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Liselotte saß vor ihrer Tasse und schnitt ein Gesicht. Sie schnupperte wie ein Hündchen an dem bräunlichen Getränk und legte dann mit plötzlichem Widerwillen den Löffel hin.
»Kind,« sprach die Mutter streng, die das unartige Gebaren des Töchterchens beobachtet hatte, »nimm die Tasse und trink deinen Kakao. Alle Kinder mögen Kakao gern, nur mit dir habe ich jeden Abend den gleichen Aerger.«
Liselotte rührte langsam in der Tasse herum.
Sie blickte auf die dicke Haut, die sich allmählich auf dem Abendtrank bildete und rümpfte das Näschen.
Nein – sie konnte das gräßliche Zeug nicht trinken – sie mochte es zu ungern!
»Wenn du deinen Kakao nicht trinkst, Liselotte, dann wächst dir ein Kakaobaum aus dem Magen heraus«, drohte die Mutter.
Das kleine Mädchen lachte. Die Sache kam ihr spaßig vor. Aber als sie sah, daß die Mutter ein sehr ernstes Gesicht machte, wurde es ihr doch nicht so recht geheuer.
Sie griff nach dem Löffel, kniff die Augen zu, als ob sie Medizin nehmen sollte, und schob ganz geschwind einen Teelöffel voll in den Mund.
Brrr – schmeckte das gräßlich – Liselotte würgte und würgte. Mehr konnte sie wirklich nicht davon trinken, Mutter würde ihr schon etwas anderes zum Abendbrot geben.
Aber Mutter blieb fest.
»Trinkst du deinen Kakao nicht, mußt du hungrig zu Bette gehen, und außerdem – denk an den Kakaobaum!« warnte sie.
Ach was – der dumme Kakaobaum – Mutter wollte ihr gewiß nur Angst machen, versuchte Liselotte das unruhige Pochen ihres Herzchens zu beschwichtigen.
Mit hungrigem Magen lag sie im Bett und fühlte alle Augenblick nach, ob der Kakaobaum auch bloß noch nicht wachse.
Aber schließlich fielen ihr doch vor Müdigkeit, trotz ihrer Furcht, die Augen zu. – – –
O Jammer – am andern Morgen, da schaute ein winzig grünes Zweiglein aus ihrem Nachtrock hervor. Weinend riß und zerrte Liselotte daran, so weh es auch tat – vergebens, das Zweiglein saß fest.
Da schlich sich das kleine Mädchen heimlich an Mutters Nähtisch, nahm die Schere und schnipp – schnapp – schnitt sie das Zweiglein herunter.
Hurra – nun war sie den Kakaobaum los – mit leichtem Herzen machte sich Liselotte auf den Weg zur Schule.
Dachte denn das kleine dumme Mädel gar nicht daran, daß ja die Wurzel noch im Magen stecken geblieben?
Nein – mit Seelenruhe saß sie in der Rechenstunde und schrieb gerade das Einmaleins mit der Fünf nieder, als sie ein merkwürdiges Jucken in der Magengegend verspürte.
Ei – schon wieder Hunger – sie hatte doch soeben erst ihr Frühstücksbrot verzehrt.
Aber das Jucken wurde stärker, jetzt begann der Magen ärgerlich zu knurren, so laut, daß die Lehrerin zum Fenster lief, ob es draußen gewittere.
Liselotte aber schielte entsetzt auf ihre Matrosenbluse herab. Da steckte ein winziges Zweiglein sein Köpfchen fürwitzig aus dem obersten Knopfloch heraus – o Schrecken – der Kakaobaum fing wieder an zu wachsen.
Und ob das kleine Mädchen auch die Hände auf das Zweiglein preßte – es wuchs und wuchs mit unheimlicher Geschwindigkeit. Schon streckte es seine spitzen grünen Blätter durch Liselottes Finger hindurch – jetzt reichte es ihr bis zum Mund, jetzt stieß sie mit dem Näschen dagegen, und nun wölbte er sich wie ein niedlicher grüner Hut über ihren blonden Krauskopf.
Die Schulkinder ringsum aber rückten von Liselotte ab, sahen mit scheuen Augen auf sie und flüsterten: »Die hat ihren Kakao nicht getrunken – der wächst ein Kakaobaum aus dem Magen!«
Und als das kleine Mädchen die Mappe auf den Rücken schnallen wollte, stieß sie überall gegen ein Zweiglein, nach allen Seiten hin streckte der gräßliche Kakaobaum seine Äste. So groß war er jetzt schon geworden, daß Liselotte wie unter einem Regenschirm die Straßen entlangjagte. Denn überall blieben die Leute stehen und wiesen mit Fingern auf sie.
Daheim aber saß die Mutter und weinte, daß ihr Kind für immer mit einem Baum herumlaufen mußte.
Am Abend ließ Liselotte wieder ihren Kakao stehen. Nun war ja der Baum doch schon einmal gewachsen, nun kam es ja schon nicht mehr darauf an. Als aber das Bäumchen sah, daß Liselotte ihren Kakao nicht trinken mochte, da reckte es seine Zweige und wuchs und wuchs, daß es wie eine große Laube seine Äste über sie breitete.
Liselotte wurde ganz müde von der schweren Last, die auf ihren kleinen Magen drückte. Sie wollte sich ins Bett legen, doch – o weh – der Kakaobaum war zu groß geworden – er stieß mit dem grünen Wipfel gegen die Zimmerdecke.
So mußte Liselotte auf der harten Erde schlafen.
Und noch immer hörte der Kakaobaum nicht mit Wachsen auf.
Am nächsten Morgen, da war auch das Häuschen, in dem Liselotte wohnte, für ihn zu klein geworden. Das arme Kind mußte fort von Vater und Mutter, sonst hätte der böse Kakaobaum das ganze Häuschen umgerissen.
Ach – wo sollte sie nun hin?
Selbst die Kirchentür war nicht hoch genug für ihren Baum – weinend lief sie in den Wald.
Die Bäume wenigstens würden sie nicht auslachen, wie die bösen Menschen in der Stadt, hier im großen, fremden Walde war sie jetzt zu Hause.
Sie stellte sich mitten unter dunkelgrüne Tannen und lichte Eichenbäume und sagte freundlich: »Guten Tag, meine Herrschaften, darf ich bei Ihnen bleiben?«
Aber die Tannen rafften ihr Nadelkleid zusammen und zogen sich hochmütig zurück, und die Eichen flüsterten:
»Wer nicht trinkt den Kakao sein,
Der darf hier in den Wald nicht rein!«
»Aber wo soll ich denn bloß hin?« jammerte Liselotte, »wenn ihr mich sogar verstößt. Es dunkelt schon, wenigstens diese Nacht laßt mich hier bleiben.«
Die Bäume des Waldes nickten zustimmend mit dem grünen Haupt.
So legte sich Liselotte unter ihren Kakaobaum zum Schlummer nieder, sprach ihr Nachtgebet und horchte ängstlich, ob auch keine wilden Tiere kämen.
Da – was war das – ein leises Knacken in den Zweigen ihres Baumes. Liselotte blinzelte herzklopfend, was das wohl für ein Ungetüm wäre.
Vorläufig konnte sie bei den zittrigen Mondstrahlen nur einen langen, rötlichen Schweif erkennen. Lieber Gott, sollte am Ende ein Löwe in ihren Kakaobaum gesprungen sein?
Nein – das kleine Mädchen atmete auf – es war nur ein harmloses Eichhörnchen, das bescheiden an die Rinde ihres Kakaobaumes pochte. »Was wünschen Sie?« fragte Liselotte schläfrig.
»Entschuldigen Sie, liebes Fräulein« – Liselotte wurde ganz munter als man sie »Sie« und »Fräulein« anredete – »ich bin ein armer wandernder Handwerksbursche und habe mich im Walde verirrt. Das Gasthaus zur grünen Tanne und der Eichenkrug sind bereits geschlossen, würden Sie mir nicht in Ihrem Baum Nachtquartier geben?«
Liselotte war froh, daß sich jemand an sie heranwagte und nicht wie alle andern vor ihrem Kakaobaum Reißaus nahm, so sagte sie höflich: »Bitte schön, machen Sie sich's nur bequem, aber nehmen Sie sich in acht, daß Sie sich nicht an den spitzen Blättern stechen.«
Das Eichhörnchen dankte, und bald schnarchte es mit Liselotte um die Wette.
Früh am andern Morgen, als die Lerche den ganzen Wald weckte, schlug auch Liselotte die Augen auf.
Mußte sie denn heute nicht erst um neun in die Schule – ach Gott, sie war ja nicht daheim, sie lag ja im fremden Wald mit einem großen Kakaobaum auf dem Magen – ihr ganzes Elend stand ihr wieder vor Augen. Große Tränen rannen ihr die Bäckchen herab. Da fühlte sie plötzlich etwas Weiches am Gesicht, das war, wie wenn die Mutter daheim ihrem Liebling zärtlich die Tränen trocknete.
Überrascht blickte Liselotte auf.
Das Eichhörnchen war von Ast zu Ast gesprungen, den glatten Baumstamm hinuntergerutscht und wischte ihr jetzt mit seinem langen Puschelschwanz mitleidig die Tränen von den Wangen.
»Warum weinen Sie, liebes Fräulein?« fragte es teilnehmend.
Da erzählte ihm Liselotte stockend ihre Geschichte.
»Jetzt wird es mich wohl auch verachten und vor mir davonlaufen«, dachte die Kleine betrübt.
Aber das Eichhörnchen blieb zutraulich sitzen und blickte mit klugen Augen auf das weinende Kind.
»Wie gern wollte ich jetzt meinen Kakao trinken,« schloß Liselotte traurig ihre Erzählung, »wenn ich nur den alten Baum wieder los werden könnte.«
Das Eichhörnchen überlegte.
»Ich bin auf meiner Wanderschaft viel herumgekommen, da hörte ich auch einmal von einem Land, das weit weg über dem großen Meer liegen soll. »Kakaoland« ist es geheißen, dort wachsen die Kakaobäume, sicherlich stammt auch der Ihrige dort her. Sie müssen das Kakaoland suchen, liebes Fräulein, vielleicht können Sie Ihren Baum dort lassen.«
Liselotte machte ein bestürztes Gesicht und verzog schon wieder weinerlich den Mund. »Was – ganz allein soll ich über das große Meer in das fremde Land reisen – nein – das kann ich nicht – ich bin ja erst sieben Jahre alt.«
»Nun – nun –« lächelte das Eichhörnchen, »sieben Jahr, das ist schon ein ganz hübsches Alter, wenigstens für ein Eichhörnchen. Aber weil Sie mir so freundlich heute nacht Obdach gegeben haben, will ich Ihnen das Kakaoland suchen helfen. Mir ist es ja gleich, wohin ich wandere.«
Liselottens Augen begannen wieder heller zu blicken.
»Oh – das ist lieb von Ihnen, daß Sie mir Gesellschaft leisten wollen, nun fühle ich mich gar nicht mehr so einsam. Klettern Sie gefälligst in den Wipfel meines Kakaobaumes, da können Sie am besten Umschau halten, und sagen Sie mir, wo ich lang gehen soll. Ich trage Sie gern auch noch.«
»Das sollen Sie nicht, liebes Fräulein,« wehrte das Eichhörnchen, »der große Baum ist gerade schwer genug für solch kleines Dämchen. Ich will Ihnen schon voranspringen. Aber ehe wir uns auf die Reise machen, schlage ich, da wir doch nun mal Wandergenossen sind, Brüderschaft vor. Ich heiße »Knabbermäulchen«, und du?«
»Liselotte« – sagte das kleine Mädchen, heimlich froh, daß man sie wieder »du« anredete, denn sie hatte sich doch ein bißchen vor den Tannen und Eichen ringsum geniert.
Die sahen Liselottens und Knabbermäulchens Aufbruch mit neugierigen Augen zu. Leise wisperten sie hinter den beiden her:
»Ob der Weg auch schwer und weit,
Werd' die Mühe dir nicht leid,
Hast's Kakaoland gefunden,
Ist der böse Baum geschwunden!«
Da machte sich Liselotte mit hoffnungsfrohen Augen auf den Weg. Und vor ihr sprang in großen Sätzen Knabbermäulchen und sah sich alle Augenblick nach seiner kleinen Gefährtin um.
Aber bald wurden Liselottes Schritte kleiner und kleiner. Auf ihren leeren Magen drückte der Baum so schwer, daß sie ihn kaum noch schleppen konnte. Erschöpft sank sie zu Boden.
»Ich kann nicht mehr weiter – der Baum ist zu schwer, und ich bin so hungrig – ach – ich werde elendig verhungern!« weinte sie.
Knabbermäulchen war schon an ihrer Seite.
»Gleich sollst du eine Tasse Kakao bekommen, Liselotte«, sprach es. Fein säuberlich band es sich ein großes Farrenblatt als Schürze vor und pflückte dann geschickt mit den Pfoten die länglichen Kakaofrüchte vom Baum.
Knacks – da biß es die gurkenartige Schale mit den spitzen Zähnchen durch und förderte die darin enthaltenen Kakaobohnen ans Tageslicht. Mit einem Baumzweiglein zerstampfte Knabbermäulchen die Kakaobohnen in der Schale, die gab einen prächtigen Trinkbecher. Nun noch Wasser vom nahen Bächlein geschöpft, und Lieselottes Frühstückstrunk war fertig.
Verlechzt goß sie den Kakao hinunter, er war zwar lange nicht so gut wie der, den Mutter daheim kochte, schrecklich bitter war er, aber Liselotte meinte, niemals etwas so Schönes getrunken zu haben.
Erquickt dankte sie Knabbermäulchen, dem kleinen Koch.
»Jetzt werde ich wohl weiterwandern können«, meinte sie, sich mühsam erhebend.
Aber Knabbermäulchen hielt sie zurück.
»Das leide ich nicht, daß du so erschöpft den schweren Baum trägst, der Weg ist noch lang, wir müssen anderen Rat ausfindig machen«, sprach das gute Eichhörnchen.
Plötzlich machte es vor Freude einen Satz, höher als Liselottens Kakaobaum.
»So geht's – ich hab's – warte, Liselotte« – Knabbermäulchen stieß einen eigentümlichen Pfiff aus.
Da begann es sich rings in den grünen Baumwipfeln zu regen, Äste knarrten. Zweige knackten und Blätter raschelten, hops – von allen Seiten kamen sie herbeigeeilt, die kleinen Eichhörnchen des großen Waldes, viele hunderte.
Eilte herbei
Auf deinen Schrei
Der Eichhörnchen Schar –
Wo drohet Gefahr?«
so fragten sie eifrig.
Knabbermäulchen wies auf Liselotte, die mit großen Augen die vielen rostbraunen Gesellen betrachtete.
»Hier meiner kleinen Reisekameradin galt das Notsignal, wenn wir ihr nicht helfen, findet sie nimmer das Kakaoland oder erliegt der Erschöpfung. Flugs angepackt, meine Freunde, legt den Kakaobaum um.«
Da sprangen hunderte von Eichhörnchen in Liselottens Baum und hingen sich daran mit vereinten Kräften.
Bums – lag der Baum auf der Erde und Liselotte auf dem Näschen.
»Ja – Liselotte, das hilft nun nichts, auf dem Bauch mußt du liegen, weil doch der Kakaobaum aus deinem Magen gewachsen ist. Aber wenigstens brauchst du ihn nicht mehr zu schleppen. Halte dich fest an seiner Rinde.« Knabbermäulchen band je ein Eichhörnchen an einen Zweig des Baumes, schwang sich als Kutscher obenauf, und – hui – ging die Reise los.
Die Eichhörnchen zogen den Kakaobaum mit Liselotte über den weichen Moosteppich – bergauf und bergab – viele Tage lang. Das war eine lustige Fahrt mit den munteren, beweglichen Pferdchen.
Aber plötzlich standen die vordersten still. Knabbermäulchen knallte mit seiner Gertenpeitsche, doch der Kakaobaumwagen bewegte sich nicht. Da sprang Knabbermäulchen vom Bock, um zu sehen, was es denn gäbe.
»Wir kommen nicht weiter,« meldete ein Eichhörnchen, »ein großes Wasser liegt vor, keins von uns wagt sich da hinein.«
Richtig – ein großes Wasser mit haushohen Wellen dehnte sich vor ihnen. Wasser, wohin sie auch blickten – sie standen am Meer.
Knabbermäulchen kratzte sich bedenklich mit der linken Pfote den Kopf.
Jetzt war guter Rat teuer.
Wie brachte er Liselotte mit ihrem Kakaobaum da hinüber? Denn hinüber mußten sie, waren sie so weit gewandert, wollten sie auch das Kakaoland finden.
Da kam eines der Eichhörnchen, das besonders klug ausschaute und eine Brille aus der Nase trug – es war Professor an der Baumschule – auf eine gute Idee.
Die Eichhörnchen-Pferdchen wurden ausgespannt und der Kakaobaum mit vieler Mühe, Ächzen und Stöhnen auf den Kopf gestellt, daß seine Krone auf der Erde lag. Liselotte schrie laut auf – sie schwebte plötzlich hoch oben in der Luft an der Wurzel des Baumes und klammerte sich ängstlich an seinen Stamm.
Knabbermäulchen aber sprang in das grüne Geäst, das war wie ein kleines Schifflein anzusehen, ergriff zwei kräftige Äste als Ruder und – »ohio – ohio« riefen seine kleinen Freunde und stießen das Kakaobaumschifflein hinaus in die blauen Fluten. Gleich einem stattlichen Mastbaum ragte der Stamm in die Luft, und oben wie in einem Mastkorb hing die verängstigte Liselotte.
»Fahr' getrost nur übers Meer,
Dir winkt frohe Wiederkehr,
Find'st du das Kakaoland,
Wird getilget Schimpf und Schand'!«
so riefen die Eichhörnchen hinter ihr her und ließen ihre langen Puschelschwänze wie Taschentücher in der Luft wehen.
Knabbermäulchen aber steuerte geschickt durch die wilde Brandung. Der weiße Wellenschaum spritzte ihm ins Gesicht, aber das focht es nicht an.
Und die Fischlein auf ihrer Bahn hoben erstaunt die Köpfe aus dem Meer und glotzten, stumm vor Verwunderung, dem merkwürdigen Schiff nach.
Da fing Liselotte auf einmal ganz entsetzlich an zu brüllen.
Knabbermäulchen hob erschreckt den Kopf.
»Ein Haifisch – ein riesiger Haifisch«, so schrie sie und wies mit dem Finger auf ein großes Ungetüm, das wie ein Pfeil durch die Wogen auf sie zuschoß.
»Sieh nur, wie er das gewaltige Maul aufreißt – er will uns fressen – er frißt uns –« Liselotte schwanden die Sinne.
Auch Knabbermäulchen gab sich und seine kleine Gefährtin verloren. Jeden Augenblick erwarteten sie, daß der Riesenhaifisch sie verschlingen werde – jetzt war er dicht vor ihnen – hu – wie seine gräßlichen Zähne drohten – da – bekam das Fahrzeug mit einemmal einen fürchterlichen Stoß.
Liselotte und Knabbermäulchen rissen entsetzt die Augen auf – befanden sie sich bereits im Magen des Haifisches?
Nein – sie trieben noch auf hoher See – und in den dichten Zweigen des Kakaobaums hing fest verstrickt das gräßliche Untier. Es war mit zu großer Gewalt gegen das Baumschifflein geprallt und konnte jetzt nicht wieder los. Wütend schwamm es mit seinen mächtigen Flossen durch die tobenden Wellen und zog das Schifflein mit Liselotte und Knabbermäulchen hinter sich her.
Selig klatschte Liselotte in die Hände, und Knabbermäulchen vollführte einen Freudensprung bis zu ihr hinaus, denn jetzt brauchte es nicht mehr zu rudern.
Der Haifisch zog das Schifflein pfeilgeschwind durch die Wogen, daß ihnen Sehen und Hören verging.
Er schwamm mit ihnen, bis man in der Ferne Land schimmern sah. Da riß er sich so ungestüm von den fesselnden Zweigen los, daß er das Schifflein mit seinen Insassen an den Strand schleuderte. Liselotte hatte sich zwar das Knie aufgeschlagen, und Knabbermäulchen sich das rechte Ohr etwas gequetscht, aber was schadete das – sie hatten doch jetzt wieder festen Boden unter den Füßen. Neugierig hielten sie Umschau.
Da standen viele tausende von Bäumen, die schauten geradeso aus wie Liselottens Kakaobaum, freundlich neigten sich ihre Wipfel den Ankömmlingen zu.
In den Zweigen aber sprangen merkwürdige Wesen auf und nieder, halb sahen sie aus wie Menschen und halb wie Eichhörnchen.
»Das sind ja Affen – richtige Affen wie im Zoologischen Garten«, rief Liselotte, als sie an Knabbermäulchens Pfote den merkwürdigen Bewohnern näher kam.
Da sprang auch schon ein Affe in blauer Schutzmannstracht von seinem Baum herab und mit einem Satz an Liselottens Kakaobaum empor. Dort oben machte er eine höfliche Verbeugung und sprach:
»Als Wächter vom Kakaoland
Bewach' ich viele Jahr den Strand,
Was ihr auch seid – Mensch oder Tier –
Sagt an – was wollt ihr bei uns hier?«
Liselotte und Knabbermäulchen aber antworteten nicht. Die fielen sich erst beide um den Hals aus Freude, daß sie das Kakaoland endlich gefunden.
Dann aber sagte Liselotte beherzt: »Ich möchte diesen Kakaobaum, der hierher gehört und nicht in meinen Magen, gern los sein. Können Sie mir nicht sagen, Herr Wächter, wie ich das am besten anfange?«
Der Affe überlegte.
»Hm – ich werde euch zu meinem König führen, der ist Herr über alle Kakaobäume, auch eurer wird ihm wohl gehören –« damit stolzierte der Wächter den beiden voraus.
Und rings aus den Zweigen schauten all die Affen, das ganze Volk im Kakaoland, voll Neugier auf die Wanderer. Manche warfen ihnen auch Kakaobohnen an den Kopf, dann aber wurde der Führer bös.
So kamen sie bis an das Königsschloß, dem allerhöchsten Baum im Lande.
Ein fein geschniegelter Affe mit Schnallenschuhen und Kniehosen, der Herr Hofmeister, führte sie zum König.
Das war ein uralter, grauhaariger Affe, würdevoll hockte er auf seinem Blätterthron und neben ihm sein holdes Töchterlein, ein allerliebstes Äffchen.
»Aha –« nickte er, »das kleine Mädchen, dem ich den Kakaobaum in den Magen gepflanzt habe, weil sie meinen schönen Kakao nicht mag, hast du wirklich hergefunden?«
Liselotte traute sich nicht näher. Sie hatte entsetzliche Angst vor dem großen Affen. Aber Knabbermäulchen nahm statt ihrer das Wort und bat den Herrn König sehr, seine kleine Freundin von dem Kakaobaum zu befreien.
»Hm –« der Affenkönig machte ein ernstes Gesicht, »willst du von nun an auch jeden Abend deinen Kakao austrinken?
Liselotte nickte scheu.
»Nein, das genügt mir noch nicht,« meinte der majestätische Affe, »versprich es mir mit Handschlag«, er streckte Liselotte seine braune, behaarte Rechte entgegen.
Das kleine Mädchen zögerte ängstlich.
Aber da dachte sie daran, daß sie ja dann immer den Baum behalten müsse, und schnell legte sie ihr weißes Händchen in die braune Königspfote.
Der griff mit der Linken nach ihrem Kakaobaum und zog und zog – – – »Du tust mir weh,« heulte Liselotte, »au – laß los – au – mein Arm – – –«
Da hörte sie der Mutter Stimme plötzlich neben sich.
»Aber Kind – Liselotte – du bist ja heute gar nicht munter zu kriegen, du wirst die Schule versäumen –« die Mutter zog sie von neuem am Arm.
Liselotte schlug verwirrt die Augen aus.
Sie lag in ihrem Bettchen in der Kinderstube – vor ihr stand die Mutter.
Angstvoll griff Liselotte nach ihrem Magen – hurra – der Baum war fort!
»Mutter – der Kakaobaum –« glückselig fiel sie der Mutter um den Hals.
Die drohte lächelnd.
»Für diesmal ist er noch nicht gewachsen, trotzdem deine volle Tasse von gestern abend noch hier auf dem Tisch steht.«
»Nicht gewachsen – aber Mutter – er war ja gewachsen – riesengroß, und im Walde war ich bei den Eichhörnchen und im Kakaoland bei den Affen – « sie kam nicht weiter, denn die Mutter lachte, daß ihr die Tränen über die Wangen kullerten.
»Siehst du, das ist die Strafe dafür, wenn man seinen Kakao nicht trinkt, dann träumt man in der Nacht so kunterbuntes Zeug – du hast ein paarmal so laut geschrien, daß ich an deinem Bettchen war.«
Liselotte schüttelte den Kopf.
Sie sollte das alles nur geträumt haben – nein – sie hatte doch den Kakaobaum deutlich auf dem Magen gespürt, und Knabbermäulchen – was war denn aus dem geworden?
Aber als sie merkte, daß nur eine einzige Nacht verflossen war, seit dem Abend, da die Mutter mit dem Kakaobaum gedroht, da mußte das kleine Mädchen es doch glauben, daß alles nur ein böser Traum gewesen.
Trotzdem aber hielt Liselotte das Versprechen, das sie dem Affenkönig gegeben. Sie trank ihre Tasse jetzt jeden Abend ganz aus – und der Kakaobaum ist nie wieder gewachsen.