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An Bord des englischen Schiffes »der Culloden« vor Rochefort, 1804.
Sent to France, with admiral Collingwood's permission.
»Du brauchst nicht zu wissen, mein Kind, auf welche Weise Du in den Besitz dieses Briefes gelangst und auf welchem Wege ich von Deiner Aufführung und von Deiner augenblicklichen Lage habe hören können. Möge Dir die Mitteilung genügen, daß ich zufrieden mit Dir bin, daß ich Dich zweifelsohne aber niemals wiedersehen werde. Wahrscheinlich wird Dich das wenig beunruhigen. Du hast Deinen Vater nur in einem Alter gekannt, wo das Gedächtnis noch nicht ausgebildet und das Herz noch nicht erschlossen ist. Später als man gewöhnlich denkt, tut es sich bei uns auf, und ich habe mich oft darüber gewundert. Was aber sollte man dagegen tun? ... Du bist, wie mir scheint, nicht schlechter als ein anderer. Ich muß mich wohl damit begnügen. Alles, was ich Dir zu sagen habe, ist, daß ich seit dem vierzehnten Thermidor des Jahres Sechs (oder dem zweiten August Siebzehnhundertachtundneunzig alter Zeitrechnung, die, wie es heißt, heute wieder in Mode kommen wird) Gefangener der Engländer bin. Ich war an Bord des »Orient« gegangen, und wollte den tapferen Brueys überreden nach Corfu zu segeln. Bonaparte hatte seinen armen Adjutanten Julien bereits an mich geschickt, der die Torheit beging sich von den Arabern wegfangen zu lassen. Ich kam hin, doch vergebens. Brueys war eigensinnig wie ein Maultier. Er erklärte, man würde das Fahrwasser nach Alexandrien schon finden, um die Schiffe dort einlaufen zu lassen; fügte aber noch einige reichlich kecke Worte hinzu, die mir nur zu deutlich sagten, daß er im Grunde ein bißchen eifersüchtig auf das Landheer war ...
»Hält man uns denn nur für Fährleute,« sagte er zu mir, »und meint man, daß wir Angst vor den Engländern hätten ?«
Besser wär' es für Frankreich gewesen, er hätte Angst gehabt. Wenn er aber üble Fehler beging, so sühnte er sie ruhmreich; und ich kann sagen, daß ich den von mir begangenen, nämlich bei ihm an Bord geblieben zu sein, als man ihn angriff, mit Langeweile büße. Brueys ward anfangs an Kopf und Hand verwundet. Er setzte den Kampf bis zu dem Augenblicke fort, wo ihm eine Kugel die Eingeweide heraustrieb. Er ließ sich in einen Kleiesack stecken und starb, auf seiner Admiralsbank. Genau erkannten wir, daß wir gegen zehn Uhr abends in die Luft fliegen würden. Was von der Mannschaft übrigblieb, stieg in die Schaluppen und brachte sich mit Ausnahme von Casa-Bianca in Sicherheit. Er harrte wohlverstanden als letzter aus; sein Sohn aber, ein hübscher Junge, den Du, glaub ich, gesehen hast, suchte mich auf und fragte:
»Was soll ich jetzt tun, Bürger, wenn ich Ehre im Leibe habe ?« ...
Armer Kleiner. Er war, glaub ich, zehn Jahre alt, und das sprach in solchem Augenblicke von Ehre! Ich nahm ihn im Boot auf meine Knie und sorgte dafür, daß er seinen Vater nicht in die Luft fliegen sah mit dem armen »Orient«, der wie eine Feuergarbe in der Luft auseinandersprühte. Wir flogen nicht mit in die Luft, sondern wurden, was sehr viel schmerzlicher ist, gefangen genommen; und ich kam unter Aufsicht eines wackeren englischen Kapitäns namens Collingwood, der jetzt den »Culloden« befehligt, nach Dover. Wenn es je einen Ehrenmann gab, so ist er's. Seit Siebzehnhunderteinundsechzig – so lange dient er bei der Marine – hat er das Meer nur für zwei Jahre verlassen, um sich zu verheiraten und seine beiden Töchter in die Welt zu setzen. Diese Kinder, von denen er fortgesetzt erzählt, kennen ihn nicht und seine Frau kennt seinen trefflichen Charakter fast nur aus seinen Briefen. Ich aber fühle deutlich, daß der Kummer über jene Niederlage bei Abukir meine Tage abkürzt; währen sie doch nur zu lange, da ich solchen Unstern und meiner ruhmreichen Freunde Tod erlebte. Mein hohes Alter hat hierzulande jedermann gerührt. Da das Klima Englands mir starken Husten verursacht und alle meine Wunden wieder aufgebrochen hat, so daß ich mich des einen Armes gar nicht mehr bedienen kann, ist der gute Kapitän Collingwood für mich um die Vergünstigung (die er für sich selber, dem das Land verboten ist, nicht hätte durchsetzen können), daß ich nach Sizilien unter eine wärmere Sonne und einen reineren Himmel gebracht werde, eingekommen und damit zum Ziel gelangt. Ich glaube schon, daß ich dort endigen werde, denn achtundsiebzig Jahre, sieben Wunden, tiefer Kummer und Gefangenschaft sind unheilbare Krankheiten. Ich konnte Dir nur meinen Degen hinterlassen, armes Kind, jetzt aber kann ich nicht einmal das, denn ein Gefangener hat keinen Degen mehr! Doch habe ich Dir wenigstens einen Rat, den nämlich zu geben, Deiner Begeisterung für Männer, welche schnell emporsteigen, und vor allem für Bonaparte zu mißtrauen. So wie ich Dich kenne, würdest Du ein fanatischer Parteigänger werden und vor Parteigängerschaft muß man sich in Acht nehmen, wenn man Franzose, das heißt sehr empfänglich dafür ist, von dieser ansteckenden Krankheit befallen zu werden. Es ist merkwürdig, welche Menge kleiner und großer Tyrannen sie hervorbrachte. Maßlos lieben wir die Maulhelden und geben uns ihnen so gutwillig hin, daß wir es hinterdrein unweigerlich bereuen. Ursache dieses Fehlers ist großes Tätigkeitsbedürfnis und große Gedankenträgheit. Daraus ergibt sich, daß wir uns dem am liebsten mit Leib und Seele überlassen, der das Denken und die Verantwortung für uns übernimmt, und hinterdrein lachen wir über uns und ihn und damit ist's dann abgetan.
Bonaparte ist ein guter Junge aber ein über die Maßen plumper Marktschreier. Er wird, fürcht' ich, bei uns Urheber einer neuen Art Taschenspielerei werden und deren haben wir doch schon hinreichend genug in Frankreich ... Marktschreierei ist unverschämt und verderblich und man sah in unserm Jahrhundert so viele Beispiele und hörte sie auf dem Marktplatze so viel Pauken- und Trommellärm vollführen, daß sie sich in jeglichen Beruf einschlich und es keinen noch so kleinen Mann gibt, den sie nicht aufgeblasen macht ... Die Zahl der platzenden Frösche läßt sich nicht abschätzen. Sehr lebhaft hoffe ich, daß mein Sohn sich nicht darunter befindet.
Recht froh bin ich, daß er mir sein Wort hielt, indem er, wie er sagte, für Dich sorgte; doch verlaß Dich nicht zu sehr darauf. Kurz nachdem ich Ägypten auf so traurige Weise verließ, erzählte man mir folgende Szene, die sich bei einem gewissen Mittagmahle abspielte; ich will sie Dir berichten, damit Du häufig an sie denkst.
Als Bonaparte am ersten Vendemiaire in Kairo war, ordnete er als Institutsmitglied ein Bürgerfest zum Jahrestage der Einführung der Republik an. Die Besatzung Alexandriens feierte das Fest bei der Pompejussäule, auf der man die dreifarbige Fahne aufpflanzte. Die Nadel der Kleopatra wurde mäßig beleuchtet; und die oberägyptischen Truppen feierten das Fest, so gut sie es vermochten, zwischen den Pylonen, Säulen und Karyatiden Thebens, auf den Knien des Memnonkolosses und zu Füßen der Tama- und Chamabildsäulen. Das erste Armeekorps veranstaltete seine Manöver, Wettrennen und Feuerwerke in Kairo. Der kommandierende General hatte den ganzen Generalstab, die Kanzleibeamten, die Gelehrten, den Kiaya des Paschas, den Emir, die Diwanmitglieder und die Aghas eingeladen; man saß um eine Tafel mit fünfhundert Gedecken herum in einem ebenerdigen Saale des von ihm am El-Bekirplatze bewohnten Hauses. Freiheitsmütze und Halbmond verflochten sich liebevoll, türkische und französische Farben bildeten höchst anmutig Baldachin und Teppich, auf dem Koran und Tafel der Menschenrechte sich vermählten.
Nachdem die Gäste mit ihren Fingern wacker Hühnchen und mit Safran gewürzten Reis, Wassermelonen und Früchte verzehrt hatten, warf Bonaparte, welcher kein Wort sprach, einen schnellen Blick über sie alle. Der gute Kleber, der neben ihm lag, weil er seine langen Beine nicht in türkischer Weise unterschlagen konnte, versetzte seinem Nachbar Abdallah-Menou einen kräftigen Ellenbogenstoß und sagte mit seinem halbdeutschen Akzente zu ihm:
»Paß auf, Ali-Bonaparte will uns einen seiner Streiche spielen!«
Er nannte ihn so, weil der General sich beim Mohammedfeste den Spaß geleistet orientalische Tracht anzulegen und man ihn im Augenblicke, wo er sich zum Beschützer aller Religionen aufwarf, pomphaft den Namen: Eidam des Propheten beigelegt und ihn Ali-Bonaparte genannt hatte.
Kleber hatte noch nicht zu Ende gesprochen und fuhr mit seiner Hand durch seine dichten blonden Haare, als der kleine Bonaparte schon aufrecht stand, und, sein Glas seinem mageren Kinn und seiner breiten Halsbinde nähernd, mit rascher, heller und kurz abgerissener Stimme rief:
»Trinken wir auf das Jahr Dreihundert der französischen Republik!«
Kleber hub an Menous Schulter so zu lachen an, daß der sein Glas über einen alten Agha ausschüttete; Bonaparte warf beiden stirnrunzelnd einen Seitenblick zu.
Gewißlich hatte er recht, mein Kind; denn in Gegenwart eines kommandierenden Generals darf ein Divisionsgeneral, und wäre es auch ein fideles Haus wie Kleber, keine unschickliche Haltung annehmen; doch hatten die auch nicht ganz unrecht, da Bonaparte sich zu eben dieser Stunde Kaiser nennt und Du sein Page bist.«
»Tatsächlich«, sagte Hauptmann Renaud, den Brief wieder aus meinen Händen nehmend, »war ich eben, Achtzehnhundertvier, zu des Kaisers Pagen ernannt worden ... Ach, ein schreckliches Jahr war das, mit was für Ereignissen ging es schwanger, als es über uns kam, und wie aufmerksam würd' ich es betrachtet haben, wenn ich damals etwas zu betrachten verstanden hätte! Aber ich hatte keine Augen zu sehen, keine Ohren, um etwas anderes als des Kaisers Handlungen, des Kaisers Stimme, des Kaisers Gesten und des Kaisers Schritt zu hören. Sein Kommen berauschte, seine Gegenwart magnetisierte mich. Der Ruhm, an diesen Mann gebunden zu sein, erschien mir als Höchstes auf dieser Welt, und nie hat ein Liebhaber seiner Geliebten Gegenwart mit lebhafterer und erdrückenderer Gemütsbewegung empfunden, als sein Anblick täglich in mir hervorrief. Die Bewunderung vor einem militärischen Anführer wird eine Leidenschaft, ein Fanatismus, eine Raserei, die uns zu rasenden und blinden Sklaven macht ... Der arme Brief, den ich Ihnen eben zu lesen gab, wirkte auf mein Gemüt nur wie das, was Schüler eine Moralpauke nennen, und ich fühlte nur die ruchlose Erleichterung der Kinder, die sich von der natürlichen Autorität erlöst meinen und sich frei fühlen, weil sie die Kette wählten, welche ihnen die allgemeine Begeisterung um ihren Hals geschmiedet. Doch ein Rest angeborenen guten Gefühls ließ mich dies geheiligte Schriftstück aufbewahren, und sein Einfluß auf mich vermehrte sich in dem Maße, in welchem meine Träume heldenhafter Unterwürfigkeit sich verminderten. Stets trug ich ihn auf meinem Herzen und schließlich faßte er unsichtbare Wurzeln dort, sobald der gesunde Menschenverstand meinen Blick von den Wolken befreite, die ihn damals bedeckten. Ich konnte heute nacht nicht umhin ihn nochmals mit Ihnen zu lesen und habe ja Mitleid mit mir, wenn ich bedenke, welch langsamen Kreislauf meine Gedanken verfolgten, um zu der dauerhaftesten und einfachsten Basis männlichen Betragens zurückzukehren. Sie sollen sehen, mit wie wenig es sich begnügt; doch glaub' ich wahrlich, mein Herr, daß das für eines rechtschaffenen Mannes Leben genügt, und ich habe sehr viel Zeit gebraucht, um den Quell der wahren Größe, die in dem schier barbarischen Waffenhandwerk möglich sein kann, zu entdecken.«
Hier ward Hauptmann Renaud von einem alten Grenadiersergeanten unterbrochen, der vor der Kaffeehaustüre mit geschultertem Gewehr Halt machte und einen unter seinen Gewehrriemen geschobenen, auf graues Papier geschriebenen Brief hervorzog. Der Hauptmann erhob sich gelassen und brach den Befehl, welchen er erhielt, auf.
»Sagen Sie Bejaud, er soll das ins Befehlsbuch eintragen«, erklärte er dem Sergeanten.
»Der Feldwebel ist vom Zeughause nicht zurückgekommen«, meldete der Unteroffizier mit einer Stimme, die so sanft war wie die eines jungen Mädchens, und schlug die Augen nieder, ohne auch nur ein Wort verlauten zu lassen, wie sein Kamerad getötet worden war.
»Sein Schreiber soll ihn ersetzen«, sagte der Hauptmann, ohne etwas zu fragen, und unterzeichnete auf des Sergeanten Rücken, der ihm als Pult diente, den Befehl. Er hustet etwas und fuhr dann ruhig fort: