Jules Verne
Die Meuterer von der »Bounty«
Jules Verne

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Capitel.

Die Aussetzung.

Kein Lufthauch weht, kein Fältchen kräuselt das weite, weite Meer, kein Wölkchen irrt über den klaren Himmel. Die glänzenden Sternbilder der südlichen Halbkugel leuchten in unvergleichlicher Reinheit. Schlaff hängen die Segel der »Bounty« an den Masten des unbewegten Schiffes, und das Licht des Mondes, das vor der allmälig heraufdrängenden Morgenröthe erblaßt, schimmert geisterhaft im grenzenlosen Raume.

Die »Bounty«, ein Schiff von 250 Tonnen mit einer Besatzung von 46 Mann, hatte Spithead am 23. December 1787 verlassen unter dem Befehle des Kapitäns Bligh, eines erfahrenen, aber etwas rohen Seemannes, der den berühmten Cook bei dessen letzter Entdeckungsreise begleitet hatte.

Die »Bounty« war bestimmt, den auf Tahiti in großen Mengen vorkommenden Brotfruchtbaum nach den Antillen überzuführen. Sechs volle Monate lag William Bligh damals in der Bai von Matavaï, um etwa tausend Stück jener Bäume zu laden, und schlug nun, nach kurzem Aufenthalt bei den Inseln der Freunde, den Weg nach Westindien ein.

Schon wiederholt hatte der mißtrauische und jähzornige Charakter des Kapitäns zwischen diesem und einigen seiner Officiere sehr unangenehme Auftritte hervorgerufen. Die Ruhe, welche am 27. April 1787 bei Sonnenaufgang an Bord der »Bounty« herrschte, ließ jedoch die sehr ernsten Vorkommnisse, welche so bald eintreten sollten, nicht im Mindesten voraussehen.

Alles erschien so friedlich, als sich plötzlich auf dem ganzen Schiffe eine unerwartete Bewegung bemerkbar machte. Einzelne Matrosen traten zusammen, wechselten einige flüchtige Worte und verschwanden wieder geräuschlosen Schrittes.

Gilt es nur der Ablösung der Morgenwache? Ist auf dem Schiffe sonst etwas geschehen?

»Vor Allem keinen Lärm, meine Freunde,« sagt Fletscher Christian, der zweite Officier der »Bounty«, halblaut. »Ihr, Bob, ladet Eure Pistole, doch schießt nicht ohne meinen Befehl. Ihr, Churchill, nehmt die Axt und sprengt nöthigenfalls damit die Thür zur Kapitäns-Cabine. Doch, ich wiederhole es, ich muß ihn lebend haben!«

Gefolgt von zehn mit Säbeln, Seitengewehren und Pistolen bewaffneten Matrosen, glitt Christian nach dem Zwischendeck hinab; hier blieb er, nach Ausstellung zweier Wachen vor der Cabine des Stewards und Peter Heywood's, des Hochbootsmannes und Midshipmans der »Bounty«, vor der Thüre des Kapitäns stehen.

»Nun frisch, Jungens,« rief er, »stemmt die Schultern an!«

Die Thür gab unter dem gemeinsamen Druck nach und die Matrosen drangen in die Cabine ein.

Vielleicht erschreckt durch die darin herrschende Dunkelheit oder dadurch, daß ihnen unwillkürlich das Gesetzwidrige ihrer Handlungsweise in den Sinn kam, zögerten sie einen Augenblick.

»Hollah! Was giebt es? Wer erfrecht sich . . .? rief der Kapitän, von seinem Lager aufspringend.

»Ruhe, Bligh!« fiel ihm Churchill in's Wort. »Ruhe, oder ich lasse Dich knebeln!«

»Brauchst Dich nicht erst anzuziehen,« fügte Bob hinzu. »Du wirst schon gut genug aussehen, wenn Du an der Besan-Gaffel baumelst.«

»Bindet ihm nur die Hände auf den Rücken, Churchill,« mahnte Christian, »und laßt ihn nach dem Deck aufholen.«

»Der schlimmste Kapitän ist doch nicht im Geringsten zu fürchten, wenn man nur richtig mit ihm umzuspringen weiß!« bemerkte John Smith, der Philosoph der Bande.

Darauf stieg die ganze Rotte, ohne sich darum zu kümmern, ob die noch schlafenden Matrosen der letzten Wache darüber munter würden, die Treppe hinauf und erschien wieder auf dem Deck.

Es war eine ganz regelrechte Meuterei. Nur einer der Bordofficiere, ein Midshipman Young, hatte mit den Rebellen gemeinschaftliche Sache gemacht.

Die unschlüssigen Leute von der Besatzung mußten für den Augenblick nachgeben, während die übrigen aus Mangel an Waffen und an einem Anführer nur die Zuschauer des Dramas blieben, das sich vor ihren Augen abspielen sollte.

Schweigsam standen jetzt Alle auf dem Deck; sie beobachteten die zuversichtliche Haltung ihres Kapitäns, der halbbekleidet mit erhobenem Haupte durch die Männer ging, die sonst vor ihm erzitterten.

»Bligh,« begann da Christian mit rauher Stimme, »Ihr seid hiermit von Eurem Commando abgesetzt.«

»Dazu habt Ihr kein Recht . . .,« erwiderte der Kapitän.

»Jetzt ist keine Zeit zu unnützen Erörterungen,« rief Christian, Bligh unterbrechend. »Ich bin augenblicklich der Vertreter für die gesammte Mannschaft der ›Bounty‹. Wir hatten England noch nicht verlassen, als wir schon Ursache hatten, uns über Eure beleidigenden Verdächtigungen, Euer rohes Auftreten zu beklagen. Wenn ich sage ›wir‹, so gilt das von den Officieren ebensogut wie von den Matrosen. Weder haben wir jemals die uns zukommende Genugthuung erlangen können, Ihr habt auch alle unsere Klagen verächtlich abgewiesen. Sind wir denn Hunde, um uns jeden Augenblick auf die gemeinste Weise beschimpfen und mißhandeln zu lassen? Canaillen, Räuber, Lügner, Diebe . . . Euch war kein Ausdruck stark genug, keine Beleidigung schwer genug für uns! Wahrlich, man müßte eben kein Mensch sein, um ein solches Leben zu ertragen! Und habt Ihr etwa mich, Euren Landsmann, mich, der Eure Familie kennt und schon zwei große Reisen unter Eurem Befehle mitmachte, etwa damit verschont? Habt Ihr mich nicht erst gestern noch beschuldigt, ein Paar erbärmliche Früchte gestohlen zu haben? Und nun gar die Leute! Für ein Nichts in Eisen gelegt! Wegen einer Kleinigkeit vierundzwanzig mit dem Tauende! O, es bezahlt sich Alles in der Welt! Ihr seid uns gegenüber gar zu freigebig gewesen; jetzt, Bligh, kommt die Reihe an uns! Eure Beschimpfungen, Ungerechtigkeiten, alle die sinnlosen Beschuldigungen, die moralischen und physischen Qualen, die Ihr seit anderthalb Jahren auf Eure Mannschaft häuftet, jetzt sollt Ihr sie büßen, und zwar hart. Kapitän, Ihr seid von Denen gerichtet, die Ihr maßlos beleidigtet, und Ihr seid verurtheilt worden. – Ist es nicht so, Kameraden?«

»Ja, ja, zum Tode verurtheilt!« riefen die meisten Matrosen mit drohenden Geberden gegen den früheren Kapitän.

»Einige waren der Ansicht, Kapitän Bligh,« fuhr Christian fort, »Euch zwischen Himmel und Wasser an einem Strick aufzuhissen. Andere schlugen vor, Euch mit der neunschwänzigen Katze zu Tode zu peitschen. Doch nein, denen fehlt es an Phantasie. Da bin ich auf etwas Besseres gekommen. Uebrigens seid Ihr hier nicht der einzige Schuldige. Diejenigen, welche Eure Befehle, und wenn sie noch so grausamer Art waren, stets getreulich ausführten, würden doch nur mit größtem Widerwillen unter mir weiter dienen. Auch diese haben verdient, Euch zu folgen, wohin der Wind Euch treiben mag. – Die Schaluppe klar!«

Die letzten Worte Christian's riefen zunächst ein unwilliges Gemurmel hervor, der darauf jedoch wenig zu achten schien. Kapitän Bligh, welchen auch jene Drohungen nicht aus der Fassung zu bringen vermochten, benutzte die augenblickliche Pause, um selbst das Wort zu ergreifen.

»Officiere und Matrosen,« begann er mit fester Stimme, »in meiner Eigenschaft als Officier der königlichen Marine und Befehlshaber der ›Bounty‹ protestire ich feierlich gegen die Behandlung, die Ihr mir angedeihen laßt. Habt Ihr begründete Ursache, Euch über die Art und Weise meiner Führung zu beklagen, so laßt mich durch ein regelrechtes Kriegsgericht aburtheilen. Ihr habt offenbar nicht überlegt, welch' verbrecherische Wege Ihr wandelt. Wenn Ihr die Hand erhebt gegen Euren Kapitän, empört Ihr Euch gegen geheiligte Gesetze, macht Ihr Euch jede Rückkehr in die Heimat unmöglich und setzt Euch der Gefahr aus, als Seeräuber betrachtet zu werden! Früher oder später bedroht Euch ein schimpflicher Tod, der Tod der Verräther und Rebellen! Im Namen Eurer Ehre und des Gehorsams, den Ihr mir geschworen, ermahne ich Euch, zur Pflicht zurückzukehren!«

»Welche Gefahren uns drohen, wissen wir schon allein!« antwortete Churchill.

»Genug der Worte!« rief die Mannschaft, bereit nun, zu Thaten überzugehen.

»Nun denn,« sagte Bligh, »wenn Ihr ein Opfer haben wollt, so laßt es mich sein, mich allein! Die Anderen, welche Ihr in sinnloser Verblendung mit verdammt, haben ja nur meine Befehle ausgeführt, also selbst nichts verbrochen!«

Ein wüstes Geschrei übertönte die Stimme des Kapitäns, der darauf verzichten mußte, diese unerbittlichen Herzen zu rühren.

Inzwischen war Alles bereit gemacht worden, die Befehle Christian's auszuführen.

Da entstand noch eine lebhafte Unterhandlung zwichen dem zweiten Officier und einigen der meuterischen Matrosen, welche Kapitän Bligh und seine Helfershelfer gänzlich unbewaffnet und ohne die geringste Nahrung ausgesetzt wissen wollten.

Einzelne – und darunter vorzüglich Churchill – meinten, es sollten noch mehr, als bestimmt war, von dem Schiffe entfernt werden. Man müsse sich aller Leute entledigen, sagte er, die sich dem Complot nicht angeschlossen hätten, also nicht als verläßlich zu betrachten seien. Es sei nur allein auf Die zu rechnen, welche sich mit den vollendeten Thatsachen allseitig einverstanden erklären. Er selbst fühle noch die Knutenhiebe auf dem Rücken, die er erhalten, als er auf Tahiti habe entweichen wollen. Das beste und sicherste Mittel, ihn bald zu heilen, sei das, ihm den Commandanten auszuantworten! . . . Er werde sich schon auf eigene Hand zu rächen wissen!

»Hayward! Hallett!« rief Christian, sich an die genannten beiden Officiere wendend, ohne der Reden Churchill's zu achten, »steigt in die Schaluppe hinab!«

»Was that ich Euch zu Leide, Christian, um eine solche Behandlung zu verdienen?« fragte Hayward. »Ihr schickt mich in den Tod!«

»Jeder Widerspruch ist unnütz! Wollt Ihr gehorchen oder nicht? . . . Fryer, Ihr macht Euch ebenfalls fertig!«

Statt sich in die Schaluppe zu begeben, näherten sich diese Officiere dagegen dem Kapitän Bligh, und Fryer, scheinbar der entschlossenste derselben, neigte sich zu ihm mit den Worten:

»Commandant, wollen Sie versuchen, sich des Schiffes wieder zu bemächtigen? Freilich sind wir ohne Waffen, doch werden die Meuterer uns kaum zu widerstehen wagen. Was thut es, ob der oder jener von uns dabei fällt? Der Versuch ist zu wagen. Was meinen Sie dazu?«

Schon wollten sich die Officiere auf die Empörer stürzen, die damit beschäftigt waren, die Schaluppe vollends in's Meer zu setzen, als Churchill, dem jene flüchtigen Worte nicht entgangen waren, sie mit einigen wohlbewaffneten Leuten umringte und mit Gewalt in die Schaluppe beförderte.

»Millward, Muspratt, Birket und Ihr Uebrigen,« sagte Christian zu einigen an der Meuterei unbetheiligt gebliebenen Matrosen, »geht nach dem Zwischendeck und nehmt mit, was Ihr da an Werthgegenständen habt! Ihr werdet Kapitän Bligh begleiten. Du, Morrison, überwachst mir die Kerle! Und Ihr, Purcell, holt Euer Zimmermanns-Handwerkzeug; ich gestatte Euch, es mitzunehmen.«

Zwei Masten mit den nöthigen Segeln, einige Nägel, eine Säge, ein halbes Stück Segelzeug, vier kleine Fässer mit zusammen 125 Liter Wasser, 150 Pfund Schiffszwiback, 32 Pfund Salzfleisch, 6 Flaschen Wein, ebensoviel Rum und die Liqueurvorräthe des Kapitäns, das war Alles, was man den Ausgesetzten mit auf den Weg gab. Zuletzt warf man ihnen noch einige alte Säbel zu, verweigerte ihnen aber jede Feuerwaffe.

»Wo sind denn Heywood und Stewart?« fragte der Kapitän noch aus der Schaluppe herauf. »Haben sie mich verrathen?«

Die Genannten waren dessen nicht schuldig, doch Christian beabsichtigte, Beide an Bord zu behalten.

Jetzt überfiel den Kapitän doch eine gewiß verzeihliche Anwandlung von Mutlosigkeit und Schwäche, die indeß nicht lange andauerte.

»Christian,« redete er diesen noch einmal an, »ich verpfände Euch mein Ehrenwort, alles Vorgefallene zu vergessen, wenn Ihr von diesem unmenschlichen Beschlusse absteht! Ich flehe Euch an, denkt an mein Weib, an meine Familie; was soll aus ihnen werden, wenn ich nicht mehr bin?«

»Hättet Ihr Ehre im Leibe,« erwiderte Christian, »so wäre es nicht dahin gekommen, wie es jetzt steht. Hättet Ihr nur selbst mehr an Eure Frau, Eure Familie und an die Angehörigen der Anderen gedacht, so konntet Ihr gar nicht so hart, so ungerecht gegen uns handeln!«

Auch der Bootsmann versuchte noch, als er in die Schaluppe trat, Christian zu erweichen. Vergebens.

»Ich habe zu viel, zu lange gelitten,« antwortete Letzterer mit Bitterkeit, »Ihr wißt nicht, was ich erduldete! Nein, das konnte keinen Tag mehr so fortgehen! Und übrigens wißt Ihr wohl nicht, daß ich, als zweiter Officier, während der ganzen Reise wie ein Hund behandelt wurde! – Wenn ich mich jetzt von dem Kapitän Bligh befreie, den ich wahrscheinlich von Angesicht zu Angesicht nie wieder sehe, so will ich ihm, aus Mitleid, doch nicht jede Aussicht auf Rettung rauben. – Smith, geht nach der Kabine des Kapitäns und bringt ihm seine Kleidung, sein Patent, das Journal und sein Portefeuille. Dazu mag er meine Seekarten und meinen eigenen Sextanten erhalten. So wird es ihm vielleicht möglich werden, sich und seinen Gefährten auch in dieser bedenklichen Lage zu helfen!«

Christian's Anordnungen wurden, nicht ohne einigen Widerspruch, zur Ausführung gebracht.

»Und nun, Morrison, laß die Leine schießen,« rief der zweite Officier, jetzt der Erste des Fahrzeugs, »und möge Gott Euch gnädig sein!«

Während die Meuterer dem Kapitän Bligh und dessen unglücklichen Gefährten ein spöttisches Lebewohl zuriefen, konnte Christian, der an der Schanzkleidung lehnte, die Augen von der sich entfernenden Schaluppe nicht abwenden. Der brave Officier, dessen bisher so loyales und freimüthiges Verhalten ihm das Lob aller Befehlshaber, unter denen er gedient, erworben hatte, war heute doch weiter nichts als der Anführer einer Bande von Seeräubern! Ihm war es nicht mehr vergönnt, seine bejahrte Mutter, die trauernde Braut oder die Ufer der Insel Man, seiner Heimat, je wiederzusehen. Er fühlte sich gesunken in der eigenen Achtung, entehrt in den Augen aller Anderen! Die Reue folgte schon auf dem Fehltritt!


 << zurück weiter >>