Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Wand wurde weiß. Ein an vielen Stellen brüchiges, fahriges Silberweiß leuchtete zittrig auf. Es begann.
Aber alle lachten. Auch ich lachte. Hatten wir etwas Unerhörtes, Maßloses erhofft, so balgten sich jetzt auf der Leinewand spielend ein Miau-Kätzchen und ein Wauwau-Hundchen. Vielleicht hatte der Exporteur das vorgeklebt, um die Polizei zu täuschen – wer weiß. Der Film lief eintönig klappernd, ohne Musik; das war unheimlich und nicht sehr angenehm.
Aber ganz unvermittelt erschien ein Satyr auf der Bildfläche und erschreckte in einem Waldgewässer kreischende und plantschende Mädchen. Nun, ich war enttäuscht, immerhin... Ich war hierhergekommen, um etwas recht Unanständiges zu sehen, ein dicker Freund hatte mich mitgenommen; Gott mochte wissen, woher er es hatte. Sah ich ihn, so senkte sich bewundernder Neid auf mich herab: er hatte die Fähigkeit, auch diese Dinge – neben verschiedenen andern – bis auf den Grund auszukosten.
Hoh, aber jetzt gab es: Szene im Harem. Man hatte sich den Schauplatz der Handlung etwa am Schlesischen Tor vorzustellen, denn das Tapetenmuster des ausgeräumten kleinen Zimmers war ganz so, und auch die Gardinen und der Teppich. Fatinga tanzt. Das lasterhafte Mädchen entkleidete sich aus pompöser Wäsche und tanzte; das heißt: die drehte sich bequem um sich selbst, und jeder konnte sie bewundern – und sie tanzte vor ihrem Sultan, der sich faul und lässig in den Schößen der andern Haremsmitglieder lümmelte. Er war ein Genießer. Sie bewedelten ihn mit großen japanischen Papierschirmen, und vorn auf einem Tisch stand ein Weißbierglas. Die Szene fand nicht den Beifall des Auditoriums. Ermunternde Zurufe wurden laut. Man hätte sich den Herrscher wohl etwas agiler gewünscht, aber er blieb ruhig liegen – wozu war er auch Sultan!
Und dann kam »Klostergeheimnisse« und »Annas Nebenberuf«, und zwei »perverse Schönheiten« wälzten sich auf einem Läufer herum. Die eine von ihnen war eine gewisse Emmi Raschke, die fortwährend lachte, weil es ihr wohl selbst ein bißchen komisch vorkam. Nun, sie waren alle engagiert, um eiskalt, mit einem Unmaß von Geschäftlichkeit, unter den scheltenden Zurufen des Photographen, Dinge darzustellen, die, wenn man den Beschauern glauben wollte, doch wohl an das Himmlischste grenzten. Sie glaubten alle, daß Emmi Raschke für sie und ganz speziell für sie erschaffen war – vorgebildet allerdings durch eine Reihe von nunmehr vergangenen Handlungen ähnlicher Art. Es war nicht ganz klar, was sie eigentlich von den Frauen wollten, wenn diese mit ihnen geschlafen hatten – sicher war, daß sie allesamt nicht zögerten, sich als die Gnadenspender des weiblichen Geschlechts anzusehen.
Es folgten nunmehr zwei längere Stücke, und es war nicht zu sagen, wie lasterhaft sie waren. Eine schwüle Sinnlichkeit wehte von den verdorbenen, also üppigen Gestalten herüber, sie gaben sich den unerhörtesten Genüssen hin – und währenddessen bot eine Kellnerstimme gefällig Bier an. Worauf mit Recht aus dem Dunkel ein tiefer Raucherbaß ertönte: »Ach, wer braucht denn hier jetzt Bier – !« Das wurde lebhaft applaudiert, und von nun an beteiligte sich das Publikum intensiver an den Darbietungen: Rufe, ratende Stimmen, Grunzen, Beifall und anfeuernde Aufschreie wurden laut, einer gab Privatfreuden vergleichend zum besten, viele lärmten und schrien.
Oben spielten sie: »Die Frau des Hauptmanns.« Während der würdige Militär seine Gemahlin mit der Leutnantsfrau betrog, nutzte jene – die Gemahlin – die Zeit nicht schlecht aus, denn der Hauptmann hatte einen Burschen. Sie wurden überrascht, und es setzte Ohrfeigen. Mochte man übrigens sagen, was man wollte: ehrlich war der Film. Ein bißchen merkwürdig schien es allerdings im französischen Soldatenleben zuzugehen: es gab da Situationen, die sich so unheimlich rasch abwickelten, daß man nur wünschen konnte, ein Piou-piou zu sein. Immerhin gab es doch einige Augenblicke, in denen sich die Spielenden ihrer Rollen mit hingebendem Eifer annahmen. Und selbst der war gespielt.
Im Parkett blieb es gemütlich. Man faßte da die Dinge nicht so gefährlich auf, sah nicht, daß auch Tristan und Isolde hier einen lächerlichen Aspekt darbieten würden und daß Romeo und Julia, von einem andern Stern, objektiv und nüchtern, also unabhängig betrachtet, ein ulkiges und verkrampftes Paar darstellten.
Nein, davon war im Parkett keine Rede. Wenn sie nicht Skat spielten, so lag das nur daran, daß es zu dunkel war, und im übrigen herrschte eine recht feiste und massive Freude. Das mußte man selbst sagen: immer diese verlogenen Sachen – hier wußte man doch ...
Als es dann aus war – so ein trüber Schluß, wo jeder denkt, daß noch was kommt –, da zeigte sich, daß es mit der Sexualität so eine Sache ist. Die Männer standen herum und genierten sich voreinander, wobei sie den Mangel an Höherem betonten ... und dann schoben wir uns durch schmale Gänge in das benachbarte Lokal, und die Musik spielte laut und grell, und da waren alle so merkwürdig still und erregt. Ich hörte später, der Wirt habe zwanzig Mädchen dort hinbestellt.
Ich weiß es nicht, denn ich bin fortgegangen und habe mir so gedacht, wie doch die Worte »Laster« und »Unzucht« hohle Bezeichnungen für Dinge sind, die jeder mit sich selbst abzumachen hat.
»Der Lasterpfuhl« – du lieber Gott! Auch dort wird man zu Neujahr Pfannkuchen essen und die Gebräuche halten, wie es der kluge Bürger liebt. Denn das Laster ist kein Gewerbe – und ein Augenzwinkern und ein tiefes Frauenlachen können lasterhafter sein als das ganze Hafenviertel Port Saids.
1913