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Achtes Capitel

Achtundsiebenzigtausendhundertundvierzehn Meilen.

Was war vorgegangen? Woher kam diese seltsame Berauschung, welche verderbliche Folgen haben konnte? Eine bloße Unachtsamkeit Michel's war schuld, und glücklicher Weise konnte Nicholl noch zeitig abhelfen.

Nach einer wirklichen. Ohnmacht von einigen Minuten kam der Kapitän zuerst wieder zur Besinnung, zum Besitz seines Verstandes.

Obwohl er zwei Stunden zuvor gefrühstückt hatte, empfand er einen fürchterlichen Hunger, der ihn peinigte, als habe er seit einigen Tagen nichts gegessen. Sein Magen war, wie das Gehirn und alle Nerven im höchsten Grad überreizt.

Er stand also auf und begehrte von Michel ein nachträgliches Frühstück. Michel, der noch nicht bei Sinnen war, antwortete nicht. Nun wollte Nicholl einige Tassen Thee bereiten, um das Verschlingen von einem Dutzend Sandwichs zu erleichtern. Um sich dafür Feuer zu machen, rieb er hastig ein Zündhölzlein.

Wie erstaunte er, als er den Schwefel außerordentlich glänzend brennen sah, daß seine Augen es fast nicht aushalten konnten. Aus dem Hahnen des Gases, welches er anzündete, strömte eine Flamme, wie ein elektrischer Lichtstrom.

Jetzt ging dem Kapitän ein Licht auf. Dieser starke Lichtglanz, die in ihm vorgegangenen physiologischen Störungen, die Ueberreizung aller seiner geistigen und sittlichen Kraft, Alles ward ihm verständlich.

»Der Sauerstoff«! rief er aus.

Er besichtigte den Luftbereitungs-Apparat, und gewahrte wie dem Hahnen reichlich das farblose, geschmacklose, geruchlose Gas entströmte, welches zwar äußerst belebend ist, aber in unvermischtem Zustand die bedenklichsten Störungen des Organismus herbeiführt. Aus Unachtsamkeit hatte Michel den Hahnen zu weit offen gelassen!

Nicholl hemmte rasch das Ausströmen das Sauerstoffs, womit die Atmosphäre gesättigt war, so daß der Tod der Reisenden nicht durch Ohnmacht, sondern durch Verbrennen erfolgt wäre.

Eine Stunde hernach, als die Luft weniger von Sauerstoff überladen war, konnten die Lungen wieder regelmäßig ihre Function verrichten. Allmälig kamen die drei Freunde aus ihrem Rausch wieder zu sich; aber sie mußten diesen Gasrausch ausschlafen, wie ein Betrunkener seinen Weinrausch.

Als Michel hörte, wie sehr er diesen Zwischenfall verschuldet hatte, ließ er sich dadurch nicht aus der Fassung bringen. Diese unversehene Trunkenheit beseitigte die langweilige Einförmigkeit der Reise. Zwar hatte man sich in diesem Zustand manche Beleidigungen gesagt, aber sie waren rasch wieder vergessen.

»Sodann«, fügte der lustige Franzose bei, »bin ich nicht böse, etwas von diesem Gas, das in den Kopf steigt, genossen zu haben. Wissen Sie, meine Freunde, es ließe sich eine merkwürdige Anstalt gründen, Sauerstoffcabinette, worin Leute von abgeschwächtem Organismus auf einige Stunden könnten zu einem thätigeren Leben gesteigert werden! Denken Sie sich einmal Versammlungen, worin die Luft mit diesem heroischen Fluidum gesättigt wäre, Theater, worin die Administration dasselbe in großer Dosis verwendet, welche Leidenschaft in der Seele der Schauspieler und Zuschauer, welches Feuer, welcher Enthusiasmus würde dadurch erzeugt! Und wenn man, statt einer bloßen Versammlung, ein ganzes Volk damit sättigen könnte, welche Belebung der Thätigkeit in seinen Verrichtungen, welche Lebensergänzung würde erfolgen. Aus einer durch Erschöpfung herabgekommenen Nation könnte man vielleicht eine kräftige und große Nation machen, und ich kenne mehr wie einen Staat unseres alten Europas, welcher im Interesse seiner Gesundheit sich einer Sauerstoffcur unterziehen sollte!«

Michel sprach und steigerte sich dergestalt, daß man meinen konnte, der Hahnen sei immer noch zu weit offen. Aber mit einem einzigen Worte hemmte Barbicane seinen Enthusiasmus.

»Das ist alles gut, Freund Michel«, sprach er zu ihm, »aber willst Du uns nicht sagen, woher das Geflügel kam, das sich in unser Concert mischte?«

– Dies Geflügel?

– Ja.

In der That spazierten ein halb Dutzend Hennen sammt einen prachtvollen Hahn umher, flatterten und gackerten.

»Ach! Die Tölpel!« rief Michel. »Der Sauerstoff hat sie in Aufruhr gebracht!«

– Aber was willst Du denn mit dem Geflügel anfangen? fragte Barbicane.

– Sie auf dem Mond acclimatisiren, wahrhaftig!

– Weshalb hast Du sie denn versteckt?

– Ein Possenstreich, mein würdiger Präsident, ein bloßer Scherz, der kläglich scheiterte! Ich wollte sie auf dem Mondland im Stillen frei lassen, ohne Ihnen ein Wörtchen zu sagen! Nicht wahr, Sie wären erstaunt gewesen, daß solch irdisches Geflügel auf den Gefilden des Mondes nach Körnern scharrt!

– Ach, was bist Du ewig ein Gamin! erwiderte Barbicane, bei Dir bedarf's keines Sauerstoffs, um den Kopf zu steigern! Du bis stets, was wir in der Gasbenebelung waren: stets ein Narr!

– So! wer sagt denn, daß wir damals nicht gescheit gewesen, entgegnete Michel Ardan.

Nach dieser philosophischen Betrachtung stellten die drei Freunde die Ordnung im Projectil wieder her. Hennen und Hahn wurden wieder eingesperrt. Aber während sie dieses vornahmen, kam Barbicane und seinen Genossen eine neue Erscheinung sehr auffallend zum Bewußtsein.

Seit dem Moment, da sie von der Erde abgefahren waren, hatten sie selbst, die Kugel sammt den darin enthaltenen Gegenständen, beständig und in zunehmendem Verhältniß an Schwere abgenommen. Konnten sie diese Abnahme für das Projectil nicht constatiren, so mußte doch ein Zeitpunkt kommen, wo diese Wirkung in Beziehung auf sie selbst und für die Geräthe oder Instrumente, deren sie sich bedienten, merkbar wurde.

Es versteht sich, daß eine Wage die Abnahme nicht angezeigt haben würde, weil das zum Abwiegen eines Gegenstands bestimmte Gewicht gerade ebensoviel an Schwere verloren haben würde, als der Gegenstand selbst; aber eine Schnellwage mit einer Feder, deren Spannkraft von der Anziehungskraft unabhängig ist, hätte dieses Schwinden genau anzugeben vermocht.

Bekanntlich steht die Anziehungskraft, sonst Schwere genannt, im gleichen Verhältniß der Massen, und im umgekehrten des Quadrats der Entfernungen. Daraus folgt nun: Wäre die Erde allein in dem Raum gewesen, und die anderen Himmelskörper plötzlich zu Nichte geworden, so würde das Projectil nach Newton's Gesetz um so viel mehr, als es sich von der Erde entfernte, an Gewicht verloren haben, doch ohne dasselbe jemals ganz zu verlieren, denn die Anziehungskraft der Erde würde sich stets, bei jeder Entfernung, fühlbar gemacht haben.

Aber in dem gegebenen Fall mußte ein Zeitpunkt eintreten, wo das Projectil gar nicht mehr den Gesetzen der Schwere unterworfen war, wenn man von den anderen Himmelskörpern absah, deren Einwirkung man als Null ansehen konnte.

In der That zog sich die Bahnlinie des Projectils zwischen der Erde und dem Mond. Je mehr sich dasselbe von der Erde entfernte, nahm die Anziehung der letzteren ab im umgekehrten Verhältniß des Quadrats der Entfernungen, aber auch die Anziehung von Seiten des Mondes nahm in gleichem Verhältniß zu. Es mußte also ein Punkt kommen, wo diese beiden Anziehungen sich gegenseitig aufhoben, die Kugel also gar keine Schwere mehr hatte. Wäre Erde und Mond von gleichem Massengehalt gewesen, so hätte dieser Punkt in gleicher Entfernung von beiden, gerade in der Mitte der Linien gelegen. Zog man aber die Verschiedenheit der Massen in Berechnung, so war es leicht zu berechnen, daß dieser Punkt zwischen siebenundvierzig und zweiundfünfzig Theilen der Reise lag, in Ziffern nämlich, achtundsiebenzigtausendeinhundertundvierzehn französische Meilen von der Erde ab.

Auf diesem Punkt würde ein Körper, der keine treibende Kraft der Schnelligkeit oder Ortsveränderung in sich enthielt, ewig unverändert bleiben, indem er von den beiden Gestirnen gleichmäßig angezogen würde und keine andere Kraft ihn abzog.

Nun aber mußte das Projectil, wenn die treibende Kraft richtig berechnet war, beim Anlangen an diesem Punkt keine Geschwindigkeit mehr haben, indem zugleich bei ihm, wie bei allen in demselben enthaltenen Gegenständen, gar keine Schwere mehr zu erkennen war.

Was würde jetzt erfolgen? Es konnte einer von den drei Fällen eintreten:

Entweder das Projectil hatte noch einige Geschwindigkeit behalten, dann drang es über den Punkt gleicher Anziehung hinaus, und mußte, vermöge der überwiegenden Anziehungskraft des Mondes auf diesen fallen.

Oder, wenn ihm die Kraft mangelte, den Punkt gleicher Anziehung zu erreichen, so mußte es vermöge der überwiegenden Anziehungskraft der Erde auf diese zurückfallen.

Oder endlich, seine Kraft reichte zum Anlangen an dem neutralen Punkt gerade aus, aber nicht weiter vorwärts, dann würde sie ewig an dieser Stelle bleiben, wie das angebliche Grab Mahomed's, zwischen dem Zenith und Nadir.

In dieser Lage befand man sich, und Barbicane setzte seinen Reisegefährten die Folgen derselben klar auseinander. Das entsprach im höchsten Grad ihrem Interesse. Wie konnten sie nun aber erkennen, daß das Projectil, diesen neutralen Punkt in der Entfernung von achtundsiebenzigtausendeinhundertundvierzehn französischen Meilen erreicht habe?

Eben daran, wenn sowohl sie, als die im Projectil enthaltenen Gegenstände sich gar nicht mehr den Gesetzen der Schwere unterworfen zeigten.

Bisher hatten die Reisenden, obwohl sich ihnen ergab, daß diese Kraft mehr und mehr schwand, doch noch nicht ihre völlige Abwesenheit erkannt. Aber diesen Tag, gegen elf Uhr Morgens, als Nicholl ein Glas aus der Hand fallen ließ, blieb dasselbe, anstatt zu fallen, in der Luft schweben.

»Ei!« rief Michel Ardan, »da seht einmal eine spaßhafte Physik!«

Und sofort hielten sich verschiedene Gegenstände, Waffen, Flaschen, die man sich selbst überließ, wie zauberhaft an ihrer Stelle. Auch Diana, von Michel in die Luft gestellt, führte, jedoch ohne ein Zauberkunststück, das einst von Caston und Robert Houdin veranstaltete schwebende Wunder auf. Der Hund schien übrigens gar nicht zu merken, daß er in der Luft schwebte.

Sie selbst, diese drei wagehalsigen Genossen, waren überrascht und trotz ihres wissenschaftlichen Urtheils bestürzt, als sie, in das Bereich des Wunderbaren versetzt, merkten, daß ihrem Körper die Schwere abging. Wenn sie die Arme ausstreckten, fühlten diese kein Bedürfniß, wieder zu sinken. Ihr Kopf wackelte auf den Schultern. Ihre Füße blieben nicht mehr auf dem Boden des Projectils. Sie waren wie Betrunkene, die nicht mehr fest stehen können. Die Phantasie hat Menschen ohne Schatten, ohne Widerschein geschaffen. Hier aber bildete die Wirklichkeit durch Aufhebung der Anziehungskräfte Menschen, bei denen nichts mehr ein Gewicht, und die selbst keine Schwere mehr hatten!

Plötzlich schwang sich Michel mit einem Sprung empor, und blieb so in der Luft schwebend, wie bei Murillo der Mönch in der Engelsküche.

Seine beiden Freunde gesellten sich ihm auf ein Weilchen zu, so daß sie alle drei in der Mitte des Projectils eine wunderbare Himmelfahrt darstellten.

»Ist das glaublich, ist's wahrscheinlich? ist's möglich?« rief Michel aus. »Nein. Und doch ist's so! Ach! hätte uns Raphael so gesehen, was hätte er für eine ›Himmelfahrt‹ dargestellt!«

– »Das Schweben in der Höhe kann nicht andauern, erwiderte Barbicane. Wenn das Projectil über den neutralen Punkt hinaus kommt, wird die Anziehungskraft des Mondes uns nach diesem hin ziehen.

– Dann werden wir also auf der Decke des Projectils Fuß fassen, erwiderte Michel.

– Nein, sagte Barbicane, weil das Projectil, dessen Schwerpunkt sehr weit unten liegt, sich allmälig umkehren wird.

– Das will heißen, unsere ganze Einrichtung, von oben bis unten, wird sich umkehren!

– Beruhige Dich, Michel, erwiderte Nicholl. Eine Umkehrung ist durchaus nicht zu befürchten. Nicht ein einziger Gegenstand wird von seiner Stelle rücken, weil die Wendung des Projectils ganz unmerklich vorgeht.

– Richtig, fuhr Barbicane fort, und wenn es über den Punkt gleicher Anziehung hinaus ist, wird sein Boden als der verhältnißmäßig schwerere Theil dasselbe senkrecht nach dem Mond hin ziehen. Aber damit dieses vor sich gehe, müssen wir über die neutrale Linie hinaus sein.

– Ueber die neutrale Linie hinaus! schrie Michel. Dann machen wir's wie die Seeleute, welche die Linie des Aequators passiren. Benutzen wir den Uebergang.«

Eine leichte Seitenbewegung brachte Michel an die ausgefütterte Wand. Hier nahm er eine Flasche und Gläser, stellte sie in die Luft vor seine Kameraden, sie stießen lustig an und begrüßten die Linie mit einem dreifachen Hurrah.

Diese Wirkung der Anziehungskräfte dauerte kaum eine Stunde. Die Reisenden fühlten sich unmerklich wieder nach dem Boden gezogen, und Barbicane glaubte wahrzunehmen, daß die konische Spitze des Projectils ein wenig von der senkrecht dem Mond zugewendeten Richtung abwich. Durch eine entgegengesetzte Bewegung näherte sich das Bodenstück demselben. Die Anziehungskraft des Mondes überwog also die der Erde. Der Fall nach dem Mond zu begann, noch fast unmerklich; er konnte in der ersten Secunde nur 1/3 Millimeter, d.h. fünfhundertundneunzig Tausendtheile einer Linie betragen. Aber allmälig würde die anziehende Kraft zunehmen, der Fall würde auffallender werden, das Projectil, mit dem Boden gegen den Mond gezogen, würde seine Spitze der Erde zukehren, und mit wachsender Schnelligkeit auf die Oberfläche des Mondlandes fallen. Damit wäre der Zweck erreicht. Jetzt konnte nichts mehr das Gelingen hindern, und Nicholl mit Michel Ardan theilten Barbicane's Freude. Hernach plauderten sie über alle diese Erscheinungen, welche sie eine nach der anderen in Staunen versetzten. Diese Neutralisation der Gesetze der Schwere zumal gab immer neuen Stoff der Unterhaltung. Michel Ardan, stets Enthusiast, wollte daraus Consequenzen ziehen, die pure Phantasie waren.

»Nun, meine würdigen Freunde«, rief er aus, »welcher Fortschritt, wenn man sich dergestalt der Schwere, dieser an die Erde fesselnden Kette, entledigen könnte! Es wäre gleichsam Befreiung eines Gefangenen! Es gäbe keine Ermüdung mehr für die Arme, wie für die Beine. Und wenn es richtig steht, daß, um auf die Erdoberfläche zu fliegen, um sich durch bloßes Muskelspiel in der Luft zu halten, es einer hundertfach stärkeren Kraft, als die unserige ist, bedarf, so würde ein bloßer Willensact, eine Laune uns in den Weltraum versetzen, wenn die Anziehungskraft nicht mehr existirte.«

– Wirklich, sagte Nicholl lächelnd, wenn man die Schwere unterdrücken könnte, wie man den Schmerz durch Chloroform unterdrückt, so würde das gewiß die Gestalt der modernen Gesellschaft ändern!

– Ja! rief Michel, der von seinem Gegenstand ganz erfüllt war, heben wir die Schwerkraft auf, dann giebt's keine Bürden mehr. Folglich Krahnen, Winden, Spillen, Kurbeln und dergleichen Maschinen hätten kein Recht mehr zu existiren!

– Gut gesagt, entgegnete Barbicane, aber wenn es keine Schwere mehr gäbe, so hielte und säße auch nichts mehr fest, würdiger Michel, so wenig Dein Hut auf dem Kopf, wie Dein Haus auf seiner Stelle, denn nur durch Schwere hängen die Steine zusammen! Keine Schiffe, deren Festigkeit auf den Gewässern nur eine Folge der Schwere ist! Selbst der Ocean nicht, dessen Wogen nicht mehr durch die Anziehungskraft der Erde im Gleichgewicht gehalten würden. Endlich keine Atmosphäre, deren Elementartheilchen ohne Zusammenhalt sich im Weltraum zerstreuen würden!

– Das ist aber bedauerlich, versetzte Michel. Es gleicht doch nichts den positiven Leuten, die uns brutal zur Wirklichkeit zurückführen.

– Aber tröste Dich, Michel, fuhr Barbicane fort, denn wenn es keine Weltkörper giebt, wo die Gesetze der Schwere aufgehoben sind, so wirst Du wenigstens einen besuchen, wo sie weit geringer ist, wie auf der Erde.

– Der Mond?

– Ja, der Mond, auf dessen Oberfläche die Gegenstände sechsmal weniger Gewicht haben, als auf der Oberfläche der Erde, was sehr leicht zu beweisen ist.

– Und wir werden es erfahren? fragte Michel.

– Offenbar, denn zweihundert Kilogramm sind nicht schwerer als dreißig auf dem Mond.

– Und unsere Muskelkraft wird dort nicht geringer sein?

– Keineswegs. Anstatt einen Meter hoch zu springen, würdest Du achtzehn Fuß Dich erheben.

– Aber dann sind wir auf dem Mond Riesen, wie Herkules! rief Michel.

– Um so mehr, erwiderte Nicholl, als, wenn die Körpergröße der Seleniten im Verhältniß zur Masse ihres Planeten steht, sie kaum einen Fuß hoch sind.

– Liliputer! versetzte Michel. Dann werde ich die Rolle Gulliver's spielen! Wir werden die Fabel von den Riesen zur Wirklichkeit machen! Den Vortheil hat man davon, wenn man seinen Planeten verläßt und in der Sonnenwelt Reisen macht!

– Einen Augenblick, Michel, erwiderte Barbicane. Wenn Du Gulliver spielen willst, so besuche nur die kleinen Planeten, wie Merkur, Venus oder Mars, deren Masse geringer ist als die der Erde. Aber wage Dich nicht auf die großen, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, denn da würde die Rolle sich umkehren, und Du würdest Liliputer sein.

– Und auf der Sonne?

– Ist die Dichtigkeit der Sonne viermal geringer, wie die des Erdkörpers, so ist dagegen ihr Umfang dreizehnhundertundachtzigtausendmal beträchtlicher, und die Anziehungskraft ist da siebenundzwanzigmal stärker, als auf der Oberfläche des Erdballs. Wäre Alles dort in gleichem Verhältniß, so müßten die Bewohner im Durchschnitt zweihundert Fuß hoch sein.

– Tausend Teufel! rief Michel. Da wäre ich ja nur ein Zwerg, ein Knirps!

– Gulliver im Lande der Riesen, sagte Nicholl.

– Richtig, erwiderte Barbicane.

– Und es würde gar nichts schaden, zu seiner Vertheidigung einige Geschützstücke bei sich zu haben.

– Gut! entgegnete Barbicane, Deine Kugeln würden auf der Sonne ganz wirkungslos sein, und sie würden in der Entfernung einiger Meter zu Boden fallen.

– Das ist stark!

– Das ist aber ganz gewiß, erwiderte Barbicane. Auf diesem enormen Weltkörper ist die Anziehungskraft so beträchtlich, daß ein Gegenstand, welcher auf der Erde siebenzig Kilogramm wiegt, auf der Oberfläche der Sonne ein Gewicht von neunzehnhundertunddreißig haben würde. Dein Hut würde zehn Kilogramm wiegen, Deine Cigarre ein halbes Pfund. Endlich, wenn Du auf der Sonne zu Boden fielest, so würde Dein Gewicht von ungefähr zweitausendfünfhundert Kilo Dir's unmöglich machen, wieder aufzustehen!

– Teufel! sagte Michel. Da müßte man einen tragbaren Krahnen bei sich haben! Nun denn, meine Freunde, so wollen wir für heute uns auf den Mond beschränken. Da werden wir wenigstens die Großen spielen! Später wollen wir überlegen, ob es nöthig ist, die Sonne zu besuchen, wo man nicht trinken kann, ohne mittelst einer Winde sein Glas zum Munde zu bringen!


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