auch Italiener thun es gern, um der Stirne Kühlung zu gönnen, doch nur im Wirthshaus, denn sie sind sich wohl bewußt, daß es ein halb blödes, halb liederliches, an versoffene Musikanten erinnerndes Aussehen gibt, daher es in Caricaturbildern oft vorkommt. Merkwürdig, daß so Mancher, dem es an Geschmack und Auffassung von Kunst- und Dichtungsschönheit nicht fehlt, durchaus keine Vorstellung hat, wie er selbst aussieht und wie er sich kleiden muß, um nicht lächerlich zu erscheinen. – Aber auf regelrecht mathematische Form zurückzukommen: warum nicht lieber auch ein geometrisches Viereck? Etwa Schublade mit gutem Futter, damit sie ordentlich sitzt? Wäre sehr passend zum Complimentenmachen, man dürfte sie nur an der Handhabe fassen! O, es kommt auch noch!
Der Hutmachercongreß (in Leipzig, Offenbach oder wo die Kerle tagen) hatte also gesiegt. Ich heiße sie Kerle, das ist noch höflich, denn ich habe einen Satz aufzustellen, wovon keine Maus keinen Faden beißt. Unter allen Caricaturenschöpfern, die für Bekleidung unseres armen irdischen Leibes sorgen, sind die Hutmacher die ärgsten, sie sind Ungeheuer.
Ich schreite pflichtgemäß zum Beweise. Obersatz ( major): wer dem Individuum nicht erlauben will, Individuum zu sein, bestreitet ein wesentliches Grundrecht des Menschen, stößt hierdurch sich selbst aus der Menschheit aus, ist Unmensch, Ungeheuer. Unter- oder Mittelsatz ( minor): nun wollen aber die Hutmacher dem Individuum nicht erlauben, Individuum zu sein. Schlußsatz ( conclusio): Also sind die Hutmacher Ungeheuer. Erläuterung des minor. Nicht zwei Individuen sind an Proportionen des Körpers, Kopfform und Verhältniß der Kopfform zu diesen Proportionen einander gleich, daraus folgt unerbittlich, daß auch nicht zwei Individuen dieselbe Hutform tragen können. Der Hutmacher weiß nur von Modeschablonen, will dem Kurzen, Dicken, Kurzhalsigen, Rundköpfigen dieselbe Form aufstülpen wie dem Langen, Hagern, Langhalsigen, Schmalköpfigen. Damit ist noch unendlich wenig gesagt, das sind erst nur sehr abstracte Unterscheidungen; es finden ja unendliche Mischungen statt. Einer ist z. B. sehr groß, dabei stark, breitschulterig, hat aber sehr kurzen Hals und sehr kleinen Kopf, der Hutmacher ist fähig, ihm ein winziges Deckelchen von weichem Filz mit schmalem Rand auf sein Kopfkügelchen zu schieben und macht so den Menschen zu einer großen, langen, dicken Grundbirne mit einem Wärzchen. Wer nun von Verhältnissen weiß und ihnen adäquat seine Kopfbedeckung bestimmen will, findet natürlich einen ihm passenden Hut niemals vorräthig, er wird also dem Hutmacher Form und Maße angeben, aufschreiben, womöglich auch vorzeichnen. Ein Centimeter, ½, ¼, eine Linie, das Minimum einer Einziehung, Aufbiegung verändert ja radical den ganzen Charakter der Erscheinung eines Individuums, stempelt sie zu einer vernünftigen oder kameelartigen, vertrakten, dummlustigen, blöden, affectirten und so in infinitum. Bei dieser Unterweisung wird ihn der Hutmacher anblinzen, anstarren wie einen Verrückten, denn er selbst weiß und ahnt von Verhältnissen ja Null. Mit Ach und Krach verspricht er endlich, zu gehorchen. Zuerst kommt oder schickt man nun einigemal an den Tagen, auf die er zugesagt hat; der Hut ist nicht fertig. Endlich erscheint der große Moment und ein Hut, woran auch nicht ein Haar dem bestellten gleicht. Jetzt bricht dem Besteller die Geduld, er wird bös und der Hutmacher grob wie Bohnenstroh, die mühsam bis dahin verborgene innere Unmenschlichkeit kommt nackt zum Vorschein. Die Hutmacher sind darum die Aergsten, weil sie unter allen Bekleidungskünstlern am meisten auf die besondern Formen des Einzelnen achten sollten und gerade sie am allerwenigsten diese Pflicht anerkennen. Gibt man ihnen einen Hut als Muster, das sie nur copiren dürfen – nichts, erst recht nichts wird eingehalten. Der unglückliche Verfasser hatte einmal mit unendlichen Mühen einen richtigen Hut aus München erhalten, wollte in Zürich eine Reise antreten, der Hut bedurfte Reparatur, er zeigte ihn einem Hutmacher, schärfte auf Tod und Leben ein, nichts an der Form zu verändern, bekam sein Eigenthum in ein Spottdeckelchen verwandelt zurück und auf die mäßige Bemerkung: »ich spiele auf keinem Hunde- und Affentheater« wurde der Huter und sein im Laden sitzendes Weib so grob, daß nur noch Thätlichkeiten fehlten. Und auf die Reise hatte nun der Arme keinen Hut – baarhäuptiger König Lear in Sturm und Regen, der den Grafen Gloster um seinen Kopfschmuck beneidet!
Natürlich trägt das Publikum selbst die Schuld dieser totalen Verwilderung, Entmenschung der Hutkünstler. Sie sind, wie die Kunden sie wollen. Wie viele Hutkäufer mögen es denn sein, in deren Gehirn so viel Lichtschimmer eingeht, daß sie auch nur ahnen, ein Hut müsse im Verhältniß zum Ganzen des Körpers stehen? Sie sehen ihn an, wie er als getrenntes Object in der Auslage hängt, und danach urtheilen sie, sie probiren etwa auch vor dem Spiegel auf, aber was sieht, wer kein Auge hat?
Zum Glück hat der glanzlose, mittelweiche, breitkrempige Filzhut sein Dasein noch zu fristen vermocht. Er läßt sich nach der Individualität sehr vielfach modificiren: eine Tugend, die ihm freilich von der unendlichen Mehrzahl mit Undank belohnt wird. Gleich umlaufende, seitlich nicht aufgebogene Krempe z. B. ist nur bei einem schmalen, geistreichen Gesicht und lockigem Haar zum Ansehen, Allen und Jeden, der dicke Schläfen und Backen, glattes Haar hat, macht es zu einem albernen Menschenbild, dagegen seitliches Aufbiegen bringt (wie schon erwähnt) Wurf, Zug, Leben, Gegensatz, Unterschied, Wechsel. Ist Einer klein, untersetzt und trägt zu flacher, gerader, breiter Krempe noch niedrige Kopfform des Hutes, so sieht er aus, als hätte man ihn von oben mit einem Hammerschlag breit zusammengeplätscht, oder, in Froschperspective gesehen, als läge das Haupt Johannis des Täufers in einer Flachschüssel. Dort aber läuft Einer mit Luchsohren, will sagen mit spitz aufragenden und abstehenden Ohrmuscheln, der trägt nun die seitliche Krempe seines Hutes genau in derselben Form steil aufgeschlagen, wird also zum Luchs mit vier Ohren. Oefters kann man geradezu Grauenhaftes erleben: da begegnet dir ein Kopf mit stark aufgestülpter Nase, der hat sich die Krempe seines Breithutes vorn gerade ebenso in die Höhe gestülpt! Willst du dem harmlosen Begegnenden den Leib mit zwei Hörnern aufschlitzen, fürchterliches Doppel-Rhinozeros?
Es wäre beim Hut auch von der Farbe zu reden. Wir haben schon bei der weiblichen Mode diese Seite gemieden, weil kein Ende zu finden wäre. Ein besonderer Dämon scheint in diesem Punkte die Menschen zu reizen und zu hetzen, so daß zum Exempel ein Rothhaariger rothbraunen Hut, Rock und Hosen wählt und sich so ganz in Leberwurst, Blutwurst oder Rhabarber verwandelt. Kurz, es ist gar nicht anzufangen. Daß jeden Blonden ein heller Hut zum Kutscher oder Bäcker macht, ist schon im Klagelied von 1859 aufgestellt.
Noch ein Wort vom Barte! Daß die Freiheit, ihn nach Belieben zu tragen, schon darum ein Gewinn der neueren Zeit ist, weil sie ein Mittel gibt, unglückliche Kieferverhältnisse zu corrigiren, haben wir schon vor Zeiten nicht vergessen anzuerkennen, und in einem jähen Vorgriff diesmal wieder berührt. Wer vorstehenden Unterkiefer hat, kann der Gesichtslinie nachhelfen, indem er den Schnurrbart wachsen läßt, das Kinn rasirt. Wer Rüssel- oder Mausprofil hat: vorragenden Oberkiefer und Oberlippe, der kann die Mißform mäßigen, indem er umgekehrt sich wohl hütet, den Schnurrbart stehen zu lassen, dagegen am Kinn Vollbart trägt. Das sieht zwar an sich widerwärtig aus, englische und amerikanische Geldgesichter tragen es gern, aber es ist in diesem Fall das kleinere Uebel. – Im Allgemeinen steht ganzer Bart zwar keineswegs im Einklang mit unserem völlig draperielosen, rein kapselartigen Kleidersystem, denn er hat Styl und dies System ist styllos. Trotzdem ist mit ihm doch ein Stück Natur gewonnen.
Am Rock sind die Schöße geblieben wie vor neunzehn Jahren, sie gleichen immer noch der Fischflosse, wenn sie nicht in Bewegung ist, sondern anliegt. Weiß der Himmel, warum diese Unform so zäh festklebt, nachdem das Motiv der Reaction gegen den männlichen Krinolin-Rock, der von der Taille aus in Falten und »Locken« weibisch abstand, doch gegenstandslos geworden ist. Die Brust des Rockes, vollends wenn die Aermel weit sind, also auch an der Schulter schon weit ansetzen, läßt immer den Körpertheil, den sie bedeckt, breiter erscheinen als er ist, und das ist ja, nur ganz recht, denn die Brust ist die Zierde des Mannes; da aber hier der natürliche Umfang vermehrt wird, so verlangt ja das Gesetz der Symmetrie, daß nach unten entsprechend zugegeben werde, d. h. daß die Schöße etwas abstehen, natürlich sehr mit Maß, sonst ergibt sich ja eben die bekämpfte Weiberform. Unsere deutschen Waffenröcke haben ganz den rechten Schnitt, aber vergebens zeichnet man dem Schneider einen solchen vor, wenn man eine vernünftige Hülle haben möchte; der weiß ja nichts von natürlicher Form, nur von Mode und Schablone. Die Taillenknöpfe irren wie immer um die von der Natur fix gegebene, beim Soldaten durch die Gurtkuppel der Modewillkür streng entzogene Marke, die Leibestaille, auf und ab; bei den langen Officiersröcken sitzt sie gewöhnlich drüber und so bilden denn die gedehnten Schöße ein philisteriöses, ödes oblonges Feld, auf dem so lang nichts vorkommt, daß es selbst zu gähnen anfängt, was ihm sehr erleichtert ist, da die engen Schöße nothwendig hinten auseinanderklaffen: ein tristes Gebilde, das mehr einen Canzlisten als Soldaten ankündigt.
Jetzt geht da Einer gar im Schlafrock Morgens zum Brunnen, dachte ich erstaunt vor einigen Jahren in Karlsbad, als ich einen Polen in einem langen, graugewürfelten Bettkittel herlottern sah. Naive Entrüstung! Es war ein Ueberzieher, der nur zu bald Mode werden sollte und jetzt täglich mehr einreißt. Diese sarmatisch barbarischen grobtuchenen, bis zum Knöchel reichenden Kutten (Ulster oder wie das Zeug heißt) verdrängen mehr und mehr den Paletot mit seinem doch immerhin freieren, luftigeren Wurf und seiner immerhin feineren Physiognomie. Sie haben einen halben Hüftgurt, unter welchem, da sie häufig zu eng sind, meist der Popo sich drangvoll herausdrückt, und unter dieser Wölbung spannen sie sich wieder knapp einwärts den Knieen zu, als hätte der Träger soeben einen Tritt unter den Sitz bekommen, worauf sie dann in der Tiefe, da sie weibisch lang sind, dumm um die Waden und Knöchel schlenkern: doch gewiß eine der denkbar thörichtsten Redefiguren der Gewandungs-Rhetorik oder Bekleidungspoetik! Einen Mann von auch nur einigem Bildbewußtsein brächte man in einem solchen Kittel doch nicht aus seiner Hausthüre und wenn man mit einem Sturmbock auf seinen Rücken losarbeitete, ihn herauszustoßen. Nehmen wir vom Früheren noch die Suppenschüssel des Hosenablaufs und oben ein kleines Köpfchen mit kleinem Deckelchen hinzu, so sehen wir ein ganzes Menschengebild in einen Tintenwischer mit einem Kügelchen am Griffe richtig verwandelt. Sehr passend zur Gemeinheit des Ganzen wird dieses schlampische Gebilde mit gemeinen Hornknöpfen besetzt. Es ist merkwürdig, wie viel die Knöpfe ausmachen. Der Soldatenmantel, längst kein eigentlicher Mantel mehr, ist dieser Form ähnlich, aber er hat nicht nur die genügende Weite und Kürze, um besagte absurde Figur zu vermeiden, die Metallknöpfe allein schon geben ihm einen gänzlich anderen, energischen Charakter; Metall bringt immer etwas Ritterliches mit sich, es hebt; es ist das Metall, wodurch die Uniform das weibliche Herz erobert.
Es ist schon gesagt, daß wir kaum Zeit haben, uns nach der Farbe umzusehen. Wie sich der unterdrückte, gequetschte Farbensinn durch traurige Empörungsversuche hilft, davon war im Nothruf von 1859 die Rede. Hier sei im Vorübergehen angeführt, daß man nicht nur zu den Kutten gern zebraartig gestreifte, auch gegitterte, gewürfelte Stoffe wählt (Versuche, das öde Grau zu beleben, zu bepflanzen), sondern daß auch zu Rock und Hosen seit einigen Jahren ein Dunkelgrau oder Schwarz mit ungleichen, regellos zerstreuten weißen Punkten und Flecken fabricirt wird; auch dies findet Käufer und der Beglückte sieht dann aus, als wäre er unter einem Hausverputzgerüst durchgegangen und mit Kalk bespritzt worden. Geistvoller Scherz! – Zur Damen-Tracht mag wenigstens die Einzelheit nachgeholt werden, daß neuerdings Besetzung des Kleides mit sehr hübschen Borten aufkommt, deren Zeichnungs- und Farbenmuster Motive aus dem siebzehnten Jahrhundert geschmackvoll entlehnt; da es aber die Mode einmal nicht anders thut, als: über Schenkel und Knie muß herübergespannt werden, so dient auch dieß an sich wohlgewählte Stück nur, als Einsäumung der sogenannten Tunika das Ganze der Erscheinung noch mehr zu zerstücken und zu zerschneiden.
Lassen wir die Reihen der Zerrbilder noch einmal vor uns auftauchen, welche dieser schwache Versuch vor Augen geführt hat, denken wir sie wie einen Maskenzug uns vorüberzappelnd, so weiß man nicht, ist's zum Lachen oder Entsetzen. In der That, man hat sehr ungleiche Stunden, wenn man über die Straßen geht und umschaut oder in der Erinnerung durchläuft, was man gesehen. Wen ein Gott damit gestraft hat, durchzuzeichnen, unter die im Schein gegebene Form die wahre als Folie zu setzen, wehe dem Armen! Bei Tage geht's noch, das nüchterne, verständige Tageslicht bringt die Stimmung zum komischen Vergleich zwischen Natur und Ungeschmack; wiewol mir meines Theils, ich gestehe es, immer wieder ein Zorn dazwischen fährt, daß ich mich zusammennehmen muß, nicht wenigstens die schnödesten Caricaturen mit der Frage anzuschnauzen, ob sie denn die Natur und Menschenwürde aber auch ganz mit Füßen treten wollen. Doch man schluckt's hinab und lacht wieder. Aber Abends, wenn Phantasie und Nerven aufwachen, Nachts in der Schattenwelt des Traumes, da kommt's anders. Da heben sie sich wie Geister aus den Grüften der Tageserinnerung und kommen über den stöhnenden, alpgedrückten Schläfer wie jene Schemen, die den heiligen Antonius auf den niederländischen Bildern umspuken, wie rasende Trabantengöckel mit wilden Kämmen und flatternden Schwänzen, wie Ungeheuer der Urmeere und des Urschlamms mit paukenartigen Bäuchen, geflügelte Eidechsen mit Krokodilrachen, Rochen mit Cylindern auf dem Kopf, Polypen ohne Kopf mit scheußlichen Fangarmen, ganz decolletirte Walfischmütter, Seeschlangen mit Chignon, Alligatoren mit Frackschwanz, riesige Urhaye in Bettkitteln, Dürrteufel ohne und Dickteufel mit hochgeschwollenem aufgebauschtem Hintern, – eine wilde Jagd, Wodans wüthende Meute, ein Larvenzug, ein Hexenelement, alle Fratzen der Wolfsschlucht – und in Schweiß gebadet röchelt das halbtodtgehetzte Opfer.
Aber, wahnsinniger Mensch, wirst du nicht endlich zur Vernunft kommen? – höre ich einen bedächtigen Freund sagen, der theilnehmend an mein Lager getreten ist, mir den Puls fühlt, mir die Hand auf die feuchte Stirne legt. Ich weiß, was er unter Vernunft versteht. Ja, es ist hohe Zeit, daß wir das niederschlagende Brausepulver einnehmen, bestehend einfach in der Besinnung auf ein Gesetz. Mag eine Erscheinung noch so wirr und toll aussehen, sie wird uns nicht aufregen, wenn wir erwägen, daß dies Chaos der Willkür doch nicht pure Willkür ist, sondern im Dienste einer Nothwendigkeit steht. Diese ganze Mode-Narrenwelt meint nach Belieben nur ihrer geschmacklosen Eitelkeit zu fröhnen und gehorcht in Wahrheit unbewußt einem unsichtbaren Regenten, der sie nöthigt, den innern Charakter einer Zeit, ihre Stimmung, Gesinnung, Auffassung, Sitte symbolisch im Aeußern, im Kleide darzustellen. Diesen Satz in seiner wohlbekannten Wahrheit haben wir nie geleugnet, schon in der mehrerwähnten Krinolinen-Threnodie pflichtschuldig anerkannt und wiederholen ihn nur, damit man nicht meine, wir haben ihn rein vergessen. Es ist ein Instinct, ein ganz dunkler Trieb, an dem der geheime Regent die Menschen packt und durch den er sie nöthigt, durch ihre Hülle zu enthüllen, wie ihnen zu Muth ist. Dieser Instinct ist es, der nicht nur die Tracht, sondern auch die Mode schafft. Es ist in der Geschichte der Culturformen längst aufgekommen, daß man diese beiden Begriffe wol unterscheidet. Auf den ersten Blick scheint nur die Tracht vom Instincte, die Mode von freier Willkür dictirt. Die Tracht ist constant und conservativ, wiewol natürlich nicht ewig, sonst könnte sie nicht charakteristisch sein, denn der Charakter der Zeiten und Völker wechselt; aber sie eilt nicht mit dem Wechsel, sie verändert nur unwesentlich im Kleinen, bis die Zeit reif ist, im Großen zu verändern. Das bleibt so bei den Völkern, bis auf einmal ein unruhiger, spiegelhafter, wuselicher Geist in die Welt fährt; so etwas war der Fall in Griechenland, als die alte Sitte zerfiel, noch viel mehr im üppigen Rom der Kaiserzeit; eigentlich aber ist es eine Erscheinung der neueren Zeit, denn es setzt voraus, daß die Nationen aus der antiken Absonderung herausgetreten sind und neue Culturformen rasch an ganze Völkergruppen sich mittheilen; was wir Mode nennen, kam, wie gesagt, zum ersten Mal um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, nachdem die Kreuzzüge die europäischen Völker in lebhafte Wechselberührung gesetzt hatten; Tollheiten aus diesem ersten Karneval des neuen Dionysos, wie Schnabelschuhe, Glöckchen an Ellbogen und Knöcheln, haben wir seiner Zeit schon erwähnt; es wäre zu erzählen von gezackten Hängeärmeln, Theilung des Rocks und der Hosen in verschiedene Farben des Tuchs (»zerhouen Tuoch«) und manchen anderen Späßen, von den Kleiderordnungen, durch die man der Tollheit und Ueppigkeit zu steuern suchte, und von deren begreiflicher Vergeblichkeit; doch wir schreiben hier keine Geschichte; der oder die Wißbegierige etwa nachschlagen: »Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte von Jakob Falke,« und von demselben: »Zur Cultur und Kunst. Studien von« –.
Man kann sagen, daß die Mode, so bunt sie es auch in den folgenden Jahrhunderten trieb, doch ihr innerstes Wesen erst seit dem vorigen erreicht hat; denn der Grad von Selbstbespieglung, der ihre Physiognomie charakterisirt, ist modern, ist eine Frucht der scharfen Zuspitzung der Reflexion, zu welcher die Gedankenströmungen des achtzehnten Jahrhunderts das Bewußtsein gewetzt und geschliffen haben. Trotzdem ist die Mode so gut instinctiv als die Tracht; die hellste Bewußtheit kann nicht über den Instinct hinaus, auch die Mode drückt in dunklem Drange noch etwas Anderes aus, als sie will, und die scheinbar höchst naturlose Unruhe ihres immer rapideren Wechsels ist eben das unfreiwillige Geständniß, daß es die Geister sind, deren sich die Hast, die Unmuße bemächtigt hat. Die Mode ist nur die jüngere, ausgelassene, quecksilbrige, grenzenlos eitle, Stände und Nationen herrisch über Einen Kamm scheerende und doch mit allen Hunden der Neuerungssucht gehetzte Schwester der Tracht. Dieser nachgeborne Kobold hat die Aeltere, Gesetztere auf's Land verbannt. Daß es Schwestern sind, erkennt man an Erscheinungen, durch welche die Ehrwürdigkeit der älteren allerdings bedenklichen Abbruch erleidet. Tracht im guten ungebrochnen Sinne des Wortes ist z. B. die Juppe, ein sehr kleidsames Stück, dem aber alle Anläufe mißlingen werden, in den Modesalon einzudringen; sie wird dem Städter nur auf der Jagd, auf der Gebirgsreise, auf dem Schießplatz, zur Noth noch Abends im Wirthshaus verziehen. Versuche, sie zu verfeinern, gerathen nur in Widerspruch mit ihrer groben Ehrlichkeit. In ihrer Form ist sie allerdings nicht so urthümlich, als es scheinen möchte; es war städtische Beweglichkeit des Sinns, dem es im vierzehnten Jahrhundert einfiel, den früher stets hemdartigen Rock vorn zu schlitzen; er hieß nun Schaube, Joppe, Juppe (das Wort ist nicht einmal deutsch, sondern romanisch, wol ursprünglich arabisch) und war dann etwas sehr Modernes; aber das Landvolk der deutschen Gebirge machte sich diesen Rock nicht anders als aus grobem Lodentuch, die Form des taillenlosen Rocks ohne Halskummet (umgelegten Kragen) hat sich nun im Lauf der Zeit mit diesem Stoffe vermählt und dies Ganze ist so ein gut Stück Tracht geworden. So ist auch der tirolische und italienische Spitzhut eine Modeform des sechzehnten Jahrhunderts. Dagegen kann es auch geschehen, daß ein ganz unsinniges Stück aus der vertrakten, überbewußten und doch so dummen Modewelt auf unbegreifliche Weise am Volk hängen bleibt und hier Jahrhunderte lang sich erhält, also ganz Tracht wird; so ist in einigen Thälern der Salzburgischen Alpen und in der Ebene von Dachau der widerliche Hüftwulst des Weiberrocks, verbunden mit unendlicher Faltenmasse, hängen geblieben, eine ächte Modelaune des siebzehnten Jahrhunderts, eine geschwollene Drüse skrophulösen Städterthums, damals »Speck« genannt und Ziel der derbsten satyrischen Geschosse; eines, von dem groben Schützen Moscherosch gegen den hiezu gehörigen Reifrock abgeschossen, wagten wir nur verschämt in griechischen Lettern vorzuzeigen, als wir in unsrer frühem Homilie von der Geschichte des Reifrocks handeln mußten. Das kann man nun freilich kein ungebrochnes gutes Stück Tracht nennen.
Die Mode also spielt und spielt und wirft manchmal ein zufällig gutes, manchmal ein höchst verkehrtes Theil ihrer raffinirt launischen Erfindungen über die Stadtmauer auf die Aecker, wo sie vom Landvolk aufgegriffen und nach und nach zum altersheiligen Erbstück, also ganz zur Tracht wird.
Wir können aus der Mode, nachdem sie einmal die Stelle der Tracht eingenommen, nicht heraus; sie repräsentirt ja, wie wir uns soeben gesagt, durch und durch den scharf geweckten Geist der modernen Bildung, freilich mit allen seinen Unarten, aber sie repräsentirt ihn; das Gebiet der Tracht dagegen liegt im Elemente des gebundenen Geistes; die Tirolertracht ist malerisch, aber wo sie herrscht, herrschen auch die Pfaffen, und wenn wir, romantisch, ästhetisch, Blut weinen möchten über ihren Untergang, sie muß und wird verschwinden, wenn erst mehr Licht in diese Alpen dringt. Der Türke geht bunt, reich, stattlich, aber sein krummer Säbel steht im Dienst einer Religion, die ihn unterweist, es sei ein gutes Werk, einen Giaur todt zu martern. Daß ein solcher Barbar die schönsten Länder Europas beherrscht, ist unerträglich. Daher haben wir den Russen gegen ihn vorgehen lassen. Dies mag bedenklich sein, aber da den armen Opfern kein Anderer hilft, so »muß denn doch die Hexe dran«. Wenn je die Schläge diesen Barbaren bessern, so muß er auch Turban und Kaftan mit Rock und Hut vertauschen. – Es ist ein schrecklich wahrer Satz: das Interesse der Kultur und das Interesse des Schönen, wenn man darunter das unmittelbar Schöne im Leben versteht, sie liegen im Krieg mit einander und jeder Fortschritt der Cultur ist ein tödtlicher Tritt auf Blumen, die im Boden des naiv Schönen erblüht sind. Wer Vernunft und aber zugleich Leidenschaft hat, den wird man daher oft auf Culturfortschritte grimmig schelten hören, zum Beispiel auf Eisenbahnen. Ich habe kürzlich das Kinzigthal wieder besucht, das ich vor vielen Jahren zu Fuß mit der Reisetasche an der Hüfte und mit dem ganzen Glück der Waldidylle in der Seele durchwandert hatte, jetzt durchschoß ich es auf dem neuen Schienenweg, der Legionen von Städtern aus den naturlosesten Culturgebieten in diese herrlichen Einsamkeiten wirft. Diese Fluth wird noch in das letzte Berg- und Waldthal die Aezstoffe der Cultur ohne ihre Gegengifte tragen. Darüber kann man nun schon einmal tüchtig wettern, während man ein andermal mit herzlicher Bewunderung die unendlichen Wirkungen der großen Erfindung anerkennt und rühmt. So auch, was die Tracht betrifft. Es hilft nichts, die Cultur wird noch alle schönen Volkskostüme erbarmungslos hinwegstreifen, aber es ist traurig; es ist traurig, aber es hilft nichts; beide Sätze sind gleich wahr und es ist nur menschlich, bald zu klagen, bald sich philosophisch zu ergeben.
Die Mode ist nivellirend, Völker wie Individuen eingleichend. Sie ist allgemein, sie spricht, den Contact der Völker und sie drückt, unter vielen widersprechenden Ausweichungen zwar, doch im Wesentlichen aus, was den neueren Culturvölkern gemeinsam ist. Dies Gemeinsame ist vor Allem: rasche Beweglichkeit, Kürze aller Bewegungen. Wir wollen die Materie beherrschen, wir haben schlechterdings keine Zeit übrig. Sehr beleuchtend ist das Beispiel der Sprache. Alle modernen Cultursprachen bestehen aus Schutt von zermahlenen alten, und die Zerreibung kommt ebendaher, daß wir zu vollen organischen Flexionen, gedehnten Bildungssylben, reichen Formen jeder Art keine Zeit mehr haben. Mennisko für Mensch, Amisala für Amsel, salbota für salbte wäre uns zu lang. Von der Lautfülle des Latein hat unter den romanischen Sprachen am meisten das Italienische behalten und ebendarum kann man in reinem Italienisch nicht commandiren, z. B. al piede l'arma (bei Fuß 's Gewehr!) ist zu schleppend, es mußte in pè l'arm verstümmelt werden. Ganz ebenso haben wir nun auch keine Zeit mehr, Kleidungsstücke an uns zu führen, die, nicht nach dem Leibe genäht und geschnitten, in jedem Moment auf's Neue drapirt werden müssen; das Kleid soll von selbst mitgehen. Die Unbequemlichkeit vieler weiblicher Moden, wie z. B. die Schleppe, verändert daran nichts, kein Weib wüßte sich jetzt in einem Himation (Toga) zu helfen.
Ein zweiter Grundsatz ist: Verschmähung alles Auffallens durch das Kleid; dies gilt für Mann und Weib, aber für jedes von beiden in anderem Sinne. Das männliche Kleid soll überhaupt nicht für sich schon etwas sagen, nur der Mann selbst, der darin steckt, mag durch seine Züge, Haltung, Gestalt, Worte und Thaten seine Persönlichkeit geltend machen. Es war dies, auch nachdem die Mode längst auf dem Thron sitzt, nicht immer so, aber es mußte dahin kommen, weil es eine Consequenz ihres ausgleichenden Wesens ist. Unseren Großvätern noch galt als ganz natürlich, daß der Eine durch einen rothen Rock mit Goldborten und blaue Strümpfe, der Andere durch einen grünen mit Silberborten und pfirsichrothgelbe Strümpfe sich hervorthun mochte. Wir sind damit rein fertig, gründlich blasirt gegen alles Pathetische, wir haben nur ein müdes Lächeln, wenn Einer durch Anderes, als sich selbst, in seiner Erscheinung sich herausdrängen will, wenn er etwas vor sich herträgt im Sinn des lateinischen prae se ferre. Obwol diese Scheinlosigkeit des Männerkostüms wenig über ein halb Jahrhundert alt ist, kann man doch sagen, sie bezeichne recht den Charakter der Mode, nachdem aus ihr geworden, was ihrer Natur nach im Laufe der Zeit werden mußte. Dem scheint nun die weibliche schnurstracks zu widersprechen, denn sie sucht – nicht immer, aber meist – das Auffallende, sie läßt auch dem Individuum in gewissen Schranken Luft, sich auszuzeichnen. Wie dieser Widerspruch sich löse, wollen wir nachher sehen, vorerst dient er uns im Gegentheil, die blasirte Kahlheit zu erklären, bei der die männliche angelangt ist. Durch dies Luftlassen wurde der schon geschilderten Hetze des wechselseitigen Sichüberbietens in der Frauenwelt Thür und Thor geöffnet; nicht so arg, nicht so toll, aber doch nicht ganz unähnlich wird man sich in der Männerwelt gesteigert haben, bis die nachdenklichere und thätigere Natur des Mannes sich besann, am athemlosen Wettrennen der Weiber sich ein warnendes Beispiel nahm und in stiller Uebereinkunft die allgemeine Entsagung (zwar mit etlichem Vorbehalt) zur Regel machte.
Zunächst ein Wort vom centralistischen Regierungssystem, wie es mit dem nivellirenden Charakter nothwendig zusammenhängt. Die gleichmachende Einheit des Modells setzt auch Einheit des Heerdes voraus. Das romanisirte keltische Volk der Franzosen ist tonangebend gewesen, so lange es eine Mode gibt; Deutsche, Engländer, Slaven, Ungarn, Italiener, Spanier haben immer nur Einzelnes, ein Ganzes nur ausnahmsweise aus ihren Trachten durchgedrückt. Es steht nicht in Widerspruch mit dem völkerabhobelnden Charakter der Mode, daß dem so ist. Einer muß doch am Ende vorangehen, das Allgemeine zu schöpfen und durchzuführen. Keines der beherrschten Völker schämt sich seiner Unterwerfung. Wir haben die Mode quecksilbrig und wuselich genannt: just dies ist das keltische Temperament (ächt » Gaulois«), das aufgeimpfte Latinische aber bringt den Grundzug des Nivellirens; die römische Herrschaft gieng wie ein Hobel über die Völker. Kein Volk vereinigt beides wie die Franzosen, die glückliche Mischung hat ihnen zudem einen Schick, ein Etwas, ein Talent des Eleganten gegeben wie keinem Volk; wir können ihnen neidlos den Ruhm lassen, in diesem Gebiete Weltherrscher zu sein, werden überhaupt gerne zugeben, daß sie ein geistreiches Volk sind, und uns im Uebrigen nur verbitten, daß sie sich für das erste halten und in allen Dingen Weltherrscher sein wollen.
Doch es ist Zeit, wieder zusammenzubringen, was in der Vergleichung der männlichen und weiblichen Mode sich zu widersprechen scheint. »Verschmähung alles Auffallens« haben wir gesagt. Da könnte es scheinen, als meinten wir in seltsamer Vergeßlichkeit, es schleichen lauter Puritaner und Puritanerinnen auf unsern Straßen. Die Lösung ist einfach; für das Weib lautet die Formel so: du sollst nicht auffallen, indem du in gewissen, jetzt unerbittlich vorgeschriebenen Grundformen, Hauptstücken von allen Andern abweichst, diese Grundformen, Hauptstücke selbst mögen noch so auffallend sein! Der Rahmen der Mode ist für Alle derselbe, darin herrscht der Hobel, das Abschlichten und Eingleichen beim Weibe wie beim Mann, aber für den Inhalt des Rahmens fragt sie hier nach keiner Abschlichtung und gibt ihm Buntheit, ja Grellheit, so viel ihr heuer oder über's Jahr eben gerade beliebt. Das Füllsel der Tabelle ist ganz und gar auf die Eitelkeit berechnet. Ferner folgt aus dem Verbot des Auffallens für die Einzelne nicht, daß ihr nicht ein großer Spielraum für eigene Einfälle und speciell persönliche Eitelkeit gelassen sei. Der vorgezeichnete Canon ist keine Uniform, wie ließen sich Weiber in Uniform bringen! Treib's wie du magst, in Formen und mehr noch in Farben, nur den Canon, also z. B. den allgemeinen Schnitt des Kleides, darfst du nicht übertreten! Die Männerkleidung ist in ihrer strengen Neigung zum Knappen, bequem Mitlaufenden weit eher der Uniform zu vergleichen, doch auch sie natürlich nur ungefähr; Spielraum ist auch dem Manne gelassen, nur viel weniger, immer nur so weit, daß der Grundcharakter des Rahmeninhalts: Scheinlosigkeit nicht verletzt wird. Schlichtheit im geschilderten Sinn schließt Satisfactionen der Eitelkeit für den Einzelnen nicht aus. Gewisse Stellen, Partien sind auch dem Manne freigegeben, selbst die Farbe, wenn er sich nur nicht erdreistet, nach einer lebhaften zu greifen. – Zu dem Allen kommt nun noch der rasche periodische Wechsel und so haben wir wol so ziemlich das Nöthige beisammen, um uns die Mode zu porträtiren. Eine Dame, eine weibliche Gottheit, die Urheberin solcher Dinge, ist ja wol selbst eitel. Sie ist mehr, sie ist auch üppig bis zum Aeußersten, wenn sie die Laune anwandelt, während sie im nächsten Halbjahr die Grille haben kann, bigott, klösterlich, nonnenhaft sich zu gebehrden; sie ist Kokette vom Wirbel bis zur Zehe, kein Zug an ihr ist edel naiv, sie sieht sich jede Secunde im Spiegel, sie trägt den Spiegel mit sich, in sich, mitten in der Seele. Aber der steifsten Gouvernante thut sie es darin zuvor, daß sie bei alledem nie die gleichmachende Dictatur vergißt; hat sie also heute den Einfall, frech zu sein, so sollen Alle frech sein, keine soll die Frechheit haben, sich von allen Andern dadurch zu unterscheiden, daß sie nicht frech einhergeht. Freie Pirsch für jede Fratzerei und dennoch steif durchschlagendes Lineal. Und dieses Lineal verbindet sich ebenso mit der rinnenden Welle des Wechsels. Wie ein unartiges Kind, das keine Ruhe gibt, das stupst, scharrt, gambelt, nottelt, bohrzt, trippelt, so treibt es die Mode, sie thut's nicht anders, sie muß zupfen, rücken, umschieben, strecken, kürzen, einstrupfen, nesteln, krabbeln, zausen, strudeln, blähen, quirlen, schwänzeln, wedeln, kräuseln, aufbauschen, kurz sie ist ganz des Teufels, jeder Zoll ein Affe, aber just auch darin wieder steif und tyrannisch, phantasielos gleichmacherisch wie nur irgend eine gefrorne Oberhofmeisterin altspanischer Observanz; sie schreibt mit eisiger Ruhe die absolute Unruhe vor, sie ist wilde Hummel und mürrische Tante, ausgelassener Backfischrudel und Institutsvorsteherin, Pedantin und Arlekina in Einem Athem.
Und nun stehen wir erst vor der eigentlichen Schwierigkeit, dem logischen Balkan, Schipkapaß unserer hochgelehrten Abhandlung. Wir haben, wie wir vornherein besorgten, trotz besserem Vorsatz viel gescholten und demnach angenommen, wir haben es mit Subjecten zu thun, die imputabel (wenn auch nicht alle reputabel) und verantwortlich sind. Nun aber hat uns die Schlingung unseres Wegs wieder auf die geheime Macht zurückgeführt, welche an unsichtbaren Drähten diese Subjecte wie Marionetten tanzen läßt, diese Macht ist absolute Regierung, unverantwortlicher Regent oder besser: Regentin, denn wir haben billig aus dem Herrn eine Dame gemacht. Diese Monarchie ist zugleich Theokratie, ihre Gebote sind Offenbarung, sind also unumstößlich.
Mitten in's Mystische versetzt wollen wir, da wir einmal in diesem helldunkeln Gehölze stecken, in Gottes Namen (hätten wir fast gesagt) uns noch ein paar Schritte weiter hineinwagen. Die Herrscherweisheit einer Theokratie ruht auf Inspiration. Die jeweiligen Moderegulative sind also, – da hilft nichts –, sie sind Orakel. Die Putzmacherinnen in Paris, sammt den verschiedenen Damen, halber Ganzwelt und ganzer Halbwelt, mit denen sie zur Tagsatzung sich versammeln, sind Pythien und die Dämpfe aus dem Erdenschoß, die sie in hellsehenden Zustand versetzen, ein übersinnliches Gas, ausstrahlend vom Geist der Geschichte. Von göttlichem Wahnsinn trunkene priesterliche Organe des geschichtlichen Mysteriums sind neben den Schneidern (und Schustern) auch die Hutmacher; ihr Kongreß in Paris ist ein Pfingstfest, Ausgießung des Geistes; Filialausflüsse davon sind die Zweigversammlungen, die Provinzialsynoden in andern Ländern, Deutschland z. B., also Leipzig oder meinetwegen Krähwinkel. Die taghelle Absichtlichkeit, womit diese Priesterinnen und Priester, Prophetinnen und Apostel diesen und jenen Plunder aus alten Trachtenbüchern und Modejournalen auswählen, zusammenstellen, den neuen Canon beschließen, ist purer Schein, ist vielmehr Geisterlicht aus dem Urquell eines geheimnißvollen Centrums, das wir oben bezeichnet haben als eine tiefe Symbolik, welche die Generationen zwingt, ihre Zustände, Grundgefühle, socialen Stimmungen und Vorstellungen in ihren Culturformen auszudrücken.
Also Zwang! Der Charakter der Zeiten muß sich in ihren Formen ausdrücken. Also wäre der Mensch unfrei? unfrei just in dem, worin wir ihn doch so recht frei glauben, im Gebiete der beliebigen Wahl seiner äußern Erscheinung? Und wenn hierin, dann wol überhaupt? Es gibt keine Willensfreiheit? Das ist der Knoten, den wir im Eingang als die letzte Ursache unseres Schwankens zwischen leidenschaftsloser Betrachtung und eifrigem Predigtdrang denuncirt haben. Es ist nicht anders, die Geschichtsphilosophie der Mode führt mitten hinein in die Frage: Freiheit oder Nothwendigkeit. Unser Spaß vom priesterlichen delphischen Autoritätswerthe der Sprüche, die von Putzmacherinnen, Schneidern, Hutmachern und ihren Beisitzerinnen und Beisitzern vom Laienstand in die Welt ergehen, ist nicht so ganz nur Spaß. Dieses lockere Völkchen täuscht sich über seine Willkür; es dient einem Gesetze, und wir, die wir uns seinen Sprüchen frei zu unterwerfen glauben, wir täuschen uns um kein Haar weniger. Die Probe gibt sich von selbst: man darf nur rückwärts blicken. Entschwundene Moden reihen sich als Glied in eine ganze Kette vergangener Culturformen. Halten wir diese mit den gleichzeitigen Zuständen der Gesellschaft, des ganzen Gemeinlebens zusammen, so erscheinen sie dem klargewordenen gegenständlichen Blick als ein Ausdruck dieser Zustände, der gar nicht anders sein konnte, als er war, und die tollsten Auswüchse, in denen sich gar kein Sinn mehr entdecken läßt, als ein nicht minder nothwendiger Ausdruck der Kinderei, welche unvertilgbar dem Sterblichen anhängt. Und nun weiter: die jeweiligen Zustände sind das jeweilige Resultat einer unendlichen Verflechtung von Naturbedingungen, Zufällen, Entwicklungen aus gegebenen Thatsachen und freien, der sittlichen Zurechnung unterworfenen Handlungen einzelner Menschen. Allein auch diese freien Handlungen treten für die überschauende Betrachtung eben doch in ein anderes Licht, als für den Blick, der nur in die Gegenwart hineinsieht; auch sie betrachten wir nun mit dem Gefühle: es wird eben, was kann, es kommt eben, was kommen muß, und jedes »wenn« und »hätte« und »sollte« ist müßig, ist leer, ist Wind, ist Null.
Und so hätte Schiller Unrecht mit seinem Wort:
Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,
Und würd' er in Ketten geboren. –?
so wären wir Sclaven jedes Gegebenen, folglich auch der gegebenen Mode? Das kann doch wahrhaftig auch nicht sein! Da gäbe es keine Tugend und kein Böses, kein Verdienst und keine Schuld, kein Lob und keinen Tadel mehr, die Erziehung könnte sich ihre Mühe sparen und die Justiz ihr Schwert einstecken.
Verehrungswürdige Leserin, die Sie mit edler Geduld unsere Grobheiten ertragen haben, üben Sie nun noch die Langmuth, auch eine Ungeschicklichkeit, eine Schwerfälligkeit in den Kauf zu nehmen! Einen gelehrten Brocken in einer Plauderei über die Mode! Der alte Knabe Kant, der Philosoph, hat für Schwierigkeiten wie die, in der wir stecken, den Namen Antinomie aufgebracht. So nennt er es, wenn zwei Sätze, die einander ausschließen, mit gleichem Anspruch auf Wahrheit einander gegenübertreten; da ist z. B. ein Satz: Die Welt hat einen Anfang in der Zeit und Grenzen im Raume, und dem gegenüber steht das Gegentheil: sie ist anfangslos und ohne Grenzen im Raum. Eine solche Antinomie ist es denn, verehrte Geduldige, wovor wir stehen.
»Nun – und wissen Sie eine Lösung?« Ach nein! und wenn Sie mich auf den Kopf stellen, es fällt kein Körnchen von einem lösenden Gedanken heraus! Frei und auch nicht frei! Beides kann nicht zugleich wahr sein und ist doch beides wahr! Die Nothwendigkeit webt ihr Gewebe aus Naturursachen und aus freien Handlungen! Zum Verzweifeln! Unser Eins ist kein Gurko, kein Skobeleff, hier ist kein Sabalkanskh.
Wissen Sie was? Wir schleichen um den Balkan herum. Wir helfen uns mit einer Plattheit, mit ein paar ganz seichten, ordinären Sätzen, gegen die ein Zweifel überhaupt nicht aufkommen kann.
Erster Satz: Die Mehrheit der Leute verhält sich in unserer Angelegenheit – auf die wir nun billig wieder zurückkommen – so, daß es gar nicht der Mühe werth ist, zu fragen, zu untersuchen, ob sie eine Willensfreiheit besitzen und nur nicht gebrauchen, ob sie eine solche überhaupt nicht besitzen oder ursprünglich besessen, aber verlottert haben. Vielleicht ließe sich finden, daß ihr Wille nicht frei ist, weil sie versäumt haben, ihre Einsicht zu befreien, und da sind wir schon wieder in Versuchung, schwerlöthige Philosophie herbeizuschleppen, denn da ist ein gewisser Spinoza, der – doch nein, nicht weiter! Genug, dieser Umstand begründet das, was wir schon oben den Schafheerdencharakter genannt haben. Drückt also die Mode mit all ihren Ausschweifungen den Sinn der Zeit aus: gut, es ist jedenfalls dafür gesorgt, daß es nicht unterbleibe, die Organe, richtiger: Maschinen stehen milliardenweis der eisernen Nothwendigkeit zu Gebot.
Zweiter Satz: Daneben gibt es, so wollen wir, erlaubt oder unerlaubt, eben einmal annehmen, eine Minderheit, die sich mit der Einsicht den Willen gerettet hat, – eine Garde der Willensfreiheit. Sie braucht nicht zu befürchten, daß, wenn sie Opposition macht, jenes Gesetz sich nicht vollziehe, denn es bedarf ihrer Dienste nicht, das haben wir soeben gesehen.
Sind nun aber diese Wenigen wirklich ganz frei? Nein, ganz auch sie nicht. Lächerlich werden ist nur bis zu einem gewissen Grade erträglich. In einer Tracht umgehen, die sich von Allem, was alle Welt trägt, absolut unterscheidet, ist unmöglich; man würde zu todt gelacht, man würde von Straßenjungen gesteinigt. Wer könnte in Toga und Sandalen über die Linden, über die Königstraße gehen? Das führt auf den Typus, eben hier liegt aber auch ein Rettungsweg für die Kinder der Freiheit, die kleine Schaar der Vernünftigen.
Alles an der Mode ist expressiv, aber nicht Alles auf gleiche Weise. Schon bisher haben wir uns nicht verhehlt: Einiges daran drückt nur aus, daß die Menschen jederzeit Alles übertreiben, Anderes aber die Lebensbedingungen, Gewöhnungen, das Gebahren, den Sinn und Sit (altdeutsch Masculinum) einer gewissen Periode. Jene Bestandtheile wechseln mit Windesschnelle, bilden eine unbestimmbare, meist tolle Formenvielheit, diese erhalten sich oft kürzer, oft länger, stets eine gute Zeit, meist einige, öfters sogar viele Jahrzehnte. Eine solche bleibendere Form nennen die Kostümhistoriker einen Typus. Der Typus ist also mit dem verwandt, was wir im engeren Sinne des Worts Tracht heißen; doch nur verwandt, denn er ist eine Erscheinung innerhalb des Gebiets der Mode, während die Tracht vor und außer dasselbe fällt. Greifen wir rasch nach einem nahen Beispiel! Ein Typus war der Reitermantel als Ueberzieher für alle Stände. Er hat sich von lange her bis gegen Ende der dreißiger Jahre erhalten; er entsprach einer weitläufigeren Zeit, als die unsrige ist, denn er belästigt durch den langen Kragen die Armbewegung. Man kann aber sagen: er hatte noch Styl, der lag in seinen großen Faltenzügen, und man sah ihm an, daß er aus früheren Jahrhunderten kam, wo die Menschheit noch nicht in so putzigen Kapseln wandelte, wie wir, ja man fühlte, daß sein Urahne die Toga war. Nun ist es aber eben aus mit ihm, denn wir sind um so viel geschäftiger, eiliger geworden, daß wir einen Ueberzieher haben müssen, der keine Bewegung hemmt; so ist der Paletot Typus geworden und wer den veralteten Typus Reitermantel noch trägt, geht als Ruine der Vergangenheit, eine Art alter Römer durch die Straßen. Dagegen der sarmatische Schlafrock, den wir oben gebrandmarkt haben, wird sich hoffentlich nicht als Typus erweisen und erhalten, sondern als bloße Mode verschwinden. Du kannst also, edler Mitbürger, hierin Herr deines Willens bleiben, du kannst aus der freieren Hülle deines Paletot stolz, würdig und unverlacht über die Schulter hinlächeln auf die wandelnden Tintenwischer.
Mit Wehmuth müssen wir allerdings zugeben, daß zwei spottwürdige Gebilde mehr als Mode, daß sie Typen sind: der Cylinderhut und der Frack. Jener verdankt sein Dasein und seine Dauer zunächst dem Verlangen, dem Kopf durch Höhe und blankes Schwarz der Bedeckung eine gewisse Würde zu verleihen. Das würde nun freilich ein Baret auch leisten, dem sich beliebig verschiedene Größen und Formen geben ließen in guter Proportion zu verschiedenen Köpfen und Staturen; von solchen Forderungen der Symmetrie ist schon im Obigen die Rede gewesen. Allein da ist ein Umstand: wir haben noch nicht vermocht, die lästige Sitte des Hutabnehmens als Begrüßungsform abzuschaffen, nicht gewagt, den vernünftigeren militärischen Gruß einzuführen; daher bedarf es gesteiften Filzes und einer Krempe zum Anfassen, eben darum ist Befestigung durch ein Sturmband unmöglich (ein weiches Baret säße ohne das), und so machen wir uns zum Spielball jedes Winds, dem es beliebt, das dumme, steife, in die Stirn schneidende Stück Ofenrohr fortzurollen, wohin er mag, am liebsten in den Dreck. Der Frack ist aufgekommen, weil der Mann ein Festkleidungsstück haben wollte, das die Taille feiner zeigt, als der Rock, und doch den Sitz nicht unbedeckt läßt, wie das Wams thut, dieses unpatentere Bruchstück, dem sich eine Festlichkeit nur geben ließe durch Zierrath von Litzen, Buffen, Verschnürung, was durch die absolute Prosa der Zeit doch verpönt ist. Noch einen anderen tiefgründigen Zweck haben die Schöße des Frackgebildes: man wollte die Taschen nicht opfern, wollte das Schnupftuch unterbringen. Ein besorgliches Dunkel, nur von spärlichen Lichtstrahlen durchdämmert, liegt über der Frage, wie die alten Völker, wie insbesondere Griechen und Römer sich geschnäuzt haben. Im helleren Tageslicht der neueren Geschichte schimmert reinlich das tröstliche Schnupftuch, mit Shakespeares Othello erreicht es tragische Weihe und endlich besagen mit der ächt modernen Schärfe spitzen Fingerzeigs die Frackzipfel: hier gibt es Schnupftuch. Und so hat denn auf mehr als Einen Grund gestützt das Gabelwams, dies zweigeschwänzte Rockfragment Frack, der Kunst ein Greuel, sein Dasein gefristet und wird es fristen wer weiß wie lang? Etwas Trost jedoch bleibt. So viel moralische Kraft haben die letzten Jahrzehnte aufgetrieben, beiden abgeschmackten Formen doch den Raum ihrer Anmaßung zu verengen, gefordert wird Schlosser und Frack nur noch bei Staatsvisiten, Bällen, Repräsentationen. Edleres, seiner Menschheit bewußteres Gemüth, denkenderer Geist, thue das Deinige, diesen Verdrängungsproceß zu verstärken, zu beschleunigen, stelle dich hinüber zu den Geweihten, »der freisten Mutter freisten Söhnen«, die der Dichter apostrophirt:
Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben;
Bewahret sie!
Weit bedenklicher droht der jetzige Damenrock – eben der Bauchspanner und Kniewetzer – unseren Typusbegriff in der Bedeutung befreiender Aushülfe zu erschüttern. Er behauptet sich seit Jahren mit einer Hartnäckigkeit, die ihn über die bloße Mode zu heben scheint; darf er sich anmaßen, Typus zu heißen, so folgt aus unseren eigenen Sätzen, daß auch für freiere Willenskräfte kein rettender Ausweg ist. Aber nein! Was so naturwidrig und unbequem zugleich ist, kann nicht Typus sein, ist nur Mode, nur mehr als gewöhnlich eigensinnige Mode; man muß ihm trotzen können, wenn man nur will, an uns liegt es, zu sorgen, daß es nicht Typus werde, und – Halt! Wo gelangen wir hin? Wenn wir das für möglich halten, durch Kreuzpredigt einen Sturm zu organisiren gegen ein so zähes Stück Mode, geht das nicht weiter, als nach allen bisherigen Erwägungen erlaubt ist?
Nein! es geht nicht weiter. Zunächst können wir auf dem Schmugglerpfad, auf dem wir den Gebirgspaß der schrecklichen Antinomie umschlichen haben, noch ein Stück weiter gehen. Wir haben unterschieden: die große Menge, bei der es sich der Mühe nicht verlohnt, zu untersuchen, ob sie Willensfreiheit besitze, und eine Garde, die zwar auch nicht ganz frei ist, aber doch ein Theil ihrer Freiheit ehrenvoll behauptet. Nun ist aber die Grenze zwischen beiden nicht durch einen scharfen Strich gezogen, sie ist eine fließende; als gute Menschen müssen wir annehmen, daß es in der Schafheerde noch unbestimmt viele Rettbare gibt, Seelen, die wir noch dem Wolf Modeunfug aus dem Rachen reißen, die wir zu uns herüberziehen, zu einem Bund, einer Verschwörung gegen den Feind einladen können, der da umgeht wie ein brüllender Löwe. Doch ehrlich gestanden: wir fühlen uns im Zuge, spitzfindig zu werden. Was heißt diese Auskunft anderes, als daß wir die Menschen einfach überhaupt für frei nehmen? Was folgt? Wie stehen wir? Wir haben bekannt, daß wir die Antinomie nicht zu lösen vermögen. Der Mensch ist frei und er ist das Werkzeug geschichtlicher Nothwendigkeit; beides muß wahr sein, obwol wir es nicht zu vereinigen wissen, und wenn beides wahr ist, so steht es uns ganz lustig offen, uns bald auf den einen, bald auf den andern Standpunkt zu stellen. Wir behandeln die Menschen als frei, rathen, mahnen; vermögen wir nichts, gibt uns die Zukunft Unrecht, so haben wir uns nicht schlimmer blamirt, als irgend ein redlich mahnender Onkel, als Gesetzgebender, Redner, Erzieher, als Alle, die ein bischen Vernunft in die Leute bringen möchten und öfter durchfallen, als nicht. Die Zukunft wird unsere Versuche, Appelle freien Willens an freien Willen, eben auch zu den Nothwendigkeiten rechnen und lächelnd sagen: es wäre gescheuter gewesen, beim bloßen Registriren stehen zu bleiben, aber item, er hat gethan, was er nicht lassen konnte.
Also klug oder unklug, auf Gefahr hin, Kapuziner gescholten zu werden, auf die dünnblaue Möglichkeit hin, daß es etwas nütze, wir lassen den Rappen laufen, wir predigen.
Man sollte meinen, wo nicht so viel Geschmack ist, da sei doch wenigstens so viel Eigensinn, einer dummen, einer entstellenden, einer frechen neuen Mode zu widerstehen.
Geschmack. Was ist Geschmack? Eine schwere Frage, worüber wir uns oft den Kopf zerbrochen haben. Reden wir von dem Gebiete, wo das Schöne rein und frei von bindenden Nebenbeziehungen zum Leben gelangen soll, von der Kunst, so wird Niemand bezweifeln, daß hier weder die Schöpfung noch die Beurtheilung Sache des bloßen Geschmackes ist. Der bloße Geschmack schafft kein Kunstwerk und er ist nicht der Richter, vor den es sich stellt. Große Künstler haben an argen Geschmackfehlern gelitten, ich nenne M. Angelo, Albrecht Dürer, Shakespeare. Wir wollen nun das reine Kunstgebiet vorerst bei Seite lassen, um nachher darauf zurückzukommen. Gerade die Region, worin wir uns befinden, wird uns vielleicht zu einer annähernd richtigen Vorstellung führen. Es wird uns schwerlich bestritten werden, daß man das Wort Geschmack vorzüglich im Munde zu führen pflegt, wenn von Kleidung und verwandten Dingen, wie Ausrüstung von Wohnräumen, die Rede ist. Aber in zweierlei sehr verschiedener Bedeutung wird das Wort angewendet. Wir sagen: das ist Geschmacksache; Jeder nach seinem Geschmack; über Geschmack ist nicht zu streiten, und wir gestehen damit zu, daß hier ein Gebiet des freigegebenen Beliebens sei. Und das Belieben geben wir den Individuen darum frei, weil es sich um Dinge handelt, worin die Schönheit nicht der einzige Maßstab ist, weil daneben auch die Bequemlichkeit, der Schutz des Körpers, die Rücksicht auf Zeitbegriffe, und weil endlich noch etwas ganz Unberechenbares auf dieser Bühne eine Rolle spielt. Dies Unberechenbare sitzt in den ganz unbestimmbaren Eigenheiten der Individualität genau wie Neigung zu dieser, Abneigung gegen jene Speise, daher der Name auch vom Urtheil des Zungennervs genommen ist. Eine Blondine müßte nach dem Farbengesetz Blau zum Kleide wählen; sie hat aber eine Vorliebe für Roth, kein Mensch kann wissen, warum? es liegt im unergründlichen Dunkel des Naturells; sie mag dieser Vorliebe folgen; es gibt in diesen Gegenden keine Polizei, keinen Gerichtshof, treib' es Jeder wie er mag. Es ist oben gesagt, der Geschmack schließe ein Bewußtsein der eigenen Gestalt in sich, wie sie sich ausnimmt und was zu ihr paßt. Ein klares Beispiel, wie Manche durchaus keine Vorstellung davon haben, ist nachher beigebracht, es sind würdige Männer vorgeführt, die den Hut wie lustige Halbsimpel tief nach hinten aufzusetzen pflegen. Sie mögen; es ist ihre Sache; sie verkaufen sich ja nicht für Gemälde, nicht für Marmorbüsten.
Und dennoch, es gibt eine Polizei, es gibt eine Justiz; wir brauchen das Wort noch in einem andern, in richtendem Sinne. »Er oder sie hat Geschmack – hat keinen Geschmack« sagen wir schlechtweg und behaupten damit, daß auch in dieser, ein andermal ganz freigegebenen Sphäre ein Gesetz herrscht.
Wie bringen wir beide so verschiedenen Arten des Sprachgebrauchs zusammen? Die Antwort liegt auf der Hand: Geschmack haben heißt ein Schönheitsgesetz fühlen und anerkennen, heißt finden, begreifen, thun, was zusammenpaßt, auch in der Region, die doch dem Zufall des freien Beliebens überlassen ist, in der Region, wo keine Kunstrichter Sitzungen halten und rhadamanthische Sprüche fällen. Du bist bleich und liebst Blau. Du magst durch ein blaues Kleid dein Gesicht gelb machen, es steht dir frei, man läßt dir deinen Geschmack, überwindest du deine Vorliebe und wählst helle Farben, die das wenige Blut in deinem Gesichte aufhöhen, so hast du Geschmack.
Nun aber müssen wir auf die Kunst zurückblicken. Ein Shakespeare erfindet einen Macbeth, Hamlet, Lear: das ist wahrhaftig mehr als Geschmack, das ist Schaffen aus dem Centrum und Schaffen eines Centrums für ein Dichterwerk. Aber das Centrum hat seine peripherischen Partien, seine Ausläufer. Eine Statue kann aus dem reinsten, gediegensten Lebens- und Schönheitsgefühl hervorgewachsen sein, es handelt sich dann noch von Haltung einer Hand, Stellung eines Fingers, Legung einiger Falten, Verhältniß eines Gewandendes zu den Füßen, einer Zierrath: da kann den Künstler sein Schönheitsgefühl verlassen, es will nicht ganz in diese Peripherie hinausreichen, und so geschieht es ihm, daß er an diesen Enden geschmacklos wird. Nicht anders der Dichter: ein Charakter ist aus dem Mark und Kern der Poesie geschaffen, aber dort ein einzelnes Motiv, hier eine Metapher, Redefigur fällt matt oder gesucht, überheizt, widerwärtig aus, der herrliche Feuerstrom verläuft sich an einigen Punkten so, daß der Saum nicht des Mittelpunktes würdig ist, ein Schöpfer des Schönen verliert an den Ausläufern seine Sicherheit und wird geschmacklos. Was wir in der selbständigen Kunst peripherisch nennen, hat nun etwas Analoges mit dem gemischten Gebiete, das uns hier beschäftigt: ebenso wie es in der Mode, Jedem freigegeben scheint, wie er's halten mag, kann der Künstler meinen, an jenen Ausläufern dürfe er sich mehr gehen lassen, seinen Launen, Grillen, subjectiven Marotten Luft geben, aber ebenso wie man dort dennoch kategorisch sagt, N. hat Geschmack, X. hat keinen Geschmack, so urtheilt man auch über den Künstler, mag er im Kern seiner Schöpfung noch so groß sein, freiweg: er hat zum Genie auch Geschmack, oder: er hat Genie, aber am Geschmack, da fehlt es.
Zurück zur Sache. Also: wir stellen eben doch auch im Gebiete der freigelassenen unendlichen Geschmäcke das Ansinnen: du solltest Geschmack haben! Hat aber Einer eben keinen, ist ihm darin nicht zu helfen, so sollte er, haben wir gesagt, doch wenigstens so viel Eigensinn haben, sich nicht aufzwingen zu lassen, was mindestens im Anfang, wenn es neu aufkommt, ihn vor seinen, obwohl dicken Kopf stößt, was doch nach seinem eigenen, zwar nicht selbständigen, doch durch Vergleichung mit bestehendem Besserem und durch die Stimme der Vernünftigen unterstützten Urtheil geschmackwidrig ist. Ruft denn auch gar nichts in euch: das will ich nicht, mag ich nicht, das geht mir zu weit!? Wollt ihr denn schlechterdings Sclaven sein? Mit unserem eigenen Satz von der pythischen Mission der Putzmacherinnen, Schneider und Hutmacher dürft ihr uns jetzt nicht mehr kommen; das ist erledigt; der Geist der Zeiten muß sich seinen Ausdruck geben, aber ihr seid dennoch frei, es steht in eurer Macht, ob ihr zum dumpfen Haufen gehören wollt, der sicher dafür sorgt, daß nach der Narrengeige getanzt werde. Die Musikanten, die Componisten sind mystische Zauberkräfte und auch nicht; sie sind es, sind absolute Mächte für die blinde Menge, und sie sind unverschämte Nullen für die Vernünftigen. Was! Einigen Hutmachern fällt es ein, statt des zweckmäßigen breiteren Filzhutes ein Affendeckelchen an's Fenster zu stellen, – Achtung! Aufgepaßt! Tagesbefehl! Stimme von oben! der Herr auf dem Sinai, Jehovah im brennenden Dornbusch hat es befohlen! Heilig, wie die zehn Gebote! – Wir kennen die Sprache der Modejournale: »so trägt man's,« »das ist erlaubt,« »das ist nicht mehr zulässig!« – Was? Wer sind die »man«? Wie Viele geben ein »man«? Wer erlaubt? Wer läßt nicht zu? Woher die Weisheit? Woher die Autorität? Sie thun wahrhaftig, als wären sie der kategorische Imperativ in Person, übersinnlicher Korporalstock aus dem Wolkenzelt, und diesem groben Orakel duckt sich die Schöne, die einer vernünftigen Bitte ihres Verlobten Trotz und Spott entgegensetzt, wie je ein armer Tropf von Rekrut unter der Fuchtel des Exercirlümmels sich krümmte.
Wir müssen die Sache zum Schluß noch unter einen besonderen Gesichtspunkt stellen. Es ist eben doch auch nicht eine Zeit wie die andere. Daß wir in Zeiten der Erniedrigung den Franzosen jede ihrer Moden in all ihre Auswüchse hinein nachäfften, war einfach ein Stück der Erniedrigung überhaupt; daß wir auch in der Zeit der Ehre ihnen den Vortritt lassen, ist in Ordnung, sofern es nur mit einem Maße von Vorbehalt geschieht; sie haben einmal mehr Schick als wir. Aber jetzt, nachdem wir die frivole Raubgier endlich gezüchtigt haben, jetzt, d. h. nicht heute erst, nein, gleich nach dem Sieg nichts Besseres wissen, als von den Besiegten nicht etwa eine schöne Form, sondern die ganze ächt keltische Geilheit herübernehmen, wie sie in der Erfindung dieses Weiberkleides, in dieser ganzen Art von Aufputz, wie sie in den rohen Entblößungen auf vornehmen Bällen prickelt und kitzelt – man braucht wahrhaftig kein Teutone zu sein, um daran einen herzlichen Ekel zu empfinden. Und diese Verbitterung unserer Siegesfreude kann nur wachsen, wenn man auch hier bestätigt sieht, was längst bekannt und unzählige Male gesagt ist: daß uns ja die Leichtigkeit fehlt, das gewisse Schwebende, was der Franzose und noch mehr die Französin Allem zu geben weiß. Es ist etwas Hanswurstiges im französischen Blut, ein Rabelaisgeist, der auch dem Frechen ein Theil seines Stachels nimmt, so daß es mehr noch zum Lachen als zum Zürnen reizt. Bei uns wird das Alles schwer, erdig, stoffartig, wird bleierner Ernst und fordert den Ernst des ungetäuschten Urtheils heraus.
Und wie traurig ausdrucksvoll hängt das zusammen mit der ganzen Stimmung, die über der Nation liegt! Mit der massenhaften Losung: Genuß und Gewinn um jeden Preis! Lächerlich, wer von Ehre und Gewissen, wer gar von Idealen spricht! Man hat wahrhaftig Stunden, wo man sich sagt: die politische Erhebung hat den sittlichen Kern der Nation angefault vorgefunden und nimmer wird sie den Stolz lernen, der andern Völkern schon im Blute liegt; man könnte fast den unverantwortlichen Frevel begehen, zu wünschen, daß ein neuer großer Krieg mit anfänglichen großen Niederlagen, die uns zwängen, zu ungeheuern Opfern uns aufzuraffen, die allgemeine Ueppigkeit zu Boden schlüge und wieder einmal Ernst in die Gemüther senkte. Vielleicht würde er die Fetzen gleich mitabstreifen. Kunst und Kunsthandwerk sprechen nicht minder offen als der Kleiderfirlefanz die gewisse Verbrühtheit aus, welcher die Seelen verfallen sind. Wir hatten gemeint, der Weg sei gefunden, die Renaissance in der guten Zeit ihrer ersten und mittleren Blüthe sei und bleibe zum Muster erkoren. Es fehlt auch nicht an guten Kräften, die treu am Edlen, am Stylgemäßen halten, aber sie sind nicht in der Mehrheit. Diese weiß nichts Besseres zu thun, als den Fortgang zum Barocken und Rococo, dem jene Neubelebung des Klassischen einst Schritt für Schritt verfiel, in erhitzter Eile schneller zu wiederholen. Die Baukunst läßt den Stein tanzen, schwellen, quirlen, ausschlagen, sich zerfasern und zerzausen, die Kunsttechnik springt ihr nach und bläht sich und schraubt sich in Schwulst. Wer's nicht glauben will, der möge nur etwa nach den Modeformen der Standuhren hinsehen. Schon längst hatten wir als Motiv der Gehäusverzierung ein Gebausche und Geplätsch von verwirrten, geschlenkerten Kohl- und Schilfblättern mit Rollen und Muscheln von den Franzosen entlehnt, dazu etwa noch eine kokette, langkragige Figur, eine Diana, Schäferin u. dgl., lauter Formen gleich einer mit dem Absatz ausgetretenen Wurst. Und das strotzt heute noch, ja jetzt erst recht, auf unsern Möbeln, an unsern Auslagfenstern. Ruhig-maßvolle Form gilt für langweilig. Die Formenwelt soll rufen: Hellauf! wir sind flott und liederlich! – Es wäre auch ein Lied zu singen von der Dichtung, von der Blüthe der Klatsch- und Pasquill-Romane, der Eisenbahnliteratur und vom Theater, wo der hohe Styl und der Ernst vor leeren Bänken spielt und der muffige, übelriechende, aber glänzende Spaß vor vollgepfropften. – Doch es ist Zeit, zum Schluß zu eilen, sonst gerathen wir in's trostlos Unendliche.
Vorher ist nur noch etwas mit der lieben Unschuld abzumachen. Wir haben es oben versprochen, dem Einwurf Rede zu stehen, nur wir seien es, nur unser unreiner Blick, dem die jetzige weibliche Mode in ihrem Haupttheil so frech erscheine. Gutes, sittsames Kind, das in holder Blindheit nicht sieht, was Jene dort an der Seine meinten, als sie dir vorschrieben, deine Glieder zu so unverblümter Deutlichkeit herauszuspannen! Der gekreuzigte Wohlanstand neigt sein Haupt nach dir hin, dann in die Höhe und ruft: Vergib ihnen, himmlischer Vater, denn sie wissen nicht, was sie thun! Im Ernst: Formverderb in der Mode frißt contagiös um sich genau wie Sprachverderb. Millionen Menschen in Deutschland meinen ein R. zu sprechen und sprechen ein A, oder ein S und sprechen ein D, wobei wir nicht an organischen Fehler denken, sondern nur an Gewöhnung. Das haben irgendeinmal Großstädter angefangen aus purer Affectation, es ist eingerissen und jetzt saugt es das Kind mit der Luft und Muttermilch ein, nicht ahnend, daß es Affectation ist, aber es ist Affectation und bleibt Affectation. Und so bleibt Dirnenkleid, mag auch das Kind im Mutterleib es tragen.
Nun, und der Schluß? Doch nicht gar noch ein Vorschlag? Gar noch so weit abfallen von dem guten Vorsatz, nur zu registriren, nicht zu dociren?
Ach ja, mit holder Scham müssen wir gestehen, wir haben noch einen Vorschlag in petto, wir wagen es, uns dem Gelächter preiszugeben bis zu diesem Aeußersten.
Nur dürfen die Spötter nicht hoffen, daß wir ihnen den Spaß machen werden, eine deutsche Tracht vorzuschlagen. Wir haben es ja gleich vornherein belächelt, daß einige wohlmeinende Frauenseelen zur Kriegszeit mit Artikelchen solches altgermanischen Inhalts in Localblättchen hervortraten wie »ein Edelknecht, sanft und keck«. Thusnelda-Schnepp, Rock, Weste, Gürtel und Locken des armen Sand schlummern seit 1820 in der Rumpelkammer. Wir können nicht aus der Mode heraus, denn wir stehen mitten im Völkercontact, und die Mode kennt keine Völkertrachten. Wir fressen keine Eicheln mehr und als wir sie noch fraßen, hatten wir keine Tracht, sondern begnügten uns mit Wolf- und Bärenfellen. Aber da die Mode doch die Kleidform der geweckten, helleren, obwol darum noch lange nicht vernünftigen Menschheit ist und da es in dieser doch auch Einige gibt, die sich Freiheit und Vernunft retten, so sollte man meinen, diese könnten durch Zusammenschluß doch so viel erreichen, daß in irgend einem Umfang menschlicher Wohnsitze nur wenigstens den verrücktesten Auswüchsen der Mode Halt geboten würde.
Nun haben wir zugegeben, daß die Ordonnanz der Mode für das Weib lautet: lieber mit Allen frech, als auffällig durch Abweichen von dem, was Alle tragen! Tragen sich Alle frech, so ist die Frechheit, nicht zu tragen, was Alle tragen, doch die größere! Wirklich, mit Fingern auf sich zeigen lassen, fordert fast übermenschlichen Muth. Die Einzelne vermag nichts. Wie wär' es denn nun aber, wenn Viele zusammenstünden? Ich meine so: etwa zweihundert, dreihundert Frauen in einer großen Stadt thun sich zusammen, berathen mit Künstlern von Geschmack eine vernünftige Form, – versteht sich, nichts Gesuchtes, nichts Theatralisches, auch nichts puritanisch Einfaches, nur einmal jedenfalls Rückkehr zum Kleid mit einfach fallenden Falten, im Uebrigen wird Spielraum gelassen, werden blos einige Linien gezogen für mancherlei passende, nur Unsinn vermeidende, doch den Einzelnen noch persönliche Wahl anheimgebende Zier in Kopfputz, Schmuck, Ueberwurf und anderen Dingen. Sämmtliche Mitglieder dieser Liga verpflichten sich eidlich, an Einem Tag, womöglich zu derselben Tageszeit, in den neuen Kleidern öffentlich sich sehen zu lassen.
Die Verschworenen begeben sich in Begleitung von Männern, Brüdern, Verlobten, Onkeln – kurz, was sie für Beschützer haben mögen, – in die Werkstatt von Schneiderinnen, Näherinnen, Putzmacherinnen. Besagte Männer versehen sich zu diesem Gang mit guten Revolvern (»bewaffnet sie mit Piken« sagt Buttler); sie legen diesen Künstlerinnen die Musterzeichnungen vor und erzwingen sich unter Androhung augenblicklichen Todes das Gelübde strikten Gehorsams in der Ausführung. Daß es anders nicht geht, leuchtet ein.
Gut. Wenn nun die Gehäuse fertig sind, so führen die Eidgenossinnen aus, was sie sich geschworen. Freilich können nicht Dreihundert zusammengehen, doch nicht anders als in Trüppchen sollen sie ausschwärmen und übrigens, wie gesagt, gleichzeitig. Auf den Straßen wird es geben ein Hälserecken, ein Einanderanstoßen mit Ellenbogen, ein Mundwinkelzucken, ein Flüstern unter den feineren Damen, ein Stehenbleiben, laut Lachen, Fingerzeigen unter gröberem Volk; aber all dies trifft erstens nie Eine allein, zweitens muß es nach ganz kurzer Zeit in sich selbst ersticken, denn der Spottchor wird schlechtweg erdrückt von der Menge. Und, – was wetten Sie, meine edlen Heldinnen? – ein paar Tage darauf hängen die reinen Normen, als deren lebendige Organe Sie sich hervorgewagt haben, an allen Putzladenfenstern, und in vierzehn Tagen ist die Affentracht der Mode mit Schmach aus dem Felde geschlagen, ist genau so lächerlich, so unglaublich, wie dem Gänsevolk bei dem ersten Blick Ihr anständiges neues Kleid erschien, und die Frechheit kann sich nicht mehr unter den Satz verstecken, es sei frecher, sich anders zu tragen, als Alle.
Ich bin fertig.
»Cardinal, ich habe das Meinige gethan, thun Sie das Ihre!«
Sie schütteln den Kopf und lachen? Nun ja, dann fällt der zweite Satz weg, nicht der erste. Dixi et animam salvavi.
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