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Am nächsten Morgen, dem 26. Juni, weckte mich das Geräusch wohlbekannter Stimmen. Ich sprang auf. Kapitän Hod und sein Diener Fox waren im Speisezimmer in lebhafter Unterhaltung begriffen. Ich gesellte mich zu ihnen.
Gleichzeitig hatte Banks sein Zimmerchen verlassen und der Kapitän redete ihn mit volltönender Stimme an.
»Nun, Freund Banks, da wären wir ja endlich in dem ersehnten Hafen! Hier wird nun Rast gemacht! Es handelt sich nicht mehr um einen Aufenthalt von mehreren Stunden, sondern von einigen Monaten.«
»Gewiß, lieber Hod,« antwortete der Ingenieur, »und nun können Sie auch nach Belieben jagen. Die Pfeife des Stahlriesen wird Sie nicht mehr nach dem Lagerplatz zurückrufen.«
»Hörst Du, Fox?«
»Gewiß, Herr Kapitän,« bestätigte der Diener.
»Nun sei mir der Himmel günstig,« rief Hod, »das Sanatorium des Steam-Houses verlasse ich aber nicht eher, als bis der Fünfzigste von meiner Büchse gefallen ist! Der Fünfzigste, Fox! Es scheint mir nur, als werde es mit dem Fünfzigsten so seine Schwierigkeiten haben!«
»Wir werden sie zu besiegen wissen,« bemerkte Fox.
»Weshalb glauben Sie das, Kapitän Hod,« fragte ich.
»O, Maucler, das ist so eine Ahnung . . . . Eine Jägerahnung, weiter nichts!«
»So werden Sie also,« sagte Banks, »schon von heute an von hier ausziehen und den Feldzug eröffnen?«
»Von heute an,« erwiderte Hod. »Wir werden damit beginnen, das Terrain zu recognosciren und die untere Zone bis zu den Wäldern von Tarryani absuchen – vorausgesetzt, daß die Tiger ihre alte Heimat nicht aufgegeben haben . . . . .«
»Wie können Sie das glauben? . . . . .«
»Ah, mein bekanntes Pech!«
»Bekanntes Pech! . . . . Am Himalaya! . . . .« versetzte der Ingenieur, »wäre das möglich!«
»Nun, wir werden ja sehen! Sie begleiten uns doch, Maucler?« fragte Kapitän Hod, sich an mich wendend.
»Ei, gewiß!«
»Und Sie, Banks?«
»Ich ebenfalls,« antwortete der Ingenieur, »und ich hoffe sogar, daß auch Munro sich so wie ich, d. h. mehr als Dilettant, Ihnen anschließen wird.«
»Oho,« entgegnete Kapitän Hod, »als Dilettant! Nun, meinetwegen, aber als wohlbewaffneter Dilettant. Hier ist nicht die Rede davon, mit dem Stocke in der Hand spazieren zu gehen. Das wäre eine Beleidigung für die Raubthiere von Tarryani!«
»Einverstanden!« antwortete der Ingenieur.
»Also Fox,« fuhr der Kapitän sich an seinen Diener wendend, fort, »diesmal keine Mißgriffe! Wir sind im Lande der Tiger! Vier Enfieldbüchsen für den Oberst, für Banks, Maucler und mich, und zwei Gewehre mit explodirenden Geschossen für Dich und Goûmi.«
»Seien Sie ohne Sorgen, Herr Kapitän,« versicherte Fox. »Das Wild soll sich nicht zu beklagen haben!«
Dieser Tag sollte also der Erforschung jenes Waldes von Tarryani gewidmet werden, der, noch unterhalb unseres Sanatoriums, den Fuß des Himalaya bedeckt. Nach eingenommenem Frühstück, gegen elf Uhr, stiegen wir, Sir Edward Munro, Banks, Hod, Fox, Goûmi und ich, die schräg nach der Ebene hinabfallende Straße hinunter, ließen aber die beiden Hunde zurück, die uns heute nichts nützen konnten.
Der Sergeant Mac Neil, Storr, Kâlouth und der Koch blieben gleichfalls im Steam-House, um unsere Einrichtung zu vollenden. Nach zweimonatlicher Frist mußte auch der Stahlriese innerlich und äußerlich untersucht, gereinigt und in Stand gesetzt werden. Das erforderte eine lange, sorgsame und ausdauernde Arbeit, bei der seine gewöhnlichen Cornacs, der Heizer und der Maschinist, nicht viel feiern konnten.
Um elf Uhr hatten wir das Sanatorium verlassen, und wenige Minuten später, bei der ersten Wendung des Weges, verschwand das Steam-House unseren Blicken hinter einem dichten Baumvorhang,
Es regnete nicht mehr.
Unter dem Antrieb eines frischen Nordostwindes jagten die in den oberen Schichten der Atmosphäre treibenden, zerrissenen Wolken mit großer Schnelligkeit dahin. Der Himalaya war grau – die Temperatur für Fußgänger wie geschaffen; freilich fehlten jetzt auch jene reizenden Spiele des wechselnden Lichtes und Schattens, welche große Wälder sonst zu bieten pflegen.
Zweitausend Meter auf directem Wege hinabzusteigen, das wäre eine Sache von fünfundzwanzig bis dreißig Minuten gewesen, wenn die vielen Windungen, welche die Steilheit der Abhänge nöthig machte, nicht den Weg bedeutend verlängert hätten. So brauchten wir nicht weniger als anderthalb Stunden, um die obere Grenze der Wälder von Tarryani, fünf- bis sechstausend Fuß über der Ebene zu erreichen. Doch legten wir den Weg in fröhlichster Laune zurück.
»Achtung,« rief der Kapitän Hod. »Jetzt betreten wir das Gebiet der Tiger, Löwen, Panther, Guepards und anderer wohlthätiger Bewohner der Himalaya-Region. Es ist zwar ganz schön, die wilden Thiere zu besiegen, aber noch besser, nicht von ihnen besiegt zu werden! Halten wir uns demnach hübsch beieinander und lassen wir der klugen Vorsicht ihr Recht!«
Eine derartige Empfehlung aus dem Munde eines so unerschrockenen Jägers verdiente gewiß alle Beachtung. Jeder von uns schrieb sich dieselbe hinter das Ohr. Die Büchsen und Flinten wurden geladen, die Schlösser nachgesehen, die Hähne in Sicherheit gesetzt. Wir waren auf Alles vorbereitet.
Ich bemerke hierzu noch, daß man sich nicht nur vor reißenden Thieren, sondern auch vor Schlangen hüten mußte, von denen in den Wäldern Indiens die gefährlichsten Arten vorkommen. Die »Belongas«, die grünen, die Peitschenschlangen nebst manchen anderen sind außerordentlich giftig. Die Zahl der Opfer, welche jährlich dem Bisse jener Reptilien unterliegen, übersteigt fünf- bis sechsmal die der Hausthiere und Menschen, welche durch die Zähne der Raubthiere umkommen.
Im Gebiete von Tarryani erforderte es also die einfache Klugheit, das Auge überall zu haben, aufzumerken, wohin man den Fuß setzte, worauf man die Hand stützte, auf das leiseste Geräusch zu achten, das aus dem Grase kam oder sich durch das Gebüsch verbreitete.
Um halb ein Uhr gelangten wir unter das Laubdach mehrerer, am Waldessaume dicht zusammenstehender Bäume. Ihr hohes Geäst verstrickte sich über einigen breiteren Wegen, welche der Stahlriese bequem hätte passiren können. Durch diesen Theil des Waldes beförderten die Bergbewohner schon seit langer Zeit das geschlagene Holz; auch jetzt zeigte der weiche Thonboden ziemlich frische Wagenspuren. Diese Hauptstraßen verliefen in der Richtung der Bergkette, reichten der Länge nach durch ganz Tarryani und verknüpften die Lichtungen, welche die Axt der Holzschläger hier und da geschaffen hatte; auf beiden Seiten mündeten ferner schmale Fußsteige aus, die sich in dem undurchdringlichen Dickicht verloren.
Wir folgten also diesen Alleestraßen, mehr als Feldmesser denn als Jäger, da es uns zunächst darum zu thun war, deren Lage und Verlauf kennen zu lernen. Kein Geheul unterbrach das Schweigen des tiefen Waldes. Breite, offenbar noch ganz frische Fährten bewiesen jedoch, daß die Raubthiere Tarryani keineswegs verlassen hatten.
Plötzlich, eben als wir um eine Ecke der Allee bogen, welche vor einem scharf vorspringenden Berge etwas nach rechts ausbog, hemmte unsere Schritte ein Ausruf des Kapitän Hod, der immer vorausging.
Zwanzig Schritt vor uns erhob sich, an der Ecke einer von mächtigen Pandanen begrenzten Waldblöße, ein, wenigstens seines Aussehens wegen merkwürdiges Bauwerk. Ein Haus war es nicht, dazu fehlten ihm Rauchfang und Fenster; eine Jägerhütte auch nicht, denn dazu fehlten ihm die Schießscharten. Man hätte das Ganze wohl für ein, in der Tiefe des Waldes verlorenes Hindu-Grab ansehen können.
Stelle man sich einen verlängerten Würfel vor, errichtet aus nebeneinander gestellten, in den Boden fest gerammten Stämmen, deren obere Enden durch biegsame Zweige fest verbunden waren. Das Dach bildeten andere, wagrecht liegende und am Kopfe der ersteren haltbar eingezapfte Stämme. Offenbar hatte der Erbauer dieses kleinen Bollwerkes demselben nach allen fünf Seiten die größtmögliche Festigkeit zu verleihen gesucht. Es maß etwa sechs Fuß in der Höhe, zwölf in der Länge und fünf in der Breite. Von einem Zugange war nichts zu erblicken, wenn diesen nicht an der Vorderseite eine starke, oben abgerundete Bohle verdeckte, welche das ganze Bauwerk ein wenig überragte.
Ueber dem Dache erhoben sich mehrere biegsame, eigenartig angeordnete und untereinander verknüpfte Zweige. Am Ende eines horizontalen Hebels, der diese Armatur trug, hing ein Laufknoten, oder eigentlich eine aus starken Lianenflechten gebildete Schnalle herab.
»Ah, was ist das?« rief ich verwundert.
»Das ist,« erwiderte Banks nach kurzer Betrachtung, »weiter nichts als eine – Mäusefalle! Welche Mäuse zu fangen sie bestimmt ist, das werden sich die Herren selbst sagen.«
»Also eine Tigerfalle?« platzte Hod heraus.
»Ja wohl,« bestätigte Banks, »eine Tigerfalle, deren von der Bohle, welche der Lianenknoten gewöhnlich oben hält, jetzt verschlossene Thür zugefallen ist, weil das Stellbrett im Innern gewiß durch ein Thier berührt wurde.«
»Es ist das erste Mal,« sagte Hod, »daß ich in den Wäldern Indiens eine derartige Falle sehe. Eine Mäusefalle, wahrhaftig! Das erscheint aber eines Jägers unwürdig!«
»Und eines Tigers ebenfalls!« fügte Fox hinzu.
»Gewiß!« meinte Banks, »wenn es sich aber darum handelt, wilde Bestien auszurotten, und nicht darum, sie zum Vergnügen zu jagen, so bleibt das beste Mittel immer dasjenige, durch welches die meisten unschädlich gemacht werden. Diese Falle hier scheint mir recht sinnreich erdacht, um wilde Thiere anzulocken und gefangen zu halten, so mißtrauisch und stark sie auch sein mögen.«
»Da das Gleichgewicht des Fallbrettes, welches die Thüre hielt, gestört worden ist,« bemerkte Oberst Munro, »so glaube ich, daß sich wahrscheinlich irgend ein Raubthier gefangen hat.«
»Das werden wir bald erfahren!« rief Kapitän Hod, »und wenn die Maus nicht schon todt ist . . .«
Der Kapitän begleitete seine Worte mit einer entsprechenden Geste und knackte mit dem Hahne der Büchse. Die Uebrigen folgten seinem Beispiel, indem sie sich zum Schießen fertig machten.
Wir konnten gar nicht darüber in Zweifel sein, daß dieses hölzerne Blockhaus eine Falle darstelle, wie man sie in den Wäldern der Malayenländer häufiger antrifft.
Das Werk eines Hindus schien sie nicht zu sein, wohl aber ließ ihre höchst empfindliche und doch überaus solide Construction die Zweckmäßigkeit der ganzen Anlage auf den ersten Blick erkennen.
Nach kurzer Ueberlegung näherten sich Kapitän Hod, Fox und Goûni der Falle, um sie zuerst von allen Seiten zu besichtigen. Nirgends gewährte jedoch etwa eine Lücke zwischen den lothrechten Stämmen einen Einblick in das Innere derselben.
Sie lauschten gespannt. Nicht das leiseste Geräusch verrieth die Anwesenheit eines lebenden Wesens in dem Holzwürfel, der stumm wie ein Grab vor uns lag.
Kapitän Hod und die Anderen kamen wieder nach der Vorderseite zurück. Sie überzeugten sich davon, daß die bewegliche Bohle in den verticalen Fugen herabgeglitten sein mußte. Wenn man diese emporhob, wurde offenbar der Zugang zur Falle frei gelegt.
»Es ist nicht das mindeste zu hören!« sagte Kapitän Hod, der das Ohr an die Thür gelegt hatte, »nicht einmal ein Athemzug! Die Mäusefalle ist leer.«
»Jedenfalls keine Unvorsichtigkeit!« ermahnte Oberst Munro.
Er nahm auf dem Stamme eines Baumes zur Linken der Lichtung Platz, und ich setzte mich neben ihn.
»Nun vorwärts, Goûmi!« trieb Kapitän Hod.
Der gewandte, wie ein Affe bewegliche uud wie ein Leopard geschmeidige Goûmi – ein wahrer Hindu-Clown – verstand, was der Kapitän meinte. Seine Geschicklichkeit bestimmte ihn naturgemäß zu dem verlangten Dienste. Er schwang sich mit einem Satze auf das Dach der Falle und ergriff einen der Zweige, welche die obere Armatur bildeten. Dann glitt er auf dem Hebel nach dem Lianenringe vor, den er durch sein Körpergewicht bis zu dem Kopftheile der den Eingang verschließenden Bohle herabzog.
Dieser Ring wurde darauf in einem dazu ausgesparten flachen Einschnitte der Bohle befestigt. Nun bedurfte es nur noch der nöthigen Belastung am anderen Hebelende, um die Maschinerie in Bewegung zu setzen.
Das erforderte jedoch die vereinten Kräfte unserer kleinen Gesellschaft. Oberst Munro, Banks, Fox und ich, wir begaben uns deshalb nach der Rückseite der Falle, um diese Bewegung auszuführend
Goûmi verblieb in der Armatur, um den Hebel frei zu machen, wenn irgend ein Hinderniß dessen Function beeinträchtigen sollte.
»Wenn Sie mich noch brauchen,« rief Kapitän Hod uns zu, »so komme ich; geht es aber ohne mich, so bleibe ich lieber vor der Falle. Wenn ja ein Tiger herauskäme, soll ihn wenigstens eine Kugel begrüßen.«
»Und den würden Sie sich als zweiundvierzigsten anrechnen?« fragte ich den Kapitän.
»Warum nicht?« antwortete Hod, »wenn er durch meine Büchse fällt, findet er den Tod ja in der Freiheit!«
»Verkaufen wir das Fell des Bären,« fiel der Ingenieur da ein, »nicht eher, als bis er erlegt ist.«
»Vorzüglich, da dieser Bär ein Tiger sein dürfte!« fügte Oberst Munro hinzu.
»Nun faßt kräftig an, Alle zusammen!« rief Banks.
Die Bohle war sehr schwer und glitt nur schwierig in ihren Falzen, doch gelang es uns, sie zu bewegen. Bald schwebte sie etwa einen Fuß hoch über dem Boden.
Halbgebückt und die Büchse in Anschlag, bemühte sich Kapitän Hod, zu sehen, ob sich eine kräftige Tatze oder ein drohender Rachen an der Oeffnung der Falle zeigte, doch vergebens.
»Noch einen Ruck! rief Banks.
Mit Hilfe Goûmi's, der am hinteren Hebelende anfaßte, gelang es, die Bohle nach und nach höher zu ziehen. Bald wurde die Oeffnung weit genug, um auch einem größeren Raubthiere den Durchgang zu gestatten.
Aber kein Thier ließ sich sehen.
Noch erschien es möglich, daß der Gefangene sich bei dem, rings um die Falle entstandenen Geräusche vielleicht in die dunkelste Ecke derselben verkrochen hatte. Vielleicht lauerte das Thier nur auf den günstigen Augenblick, mit einem Satze heraus zu springen, Jeden, der ihm im Wege war, zu überrennen und in der Tiefe des Waldes zu verschwinden.
Es waren das Augenblicke der höchsten Spannung.
Da sah ich den Kapitän einige Schritte vortreten, den Finger an der Krappe der Büchse, wobei er sich bemühte, den ganzen Innenraum der Falle zu überblicken.
Die Bohle war schon ganz emporgezogen und das Licht drang in breitem Strahle durch die Oeffnung ein.
Jetzt vernahm man durch die Wände hindurch ein leises Geräusch, dann einen dumpfen Laut, wie ein furchtbares Gähnen, das mir sehr verdächtig erschien.
Ohne Zweifel war ein Thier hier, welches vorher schlief und das wir plötzlich geweckt hatten.
Kapitän Hod trat noch näher heran und richtete das Gewehr nach einer unbestimmten Gestalt, die sich im Halbschatten regte.
Plötzlich ward es in der Falle lebendig. Ein Schreckensruf erschallte und ihm folgten die in gutem Englisch gesprochenen Worte:
»Nicht schießen, um des Himmels willen! Nicht schießen!«
Gleich darauf trat ein Mann aus der Falle.
Unser Erstaunen war so groß, daß wir dir Armatur losließen, wodurch die Bohle zurückfiel und den Eingang auf's Neue verschloß.
Indessen ging die so unerwartet erschienene Persönlichkeit auf Kapitän Hod zu, dessen Büchse noch immer nach der Brust des Fremdlings zielte, und sagte in ziemlich bestimmtem, von einer emphatischen Handbewegüng begleitetem Tone:
»Wollen Sie gefälligst Ihr Gewehr aufrichten, mein Herr! Sie haben es hier nicht mit einem tarryanischen Tiger zu thun!«
»Mit wem haben wir denn die Ehre . . .?« fragte da Banks, auf den Mann zutretend.
»Mit dem Naturforscher Mathias Van Guitt, Hauptlieferanten von Pachydermen, Tardigraden, Proboscidien, Raub- und anderen Säugethieren für die Handlungen der Herren Charles Rice in London und Hagenbeck in Hamburg.«
Darauf wies er mit der Hand auf unseren Kreis.
»Und die Herren? . . .«
»Oberst Munro nebst dessen Reisegefährte«, antwortete Banks, uns summarisch vorstellend.
»Auf einer Vergnügungsfahrt durch die Forsten des Himalaya!« ergänzte der Händler gleich selbst. »Ein herrlicher Ausflug, wahrhaftig! Ich, mache Ihnen mein Compliment, meine Herren!«
Welch' ein Original hatten wir da vor uns? Hätte, man nicht glauben können, sein Gehirn habe durch die Einsperrung in der Falle etwas gelitten? War es ein Narr oder war der Mann bei Verstande? Welcher Kategorie von Zweihändern gehörte das Individuum an?
– Wir sollten das nicht nur erfahren, sondern diese Persönlichkeit, die sich für einen Naturforscher ausgab und in der That war, in der Folge auch noch weiter kennen lernen.
Herr Mathias Van Guitt, der Menagerien-Lieferant, trug eine Brille und mochte fünfzig Jahre zählen. Ein glattes Gesicht, blinzelnde Augen, eine gewaltige Nase, die ewige Bewegung des ganzen Körpers, seine jedem Satze, den er sprach, angepaßten, mehr als ausdrucksvollen Gesten drückten ihm unverkennbar den Stempel des bekannten alten Komödianten aus der Provinz auf. Wer ist nicht einmal solchen ergrauten Theaterhelden begegnet, deren ganzes, von dem Horizonte einer Rampe und eines Prospectes begrenztes Leben sich zwischen der »Hof-« und der »Gartenseite« eines wandernden Thespiskarrens abspielte? Unermüdliche Sprecher, gefährliche Gesticulatoren und höchst eingenommen für das werthe Ich, pflegen sie den nach rückwärts geworfenen Kopf möglichst hoch zu tragen, nur erscheint dieser im Alter oft so leer, daß man zur Ueberzeugung kommt, er werde auch im kräftigen Lebensalter nicht besonders gefüllt gewesen sein. In Mathias Van Guitt stak so ein Stückchen eines verwitterten Bretterhelden.
Ich habe einige Male die lustige Anekdote von einem armen Teufel von Sänger gehört, der jedes Wort seiner Rolle mit der entsprechenden grobsinnlichen Geste begleiten zu müssen glaubte.
So z. B. in der Oper »Masaniello« (d. i. die Stumme von Portici), bewegte er bei der in vollem Brustton herausposaunten Stelle:
Wenn aus einem Fischer von Neapel . . .
den gegen die Zuschauer ausgestreckten Arm so, als ob er an einem Angelhaken einen zappelnden Hecht hängen hätte. Dann weiter bei den Worten:
Der Himmel einen Fürsten machen wollte . . .
erhob er die Hand nach dem Zenith, um auf den Himmel hinzuweisen, während die andere, zur Verbildlichung der Königskrone einen Kreis um das edle Haupt beschrieb –
Würde er, ein Rebell gegen des Schicksals Rathschluß . . .
dabei schien er mit Gewalt einem auf ihn wirkenden Drucke Widerstand zu leisten –
Seine Barke weiter treibend rufen . . .
hierzu endlich bewegte er beide Arme lebhaft von rechts nach links und umgekehrt, als handhabte er einen Bootsriemen, um seine Geschicklichkeit in der Führung eines Fahrzeuges zu beweisen.
Ganz ähnliche Gewohnheiten, wie jener Sänger, hatte nun auch der Händler Mathias Van Guitt. Er schmückte seine Rede gern mit den gewähltesten Phrasen und konnte für den Zuhörer, der sich nicht außer dem Bereiche seiner Handbewegungen zu halten wußte, leicht gefährlich werden.
Wie wir später aus seinem eigenen Munde hörten, war Mathias Van Guitt ursprünglich Professor der Naturwissenschaften am Museum von Rotterdam, dem sein Lehrstuhl nicht zugesagt hatte. Offenbar regte das Auftreten des würdigen Mannes schon jener Zeit die Lachmuskeln besonders an, und wenn jemals Schaaren von Zuhörern zu seinem Katheder strömten, so wollten diese offenbar weniger lernen, als sich nur belustigen. Unter so bewandten Umständen hatte er sich, überdrüssig, theoretische Zoologie erfolglos vorzutragen, nach Indien begeben, um sich der praktischen Zoologie zu widmen. Diese Thätigkeit behagte ihm weit mehr und er schwang sich dabei zum wohlbestallten Lieferanten der großen Hamburger und Londoner Handelsfirmen empor, von denen die öffentlichen und privaten Menagerien der Alten und Neuen Welt ihren Bedarf zu decken pflegen.
Mathias Van Guitt befand sich augenblicklich in Tarryani, um eine umfassende Bestellung auf Raubthiere für Europa auszuführen. Sein Lagerplatz befand sich kaum zwei Meilen von der Stelle, wo wir ihn aus der Falle befreit hatten.
Wie war der Händler aber da hineingerathen? Diese Frage richtete Banks an ihn, und er gab darauf folgende, mit abwechslungsreichen Gesten illustrirte Antwort:
»Ja, das war gestern, die Sonne hatte schon den Halbkreis ihres täglichen Umlaufes vollendet. Da fiel es mir ein, eine der von mir eigenhändig errichteten Tigerfallen zu besichtigen. Ich verließ also meinen Kraal, den die Herren hoffentlich bald mit ihrem Besuche beehren werden, und gelangte nach dieser Waldblöße. Ich war allein; meine Leute hatten dringende Arbeiten vor und ich wollte sie nicht davon abhalten. Das war eine Unklugheit. Als ich zur Falle kam, überzeugte ich mich sogleich, daß die, die Thür bildende bewegliche Bohle noch aufgezogen war, und zog daraus die logische Schlußfolgerung, daß sich bis jetzt kein Raubthier gefangen haben könne. Indessen wollte ich mich überzeugen, ob der Köder sich noch vorfinde und ob der Hebel richtig und leicht functionire. Ich glitt also mit geschickter kriechender Bewegung durch den engen Eingang.«
Mathias Van Guitt's Hand erläuterte dabei durch eine elegante Wellenbewegung etwa das Schleichen einer Schlange durch das hohe Gras.
»Im Innern der Falle angelangt,« fuhr der Händler fort, »prüfte ich das Ziegenviertel, dessen Ausdünstung die Bewohner dieses Theiles des Waldes anlocken sollte. Der Köder erwies sich unberührt. Eben wollte ich umkehren, als ein Stoß meines Armes das Spiel des Hebels auslöste: die Klappe fiel nieder, und ich saß, ohne jede Möglichkeit, daraus entkommen zu zu können, in meiner eigenen Falle gefangen.«
Mathias Van Guitt schwieg einen Augenblick, um den ganzen Ernst seiner fatalen Lage zu kennzeichnen.
»Immerhin, meine Herren,« nahm er seine Rede wieder auf, »muß ich gestehen, daß ich die Sache anfänglich von ihrer komischen Seite auffaßte. Ich war eingesperrt, richtig! Hier gab es keinen Stockmeister, um die Thüre des Kerkers zu öffnen, auch wahr! Aber ich sagte mir, daß meine Leute, wenn ich ihnen allzu lange ausbliebe, Nachforschungen anstellen würden, die ja nicht ohne Erfolg bleiben konnten. Das Ganze erschien mir nur als eine Frage der Zeit.
»Was soll man in einer Herberge wohl anderes thun als schlafen? sagt ein französischer Erzähler. Ich schlief also ein, und so verflossen zwei Stunden ohne Veränderung meiner Situation. Der Abend sank hernieder, der Hunger meldete sich. Das Beste, was ich thun zu können glaubte, war, ihn durch Schlaf hinweg zu täuschen. Ich handelte als Philosoph und verfiel in tiefen Schlaf. Die Nacht war still; im Walde regte sich nichts. Mein Schlummer blieb ungestört, und vielleicht schliefe ich noch, wenn mich nicht ein ungewohntes Geräusch geweckt hätte. Die Klappe der Falle stieg langsam empor, das Licht des Tages brach sich Bahn in meinem dunklen Schlupfwinkel, und ich brauchte nur herauszutreten . . . Den Schreck können Sie sich vorstellen, als ich da das Mordinstrument auf meine Brust gerichtet sah. Noch einen Augenblick und ich war von einer Kugel durchbohrt! Die Stunde meiner Befreiung wäre die letzte meines Lebens gewesen! . . . Der Herr Kapitän beliebte aber in mir noch rechtzeitig ein Wesen seiner eigenen Gattung zu erkennen, und so habe ich Ihnen, meine Herren, nur noch den verbindlichsten Dank für meine Erlösung auszusprechen!«
So lautete die Erzählung des Händlers. Ich gestehe, daß wir uns nur mit Mühe bemeistern konnten, das Lachen zu unterdrücken, welches seine Worte und Gesten unwillkürlich erregten.
»Ihr Lagerplatz,« fragte Banks, »ist also in diesem Theile Tarryanis aufgeschlagen?«
»Ja, mein Herr,« bestätigte Mathias Van Guitt. »Wie ich schon die Ehre hatte, Ihnen mitzutheilen, liegt mein Kraal kaum zwei Meilen von hier entfernt, und wenn Sie diesen mit Ihrer Gegenwart beehren wollen, wird es für mich ein Vergnügen sein, Sie daselbst zu empfangen.«
»Gewiß, Herr Van Guitt,« versicherte Oberst Munro, »wir werden nicht verfehlen, unseren Besuch abzustatten.«
»Wir sind Jäger,« fügte Kapitän Hod hinzu, »und die Einrichtung eines Kraals hat für uns ein natürliches Interesse.«
»Jäger!« rief Mathias Van Guitt, »Jäger!«
Sein Gesicht nahm unverkennbar einen Ausdruck an, der uns sagte, daß er die Söhne Nimrod's nicht allzu hoch schätzte.
»Sie jagen Raubthiere . . . natürlich, um sie zu tödten?« fuhr er, gegen den Kapitän gewendet, fort.
»Einzig und allein, um sie zu tödten,« erklärte Hod.
»Und ich einzig und allein, um sie zu fangen!« versetzte der Händler, der sich bei diesen Worten stolz in die Brust warf.
»Nun, Herr Van Guitt,« erwiderte Kapitän Hod, »da werden wir uns ja keine Concurrenz machen!«
Der Händler schüttelte den Kopf. Jedenfalls veranlaßte ihn unsere Eigenschaft als Jäger nicht, direct auf seine Einladung zurückzukommen.
»Wenn die Herren mir folgen wollten!« sagte er nur mit graziöser Verneigung.
In diesem Augenblicke ließen sich im Walde verschiedene Stimmen vernehmen und ein halbes Dutzend Hindus kamen um eine Ecke der Straße, welche von der Lichtung ausging.
»Ah, da sind meine Leute!« sagte Mathias Van Guitt.
Dann trat er näher an uns heran, legte den Finger auf den Mund und flüsterte uns halblaut zu:
»Bitte, kein Wort von meinem Abenteuer! Die Leute aus dem Kraal brauchen nicht zu wissen, daß ich mich wie ein Raubthier in eigener Falle fangen ließ. Das könnte das Ansehen vermindern, welches ich mir in deren Augen immer bewahren muß!«
Ein zusagendes Zeichen unsererseits beruhigte den Händler.
»Herr,« begann da einer der Hindus, dessen ruhiges und doch intelligentes Gesicht meine Aufmerksamkeit erregte, »Herr, schon über eine Stunde lang suchen wir Sie, ohne . . .«
»Ich war bei diesen Herren, welche mich nach dem Kraal begleiten wollen,« fiel ihm Mathias Van Guitt in's Wort; »bevor wir aber aufbrechen, bringt mir die Falle wieder in Ordnung!«
Die Hindus gehorchten willig dem Befehle des Händlers.
Inzwischen lud uns Mathias Van Guitt ein, das Innere der Falle in Augenschein zu nehmen. Kapitän Hod schlüpfte nach ihm hinein und ich folgte Beiden nach.
Der Raum war etwas beschränkt für die Entwickelung der Gesten unseres Wirthes, der damit so freigebig war, als ob er sich in einem Salon befände.
»Ich zolle Ihnen alle Achtung,« sagte Kapitän Hod, nachdem er sich den Apparat angesehen, »das ist wirklich recht sinnreich!«
»Das dürfen Sie glauben, Herr Kapitän,« antwortete Mathias Van Guitt. »Diese Art von Fallen ist den früheren, mit Pfählen aus hartem Holze versehenen Gruben und den bogenförmig herabgezogenen elastischen Zweigen mit Laufknoten beiweitem vorzuziehen. Im ersteren Falle spießt das Thier sich auf, im zweiten Falle erwürgt es sich. Wenn es nur darauf ankommt, die reißenden Thiere auszurotten, so ist das ja ziemlich gleichgiltig. Ich aber, wie ich hier mit Ihnen rede, ich brauche jene lebendig und unverletzt, ohne jegliche Werthverminderung!«
»Alles in Allem,« bemerkte Kapitän Hod dagegen, »verfahren wir Beide nicht auf gleiche Weise.«
»Aber ich wahrscheinlich besser als Sie!« versetzte der Händler. »Wenn man die Raubthiere fragen könnte . . .«
»Ja, ich befrage sie aber nicht!« erwiderte der Kapitän.
Kapitän Hod und Mathias Van Guitt hatten entschieden einige Mühe, sich zu verständigen.
»Aber,« fragte ich den Händler, »wenn sich nun ein Thier in solch' einer Falle fing, wie bringen Sie es in Gewahrsam?«
»Dazu wird ein fahrbarer Käfig vor die Oeffnung gebracht,« erklärte Mathias Van Guitt, »in den sich die Gefangenen selbst hineinstürzen, und ich brauche sie dann nur, ruhig und sicher von meinen zahmen Büffeln gezogen, nach dem Kraal zu schaffen!«
Kaum hatte er diese Worte vollendet, als wir von außen her ein lautes Geschrei vernahmen.
Was mochte da geschehen sein?
Eben hatte ein Hindu eine Peitschenschlange von der gefährlichsten Art mit einem dünnen Stocke in zwei Theile getrennt, als sich das giftige Reptil gerade auf den Oberst Munro zuschlängelte.
Es war derselbe Hindu, der mir schon vorher auffiel. Sein rasches, entschlossenes Handeln hatte Sir Edward Munro von einem unerwarteten schnellen Tode gerettet, wie wir selbst zu sehen Gelegenheit hatten.
Der zu unseren Ohren dringende Schrei rührte nämlich von einem Diener aus dem Kraal her, der sich im letzten Todeskampfe auf dem Boden wälzte.
Durch ein bedauernswertes Mißgeschick war der glatt abgehauene Kopf der Schlange dem Armen an die Brust geflogen, die Zähne bohrten sich hier noch ein, und der Unglückliche hauchte, das entsetzliche Gift in den Adern, in kaum einer Minute sein Leben aus, ohne daß wir im Stande gewesen wären, ihn zu retten.
Zuerst erstarrt vor Schreck über dieses gräßliche Schauspiel, eilten wir dann sofort auf den Oberst Munro zu.
»Du bist doch nicht verletzt?« fragte Banks, der seine Hand besorgt ergriff.
»Nein, Banks, beruhige Dich!« antwortete Sir Edward Munro.
Dann erhob er sich und ging auf den Hindu, seinen Lebensretter zu.
»Ich danke Dir, mein Freund!« sagte er.
Der Hindu gab durch eine Bewegung zu verstehen, daß er für seine That keinen besonderen Dank verdient habe.
»Wie ist Dein Name?« fragte ihn Oberst Munro.
»Kâlagani!« antwortete der Hindu.