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Am 18. August 1871 kam ich in Chamouni mit dem festen Entschluß an, die Besteigung des Mont-Blanc um jeden Preis durchzuführen. Mein erster Versuch dazu im August 1869 war mißlungen, weil das ungünstige Wetter mich verhindert hatte, weiter als bis zu den Grands-Mulets zu kommen. Dies Mal schienen die Umstände nicht viel besser für meine Expedition, denn das am Morgen noch schöne Wetter schlug gegen Mittag plötzlich um; der Mont-Blanc »setzte seine Haube auf« und fing an »seine Pfeife zu rauchen«, wie der landläufige Ausdruck in jenen Gegenden heißt. Dies sagt in weniger bildlichen Ausdrücken, daß er sich mit Wolken bedeckte, und daß der von einem heftigen Südwestwind gejagte Schnee einen langen Federbusch an seinem Gipfel zu formiren schien, der sich nach den unergründlichen Schluchten des La Brenva-Gletschers hinzog. Dieser Federbusch zeigte den unvorsichtigen Touristen die Linie an, auf der sie mit unwiderstehlicher Gewalt fortgerissen würden, im Fall sie es wagten, dem Berge zu trotzen.
Die folgende Nacht war sehr schlecht; es regnete und stürmte um die Wette, und das Barometer stand mit einer Unbeweglichkeit, die mich fast zur Verzweiflung brachte, auf veränderlich.
Endlich, gegen Tagesanbruch, kündigten Donnerschläge eine Modifikation im Zustand der Atmosphäre an, und bald danach heiterte sich der Himmel auf. Die Kette des Brevent und der Aiguilles-Rouges wurde klarer; der Wind wehte jetzt aus Nordwesten und ließ über dem Col de Balme, der im Norden das Thal von Chamouni begrenzt, einige leichte flockige Wolken erscheinen, die ich als Vorboten schönen Wetters begrüßte.
Trotz dieser glückverkündenden Anzeichen, und obgleich das Barometer ein wenig gestiegen war, erklärte mir Herr Balmat, der Oberführer in Chamouni, daß man noch nicht daran denken dürfe, eine Besteigung zu versuchen.
»Wenn das Barometer fortfährt zu steigen, und das Wetter sich hält, fügte er hinzu, so verspreche ich Ihnen Führer zu übermorgen, ja vielleicht schon zu morgen. Damit Sie sich unterdessen um so leichter in Geduld fassen, und als kleine Vorübung für Ihre Beine, möchte ich Ihnen rathen, den Brevent zu ersteigen. Bis Sie oben sind, werden sich die Wolken zerstreuen, und Sie können den Weg bis zum Gipfel des Mont-Blanc genau übersehen. Wenn Sie dann noch nicht die Lust zu der Expedition verloren haben, können Sie sich ja immerhin an das Abenteuer machen!«
Diese in einem eigenthümlichen Ton vorgebrachte Tirade war nicht eben sehr ermuthigend für mich und forderte zum Nachdenken auf. Ich entschloß mich jedoch seinem Vorschlage zu folgen, und er bezeichnete den Führer Eduard Ravanel, einen kaltblütigen treuen Burschen, der sein Geschäft gründlich verstand, als meinen Begleiter.
Zum Reisegefährten hatte ich meinen Freund und Landsmann, Herrn Donatien Levesque, mitgebracht; er war ein ausgezeichneter Fußgänger und eingefleischter Tourist, der erst im vergangenen Jahre eine instructive, sehr mühevolle Reise in Nordamerika gemacht hatte. Der größte Theil dieses enormen Ländercomplexes war schon von ihm erforscht, und er schickte sich an, auf dem Mississippi nach Neu-Orleans hinab zu fahren, als der Krieg seine Pläne durchkreuzte und ihn nach Frankreich zurückrief. Wir hatten uns in Aix-les-Bains getroffen und dort den Entschluß gefaßt, nach Beendigung unserer Cur eine gemeinschaftliche Excursion nach Savoyen und der Schweiz zu unternehmen.
Donatien Levesque kannte meine Pläne, und da er aus Gesundheitsrücksichten verhindert war, eine so lange Reise auf den Gletschern zu unternehmen, hatten wir verabredet, daß er meine Rückkehr in Chamouni erwarten und während meiner Abwesenheit den traditionellen Besuch der Eisregionen über den Montanvert machen sollte.
Als mein Freund erfuhr, daß ich nach dem Brevent gehen wollte, erklärte er sich sofort bereit, mich zu begleiten, denn dieser Aufstieg ist einer der interessantesten Ausflüge, die man in Chamouni machen kann. Der 2225 Meter hohe Berg ist nur eine Verlängerung von der Kette der Aiguilles-Rouges, die sich von Südwest nach Nordost parallel mit der des Mont-Blanc hinzieht und mit ihr das schmale Thal von Chamouni bildet. Die centrale Lage des Brevent, gerade dem Gletscher der Bossons gegenüber, gestattet, daß man von ihm aus die Karawanen, die eine Besteigung des Alpenriesen unternehmen, fast auf ihrer ganzen Tour verfolgen kann. Natürlich wird der Brevent viel besucht.
Wir brachen gegen sieben Uhr Morgens auf, unterwegs aber mußte ich immer noch an die zweideutigen Worte des Oberführers denken, die mich wirklich einigermaßen irritirt hatten. Ich fragte deshalb Ravanel:
»Haben Sie schon den Mont-Blanc bestiegen?
– Ja, mein Herr, zwar nur ein Mal, aber das genügt mir vollkommen. Ich möchte die Reise nicht wieder unternehmen.
– Teufel! und ich will sie unter jeder Bedingung machen! entfuhr mir unwillkürlich.
– Ganz nach Ihrem Belieben, Herr, erwiderte er; aber ich meinestheils werde Sie nicht begleiten. Der Berg ist dies Jahr nicht günstig dazu; man hat schon mehrere Versuche gemacht, aber bis jetzt sind nur zwei gelungen, und der zweite erst, nachdem man mehrmals dazu angesetzt hatte. Uebrigens hat der Unfall im letzten Jahre die Schwärmer etwas abgekühlt.
– Was für ein Unfall? erzählen Sie doch!
– Wie, Sie haben noch nichts davon gehört, Herr Verne? Die Sache verhielt sich so: Eine Karawane, die aus zehn Führern und Trägern und aus zwei Engländern bestand, brach Mitte September nach dem Mont-Blanc auf. Man beobachtete, daß sie auf dem Gipfel anlangten, dann, nach einigen Minuten verschwanden sie in einer Wolke, und als diese sich wieder klärte, sah man nichts mehr von ihnen. Die beiden Reisenden nebst sieben Führern und Trägern waren vom Winde fortgerissen worden und auf der Seite von Cormayeur jedenfalls auf den La Brenva-Gletscher hinabgestürzt. Trotz der eifrigsten Nachforschungen sind ihre Leichen nicht aufgefunden; die drei andern aber fanden sich hundertundfünfzig Meter unter dem Gipfel, in der Gegend der Petits-Mulets, sie waren zu Eisblöcken erstarrt.
– Die Reisenden haben zweifellos irgend eine Unbesonnenheit begangen! rief ich. Wie thöricht schon, so spät für eine solche Expedition aufzubrechen! Der Monat August wäre ein geeigneter Zeitpunkt dazu gewesen!«
Ich wollte mir mit aller Macht diese Unglücksgeschichte wieder aus dem Sinn schlagen, aber meine Gedanken kehrten immer wieder zu ihr zurück. Glücklicherweise klärte sich das Wetter bald auf, und die Wolken, die den Mont-Blanc noch verschleiert hatten, flohen gleich denen, die meinen Geist umdunkelten, vor den herrlichen Sonnenstrahlen.
Unsere Besteigung ging ganz nach Wunsch von Statten. Wenn man die 2062 Meter hoch gelegenen Sennhütten von Planpraz verläßt, klettert man über Steingeröll und Schneelachen bis zum Fuß eines Felsens, La Cheminée genannt, den wir auf Händen und Füßen emporklimmen mußten. Zwanzig Minuten später langt man auf dem Gipfel des Brevent an, der eine köstliche Aussicht bietet. Die Kette des Mont-Blanc erscheint in ihrer ganzen Majestät. Der riesige Berg thront mächtig über seinen gewaltigen Abstufungen und scheint allen Stürmen zu trotzen, die über sein Schild von Eis dahin gleiten, ohne es je antasten zu können, während eine Menge Spitzen, Pics und Berge, die sich um ihn herum thürmen und schaaren, ohne ihm jedoch gleichkommen zu können, die augenscheinlichen Spuren einer langsamen Zersetzung tragen.
Von dem herrlichen Belvedere, auf dem wir standen, kann man sich schon, wenn auch nur noch sehr unvollkommen, eine Idee von den Entfernungen machen, die zurückzulegen sind, wenn man den Gipfel des Mont-Blanc erklimmen will. Der Gipfel scheint von Chamouni aus gesehen dem Dom du Goûter ganz nahe; hier zeigt er sich in seiner richtigen Entfernung, und verschiedene Plateaux, die man von unten nicht bemerken kann, liegen hier klar vor Augen und lassen sogar, nach den Gesetzen der Perspective, die so ersehnte Spitze des Mont-Blanc noch zurück treten. Der Gletscher der Bossons starrt in seinem vollen Glanze von Eisnadeln und Séracs (Eisblöcken, die zuweilen bis auf zehn Meter Seitenlinie haben); sie scheinen die Felswände der Grands-Mulets, deren Basis in ihrer Mitte verschwindet, wie die Fluthen eines aufgeregten Meeres zu schlagen.
Solch wundervolles Schauspiel war nicht danach angethan, mich abzukühlen, und ich gelobte mir fest, diese für mich noch unbekannte Welt zu erforschen.
Mein Reisegefährte wurde, ebenso wie ich, von Enthusiasmus hingerissen, und von diesem Augenblick an stieg die Ahnung in mir auf, daß ich nicht allein den Mont-Blanc besteigen würde.
Wir kehrten wieder nach Chamouni zurück; das Wetter hellte sich mehr und mehr auf, das Barometer stieg, und Alles ließ sich zum Besten an.
Am folgenden Tage bei anbrechender Morgenröthe eilte ich zum Oberführer. Der Himmel war wolkenlos, und ein fast unmerklicher Wind wehte aus Nordost. Die Kette des Mont-Blanc, deren Hauptgipfel sich in den Strahlen der aufgehenden Sonne vergoldeten, schien die Touristen freundlich zu einem Besuch einzuladen. Wer konnte eine so liebenswürdige Aufforderung, ohne sich schwerer Unhöflichkeit schuldig zu machen, ausschlagen! Nachdem Herr Balmat sein Barometer zu Rathe gezogen hatte, erklärte er die Besteigung für ausführbar und versprach mir die von dem Reglement vorgeschriebenen beiden Führer und einen Träger. Ich überließ ihm die Wahl der Leute; ein unerwarteter Zwischenfall aber brachte eine gewisse Störung in die Vorbereitungen zu meiner Abreise.
Als ich aus dem Bureau des Oberführers kam, traf ich auf Eduard Ravanel, der an mich herantrat und fragte:
»Will der Herr den Mont-Blanc besteigen?
– Gewiß, erwiderte ich; finden Sie den Augenblick nicht gut gewählt?«
Er sann einige Minuten nach und begann dann etwas gezwungen:
»Da ich Sie gestern zum Brevent geleitet habe, sind Sie nun einmal mein Reisender, Herr Verne; ich möchte Sie nicht verlassen. Und da Sie dort oben hinauf wollen, werde ich mit Ihnen gehen, wenn Sie meine Dienste gütigst annehmen wollen. Im Fall Sie meine Begleitung beanspruchen, kann der Herr Oberführer nichts dagegen einzuwenden haben, denn bei allen gefährlichen Expeditionen dürfen die Reisenden sich ihre Führer wählen. Sollten Sie mein Anerbieten nicht zurück weisen, so habe ich noch die Bitte, ob mein Bruder Ambroise Ravanel und mein Vetter Gaspari Simon mitgehen dürfen. Es sind beides junge, kräftige Menschen, die solche Reise zwar ebenso wenig lieben wie ich, aber die vor der Anstrengung nicht zurückscheuen; ich kann für sie bürgen wie für mich selbst.«
Der Bursche flößte mir Vertrauen ein; ich nahm also seine Dienste an und benachrichtigte ohne weiteren Zeitverlust den Oberführer von der Wahl, die ich getroffen hatte.
Aber während dieser Unterhandlungen hatte schon Herr Balmat Schritte in Betreff der Führer gethan, indem er seiner Liste folgte. Nur ein Einziger nahm indessen an, es war dies Eduard Simon; auf die Antwort eines andern, Namens Jean Carrier, wartete man noch, und da der Mann bereits neunundzwanzig Mal den Mont-Blanc bestiegen hatte, war man über seine Entscheidung nicht in Zweifel. Diese Sachlage setzte mich sehr in Verlegenheit, denn die von mir gewählten Führer waren sämmtlich aus Argentières, einer sechs Kilometer von Chamouni entfernten Ortschaft, und die hiesigen Führer klagten Ravanel an, daß er mich zu Gunsten seiner Familie beeinflußt habe, was dem Reglement zuwider lief.
Um der unangenehmen Erörterung rasch ein Ende zu machen, nahm ich Eduard Simon, der seine Vorbereitungen schon getroffen hatte, als dritten Führer an.
Wenn ich allein empor stieg, war er mir von keinem Nutzen; entschloß sich aber mein Freund mich zu begleiten, so wurde er uns unentbehrlich.
Nachdem ich diese Angelegenheit geregelt hatte, setzte ich Donatien Levesque von meinen Absichten in Kenntniß. Er schlief noch den Schlaf des Gerechten, der am vorhergehenden Tage fünfzehn Kilometer in die Berge gemacht hat, und es hatte einige Schwierigkeiten, ihn wach zu rütteln; als ich ihm aber zuerst seine Decke, dann seine Kopfkissen und schließlich die Matratze fort gezogen hatte, schlug er endlich die Augen auf, und es gelang mir, ihm begreiflich zu machen, daß ich mich zu meiner großen Expedition rüstete.
»Ich werde Sie bis zu den Grand-Mulets begleiten, sagte er gähnend, und dort auf Ihre Rückkehr warten.
– Bravo! rief ich; ich habe zufällig einen Führer mehr, als ich brauche, und werde ihn sofort an Ihre werthe Person verweisen.«
Nun kauften wir die für Gletscherfahrten unentbehrlichen Gegenstände ein, als da sind eisenbeschlagene Stöcke, Gamaschen aus grobem Tuch, grüne, hermetisch auf die Augen passende Brillen, Pelzhandschuhe, grüne Schleier und Bergleitern; nichts wurde vergessen. Wir waren im Besitz vorzüglicher Schuhe mit dreifachen Sohlen, die unsere Führer scharf beschlagen ließen, und diese letztere Vorsichtsmaßregel erwies sich als unumgänglich nothwendig, denn oftmals auf unserer Reise kamen Augenblicke, wo ein Ausgleiten nicht nur das Leben eines Einzelnen, sondern die Existenz der ganzen Karawane gefährdete.
Bis die Vorbereitungen von uns und unseren Führern beendet waren, vergingen zwei Stunden; endlich, gegen acht Uhr, wurden unsere Maulthiere vorgeführt, und wir brachen nach der Sennhütte der Pierre-Pointue auf, die 2000 Meter hoch, d. h. 1000 Meter über dem Thal von Chamouni und 2800 Meter niedriger als der Gipfel des Mont-Blanc liegt.
Als wir gegen zehn Uhr bei der Pierre-Pointue anlangten, begegnete uns dort ein reisender Spanier, Herr N..., in Begleitung zweier Führer und eines Trägers. Sein Hauptführer hatte schon achtzehn Mal den Gipfel des Mont-Blanc bestiegen; er hieß Paccard und war ein Verwandter des Doctor Paccard, der mit Jacques Balmat gemeinschaftlich die erste Besteigung des Bergriesen unternahm. Herr N... schickte sich gleichfalls an, die Besteigung des Mont-Blanc zu versuchen. Er war viel in Amerika gereist und hatte die Cordilleras de los Andes auf der Seite von Quito überschritten, indem er mitten durch die Schneefelder über ihre höchsten Pässe hinüberging; nach alledem hegte er die beste Hoffnung, auch diese Unternehmung ohne bedeutende Schwierigkeiten zu einem glücklichen Ende führen zu können; hierin aber täuschte er sich; er hatte die senkrechten Abhänge, die wir bei unserer Expedition überschreiten mußten, und die Verdünnung der Luft nicht mit in Rechnung gezogen.
Ich beeile mich übrigens, diesem Ausspruch hinzuzufügen, daß, wenn es ihm gelang, den Gipfel des Mont-Blanc zu erreichen, dies einzig und allein seiner seltenen moralischen Energie zuzuschreiben war, denn seine physischen Kräfte hatten ihn schon lange zuvor im Stich gelassen.
Wir frühstückten auf der Pierre-Pointue so reichlich, wie es uns überhaupt nur möglich war; auch dies war eine Vorsichtsmaßregel, denn gewöhnlich schwindet der Appetit gänzlich, sobald man in die Eisregionen kommt.
Herr N... brach mit seinen Führern schon gegen elf Uhr nach den Grands-Mulets auf, während wir erst eine Stunde später unsern Weg antraten.
Bei Pierre-Pointue hört die Straße für die Maulthiere auf, und nun muß man im Zickzack einen sehr steilen Pfad erklimmen, der dem Rande des Gletschers der Bossons folgt und sich längs dem Fuße der »Aiguille du Midi« hinzieht. Nach einer ziemlich anstrengenden Wegstunde, die wir in großer Hitze zurücklegten, langten wir bei einem 2700 Meter hoch gelegenen Punkte, der Pierre-à-l'Echelle, an. Hier binden sich Führer und Reisende mit einem starken Seil zusammen, so daß nur ein Raum von drei bis vier Metern zwischen ihnen bleibt, und nun handelt es sich darum, auf den schwer zugänglichen Gletscher der Bossons überzugehen. Derselbe zeigt auf allen Seiten klaffende Spalten, deren Tiefe ganz unermeßlich ist, und deren verticale Wände eine unbestimmte, graugrüne Farbe haben, die förmlich lockend auf das Auge wirkt. Nähert sich Jemand den Spalten so unvorsichtig, daß sein Blick die geheimnißvollen Tiefen durchdringt, so fühlt er sich magisch hineingezogen, und nichts erscheint ihm natürlicher, als eine Spazierfahrt hinunter zu machen.
Man geht langsam vorwärts, theils indem man um die Spalten herumbiegt, theils indem man sie auf Schneebrücken von zweifelhafter Festigkeit oder mit Hilfe von Leitern überschreitet. Das Seil ist zu diesen Operationen absolut nothwendig; während des gefährlichen Uebergangs wird es gespannt, so daß der Reisende oder sein Führer, wenn die Schneebrücke einbricht, über dem Abgrunde schweben bleibt, wieder heraufgezogen werden kann und nur mit einigen Contusionen davonkommt. Bisweilen auch, wenn der Spalt sehr breit, aber nicht besonders tief ist, steigt man auf den Grund hinab, um auf der anderen Seite wieder emporzusteigen. In letzterem Fall müssen Stufen in's Eis gehauen werden, welche Arbeit von den beiden Führern an der Spitze mit einem »Piolet«, einer Art Axt oder vielmehr einem Hohlbeil, besorgt wird, und ist dies eine äußerst mühsame und sehr gefährliche Arbeit.
Noch ein besonderer Umstand macht den Zugang der Bossons gefährlich; man ersteigt den Gletscher am Fuß der Aiguille-du-Midi einer Fläche gegenüber, über die oft Steinlawinen hinweg gehen. Diese gefährliche Stelle ist etwa 200 Meter breit, und man muß sie rasch überschreiten, während einer der Führer Wache hält, um sofort die etwa drohende Gefahr zu signalisiren.
Im Jahre 1869 kam hier ein Führer um's Leben, und sein Körper, der durch einen Stein fortgerissen wurde, zerschellte 300 Meter tiefer auf den Felsen.
Wir wurden gewarnt und beeilten unsern Marsch so sehr, wie unsere Unerfahrenheit dies irgend gestattete; aber nachdem wir diese Gefahr hinter uns hatten, erwartete uns noch eine andere, nicht minder große, in Gestalt der Seracs. Es sind dies, wie schon erwähnt, ungeheure Eisblöcke, deren Formation noch nicht genügend erklärt ist. Sie liegen gewöhnlich am Rande eines Plateaus und bedrohen das ganze unter ihnen befindliche Thal. Ein geringes Fortrücken des Gletschers oder auch eine leichte Vibration der Atmosphäre kann sie in Bewegung setzen und somit die schwersten Unglücksfälle verursachen.
»Meine Herren, lassen Sie uns hier schweigen und gehen wir schnell vorüber.«
Diese von einem der Führer in rauhem Ton an uns gerichteten Worte machten jeder Unterhaltung schnell ein Ende. Wir schreiten rasch in tiefer Stille vorüber und gelangen zu der sogenannten Jonction, die man richtiger eine gewaltsame Separation zwischen dem Berge La Côte, den Bossons und Tacconay-Gletschern nennen könnte.
Von hier aus wird der Charakter unserer Umgebung ein total anderer; Spalten mit schillernden Farben, Eisnadeln mit vorspringenden, wunderlich gestalteten Figuren, schwebende, von einer Seite zur andern durchstochene Firnblöcke, kleine Seen von graugrüner Meerfarbe bilden ein Chaos, das alles Denkbare übersteigt. Man füge hierzu das donnerähnliche Grollen der Gebirgsströme, das unheilkündende, wiederholte Krachen der Blöcke, die sich ablösen, um lawinenartig in die tiefen Spalten zu stürzen, das Erbeben des Bodens unter unseren Füßen, und man wird sich einen Begriff von den öden, düsteren Gegenden machen können, deren Leben sich nur in Tod und Zerstörung zeigt.
Ist die Jonction überschritten, so folgt man eine Zeit lang dem Tacconay-Gletscher und kommt zu einem Abhange, der nach den Grands-Mulets führt. Dieser ist außerordentlich steil und muß in Windungen erstiegen werden, die der erste Führer bei frischem Schnee unter einem Winkel von etwa dreißig Grad zu ziehen pflegt, um die Lawinen zu vermeiden.
Nach einem mindestens dreistündigen Marsch über Schnee und Eis gelangen wir endlich zu den Grands-Mulets, 200 Meter hohen Felsen, die auf der einen Seite den Gletscher der Bossons, auf der anderen die geneigten, bis zum Dom-du-Goûter reichenden Firnebenen beherrschen.
Eine kleine, 3050 Meter hoch gelegene Hütte, von Führern am Gipfel des ersten Felsens erbaut, gewährt den Reisenden Zuflucht und gestattet ihnen, die Stunde der Weiterreise nach dem Gipfel des Mont-Blanc unter Dach und Fach abzuwarten.
Man ißt und schläft hier nach Kräften, aber das Sprichwort: »Wer schläft, den hungert nicht«, hat keinen Sinn in dieser Höhe, denn man kann hier weder gehörig essen noch schlafen. Nachdem wir eigentlich nur dem Namen nach eine Mahlzeit gehalten hatten, äußerte ich gegen Levesque:
»Habe ich Ihnen die Pracht dieses landschaftlichen Bildes vielleicht zu sehr gerühmt, und thut es Ihnen leid, daß Sie bis hierher mitgekommen sind?
– So wenig, entgegnete er, daß ich fest entschlossen bin, die Reise bis zum Gipfel des Mont-Blanc mitzumachen. Sie können in dieser Beziehung auf mich rechnen.
– Das wäre mir natürlich sehr angenehm, erwiderte ich, es wird Ihnen aber wohl bekannt sein, daß uns der schlimmste Theil der Reise noch bevorsteht.
– Ei was! rief er aus, wir werden unser Ziel schon erreichen! Nun aber wollen wir uns den Sonnenuntergang ansehen, der von hier aus einen prächtigen Anblick gewähren muß.«
Wirklich war der Himmel bis jetzt wundervoll klar geblieben.
Die Kette des Brevent und der Aiguilles-Rouges dehnte sich zu unsern Füßen aus. Jenseit steigen die Felsen der Fiz und die Aiguille-de-Varan über das Thal von Sallanche empor und verweisen die ganze Kette der Monts-Fleury und des Reposoir in den Hintergrund. Weiter rechts beherrscht der Buet mit seinem schneeigen Gipfel, mehr in der Ferne die Dent-du-Midi mit ihren fünf Zacken das Rhonethal. Hinter uns ewiger Schnee, der Dom-du-Goûter, die Monts-Maudits (verwünschten Berge) und endlich der Mont-Blanc.
Allmälig bedeckt Schatten das Thal von Chamouni und erreicht nach und nach jeden der Gipfel, die es im Westen überragen. Die Kette des Mont-Blanc wird allein von der Sonne bestrahlt und scheint von einem goldenen Nimbus umgeben. Bald hüllen sich auch der Dom-du-Goûter und die Monts-Maudits in Schatten, aber noch immer bleibt unser Alpenriese von Licht umflossen. Wir folgen bewundernd diesem langsam-progressiven Verschwinden der Sonnenstrahlen, die sich noch einige Zeit auf dem letzten Gipfel halten und uns die thörichte Hoffnung geben, daß sie nicht von dieser Höhe weichen werden. Aber schon nach wenigen Minuten ist Alles dunkel geworden, und dem so lebhaften Farbenspiel folgen die bleichen Schatten des Todes.
Ich habe nicht zu viel gesagt; wer die Berge liebt wie ich, wird mich verstehen.
Nachdem wir diese grandiose Scene angestaunt hatten, blieb uns nur noch übrig, auf die Stunde der Abreise zu warten. Wir sollten uns um zwei Uhr Morgens auf den Weg machen, und Jeder streckte sich auf seiner Matratze aus, um bis dahin zu ruhen.
An Schlaf ist jedoch nicht zu denken und ebenso wenig an Plaudern. Mehr oder minder düstere Gedanken absorbiren Jeden von uns; es ist wie in einer Nacht, die der Schlacht vorangeht, jedoch mit dem Unterschiede, daß nichts uns zwingt, den Kampf aufzunehmen.
Zwei Gedankenströmungen streiten sich um die Herrschaft in unserem Geist; man könnte sie der Ebbe und Fluth des Meeres vergleichen, und gleich ihnen trägt bald die Eine, bald die Andere den Sieg davon. Die Einwürfe gegen solche Unternehmung bleiben nicht aus; wozu sich dergleichen Abenteuern aussetzen? Welchen Vortheil hat man davon, selbst wenn sie gelingen? Wer denkt unserer mit Bedauern, wenn wir einem Unfall zum Opfer werden? Dann mischt sich die Phantasie in unsere Betrachtungen, alle traurigen Katastrophen, die sich in diesen Bergen ereigneten, und von denen wir hörten, erscheinen vor unserem Geist; wir träumen, daß Schneebrücken unter unseren Füßen einstürzen, wir meinen in die klaffenden Spalten hineingerissen zu sein und hören das furchtbare Krachen der Lawine, die uns packen, uns begraben will ... Die Schauer des Todes legen sich kalt und schwer über uns, wir suchen mit letzter, äußerster Anstrengung ...
Horch! was ist das? ein unheimliches, pfeifendes Geräusch!
»Die Lawine! die Lawine! schrie ich erschreckt auf.
– Was ist Ihnen? was wollen Sie?« rief Levesque, durch meinen Ruf aus seinem Schlummer emporgeschreckt.
Ich hatte in der Anstrengung meines Alpdrückens ein Stück Möbel umgestürzt, und diese sehr prosaische Lawine brachte mich nun in die Wirklichkeit zurück. Ich lachte über meinen Schrecken, und die Gegenströmung gewann die Oberhand; meine ehrgeizigen Pläne siegten. Es kommt nur auf Dich an, flüsterten sie mir zu, ob Du mit einer kleinen Anstrengung den so selten betretenen Gipfel erreichen willst. Wie selten sind Unfälle auf diesem Wege! wie sehr selten! Und wie herrlich muß die Aussicht von dort oben sein! welche Genugthuung wird es Dir gewähren, vollendet zu haben, was Andere sich kaum erkühnten zu unternehmen!
Diese Gedanken hatten mir wieder neuen Muth eingeflößt; ich erwartete ruhig den Augenblick des Aufbruchs.
Gegen ein Uhr schon verkündeten uns die Schritte der Führer, ihre Gespräche und das Auf- und Zugehen der Thüren, daß der große Moment gekommen sei.
»Auf, meine Herren, rief Ravanel, das Wetter ist prächtig; gegen zehn Uhr können wir auf dem Gipfel sein!«
Bei diesen Worten erheben wir uns von unseren Betten und machen schnell Toilette. Zwei der Führer, Ambroise Ravanel und sein Vetter Simon, gingen mit einer Laterne voraus; das Licht soll uns den Weg anzeigen, den sie bei schwierigen Stellen mit dem Eisbeil für uns zugänglich machen.
Um zwei Uhr binden wir Alle uns in folgender Reihe an einander: Vor mir und somit allen voran Eduard Ravanel; hinter mir Eduard Simon, dann Donatien Levesque; ihm folgen unsere beiden Träger, wir hatten den Diener aus der Hütte der Grands-Mulets noch mitgenommen, und zuletzt die Karawane des Herrn N ...
Die Führer und Träger theilten die Vorräthe unter sich, dann wurde das Signal zum Aufbruch gegeben, und wir machten uns inmitten tiefer Finsterniß auf den Weg, immer der Laterne folgend, die unsere ersten Führer mitgenommen hatten.
Dieser Aufbruch hatte etwas Feierliches; es wurde wenig gesprochen; die Leere des Unbekannten ergriff und erschütterte uns, aber das Neue, Gewaltige der Situation hob uns empor und machte uns furchtlos gegen die drohenden Gefahren. Die Landschaft machte einen phantastischen Eindruck auf uns; ihre Umrisse ließen sich kaum unterscheiden; große, weißliche Mauern mit schwarzen, wenig hervortretenden Massen verschließen den Horizont. Das Himmelsgewölbe strahlt in eigenthümlichem Glanz. Aus einer Entfernung, die sich nicht genau bestimmen läßt, schwankt das Licht der ersten Führer zu uns hinüber, und die tiefe Stille der Nacht wird nur durch das trockene Geräusch der Axt unterbrochen, die für uns Stufen in das Eis gräbt.
Langsam und vorsichtig klimmen wir den ersten Abhang empor und kommen nach zwei Stunden mühseligen Steigens auf dem Petit-Plateau an, das in einer Höhe von 3650 Meter am Fuß des Dom-du-Goûter liegt. Nach einer Ruhe von wenigen Minuten nehmen wir unsern Marsch wieder auf, biegen nach links ab und steuern dem Abhang zu, der zu dem Grand-Plateau führt.
Aber schon ist unsere Karawane kleiner geworden; Herr N ... mit seinen Führern hat sich abgelöst, denn seine ungeheure Ermüdung nöthigt ihn, eine längere Rast zu machen.
Gegen halb fünf Uhr beginnt die Morgenröthe am Horizont zu erscheinen, und wir überschreiten bei dem ersten Tagesgrauen das zum Grand-Plateau führende Gelände. Wir waren jetzt in einer Höhe von 3900 Meter angekommen und hatten demgemäß unser Frühstück wohl verdient. Sonderbarer Weise aßen Levesque und ich mit gutem Appetit, was für uns Beide ein gutes Zeichen war. So richteten wir uns auf dem Schnee häuslich ein und ließen uns das improvisirte Mahl schmecken. Die Führer betrachteten unsern Erfolg bereits als gesichert; was mich indessen betraf, so fand ich ihr Urtheil ein wenig vorschnell.
Einige Minuten später holte uns Herr N ... ein; wir baten ihn dringend, etwas Speise zu sich zu nehmen, aber er weigerte sich hartnäckig, denn er litt an einer in diesen Breiten sehr gewöhnlichen Zusammenziehung des Magens und fühlte sich außerordentlich matt und kraftlos.
Das Grand-Plateau ist so eigenartig, daß es wohl eine besondere Beschreibung verdient. Zur Rechten erhebt sich der Dom-du-Goûter und ihm gegenüber der noch um 900 Meter höhere Mont-Blanc. Zur Linken ragen die Rochers-Rouges und die Monts-Maudits empor. Dieser ungeheure Kreis von Bergriesen liegt in blendender Weiße da und zeigt auf allen Seiten ungeheure Spalten. In einer dieser Letzteren versanken im Jahre 1820 drei von den Führern, die den Doctor Hamel und den Oberst Anderson begleiteten; seitdem hat im Jahre 1864 noch ein anderer Führer, Ambroise Couttet, dort seinen Tod gefunden.
Man muß dies Plateau mit äußerster Vorsicht überschreiten, denn nur zu häufig befinden sich unter dem Schnee verborgene Spalten; auch fegen oft Lawinen darüber hin. Am 13. October 1866 wurde ein englischer Reisender und drei seiner Führer unter solch einem Schneeberge, der vom Mont-Blanc herabfiel, begraben, und erst nach sehr gefährlicher Arbeit gelang es, die Leichen der Führer wieder aufzufinden. Man hoffte von Minute zu Minute auf den Körper des Reisenden zu stoßen, als sich eine neue Lawine auf die erste herabsenkte und jede weitere Nachforschung unmöglich machte.
Jetzt lagen drei verschiedene Wege vor uns; der erste, gewöhnlichste wendet sich ganz nach links und folgt an der Basis der Monts-Maudits einer Thalschlucht, die Porche oder Corridor genannt wird und über mäßige Abhänge nach der Höhe des ersten Abfalls der Rochers-Rouges führt.
Der zweite, weniger besuchte Weg geht rechts über den Dom-du-Goûter und führt auf dem Grat, das diese beiden Berge verbindet, zum Gipfel des Mont-Blanc. Man muß hier drei Stunden lang einer schwindelnden Straße folgen und eine sehr schwer zu ersteigende, feste Eiskante erklimmen. Es ist dies die Bosse-du-Dromadaire.
Der dritte Weg führt direct zum Gipfel des Corridor hinauf und geht über eine 250 Meter hohe Eismauer hinweg, die sich an der ersten Abdachung der Rochers-Rouges entlang zieht.
Da unsere Führer die erste Straße wegen der frischen Spalten, die sie gänzlich versperrten, für unpassirbar erklärt hatten, blieb uns nur noch zwischen den beiden andern die Wahl. Was mich betraf, so stimmte ich für den zweiten Weg über die Bosse-du-Dromadaire, aber er wurde für zu gefährlich erklärt, und man beschloß, die zum Gipfel des Corridor führende Eismauer zu erklimmen.
Ist ein Entschluß gefaßt, so kann man meiner Meinung nach nichts Besseres thun, als ihn sofort ausführen. Wir überschritten also das Grand-Plateau und näherten uns mehr und mehr dem furchtbaren Hemmniß.
Je weiter wir kamen, desto mehr schien sich der Abfall einer verticalen Linie zu nähern; auch thaten sich mehrere jähe Spalten zu unseren Füßen auf, die wir vorher nicht bemerkt hatten.
Trotzdem beginnen wir den schwierigen Aufstieg; der erste Führer haut die Stufen grob aus, der zweite erst macht sie gangbar, wir kommen in jeder Minute kaum zwei Schritte vorwärts. Je höher wir steigen, desto steiler wird der Abhang; die Führer treten mit einander über die einzuschlagende Route in Berathung, sprechen hierbei in ihrer eigenen Mundart und scheinen nicht einig in ihren Meinungen zu sein, was uns kein gutes Zeichen ist. Endlich geht es so schroff hinauf, daß die Ränder unserer Hüte die Beine der vorangehenden Führer berühren; Geröll von Eisstücken, durch das Einhauen der Stufen entstanden, blendet uns und macht unsere Lage noch gefährlicher. Ich wandte mich an die ersten Führer und sagte:
»Wir gehen hier zwar auf keiner bequemen Straße, aber sie läßt sich doch noch erklettern; ich möchte mir nur die Frage erlauben, wo wir wieder hinabsteigen sollen?
– O, mein Herr, bei der Rückkehr werden wir einen andern Weg einschlagen«, erwiderte Ambroise Ravanel.
Endlich, nach zweistündigen, gewaltsamen Anstrengungen, nachdem wir über vierhundert Stufen in's Eis geschlagen hatten, kamen wir auf dem Gipfel des Corridor an.
Wir überschreiten ein leicht ansteigendes Schneeplateau und gehen längs einer ungeheuren Spalte hin, die uns den Weg versperrt. Aber kaum haben wir auch dies Hinderniß überwunden, als ein Schrei der Bewunderung sich unserer Brust entringt: Zur Rechten liegen Piemont und die Ebenen der Lombardei; zur Linken erheben die Felsenmassen der Penninischen Alpen und des Oberlandes ihre schneegekrönten, unvergleichlichen Gipfel; nur der Mont-Rose und der Cervin beherrschen uns noch, aber bald werden wir auch über sie triumphiren.
Diese Betrachtung führt uns zum Ziel unserer Expedition zurück; wir wenden unsere Blicke nach dem Mont-Blanc und stehen starr vor Staunen.
»Wie weit noch! ruft entsetzt Levesque. – Und wie hoch!« füge ich hinzu.
Wir hätten in der That verzweifeln können! die berüchtigte, so sehr gefürchtete Eiswand lag unter einem Neigungswinkel von fünfzig Grad vor uns. Nachdem es uns jedoch gelungen war, den Abhang des Corridor zu erklettern, schreckte uns nichts mehr; wir gönnten uns eine halbstündige Rast und setzten dann unseren Weg fort. Bald aber wurden wir gewahr, daß die atmosphärischen Verhältnisse nicht dieselben blieben; die Sonne senkte ihre glühendsten Strahlen auf uns herab, und der Reflex des Lichts auf dem Schnee verdoppelte unsere Pein; auch begann die Verdünnung der Luft sich in grausamer Weise fühlbar zu machen. Wir mußten häufig anhalten und rückten nur mit äußerster Langsamkeit vor; endlich aber erreichten wir das Plateau über der zweiten Abdachung der Rochers-Rouges. Wir standen jetzt am Fuße des Mont-Blanc; er erhob sich allein und majestätisch in einer Höhe von 200 Meter über uns. Auch der Mont-Rose hatte jetzt die Segel streichen müssen!
Levesque und ich waren bis auf's Aeußerste erschöpft und ermattet; Herr N ... jedoch, der uns auf dem Gipfel des Corridor eingeholt hatte, war gegen die Verdünnung der Luft unempfindlich ... er athmete so zu sagen überhaupt nicht mehr.
Endlich machten wir uns daran, die letzte Stufe zu erklettern; nach zehn Schritten jedoch mußten wir stehen bleiben, da wir absolut nicht im Stande waren weiter zu gehen. Eine schmerzhafte Zusammenziehung der Kehle machte das Athmen noch schwieriger, die Beine versagten den Dienst – ich verstand jetzt den barocken Ausdruck Jacques Balmat's, der bei Erzählung seiner ersten Besteigung erklärte: »Meine Beine schienen nur noch mit Hilfe des Beinkleids an mir zu hängen.« Ein stärkeres Gefühl beherrschte jetzt unser Fleisch, und wenn der Körper um Gnade flehte, übertönte das Herz seine Klagen mit dem Rufe: Excelsior! Excelsior! und stieß unsere arme, ermattete Maschine gewaltsam vorwärts. So schleppen wir uns über die Petits-Mulets, 4666 Meter hoch liegende Felsen, und beherrschen endlich nach zwei Stunden übermenschlicher Anstrengung die ganze Kette. Wir stehen auf dem Gipfel des Mont-Blanc!
Es war jetzt um zwölf Uhr fünfzehn Minuten.
Der Stolz des Erfolges ließ uns schnell die furchtbare Ermüdung vergessen; endlich also hatten wir den ersehnten Gipfel erreicht, der alle anderen Berge überragt. Dieser Gedanke, den nur der Mont-Blanc hervor rufen kann, wirkte ergreifend auf uns. Wir fühlten befriedigten Ehrgeiz, und was speciell mich betraf, so verwandelte sich mir in dieser Stunde ein Traum langer Jahre in Wirklichkeit.
Der Mont-Blanc ist der höchste Berg in ganz Europa; in Asien und Amerika giebt es zwar eine Anzahl Berge, die höher sind als er; Niemand aber hält es der Mühe werth sie zu ersteigen, denn auf ihren Gipfel zu gelangen ist unmöglich; kommt man auf dem möglichst hohen Punkt an, so ragt die eigentliche Spitze noch immer darüber hinaus.
Andere Berge, wie z. B. der Cervin, sind noch schwerer zugänglich als der Mont-Blanc, und doch bemerkten wir seinen Gipfel 400 Meter unter uns!
Und welch ein Schauspiel entschädigte uns hier für all unsere Mühen! der immer noch klare Himmel schaute in wundervoll dunkler Färbung auf uns herab. Die theilweise ihrer Strahlen beraubte Sonne hatte ihren Glanz verloren wie bei einer partiellen Sonnenfinsterniß, und diese durch die Verdünnung der Atmosphäre hervorgerufene Wirkung trat um so mehr zu Tage, als die umgebenden Berge und Ebenen von Licht überfluthet waren.
Im Südosten verschlossen die Berge von Piemont und weiterhin die Ebenen der Lombardei, im Westen die Berge Savoyens und der Dauphiné, jenseit das Rhonethal unseren Horizont. Im Nordwesten der Genfer-See, das Juragebirge, dann, wenn man wieder nach Süden hinab geht, ein unbeschreibliches Chaos von Bergen und Gletschern, überragt von der Steinmasse des Mont-Rose, den Mischabelhörnern, dem Cervin, dem Weißhorn, das der berühmte Alpenersteiger Tyndall den schönsten aller Gipfel nennt, und weiterhin von der Jungfrau, dem Mönch, Eiger und Finsteraarhorn.
Die Ausdehnung unseres Rayons war auf sechsunddreißig Meilen abzuschätzen, demnach überschauten wir also mindestens zweiundsiebzig Meilen Landes.
Noch ein besonderer Umstand vermehrte die Schönheit des Panoramas. Nach Italien hin bildeten sich Wolken und drangen in die Thäler der Penninischen Alpen, ohne doch ihre Gipfel zu verschleiern. Unter unseren Augen bildete sich ein anderer, ein zweiter Himmel, ein förmliches Wolkenmeer, aus welchem ein ganzer Archipelagus von Pics und schneebedeckten Bergen hervorragte. Ein magischer Anblick, für dessen Beschreibung wohl kaum der größte Dichter Worte finden würde.
Der Gipfel des Mont-Blanc bildet einen von Südwest nach Nordost laufenden, zweihundert Schritte langen Kamm, der auf der höchsten Spitze nur einen Meter breit ist. Man könnte ihn mit einem umgestürzten Schiffsrumpf vergleichen, dessen Kiel nach oben steht.
Ein seltener Zufall wollte es, daß die Temperatur heute sehr hoch stand; wir hatten zehn Grad über Null. Die Luft war fast still, nur ab und zu machte sich eine leichte Brise aus Osten bemerklich.
Die erste Sorge unserer Führer, nachdem wir unser Ziel erreicht hatten, war gewesen, uns der Reihe nach in gerader Linie aufzustellen, damit man uns von unten aus zählen und sich darüber vergewissern könnte, daß Niemand beim Antreten fehle. Eine Anzahl Touristen hatten sich nach dem Brevent und dem Jardin begeben, um unserem Aufstieg mit den Augen zu folgen; sie konnten jetzt unseren Erfolg constatiren.
Mit dem Hinaufsteigen ist jedoch nicht Alles gethan; auch das Hinabsteigen hat seine Gefahren; die schwierigste, wenn auch nicht die ermüdendste Arbeit blieb noch zu vollbringen übrig. – Aber wie ungern verläßt man den um den Preis so vieler Mühen errungenen Gipfel! Die Feder, die uns beim Hinaufsteigen vorwärts trieb, das so natürliche und gebieterische Bedürfniß zu beherrschen, läßt uns nun im Stich; man verfolgt den Weg nicht mit dem Eifer wie in der Richtung nach oben, und wieder und immer wieder richten sich unsere Blicke rückwärts.
Wir mußten uns jetzt jedoch entscheiden! Nach einer letzten Libation des üblichen Champagners, und nachdem wir uns über eine Stunde auf dem Gipfel des Mont-Blanc aufgehalten hatten, begaben wir uns auf den Rückweg. Die Marschordnung wurde nun verändert; Herr N ... mit seinen Begleitern ging voran, und auf die Bitte seines Führers banden wir Alle uns zusammen, denn über Herrn N..., den seine Kraft, nicht aber sein Wille im Stich gelassen, hatte sich eine so furchtbare Erschöpfung gebreitet, daß man einen Unfall befürchten mußte, der durch die erwähnte Vorsichtsmaßregel doch am ersten verhindert wurde. Der Gang der Thatsachen rechtfertigte unsere Besorgniß; als wir die Eiswand hinab stiegen, that Herr N... mehrere Fehltritte, so daß sein sehr kräftiger und geschickter Führer ihn nur mit großer Mühe beim Uebergange halten konnte. Unsere Begleiter drangen nun darauf, daß wir uns von der Karawane des Herrn N... losmachen müßten, da sie mit Recht fürchteten, daß wir bei einem Unglücksfall sämmtlich mit fortgerissen würden. Levesque sowie auch ich widersetzten uns diesem Ansinnen, und mit Anwendung der größten Vorsichtsmaßregeln kamen wir endlich unversehrt am Fuß des schwindelnden Abhanges, den wir in gerader Linie hinab steigen mußten, an. Eine Täuschung über die Gefahr, in der wir während dieses Niedersteigens schwebten, ist unmöglich; vor uns lag die ungeheure, grundlose Leere, und die losgelösten Eisstücke, die mit der Schnelligkeit eines Pfeiles an uns vorbei flogen, wiesen uns den Weg, den unsere Karawane nehmen würde, so wie einer von uns ausglitt.
Als diese böse Stelle überschritten war, begann ich aufzuathmen; wir stiegen die weniger steilen Abhänge, die zum Gipfel des Corridor führen, hinab. Der von der Wärme erweichte Schnee gab unter unseren Schritten nach, wir sanken bis an die Kniee ein, und unser Marsch wurde dadurch sehr ermüdend.
Wir folgten fortwährend unseren Spuren, vom Morgen, und als ich hierüber meine Verwunderung aussprach, bemerkte Gaspard Simon:
»Wir können keinen andern Weg nehmen, Herr; der Corridor ist unpassirbar, und so müssen wir dieselbe Mauer wieder hinab steigen, an der wir uns am Morgen herauf gearbeitet haben.«
Ich theilte Levesque diese wenig erfreuliche Nachricht mit.
»Ich glaube jedoch nicht, fügte Gaspard Simon jetzt hinzu, daß wir auch dann noch zusammengebunden bleiben können; wir werden übrigens ja sehen, wie sich Herr N ... nach diesem Anfang unserer Rückreise befindet.«
Die furchtbare Mauer rückte uns immer näher; Herr N ... mit seinen Führern begann hinab zu steigen, und wir hörten, daß Paccard sehr lebhaft mit dem Spanier sprach. Obgleich wir noch immer zusammengebunden waren, gestaltete sich der Abhang so, daß wir weder Herrn N ... noch seinen Führer sehen konnten.
Gaspard Simon, der mir voraus ging, blieb jetzt stehen, unterrichtete sich genau von der Sachlage, sprach einige Worte in dem dortigen Dialekt mit seinen Kameraden und theilte uns dann mit, daß wir uns von der Karawane des Herrn N ... losmachen müßten.
»Wir sind verantwortlich für Sie, fügte er hinzu; nicht aber für den anderen Herrn; und wenn er ausgleitet, werden wir unrettbar mit fortgerissen.«
Mit diesen Worten band er sich los.
Es wurde uns sehr schwer, in diese Anordnung zu willigen, aber unsere Führer waren hierin unbeugsam. Ich machte nun den Vorschlag, daß zwei unserer Begleiter den Führern des Herrn N ... zu Hilfe eilen sollten; da jedoch keine überflüssigen Stricke vorhanden waren, konnte dieser Plan, trotz des guten Willens der Leute, nicht in Ausführung gebracht werden.
Die entsetzliche Absteigung begann; nur ein Einziger von uns rührte sich auf ein Mal, während alle Anderen sich dagegen stemmten, um nötigenfalls eine Erschütterung auszuhalten, im Fall er ausgleiten sollte. Der Führer an der Spitze des Zuges, Eduard Ravanel, hatte die gefährlichste Aufgabe; er mußte die durch den Uebergang der ersten Karawane mehr oder minder zerstörten Stufen wieder erneuern.
Wir rückten langsam, unter Anwendung der größten Vorsichtsmaßregeln vor; unser Weg führte direct nach einer der Spalten hin, die sich jäh am Fuße des Abhangs öffneten. Als wir die furchtbare Wand hinauf kletterten, war unser Blick nicht darauf gefallen, jetzt aber schien uns die klaffende grünliche Oeffnung förmlich hinein zu ziehen. Es war, als ob sich sämmtliche, durch unseren Marsch losgebrochene Eisstücke verbündet hätten; sie sprangen mit drei Sätzen die Felswand hinunter und wurden sofort von dem Rachen des furchtbaren Minotaurus verschlungen. Während sich jedoch, wie uns die Mythe berichtet, der Rachen des wirklichen Ungeheuers immer wieder schloß, stand dieser unersättliche Spalt fortwährend offen und schien, um gesättigt die Kinnladen zuzuklappen, erst noch einen »fetteren Bissen« zu erwarten. Es kam darauf an, nicht selbst die Rolle dieses »fetten Bissens« zu übernehmen, und all unsere Anstrengungen zielten darauf ab. Um uns diesem Zauber, diesem moralischen Schwindel, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu entziehen, versuchten wir wiederholt, über unsere heikle Lage, die wohl selbst einer Gemse peinlich geworden wäre, unsere Scherze zu machen; ja, wir stimmten sogar einige Couplets des Maëstro Offenbach an; um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich indessen gestehen, daß unsere Späße äußerst matt, und die Melodieen nicht immer richtig waren. Ich glaubte sogar zu bemerken, daß Levesque den Text für die große Arie des »Trovatore« aus dem »Blaubart« wählte, was, wie mir jeder Unparteiische zugestehen wird, eine gewisse geistige Befangenheit verräth. Kurz, wir machten es wie die Kinder, die im Dunkeln singen, um sich Muth einzuflößen.
So schwebten wir während einer Stunde, die uns wie eine Ewigkeit vorkam, zwischen Leben und Tod, ehe wir endlich, endlich am unteren Ende der fürchterlichen Wand anlangten. Hier fanden wir zu unserer großen Freude Herrn N ... nebst seinen Begleitern unversehrt vor und setzten nach wenigen Minuten der Ruhe unseren Marsch fort.
Als wir uns dem Petit Plateau näherten, blieb plötzlich Eduard Ravanel stehen und rief:
»Sehen Sie diese ungeheure Lawine! sie hat unsere Spuren total ausgefüllt.«
Wirklich bedeckte eine enorme, von dem Dom-du-Goûter herabgefallene Eislawine gänzlich die am Morgen von uns verfolgte Straße, auf der wir jetzt das Petit-Plateau zu überschreiten gedachten. Ich kann die Masse der Lawine nicht geringer als auf fünfhundert Cubikmeter abschätzen. Hätte sie sich in dem Augenblick unseres Durchzuges losgelöst, so wäre ohne Zweifel der schon so langen Liste des Mont-Blanc-Nekrologs eine neue Katastrophe anzureihen gewesen.
Wir mußten jetzt entweder am Fuß der Lawine hergehen oder uns einen anderen Weg suchen. In Anbetracht unserer furchtbaren Erschöpfung war der letztere Entschluß uns am wenigsten willkommen, der Pfad neben der Lawine aber bot die größte Gefahr. Am Dom-du-Goûter hatte sich eine Eiswand von mehr als zwanzig Meter Höhe schon theilweise losgelöst; sie hing nur noch mit einer Seite fest und überdachte so die Bahn, die wir jetzt überschreiten sollten. Der kolossale Firnblock schien sich noch im Gleichgewicht zu halten – würde unser Durchzug, die Erschütterung der Atmosphäre nicht seinen Fall beschleunigen? Unsere Führer traten abermals mit einander in Berathung. Jeder prüfte mit dem Perspectiv den Spalt, der sich zwischen dem Berge selbst und dieser beunruhigenden Masse gebildet hatte; aber es blieb kein Zweifel: die klaren, deutlichen Ränder des Risses verkündeten einen frischen Sprung, der augenscheinlich durch den Fall der Lawine veranlaßt worden war.
Nach einer kurzen Discussion, und nachdem sich unsere Begleiter von der Unmöglichkeit überzeugt hatten, einen anderen Weg zu finden, beschlossen sie, daß wir diese gefährliche Passage antreten sollten.
»Wir müssen sehr schnell gehen, ja sogar wenn irgend möglich laufen, erklärten sie; frisch auf, meine Herren! noch ein letzter, kräftiger Ansatz!«
Fünf Minuten zu laufen ist etwas Geringes für Leute, die nur ermüdet sind; für uns aber, die wir mit unserer Kraft am Ende zu sein meinten, schien ein Lauf, wenn auch nur für so kurze Dauer, auf weichem Schnee, in den wir bei jedem Schritt bis an die Kniee einsanken, unausführbar. Trotzdem nahmen wir all unsere Energie zusammen, und nach drei bis vier Purzelbäumen erreichten wir, von den Einen gezogen, von den Anderen gestoßen, einen Schneehügel, auf dem wir erschöpft zusammensanken. Wir waren außer Gefahr!
Mit einer Genugthuung, die Jedem begreiflich sein wird, streckten wir uns auf dem Schnee aus; vor einigen Minuten der Erholung konnte nicht an die Weiterreise gedacht werden. Die größten Schwierigkeiten hatten wir überwunden, und den Gefahren, die jetzt noch zu überstehen waren, konnten wir getrost die Stirn bieten.
Wir verlängerten in der Hoffnung, dem Sturz der Lawine beizuwohnen, unsern Aufenthalt, aber unser Warten erwies sich als vergebens; der Tag begann sich zu neigen, und da eine Verspätung in diesen Einöden durchaus vermieden werden mußte, beschlossen wir unseren Weg fortzusetzen, und kamen gegen fünf Uhr bei der Hütte der Grands-Mulets an.
Nach einer unruhigen Nacht und einem heftigen Fieberanfall, der aller Wahrscheinlichkeit nach durch die senkrecht fallenden Sonnenstrahlen auf unserer Expedition verursacht war, machten wir uns bereit, nach Chamouni zurückzukehren; vor unserer Abreise schrieben wir jedoch nach Sitte und Gebrauch unsere Namen, so wie die unserer Führer, und unsere hauptsächlichsten Erlebnisse in ein dazu bestimmtes Buch.
Als ich dies Register durchblätterte, in welchem der mehr oder weniger glücklich gewählte, aber stets überströmend aufrichtige Ausdruck der Bewunderung für eine neue ungekannte Welt enthalten ist, bemerkte ich einen in englischer Sprache geschriebenen Hymnus auf den Mont-Blanc. Da er meine eigenen Eindrücke ziemlich gut zusammen faßt, werde ich mir erlauben, ihn hier in Uebersetzung mitzutheilen:
Mont-Blanc, Du Riese, der so hoheitsvoll
Herabblickt auf der Neider kaltes Grüßen,
Der Du so lang getrotzt in Einsamkeit und Groll,
Besiegt liegst Du, Koloß, zu meinen Füßen!
Und Deines Mantels zarten Hermelin
Hat dreist befleckt die Spur von meinen Schritten;
Ob mir auch hundert Mal der Tod gedroht –
Ich habe nicht gebebt und kühn gelitten.
O, welch ein Rausch! wie wundervoll die Welt,
Auf der mein Blick sich wiegt mit stolzem Schauen!
Hier bröckelndes Gestein, vom Sturm zerschellt,
Dort Schluchten, räthselhaft wie Todesgrauen.
Woher der dumpfe Lärm? Ein Berg stürzt donnernd ein!
Wild braust's daher wie böser Geister Walten ...
Nein, die Lawine ist's; sie hüpft – sie rollt –
Und sucht ihr Grab dann in der Berge Spalten. –
Hier winkt Mont-Rose mit blendend hellem Schein,
Dort Mont-Cervin mit seinem Wetterstürmen,
Und vor der Jungfrau, schneeig weiß und rein.
Seh' ich der Wetterhörner Pracht sich thürmen.
Wohl seid Ihr zu erklimmen riesenschwer,
Und mancher edle Fremdling sonder Zagen,
Er stürzte jäh von wilden Abhangs Rand
Und büßt mit ew'gem Schlaf sein frevles Wagen.
Doch höher, stolzer, herrlicher als Ihr,
Mit demanthartem Fels und weißkrystallnem Throne,
Ragst Du, Mont-Blanc, zum Himmelsdom hinan;
Die Königswürde Dir, und Dir die Krone!
Gegen acht Uhr machten wir uns auf den Weg nach Chamouni; der Gang über die Bossons war schwierig, wurde aber ohne Unfall zurückgelegt.
Eine halbe Stunde vor unserer Ankunft im Thal trafen wir in der Sennhütte der Cascade du Dard mehrere englische Touristen, die uns aufzulauern schienen. Sobald sie unserer ansichtig wurden, näherten sie sich, wünschten uns mit teilnehmendem Eifer Glück zu unserem Erfolge, und einer von ihnen stellte uns seiner Frau, einer ebenso reizenden als distinguirten Dame, vor. Nachdem wir ihr in großen Zügen die Hauptwechselfälle unserer Reise skizzirt hatten, sagte sie in einem Tone, der voll aus dem Herzen kam:
» How much you are envied here by everybody! Let me touch your alpen-stocks!« (Wie sehr werden Sie hier von Jedermann beneidet! Gestatten Sie, daß ich Ihre Alpenstöcke berühre!)
Die Besteigung des Mont-Blanc ist sehr schwierig; es wird behauptet, daß bei dem berühmten Genfer Naturforscher de Saussure dort oben der Keim zu der Krankheit gelegt wurde, an der er wenige Monate später verschied. Was mich betrifft, so kann ich diese vielleicht zu lange Erzählung unserer Erlebnisse wohl am besten beschließen, indem ich folgende Worte Mr. Markham Sherwill's citire:
»Was man auch darüber sagen mag (endet er die Beschreibung seiner Reise auf den Mont-Blanc), ich würde nie Jemandem zu einer Bergbesteigung rathen, deren Erfolge immer nur verhältnißmäßig gering sein können, wenn man sie mit den Gefahren zusammenhält, in die man sich und Andere damit bringt.«
Ende.