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Drittes Capitel.
Die Polar-Expeditionen und die Aufsuchung der Nordwestpassage

I.

Die Normannen. – Erik der Rothe. – Die Zeni. – Jean Cahot. – Cortereal. – Sebastian Cabot. – Willoughon. – Chancellor.

———

 

Durch die Entdeckung Islands, dem Thule der Sage und jenes »cronischen« Oceans, dessen Untiefen und Eis die Schifffahrt so gefährlich machen, wo die Nächte so hell sind wie bei uns die Dämmerung, hatte Pytheas den Skandinaven den Weg nach Norden eröffnet. Die Ueberlieferung der von den Alten ausgeführten Reisen bis zu den Arkaden, den Färöer und Island lebte bei den irländischen Mönchen fort, diesen gelehrten und muthigen Männern, von deren Unternehmungsgeiste die von ihnen auf allen Inseln gegründeten Niederlassungen Zeugniß geben. Sie waren gleichsam die Piloten der »Normannen«, ein Name mit dem man im Allgemeinen die skandinavischen, d. h. die norwegischen und dänischen Seeräuber bezeichnet, welche sich im Mittelalter dem gesammten Europa so furchtbar machten. Sind auch alle Nachrichten der Alten, der Griechen und Römer, über diese hyperboräischen Länder nur sehr unbestimmt und sozusagen fabelhaft, so ist das nicht der Fall bezüglich der abenteuerlichen Fahrten jener »Männer des Nordens«. Die »Sagas« – so hießen die isländischen und dänischen Volkslieder mit historischem Inhalt – sind verläßlicher, als man zuerst annehmen möchte, und die zahlreichen Ueberlieferungen, welche wir ihnen verdanken, werden noch tagtäglich durch archäologische Entdeckungen in Grönland, Island, Norwegen und Dänemark bestätigt. Hier bietet sich eine lange Zeit unbekannte, und jedenfalls nicht ausgenutzte Quelle der werthvollsten Aufschlüsse, deren Eröffnung man dem gelehrten Dänen C. C. Rafn verdankt und die uns über die vorcolumbische Entdeckung des amerikanischen Continentes authentische Thatsachen von höchstem Interesse mittheilt.

Norwegen war ein armes, aber stark bevölkertes Land; dieser Umstand veranlaßte eine fortwährende Auswanderung, welche es einem nicht geringen Theil der Bewohner erlaubte, in gesegneteren Landstrichen die nothwendige Nahrung zu suchen, die der eisige Boden des Vaterlandes nicht gedeihen ließ. Hatten die Auswanderer dann ein reicheres Land gefunden, das ihnen eine hinlängliche Beute lieferte, so zogen sie nach der Heimat zurück und mit dem nächsten Frühlinge wieder hinaus in Begleitung vieler Solcher, welche das Verlangen nach Gewinn und die Liebe zu einem leichten, kämpfereichen Leben mit hinauslockte.

Unerschrockene Jäger und Fischer, gewöhnt an die Gefahren der Schifffahrt zwischen dem Festlande und jener Anhäufung von Inseln und Felsen, welche jenes umgürten, als wollten sie es gegen den Andrang des Meeres vertheidigen, durch jene engen und tiefen Fjorde, die von einem Riesenschwerte in das Land geschnitten erscheinen, fuhren sie auf Eichen-Schiffen hinaus und setzten die Anwohner der Nordsee und des Canals schon durch ihre Erscheinung in Furcht und Schrecken. Ihre Fahrzeuge besaßen oft nicht einmal ein Verdeck, waren groß oder klein, lang oder kurz gebaut, liefen am Vordertheile aber meist in einen ungeheuren Sporn aus, über den sich der Steven hoch aufbaute, so daß daraus etwa die Form eines S entstand. Die » Hällristningar« – so nannte man gewisse graphische Darstellungen, die sich an den Strandfelsen Norwegens und Schwedens vielfach vorfinden – geben uns eine genaue Vorstellung von jenen schnellen Fahrzeugen, welche oft eine starke Besatzung trugen, wie z. B. von der »langen Schlange« Olaf Trygyvason's, welche zweiunddreißig Ruderbänke und neunzig Mann Besatzung hatte, dem Schiffe Kanut's mit sechzig und den beiden Schiffen Olaf des Heiligen mit einer Mannschaft von zweihundert Köpfen. Die Könige des Meeres, wie man diese Abenteurer häufig nannte, lebten fast ausschließlich auf dem Ocean, siedelten sich niemals auf dem Lande an, zogen von der Plünderung eines Schlosses nur zur Einäscherung eines Klosters weiter, verwüsteten die Gestade Frankreichs, segelten die Flüsse hinauf, vorzüglich die Seine bis nach Paris, durchstreiften das Mittelmeer bis Konstantinopel, verweilten später bei Sicilien und ließen überall in der bekannten Welt die Spuren ihrer Raubzüge und ihres Aufenthaltes kennbar zurück.

Diese Seeräuber wurden damals, statt wie heute, vom Gesetze unerbittlich bestraft zu werden, unter jener barbarischen oder halbcivilisirten Gesellschaft nicht allein ermuthigt, sondern sogar von den »Skalden« besungen, welche jene ritterlichen Kämpfe, Abenteurerzüge und die Aeußerungen urwüchsiger Kraft mit enthusiastischen Lobpreisungen feierten. Vom 8. Jahrhundert ab besuchten diese furchtbaren Seehelden die Orkaden, die Hebriden, die Shetlands-Inseln und die Färöer, wo sie irische Mönche antrafen, die sich daselbst schon seit einem Jahrhundert niedergelassen hatten, um die heidnischen Urbewohner zu bekehren.

Gegen 861 wurde ein norwegischer Pirat, Namens Naddod, vom Sturm nach einer schneebedeckten Insel verschlagen, die er Snöland (Schneeland) taufte, ein Name, der in späterer Zeit in Island (Eisland) umgeändert wurde. Auch hier begegneten die Normannen in den Bezirken von Papeya und Popili den irischen Mönchen, welche man Papis nannte.

Wenige Jahre später kam Ingolf in das Land und gründete Reijkiawik. Im Jahre 885 unterwarf Harold Haarfager ganz Norwegen seinen Waffen und sandte eine zahlreiche Flotte mit vielen Unzufriedenen nach Island. Hier bildete sich allmälig eine republikanische Regierung aus, welche im Mutterlande eben gestürzt worden war, und bestand auch bis 1261, zu welcher Zeit Island unter die Herrschaft der norwegischen Könige kam.

Kaum hatten sich jene abenteuerlustigen und durch Jagd auf Robben und Walrosse an weite Fahrten gewöhnten Leute in Island eingebürgert, als sie auch schon wieder ihre Irrfahrten anfingen und weit hinaus nach Westen segelten, wobei Gnumbjörn, nur drei Jahre nach der Ankunft Ingolf's, die weißglänzenden Gebirgsspitzen Grönlands entdeckte. Fünf Jahre später fand Erik der Rothe, der von Island eines Mordes wegen verbannt worden war, unter 64 Grad nördlicher Breite die Küsten des von Gnumbjörn gesehenen Landes wieder. Die Unfruchtbarkeit des Landes und die hier aufgethürmten Eismassen bestimmten ihn jedoch, weiter im Süden ein milderes Klima und offeneres, wildreicheres Land aufzusuchen. Er umschiffte also das Cap Farewell an der unteren Spitze Grönlands, ließ sich auf der Ostküste desselben nieder und errichtete hier für sich und seine Gefährten sehr geräumige Wohnstätten, deren Ueberreste von Jörgensen in unseren Tagen wieder aufgefunden wurden. Die Landschaft hier mochte wohl mit Recht den Namen »Grünes Land« (Grönland) verdienen, den ihm die Normannen beilegten; seitdem freilich hat die jährlich beträchtliche Zunahme der Gletscher aus der ganzen Landschaft eine traurige Einöde gemacht.

Erik ging einmal nach Island, um seine Freunde aufzusuchen; im Jahre seiner Rückkehr nach Brattahalida (so hieß seine Niederlassung) schlossen sich ihm vierzehn Schiffe mit Auswanderern an. Das war ein wahrer Auszug, der etwa in das Jahr 1000 zu setzen sein wird. In gleichem Schritt mit der Erweiterung der Hilfsquellen nahm auch die Bevölkerung Grönlands zu, und im Jahre 1121 wurde Gardar, die Hauptstadt des Landes, der Sitz eines Bischofs, der bis nach Columbus' Entdeckung der Antillen hier residirte.

Im Jahre 986 kam Björn Herjulfsson von Norwegen nach Island, um hier den Winter in Gesellschaft seines Vaters zu verbringen, stach aber, als er hörte, daß dieser mit Erik dem Rothen nach Grönland fortgezogen sei, sofort wieder in's Meer. Auf gut Glück hin suchte der junge Mann nun ein Land, dessen Lage er nicht einmal genau kannte, und die Strömungen trugen ihn nach Gestaden hin, welche man für Neu-Schottland oder Maine hält. Endlich gelangte er doch nach Grönland, wo ihm Erik, der mächtige, normannische »Jarl«, ernstliche Vorwürfe darüber machte, daß er die Länder, nach welchen ihn ein glücklicher Zufall geführt, nicht näher erforscht habe.

Erik hatte eben seinen Sohn Leif an den norwegischen Hof gesendet, ein Beweis, daß zwischen der Hauptstadt und den Kolonien ziemlich lebhafte Verbindungen bestanden haben mögen. Der König, der sich inzwischen zum Christenthum bekannt, hatte eben eine Gesandtschaft nach Island abgeschickt, um den Odin-Cultus aufzuheben. Auch Leif gab er mehrere Priester mit, welche die Grönländer belehren und in den Grundwahrheiten des Christenthums unterrichten sollten; kaum in sein Vaterland zurückgekehrt, ließ der junge Abenteurer die frommen Männer unbekümmert an der Erfüllung ihres Auftrages arbeiten, setzte, als er von Björn's Entdeckung hörte, seine Schiffe wieder in Stand und zog zur Aufsuchung der von diesem gesehenen Länder aus. Er landet nacheinander an einer steinigten, trostlosen Ebene, der er den Namen Helluland gab und worin man ohne Schwierigkeit New-Foundland wiedererkennt, ferner an einer niedrigen, sandigen Küste, hinter der sich ein Saum dunkler, aber durch den Gesang unzähliger Vögel belebter Wälder hinstreckte. Zum dritten Male geht er in See und erreicht, nach Süden steuernd, die Bai von Rhode-Island, mit mildem Klima, deren Wasser so sehr von Lachsen wimmelte, daß er sich hier länger niederließ und aus Brettern und Planken große Gebäude errichtete, die er Leifsbudir (Leifs Haus) nannte. Hierauf beorderte er einige seiner Leute, die Umgegend in Augenschein zu nehmen, und diese kamen mit der frohen Botschaft zurück, daß im Innern des Landes der wilde Weinstock gedeihe, weshalb jenes den Namen »Vinland« erhielt. Im Frühlinge des Jahres 1001 fuhr Leif dann, nachdem er seine Schiffe mit Fellen, Trauben, Holz und anderen Erzeugnissen des Landes reich beladen, nach Grönland zurück und hatte inzwischen auch beobachtet, daß der kürzeste Tag in Vinland noch neun Stunden währte, wodurch es möglich geworden ist, die Lage von Leifsbudir unter 41° 24' 10'' zu bestimmen. Dieser glückliche Entdeckungszug, sowie die Rettung einer norwegischen Barke mit fünfzehn Mann erwarb dem Sohne Erik's den Beinamen des Glücklichen.

Seine Expedition erregte allgemeines Aufsehen und die Erzählungen von den Wundern des Landes, in dem Leif verweilt hatte, veranlaßt seinen Bruder Thorwald, mit dreißig Mann dahin abzusegeln. Nachdem er den Winter in Leifsbudir zugebracht, untersuchte Thorwald die Küsten weiter nach Süden, kehrte im Herbst nach Vinland zurück und segelte im folgenden Jahre, 1004, längs des Ufers von Leifsbudir nach Norden. Während der Rückkehr trafen die Normannen zum ersten Male mit Eskimos zusammen, welche sie ohne Veranlassung unbarmherzig ermordeten. In der darauf folgenden Nacht sahen sie sich aber plötzlich von einer zahlreichen Flottile von Kayacs umringt, aus der eine Wolke von Pfeilen auf sie zuflog. Thorwald, der Führer der Expedition, wurde allein tödtlich verwundet, und seine Gefährten begruben ihn auf einem Vorgebirge, dem sie den Namen »das Vorgebirge des Kreuzes« gaben.

Am Golf von Boston fand man im 18. Jahrhundert ein ausgemauertes Grab mit Gebeinen und einem eisernen Säbelgefäß; da die Indianer dieses Metall nicht kannten, konnte dieses Skelet ihrem Stamme nicht angehören; ebenso konnte es sich hier nicht um die Ueberreste eines im 16. Jahrhundert gelandeten Europäers handeln, deren Säbel nicht diese so charakteristische Form hatten. Man hat darin vielmehr das Grab eines Skandinaven wiedererkennen wollen, wenn auch nicht gerade das Thorwald's, des Sohnes Erik's des Rothen.

Im Frühjahre 1007 verließen drei Schiffe mit hundertsechzig Mann und vielen Thieren den Eriksfjord, um eine dauernde Niederlassung zu begründen. Die Auswanderer bekamen Helluland, Markland und Vinland zu Gesicht und landeten an einer Insel, wo sie Baracken errichteten und schon die Bearbeitung des Bodens begannen. Man muß jedoch annehmen, daß sie hierbei nicht mit der nöthigen Umsicht und Vorsicht zu Werke gegangen seien, denn der Winter überraschte sie ohne Lebensmittelvorräthe, so daß sie arg vom Hunger litten. Zum Glück kamen sie auf den Gedanken, einstweilen nach dem Festlande zurückzukehren, wo sie das Ende des Winters in leidlichen Verhältnissen abwarten konnten.

Zu Anfang des Jahres 1008 zogen sie wieder zur Aufsuchung von Leifsbudir aus und ließen sich an der Mount-Hope-Bai, und zwar an dem, Leif's früherer Ansiedlung gegenüberliegenden Ufer nieder. Hier wurden zuerst einige Verbindungen mit den in den Sagas »Skrellings« genannten Eingebornen angeknüpft, unter welch' Letzteren man die Eskimos ohne Schwierigkeit wiedererkennt. Die erste Begegnung mit denselben verlief ganz friedlich und es entwickelte sich ein beide Theile zufriedenstellender Tauschhandel bis zu dem Tage, da das Verlangen der Eskimos nach eisernen Aexten, deren Auslieferung die Norwegen stets verweigert hatten, jene zu feindlichen Angriffen und Gewaltthätigkeiten trieb, welche die neuen Ansiedler nach dreijährigem Aufenthalt zur Rückkehr in ihr Vaterland veranlaßten, ohne von ihrer Niederlassung auf amerikanischem Boden auch nur eine Spur zu hinterlassen.

Wir können hier begreiflicher Weise nicht die Expeditionen alle einzeln aufzählen, die von Grönland aus nach den Küsten Labradors und der Vereinigten Staaten ausgeführt wurden. Diejenigen unserer Leser, welche sich hierüber eingehender zu unterrichten wünschen, verweisen wir auf die interessante Arbeit Gabriel Gravier's, dessen vollständigstem Werke über diesen Gegenstand wir auch selbst alles auf die Fahrten der Normannen Bezügliche entlehnen.

In demselben Jahre, wo Erik der Rothe nach Grönland kam, also 983, wurde ein gewisser Hari Marson durch Sturm von der gewöhnlichen Schiffsstraße nach einem Lande verschlagen, das den Namen des Landes der weißen Menschen führt und sich, nach Rafn, von der Cheasapeak-Bai bis Florida erstreckte.

Woher stammte wohl dieser Name? Wohnten etwa hier Landsleute Marson's schon früher? Nach den Worten der Chronik sollte man das fast voraussetzen. Es hätte offenbar ein großes Interesse, die Nationalität dieser ersten Ansiedler bestimmen zu können. Noch haben die Sagas ja nicht alle ihre Geheimnisse offenbart. Gewiß sind noch manche derselben unbekannt, und da die bis jetzt aufgefundenen alle vorher angenommenen Thatsachen bestätigt haben, darf man wohl die Hoffnung hegen, daß unsere Kenntnisse der isländischen Seezüge sich nach und nach vervollständigen werden.

Eine andere, zum Theil freilich sehr romantische Legende, welche aber jedenfalls einen Kern von Wahrheit enthält, erzählt, daß ein gewisser Björn, der in Folge einer unglücklichen Leidenschaft Island verlassen mußte, bis über Vinland hinaus geflüchtet sei, wo man im Jahr 1027 noch einige seiner Begleiter wiedergefunden habe.

Bei einer anderen Expedition im Jahre 1051 wurde eine isländische Frau von den Skrellings erschlagen, und im Jahre 1867 hat man ein Grab mit Runeninschrift eröffnet, in dem sich Gebeine und einzelne Toilettegegenstände vorfanden, welche jetzt im Museum zu Washington aufbewahrt werden. Diesen Fund machte man übrigens genau an derselben Stelle, welche eine, diese Vorfälle behandelnde Sage, die man 1863 entdeckte, bezeichnet hatte.

Die in Island und Grönland hausenden Normannen waren indessen auch um das Jahr 1000 nicht die einzigen Besucher der amerikanischen Küsten, wie das der Name Groß-Irland – die andere Bezeichnung für das Land der weißen Menschen – darthut. Die Geschichte Madoc-op-Owens weist nach, daß hier Irländer und Gallier Kolonien angelegt hatten, über die wir freilich nur mehr spärliche Nachrichten besitzen. Trotz aller Ungewißheit stimmen aber d'Avezai und Gaffarel über die Wahrscheinlichkeit derselben vollkommen überein.

Von der Erwähnung dieser Züge und Ansiedlungsversuche der Normannen in Labrador, Vinland und den noch südlicheren Gegenden kehren wir nun nach dem Norden zurück. Die zuerst in der Nähe des Cap Farewell gegründeten Niederlassungen verbreiteten sich bald längs der Nordküste, welche damals beiweitem nicht einen so trostlosen Charakter hatte als heute, bis in hohe Breitengrade hinauf, zu denen man erst in unseren Tagen wieder vorgedrungen ist. Zu jener Zeit betrieb man den Robben-, Walrosse- und Walfischfang noch in der Bai von Discö, und man zählte hundertneunzig Städte in der Westerbygd neben sechsundneunzig Städten in der Esterbygd. Heute erreicht die Anzahl der Niederlassungen an jenen eisigen Küsten jene frühere nicht im mindesten.

Wahrscheinlich bestanden diese Städte allerdings nur aus kleinen Gruppen von hölzernen und steinernen Häusern, deren Ruinen man vom Cap Farewell bis Uppernavik unter 72° 50' nördlicher Breite noch vielfach wiederfindet. Eine Menge Runeninschriften, deren Entzifferung später gelungen ist, hat jetzt über die so lange Zeit vergessenen Thatsachen völlig Licht verbreitet. Wie viele solche Spuren der Vergangenheit mögen aber noch immer zu entdecken sein! Wie viele werthvolle Zeugnisse von der Kühnheit und dem Unternehmungsgeiste der skandinavischen Race mögen wohl für immer unter den Gletscher-Riesen begraben liegen!

Man hat auch angenommen, daß selbst das Christenthum in Amerika und vorzüglich in Grönland schon Fuß gefaßt hatte. In letzterem Lande fanden auf Anordnung Papst Gregor's IX. regelmäßige Kirchenvisitationen statt, um die neubekehrten Normannen im Glauben zu stärken und die Indianer- und Eskimostämme dem Christenthume zu gewinnen. Noch mehr; im Jahre 1865 hat Riant unwiderleglich bewiesen, daß in Grönland, vorzüglich im Bisthum Gardar, sowie auf den Inseln und in den benachbarten Ländern die Kreuzzüge gepredigt worden sind und daß Grönland bis zum Jahre 1418 dem päpstlichen Stuhl einen Zehent und den gewöhnlichen Peterspfennig bezahlte, der für das genannte Jahr aus 2600 Pfund Walroßzähnen bestand.

Die norwegischen Kolonien verdanken ihren Zerfall und ihren Untergang verschiedenen Ursachen, wie der ungemein schnellen Ausdehnung der Gletscher – Hayes hat z. B. nachgewiesen, daß der Bruder »Johann«-Gletscher jährlich um 30 Meter zunahm –; der schlechten Politik des Mutterlandes, welche die Auswanderung nach den Kolonien einschränkte; der schwarzen Pest, die Grönlands Bevölkerung von 1347-1351 decimirte; endlich den Verwüstungen fremder Seeräuber, welche im Jahre 1418 die schon heruntergekommenen Ansiedlungen überfielen und in welchen man Bewohner der Orkaden und der Färöer, von denen später die Rede sein soll, zu erkennen geglaubt hat.

Einer der Genossen Wilhelm's des Eroberers, Saint-Clair oder Sinclair mit Namen, der sich durch den ihm zufallenden Antheil an Land nicht nach Verdienst belohnt hielt, zog nach Schottland auf Abenteuer aus und erwarb sich hier bald Ehren und Reichthümer. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts kamen die Orkaden unter die Herrschaft seiner Nachfolger.

Im Jahre 1390 litt ein gewisser Nicolo Zeno, der Sproß einer der ältesten und vornehmsten Familien Venedigs, der auf seine Kosten ein Fahrzeug ausgerüstet hatte, nur um England und Flandern kennen zu lernen, im Archipel der Orkaden Schiffbruch. Schon war er in Gefahr, von den Bewohnern elend hingemordet zu werden, als ihn Graf Sinclair noch rechtzeitig in seinen Schutz nahm. Die Geschichte dieses Schiffbruchs, der Abenteuer und Entdeckungen, welche dessen Folge waren und deren auch Ramusio in seiner Sammlung Erwähnung thut, beschrieb, nach dem Zeugnisse des gelehrten Geographen Clemens Markham, das sich in seinen »Zugängen nach den ungekannten Ländern« findet, zuerst Antonio Zeno. Leider zerriß ein im Jahre 1515 geborner Nachkömmling desselben, Namens Nicolas Zeno, als Kind diese Papiere, deren Werth er ja nicht zu begreifen verstand. Da noch einige Blätter erhalten blieben, vermochte er diesen Bericht später wieder zu ergänzen, und dieser spätere ist es, den wir jetzt in einem aus Venedig stammenden Drucke besitzen. In dem Palaste der Familie fand sich auch eine durch das Alter schon halb vermoderte Karte, welche jene Reise vor Augen führte. Er stellte von dieser eine Copie her, wobei er sie leider nach dem Texte seines Berichtes vervollständigte, was er für das Verständniß derselben für nothwendig erachtete. Da er aber hierbei in sehr unbesonnener Weise zu Werke ging und ohne die eingehenden geographischen Kenntnisse, die uns heute zu entscheiden erlauben, wo er sich irrte, so brachte er in das Ganze eine bedauernswerthe Unklarheit, während diejenigen Theile der Karte, die einer solchen Verstümmlung entgingen und noch das alte Original erkennen lassen, sich durch eine, selbst über die geographischen Kenntnisse der Zeit Nicolas Zeno's des Jüngeren weit hinausreichende Genauigkeit auszeichnen und die Lage der alten Kolonie von Grönland ganz unzweifelhaft feststellen. Es erklären sich hierdurch nicht allein die vielen, über diesen Gegenstand geführten Discussionen, sondern es wird damit auch die Authenticität des Berichtes selbst unwiderleglich dargethan, denn Nicolas Zeno der Jüngere war doch nicht im Stande, eine Geschichte zu erfinden, deren Wahrheit er gegenüber den Angaben der Karte aus Unkenntniß entstellt hätte.

Der Name Zichmin, unter welchem zeitgenössische Schriftsteller und unter ihnen vor Allem H. Major, der diese Ereignisse dem Bereiche der bloßen Fabeln entrückt hat, den Namen Sinclair's verstehen, scheint sich in der That nur auf diesen Beherrscher der Orkaden zu beziehen.

Zu dieser Zeit wurden die nördlichen Meere Europas vielfach von skandinavischen Seeräubern unsicher gemacht. Sinclair, der in Zeno bald einen geschickten Seemann erkannte, verbündete sich deshalb mit diesem zur Eroberung von Frisland, dem Neste der Seeräuber, die den ganzen Norden Schottlands verwüsteten. In den Hafenbüchern vom Ausgange des 15. Jahrhunderts und den Seekarten von Anfang des 16. Jahrhunderts bezeichnet dieser Name die Gruppe der Färöer, was höchst wahrscheinlich richtig ist, denn Buache hat in den heutigen Namen der Häfen und Inseln dieses Archipels eine ziemliche Menge der von Zeno angeführten alten Namen wiedererkannt. Dazu erweisen sich die Angaben des venetianischen Seehelden über die fischreichen Gewässer und die gefährlichen Untiefen zwischen den einzelnen Inseln auch noch heutzutage zutreffend.

Zufrieden mit seiner Lage, schrieb Zeno an seinen Bruder Antonio und lud diesen zu sich ein. Während nun Sinclair mit der Eroberung der Färöer beschäftigt war, plünderten norwegische Piraten die Shettlands-Inseln, welche damals übrigens Eastland hießen. Nicolo ging unter Segel, um jenen eine Schlacht zu liefern, mußte aber vor ihrer weit stärkeren Flotte entfliehen und suchte auf einer kleinen Insel an der Küste von Island Schutz.

Nachdem er hier überwintert, soll Zeno im folgenden Jahre nach der Ostküste von Grönland abgesegelt und unter dem 69. Breitengrade gelandet sein, wo sich »ein Kloster des Ordens der Prediger von St. Thomas und eine zugehörige Kirche befanden. Die Klosterzellen wurden hier durch eine heiße Quelle erwärmt, welche die Mönche auch zur Zubereitung ihrer Speisen und zum Backen des Brotes benutzten. Die Mönche besaßen auch Gärten, die während des Winters überdeckt und auf die nämliche Weise geheizt waren, so daß sie Blumen, Früchte und Kräuter ziehen konnten, als lebten sie in einem weit milderen Klima«. Diese Erzählung erhält eine merkwürdige Bestätigung dadurch, daß ein Kapitän der dänischen Marine in den Jahren 1828-1830 unter dem neunundsechzigsten Grade der Breite eine aus 600 Köpfen bestehende Bevölkerung von durchweg europäischem Typus antraf.

Die abenteuerliche Fahrt in Gegenden, deren Klima dem Venedigs so wenig gleichkam, wurde für Zeno jedoch verderblich und er starb kurz nach seiner Rückkehr von Frisland.

Ein alter mit dem Venetianer zurückgekehrter Seemann, der, wie er sagte, in den Ländern des äußersten Westens lange Jahre als Gefangener zugebracht hatte, beschrieb Sinclair jene Länder so schön und fruchtbar, daß dieser den Entschluß faßte, dieselben mit Hilfe Antonio Zeno's, der inzwischen der Einladung seines Bruders gefolgt war, zu erobern. Die Einwohner derselben erwiesen sich aber so feindselig und setzten der Landung der Fremden einen so heftigen Widerstand entgegen, daß Sinclair nach einer langen, gefährlichen Fahrt unverrichteter Dinge nach Frisland umkehren mußte.

Das ist Alles, was von jenen Ereignissen noch auf uns gekommen ist, und wir haben es gewiß sehr zu bedauern, daß Antonio Zeno's Briefe an seinen Vater verloren gegangen sind, welche hierüber sicher weitere Aufschlüsse und auch Nachrichten über ein Land lieferten, das Forster und Malte-Brun mit Neufundland identificiren.

Wer weiß, ob Columbus nicht bei Gelegenheit seiner Reisen nach England und seiner Züge bis nach dem fernen Thule von diesen vorhergegangenen Fahrten der Normannen und der Zenis reden hörte, und ob ihm nicht ebendieselben lückenhaften Nachrichten seine Theorien bestätigten und seine Ideen bestärkten, zu deren Durchführung er den König von England um Unterstützung anging?

Aus Allem, was wir hier kurz mitgetheilt haben, geht doch unzweifelhaft hervor, daß Amerika schon vor Columbus den Europäern bekannt und an einzelnen Stellen sogar kolonisirt war. In Folge verschiedener Umstände, in deren erster Reihe die Seltenheit der Verbindungen zu nennen ist, welche die Bevölkerungen des nördlichen Europas mit denen im Süden unterhielten, gelangten von den Entdeckungen der Normannen gewiß nur sehr spärliche und unzuverlässige Nachrichten bis nach Spanien und Portugal. Allem Anscheine nach wissen wir heutzutage hiervon weit mehr als die Zeitgenossen Columbus'. Kamen dem genuesischen Seemanne derlei Gerüchte zu Ohren, so stellte er sie jedenfalls mit den Anzeichen zusammen, die ihm bei den Inseln des Grünen Vorgebirges in die Augen fielen, und er verband sie wohl auch mit seinen classischen Erinnerungen von der fabelhaften Insel Antilia und der Atlantis Plato's. Die Uebereinstimmung solcher Andeutungen von den verschiedensten Seiten erzeugte in ihm jedenfalls die Gewißheit, daß man den Orient auch auf dem Wege nach Westen werde erreichen können. Doch wie dem auch sei, sein Ruhm bleibt ungeschmälert; er ist der eigentliche Entdecker von Amerika, nicht Jene, die der Zufall oder Sturm dahin verschlug, ohne die Absicht nach den Küsten Asiens zu gelangen, wie der große Columbus, dem Amerika nur den vorausgeahnten Weg versperrte.

Die Nachrichten, welche wir über die Familie Cortereal zu geben vermögen, sind, wenn auch weit vollständiger als die Angaben der biographischen Lexica, doch noch immer sehr oberflächlich und unbestimmt. Wir müssen uns jedoch damit begnügen, denn bis jetzt hat die Geschichtsforschung noch nicht mehr über dieses kühne Seefahrer-Geschlecht zu Tage gefördert.

Joao Vaz Cortereal war der Bastard eines Edelmannes Namens Vasco Annes da Costa, der wegen des prahlerischen Aufwandes seines Hauses und seiner Dienerschaft vom Könige von Portugal den Spottnamen Cortereal erhalten hatte. Wie so viele andere Edelleute seiner Zeit abenteuerlichen Seereisen zugethan, soll Joao Vaz in Galicien ein junges Mädchen, Namens Maria de Abarea, entführt haben, mit der er sich vermälte.

Nachdem er längere Zeit eine Anstellung als Hussier des Infanten Don Fernand gehabt, schickte ihn der König mit Alvaro Martins Homem auf den nördlichen Atlantischen Ocean hinaus. Die beiden Seefahrer sollen da in Sicht einer Insel gekommen sein, welche seit jener Zeit mit dem Namen Terra das Bacalhaos, d. i. Stockfischland, bezeichnet wurde, und welche wahrscheinlich zu Neufundland gehörte. Die Zeit dieser Entdeckung ist wenigstens annähernd dadurch festzustellen, daß sie bei der Rückkehr in Terceira landeten, und, da die dortige Statthalterschaft durch Jacome de Bruges' Ableben gerade erledigt war, bei der Infantin Doña Brites, der Witwe des Infanten Don Fernand, um diese Stelle anhielten, welche sie ihnen unter der Bedingung verlieh, daß Beide dieselbe gemeinschaftlich einnähmen, eine Thatsache, die noch durch eine Schenkungsurkunde aus Evora vom 2. April 1464 bestätigt wird.

Ohne die Authenticität dieser Entdeckung Amerikas verbürgen zu können, steht doch so viel fest, daß sich die Fahrt Cortereal's durch irgend ein besonderes Vorkommniß ausgezeichnet haben muß. Man pflegte mit großartigen Schenkungen nur Diejenigen zu belohnen, welche der Krone hervorragende Dienste geleistet hatten.

Nach seiner Niederlassung in Terceira ließ sich Vaz Cortereal in der Zeit von 1490 bis 1497 in der Stadt Angra einen prachtvollen Palast erbauen, den er mit seinen drei Kindern bewohnte. Gaspard, sein dritter Sohn, der zuerst im Dienste des Königs Emanuel stand, als dieser noch Herzog von Beja war, fühlte sich schon in frühen Jahren zu denselben wagehalsigen Unternehmungen hingezogen, welche den Ruhm seines Vaters begründet hatten. Durch einen aus Cintra vom 12. März 1500 datirten Erlaß machte der König Emanuel Gaspard Cortereal die Inseln und das Festland zum Geschenk, die er werde entdecken können, wobei der König noch sonderbarer Weise hinzufügte, daß »er jene schon früher auf seine eigenen Kosten aufzufinden versucht habe«.

Höchst wahrscheinlich beabsichtigte er seine Untersuchungen in der Richtung hin vorzunehmen, wo sein Vater die Stockfischinsel aufgefunden hatte. Er rüstete also, wenn auch mit der Hilfe des Königs, doch in der Hauptsache auf eigene Kosten zu Anfang des Sommers 1500 zwei Schiffe aus, lief zuerst in den Hafen von Terceira ein und segelte von hier aus nach Nordwesten. Zuerst entdeckte er ein Land, dessen pflanzenreiches, frischgrünes Aussehen ihn sehr bestochen haben mag. Es war das Canada. Er fand hier einen großen Strom, der Eisschollen herabwälzte, den St.-Lorenzo, den einige seiner Begleiter für einen Meeresarm hielten und dem er den Namen Rio-Nevado gab. »Der Ausfluß desselben ist so beträchtlich, daß dieses Land gewiß keine Insel sein kann, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß jenes eine sehr starke Schneedecke tragen muß, um eine solchen gewaltigen Wasserlauf speisen zu können.«

Die Häuser in der Nähe waren aus Holz erbaut und mit Fellen und Häuten bedeckt. Das Eisen kannten die Bewohner derselben nicht, sondern bedienten sich als Hiebwaffen scharfkantiger Steine, während ihre Pfeile mit spitzigen Fischknochen oder ähnlich geformten Steinen bewehrt erschienen. Groß von Gestalt und wohl gebaut, hatten sie Gesicht und Körper mit bunten Farben bemalt, trugen Armbänder aus Gold oder Kupfer und eine Kleidung aus Pelzfellen.

Cortereal setzte seine Fahrt weiter fort und gelangte zum Cap der »Bacalhaos«, »einer Fischart, die sich hier in so beträchtlicher Menge tummelte, daß die Caravellen kaum vorwärts kommen konnten«. Dann folgte er der Küste in einer Ausdehnung von zweihundert Meilen, vom 56. bis zum 60. Breitegrade und vielleicht noch höher hinauf, und bezeichnte die Inseln, Ufer und Golfe, die er fand, wie Terra do Labrador, Bahia de Conceiçao u. s. w., wobei er wiederholt an's Land ging und sich mit den Ureinwohnern in Verbindung setzte. Die sehr strenge Kälte und ein Strom ungeheurer Eismassen verhinderten das Geschwader, noch höhere Breiten zu erreichen, und so kehrte es, mit siebenundfünfzig Eingebornen an Bord, nach Portugal zurück.

Sobald er heimgekommen, erhielt Gaspard Cortereal, auf einen vom 15. April 1501 datirten Befehl, neuen Proviant und verließ Lissabon schon wieder am 15. Mai 1501, in der Hoffnung, den Kreis seiner Entdeckungen noch zu erweitern. Von dieser Zeit ab hörte man jedoch von ihm niemals wieder. Sein Bruder, Michel Cortereal, der erste Huissier des Königs, erhielt dann auf seine Bitte die Erlaubniß, nach jenem zu suchen und sein Unternehmen weiter zu führen. Durch ein Handschreiben vom 15. Januar 1502 wurde ihm die Hälfte der Inseln und des festen Landes, die sein Bruder entdeckt haben könnte, als Geschenk zugesichert. Am 10. Mai lichteten Michel Cortereal's drei Schiffe die Anker. Der Führer gelangte mit denselben glücklich nach Neufundland, wo er sein kleines Geschwader theilte, damit jedes Schiff für sich Nachforschungen anstellen könne, und bestimmte auch einen Punkt als Stelldichein. Zur festgesetzten Zeit erschien er selbst hier aber nicht, und so schlugen die beiden anderen Schiffe, nachdem sie ihn bis zum 20. August vergeblich erwartet, den Rückweg nach Portugal ein.

Im Jahre 1503 schickte der König nochmals zwei Caravellen aus, um Auskunft über die beiden Brüder zu erlangen; ihre Nachforschungen blieben jedoch erfolglos und sie kamen zurück, ohne das mindeste erfahren zu haben.

Auf diese traurige Nachricht hin beschloß der letzte der Gebrüder Cortereal, Vasco Annes, welcher Kapitän, Statthalter der Inseln St. Georg und Terceira und Alcalde der Stadt Tavilla war, auf seine Kosten ein Schiff auszurüsten und zur Aufsuchung seiner Brüder auszuziehen. Dem widersetzte sich aber der König aus Furcht, auch den Letzten des Hauses, das ihm so hervorragende Staatsdiener gegeben, bei einem solchen Unternehmen einzubüßen.

Auf den Karten jener Zeit findet man Canada oft mit dem Namen Terra des Cortereales bezeichnet, ein Name, der nicht selten auch für weit tieferliegende Gebiete angewendet wird und dann einen großen Theil Nordamerikas umfaßt.

Alle Nachrichten über Johann und Sebastian Cabot lagen noch bis auf die neueste Zeit sehr im Dunkel, das auch jetzt noch nicht völlig zerstreut ist, trotz der gewissenhaftesten Studien des Amerikaners Biddle, 1831, des Franzosen Avezac und des Engländers Nicholls, 1869, der unter Benutzung alles dessen, was er den Archiven Englands, Spaniens und Venedigs entlehnte, eine zwar hervorragende, doch nach manchen Seiten hin anfechtbare Arbeit geliefert hat. Den Werken der beiden Letztgenannten entnehmen wir auch die Unterlagen zu dieser kurzen Darstellung, vorzüglich aber der Arbeit Nicholls', der unter Benutzung des Avezac'schen Buches das ganze Leben Sebastian Cabot's schildert.

Man ist weder über den Namen, noch über die Nationalität Johann Cabot's einig, noch weniger über das richtige Datum seiner Geburt. Johann Cabota, Caboto oder Cabot soll, wenn nicht in Genua selbst, wie Avezac behauptet, doch in der Nähe dieser Stadt, vielleicht in Castiglione, etwa zu Ende des ersten Viertels im 15. Jahrhundert geboren sein. Einige Geschichtsschreiber machen aus ihm allerdings einen Engländer, und die nationale Eigenliebe hat wohl ihren Theil daran, wenn Nicholls sich dieser Meinung anschloß, wenigstens scheint das aus den von ihm gebrauchten Ausdrücken hervorzugehen. Unzweifelhaft weiß man nur, daß Johann Cabot nach London kam, um Handelsgeschäfte zu betreiben, und sich bald darauf in Bristol, damals der zweiten Stadt des Königreichs, und zwar in einer der Vorstädte niederließ, welche den Namen Cathay (China) erhalten hatte, gewiß wegen der vielen Venetianer, welche darin wohnten, und wegen der Handelsbeziehungen, die diese mit den Ländern des fernsten Ostens unterhielten. Hier wären dann auch die beiden letzten Kinder Cabot's, Sebastian und Sanche, geboren worden, wenn man dem alten Chronisten Eden glauben darf, was er darüber äußert: »Sebastian Cabot sagte mir, daß er in Bristol geboren, im Alter von vier Jahren mit seinem Vater nach Venedig gekommen und wenige Jahre später mit ihm wieder nach England zurückgekehrt sei, weshalb man vielfach Venedig für seine Vaterstadt gehalten habe.« Im Jahre 1476 befand sich Johann Cabot bestimmt abermals in Venedig und erhielt daselbst am 29. März ein Naturalisations-Patent, wodurch bewiesen wird, daß er nicht aus derselben Stadt gebürtig sein konnte und diese Ehre wahrscheinlich durch wichtige Dienste zum Nutzen der Republik verdient haben mochte. Avezac neigt sich zu der Annahme, daß jener zuerst Kosmographie und Schifffahrtskunde getrieben habe, vielleicht gar zusammen mit dem berühmten Florentiner Paul Toscanelli, von dem er dann die damalige Theorie von der Vertheilung der Länder und Meere auf der Erdkugel kennen gelernt hätte. Dabei konnte er wohl auch von den im Atlantischen Ocean gelegenen Inseln, Namens Antilia, das Siebenstädteland oder Brasilien, reden gehört haben. Beglaubigter ist aber, daß seine Handelsgeschäfte ihn nach der Levante, man sagt sogar bis Mekka führten, und daß er dort nähere Kunde von den Ländern erhielt, aus denen die Gewürze, damals der wichtigste Handelsartikel Venedigs, herstammten.

Wie dem nun auch sei, jedenfalls begründete Cabot in Bristol ein sehr großes Handelshaus. Sein Sohn Sebastian, der durch die ersten Reisen schon am Seeleben Geschmack gewann, unterrichtete sich emsig in allen Zweigen der Schifffahrtskunde und machte einige Fahrten über den Ocean, um seine erworbenen theoretischen Kenntnisse durch praktische Erfahrungen zu vervollständigen. »Seit sieben Jahren schon, schreibt der spanische Gesandte in einer Depesche vom 25. Juli 1498 bei Gelegenheit einer von Cabot geführten Expedition, rüsten diese Kaufleute aus Bristol zwei, drei auch vier Caravellen aus, um nach der Insel Brasilien oder den Sieben Städten, je nach dem Gutdünken jener Genuesen, zu segeln.« Zu jener Zeit erregten Columbus' großartige Entdeckungen eben das gewaltigste Aufsehen in ganz Europa. »Da regte sich in mir, sagt Sebastian Cabot in einem von Ramusio überlieferten Schriftstücke, der lebhafteste Wunsch, ja, ein brennendes Verlangen, mich durch etwas Ähnliches hervorzuthun, und da ich von der Anordnung unserer Erdkugel her wußte, daß ich nach Westen segelnd schneller als auf dem bisherigen Wege nach Indien gelangen müßte, legte ich Sr. Majestät meine Pläne vor und erfreute mich der schmeichelhaftesten Anerkennung.« Der König, an den sich Cabot wendete, war derselbe Heinrich VII., der wenige Jahre früher Christoph Columbus jede Unterstützung verweigert hatte. Es liegt auf der Hand, daß er das Project Johann und Sebastian Cabot's jetzt günstiger aufnahm, denn wenn Sebastian auch in dem oben citirten Fragmente allein die Ehre von dieser Unternehmung für sich zu beanspruchen scheint, so steht doch außer Zweifel, daß sein Vater der erste geistige Urheber derselben war, wie es auch das nachfolgende Patent, das wir im Auszuge mittheilen, hinlänglich beweist: »Wir, Heinrich ... gestatten hiermit unserem lieben, getreuen Jehan Cabot, Bürger der Stadt Venedig, und seinen Söhnen Louis, Sebastian und Sanche unter unserer Flagge und mit fünf Fahrzeugen, deren Tonnengehalt und Mannschaft sie nach bestem Ermessen bestimmen mögen, auf eigene Kosten und Gefahr zur Entdeckung neuer Länder auszuziehen ... wir ermächtigen und bestätigen sie, sowie ihre Nachkommen und Rechtsnachfolger, zur Eroberung und im Besitze derselben ... unter der Bedingung, uns von den Erträgnissen, Vortheilen und Beneficien, welche sie durch dieses Unternehmen erlangen, in Gold oder Waaren ein Fünftel zu zahlen, und das auch von jeder späteren Reise, wenn sie nach dem Hafen von Bristol – welchen Hafen sie stets zuerst anzulaufen verpflichtet sein sollen – zurückkehren ... versprechen und versichern ihnen, daß sie, ihre Erben und Rechtsnachfolger für immer von allen Zöllen befreit bleiben werden für die Waaren, die sie aus den neuentdeckten Ländern heimbringen ... verordnen und befehlen allen unseren Unterthanen zu Wasser und zu Lande, genannten Johann und seinen Söhnen bereitwillig Hilfe zu leisten ... Gegeben in ... am 5. März 1495.«

So lautet das Patent, welches für Johann Cabot und seine Söhne bei ihrer Rückkehr von Amerika, nicht, wie verschiedene Schriftsteller wollen, vor dieser Reise ausgefertigt wurde. Sobald die Nachricht von Columbus' glücklicher Entdeckung nach England drang, d. h. wahrscheinlich 1493, rüsteten Johann und Sebastian Cabot auf eigene Unkosten eine Expedition aus und segelten zu Anfang des Jahres 1494 mit der Absicht ab, Cathay und von da aus Indien zu erreichen. Es kann hierüber kein Zweifel obwalten, denn in der National-Bibliothek zu Paris wird noch jetzt das einzige Exemplar einer im Jahre 1544, also noch zu Lebzeiten Sebastian Cabot's gestochenen Karte aufbewahrt, welche über diese Reise und das bestimmte Datum der Entdeckung des Cap Breton Aufschluß giebt.

Wahrscheinlich verschuldeten die Winkelzüge des spanischen Gesandten die Verzögerung der Expedition Cabot's, denn das Jahr 1496 verlief vollständig, ohne daß jene zu Stande kam.

Erst im folgenden Jahre reiste derselbe zu Anfang des Sommers ab. Nachdem er die Terra Prima-Vista zu Gesicht bekommen, segelte er längs der Küste weiter, die er zu seinem großen Bedauern immer nach Norden verlaufen sah. »Vergeblich folgte ich derselben weiter, um vielleicht eine Durchfahrt aufzufinden, und gelangte dabei bis zum 56. Grade der Breite. Hier sprang das Land gar nach Osten zu vor, so daß ich an meinem Vorhaben verzweifelte. Ich drehte nun um und steuerte nach dem Wendekreise zu, um die Küste nach dieser Seite hin zu erforschen und vielleicht hier einen offenen Seeweg nach Indien zu finden; dabei gelangte ich zu dem Lande, das man jetzt Florida nennt, mußte mich nun aber, wegen beginnenden Mangels an Nahrungsmitteln zur Rückkehr nach England entschließen.« Den Bericht, dessen Anfang wir im Obigen mittheilten, erstattete Cabot an Fracastor erst vierzig bis fünfzig Jahre nach den Ereignissen selbst. Es erscheint deshalb auch weniger erstaunlich, ihn hierbei zwei Fahrten, die von 1494 mit der von 1497, vermengen zu sehen. Fügen wir zu diesem Berichte noch einige Anmerkungen hinzu: Das zuerst gesehene Land war ohne Zweifel das Cap Nord, an der nördlichen Spitze der Insel Cap Breton, und die gegenüberliegende Insel die Prinz Eduards-Insel, welche auch lange Zeit hindurch St. Johann hieß. Cabot drang wahrscheinlich in die Mündung des St.-Lorenzo, den er für einen Meeresarm hielt, bis in die Nähe des heutigen Quebec ein und folgte der Nordküste des Golfes, so daß er die nach Osten verlaufenden Gestade Labradors wohl gar nicht gesehen hat. Er hielt Terra Nova (d. i. Neufundland) für eine Inselgruppe und setzte seinen Weg nach Süden nicht bis Florida, wie er selbst sagt – denn die Dauer der Fahrt widerspricht schon allein einer solchen Annahme – sondern nur bis zu Cheasapeake-Bai fort. Die Länder in diesen Breiten nämlich sind es, welche die Spanier später »Terra de Estevam Gomez« nannten.

Am 3. Februar 1489 unterzeichnete König Heinrich VII. in Westminster neue Patentbriefe. Er autorisirte Johann Cabot oder seinen gebührend bevollmächtigten Stellvertreter, in den Häfen Englands sechs Fahrzeuge von je 200 Tonnen auszuwählen, Seeleute, Schiffsjungen und Hilfspersonal zu heuern, so viele eben sich freiwillig entschließen würden, ihm nach den unentdeckten Ländern und Inseln zu folgen, und die nöthigsten Ausrüstungsgegenstände für den nämlichen Preis wie die Krone einzukaufen. Johann Cabot bestritt selbst die Kosten für zwei Fahrzeuge, während drei andere mit den Kapitalien der Kaufleute von Bristol fertig gestellt wurden.

Aller Wahrscheinlichkeit hinderte Johann Cabot ein unerwarteter, plötzlicher Tod die Führung der Expedition zu übernehmen. Sein Sohn Sebastian befehligte also die Flotte, welche dreihundert Mann und Lebensmittel für die Zeit eines Jahres mitnahm. Nachdem er unter dem 45. Grade in Sicht des Landes gekommen, folgte Sebastian Cabot der Küste bis zum 58. Breitengrade und vielleicht noch höher hinauf; dann wurde es aber so kalt und man begegnete so vielem Treibeise, daß es sich von selbst verbot, weiter nach Norden vorzudringen. Die Tage daselbst waren sehr lang und die Nächte auffallend hell, eine wegen der Bestimmung der Breite interessante Angabe, denn wir wissen, daß unter dem 60. Breitengrade die längsten Tage achtzehn Stunden dauern. Die eben angeführten Gründe bestimmten also Sebastian Cabot zu wenden und er berührte bald die Bacalhaos-Inseln, deren mit Thierfellen bekleidete Bewohner Bögen und Pfeile, Lanzen, Wurfspieße und hölzerne Schwerter als Waffen führten. Die Seefahrer fingen hier eine große Menge Stockfische, welche, einem alten Berichte nach, so zahlreich vorhanden sein sollten, daß sie ein Schiff im Laufe aufhielten. Nach Untersuchung der amerikanischen Gestade bis herab zum 38. Grade, schlug Cabot den Weg nach England wieder ein, wo er Anfangs Herbst anlangte.

Diese Expedition verfolgte zwar den dreifachen Zweck der Länderentdeckung, des Handels und der Kolonisation, wie es aus der Zahl der Schiffe und der Stärke der Besatzung hervorgeht. Es scheint jedoch nicht so, als habe Cabot irgend Jemand ausgeschifft oder einen Niederlassungsversuch in Labrador oder der Hudsons-Bai gemacht, die er im Jahre 1517, unter der Regierung Heinrich's VIII. eingehender kennen lernen sollte, noch auch im Süden von den Bacalhaos-Inseln, welche Gebiete man im Allgemeinen als Neufundland bezeichnet.

Nach dieser fast vollständig fruchtlosen Expedition verlieren wir Sebastian Cabot bis zum Jahre 1517, wenn auch nicht ganz, doch soweit aus dem Gesicht, daß die Nachrichten über seine Thaten und Reisen nur sehr spärlich fließen. Im Mai 1499 hatte Hojeda, dessen verschiedene Unternehmungen wir schon früher schilderten, Spanien verlassen. Wir wissen, daß er auf dieser Reise in Caquibaco an der Küste Amerikas einem Engländer begegnete. Sollte das Cabot gewesen sein? Es herrscht über diese Frage zwar völlige Unsicherheit, und doch muß man wohl glauben, daß jener nicht müßig gelegen, sondern gewiß eine neue Reise unternommen haben wird. Wir wissen nur, daß der König von England, ohne Rücksicht auf die gegen Cabot eingegangenen feierlichen Verpflichtungen, mehreren Portugiesen und einigen Kaufleuten von Bristol in den von jenem entdeckten Ländern gewisse Handelsprivilegien zugestand. Diese unedle Art und Weise, geleistete Dienste zu belohnen, verletzten unseren Seefahrer und bestimmten ihn, die wiederholten Anerbietungen, in spanische Dienste zu treten, nun anzunehmen. Seit dem Ableben Vespucci's, im Jahre 1512, war Cabot zweifelsohne der berühmteste Reisende. Um ihn an sich zu fesseln, schrieb Ferdinand also am 13. September 1512 an Lord Willoughby, den Befehlshaber der nach Italien übergeführten Truppen, und beauftragte diesen, mit dem Venetianer zu verhandeln.

Bei seiner Ankunft in Castilien erhielt Cabot durch ein Handschreiben vom 20. October 1512 den Grad eines Kapitäns mit 5000 Maravedis Gehalt. Als Wohnsitz ward ihm Sevilla angewiesen, bis sich Gelegenheit bieten würde, seine Kenntnisse und reichen Erfahrungen zu verwenden. Er sollte eben den Oberbefehl einer bedeutenden Expedition übernehmen, als Ferdinand der Katholische am 21. Januar 1516 mit Tod abging. Cabot kehrte sofort nach England zurück, wahrscheinlich nachdem er einen regelrechten Urlaub empfangen hatte.

Eden theilt mit, daß Cabot im folgenden Jahre mit Sir Thomas Pert das Commando einer Flotte erhalten habe, welche auf nordwestlichem Wege nach China segeln sollte.

Am 11. Juni befand er sich in der Hudsons-Bai unter 67½° nördlicher Breite; das eisfreie Meer erstreckte sich so weit hinaus, daß eine glückliche Durchführung des Unternehmens in Aussicht schien, als die Furchtsamkeit seines Mitbefehlshabers und die Feigheit und Meuterei der Mannschaften, welche weiter zu segeln verweigerten, ihn nöthigten, nach England umzukehren. In seinem Theatrum orbis terrarum bringt Ortelius eine Karte der Hudsons-Bai, welche deren Gestalt ganz richtig wiedergiebt und an ihrem nördlichen Ende eine nach Norden verlaufende Meerenge andeutet. Woher besaß der Geograph die hierzu nöthigen genauen Unterlagen? Wer anders, sagt Nicholls, soll ihm dieselben geliefert haben, wenn nicht Cabot?

Bei seiner Rückkehr nach England fand Cabot dieses von einer furchtbaren Pest verwüstet, welche alle Handelsthätigkeit lahm legte. Mochte nun sein Urlaub verstrichen sein oder er der gefährlichen Geisel entfliehen wollen, oder rief man ihn endlich nach Spanien zurück, jedenfalls traf er bald wieder in diesem Lande ein. Am 5. Februar 1518 wurde Cabot zum Piloto Major ernannt, mit einem Gehalte, der unter Hinzurechnung seiner übrigen Einkünfte 125.000 Maravedis oder gegen 7500 Mark erreichte. Sein eigentliches Amt übte er jedoch erst aus nach der Rückkehr Karl's V. von England. Es lag ihm nämlich ob, die Piloten zu prüfen, denen man nicht gestattete, nach Indien zu gehen, bevor sie nicht dieses Examen abgelegt hatten.

Großen Seeunternehmungen war die Zeit nicht günstig. Der zwischen Spanien und Frankreich ausgebrochene Krieg verzehrte beiden Ländern alle Hilfsquellen an Menschen und Geldmitteln. Cabot, dessen eigentliche Heimat vielmehr die Wissenschaft war, als irgend ein bestimmtes Land, wendete sich jetzt deshalb an den Gesandten Venedigs, Contarini, mit dem Angebote, bei der Flotte der Republik einzutreten; als hierauf jedoch die zustimmende Antwort des Rathes der Zehn eintraf, hatte er schon andere Pläne im Kopfe und ließ also die frühere Absicht fallen.

Im April 1524 führte Cabot den Vorsitz bei einer Versammlung von Seeleuten und Kosmographen, welche in Bajadoz zur Entscheidung der Frage zusammentrat, ob in Folge des berühmten Vertrages von Torsedillas die Molukken Spanien oder Portugal angehörten. Am 31. Mai wurde entschieden, daß die Molukken zwanzig Grade innerhalb der Grenze der spanischen Gewässer lägen. Vielleicht beeinflußte dieser Ausspruch der Junta, der Spanien einen großen Theil des Gewürzhandels überwies, den bald darauf veröffentlichten Beschluß des Rathes für Indien, in Folge dessen im September des nämlichen Jahres Cabot mit dem Titel eines General-Kapitäns der Befehl über drei Schiffe von je 100 Tonnen und eine kleine Caravelle, mit zusammen 150 Mann Besatzung übertragen wurde.

Der ausgesprochene Zweck der Reise ging dahin, durch die Magellan-Straße zu fahren, die Westküsten Amerikas sorgfältig aufzunehmen und nach den Molukken zu segeln, wo man für die Rückfahrt eine Ladung Gewürze einnehmen sollte. Schon im August 1525 sollte die Abreise stattfinden, die Intriguen Portugals wußten dieselbe jedoch bis zum April 1526 zu verzögern.

Verschiedene Umstände traten beim Antritt der Fahrt als schlimme Vorzeichen derselben auf. Cabot besaß nur eine nominelle Autorität, und der Verein von Kaufleuten, der die Unkosten der Ausrüstung getragen und ihn nicht aus freiem Willen zum Anführer bestellt hatte, wußte Mittel zu finden, alle Pläne des venetianischen Seefahrers zu kreuzen. So drängte man ihm z. B. an Stelle Desjenigen, den er als Unterbefehlshaber auswählte, einen Anderen auf und händigte jedem Kapitäne Instructionen ein, deren Siegel erst auf offenem Meere gelöst werden durften. Sie enthielten unter Anderem auch die wahnwitzige Bestimmung, daß den General-Kapitän im Falle seines Todes elf Individuen der Reihe nach ersetzen sollten. Glich diese Vorschrift nicht geradezu einer Ermunterung zum Meuchelmord?

Kaum verlor man das Land aus dem Gesicht, als sich die Unzufriedenheit schon zeigte. Es entstand das Gerücht, der Kapitän sei diesem Unternehmen nicht gewachsen; da man bald einsah, daß ihn derlei Verleumdungen nicht berührten, behauptete man, auf der Flotte herrsche Knappheit an Proviant. Die Meuterei kam zum offenen Ausbruche, als man wieder an's Land kam; Cabot war aber nicht der Mann dazu, sich kleinmüthig einschüchtern und unterdrücken zu lassen; er hatte von der verächtlichen Handlungsweise Thomas Pert's zu schwer gelitten, um jetzt eine Mißachtung seiner Autorität zu dulden. Um das Uebel an der Wurzel zu fassen, bemächtigte er sich der meuterischen Kapitäne und ließ sie, trotz ihres großen Namens und früher geleisteter Dienste, am Lande aussetzen. Vier Monate später erst glückte es ihnen, von einer portugiesischen Expedition wieder aufgenommen zu werden, welche ausgesandt schien, die Absichten Cabot's zu vereiteln.

Der venetianische Seefahrer drang hierauf in den Rio de la Plata ein, dessen Untersuchung sein Vorgänger de Solis als Piloto Major begonnen hatte. Die Expedition bestand jetzt nur noch aus zwei Schiffen, da eines während der Reise verloren gegangen war. Cabot segelte den »Silberstrom« hinauf und entdeckte eine Insel, welche er Franz Gabriel nannte und auf der er ein Fort erbaute, in dem Antonio de Grajeda das Commando übernahm. Mit einer seiner Caravellen, von der der Kiel entfernt worden war, begab sich Cabot, gezogen von den Booten, auf den Parana, errichtete am Zusammenflusse des Carcarama und Terceiro ein zweites Fort und drang, nachdem er sich auf diese Weise seine Rückzugslinie gesichert, weiter in die genannten Wasserläufe ein. Bei der Vereinigung des Parana und Paraguay angelangt, folgte er dem zweiten, dessen Richtung seiner Absicht, nach dem Westen, der Productionsgegend des Silbers, zu gelangen, besser zu entsprechen schien. Inzwischen veränderte das Land sein Aussehen ebenso wie die Bewohner ihre bisherige Haltungsweise. Früher waren sie immer nur, erstaunt über den Anblick der Schiffe, zusammengelaufen; an den cultivirteren Ufern des Paraguay aber widersetzten sie sich entschlossen jeder Landung der Fremdlinge, und als drei Spanier versucht hatten, Früchte von einer Palme herabzuholen, kam es zu einem ernsthaften Kampfe, in dem dreihundert Eingeborne das Leben einbüßten, während auch fünfundzwanzig Spanier kampfunfähig gemacht wurden. Das war Cabot zu viel; schnell brachte er seine Verwundeten im Fort San Spirito unter und zog sich, unter Abwehrung immer wiederholter Angriffe, vorsichtig zurück.

Cabot hatte schon zwei seiner Untergebenen an den Kaiser geschickt, um diesem von der Widersetzlichkeit seiner Kapitäne und von den Gründen Meldung zu machen, die ihn gezwungen hatten, seine Reiseroute zu ändern, während er ihn gleichzeitig um Unterstützung durch Nachschub von Mannschaften und Lebensmitteln ersuchte. Endlich traf die Antwort ein. Der Kaiser billigte Cabot's Maßnahmen, befahl ihm, das Land, in dem er sich aufhielt, zu kolonisiren, sandte aber weder einen Mann, noch einen Maravedi zur Hilfe. Cabot versuchte nun, sich im Lande selbst die nöthigsten Hilfsquellen zu erschließen, und machte einige schüchterne Anfänge zur Cultur des Bodens. Um seine Truppen in Athem zu erhalten, unterwarf er sich die benachbarten Volksstämme, legte verschiedene Befestigungen an und zog in's Land hinein bis Potosie und zu den Wasserläufen der Anden, welche das Atlantische Becken speisen. Endlich traf er Vorbereitungen, bis Peru vorzudringen, von woher das Gold und Silber stammte, das er im Besitz der Eingebornen sah; zur Eroberung so ausgedehnter Gebiete bedurfte er jedoch einer stärkeren Truppenmacht, als er zusammenbringen konnte. Auch der Kaiser war freilich außer Stande, mehr Soldaten zu senden. Die Kriege in Europa erschöpften seine Hilfsquellen, die Cortez verweigerten weitere Geldmittel und die Molukken hatte sich gar Portugal schon angeeignet. Nachdem er unter so mißlichen Umständen fünf Jahre hindurch im Lande ausgehalten, immer in Erwartung der Hilfe, welche niemals eintreffen sollte, ließ Cabot seine Niederlassungen zum Theil räumen und kehrte mit der größeren Anzahl seiner Leute nach Spanien zurück. Der Rest, nämlich hundertfünfundzwanzig Mann, der zur Bewachung des Forts San-Spirito zurückgeblieben war, kam nach vielen Wechselfällen, deren Erzählung uns hier zu weit führen würde, entweder von der Hand der Indianer um oder mußte sich nach der Küste Brasiliens in die portugiesischen Niederlassungen flüchten. Von den Pferden, welche Cabot mitgebracht hatte, stammt die ausgezeichnete wilde Pferde-Race her, die heute in zahlreichen Heerden die Pampas von La Plata durchschwärmt, das ist aber auch das einzige dauernde Resultat dieser Expedition.

Bald nach seinem Wiedereintreffen in Spanien verzichtete Cabot auf seine Stellung und ließ sich wieder in Bristol nieder, gegen 1548, d. h. zu Anfang der Regierung Eduard's VI. Was die Veranlassung zu diesem Wechsel gewesen, ob Cabot unwillig darüber geworden, daß man ihn während obiger Expedition ganz auf seine eigenen Kräfte beschränkt gelassen hatte, oder er sich durch die Art und Weise, seine Dienste zu belohnen, beleidigt gefühlt, davon wissen wir nichts Zuverlässiges. Karl V. benutzte jedoch eiligst die Abreise Cabot's, um dessen Pension zu streichen, die Eduard VI. jenem allerdings ersetzte, indem er ihm jährlich 250 Mark, gleich etwas über 116 Pfund Sterling, eine für jene Zeit recht ansehnliche Summe, aussetzte.

Der Stellung nach, welche Cabot in England einnahm, kann man ihn nur etwa als Marine-Intendanten bezeichnen, denn er hatte unter Autorität des Königs und des Staatsrathes die Aufsicht über Alles, was das Seewesen betraf. Er ertheilt Urlaub, examinirt die Piloten, setzt Instructionen für die Schiffer auf und entwirft die Seekarten, gewiß eine vielseitige Beschäftigung, für welche er, was ja selten Vorkommen dürfte, die erforderlichen theoretischen und praktischen Kenntnisse wirklich besaß. Gleichzeitig unterrichtete er den jungen König in der Kosmographie, erläuterte ihm die Abweichung des Kompasses und wußte ihn für das Seewesen und den Ruhm zu gewinnen, der durch maritime Entdeckungen zu erwerben sei. Er nahm also eine hervorragende, in ihrer Art einzig dastehende Stellung ein. Cabot benutzte dieselbe zur Ausführung eines Projekts, das ihm schon lange am Herzen lag.

Jener Zeit gab es in England so gut wie gar keinen Welthandel. Die Hansestädte Antwerpen, Hamburg, Bremen u. s. w. beherrschten gänzlich den Verkehr. Diese Handelsgesellschaften hatten wiederholt für sich beträchtlich niedrigere Eingangszölle zu erlangen gewußt, bis sie den Handel Englands endlich ganz monopolisirten. Cabot meinte nun, die Engländer besäßen so gut wie jene das Zeug dazu, Fabrikanten zu werden, und die schon mächtige Marine des Landes werde ausgezeichnete Dienste leisten können, die Erzeugnisse des Bodens und der Gewerbthätigkeit auszuführen. Weshalb zu Fremden seine Zuflucht nehmen, wenn man sich selbst genug war? War es auch noch nicht gelungen, China und Indien auf nordwestlichem Wege zu erreichen, warum sollte man diesen Versuch nicht auf nordöstlichem Wege wagen? Und selbst, wenn dieser nicht zum gewünschten Ziele führte, konnte man dabei nicht vielleicht auf weit handelsthätigere, civilisirtere Völkerschaften treffen, als jene elenden Eskimos der Gestade von Labrador und Neufundland? Cabot rief in London eine Versammlung der hervorragendsten Kaufleute zusammen, welche sich nach Anhörung seiner Pläne zu einer Gesellschaft vereinigten und ihn am 14. December 1551 zum lebenslänglichen Vorsitzenden derselben ernannten. Gleichzeitig suchte er eifrig auf den König einzuwirken und setzte auch, als er ihm die Nachtheile des Handelsmonopoles der Ausländer für seine eigenen Unterthanen klar dargelegt, am 23. Februar 1552 die Aufhebung desselben durch, womit er die Praxis des Freihandels eigentlich in's Leben rief.

Die Gesellschaft der englischen Händler, welche den Namen der »Abenteuer-Fahrer« annahm, beeilte sich nun, Schiffe bauen zu lassen, die für die schwierigere Fahrt in den arktischen Meeren geeignet waren. Die erste von Cabot eingeführte Verbesserung der englischen Marine bestand in der Verdoppelung des Kieles, ein Verfahren, das er in Spanien gesehen, das sich in England aber noch nicht verbreitet hatte.

In Deptford vereinigte man eine Flotte von drei Fahrzeugen. Es waren das die »Buona-Speranza«, deren Führung Sir Hugh Willoughby, einem unerschrockenen kriegsgeübten Edelmann, anvertraut wurde; die »Buona-Confidencia«, Kapitän Corvil Durforth, und die »Buonaventure«, Kapitän Richard Chancellor, ein gewandter Seemann und specieller Freund Cabot's, der den Titel des Ober-Steuermannes erhielt. Segelmeister der »Buonaventure« war Stefan Burrough, ein durchgebildeter Seefahrer, der noch viele Male die nordischen Meere besuchen und später General-Pilot Englands werden sollte.

Wenn das vorgerückte Lebensalter und seine wichtigen Aemter Cabot verhinderten, sich selbst an die Spitze der Expedition zu stellen, so ließ er es sich doch angelegen sein, alle Details der Ausrüstung zu überwachen. Er entwarf sogar Instructionen, die sich bis auf unsere Tage erhalten haben und die Klugheit und Geschicklichkeit dieses hervorragenden Seefahrers erkennen lassen. Er empfiehlt den Gebrauch des Logs, eines Instrumentes zur Messung der Fahrgeschwindigkeit eines Schiffes, und verlangt vor Allem die regelmäßige Führung eines Tagebuches über alle Vorkommnisse auf dem Meere, und dringt darauf, alle Nachrichten über den Charakter, die Sitten, Gewohnheiten und Hilfsquellen der etwa besuchten Völker und die Erzeugnisse der fremden Länder schriftlich niederzulegen. Den Eingebornen sollte man nicht gewaltthätig, sondern stets zuvorkommend begegnen. Alles Fluchen und Schwören ebenso wie Trunkenheit ist streng zu bestrafen. Die Religionsübungen sind genau vorgeschrieben; Morgens und Abends soll ein Gebet abgehalten, einmal des Tages die heilige Schrift gelesen werden. Schließlich legt er Allen Frieden und Eintracht besonders an's Herz, erinnert die Kapitäne an die große Bedeutung ihres Unternehmens und die Ehre, welche es ihnen zu bringen verspricht, unter der Versicherung, daß er sein Gebet für den glücklichen Ausgang des gemeinschaftlichen Werkes mit dem ihrigen vereinigen werde.

Am 20. Mai 1553 ging das Geschwader unter Segel, im Beisein des Hofes, der in Greenwich, wohin große Volksmassen zusammengelaufen waren, zusammenkam, während der König selbst an den vorhergehenden Festen und Lustbarkeiten kränklichkeitshalber nicht theilnehmen konnte. Nahe den Lofoten, an der Küste Norwegens und etwa in der Höhe von Wardhöus wurde das Geschwader von der »Buonaventure« getrennt. Vom Sturme fortgetrieben, gelangten Willoughby's beide Schiffe jedenfalls bis Nowaja-Semlja, wurden hier aber durch Eismassen genöthigt, nach Süden hin umzukehren. Am 18. September liefen sie in einen von der Mündung des Argina-Flusses gebildeten Hafen des östlichen Lapplands ein. Noch etwas später riß ein anderer Sturm auch die »Buona Confidencia« von Willoughby's Seite und jene kehrte nach England zurück; den letzteren fanden russische Schiffer im folgenden Jahre mitten im Eise. Die gesammte Besatzung war vor Kälte umgekommen. Diese Annahme erweckt wenigstens das, von dem unglücklichen Willoughby bis Januar 1554 geführte Schiffsjournal.

Chancellor, der die beiden Schwesterschiffe vergeblich an dem für den Fall einer unfreiwilligen Trennung vorher als Sammelplatz bestimmten Punkte erwartet hatte, glaubte von ihnen überholt zu sein, segelte nun, nach Umschiffung des Nordcaps, in einen weiten Golf hinein, der kein anderer als das Weiße Meer ist, und landete an der Mündung der Dwina, nahe dem Kloster Sanct-Nikolaus, etwa an der Stelle, wo sich später die Stadt Archangel erheben sollte. Die Bewohner dieser öden Gebiete theilten ihm mit, daß ihr Land unter der Herrschaft des Großfürsten von Rußland stehe. Er beschloß sofort, sich, trotz der ungeheuren Entfernung, selbst nach Moskau zu begeben. Den Thron hatte damals der Czar Ivan IV. Wassiliewitch, mit dem Beinamen »der Schreckliche«, inne. Seit einiger Zeit hatten die Russen schon das Joch der Tataren abgeschüttelt und es war Ivan gelungen, die verschiedenen kleinen Herrschaften zu einem Staatskörper zusammenzufassen, dessen Macht sich schon recht ansehnlich entwickelte. Die ausschließlich kontinentale Lage Rußlands, die Entfernung von jedem Meere, die Abgeschiedenheit von dem übrigen Europa, zu dem es kaum gehörte – so vererbte sich in seinen Sitten und Gewohnheiten die asiatische Herkunft – versprachen Chancellor den besten Erfolg. Der Czar, der die europäischen Waaren nur auf dem Wege über Polen beziehen konnte und seine Herrschaft gern bis zu den deutschen Meeren ausgestreckt hätte, sah sehr gerne den Versuch einer Handelsanknüpfung seitens der Engländer, welche beiden Theilen zum Nutzen gereichen mußte. Er empfing Chancellor nicht nur mit großer Höflichkeit, sondern machte ihm auch die vortheilhaftesten Anerbietungen, bewilligte ihm ausgedehnte Privilegien und ermuthigte ihn durch die größte Leutseligkeit, seine Reise zu wiederholen. Chancellor verkaufte seine Waaren mit Gewinn, nahm dafür eine Ladung Pelzwaaren, Robbenöl, Leberthran, Kupfer und andere Producte ein und kehrte mit einem Briefe des Czar nach England zurück. Der Gewinn, den diese erste Reise der Gesellschaft der Abenteuer-Fahrer einbrachte, ermunterte sie, eine zweite zu versuchen. Chancellor segelte also im folgenden Jahre nochmals nach Archangel und nahm dabei nach Rußland zwei Agenten der Gesellschaft mit, die mit dem Czar einen vortheilhaften Vertrag abschlossen. Auf dem Rückwege nach England brachte er dagegen einen von Ivan nach Großbritannien geschickten Gesandten neben dessen Gefolge mit. Von den vier Schiffen seiner damaligen Flotte ging eines an der Küste Norwegens zu Grunde, ein anderes beim Auslaufen aus Drontheim, und die »Buonaventure«, welche Chancellor selbst nebst dem Gesandten trug, versank in der Bai von Pitsligo an der Ostküste Schottlands am 10. November 1556. Chancellor ertrank bei diesem Schiffbruche, während es dem moskowitischen Gesandten gelang, sich zu retten; die Geschenke und Waaren, welche er nach England brachte, gingen jedoch alle verloren.

Das sind die Anfänge der englisch-russischen Handelscompagnie. Im Laufe der Zeit wurden sehr viele Fahrten nach denselben Stellen ausgeführt, doch liegt deren Aufzählung außerhalb des Rahmens unserer Aufgabe. Wir kehren also zu Cabot zurück.

Marie, die Königin von England, hatte bekanntlich Philipp II., König von Spanien, geheiratet. Als Letzterer nach England kam, zeigte er sich sehr übel gestimmt gegen Cabot, weil dieser den spanischen Dienst verlassen und jetzt England zu einer Handelsthätigkeit verhalf, welche die schon ansehnliche Seemacht des Landes bald merkbar zu verstärken versprach. Es ist also nicht zu verwundern, daß Cabot schon acht Tage nach der Landung des Königs von Spanien gezwungen ward, auf seine Stellung und Pension zu verzichten, die ihm früher von Eduard VI. lebenslänglich zugesichert worden waren. An seine Stelle wurde Worthington berufen. Nicholls glaubt, dieser nicht besonders ehrenfeste Mann, der mit den Gerichten schon mehrfach in Berührung gekommen war, habe den heimlichen Auftrag erhalten, aus den Plänen, Karten, Instructionen und Projecten Cabot's Alles auszuscheiden, was für Spanien nützlich sein zu können schien. Thatsächlich sind diese Dokumente bis heute verloren, wenn sie sich nicht in den Archiven von Simancas wiederfinden sollten.

Von diesem Zeitpunkt ab verliert die Geschichte den alten Seemann gänzlich aus den Augen. Dasselbe Geheimniß, welches über seine Geburt waltet, verschleiert auch den Ort und die Zeit seines Todes. Seine großartigen Entdeckungen aber, seine kosmographischen Arbeiten, die Studien über die Abweichung der Magnetnadel, seine Gelehrsamkeit, Menschlichkeit und fleckenlose Ehrenhaftigkeit sichern Sebastian Cabot jedoch für immer eine hervorragende Stelle unter den Entdeckungsfahrern aller Zeiten. Während sein Bild bis in unsere Tage von dem Dunkel und der Woge der Legende verhüllt blieb, verdankt es Cabot seinen Biographen Biddle, Avezar und Nicholls, besser erkannt und geschützt und überhaupt in das rechte Licht gestellt worden zu sein.

II.

Jean Verrazano. – Jacques Cartier und seine drei Reisen nach Canada. – Die Stadt Hochelaga. – Der Rauchtabak. – Der Scorbut. – Roberval's Reise. – Martin Frobisher und seine Fahrten. – John Davis. – Barentz und Heemskerke. – Der Spitzberg. – Ueberwinterung in Novaja-Semlja. – Rückkehr nach Europa. – Ueberreste von der Expedition.

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Von 1492-1524 hatte sich Frankreich, wenigstens officiell, von allen Entdeckungs- und Kolonisationsversuchen fern gehalten. Franz I. konnte aber unmöglich mit ruhigem Auge den Zuwachs an Macht seines Nebenbuhlers Karl's V. mit ansehen, der jenem durch die Eroberung Mexicos zu Theil ward. Er beauftragte also den Venetianer Jean Verrazano, der in seinen Diensten stand, eine Entdeckungsreise zu unternehmen. Wir verweilen hierbei ein wenig länger, obwohl die gelegentlich dieser Fahrt berührten Orte schon früher mannigfach besucht worden waren, weil jetzt die Flagge Frankreichs zum ersten Male an der Küste der Neuen Welt entfaltet wurde. Diese Expedition gab übrigens auch Veranlassung zu den Fahrten Jacques Cartier's und Champlain's nach Canada. ebenso wie zu Jean Ribaut's und Laudonnière's unglücklichen Kolonisationsversuchen in Florida, nebst Gonugues' blutigem Rachezuge und Villegagnon's Niederlassung in Brasilien.

Von dem früheren Leben Verrazano's weiß man so gut wie gar nichts. Wie er in französische Dienste kam, welche Titel er bei Uebernahme des Befehls über jene Expedition besaß – nichts ist von dem venetianischen Reisenden bekannt, da man von ihm nur die in Ramusio's Sammlung befindliche italienische Uebersetzung seines Berichtes an Franz I. besitzt. Eine französische Rückübersetzung dieser italienischen Uebersetzung findet sich auszugsweise allerdings in der Arbeit Lescarbot's über Neu-Frankreich und in der »Geschichte der Reisenden«. Wir benutzen im Nachfolgenden den italienischen Text Ramusio's, bis auf einige Stellen, wo die Uebersetzung Lescarbot's glänzende Proben der reichen, originellen und wunderbar modulirten Sprache des 16. Jahrhunderts enthält.

Nach der Abfahrt in den Ocean, um neue Länder zu entdecken, sagt Verrazano in einem vom 8. Juli 1524 herrührenden Brief aus Dieppe an Franz I., sah er sich genöthigt, eines Sturmes wegen mit zweien seiner vier Fahrzeuge, der »Dauphine« und der »Normandie«, in der Bretagne Zuflucht zu suchen, wo die erlittenen Havarien ausgebessert wurden. Von hier aus segelte er nach den Küsten Spaniens, wo er auch auf einige spanische Schiffe Jagd gemacht zu haben scheint. Weiter sehen wir ihn am 17. Januar 1524 mit der »Dauphine« allein eine kleine unbewohnte Insel in der Nähe von Madeira verlassen und mit einer, für acht Monate mit Munition und Lebensmitteln reichlich versehenen Mannschaft von einundfünfzig Mann in den Ocean hinaussteuern.

Fünfundzwanzig Tage später hat er fünfhundert Meilen nach Westen zurückgelegt, wo ihn wiederum ein entsetzlicher Sturm überfällt, und nach weiteren fünfundzwanzig Tagen, also am 8. oder 9. März, entdeckt er nach Zurücklegung einer ferneren Strecke von ziemlich vierhundert Meilen unter dem 30. Grade ein Land, das er für bisher unbekannt hielt. »Anfangs erschien es uns sehr niedrig und verlassen, als wir uns ihm aber bis auf eine Viertelmeile näherten, sahen wir an den großen Feuern längs der Häfen und des Strandes, daß es bewohnt war, und da es unmöglich erschien, hier an's Ufer zu gehen, segelten wir etwa fünfzig Meilen weiter und verließen die Küste erst, um wiederum zurückzukehren, als wir erkannten, daß sie sich nach Süden hin unbegrenzt fortsetzte.« Sobald die Franzosen eine geeignete Landungsstelle fanden, sahen sie eine große Menge Eingeborner herzu strömen, welche aber Alle die Flucht ergriffen, als jene Anstalt machten, an's Land zu gehen. Den Franzosen gelang es, sie durch Zeichen und durch ein friedliches Auftreten bald wieder heranzulocken, wobei jene sich am meisten erstaunt geberdeten über die Kleidung der Fremden, über deren Gesicht und die weiße Farbe der Haut.

Die Eingebornen gingen vollständig nackt bis auf die Mitte des Körpers, die sie mit Marderfellen, welche an einem gewebten Gürtel hingen, bedeckt trugen und die mit den Schwänzen anderer Thiere geschmückt bis zum Knie herabfielen. Einige hatten eine Art Krone von Vogelfedern auf dem Kopfe. »Sie sind braun von Hautfarbe, sagt der Bericht, und ähneln in vielen Stücken den Sarazenen; ihre Haare sind schwarz, doch nicht sehr lang, und werden hinter dem Kopfe in Form eines kleinen Zopfes vereinigt. Sie haben recht wohlgestaltete Glieder bei mittelmäßiger Größe, welche die unsrige indeß ein wenig übertrifft, und man findet an ihnen eigentlich keinen anderen Fehler als ein zu breites Gesicht; ohne stark zu sein, zeichnen sie sich doch durch besondere Gewandtheit und die Fähigkeit, schnell laufen zu können, auffallend aus.« Es gelang Verrazano nicht, sich bei der Kürze seines Aufenthaltes näher über die Sitten und Lebensweise dieser Völker zu unterrichten. An der betreffenden Stelle bestand das Ufer aus feinem Sande und erhielt da und dort durch einige Dünen ein wellenförmiges Aussehen; hinter diesen Landanhäufungen aber erhoben sich »dichte Gebüsche und herrliche Wälder, so lieblich anzuschauen, daß es ein Wunder war«. In dem Lande gab es, so weit man das zu beurtheilen vermochte, einen wahren Ueberfluß an Hirschen, Dammwild und Hasen, Seen und Teichen mit schönem klaren Wasser und großen Mengen von Vögeln.

Dieses Land liegt unter dem 34. Grade. Es entspricht also demjenigen Theile der Vereinigten Staaten, der heutzutage Carolina heißt. Die Luft ist hier rein und gesund, das Klima gemäßigt, das Meer überall ohne Riffe und bietet trotz des Mangels an Häfen den Seefahrern keine Schwierigkeiten.

Während des ganzen Monats März segelten die Franzosen längs der Küste weiter, die ihnen von zahlreichen Volksstämmen bewohnt schien. Wassermangel nöthigte sie wiederholt, an's Land zu gehen, und sie überzeugten sich dabei, daß die meisten Wilden auf Spiegel, Schellen, Messer und Papierstückchen den höchsten Werth legten. Eines Tages sandten sie eine Schaluppe mit fünfundzwanzig Mann an's Ufer. Ein junger Seemann sprang in's Wasser, »da man wegen der Strömung nicht bis an's Land heran konnte, um den Eingebornen, denen man etwas mißtraute, von fern her einige kleine Geschenke zuzuwerfen, wurde aber von den Wogen ergriffen und an den Strand getrieben. Als die Indianer das bemerkten, liefen sie auf ihn zu und schleppten ihn, zum großen Entsetzen des armen Matrosen, der nun hingeschlachtet zu werden fürchtete, weit von den Schiffen weg. Sie brachten ihn nach dem Fuße eines Hügels, setzten ihn in den vollen Sonnenschein und zogen ihm alle Kleider aus, um die Weiße seiner Haut anzustaunen; dann zündeten sie ein großes Feuer an und gestatteten ihm, sich zu pflegen und zu erholen, gerade deswegen aber glaubten jetzt sowohl der arme junge Mann, als die auf dem Schiffe Zurückgebliebenen, daß die Indianer ihn nun tödten und opfern, sein Fleisch über dem Feuer rösten und nach Art der Kannibalen aufzehren würden. Es sollte aber ganz anders kommen; denn als er den Wunsch zu erkennen gab, nach dem Schiffe zurückzukehren, führten sie ihn an den Strand, küßten ihn sehr zärtlich und zogen sich nach einer benachbarten Höhe zurück, um ihn in das Boot wieder einsteigen zu sehen.«

Während sie nun der Küste nach Norden hin etwa fünfzig Meilen weiter folgten, erreichten die Franzosen ein Land, das mit dichten Wäldern bedeckt, einen verlockenderen Anblick darbot. Zwanzig Mann von dem Schiffe drangen mehr als zwei Meilen in diese Wälder hinein und kehrten nur zurück, weil sie sich zu verirren fürchteten. Als sie bei dieser Wanderung zwei Frauen, einer jungen und einer alten mit einigen Kindern begegneten, bemächtigten sie sich eines der letzteren, das etwa acht Jahre zählen mochte, um es mit nach Frankreich zu nehmen; die junge Frau konnten sie indeß nicht erhaschen, denn diese rief ihre Landsleute, die im Walde verborgen waren, aus Leibeskräften um Hilfe an. Die Wilden hier erschienen weißer als Alle, denen man bisher begegnet war, sie fingen Vögel mit Schlingen und bedienten sich eines Bogens aus sehr hartem Holze, während an den Spitzen ihrer Pfeile Fischknochen befestigt waren. Ihre gegen zwanzig Fuß langen und vier Fuß breiten Canots bestanden aus einem einzigen mittelst Feuer ausgehöhlten Baumstamme. Der wilde Wein wucherte hier sehr üppig und hing in langen Ranken von Baum zu Baum oder an diesen herunter, wie man es in der Lombardei sieht. Bei einiger Cultur mußte derselbe einen ausgezeichneten Wein geben, »denn seine Früchte schmeckten jetzt schon angenehm und mild, fast wie die unsrigen, auch schien es, als ob die Einwohner Kenner und Liebhaber derselben seien, denn wo der Wein sich nur emporgerankt hatte, trugen sie Sorge, die Baumzweige hoch zu binden, so daß die Trauben in die Sonne kamen und leichter reifen konnten«. Wilde Rosen, Lilien, Veilchen und allerlei wohlriechende, den Europäern bisher unbekannte Pflanzen und Blumen bedeckten den Boden und erfüllten die Luft mit ihren balsamischen Düften.

Nach dreitägigem Aufenthalte an diesem entzückenden Orte setzten die Franzosen ihre Fahrt längs der nördlichen Küste weiter fort, segelten während des Tages und gingen in der Nacht vor Anker. Da das Land nun nach Osten zu abbog, legten sie noch fünfzig Meilen in dieser Richtung zurück und entdeckten eine dreieckige, vom Festlande gegen zehn Meilen entfernte Insel in der Größe der Insel Rhodus, der sie den Namen der Mutter Franz I., Louise von Savoyen, beilegten. Dann erreichten sie eine andere, etwa fünfzehn Meilen entfernte Insel mit herrlichen Häfen, deren Bewohner sich in Menge zum Besuche der fremden Schiffe herandrängten. Zwei Könige derselben zeichneten sich vorzüglich durch ihre Gestalt und ein wirklich schönes Gesicht aus.

Mit Hirschfellen bekleidet, den Kopf entblößt, das Haar zurückgestrichen und in einen kunstreichen Knoten gebunden, trugen sie am Halse eine breite Kette mit farbigen Steinen. »Die Frauen entwickelten viel natürliche Grazie, heißt es in Ramusio's Berichte. Einige derselben trugen Wolfshirschfelle auf dem Arme; das Haar flochten sie in lange Zöpfe, die ihnen auf beiden Seiten über die Brust herabfielen, Andere erschienen in Haartouren, welche an die Frauen Egyptens und Indiens erinnerten; die älteren und verheirateten Frauen erkannte man an ihren schön gearbeiteten kupfernen Ohrgehängen. – Dieses Land liegt unter der Parallele von Rom, also unter 41° 40' der Breite, doch ist das Klima hier viel rauher.« Am 5. Mai verließ Verrazano den Hafen und segelte hundertfünfzig Meilen längs der Küste weiter. Endlich kam er nach einem Lande, dessen Bewohner den früher gesehenen Eingebornen kaum noch ähnlich erschienen. Sie geberdeten sich so wild, daß es unmöglich war, mit ihnen einen Tauschhandel einzuleiten oder einigermaßen dauernde Beziehungen zu unterhalten. Den meisten Werth schienen dieselben noch auf Angelhaken, Messer und andere metallene Gegenstände zu legen, während sie alle die Kleinigkeiten, welche bis jetzt als Tauschhandelsartikel gedient hatten, offenbar verachteten. Fünfundzwanzig bewaffnete Leute gingen an's Land und wagten sich auf zwei bis drei Meilen in das Innere hinein. Die Eingebornen empfingen sie mit einem Hagel von Pfeilen und zogen sich dann in die ungeheuren Wälder zurück, welche die ganze Umgegend zu bedecken schienen.

Fünfzig Meilen weiter, breitete sich ein umfangreicher Archipel aus, der aus zweiunddreißig Inseln besteht, welche alle nahe dem Lande liegen, durch enge Wasserstraßen von einander getrennt sind und den venetianischen Seefahrer an die Inselgruppen erinnerten, die im Adriatischen Meere vor den Gestaden Slavoniens und Dalmatiens lagern. Endlich noch hundertfünfzig Meilen weiter hinauf, unter dem 50. Grade der Breite, gelangten die Franzosen nach den schon früher von den Bretagnern entdeckten Ländern. Da sich jetzt etwas Mangel an Nahrungsmitteln zeigte und sie die amerikanische Küste in einer Ausdehnung von siebenhundert Meilen in Augenschein genommen hatten, segelten sie nun nach Frankreich zurück, wo sie im Juli 1524 glücklich im Hafen von Dieppe landeten.

Einige Geschichtsschreiber erzählen, Verrazano sei in Labrador von den wilden Eingebornen gefangen und aufgezehrt worden. Es erscheint das schon deswegen unmöglich, weil der Genannte von Dieppe aus an Franz I. einen Bericht über die eben erzählte Reise absendete. Uebrigens sind die Indianer dieser Gegenden keine Menschenfresser. Andere Autoren erzählen, wir wissen nicht, auf Grund welcher Documente oder unter welchen Umständen, daß Verrazano den Spaniern in die Hände gefallen und nach Spanien gebracht worden sei, wo man ihn zuletzt gehenkt hätte. Das Richtigste ist wohl, einfach einzugestehen, daß wir von den späteren Verhältnissen Verrazano's nichts wissen und auch von der Anerkennung nichts erfahren haben, die ihm eine so ausgedehnte Reise erwerben mußte. Vielleicht findet einmal noch ein Gelehrter, wenn er unsere noch keineswegs erschöpften Archive durchsucht, weitere zuverlässige Documente; für setzt bleibt Ramusio's Bericht die einzige brauchbare Quelle.

Zehn Jahre später faßte ein Kapitän aus St. Malo, Namens Jacques Cartier und geboren am 21. December 1484, den Plan, in den nördlichen Theilen Amerikas eine Niederlassung zu gründen. Freundlich empfangen von dem Admiral Philippe de Cabot und Franz I., welcher den Artikel des Testamentes von Adam zu sehen wünschte, der ihn bezüglich der Neuen Welt zu Gunsten der Könige von Spanien und Portugal enterbte, verließ Cartier Saint-Malo am 20. April 1534. Das Schiff, welches ihn trug, maß nicht mehr als sechzig Tonnen und hatte einundsechzig Mann Besatzung. Nach ungemein glücklicher Seefahrt von nur zwanzig Tagen gelangte Cartier bei Belle-Vue nach Neufundland; darauf segelte er nach Norden bis zur Insel der Vögel weiter, die er von zersprungenem und halbgeschmolzenem Eise umgeben fand, wo es ihm jedoch gelang, fünf bis sechs Tonnen Proviant an Taucherenten, Mönchstauchern und Pinguins zu sammeln, ohne das zu rechnen, was in frischem Zustande verzehrt wurde. Er untersuchte dabei das ganze Ufer der Insel, welche jener Zeit noch eine Menge bretonischer Namen aufwies, ein Beweis, daß bretagnische Schiffe diese gewiß mehrfach besucht haben müssen. Ferner drang Cartier in den Sund von Belle-Isle ein, der den Continent von der Insel Neufundland trennt, und gelangte in den Golf des St. Lorenzo. An der ganzen Küste fanden sich treffliche Häfen. »Wenn das Land selbst so gut wäre wie die Häfen, sagt der Seefahrer aus St. Malo, so wäre das wirklich ein Glück; man darf es aber kaum ein »Land« nennen; es besteht in der Hauptsache aus Strandkieseln und wildzerklüfteten Felsen, welche höchstens wilden Thieren zum Aufenthalt dienen könnten; soweit der Blick nach Norden reichte, hab' ich nicht so viel Erde gesehen, um damit einen Schubkarren anfüllen zu können.« Nachdem er das Festland an mehreren Stellen angelaufen, wurde Cartier durch einen Sturm nach der Westküste von Neufundland zurückverschlagen, von wo aus er die Caps Royal, de Lait, die Columbaren, das Cap St. Jean, die Madelaine-Inseln, die Mirannichi-Bai am Continente besuchte.

Hier traten sie in einige Beziehungen zu den Eingebornen, welche »eine große Freude zu erkennen gaben, Eisenwaaren und andere Dinge zu erhalten, und immer tanzten und verschiedene Ceremonien beobachteten, indem sie sich z. B. mit den Händen Meerwasser über den Kopf schütteten; sie gaben uns Alles, was sie hatten, und behielten gar nichts für sich.« Am nächsten Tage stellte sich noch eine weit größere Menge Wilder ein und die französischen Seeleute erwarben sich viele Pelze und Thierfelle. Nachdem er die Bai der Wärme untersucht, langte Cartier bei dem Anfang der Mündung des St. Lorenzo an, wo er Eingeborne zu Gesicht bekam, welche den früher Gesehenen weder der Gestalt noch der Sprache nach ähnelten. »Diese verdienten mit Recht den Namen Wilder, wenigstens dürften sich ärmere Leute in der ganzen Welt nicht wiederfinden, ja, ich glaube, sie besaßen Alle zusammen nicht den Werth von fünf Sous, wenn man von ihren Booten und Netzen absieht. Den Kopf tragen sie vollständig glatt geschoren bis auf einen Büschel Haare auf dem Schädel, den sie so lang wie einen Pferdeschweif wachsen lassen und am Hinterhaupte mit Senkeln aus Leder befestigen. Sie kennen keine andere Wohnung als unter ihren Booten, welche sie dazu umkehren und sich darunter auf der Erde ohne irgend welche Decke ausstrecken.« Nachdem Jacques Cartier an dieser Stelle ein großes Kreuz errichtet, erhielt er die Zustimmung des Häuptlings der Wilden, zwei Kinder mitzunehmen, die er bei der nächsten Reise wiederzubringen versprach. Dann steuerte er den Kurs nach Frankreich und lief am 5. September l534 in St. Malo ein.

Im folgenden Jahre verließ Cartier am 19. Mai Saint-Malo an der Spitze eines bewaffneten Geschwaders von drei Fahrzeugen, welche die »Grande« und die »Petite Hermine« und die »Emerillon« hießen, auf welchen sich auch mehrere gebildete Edelleute mit eingeschifft hatten, von denen wenigstens Charles de la Pomineraye und Claude de Pont-Briant, Sohn des Freiherrn von Moncevelles und Mundschenk des Dauphins, besonders erwähnt zu werden verdienen. Gleich zu Anfang ward das Geschwader zerstreut und konnte sich erst bei Neufundland wieder zusammenfinden. Nachdem er an der Insel der Vögel und im Hafen Blanc-Sablon an der Bai des Chateaux gelandet war, fuhr Cartier nochmals in die Mündung des San-Lorenzo ein. Hierin entdeckte er die Insel Nasticotex, welche wir Anticoste nennen, und segelte in einen großen Fluß, Namens Hochelaga, der nach Canada führt. An den Ufern dieses Flusses liegt das Gebiet von Saguenay, woher das rothe Kupfer stammt, das die beiden bei der ersten Reise mitgenommenen Wilden Caquetdaze nannten. Bevor er jedoch den San-Lorenzo selbst weiter hinaufsegelte, wollte er den ganzen Golf eingehender in Augenschein nehmen, um sich Gewißheit darüber zu verschaffen, ob er nicht eine Passage nach Norden zu böte. Darauf kehrte er nach der Bai der Sieben Inseln zurück, fuhr in den Fluß ein und erreichte bald das Ufer des Saguenay, der sich von Norden her in den San-Lorenzo ergießt. Als er etwas weiter hin an vierzehn Inseln vorübergekommen war, gelangte er nach dem Gebiete von Canada, das vor ihm noch kein Reisender besucht hatte. Am nächsten Tage schon kam der Beherrscher von Canada, Namens Donnaconna, mit zwölf Barken und begleitet von sechzehn Leuten in die Nähe der Schiffe. Er begann zuerst vor dem kleinsten derselben eine lange Rede oder Predigt, wie sie hier Sitte sein mochte, wobei er den Rumpf und die Gliedmaßen wahrhaft wunderbar verrenkte, was ein Ausdruck der Freude und Befriedigung sein sollte. Als er an das Schiff des Anführers gekommen war, auf dem sich auch die beiden aus Frankreich mit zurückgekehrten Indianer befanden, sprach der Fürst auf sie und sie wieder auf ihn. Sie begannen zu erzählen, was sie in Frankreich gesehen, und lobten die gute, ihnen zu Theil gewordene Behandlung, worüber sich der Fürst ausnehmend freute und den Kapitän bat, ihm seine Arme zu geben, um diese zu küssen und an sich zu drücken, wodurch man in genanntem Lande seiner Zärtlichkeit Ausdruck verleiht. Der Boden von Stadacone oder St. Charles ist fruchtbar und voller schöner Bäume, etwa von denselben Arten, wie die in Frankreich, z. B. Eichen, Ulmen, Pflaumenbäume, Taxus, Cedern, Weinstöcke und Hagedorn, welche Früchte tragen, so groß wie Reine-Clauden, und noch andere Bäume, unter denen ein ebenso schöner Hanf wächst wie in Frankreich.« Mit den Barken und der Gallion gelangte Cartier endlich bis zu der Stelle, an der das heutige Richelieu liegt, ferner noch einen von dem Strome gebildeten großen See, den See Saint-Pierre, und endlich nach Hochelaga oder Montreal, d. h. bis in eine Entfernung von zweihundert Meilen von der Mündung des San-Lorenzo. Hier fand man »bearbeitete Ländereien und viel herrliche, mit einheimischem Weizen bestandene Felder, der der Hirse von Brasilien ähnlich und ebenso groß, wenn nicht größer wie Erbsen ist, von dem sie ebenso leben wie wir von unserem Getreide. Mitten in diesen Feldern liegt die schon genannte Stadt Hochelaga neben und an einem sie völlig umschließenden Hügel, der trefflich angebaut, und zwar nicht hoch ist, aber doch eine sehr ausgedehnte Fernsicht bietet. Wir tauften diesen Berg Mont-Royal.«

Der Empfang, den Jacques Cartier fand, gestaltete sich so herzlich wie möglich. Der Häuptling oder Aguhama, der an allen Gliedern gelähmt war, bat den Kapitän, ihn zu berühren, als erwarte er davon eine Heilung seines Gebrechens. Ferner drängten sich Blinde, Einäugige, Lahme und Geschwächte in Jacques Cartier's Nähe, um sich von ihm anrühren zu lassen, als glaubten sie, in ihm sei ein Gott herabgekommen, der sie müsse heilen können. »Als der Kapitän die Frömmigkeit und Gläubigkeit des Volkes sah, las er das Evangelium St. Johannes, In principis u. s. w., zum Theil vor, machte über die armen Kranken das Zeichen des Kreuzes und flehte zu Gott, daß er ihnen die Erkenntniß unseres heiligen Glaubens verleihen und sie der Gnade der christlichen Gemeinschaft und der Taufe theilhaftig werden lassen möge. Dann ergriff der Kapitän ein Horenbuch und las daraus die Passionsgeschichte Unseres Herrn und Heilandes laut und so ergreifend vor, daß ihn Alle verstehen konnten, denn das arme Volk verhielt sich dabei ganz still, blickte gen Himmel und ahmte dieselben Ceremonien nach, die es uns vornehmen sah.« Nach Besichtigung des Landes, das man bis dreißig Meilen im Umkreis von der Höhe des Mont-Royal überschauen konnte, und nach Einholung einiger Kenntniß über die Fälle und Stromschnellen des St. Lorenzo, begab sich Jacques Cartier nach Canada zurück, wo er bald wieder bei seinen Schiffen eintraf. Wir verdanken ihm die ersten Nachrichten über den Rauchtabak, der nicht im ganzen Gebiete der Neuen Welt in Gebrauch gewesen zu sein scheint. »Sie haben ein Kraut, sagt er, von dem sie den Sommer über für den Winter eine große Menge ansammeln; sie schätzen dasselbe hoch und die Männer machen davon in folgender Weise Gebrauch: sie lassen es an der Sonne trocknen, und tragen es in einem kleinen Lederbeutel am Halse mit einer Art Horn aus Stein oder Holz; dann zerkleinern sie das betreffende dürre Kraut zu Pulver und bringen dasselbe in das eine Ende jenes Hörnchens; nachher legen sie eine glühende Kohle darauf und saugen durch das andere Ende, wobei sie den ganzen Körper mit Rauch erfüllen, so daß er ihnen aus Mund und Nase, wie aus Schornsteinöffnungen, wieder herausdringt. Wir haben genannten Rauch auch versucht, uns schien er jedoch, wenn wir davon etwas im Munde hatten, als wäre Pfeffer darin, so brennend kam er uns vor.« Im December wurden die Eingebornen von Stadacone von einer ansteckenden Krankheit befallen, nämlich vom Scorbut. »Genannte Krankheit gewann gegen Mitte Februar auf unserem Schiffe eine solche Verbreitung, daß unter dem Bestand von hundertzehn Mann kaum zehn noch gesund waren.« Weder Bitten und Gebete, noch Gelübde zu Notre-Dame de Roquamadour brachten die ersehnte Erleichterung. Bis zum 18. April starben fünfundzwanzig Franzosen, und nicht Vier gab es, welche von der Krankheit überhaupt niemals ergriffen worden waren. Da belehrte ein Häuptling der Wilden aber Jacques Cartier, daß die Abkochung und der Saft eines gewissen Baumes, unter dem man die kanadische Weide oder Berberitze zu erkennen geglaubt hat, sich hierin sehr heilsam erwiesen habe. Sobald Zwei oder Drei die wohlthätigen Wirkungen dieses Mittels an sich erprobt hatten, »entstand ein so heftiges Verlangen nach dieser Arznei, daß man sich fast umbrachte, nur um zuerst davon zu erhalten; so daß ein Baum, der an Größe und Dicke alle übertraf, die mir jemals vor Augen gekommen sind, binnen acht Tagen aufgebraucht war, und eine so unbestreitbare Wirkung äußerte, daß, wenn alle Aerzte von Louvain und Montpellier mit allen Droguen Alexandriens bei der Hand gewesen wären, sie nicht so viel in einem Jahre ausgerichtet hätten, wie genannter Baum in acht Tagen.«

Als Cartier einige Zeit darauf zu bemerken glaubte, daß Donnaconna einen Aufstand gegen die Franzosen anzuzetteln suchte, ließ er diesen nebst neun anderen Wilden ergreifen, um sie nach Frankreich zu bringen, wo sie jedoch bald starben. Am 6. Mai ging er im Hafen von St. Croix unter Segel, fuhr den San-Lorenzo hinab und langte nach einer durch keinerlei Zwischenfälle gestörten Seefahrt am 16. Juli 1536 in St. Malo an.

Franz I. beschloß in Folge des Berichtes, den ihm der Kapitän von seiner Reise erstattete, das Land thatsächlich in Besitz zu nehmen. Nach Ernennung François de la Roque's, Freiherrn von Roberval, zum Vicekönig von Canada, rüstete er fünf Schiffe mit Proviant und Schießbedarf für zwei Jahre aus, welche Roberval und eine gewisse Zahl Soldaten, Handwerker und Edelleute nach der neuen Kolonie überführen sollten. Am 23. Mai 1541 lichtete das Geschwader die Anker, brauchte aber in Folge widriger Winde drei volle Monate, um nach Neufundland zu gelangen. Cartier erreichte den Hafen von St. Croix am 23. August. Sobald er seine Ladung gelöscht, schickte er zwei seiner Schiffe nach Frankreich mit einem Briefe an den König zurück, der diesem meldete, was bis jetzt geschehen, daß der Freiherr von Roberval noch nicht angekommen und man nicht wisse, was ihm widerfahren sei. Dann ging er daran, einiges Land urbar machen zu lassen, erbaute ein Fort und legte den Grundstein zu der Stadt Quebec. Nachher brach er in Begleitung Martin de Painpont's und einiger Edelleute auf, zog nach Hochelaga und nahm die drei Fälle von St. Marie, von China und von St. Louis näher in Augenschein. Bei der Rückkehr nach St. Croix traf er Roberval, der inzwischen angekommen war, und segelte im Oktober 1542 wieder nach St. Malo heim, wo er wahrscheinlich zehn Jahre später mit Tod abging. Die neue Kolonie fristete, als Roberval bei einer zweiten Reise umgekommen war, mühselig das Leben und bestand eigentlich nur aus einem Handelscomptoir bis zum Jahre 1608, der Zeit der Gründung Quebecs durch de Champlain, dessen Thaten und Entdeckungen wir im Weiteren erzählen werden.

Wir sahen eben, wie Cartier, der zuerst zur Aufsuchung einer Nordwest-Passage ausgezogen war, dazu kam, das Land, in dem er sich befand, in Besitz zu nehmen und die Anfänge der Kolonie von Canada in's Leben zu rufen. In England entstand eine ähnliche Bewegung durch die Schriften Sir Humphrey Gilbert's und Richard Will's. Diese gewannen zuletzt die öffentliche Meinung und suchten darzuthun, daß es nicht schwieriger sei, jene Passage zu finden, als die Magellan-Straße zu entdecken. Einer der thätigsten Eiferer für die Aufsuchung derselben war ein kühner Seemann, Namens Martin Frobisher, der, nachdem er sich vorher vergeblich an viele reiche Rheder gewendet hatte, endlich in Ambroise Dudley, Graf von Warwik und Günstling der Königin Elisabeth einen Protector fand, dessen pecuniäre Unterstützung ihn in den Stand setzte, eine Pinasse und zwei erbärmliche Barken von zwanzig bis fünfundzwanzig Tonnen auszurüsten. Mit so schwachen Mitteln wollte der unerschrockene Seeheld dem Eise jener Gegenden trotzen, welche seit der Normannen-Zeit Niemand besucht hatte. Von Deptford am 8. Juli 1576 abgefahren, kam er nach dem südlichen Theile Grönlands, das er für Zeno's Frisland ansah. Bald sah er sich durch Eismassen aufgehalten, mußte bis Labrador zurückweichen, ohne daselbst landen zu können, und segelte durch die Hudson-Straße. Nach Berührung der Inseln Savage und Resolution, drang er in den Sund ein, der seinen Namen erhalten hat, von einigen Geographen aber auch die Lunley-Straße genannt wird. Er betrat das Gestade von Cumberland, ergriff im Namen der Königin Elisabeth Besitz von dem Lande und knüpfte mit den Eingebornen einige Verbindungen an. Bei der schnellen Zunahme der Kälte mußte er nach England umkehren. Frobisher's Ausbeute an wissenschaftlicher und geographischer Erkenntniß der von ihm besuchten Länder war nur von sehr zweifelhaftem Werthe; einen höchst schmeichelhaften Empfang erwarb er sich aber doch durch Vorweisung eines schwarzen und sehr schweren Steines, in welchem man etwas Gold fand. Wie schnell erregte das die Phantasie des Volkes! Mehrere Große, ja die Königin selbst, steuerten die Kosten für ein neues Geschwader zusammen, das aus einem Schiffe von 200 Tonnen und 100 Mann Besatzung, nebst zwei kleineren Barken bestehen sollte, welche für sechs Monate Kriegs- und Mundvorräthe mitnahmen. Martin hatte erfahrene Seeleute unter sich, wie Fenton, Jork, Georges Beste und C. Hall. Am 3l. Mai 1577 ging die Expedition unter Segel, lief Grönland an, dessen Berge sich mit Schnee bedeckt zeigten und dessen Ufer ein breiter Eisrand umschloß. Das Wetter war schlecht. Außerordentlich dichte Nebel, so dick wie Erbsenbrei, würden englische Matrosen sagen, Eisinseln von einer halben Meile Umfang, schwimmende Berge, welche siebzig bis achtzig Faden tief in's Meer tauchten, das waren die Hindernisse, welche es Frobisher unmöglich machten, den von ihm bei der vorigen Reise entdeckten Sund vor dem 9. August zu erreichen. Man nahm nun von dem Lande Besitz und verfolgte zu Wasser wie zu Lande einige arme Eskimos, welche »bei diesen Kämpfen verwundet, in ihrer Verzweiflung von hohen Felsen in's Meer sprangen, sagt Förster in seinen »Reisen im Norden«, was nicht nöthig gewesen wäre, wenn sie sich etwas unterwürfiger gezeigt oder wir ihnen hätten begreiflich machen können, daß wir ja gar nicht eigentlich als Feinde zu ihnen kämen«. Bald fand man eine große Menge solcher Steine, deren Proben in England so angestaunt worden waren. Diese gehörten zu einer Gold-Wismuthart und man beeilte sich, davon zweihundert Tonnen zu verladen. In ihrer Freude errichteten die englischen Seeleute eine Erinnerungssäule auf einem spitzen Hügel, dem sie den Namen Warwick-Moum beilegten, während sie jene mit besonderen Feierlichkeiten einweihten. Frobisher steuerte nun in demselben Sunde noch etwa dreißig Meilen hinauf bis zu einer kleinen Insel, welche den Namen Smith's Island erhielt. Hier fanden die Engländer zwei Frauen, deren eine sie sammt ihrem Kinde mit sich nahmen, die andere aber ihrer wirklich abschreckenden Häßlichkeit wegen unbehelligt laufen ließen. Eine Folge des damals herrschenden Aberglaubens und der entsetzlichen Unkenntniß, glaubten sie, die Frau habe Spaltfüße. Sie mußte also ihre Fußbekleidung ablegen, um jene zu überzeugen, daß sie ganz ebenso gestaltete Füße habe wie andere Menschen. Da die Kälte noch weiter zunahm und Frobisher seine vermeintlichen Schätze nicht gefährden wollte, verzichtete er für diesmal darauf, die Nordwest-Passage noch länger zu suchen. Er segelte also nach England zurück, wo er nach einem Sturme, der seine Schiffe voneinander riß, gegen Ende September eintraf. Der Mann, die Frau und das Kind, deren man sich bemächtigt, wurden der Königin vorgestellt. Man erzählt bei dieser Gelegenheit auch, daß der Wilde, als er in Bristol Frobisher's Trompeter zu Pferde erblickte, es diesem habe nachthun wollen und sich mit dem Gesicht nach dem Schwanze des Thieres auf ein Pferd geschwungen habe. Mit großer Neugier betrachtet, erhielten die Wilden von der Königin die Erlaubnis, auf und an der Themse allerhand Vögel zu fangen und unter Anderem auch sogar Schwäne, was sonst Jedermann bei schwerer Strafe verboten war. Uebrigens lebten sie nicht lange und starben, bevor das Kind fünfzehn Monate zählte.

Man hatte sich bald nochmals überzeugt, daß die von Frobisher mitgebrachten Steine in der That Gold enthielten. Ein Fieber, ja ein wahres Delirium erfaßte nun die ganze Nation, vorzüglich die oberen Classen. Man hatte ein Peru, ein Eldorado gefunden! Trotz ihres sonst so nüchtern-praktischen Sinnes gab auch die Königin Elisabeth dem Strome der öffentlichen Meinung nach. Sie beschloß zunächst, in dem neu entdeckten Lande ein Fort zu errichten, für das sie den Namen Meta incognita (unbekannte Grenze) bestimmte, und dorthin neben hundert Mann Besatzung unter dem Befehle der Kapitäne Fenton, Beste und Filpot, drei Schiffe zu entsenden, welche jene kostbaren Steine als Fracht einnehmen sollten. Jene hundert Mann wurden mit großer Sorgfalt ausgewählt; es waren das Fleischer, Zimmerleute, Maurer, Goldraffineure, während Andere verschiedenen Gewerken zugehörten. Die ganze Flotte bestand aus fünfzehn Schiffen, welche Harvich am 31. Mai 1578 verließen. Zwanzig Tage später bekam man die Ostküsten Frislands zu Gesicht. In zahlloser Gesellschaft schwärmten die Walfische rings um die Fahrzeuge. Man erzählt sogar, daß ein von recht günstigen Winden getriebenes Schiff so heftig gegen einen Walfisch stieß, daß es plötzlich still stand, während jener, nachdem er einen lauten Schrei ausgestoßen, aus dem Wasser emporgeschnellt und dann in der Tiefe verschwunden sei. Zwei Tage später traf die Flotte einen todten Walfisch an, und man glaubte allgemein, es sei der, an welchen die »Salamandre« angestoßen hatte. Als Frobisher vor dem, seinen Namen führenden Sunde angelangt war, sah er diesen von Eisschollen bedeckt. Die Barke »Dennis« von 100 Tonnen, sagt Georges Beste's alter Bericht, »erhielt von einer solchen Scholle einen derartigen Stoß, daß sie angesichts der ganzen Flotte in kürzester Zeit versank«. Bald nach diesem Unfall »erhob sich unerwartet ein heftiger Sturm aus Südosten, die Schiffe wurden von allen Seiten von Eis umschlossen, kamen zwar an vielen Schollen vorüber, sahen aber immer noch mehr vor sich, durch welche sie unmöglich hindurchdringen konnten. Einige, welche vielleicht einen etwas freieren Weg und offenes Wasser gefunden hatten, setzten dann Segel bei und suchten dieser gefährlichen Stelle zu entfliehen; Andere hielten einfach an und gingen an einer größeren Eisscholle vor Anker. Diese letzteren wurden aber so schnell durch eine Unzahl von Eisinseln und Treibeis-Bruchstücken eingeschlossen, daß die Engländer sich gezwungen sahen, sich und ihre Schiffe auf gut Glück dem Eise zu überlassen, während sie die Seiten der Fahrzeuge noch mit Tauen, Kiffen, Masten, Planken und allerlei anderen Gegenständen zu schützen versuchten, die man an denselben herabhängen ließ, um die fürchterlichen Stöße des andrängenden Eises wenigstens zu schwächen.

»Frobisher selbst wurde aus seinem Kurse geworfen. Da es ihm unmöglich war, sein Geschwader wieder zu treffen, fuhr er an der Küste Grönlands weiter durch die Straße, welche später den Namen Davis-Straße erhielt, und drang bis nach der Bai Comtesse-Warwik vor. Nachdem er seine Schiffe mit dem eigentlich zur Erbauung von Wohnhäusern bestimmten Holze ausgebessert, lud er fünfhundert Tonnen solcher Steine, wie er schon früher mit heimgebracht hatte. Da er nun aber die Jahreszeit schon zu vorgeschritten hielt und auch die Wahrnehmung machte, daß der Mundvorrath theils aufgezehrt, theils mit der »Dennis« verloren, das Holz zu etwaigen Wohnungen bei der Reparatur der Fahrzeuge aber verbraucht worden war und er überdies vierzig Mann verloren hatte, schlug er am 31. August den Weg nach England wieder ein. Unwetter und Stürme begleiteten ihn bis zum Gestade der Heimat.« An neuen Entdeckungen lieferte diese Expedition allerdings nicht das geringste Ergebniß, und auch die mit so großer Gefahr erlangten Gesteine erwiesen sich als werthlos.

Das war die letzte arktische Reise Frobisher's Im Jahre 1585 finden wir ihn als Viceadmiral Drake's wieder; 1588 zeichnete er sich gegen die unbezwingliche Armada aus; 1590 begleitet er die Flotte Walter Raleigh's nach den Küsten von Spanien; endlich wird er bei einer Landung in Frankreich verwundet und stirbt, noch bevor er im Stande ist, sein Geschwader nach Portsmuth zurückzuführen.

Leitete die Reisen Frobisher's nur die Sucht nach Gewinn, so darf man nicht den Seefahrer, sondern muß dafür den Geist der Zeit verantwortlich machen. Jedenfalls hat er unter schwierigen Umständen und mit Hilfsmitteln, deren Unzulänglichkeit uns nur ein Lächeln abnöthigt, achtungswerthe Proben von Muth, Gewandtheit und Ausdauer abgelegt. Ohne Zweifel gebührt Frobisher der Ruhm, seinen Landsleuten den Weg gezeigt und die ersten Entdeckungen in jenen Theilen der Erde gemacht zu haben, in denen England sich später noch so ehrenvoll auszeichnen sollte.

Mußte man auch auf die Hoffnung verzichten, in den Polargebieten ebenso goldreiche Gegenden wie etwa Peru aufzufinden, so war das doch noch kein Grund, die Aufsuchung einer Nordwest-Passage nach China aufzugeben. Die erfahrensten Seeleute theilten diese Anschauung, welche unter den Kaufleuten Londons stets viel Anhänger zählte. Mit Unterstützung mehrerer hoher Persönlichkeiten wurden also wiederum zwei Schiffe, die »Sunshine« von 50 Tonnen mit dreiundzwanzig Mann Besatzung, und die »Moonshine« von 35 Tonnen ausgerüstet, welche Portsmuth am 7. Juni l585 unter der Führung John Davis' verließen.

Dieser entdeckte den Eingang zu der Meerenge, die seinen Namen erhielt, und segelte mitten durch ungeheure Eisfelder, doch erst nachdem sich seine durch die Stöße der Schollen und das Krachen der Eisblöcke erschreckte Mannschaft daran ein wenig gewöhnt hatte. Am 20. Juli bekam Davis Desolationsland zu Gesicht, ohne hier anlaufen zu können. Neun Tage später begab er sich nach der Gilbert-Bai, wo er mit der sehr friedlichen Bevölkerung gegen einige Kleinigkeiten Seekalbhäute und Pelzfelle eintauschte. Diese Eingebornen strömten wenige Tage später in so großer Anzahl herbei, daß nicht weniger als siebenunddreißig Canots die Schiffe Davis' umschwärmten. Hier beobachtete der Seemann auch ansehnliche Mengen schwimmenden Holzes, darunter einen ganzen Baum von sechzig Fuß Länge. Am 6. August ging er in der Nähe eines goldfarbigen Berges in der Tottneß-Bai, dem er den Namen Raleigh gab, vor Anker; gleichzeitig taufte er zwei Caps des Festlandes von Cumberland, welchen er die Namen Dyer- und Walsingham-Cap beilegte.

Noch elf Tage lang segelte Davis in einem eisfreien, ausgedehnten Meere, dessen Wasser die Farbe der Oceanwellen hatte, nach Norden weiter. Schon glaubte er in dem Meere zu sein, das mit dem Pacifischen Ocean communicirte, als die Witterung plötzlich umschlug und so trüb und dunstig wurde, daß er sich zur Rückkehr nach Narmvuth gezwungen sah, wo er am 30. September landete.

Davis besaß das Geschick, seine Rheder mit derselben Hoffnung zu erfüllen, die ihn selbst beseelte. Am 7. Mai des folgenden Jahres (1586) reiste er auch wiederum mit den beiden Schiffen ab, welche zur vorigen Expedition gedient hatten; zu diesen traten jedoch noch die »Mermaid« von 120 Tonnen und die Pinasse »North-Star« hinzu. Als er die Südspitze Grönlands am 25. Juni erreichte, beorderte Davis die »Sunshine« und »North-Star« nach Norden zu gehen, um an der Ostküste eine Durchfahrt zu suchen, während er denselben Weg wie im verwichenen Jahre einschlug und in die Meerenge eindrang, die bis zum 69. Grade der Breite seinen Namen führt. Dieses Mal zeigte sich aber viel mehr Eis, und am 17. Juli begegnete die Expedition einem Eisfelde von solcher Größe, daß sie dreizehn Tage längs des Randes desselben hinsegelte. Der Wind wurde, wenn er über diese Eiswüste strich, so kalt, daß Tauwerk und Segel gefroren und die Matrosen sich weigerten, noch weiter zu gehen. Er mußte nach Südsüdosten umkehren. Hier untersuchte Davis ganz Cumberland, ohne die gesuchte Durchfahrt zu finden, und schlug nach einem Scharmützel mit den Eskimos, das ihm drei Todte und zwei Verwundete kostete, wieder den Weg nach England ein.

Obwohl seine Bemühungen auch diesmal nicht von Erfolg gekrönt wurden, verlor Davis dennoch die Hoffnung nicht, wie ein von ihm an die »Compagnie« gerichteter Brief beweist, in welchem er sich äußert, daß er die Möglichkeit einer Durchfahrt fast bis zur Gewißheit erprobt habe. In der Voraussicht, daß es dennoch schwer halten würde, die Absendung einer neuen Expedition durchzusetzen, fügte er hinzu, daß die Kosten des Unternehmens reichlich durch die Ausbeute an Walrossen, Robben und Walfischen gedeckt werden würden, welche Thiere hier in so großer Zahl vorkämen, als hätten sie in diesen Gewässern ihre Quartiere aufgeschlagen. Wirklich ging er am 15. Mai 1587 noch einmal mit der »Sunshine« und der »Elisabeth« von Darmouth und der »Helene« von London unter Segel. Dieses Mal gelangte er noch höher hinauf als je vorher, denn er erreichte 72° 12' nördliche Breite, d. h. etwa die Breite von Uppernavik, und bekam auch Handerson's Hope in Sicht. Vom Eise aufgehalten, mußte er nun rückwärts steuern, wobei er durch den Frobisher-Sund segelte und nach Durchmessung eines weiten Golfes unter 61° 10' in Sicht eines Caps kam, dem er den Namen Chudleigh gab. Dieses Vorgebirge gehört übrigens zur Küste von Labrador und bildet den südlichen Eingang der Hudsons-Bai. Nachdem er längs des Gestades Amerikas bis herab zum 62. Grade gekommen, schlug Davis den Weg nach England ein, wo er am 15. September glücklich wieder eintraf.

War das eigentliche Problem aller dieser Fahrten auch nicht gelöst worden, so hatte man doch sehr wichtige Resultate erzielt, denen man damals freilich keinen so hohen Werth beilegte. Fast die Hälfte der Baffins-Bai ward erforscht und man erlangte verläßliche Kenntnisse über deren Ufer und die Völkerschaften, welche daselbst wohnten. Vom geographischen Gesichtspunkte aus darf man diese Ergebnisse gewiß nicht gering anschlagen, wenn sie die Kaufleute der City auch erklärlicher Weise nicht besonders befriedigten. Die Engländer stellten deshalb alle weiteren Versuche, durch den Nordosten vorzudringen, ziemlich lange Zeit gänzlich ein.

Jetzt trat ein neues Volk auf den Schauplatz. Kaum von dem Joche Spaniens befreit, inaugurirten die Holländer ihre geschickte Handelspolitik, die ihrem Vaterlande ungeahnte Macht und Wohlstand verleihen sollte, durch wiederholt abgesendete Expeditionen, welche nach Nordosten segelnd einen Weg nach China aufsuchen sollten; dasselbe Project also, das auch Cabot schon früher aufgestellt und das England den russischen Handel eröffnet hatte. Mit ihrem praktischen Instinct wußten sich die Holländer bezüglich des englischen Seewesens stets auf dem Laufenden zu erhalten, sie hatten in Kola und Archangel sogar Comptoirs errichtet, doch sie wollten noch weiter gehen und neue Absatzwege suchen. Da das Karische Meer ihnen zu viel Schwierigkeiten zu bieten schien, beschlossen sie auf den Rath des Kosmographen Plancius, nördlich von Nowaja-Semlja einen Weg aufzusuchen. Die Kaufleute Amsterdams wendeten sich also an einen erfahrenen Seemann, den auf der Insel Terschelling, in der Nähe von Texel gebornen Wilhelm Barentz. Dieser segelte im Jahre 1594 von Texel mit der »Mercure« ab, umschiffte das Nordcap, kam an der Insel Waigatz vorüber und befand sich am 4. Juli in Sicht der Küste von Nowaja-Semlja unter 73° 25' der Breite. Er fuhr längs der Küste weiter, ging am 10. Juli um das Cap Nassau und traf drei Tage später auf das erste Eis. Bis zum 3. August versuchte er sich Bahn zu brechen, indem er von den verschiedensten Seiten gegen das Eis anfuhr, und bis zu den Orange-Inseln am Ende von Nowaja-Semlja zurückwich, wobei er unter einundneunzigmaliger Veränderung seines Kurses 1700 Meilen zurücklegte.

Kaum jemals dürfte wohl ein Seefahrer eine solche Ausdauer bewiesen haben. Hierzu kommt noch, daß er bei diesen langen Kreuz- und Querzügen die Breiten vieler einzelner Punkte astronomisch mit merkwürdiger Genauigkeit bestimmte. Endlich verlangte die, dieses unfruchtbaren Kampfes müde Mannschaft ihre Entlassung und er mußte nach Texel zurückkehren.

Die erreichten Resultate wurden für so wichtig gehalten, daß die Staaten von Holland im nächstfolgenden Jahre Jakob von Heemskerke mit dem Kommando über sieben Schiffe betrauten, zu deren ersten Piloten Barentz ernannt wurde. Nachdem dieses Geschwader verschiedene Punkte Nowaja-Semljas und Asiens angelaufen, mußte es vor dem Eise zurückweichen, ohne daß irgend eine bedeutende Entdeckung gemacht worden war, und am 18. September nach Holland umkehren.

Gewöhnlich ist Regierungen nicht die Ausdauer eigen wie Privatpersonen. Die immerhin beträchtliche Flotte des Jahres 1595 hatte eigentlich nichts ausgerichtet und doch enorme Summen gekostet. Das reichte hin, die Generalstaaten zu entmuthigen. Jetzt traten aber die Kaufleute Amsterdams an die Stelle der Regierung, welche sich begnügte, dem Entdecker einer nordöstlichen Durchfahrt einen Preis zuzusichern, und rüsteten zwei Fahrzeuge aus, deren Oberbefehl sie Heemskerke und Johann Cornelißon Ripp übergaben. Barentz führte zwar nur den Titel eines Piloten, war aber in der That der eigentliche Führer des Ganzen. Der Berichterstatter über diese Reise, Gerrit de Veer, war ebenfalls als Hochbootsmann mit eingeschifft.

Am 10. Mai 1596 verließen die Holländer Amsterdam, kamen an den Shetlandsinseln und den Färöern vorüber und sahen am 6. Juni das erste Eis, »worüber wir sehr erstaunt waren, da wir es für weiße Schwäne gehalten hatten«. Im Süden von Spitzbergen, in der Gegend der Bäreninseln, gingen sie am 11. Juni an's Land. Hier sammelten sie eine große Menge Möveneier und erlegten, etwas entfernt von dem Strande, mit großer Mühe einen weißen Bären, der dem von Barentz entdeckten Lande den Namen verleihen sollte. Am 19. Juni ankerten sie wieder bei einem ausgedehnten Lande, das sie für einen Theil Grönlands ansahen, und dem sie, seiner spitzen Berge wegen, den Namen Spitzbergen beilegten; sie nahmen auch einen beträchtlichen Theil von dessen Ostküste näher in Augenschein. Vom Eise zur Rückkehr bis zur Bäreninsel genöthigt, trennten sie sich hier von Johann Ripp, der noch einen Versuch machen sollte, gegen Norden vorzudringen. Am 11. Juli befanden sie sich in den benachbarten Gewässern des Caps Kanin und erreichten fünf Tage später die Westküste von Nowaja-Semlja, das damals übrigens Willoughby-Land hieß. Nun wechselten sie wieder den Kurs, segelten nach Norden und langten am 19. bei der Insel Croix an, wo das am Ufer noch festhaftende Eis ihnen den Weg versperrte. Hier verweilten sie bis zum 4. August und umschifften zwei Tage später das Cap Nassau. Nach mehreren Wechselfällen, deren Aufzählung zu weit führen würde, erreichten sie die Orange-Inseln am nördlichen Ende Nowaja-Semljas. Von hier aus gingen sie längs der Ostküste hinab, sahen sich aber bald gezwungen, einen Hafen anzulaufen, wo sie vom Eise vollständig eingeschlossen wurden und »wo sie bei strengster Kälte und unter bitterem Mangel und Entbehrungen aller Art den ganzen Winter hinbringen mußten«. Man schrieb damals den 26. August. »Am 30. begannen unter starkem Schneegestöber die Eisschollen um unser Schiff sich aufzuthürmen. Letzteres wurde dabei aufgehoben und ringsum eingeschlossen, so daß Alles, was rund umher in der Nähe war, furchtbar zu krachen und zu knacken anfing. Es schien, als müsse das Schiff in tausend Stücke gehen; mit einem Wort, eine so entsetzliche Lage, daß sich uns die Haare sträubten. In ähnlicher Gefahr schwebte das Schiff, als sich später Eis auch darunter ansammelte und es stieß oder hin und her warf, als würde es durch ein Instrument gehoben.« Bald krachte das Fahrzeug in allen Fugen so bedenklich, daß die Klugheit empfahl, einen Vorrath an Lebensmitteln, Segel, Pulver, Blei, Arquebusen und andere Waffen aus demselben zu entfernen und ein Zelt oder eine Hütte zu errichten, um sich gegen den Schnee und die Angriffe der Bären zu schützen. Wenige Tage später fanden einige Matrosen, die sich auf zwei bis drei Meilen in das Land hinein gewagt hatten, auf einem Flusse mit süßem Wasser eine Menge schwimmendes Holz und entdeckten auch die Spuren von wilden Ziegen und Renthieren. Am 11. September, als sie die Bai mit ungeheuren Eisblöcken angefüllt sahen, welche fest mit einander verbunden waren, überzeugten sich die Holländer von der Nothwendigkeit, auf diesem Punkte zu überwintern, und so beschlossen sie denn, »um gegen die Kälte und wilden Thiere besser gesichert zu sein«, ein wirkliches Haus zu erbauen, geräumig genug, um Alle aufzunehmen, während man nun das Schiff, da dieses jeden Tag einen unsicheren und unangenehmeren Aufenthalt bot, vollständig verließ. Zum Glück fanden sie am Strande ganze Bäume, welche wahrscheinlich aus Sibirien stammten und von den Meeresströmungen hierhergeführt waren, in solcher Menge, daß diese nicht allein zur Herstellung ihrer Wohnung hinreichten, sondern auch noch das nöthige Heizungsmaterial für den Winter lieferten.

Noch hatte kein Europäer in diesen Gegenden überwintert, inmitten dieses starren unbeweglichen Meeres, das nach dem falschen Ausspruche des Tacitus, den Gürtel der Welt bildet, wo man das Geräusch hört, wenn die Sonne sich erhebt. Die siebzehn Holländer hatten nicht die geringste Ahnung von den Leiden, die ihrer hier warteten. Sie ertrugen dieselben übrigens mit bewunderungswerther Geduld, ohne ein Wort des Unwillens, ohne den geringsten Widerstand gegen die Disciplin. Die Aufführung dieser wackeren Seeleute, die, unwissend darüber, welch' hartes Loos ihnen beschieden sein sollte, »ihre Sache in Gottes Hand gelegt hatten«, verdient noch heute als leuchtendes Beispiel aufgestellt zu werden. Von ihnen kann man ohne Uebertreibung sagen, daß sie um das Herz das Aes triplex (das dreifache Erz) des Horaz trugen. Der Geschicklichkeit und Kenntniß, sowie der Vorsicht ihres Führers Barentz verdankten sie es, ebenso wie dem unter ihnen herrschenden Geiste der musterhaftesten Disciplin, daß sie Nowaja-Semlja – allem Anscheine nach ihr Grab – wieder verlassen und die Gefilde des Vaterlandes wiedersehen konnten.

Die zu jener Jahreszeit ungemein häufigen Bären beunruhigten die Mannschaft oft durch ihren Besuch. Mehr als einer ward erlegt, doch begnügten sich die Holländer, diese abzuziehen, um das Fell zu gewinnen, während sie dieselben nicht verzehrten, weil sie deren Fleisch wahrscheinlich für ungesund hielten. Doch hätte eben dieses Fleisch einen sehr beträchtlichen Zuschuß zu ihrer Nahrung liefern können, der ihnen die Aufzehrung des gesalzenen Fleisches und damit lange Zeit das Auftreten des Scorbut erspart haben würde. Doch greifen wir nicht voraus und folgen getreulich dem Tagebuche Gerrit de Veer's.

Am 23. September starb der Schiffszimmermann und wurde in einer Bergschlucht begraben, weil es unmöglich war, wegen des harten Frostes die Erde selbst auszuhöhlen. Die folgenden Tage verwendete man zur Herbeischaffung des schwimmenden Holzes und zur Erbauung des Hauses. Um dasselbe zu bedecken, mußte man die Wohnräume im Vorder- und Hintertheile des Schiffs demoliren.

Am 2. October ward jenes bezogen, zu dessen Einweihung man an Stelle des Maibaumes eine Eissäule errichtete. Am 31. wüthete ein starker Nordwestwind; das hohe Meer wurde dabei vollständig vom Eise befreit und lag offen, so weit das Auge reichte. »Wir aber blieben gefangen und eingekerkert im Eise; das Schiff wurde nun zwei bis drei Fuß gehoben und wir konnten nicht anders glauben, als daß das Wasser der Bai bis zum Grunde gefroren sei, obwohl es eine Tiefe von 3 bis 3 ½ Faden hatte«.

Vom 12. October ab schlief man in dem Hause, das noch nicht einmal ganz fertig war. Am 21. schaffte man den werthvollsten Theil des Proviantes, die Möbel und Alles, was etwa gebraucht werden konnte, aus dem Schiffe, denn es lag auf der Hand, daß die Sonne bald gänzlich verschwinden würde. Auf dem Dache des Hauses ward ein Schornstein angebracht, im Innern eine holländische Wanduhr aufgehangen; längs der Wände standen die Betten und in der Mitte eine Tonne als Badebassin, denn der Schiffsarzt hatte vernünftiger Weise zur Erhaltung der Gesundheit der Mannschaft den fleißigen Gebrauch von Bädern angeordnet. Der Schneefall dieses Winters war ein ganz erstaunlicher. Das ganze Haus verschwand unter diesem dichten Mantel, was übrigens nicht wenig zur Erhöhung der Luftwärme im Innern beitrug. Wenn sie einmal in's Freie gehen wollten, mußten sich die Holländer stets einen Gang im Schnee aushöhlen. Nacht für Nacht hörten sie zuerst die Bären und dann die Füchse auf dem Dache des Hauses herumlaufen, welche immer versuchten, die Planken desselben abzuheben, um in das Innere zu gelangen. Später gewöhnten diese sich sogar, in den Schornstein, wie in ein Schilderhäuschen, hineinzukriechen, wo die Insassen des Hauses sie leicht schießen und fangen konnten. Man hatte auch eine große Menge Schlingen gelegt, in denen sich viele Blaufüchse fingen, deren kostbare Felle sie wirksam gegen die Kälte schützten und deren Fleisch ihnen gestattete, an ihren Vorräthen zu sparen. Immer lustig und guter Dinge ertrugen sie wohl oder übel die lange Weile der Polarnacht und die Strenge des Frostes. Letzterer steigerte sich dermaßen, daß, als sie einmal zwei bis drei Tage wegen des durch den Wind zurückgetriebenen Rauches nicht so viel Feuer wie gewöhnlich hatten unterhalten können, es im Innern des Hauses so heftig fror, daß Wände und Fußboden zwei Finger dick mit Eis belegt waren, selbst in den Schlafräumen der armen Leute. Der Xeres mußte erst aufgethaut werden, bevor er, wie das jeden zweiten Tag geschah, in der Menge einer halben Pinte für den Mann vertheilt werden konnte.

Am 7. December dauerte die rauhe Witterung unter einem schrecklichen Sturm aus Nordosten gleichmäßig fort, nur daß dieser eine wahrhaft entsetzliche Kälte mitbrachte. »Da wir kein Mittel kannten, uns dagegen zu schützen, und Alle überlegten, was wohl am Besten zu thun sei, schlug Einer von uns vor, jene Steinkohle zu benutzen, die wir von dem Schiffe nach dem Hause geschafft hatten, weil diese ein sehr lebhaftes und andauerndes Feuer gebe. Gegen Abend machten wir ein tüchtiges Feuer mit Steinkohle, das eine angenehme Wärme verbreitete; wir beachteten freilich nicht, was die Folge davon sein könne; da die Wärme nämlich uns so gar angenehm war, suchten wir sie so lange als möglich zu erhalten. Wir verstopften also alle Oeffnungen nebst dem Kamine möglichst sorgfältig, um die erzielte Wärme abzuschließen. Jeder begab sich nun zum Schlafen in seine Kabane, wo wir Alle, da uns die milde Temperatur wirklich neu belebte, noch lange plauderten. Endlich aber befiel uns, Einen mehr als den Andern, eine Art Schwindel, was wir zuerst an einem unserer Kameraden bemerkten, der schon längere Zeit krank lag und jene Schädlichkeit also weniger lange ertragen konnte. Wir selbst aber empfanden bald auch eine eigenthümliche Beängstigung, so daß Einige, welche noch ganz wach waren, die Kabane verließen und wenigstens den Eingang zum Kamin und dann den Hauseingang wieder öffneten. Der aber, der letzteres unternahm, fiel fast augenblicklich besinnungslos zu Boden, worauf ich eiligst hinzulief und jenen schon halb todt fand. Ich beschaffte mir nun schnellstens etwas Essig und rieb ihm das Gesicht so lange, bis er wieder zu sich kam. Endlich, als wir Alle jenen merkwürdigen Anfall gänzlich überwunden hatten, theilte der Kapitän als Herzstärkung etwas Wein unter uns aus ...

»Auch am 11. dauerte die helle Witterung mit einer so furchtbaren Kälte fort, daß es Niemand glauben würde, der sie nicht selbst erlebt hat; die Schuhe froren uns dabei buchstäblich an die Füße, wurden so hart wie Horn und waren sogar inwendig mit Eis überzogen, so daß wir sie gar nicht mehr gebrauchen konnten. Die Kleider an unserem Körper bedeckten sich mit einer Schicht von Reif und Eis.«

Am 25. December, also zu Weihnachten, blieb die Witterung ebenso rauh wie die vorhergehenden Tage. Die Füchse stürmten ordentlich das Haus, was einer der Matrosen für eine schlechte Vorbedeutung ansah und, als man ihn fragte warum, die Antwort gab: »Weil wir sie nicht in einem Topfe kochen oder am Spieße braten können, was ein gutes Vorzeichen gewesen wäre«.

Endete das Jahr 1596 mit einer wirklich außerordentlichen Kälte, so gestaltete sich der Anfang von 1597 auch nicht angenehmer. Schneestürme und wahrhafte Hagelschauer machten es den Holländern unmöglich, das Haus zu verlassen. Sie feierten aber trotzdem das Fest der heiligen drei Könige in der Wohnung sehr heiter, wie der ebenso ergreifende wie naive Bericht Gerrit de Veer's mittheilt. »Wir baten also den Kapitän, um uns inmitten der elendesten Lage doch einmal ein wenig zu zerstreuen, um etwas Wein, der ja gewöhnlich von zwei zu zwei Tagen ausgetheilt wurde. Da wir zwei Pfund Mehl zusammengespart hatten, buken wir mit Oel ein Paar kleine Kuchen. Jeder erhielt dann noch eine Scheibe Zwieback, den wir im Wein erweichten und verzehrten. Da kam es uns vor, als wären wir in der Heimat und mitten unter Angehörigen und Freunden; auch haben wir uns dabei so erquickt und gestärkt, daß Keiner hätte besseren Muthes sein können, wenn er auch von dem glänzendsten Bankett gekommen wäre. Durch Lose bestimmten wir ferner einen König und unser Oberkanonier wurde König von Nowaja-Semlja, einem Lande zwischen zwei Meeren und von etwa zweihundert Meilen Länge.«

Vom 21. Januar ab zeigten sich die Füchse wieder weniger, während die Bären öfter erschienen, und der Tag nahm nun auch so viel zu, daß die Holländer doch dann und wann an die freie Luft gehen konnten. Am 24. starb ein schon lange Zeit kranker Matrose und wurde nahe dem Hause im Schnee begraben. Am 28. war sehr schönes Wetter, so daß Alle das Haus verließen, umherspazierten und einander Schneeballen zuwarfen, um die Glieder etwas zu üben, denn Alle waren ungemein entkräftet und die meisten vom Scorbut ergriffen. Sie waren so geschwächt, daß sie beim Herbeitragen des nöthigen Holzes mehrmals ausruhen mußten. In den ersten Tagen des März endlich, welche noch einige tolle Schneestürme brachten, sahen sie, daß das Meer eisfrei geworden war. Nichtsdestoweniger währte die rauhe Witterung und eine eisige Kälte noch immer fort. Noch durfte man gar nicht daran denken, wieder in See zu gehen, denn das Schiff lag in seinem Eiskerker noch gleichmäßig fest. Am 15. April besuchten sie dasselbe und fanden es in ziemlich leidlichem Zustande.

Anfangs Mai wurden die Matrosen allgemach ungeduldig und fragten Barentz, ob er nicht Anstalt treffen wollte, abzureisen. Dieser antwortete ihnen aber, daß sie noch bis zum Ende des Monats warten müßten, und daß dann, wenn es die Umstände gestatteten, das Schiff abzutakeln, die Schaluppe und das große Boot in Stand gesetzt werden sollten, um auf dem Meere segeln zu können. Vom 20. dieses Monats begannen nun wirklich die Vorbereitungen zum Aufbruch; mit welcher Freude und mit welchem Eifer kann man sich wohl leicht vorstellen. Die Schaluppe ward ausgebessert, Segelwerk für dieselbe angefertigt, Schaluppe und Boot in's Wasser geschafft und mit den nöthigen Provisionen beladen. Endlich, da nun überall offenes Wasser war und ein günstiger Wind blies, suchte Heemskerke den schon seit einiger Zeit erkrankten Barentz auf und erklärte, »daß es ihm jetzt gerathen scheine, von hier abzufahren und in Gottes Namen die Reise anzutreten, um Novaja-Semlja zu verlassen«. »Wilhelm Barentz hatte schon früher ein kurzes Schriftstück aufgesetzt, worin er erzählte, wie wir von Holland abgefahren seien, um nach China zu gehen, und Alles mittheilte, was sich sonst zugetragen hatte, so daß, wenn Jemand nach uns durch Zufall hierherkam, er erfuhr, was uns begegnet war. Das Papier steckte er in ein Flintenfutteral und hing es am Kamine auf.«

Am 13. Juni 1597 verließen die Holländer das noch immer vom Eise umschlossene Schiff, und die beiden Schaluppen, deren Insassen sich der Barmherzigkeit Gottes empfehlend, stachen in See. Sie erreichten die Orange-Inseln und folgten unter unaufhörlichen Gefahren der Ostküste Nowaja-Semljas.

»Am 20. Juni ward Nikolaus Andrieu sehr schwach und wir sahen wohl, daß es mit ihm bald zu Ende gehen werde. Der Lieutenant des Gouverneurs kam in unsere Schaluppe und meldete, daß sich Nikolaus Andrieu sehr übel befände und daß man seinen demnächst zu erwartenden Tod vor Augen sehe. Darauf erwiderte Wilhelm Barentz: »Mir scheint, daß auch mein Leben nicht mehr lange dauern wird«. Wir glaubten gar nicht, daß Barentz wirklich so krank sei, denn wir plauderten eben mit ihm und er betrachtete die kleine Karte, welche ich von unserer Reise entworfen hatte; endlich legte er die Karte weg und sagte zu mir: »Gerard, gieb mir zu trinken!« Nachdem er ein wenig getrunken, überfiel ihn eine solche Schwäche, daß er die Augen im Kopfe verdrehte und plötzlich verschied, ohne daß wir Zeit gewannen, den Kapitän herbeizurufen, der sich auf dem anderen Fahrzeuge befand. Wilhelm Barentz' Ableben betrübte uns im höchsten Grade, da er ja unser eigentlicher Führer und einziger Pilot war, der das unbegrenzte Vertrauen aller Theilnehmer der Fahrt besaß. Dem Willen Gottes aber konnten wir ja nicht widerstreben, und dieser Gedanke beruhigte uns doch ein wenig.«

So starb der berühmte Barentz inmitten seiner Entdeckungen, wie seine Nachfolger Franklin und Hall. Aus den wohlerwogenen traurigen Worten des kurzen Nachrufes Gerrit de Veer's fühlt man die Liebe, die Sympathie und das Vertrauen, das dieser kühne Seeheld seinen unglücklichen Gefährten einzuflößen verstanden hatte. Barentz glänzt als einer der ersten Sterne Hollands, das an muthigen und geschickten Seefahrern ja so reich ist. Wir werden später erzählen, was zur Ehre seines Andenkens geschah.

Nachdem sie wiederholt genöthigt gewesen waren, die Boote aus dem Wasser zu ziehen, wenn sie nicht durch Eisschollen erdrückt werden sollten, nachdem sie das Meer öfter sich vollkommen hatten öffnen und auch wieder schließen sehen, nach bitterem Leiden an Hunger und Durst, erreichten die Holländer glücklich das Cap Nassau. Als sie so eines Tages gezwungen waren, die Boote auf das Eisfeld heraufzuziehen, das jene zu vernichten drohte, verloren sie einen großen Theil ihres Proviants und wären bald Alle ertrunken, denn das Eis brach unter ihren Füßen. Mitten in ihrem Elend erfreuten sie sich doch manchen Glücksfalles. So fanden sie z. B. auf der Insel Croix sechzig Eier von der Bergente. »Sie wußten nur nicht gleich, wie diese fortzuschaffen seien. Endlich zog einer der Leute die Hosen aus, band sie unten zu und in diese steckte man nun die Eier; der sonderbare Behälter wurde an einem Spieße nach der Landungsstelle getragen. Erst nach zwölf Stunden kamen die Leute wieder, so daß wir fürchteten, es sei ihnen ein Unfall zugestoßen. Die Eier wurden hochwillkommen geheißen und wir speisten wie die großen Herren.« Vom l3. Juli ab schaukelten die Holländer auf einem Meere, das, wenn auch nicht gänzlich eisfrei, doch nicht mehr die großen Eisfelder mit sich führte, deren Überschreitung ihnen so viel Mühe gekostet hatte. Beim Einlaufen in den St. Lorenz begegneten sie am 28. Juli zwei russischen Barken, denen sie sich zuerst nicht zu nähern wagten. Als sie die Matrosen aber ohne Waffen und unter Andeutungen ihrer friedlichen Gesinnung auf sich zukommen sahen, verbannten sie jede Furcht, vorzüglich weil sie sich erinnerten, dieselben schon im vorigen Jahr in der Nähe von Waigatz getroffen zu haben. Von diesen erhielten sie einige Unterstützung und setzten ihre Reise, immer so dicht am Lande, wie das Eis es erlaubte, längs der Küste Nowaja-Semljas fort. Bei Gelegenheit einer Landung fanden sie Exemplare der Cochlearea (Löffelkraut), einer Pflanze, deren Blätter und Samen eines der kräftigsten Anti-Scorbuticis darstellen. Alle aßen davon mit vollen Händen und spürten auch sofort eine wesentliche Erleichterung. Inzwischen gingen ihre Lebensmittel zu Ende; sie besaßen nur noch ein wenig Brod, doch keinen Wein mehr. Nun faßten sie den Entschluß, sich mehr in die offene See zu wagen, um den Weg nach Rußland möglichst abzukürzen, wo sie wenigstens einige Fischerbarken anzutreffen hofften, von denen sie Hilfe erhalten konnten. Ihre Hoffnung sollte nicht getäuscht werden, wenn sie auch noch Manches zu erdulden hatten. Die Russen erwiesen sich gegen die Unglücklichen sehr mitleidig und lieferten ihnen wiederholt Nahrungsmittel, um sie vom Hungertode zu retten. Durch einen dichten Nebel wurden die beiden Boote von einander getrennt. Sie fanden sich erst weit jenseits des Caps Kanin, an der anderen Seite des Eismeeres, bei der Insel Kildyn wieder zusammen, wo Fischer den Holländern mittheilten, daß sich in der Kola drei Schiffe ihrer Nation befanden, welche segelbereit lagen, um nach der Heimat zurückzukehren. In Begleitung eines Lappländers sandten sie also einen der Ihrigen ab, der nach drei Tagen mit einem Schreiben zurückkam, das die Unterschrift Johann Rijp trug. Wie erstaunten die Holländer, als sie diese Züge erkannten. Durch Vergleichung dieses Briefes mit verschiedenen anderen, welche Heemskerke besaß, überzeugten sie sich endgiltig, daß derselbe von dem Kapitän herrühre, der sie im vorigen Jahre begleitet hatte. Einige Tage später, am 30. September, kam auch Rijp selbst auf einer mit Proviant beladenen Barke an, um sie abzuholen und in den Kolafluß zu geleiten, wo sein Schiff vor Anker lag.

Rijp war im höchsten Grade verwundert über Alles, was sie ihm erzählten, und über die schreckliche Reise von fast vierhundert Meilen, welche nicht weniger als hundertvier Tage, vom 13. Juni bis 25. September, gedauert hatte. Wenige Tage der Ruhe und gesunde, hinreichende Nahrung genügten, um die letzten Spuren des Scorbuts zu verscheuchen und die Seeleute völlig wieder herzustellen. Am 17. October verließ Rijp die Kola und am 1. November schon langte die Gesellschaft in Amsterdam an. »Wir trugen dieselbe Kleidung, sagt Gerrit de Veer, wie in Nowaja-Semlja, und Mützen von weißem Fuchs auf dem Kopfe; so gingen wir nach der Wohnung Peter Hasselaer's, eines der Kuratoren von Amsterdam, der die Ausrüstung der beiden Schiffe Johann Rijp's und unseres Kapitäns überwacht hatte. Daselbst zum allgemeinsten Erstaunen angekommen – denn wir galten schon lange als todt – verbreitete sich diese Mär wie ein Lauffeuer weiter und drang auch nach dem Palaste des Prinzen, wo der Kanzler des Reiches und der Gesandte des berühmten Königs von Dänemark, Norwegen und der Gothen und Vandalen zur Tafel geladen waren. Von Herrn L'Ecoutet's und mehreren hervorragenden Männern der Stadt wurden nun auch wir dahin geführt und erstatteten dem Herrn Gesandten und den Herren Bürgermeistern einen Bericht von unserer Fahrt. Dann erst begaben wir uns nach Haus. Diejenigen, die nicht aus der Stadt stammten, wurden auf einige Tage in einem Gasthause einquartiert, bis wir unser Geld empfingen und Jeder seines Weges zog. Von der Reise kehrten noch folgende Theilnehmer zurück: Jakob Heemskerke, Bevollmächtigter und Kapitän, Peter Peterson Vos, Gerard de Veer, Schiffsmeister, Johann Vos, Arzt, Jakob Jansen Sterrenburg, Leonhard Henri, Lorenz Wilhelm, Johann Hillebrants, Jakob Jansen Hoochwout, Peter Corneille, Jakob van Buisen und Jakob Everts.«

Von den wackeren Seeleuten allen haben wir nicht viel mehr zu sagen, außer daß de Veer im folgenden Jahre seinen Reisebericht veröffentlichte, und Heemskerke, nachdem er mehrere Reisen nach Indien gemacht, im Jahre 1607 den Oberbefehl über eine Flotte von sechsundzwanzig Schiffen erhielt, mit denen er am 25. April den Spaniern unter den Kanonen von Gibraltar eine hitzige Schlacht lieferte, in welcher die Holländer zwar Sieger blieben, er selbst aber seinen Tod fand.

Erst 187l, also fast dreihundert Jahre später, wurde die Stelle, an der Barentz mit seinen Leuten überwintert hatte, wiedergesehen. Er umschiffte als erster und bis auf unsere Zeit als einziger Seemann die Nordspitze von Nowaja-Semlja. Am 7. September 1871 nämlich entdeckte der norwegische Kapitän Elling Carlsen, der sich durch wiederholte glückliche Reisen im Eismeere ausgezeichnet hatte, Barentz' Hafen und fand am 9. das Haus wieder, das die Holländer einst geschützt hatte. Es sah aus, als wäre es am Tage vorher gebaut, so überraschend gut hatte es sich erhalten. Alles fand sich darin in dem Zustand, wie es die Schiffbrüchigen einst verlassen. Nur die Bären, Füchse und andere Bewohner dieser ungastlichen Gegend hatten diesen Ort besucht. Rings um das Haus lagen da und dort große Tonnen und Haufen von Walroß- und Bärenknochen. Im Innern stand Alles an seinem Platz und bot ein getreues Abbild von de Beer's merkwürdiger Zeichnung. Hier standen die Betten längs der Wände, wie sie jener wiedergab, ebenso wie die Uhr, einige Flinten und eine Hellebarde. Unter den von Kapitän Carlsen mit heimgebrachten Geräthen, Waffen und Gegenständen verschiedener Art erwähnen wir zwei kupferne Schiffs-Kochtöpfe, einige Decken, Gewehrläufe, Hausgeräthe, Meißel und Feilen, ein paar Stiefel, neunzehn Patronen, deren einige noch das Pulver enthielten, die Wanduhr, eine Flöte, Schlösser und Riegel, sechsundzwanzig zinnerne Leuchter, Reste von Zeichnungen und drei holländische Bücher, darunter eine Geschichte von China, die letzte Ausgabe Mendoza's, welche auf das Ziel hindeutet, das Barentz bei seiner Fahrt im Auge hatte, und ein Navigations-Manual, das den Beweis für die Sorgfalt liefert, mit welcher der Pilot sich über alles in seinem Fache Vorkommende auf dem Laufenden zu erhalten suchte.

Bei seiner Rückfahrt aus dem Hafen von Hammerfest begegnete Kapitän Carlsen einem Holländer, Lister Kay, der die Reliquien von Barentz erwarb und sie der niederländischen Regierung überließ. Diese Gegenstände selbst fanden einen Platz im Marine-Museum im Haag, wo auch ein vorn offenes Haus construirt wurde, welches genau de Veer's Zeichnung entspricht. Jedes einzelne Geräth, ebenso wie alle Instrumente haben denselben Platz erhalten wie in dem Hause auf Nowaja-Semlja. Die kostbaren Zeugnisse eines wichtigen Ereignisses, der ersten Ueberwinterung in den arktischen Meeren, die rührenden Erinnerungen an Barentz, Heemskerke und deren treue Gefährten, bilden eines der interessantesten Monumente des ganzen Museums und werden stets mit Pietät und Liebe betrachtet werden. An der Seite der Uhr hängt ein Quadrant aus Kupfer, durch dessen Mitte ein Meridian gezogen ist; dieser merkwürdige Quadrant, den Plancius wahrscheinlich zur Bestimmung der Abweichung der Magnetnadel erfand, hat eine weitere Verbreitung nicht gefunden. Hier bildet er ein ebenso werthvolles Stück, wie auf der anderen Seite die Flöte, welche Barentz geblasen hat, und die Schuhe des armen Matrosen, der das Winterlager nicht überlebte. Niemand vermag diese merkwürdige Sammlung ohne die tiefst Bewegung zu betrachten.


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