Jules Verne
Das Land der Pelze, Band 1
Jules Verne

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Capitel.

Während fünf Monaten.

Ein heftiges Erdbeben hatte diesen Theil des amerikanischen Festlandes erschüttert. Solche Stöße konnten bei dem vulkanischen Boden nicht gerade selten sein. Der Zusammenhang zwischen derartigen Ereignissen und den Eruptionen ist ja mehr als einmal nachgewiesen worden.

Jasper Hobson war sich über das, was vorging, völlig klar. Er wartete mit peinlichster Unruhe. Ein Riß im Erdboden konnte ihn mit seiner ganzen Gesellschaft verschlingen. Aber es blieb bei dem einzigen Stoße, der mehr eine Rückwirkung zu sein schien, als ein directer Stoß. Er hatte das Haus nur nach der Seite des Sees zu geneigt und seine Wände zerklüftet. Dann wurde die Erde wieder fest und unbeweglich.

Jetzt galt es, das Nothwendigste in's Auge zu fassen. Das Haus war wenigstens noch in bewohnbarem Zustande.

Die durch die Verschiebung der Balken entstandenen Oeffnungen verstopfte man nach Kräften, und auch die Essen der Feuerungen wurden wohl oder übel ausgebessert.

Die Wunden, welche einige Soldaten bei dem Kampfe mit den Bären davongetragen hatten, waren zum Glück nicht von Bedeutung und erforderten nur einen einfachen Verband.

So verbrachten diese armen Leute zwei schreckliche Tage, und verbrannten die Bettstellen und das Holz der Scheidewände. In dieser Zeit nahm Mac Nap mit seinen Leuten die dringendsten Reparaturen des Innern vor. Die Grundstämme, welche tief in die Erde eingetrieben waren, standen noch fest, und der ganze Bau war noch haltbar. Offenbar hatte aber die Erderschütterung eine Veränderung in der Oberfläche des Erdbodens hervorgerufen. Jasper Hobson hätte davon gern Kenntniß genommen, da sie bis auf einen gewissen Punkt die Sicherheit der Factorei in Frage stellen konnte. Die unerbittliche Kälte machte aber ein Verlassen des Hauses absolut unmöglich.

Zum Glück traten jetzt einige Erscheinungen an den Tag, welche eine bevorstehende Witterungsänderung ankündigten. Durch die Fenster konnte man wahrnehmen, daß der Glanz der Sterne abnahm. Am 11. Januar fiel das Barometer um einige Linien. In der Luft sammelten sich Dünste an, deren Verdichtung mit einem Steigen der Temperatur verbunden sein mußte.

Wirklich sprang der Wind am 12. Januar nach Südwest um, und dann und wann trat Schneefall ein. Fast plötzlich stieg das Thermometer vor dem Fenster auf -9°. Für die so grausam geprüften Ueberwinternden war das eine Frühlingstemperatur.

Um elf Uhr Morgens drängte sich denn auch an diesem Tage Alles in's Freie. Man hätte Gefangene vor sich zu sehen geglaubt, denen die Freiheit wieder geschenkt war.

In Befürchtung gefährlicher Begegnungen wurde es aber unbedingt verboten, die Umzäunung zu überschreiten.

In dieser Jahreszeit war zwar die Sonne noch nicht wieder erschienen, sie streifte aber so nahe an dem Horizonte hin, um wenigstens eine länger dauernde Dämmerung hervor zu bringen. Bis auf einen Umkreis von zwei Meilen waren die Umgebungen erkennbar. Jasper Hobson's erster Blick galt der Gestalt des Erdbodens, welchen die Erschütterung verändert haben mußte.

Wirklich zeigte sich da und dort ein anderer Anblick. Das Vorgebirge, in welches Cap Bathurst auslief, war theilweise seines Gipfels beraubt, und große Stücke des seitlichen Ufers waren herabgestürzt. Die volle Masse des Caps schien sich auch gegen den See hin geneigt zu haben, wobei das ganze Plateau, auf dem die Wohnung stand, eine Lagenveränderung erlitten hatte. Im Allgemeinen hatte sich der Erdboden nach Westen hin gesenkt und nach Osten gehoben. Die veränderte Neigung des Erdbodens mußte aber die wichtige Folge haben, daß die Gewässer des Sees und des Paulina-Flusses, wenn sie zum Thauen kamen, eine neue Richtung einschlugen und einen Theil des Landes im Westen überschwemmten. Die Strömung mußte sich ein neues Bett bahnen, was auch auf den an der Mündung befindlichen natürlichen Hafen nicht ohne Rückwirkung bleiben konnte. Ebenso erschienen die Hügel des östlichen Ufers merklich gesenkt. Wie es mit dem Uferlande im Westen stand, konnte man der Entfernung wegen nicht sogleich beurtheilen. Die hauptsächlichsten durch das Erdbeben hervorgebrachten Veränderungen bestanden also Alles in Allem in Folgendem: Bis auf die Entfernung von vier bis fünf Meilen war die frühere ebene Oberfläche in so fern verändert, als sich eine Neigung von Osten nach Westen zu gebildet hatte.

»Nun, mein Herr Hobson,« sagte da lächelnd die Reisende, »sie hatten die Freundlichkeit, dem Flusse und dem Hafen meinen Namen beizulegen, und nun giebt es keinen Paulina-Fluß und keinen Barnett-Hafen mehr. Sie müssen gestehen, daß ich nicht viel Glück habe.«

»Wirklich, Madame,« erwiderte der Lieutenant, »wenn auch der Fluß dahin wäre, so ist doch der See, hoffe ich, der nämliche geblieben, und wenn Sie erlauben, nennen wir ihn dessenungeachtet den Barnett-See. Ich hoffe, daß dieser Ihnen treu bleiben soll!«

Mr. und Mrs. Joliffe hatten sich, sobald sie das Haus verließen, der Eine nach dem Hunde-, die Andere nach dem Rennthierstalle begeben. Die Hunde hatten durch die lange Einschließung wenig gelitten und sprangen lustig im inneren Hofe herum. Ein Rennthier schien seit wenig Tagen verendet; die anderen fanden sich trotzdem, daß sie etwas abgemagert waren, ganz wohl erhalten.

»Da sehen Sie, Madame,« sagte der Lieutenant zu Mrs. Paulina Barnett, welche Jasper Hobson begleitete, »da haben wir uns nun aus der Schlinge gezogen, und besser, als zu erwarten war.«

»Ich war niemals verzweifelt, Herr Hobson,« entgegnete die Reisende. »Männer, wie Ihre Leute und Sie, werden sich nie von den Zufällen einer Ueberwinterung besiegen lassen.«

»Seitdem ich in den Polargegenden lebe, Madame,« fuhr Lieutenant Hobson fort, »habe ich niemals eine solche Kälte kennen gelernt, und frei heraus gesagt, wenn sie noch einige Tage eben so angehalten hätte, wären wir wohl allesammt erfroren gewesen.«

»Dann kam wohl das Erdbeben zu ganz gelegener Zeit, um die verwünschten Bären zu vertreiben, und hat vielleicht mehr dazu beigetragen, die außergewöhnliche Kälte zu vermindern?«

»Das ist möglich, Madame, sehr möglich,« entgegnete der Lieutenant. »Alle diese Naturerscheinungen stehen in gewissen Wechselbeziehungen zu einander, aber ich gestehe Ihnen, daß mich die vulkanische Natur des Bodens hier beunruhigt. Unseres Etablissements wegen bedauere ich die Nachbarschaft jenes thätigen Vulkanes. Wenn die Lavaströme auch nicht bis hierher dringen können, so sind die Erdstöße demselben doch gefährlich. Sie sehen ja das Bild, das unser Haus jetzt darbietet.«

»Das lassen Sie ausbessern, Herr Hobson, sobald die gute Jahreszeit wieder eintritt,« antwortete Mrs. Paulina Barnett, »und Sie werden aus der Erfahrung Nutzen ziehen, um es noch sicherer her zu stellen.«

»Gewiß, Madame, doch so wie es jetzt ist und doch auch noch einige Monate bleiben muß, dürfte es Ihnen nicht mehr genügende Bequemlichkeit bieten.«

»Mir? Herr Hobson,« antwortete lächelnd Mrs. Paulina Barnett, »mir? Einer Reisenden? Ich stelle mir einfach vor, daß ich die Cabine eines auf der Seite liegenden Schiffes bewohne, und von dem Augenblicke an, da Ihr Haus weder stampft noch rollt, habe ich von der Seekrankheit Nichts zu befürchten.«

»Bravo! Madame,« versetzte Jasper Hobson, »ich lerne Ihren Charakter täglich mehr schätzen. Er ist ja von Allen anerkannt. Doch Ihr moralischer Muth und Ihr liebenswürdiger Humor hat sehr dazu beigetragen, mir und meinen Leuten die harten Prüfungen ertragen zu helfen, und ich sage Ihnen in meinem und im Namen meiner Leute herzlichen Dank dafür.«

»Ich versichere Ihnen, Herr Hobson, daß Sie übertreiben . . .«

»O nein, gewiß nicht, und was ich Ihnen hier gesagt, würden Alle gern bereit sein, zu wiederholen. Doch erlauben Sie mir eine Frage. Es ist Ihnen bekannt, daß Kapitän Craventy uns kommenden Juni einen Provianttransport senden wollte, der bei der Rückkehr unsere Vorräthe an Pelzen nach Fort-Reliance mitnehmen solle. Möglicher Weise benutzt unser Freund Thomas Black nach Beobachtung der Sonnenfinsterniß diese Gelegenheit, um mit dem Detachement zurück zu kehren. Darf ich Sie fragen, Madame, ob es auch in Ihrer Absicht läge, ihn zu begleiten?«

»Aber, Herr Hobson, wollen Sie mich zurück senden?« fragte lächelnd die Reisende.

»O, Madame . . .!«

»Nun wohl, ›mein Herr Lieutenant‹,« fuhr Mrs. Paulina Barnett fort, und bot Jasper Hobson die Hand, »ich ersuche Sie um die Erlaubniß, noch einen Winter in Fort-Esperance zubringen zu dürfen. Nächstes Jahr kommt dann vielleicht ein Schiff der Compagnie nach Cap Bathurst, und das würde ich gern, da ich auf dem Landwege gekommen bin, zu meiner Rückreise durch die Behrings-Straße benutzen.«

Der Lieutenant war entzückt über diesen Entschluß seiner Begleiterin. Er hatte ihn gemuthmaßt und schätzte ihn hoch. Es band ihn eine tiefe Sympathie an diese muthige Frau, die ihn ihrerseits für einen guten und braven Mann hielt. In Wahrheit hätte weder der Eine noch die Andere die Scheidung ohne Leidwesen kommen sehen. Wer wußte überdies, ob ihnen der Himmel nicht noch schwere Prüfungen aufbewahrt hatte, welche zum Wohle Aller ihres gemeinschaftlichen Einflusses bedurften?

Am 20. Januar erschien die Sonne zum ersten Male wieder, und endete damit die Polarnacht. Sie blieb freilich nur wenige Augenblicke über dem Horizonte und wurde von dem freudigem Hurrah der Ueberwinternden begrüßt. Von diesem Zeitpunkte an mußte nun der Tag stetig zunehmen.

Während des Monats Februar und bis zum 15. März folgte sich gute und schlechte Witterung noch sehr schroff. Bei gutem Wetter war es sehr kalt, bei schlechtem gab es ungeheuren Schnee. Bei jenem machte die Kälte den Jägern jeden Ausfall unmöglich, und bei letzterem zwangen sie die Schneestürme, das Haus zu hüten. Nur bei mittlerer Witterung waren also gewisse Arbeiten im Freien vorzunehmen, doch war keine größere Excursion zu wagen. Ueberdies lag kein Grund vor, sich weit vom Fort zu entfernen, da die Fallen einen guten Ertrag lieferten. Gegen Ende des Winters ließen sich Marder, Füchse, Hermeline, Vielfraße und andere kostbare Pelzthiere in Menge fangen, so daß die Fallensteller nicht zu feiern hatten, wenn sie sich auch nur in der Umgebung des Cap Bathurst aufhielten.

Eine einzige größere Excursion, welche im März nach der Walroß-Bai unternommen wurde, zeigte, daß die seitlich abfallenden Ufer sich durch die Erderschütterung wesentlich geändert, und zwar merklich gesenkt hatten. Die feuerspeienden Berge, welche nur einen leichten Rauch ausstießen, schienen sich vorläufig beruhigt zu haben.

Am 20. März signalisirten die Jäger die ersten Schwäne, welche von Süden auswandernd unter lautem Geschrei nach Norden zogen. Ebenso erschienen einige Schneeammern und Winterfalken. Noch immer aber deckte ein ungeheurer weißer Teppich den Boden, und gelang es der Sonne nicht, die feste Oberfläche des Meeres und des Sees zu schmelzen.

Erst anfangs April trat Thauwetter ein. Mit furchtbaren Krachen, welches kräftigen Artilleriesalven ähnlich war, sprang das Eis, wodurch an dem seitlichen Ufer tiefe, plötzliche und weitgehende Aenderungen eintraten. Mehr als ein durch fortwährende Stöße erschütterter Eisberg, dessen Grund theilweise abgeschmolzen war, donnerte, wenn er durch Verschiebung seines Schwerpunktes das Uebergewicht bekam, herunter, wodurch das Eisfeld gewaltsam aufgebrochen wurde.

Um diese Zeit war die mittlere Temperatur 0°Celsius. Auch das Eis des Baches verlor sich nun allmälig und seine von den Polarströmen entführte Eisbank an der Küste verschwand in den Dünsten des Horizontes. Am 15. April war das Meer offen, und gewiß hätte jetzt ein durch die Behrings-Straße längs der amerikanischen Küste gehendes Fahrzeug das Cap Bathurst erreichen können.

Zu gleicher Zeit mit dem Arktischen Ocean entkleidete sich auch der Barnett-See seines Eispanzers zur großen Befriedigung der zahllosen Schwärme von Enten und anderen Wasservögeln, die seine Ufer bevölkerten.

So wie es Lieutenant Hobson aber vorausgesehen hatte, war der Umfang des Sees durch die abgeänderte Bodenneigung sehr vermindert. Derjenige Theil des Seeufers, welcher im Osten von den bewaldeten Hügeln begrenzt gewesen war, hatte sich weit zurückgezogen. Jasper Hobson schätzte das Zurückweichen des Wassers von seinem östlichen Ufer auf ungefähr hundertundfünfzig Fuß.

An der entgegengesetzten Seite mußte sich das Gewässer um ebenso viel nach Westen ausgedehnt haben, und wenn ihm kein natürliches Hinderniß entgegenstand, das Land überschwemmen.

Jedenfalls durfte man sich Glück wünschen, daß die Bodensenkung in der Richtung von Osten nach Westen verlief, denn wenn das Gegentheil der Fall gewesen wäre, würde die Factorei rettungslos überfluthet gewesen sein.

Der kleine Bach freilich versiegte sofort, nachdem er aufgethaut war. Sein Wasser strömte, so zu sagen, nach der Quelle zurück, indem der Boden sich dorthin, von Norden nach Süden zu, gesenkt hatte.

»Da wäre also,« sagte Jasper Hobson, »ein Fluß von den Karten der Polarländer zu streichen. Hätten wir nur diesen Wasserlauf gehabt, um unser nöthiges Süßwasser zu gewinnen, so dürften wir jetzt in peinlicher Verlegenheit sein. Zum Glück verblieb uns der Barnett-See, und ich hoffe, daß unsere Trinker keinen Durst leiden sollen.«

»Ja wohl, der See,« antwortete der Sergeant Long, »aber ist denn sein Wasser auch trinkbar geblieben?«

Jasper Hobson blickte seinen Sergeanten scharf an und zog die Augenbrauen zusammen. Auf den Gedanken war er noch nicht gekommen, daß ein Spalt im Boden die Verbindung zwischen dem Meere und der Lagune hergestellt haben könne. Es wäre das ein Unglück gewesen, das unzweifelhaft den Untergang und die Aufgabe der neuen Factorei nach sich gezogen hätte.

Eiligst liefen der Lieutenant und Sergeant Long nach dem See – sein Wasser war noch süß!

In den ersten Tagen des Mai, als der Boden sich da und dort von Schnee befreite, begann er unter dem Einfluß der Sonnenstrahlen ein wenig zu grünen. Einige Moose und Gräser wagten sich schüchtern mit ihren Spitzen aus der Erde. Der von Mrs. Joliffe gesäete Sauerampfer und das Löffelkraut gingen nun auch auf. Die Schneedecke hatte diese Gewächse gegen die Rauhigkeit des Winters geschützt, aber jetzt wurde es nothwendig, sie gegen die Schnäbel der Vögel und die Zähne der Nagethiere zu vertheidigen. Diese wichtige Arbeit wurde dem würdigen Corporal übertragen, der sich derselben mit der Gewissenhaftigkeit und dem Ernste eines Gliedermannes im Suppenteller annahm. Die langen Tage waren zurückgekehrt; die Jagd wurde wieder aufgenommen.

Lieutenant Hobson wollte den Vorrath an Pelzfellen vermehren, welche die Agenten von Fort-Reliance in wenig Tagen übernehmen sollten. Marbre, Sabine und andere Jäger begaben sich an ihr Geschäft. Ihre Excursionen waren weder weitgehend, noch anstrengend, und kaum entfernten sie sich mehr als zwei Meilen vom Cap Bathurst.

Nie hatten sie ein so wildreiches Territorium gesehen, so daß sie eben so erstaunt als befriedigt waren. Marder, Elennthiere, Hasen, kanadische Rennthiere, Füchse und Hermeline liefen ihnen geradezu vor die Gewehre.

Zu ihrem Leidwesen machten sie nur die eine Beobachtung, daß Bären, fast wie ihnen zum Hohne, sich gar nicht sehen ließen. Man hätte meinen können, daß die Angreifer bei ihrer Flucht alle Uebrigen mit fortgerissen hätten. Vielleicht hatte auch das Erdbeben diese Thiere, welche ganz besonders fein organisirt, gewissermaßen sehr »nervös« sind, wenn man das überhaupt von einem Vierfüßler sagen kann, mehr als andere erschreckt.

Der Mai war sehr regnerisch, doch fiel dazwischen hinein gelegentlich noch Schnee; seine Mitteltemperatur erreichte +5°Celsius. Auch Nebel waren sehr häufig und oft so dicht, daß es unklug gewesen wäre, sich vom Fort zu entfernen. Petersen und Kellet verursachten deshalb, als sie einmal achtundvierzig Stunden lang abwesend waren, ihren Gefährten ziemliche Unruhe. Ein Fehler in der Richtung, den sie auch gar nicht mehr auszugleichen vermochten, hatte sie nach Süden geführt, als sie sich in der Nähe der Walroß-Bai glaubten. Ganz erschöpft und halb todt vor Hunger kamen sie endlich zurück.

Der Juni rückte heran, mit ihm das schöne Wetter und manchmal eine recht merkbare Wärme. Die Winterkleidung wurde abgelegt. Man arbeitete tapfer an dem Hause, welches vollständig wieder ausgebaut werden mußte. Gleichzeitig ließ Jasper Hobson in der südlichen Ecke des Hofes ein großes Magazin errichten. Die Umgegend erwies sich so wildreich, daß ein solches ganz am Platze war. Ihre Vorräthe an Pelzen waren so beträchtlich geworden, daß sich deren Unterbringung in einem besonderen Speicher nöthig machte.

Von Tag zu Tag erwartete nun Jasper Hobson das Detachement, welches ihm Kapitän Craventy zusenden sollte, denn der neuen Factorei begannen schon verschiedene Gegenstände zu fehlen. So war z. B. die Munition zu erneuern. Hatte das Detachement Fort-Reliance in den ersten Tagen des Mai verlassen, so mußte es gegen Mitte Juni Cap Bathurst erreichen. Man erinnere sich hierbei, daß das der zwischen Kapitän Craventy und seinem Lieutenant verabredete Punkt war. Da Jasper Hobson nun das neue Fort an diesem Cap selbst errichtet hatte, so konnten ihn die nach ihm entsendeten Agenten nicht verfehlen.

Vom 15. Juni ab ließ der Lieutenant also die Umgebung des Caps genauer beobachten. Auf dem Gipfel eines Uferfelsens war die englische Flagge, um weithin sichtbar zu sein, aufgepflanzt worden. Ueberdies durfte man annehmen, daß der Proviantzug ungefähr denselben Weg einschlagen würde, wie vorher der Lieutenant. Dieser Weg war der sicherste, wenn nicht der kürzeste, da das zu dieser Zeit eisfreie Meer eine leicht zu verfolgende Küste bot.

Der Juni verging aber in fruchtlosem Warten. Jasper Hobson wurde einigermaßen unruhig, vorzüglich wenn sich die dichten Nebel wieder weithin über das Land lagern sollten. Er fürchtete dann auch für die Agenten in dieser Wüstenei, denen jene andauernden Dunstmassen ernsthafte Hindernisse bereiten mußten.

Oft unterhielt sich Jasper Hobson mit Mrs. Paulina Barnett, dem Sergeanten, Mac Nap und Raë über diesen Gegenstand. Auch der Astronom Thomas Black verhehlte seine Befürchtungen nicht, denn wenn die Sonnenfinsterniß vorüber war, rechnete er stark darauf, mit dem Detachement zurückzukehren. Kam letzteres überhaupt nicht an, so war er zu einer zweiten Ueberwinterung, und damit zu einer ihm gar nicht erfreulichen Aussicht verdammt. Der wackere Gelehrte hatte, wenn seine Absicht erreicht war, nur noch den Wunsch, sich auf den Heimweg zu begeben. Doch wenn er Jasper Hobson auch seine Besorgniß mittheilte, so wußte dieser doch vorläufig noch nicht, was er darauf erwidern sollte.

Auch am 4. Juli war noch Niemand angekommen; entweder waren also die Agenten von Fort-Reliance gar nicht abgereist, oder sie hatten sich unterwegs verirrt, und unglücklicher Weise hatte diese letztere Hypothese die größte Wahrscheinlichkeit für sich. Jasper Hobson kannte ja Kapitän Craventy, und setzte gar keinen Zweifel darein, daß der Zug Fort-Reliance zur bestimmten Zeit verlassen habe.

Seine lebhafte Unruhe ist also leicht begreiflich! Die gute Jahreszeit ging vorüber, noch zwei Monate, und der arktische Winter, d. h. die rauhen Winde, die Schneewirbel und die langen Nächte lagerten sich von Neuem über diesen Theil des Festlandes.

Lieutenant Hobson war aber nicht der Mann, um in einer solchen Ungewißheit zu verbleiben. Ein Beschluß mußte gefaßt werden, und so kam er denn, nach Berathung mit seinen Gefährten, zu folgendem, dem der Astronom natürlich von Herzen beistimmte:

Man schrieb den 5. Juli. In vierzehn Tagen, – nämlich am 18. Juli –, sollte die Sonnenfinsterniß stattfinden. Tags nachher konnte Thomas Black das Fort schon verlassen. Wären also bis dahin die Agenten noch immer nicht eingetroffen, so sollte ein aus mehreren Leuten und vier bis fünf Schlitten bestehender Zug von der Factorei nach dem Sklaven-See abgehen. Mit diesem sollte ein großer Theil der kostbarsten Pelzwaaren weggeschickt werden, und nach höchstens sechs Wochen, d. h. gegen Ende August, konnte er in Fort-Reliance eintreffen.

Nach dieser Entscheidung wurde Thomas Black wieder der vollkommen von seiner Sache eingenommene Mensch und erwartete nur noch den Augenblick, in dem der Mond, wenn er sich genau zwischen das Tagesgestirn und »ihn« stellte, die Sonnenscheibe total verfinstern würde.

 


 << zurück weiter >>