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Nach Vertreibung der columbischen Truppen aus dem unteren Peru erfreute sich das bisher immer von Militärrevolutionen erschütterte Land einer verhältnißmäßigen Ruhe. Der Ehrgeiz Einzelner trat nicht mehr so rücksichtslos zu Tage, und der Präsident schien in seinem Palaste am Plaza-Mayor unerschütterlich zu residiren. Von dieser Seite war demnach nichts zu fürchten, doch die wirkliche und nahe liegende Gefahr drohte nicht durch jene Revolutionen, welche ebenso schnell erstickt wurden, wie sie aufflackerten, und die dem Geschmacke der Amerikaner an militärischen Paraden zu entsprechen schienen.
Die eigentliche Gefahr entging den Spaniern, welche zu hoch standen, um sie wahrzunehmen, und der Aufmerksamkeit der Mestizen ebenso, da diese niemals unter sich blicken wollten.
Und doch war unter den Indianern der Stadt, die oft mit denen aus den Bergen zusammenkamen, eine auffallende Bewegung. Diese Leute schienen ihre gewohnte Apathie ganz verloren zu haben. Statt sich in ihren Puncho zu hüllen und sich im Nichtsthun auf der Erde auszustrecken, verbreiteten sie sich über das Land, hielten einander an, gaben sich eigenthümliche, geheime Zeichen und versammelten sich in den am wenigsten besuchten Gasthäusern, wo sie sich ohne Gefahr aussprechen konnten.
Diese besondere Bewegung war vorzüglich auf einem der entlegensten Plätze der Stadt zu beobachten. In der einen Ecke dieses Platzes erhob sich ein nur aus dem Erdgeschoß bestehendes Haus, dessen erbärmliche Erscheinung die Blicke verletzte.
Es war das eine von einer alten Indianerin gehaltene Taverne niedrigsten Grades, welche ihren Kunden, aus den untersten Schichten des Volkes, Bier aus gegohrenem Mais und ein aus Zuckerrohr bereitetes Getränk bot.
Die Indianer sammelten sich auf diesem Platze nur zu bestimmten Stunden, wenn sich eine lange Stange als Signal auf dem Dache jenes Hauses erhob. Dann traten Eingeborene jeder Profession, Pfadfinder, Maultiertreiber, Wagenführer u. s. w., Einer nach dem Anderen ein, und verschwanden sofort in dem größten Zimmer des Hauses. Die Wirthin schien ganz besonders beschäftigt, überließ der Dienerin die Besorgung der gewöhnlichen Gaststube und eilte, bei Jenen selbst aufzuwarten.
Einige Tage nach dem Verschwinden Martin Paz' versammelte sich in dem Saale der Herberge eine zahlreiche Gesellschaft. Kaum vermochte man in dem Halbdunkel, das die Tabakswolken noch undurchdringlicher machten, die Stammgäste der Schenke zu unterscheiden. Gegen fünfzig Indianer saßen um einen langen Tisch; die Einen derselben kauten eine Art Theeblätter, welche mit ein wenig wohlriechender Erde vermischt waren, die Anderen tranken aus großen Gefäßen den gegohrenen Mais; diese Beschäftigungen zerstreuten sie aber keineswegs, und Alle hörten aufmerksam der Rede eines Indianers zu.
Der Sambo, dessen Blicke eine eigenthümliche Starrheit zeigten, hatte eben gesprochen.
Nachdem er seine Zuhörer sorgfältig gemustert, fuhr Sambo in seiner Rede fort:
»Die Söhne der Sonne können jetzt von ihrer Angelegenheit sprechen; kein verräterisches Ohr vermag sie zu belauschen. Einige unserer Freunde leiten als Straßensänger verkleidet die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden ab, und wir genießen hier einer vollkommenen Freiheit!«
Wirklich klangen die Töne einer Mandoline von draußen herein.
Die Indianer in der Schenke, welche sich in Sicherheit wußten, widmeten den Worten des Sambo, dem sie blindlings vertrauten, die größte Aufmerksamkeit.
»Was kann uns der Sambo Neues mittheilen über Martin Paz? fragte ein Indianer.
– Noch nichts. Ist er todt oder nicht? ... Das kann nur der große Geist allein wissen. Ich erwarte einige unserer Brüder, welche bis zur Mündung des Flusses hinabgegangen sind. Vielleicht haben sie den Körper Martin Paz' gefunden!
– Er war ein wackerer Häuptling! sagte Manangani, ein wilder und sehr gefürchteter Indianer. Weshalb war er aber nicht auf seinem Posten an dem Tage, als die Goelette uns die Waffen brachte?«
Der Sambo antwortete nicht, sondern senkte den Kopf.
»Ist es meinen Brüdern unbekannt, fuhr Manangani fort, daß zwischen der Annonciation und der Hafenwache Schüsse gewechselt worden sind, und daß die Wegnahme des Fahrzeuges beinahe alle unsere Pläne zunichte gemacht hätte?«
Ein beifälliges Murmeln folgte den Worten des Indianers.
»Diejenigen meiner Brüder, welche mit ihrem Urtheile nicht zu rasch sein wollen, werden mir willkommen sein! erwiderte der Sambo. Wer weiß, ob mein Sohn Martin Paz nicht eines Tages wiederkehren wird! ... Vernehmt jetzt: Die Waffen, welche uns von Sechura gesandt wurden, sind in unserer Gewalt, sie sind in den Bergen der Cordilleren verborgen und zum Gebrauche fertig, wenn Ihr bereit sein werdet, Eure Pflicht zu thun!
– Und wer hält uns zurück? rief ein junger Indianer. Unsere Messer sind geschliffen, wir erwarten das Losungswort.
– Laßt die Stunde herankommen, entgegnete der Sambo. Wissen meine Brüder, welche unserer Feinde ihre Arme zuerst treffen sollen?
– Die Mestizen, welche uns wie Sclaven behandeln, sagte einer der Nebenstehenden, jene Unverschämten, die uns mit der Hand und der Peitsche züchtigen, wie widerspenstige Maulthiere!
– Nein, antwortete ein Anderer, die Wucherer, welche alle Reichthümer des Landes an sich ziehen.
– Ihr täuscht Euch, Eure ersten Angriffe müssen nach anderer Seite gerichtet sein, fiel der Sambo lebhafter ein. Diese Menschen sind es nicht, welche es vor dreihundert Jahren gewagt haben, den Fuß auf das Land unserer Vorfahren zu setzen. Diese reichen Käuze sind es nicht, welche den Sohn Manco-Capac's in's Grab geschleppt haben. Nein! Das waren die hochmüthigen Spanier, die eigentlichen Sieger, deren Sclaven Ihr seid. Wenn sie jetzt keine Reichthümer besitzen, so haben sie doch die Gewalt, und trotz der peruanischen Emancipation treten sie unsere Rechte mit Füßen. Vergessen wir also, was wir sind, um uns zu erinnern, was unsere Väter waren!
– Ja, ja!« riefen Alle und trommelten beistimmend mit den Füßen.
Nach wenigen Minuten des Schweigens versicherte sich Sambo durch Nachfragen bei mehreren Mitverschworenen, daß ihre Freunde in Cuzco und ganz Bolivia bereit waren, sich wie ein Mann zu erheben.
Dann fuhr er feuriger fort:
»Und unsere Brüder in den Bergen, wackerer Manangani, wenn ihr Herz von Haß erfüllt ist, gleich dem Deinen, mit einem Muthe gleich dem Deinen, werden sie nicht aus den Höhen der Cordilleren wie eine Lawine über Lima herfallen?
– Der Sambo wird sich an dem bestimmten Tage über ihre Unerschrockenheit nicht zu beklagen haben, antwortete Manangani. Wenn der Sambo die Stadt verläßt, soll er nicht weit zu gehen haben, ohne ringsum rachedurstende Indianer sich erheben zu sehen. In den Schluchten von San-Cristoval und der Amancaës deckt mehr als Einen der Puncho, den Dolch im Gürtel, der nur darauf wartet, daß seiner Hand ein Gewehr anvertraut werde! Auch diese haben es nicht vergessen, daß sie die Niederlage Manco-Capac's an jenen Spaniern zu rächen haben.
– Gut, Manangani, erwiderte der Sambo. Das ist der Gott des Hasses, der aus Deinem Munde spricht! Meine Brüder werden bald erfahren, wen ihre Häuptlinge ausgewählt haben. Der Präsident Gambarra sucht sich mit allen Mitteln in seiner Machtstellung zu befestigen; Bolivar ist fern; Santa-Cruz ist vertrieben. Es winkt uns ein sicherer Erfolg. In einigen Tagen ruft das Fest der Amancaës unsere Unterdrücker zur Freude. Jeder halte sich also zum Aufbruche bereit und verkündige diese Nachricht bis nach den entferntesten Dörfern Bolivias!«
Da traten drei Indianer in den Versammlungsraum ein.
Der Sambo ging ihnen rasch entgegen.
»Nun, wie steht's? fragte er sie.
– Der Leichnam des Martin Paz ist nicht wieder zu finden gewesen. Wir haben das Ufer auf's Genaueste durchsucht, unsere geschicktesten Taucher haben gethan, was möglich war, und wir sind der Meinung, daß der Sohn des Sambo rettungslos verloren ist.
– Sie haben ihn getödtet! Aber wo ist er hingekommen? Wehe Denen, die mir den Sohn gemordet haben! ... Meine Brüder mögen schweigend auseinander gehen! Jeder begebe sich auf seinen Posten, Jeder wache und warte!«
Die Indianer verließen den Saal und zerstreuten sich. Der Sambo blieb mit Manangani allein zurück.
»Weiß der Sambo, fragte Letzterer, welches Gefühl an jenem Abende seinen Sohn nach San-Lazaro trieb? Ist der Sambo seines Sohnes auch ganz sicher?«
Ein Blitz funkelte in den Augen des Indianers. Manangani trat einen Schritt zurück.
Doch der Indianer bezwang sich und sagte:
»Wenn Martin Paz seine Brüder verriethe, tödte ich zuerst alle Diejenigen, denen er seine Freundschaft geschenkt hat, alle Die, welche er liebt. Dann trifft ihn mein Dolch, und zuletzt mich selbst, um unter der Sonne Keinen aus einem entehrten Geschlechte mehr wandeln zu lassen.«
In diesem Augenblicke öffnete die Wirthin die Thür des Saales und übergab dem Sambo ein an diesen gerichtetes Billet.
»Wer hat Euch das gegeben? fragte er.
– Ich weiß es nicht, antwortete die Wirthin. Es muß von einem Gaste absichtlich zurückgelassen worden sein, denn ich fand es auf dem Tische.
– Es sind doch nur Indianer hierher gekommen?
– Nur Indianer.«
Die Wirthin trat ab. Der Sambo entfaltete das Papier und las mit lauter Stimme:
»Ein junges Mädchen betet für Martin Paz, denn sie vergißt den Indianer nicht, der sein Leben für sie gewagt hat. Wenn der Sambo etwas von seinem Sohne erfährt, oder noch Hoffnung hat, ihn wieder zu finden, so trage er ein rothes Tuch um den Arm. Es giebt Augen, die ihn tagtäglich vorüberkommen sehen.«
Der Sambo zerknitterte das Billet.
»Der Unselige, sagte er, hat sich von den Augen eines Weibes fangen lassen!
– Wer mag sie sein?
– Eine Indianerin ist es nicht, antwortete der Sambo, der das Billet betrachtete. Das ist eine junge vornehme Dame ... O Martin Paz, ich erkenne Dich nicht mehr!
– Werdet Ihr thun, um was das Weib Euch bittet?
– Nimmermehr, erwiderte heftig der Indianer. Möge sie jede Hoffnung verlieren, meinen Sohn je wieder zu sehen, und daran zu Grunde gehen!«
Wüthend riß der Sambo das Briefchen in Stücke. »Und doch muß ein Indianer dieses Billet gebracht haben, bemerkte Manangani.
– O, es kann von den Unserigen Keiner gewesen sein. Er wird gewußt haben, daß ich häufiger in diese Schenke komme, in die ich nun keinen Fuß mehr setzen werde. Mein Bruder, kehre in die Berge zurück, ich werde zur Wache in der Stadt bleiben. Wir werden sehen, ob das Fest der Amancaës ein Freudentag für die Unterdrücker, oder für die Unterdrückten werden wird.«
Die beiden Indianer trennten sich.
Der Plan der Empörung war festgestellt und die Stunde zur Ausführung gut gewählt. Peru, damals fast ganz entvölkert, zählte nur noch wenige Spanier und Mestizen. Der Einbruch der Indianer, die aus den Wäldern Brasiliens ebenso hervorströmten, wie aus den Bergen Chilis und den Ebenen La Platas, mußte auf dem Schauplätze der Empörung ein furchtbares Heer zusammen führen. Waren die größten Städte, wie Lima, Cusco, Puno, nur einmal zerstört, so hatte man nicht zu befürchten, daß die Truppen Columbias, die kurz vorher erst aus Peru vertrieben worden waren, ihren Feinden in der Gefahr zu Hilfe kommen würden.
Der gesellschaftliche Umsturz mußte gelingen, wenn das Geheimniß in den Herzen der Indianer bewahrt blieb, und sicher zählten diese keine Verräther unter sich.
Sie wußten aber nicht, daß ein Mann beim Präsidenten Gambarra eine Privataudienz erhalten hatte; wußten nicht, daß jener Mann demselben mittheilte, daß die Goelette Annonciation auf Piroguen der Indianer Waffen aller Art an der Mündung der Rimac gelandet hatte. Der Mann beanspruchte eine hohe Belohnung für den Dienst, den er der peruanischen Regierung durch Hinterbringung dieser Thatsachen leistete.
Dieser Verräther spielte auch ein doppeltes Spiel.
Nachdem er sein Schiff den Agenten des Sambo für einen hohen Preis vermiethet hatte, wollte er das Geheimniß der Verschworenen dem Präsidenten verkaufen.
Man erkennt schon aus diesen Zügen den Juden Samuel.