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Böse Zungen

»Um eines bitte ich dich, heißgeliebte Frau! Wenn es durchaus sein muß, daß du die neue Wohnung gründlich säubern willst, so verschone mein Arbeitszimmer. Alles ist blitzblank, sogar mit der Lupe finde ich kein Staubkörnchen. – Pucki, liebe, fleißige Pucki, allerbeste Hausfrau, laß mein Arbeitszimmer in Ruhe!«

»Da haben wir es wieder! Genau wie Papa! Der hat Mutti auch immer himmelhoch gebeten, sie möge seinen Schreibtisch in Ruhe lasten.«

»Mein Vater hat es ebenso gemacht.«

»Natürlich! Männer und Staub sind unzertrennlich miteinander verbunden. Ordnung wollen sie haben, Staub darf nicht umherliegen, aber aufräumen dürfen wir armen Hausfrauen auch nicht. Geh du nur auf Krankenbesuch! Beschäftige dich recht lange mit deinen Patienten, und wenn du mittags heimkommst, ist viel geschafft.«

»Ich habe mir sagen lassen, daß man die Wohnung nur alle Jahre einmal gründlich zu reinigen braucht. Wir haben am neunzehnten September geheiratet und heute schreiben wir den vierundzwanzigsten November.«

»Jawohl, aber am ersten Adventssonntag haben sich deine Eltern zum Besuch angesagt. – Claus, ich erinnere mich noch genau, wie deine Mutter einmal den Haushalt einer Bekannten tadelte, weil der Staub fingerdick auf den Möbeln lag. – ›Schlechte Hausfrau‹, sagte sie und – Claus, lieber, lieber Claus, ich habe ohnehin Sorgen um dich.«

»Sorgen hast du?«

»Ja, meine Mutter hat vor acht Tagen gesagt, du sähest schlecht aus. Das hat mir ins Herz geschnitten – – –«

»Pucki, Pucki, verschone mich! Ich lasse mir ja, dir zuliebe, vieles gefallen, ich steige jeden Morgen auf die Waage, ich esse jeden Morgen eine fürchterliche Mehlsuppe. Mein einziger Wunsch wird sein, die Suppe nicht mehr essen zu müssen.«

»Hundertvierzig Pfund hast du gewogen, jetzt sind es nur noch hundertsechsunddreißig. Hundertfünfunddreißig hast du gewogen, als ich mit der Suppenkur begann. Claus, ehe du die hundertvierzig nicht wieder erreicht hast, höre ich nicht auf, dich mit Mehlsuppe zu pflegen. – Ach, was werden deine Eltern sagen, wenn sie am Sonntag herkommen und dich so schlank finden! Ich will aber keine schlechte Hausfrau sein, ich will einen Mann haben, der hundertvierzig Pfund wiegt.«

»Also gut, essen wir die Mehlsuppe weiter, aber laß mein Arbeitszimmer in Ruhe.«

»Nur ein ganz klein wenig will ich aufräumen. Du wirst nicht merken, daß dort die ordnende Hand einer Frau gewaltet hat. Außerdem weiß ich jetzt mit deinen Instrumenten umzugehen. Ich weiß auch, wo jedes Fläschchen stehen muß. Claus, du wirst nichts vom Aufräumen merken! Aber nun kann ich nicht länger am Tisch sitzenbleiben, der Georg Zorge ist schon gekommen, die Teppiche zu klopfen.«

Pucki eilte davon. Sie hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, die Wohnung gründlich aufzuräumen. Es wäre unnötig gewesen. Da sich aber Oberförster Gregor mit seiner Frau angemeldet hatte, hielt es die junge Frau für ratsam, gründlich sauber zu machen. Die guten Schwiegereltern würden zwar keinen Tadel aussprechen, denn sie liebten die junge Frau ihres Claus innig. Das war schon immer so gewesen. Jedesmal, wenn die kleine Hedi Sandler in die Oberförsterei gekommen war, fanden Oberförster Gregor und seine Frau freundliche Worte für das Kind. Nun lebte der Oberförster im Ruhestand und hatte sich in Rotenburg ein Eigenheim geschaffen. Rotenburg war eine kleine Stadt, in der einst Pucki das Gymnasium besucht hatte.

Pucki freute sich herzlich auf den Besuch der Schwiegereltern, denn es machte sie stolz, ihre junge Hausfrauenwürde zu zeigen. Aber auch ihre Kochkünste sollten zur Geltung kommen, denn Gregors wollten vormittags eintreffen und bis zum Abend bleiben.

In Rahnsburg selbst war der Kreis, mit dem man Verkehr hielt, nur klein. Zwar kannte Pucki in der kleinen Stadt fast jeden, aber es waren nicht viele junge Ehepaare vorhanden, die zueinander paßten. Wen brauchte Pucki in ihrem jungen Glück auch sonst noch als ihren Claus? Manche neidete dem einstigen Försterskind das Glück. Da war Frau Bohrmann mit ihren drei Töchtern. Sie hatte fest geglaubt, daß Doktor Gregor eine ihrer drei Töchter zur Gattin wählen würde. Als dann seine Verlobung mit Hedi Sandler bekannt wurde, sprach sich Frau Bohrmann ziemlich ungünstig über die junge Braut aus. Sie sagte zu ihren Bekannten, es sei recht merkwürdig, daß ein so ernster Mann wie Doktor Gregor solch übermütiges junges Mädchen zur Lebensgefährtin erwählt hätte. Man kenne doch Hedi Sandler genau, habe sie aufwachsen sehen und wisse von manchen ihrer unartigen Streiche. Die Ehe könnte niemals glücklich werden.

Die drei Bohrmannschen Töchter wußten schon in den ersten Wochen nach der Eheschließung Gregors viel über das junge Paar zu erzählen. Es war nicht viel Gutes! Pucki sei nach wie vor unzuverlässig, tratschten sie, gehe ihrem Vergnügen nach und sorge für den Gatten nicht genügend. Und als Pucki nun gar in ihrer natürlichen Art einer Bekannten davon erzählte, daß ihr Claus fünf Pfund abgenommen hätte, ging das Gerede von neuem los. Hinzu kam noch, daß man sich über den Besuch des alten Herrn Wallner wunderte. Pucki war einmal in Eisenach gewesen. Nun reiste der alte Herr der jungen Frau nach und ließ sich hier in Rahnsburg von Doktor Gregor behandeln. Als ob es in Eisenach nicht auch gute Ärzte gäbe. Man wollte sogar wissen, daß der alte Herr Wallner öfters mit der jungen Frau den Nachmittagskaffee einnähme. Es war, wie es immer ist: Je kleiner die Stadt, desto größer der Klatsch.

Pucki ahnte nichts von dem Gerede, das in Rahnsburg umlief. Sie war zu jedem Menschen freundlich. Gar zu oft nur hatte sie das Herz auf der Zunge und sagte jedem, der es wissen wollte: ich bin sehr glücklich!

Jetzt stand sie am Fenster des Wohnzimmers, ein Tuch um die blonden Haare gebunden und den Federbesen in der Hand. Emilie putzte die Fenster, im Hof klopfte der junge Zorge Teppiche und Läufer.

Mitten in die Arbeit hinein kam Besuch. Es war die Nachbarin, die sich Preßkohlen ausleihen wollte, da ihr Vorrat ausgegangen war. Pucki hoffte, sie werde Frau Anger bald los werden, aber es schien, als habe sie noch etwas auf dem Herzen.

»Ich bin beim Aufräumen«, sagte Pucki. Das war ziemlich deutlich.

»Ja, ich habe gesehen, daß Sie den jungen Zorge zum Teppichklopfen bestellt haben.«

»Jawohl.«

»Warum haben Sie gerade den Zorge genommen?«

»Seine Mutter war bei mir. Sie fragte mich schon vor längerer Zeit, ob ich nicht eine Arbeit für ihren Sohn hätte. Die Mutter ist eine gar kümmerliche Frau. Ich glaube, der junge Zorge ist ganz tüchtig.«

»Wissen Sie denn nicht, Frau Gregor, daß er sich eine Verfehlung zuschulden kommen ließ? Ich glaube kaum, daß es Ihrem Manne recht ist, wenn Sie diesen Tunichtgut beschäftigen.«

»Seine Mutter erzählte mir davon. Traurig genug, daß sich der junge Mann so rasch verleiten ließ, Unrecht zu begehen. Aber mancher kann eben der Versuchung nicht widerstehen.«

»Er sollte ins Gefängnis kommen.«

»Ja, aber die Richter waren so vernünftig und gaben ihm Bewährungsfrist. Ich glaube, er nimmt sich zusammen. Man hat in letzter Zeit nichts Übles über ihn gehört, und Arbeit ist das beste Mittel, einen Menschen vor neuen Dummheiten zu bewahren.«

»Ich würde den Zorge nicht in mein Haus nehmen.«

»Ich habe ihn nun einmal genommen und bin der Meinung, daß es so gut ist.«

»Liebe, junge Frau Doktor, Sie sind noch eine sehr unerfahrene Frau, Sie kennen die Menschen noch nicht. Ich würde Ihnen raten, den jungen Mann bald wieder gehen zu lassen.«

»Nein«, sagte Pucki energisch, »mir gefällt er. Er macht einen ordentlichen Eindruck. Er scheint darunter zu leiden, daß er bestraft wurde. Es wäre geradezu schlecht von mir, wenn ich wegen einer Verfehlung einem Menschen, der sich bessern will, die Arbeit entzöge. Seine Mutter ist froh, daß ich ihn nahm.«

»Vielleicht wissen Sie nicht, was er getan hat.«

»Ja, ich weiß es«, erwiderte die junge Frau heftig. »Es ist durchaus unnötig, die alten Sachen wieder aufzuwärmen.«

»Wenn Ihre Bekannten hören, daß Sie den Georg Zorge beschäftigen –«

»Das geht meine Bekannten nichts an. Außerdem sind sie in dieser Beziehung so vernünftig wie ich.«

»Sie wissen, daß der Zorge an einem Abend –«

Da brauste Pucki auf. »Die Sache ist vor Gericht gewesen. Alles wurde durchgesprochen, der junge Mann erhielt Bewährungsfrist. Wenn er sich gut hält, ist die Sache erledigt.«

»Aber –«

»Liebe Frau Anger, ich habe meine Arbeit! Ich habe keine Zeit, mich mit Ihnen über den Georg Zorge stundenlang zu unterhalten. Wenn irgend jemand mir gegenüber törichte Reden machen sollte, so werde ich mit einem Spruch unseres prächtigen Dichters Wilhelm Busch antworten.«

»Was werden Sie sagen, Frau Doktor?«

Pucki schwenkte den Federbesen. Es schien, als wollte sie zu dem Vers den Takt schlagen:

»Wenn über eine dumme Sache
Mal endlich Gras gewachsen ist,
Kommt sicher ein Kamel gelaufen,
Das alles wieder 'runterfrißt!«

Frau Anger wandte sich schroff um, ließ Pucki stehen und ging davon.

Das war arg! – Was sich solch eine einfache Frau erlaubte! »Den schönen Vers kann sie sich merken«, dachte Pucki. – –

»Kamel hat sie zu mir gesagt!« Das waren die ersten Worte, die Frau Anger ihrem Manne zurief, als sie nach Hause kam.

Die Worte Puckis machten sehr schnell die Runde durch die kleine Stadt. Und während noch Georg Zorge gewissenhaft den Treppenläufer klopfte, wußte schon Frau Bohrmann, daß die junge Frau Doktor zu Frau Anger »Kamel« gesagt hatte. Eine von den Bohrmannschen Töchtern aber erzählte dem Kaufmann drüben an der Ecke, Pucki hätte gesagt, Leute, die ihr einen guten Rat geben wollten, wären Kamele. Und der Kaufmann wieder erzählte seiner Kundschaft, daß die junge Doktorsfrau recht überheblich sei und gemeint hätte, sie wisse, was sie zu tun hätte, es gäbe viele Kamele in Rahnsburg. Das alles ging mit Windeseile von Mund zu Mund. Als das Wohnzimmer fertig aufgeräumt war, wußte jeder die abscheuliche Äußerung, die Frau Doktor Gregor heute morgen getan hatte.

Mittags um ein Uhr kam, wie oft, Puckis Schwester Agnes nach Schulschluß für einen Augenblick herein.

»Pucki, was hast du denn heute gesagt? Ach, bist du dumm! Nun wird kein Mensch mehr zu deinem Manne kommen. Man will einen anderen Arzt nach Rahnsburg kommen lassen, oder alle wollen nach Kolkow oder Meidenburg gehen.«

Pucki, die im Sprechzimmer des Gatten sorgsam die Instrumente abstaubte, horchte auf: »Was habe ich denn gesagt?«

»Ich sollte für Mutter beim Kaufmann etwas mitbringen. Dort sprach man im Laden davon.«

»Ja, was habe ich denn gesagt, Agnes?«

»Alle Rahnsburger sind Ochsen!«

Pucki lachte herzlich auf: »Das hat der Kaufmann erzählt? Ich werde heute nachmittag zu ihm gehen – dann frage ich geradezu danach.«

»Schafe, Kamele, Esel, Gänse – –«

»Also ein ganzer zoologischer Garten! – Ach, Agnes, was hast du da wieder gehört? Gar nichts habe ich gesagt! Ich werde mich schön hüten, meinem Claus durch derartiges Gerede die Praxis zu verderben. Im Gegenteil, ich gebe mir Mühe, immer freundlich zu sein.«

»Du mußt unbedingt etwas von großen Ochsen gesagt haben. Die Leute sind wütend.«

Pucki schnippte mit den Fingern. Ihr Gewissen war so rein, daß sie auf die Äußerungen der Schwester nichts gab. Wahrscheinlich war es eine Verwechslung! Sie ließ Agnes ruhig gehen und lachte übermütig hinter ihr her. Als sie aber am Fenster stand, das Staubtuch ausschüttelte und freundlich einer der vorübergehenden Bohrmannschen Töchter zunickte, erschrak sie doch ein wenig. Das junge Mädchen sah schnell weg und erwiderte den Gruß nicht.

Was war denn geschehen? Wenn nur erst Claus nach Hause käme! Er hatte heute auf den umliegenden Dörfern Besuche zu machen. So konnte er kaum vor zwei Uhr wieder daheim sein. Darum waren auch die Aufräumungsarbeiten vorgenommen werden. – Wieder trat Pucki ans Fenster und wartete, bis jemand vorüberging. Aber auch diesmal flog kein Blick zu ihr herüber.

»Ochsen – Esel – Gänse – –! Ich habe doch so etwas nicht gesagt. Heute früh habe ich Frau Anger vielleicht ein wenig geärgert.« Pucki nahm die Glaswanne, in der Claus die Instrumente zu säubern pflegte, zur Hand und wischte sie vorsichtig ab.

»Ochsen – Esel? – Ach, Kamel habe ich gesagt. Natürlich, das Gedicht von Wilhelm Busch habe ich zitiert.« – Jäher Schreck erfaßte die junge Frau. Im nächsten Augenblick ertönte lautes Klirren. Die kleine gläserne Wanne war Pucki aus den Händen gefallen und auf dem Fußboden zerbrochen.

Das war etwas zu viel! Erst der Schreck über das mißverstandene Gedicht, und nun – die Scherben.

»Die Badewanne – die Badewanne der Instrumente!« Wie oft hatte Pucki scherzend diese Schale eine Badewanne genannt. Wie sorgfältig wurde sie von Claus gehütet. Das feuerfeste Glas, in dem er auf offener Flamme die Instrumente abkochte, war nun zerbrochen!

»Und ich habe ihm geschworen, er wird nichts vom Aufräumen merken. – Ach, heute habe ich einen Unglückstag!«

Nun kollerten schon wieder die Tränen. Vergeblich rief sich Pucki ins Gedächtnis zurück, daß Scherben Glück bedeuten. In diesem Falle sah es mit dem Glück recht kläglich aus. In Rahnsburg war eine neue »Badewanne« nicht zu beschaffen, die mußte erst bestellt werden. Claus würde ärgerlich sein, daß sie nicht besser aufpaßte. Ihr Kummer war so groß, daß ihr das Arbeiten nicht mehr von der Hand gehen wollte.

»Frau Doktor, soll ich die Kartoffeln aufstellen? Sollte nicht auch noch Blumenkohl gekocht werden?«

Ein neuer Schreck überkam Pucki. Sie schaute nach der Uhr. Claus mußte bald nach Hause kommen, und das Essen war nicht fertig.

»Ich komme schon!« Am richtigsten war es wohl, wenn sie selbst hinüber zur Gemüseverkäuferin ging. Frau Rudolfi hatte vielleicht auch schon von den schlimmen Worten gehört, die sie gesagt haben sollte, aber Frau Rudolfi war eine gar liebe Frau.

Rasch griff Pucki zu Hut und Mantel und eilte hinüber. Glücklicherweise war der Laden leer. Frau Rudolfi fragte freundlich nach den Wünschen der Frau Doktor.

»Ich bitte um einen Blumenkohl.«

Sie erhielt das Gewünschte. Zögernd blieb sie stehen.

»Noch etwas, Frau Doktor?«

Puckis Herz war übervoll. »Sagte man Ihnen auch schon – – Ich soll – – Man erzählt im Städtchen, ich sei unfreundlich gewesen. – Haben Sie auch schon davon gehört?«

Da kamen schon wieder die bösen Tränen. »Wenn ich meinem Manne die Praxis verdorben hätte! – – Ach, liebe Frau Rudolfi, Sie sind immer sehr freundlich zu mir gewesen. – Wenn Kunden zu Ihnen kommen und über mich zetern, bitte, sagen Sie, ich hätte nichts Derartiges gesagt. – Ich bin ja so unglücklich.«

Die Gemüsehändlerin beruhigte Pucki. Es war nicht das erstemal, daß es geschah. Dreizehn Jahre waren es nun schon her, daß Pucki Sandler nach Schulschluß mit den Niepelschen Jungen und anderen Schulgefährten eine Schneeballschlacht machte. Dabei war einer der Schneebälle, von Pucki geschleudert, in die Glasscheibe der Ladentür geflogen. Die Scheibe fiel klirrend zur Erde, und Pucki war darüber furchtbar entsetzt gewesen. Frau Rudolfi hatte damals das weinende Mädchen trösten müssen. Pucki brachte später ihrer freundlichen Trösterin hin und wieder Waffeln mit. So knüpfte sich zwischen Alt und Jung ein herzliches Band der Freundschaft. Die Zuneigung, die Frau Rudolfi schon dem Schulkinde entgegenbrachte, blieb bestehen. Nun mußte sie abermals die weinende junge Frau trösten.

»Üble Lästerzungen gibt es in jedem Ort, liebe Frau Doktor, deswegen brauchen Sie nicht zu weinen. Denken Sie immer daran, daß es die schlechtesten Früchte nicht sind, an denen die Wespen nagen. So heißt es ja in einem Sprichwort.«

Neues Schluchzen kam über Puckis Lippen. »Sprüche sind mein Verderben, Frau Rudolfi. Ich habe auch nur einen Spruch gesagt.«

Und nun berichtete sie, was sie zur Nachbarin gesagt hatte.

»Beruhigen Sie sich, Frau Doktor, ich will mit Frau Anger reden. Kein Mensch wird daran denken, nicht mehr zu unserem guten Herrn Doktor zu gehen. Wir Rahnsburger sind ja heilfroh, solch einen tüchtigen Arzt bekommen zu haben.«

»Was soll ich nun beginnen?«

»Erzählen Sie alles Ihrem Manne, und dann lassen Sie die Leute reden. Ich habe es auch durchmachen müssen. Böse Zungen wissen dem lieben Nächsten immer etwas anzuhängen. Hier in Rahnsburg gibt es, gottlob, noch genug vernünftige Menschen, die nicht daran glauben werden, daß Sie solche Worte gesagt haben.«

»Wenn ich nun aber meinem Manne schaden würde! – Er wird sich gewiß darüber ärgern.«

»Liebe Frau Doktor, wer Sie kennt, der weiß genau, daß Sie eine gute Hausfrau und ein guter Mensch sind. Wir kennen Sie seit Ihrer Kindheit, wir kennen auch Ihre Eltern. Sie fügen keinem Menschen absichtlich Böses zu. Im Gegenteil, einige Rahnsburger regen sich schon auf, daß Sie den Kranken so viel zukommen lassen. Sehen Sie, man kann es nie allen recht machen.«

»Was mache ich nur, um alle wissen zu lassen, daß ich nichts von Ochse und Esel gesagt habe.«

»Wie war der schöne Spruch, den Sie Frau Anger sagten?«

Pucki wiederholte den Vierzeiler. »Es war vielleicht dumm von mir, daß ich das sagte. Aber ich ärgerte mich, daß man über den jungen Zorge böse Worte spricht.«

»Sie haben Frau Zorge eine große Freude dadurch gemacht, daß Sie ihrem Jungen Arbeit gaben. Das hat sicherlich auch dem Georg wohlgetan. Machen Sie ruhig so weiter, wie es Ihnen Ihr Gefühl eingibt. Das ist dann das richtige.«

Trotzdem war Pucki nicht getröstet. Sie wartete voller Ungeduld auf ihren lieben Claus, dem sie heute zwei schlimme Taten berichten mußte: das »Kamel« und die zerbrochene »Badewanne«. – Was würden die Schwiegereltern und die eigenen Eltern sagen, daß Pucki eine solche Äußerung getan hatte!

Das Sprechzimmer war endlich fertig, als Claus nach Hause kam. Er sah sofort, daß Pucki geweint hatte.

»Nun«, lachte er gutgelaunt, »was hast du beim Aufräumen zerbrochen?«

»Die Badewanne und – –«

»Fürchterlich!«

»Claus, es ist schlimm! – Es wird mir schwer genug, dir alles zu erzählen. Aber wir haben es uns gelobt, keine Geheimnisse voreinander zu haben. Ach, Claus – –!«

»Was das Reinemachen für schreckliche Dinge mit sich bringt.«

»Du weißt nicht, was geschehen ist, Claus! – Ach –« Und wieder kamen die Tränen. Da wurde Claus ernst. Er legte den Arm um seine erregte kleine Frau und fragte zärtlich, was ihr denn fehle. Pucki versuchte, das Weinen zu unterdrücken, doch von Zeit zu Zeit kam ein so jämmerliches Aufschluchzen aus ihrer Brust, daß es Claus schwer fiel, ernst zu bleiben. Das Unglück mit der zerschlagenen »Badewanne« wurde von Pucki zu schauerlich geschildert. Dann folgte die Geschichte von der üblen Nachrede.

»Vielleicht habe ich dir die ganze Praxis verdorben. Ach, Claus, nun müssen wir einpacken! – Du mußt dir ein anderes Arbeitsfeld suchen, und ich, ich ganz allein habe die Schuld daran.«

Er ließ Pucki genau alles erzählen, strich ihr hin und wieder liebevoll über das Haar und sah ihr dann in die tränenfeuchten Augen.

»Kleine Frau, so etwas muß man nicht allzu schwer nehmen. Glaube mir, auch ich habe schon in den ersten Wochen, da ich mich hier niederließ, manche üble Nachrede ertragen müssen. Das hat mich nicht gestört. Du weißt, daß meine Praxis gut ist. Verleumder sind wie gereizte Bienen. Wenn man aber stillsteht und nicht nach ihnen schlägt, so summen sie zwar noch eine Weile um einen herum, aber sie stechen nicht mehr. Ich habe es mir längst gedacht, daß man meine kleine, liebe Frau einmal vornehmen würde. Es gibt immer Neider auf der Erde, die rottet man nicht aus. Daß du so brav für den jungen Zorge eingetreten bist, gereicht dir nur zur Ehre.«

Unsicher schaute sie zu dem Gatten auf. »Bist du mir nicht böse, Claus?«

»Nein, liebe kleine Frau! – Es schadet nichts, wenn man lästernden Menschen einmal ehrlich die Meinung sagt. So habe ich es auch immer gehalten. Es soll nur einer kommen und über dich schelten, dem will ich eine rechte Antwort geben.«

»Aber die Praxis – –«

»Es wäre traurig um mich bestellt, wenn ich aus Furcht, einen Patienten zu verlieren, meine prachtvolle kleine Frau beschimpfen ließe. Ich finde, du hast deine Sache sehr gut gemacht.«

Pucki stieß einen Freudenruf aus.

»Viel schlimmer ist die Sache mit der Badewanne«, fuhr Claus, wieder lachend, fort. »Was mache ich nun?«

»Ach, Claus, ich werde auch – – vor Weihnachten nicht wieder aufräumen – –«

»Vor Ostern nicht mehr! Laß wenigstens meine Instrumente in Ruhe.«

Immer wieder mußte Claus an seine Frau tröstende Worte richten. Schließlich schwand ihr Jammer, als Claus erklärte, er würde heute abend, wenn irgendwie Zeit sei, mit ihr die Einkäufe machen und auch jenen Kaufmann aufsuchen. Dann würde die Angelegenheit bald klargestellt sein.

»Wollen mal sehen«, meinte er scherzend, »ob unsere liebe Nachbarin, Frau Anger, nicht schon heute nachmittag in meine Sprechstunde kommt, um über die Sache zu reden. Sticht sie, so steche ich wieder. Summt sie nur, so tue ich ihr auch nichts. Das ist der richtige Weg, Pucki, den wir gehen wollen.«

Claus schien wirklich recht zu haben. Als er sich am Abend mit seiner Frau in den Geschäften zeigte, kam man Pucki freundlich und höflich entgegen. Ebenso hatte sich Frau Anger eingefunden, die von Claus eine gründliche Zurechtweisung bekommen hatte. Dennoch, wenn auch das Mißverständnis geklärt war, so gab es doch noch Leute im Städtchen, die behaupteten, die junge Frau Doktor Gregor sei eine vorlaute und dreiste Person, mit der man sich am besten nicht einlasse.

»Mach dir nur nichts daraus, Pucki«, mahnte Claus, »dich wird noch manches böse Wort im Leben treffen. Neider gibt es leider überall in der Welt. Sorge dafür, daß du vor der gesamten Welt, vor allem aber vor dir selber bestehen kannst. Dann brauchst du Lästerzungen nicht zu fürchten.«

Seit diesem Trost hielt Pucki es für ihre Pflicht, doppelt gut für Claus zu sorgen. Jeden Morgen betrachtete sie sein Gesicht prüfend, zog ihn auf die Waage, und, wenn sich keine Zunahme zeigte, seufzte sie sorgenvoll. Die Tage vergingen, der erste Advent rückte immer näher. Die hundertvierzig Pfund aber wurden nicht erreicht, obwohl Pucki ihrem Manne immer das vorsetzte, was Claus am liebsten aß. Nun war er seit zwei Tagen nicht mehr auf die Waage gestiegen, weil er meinte, es bereite ihr Herzweh, wenn sie sähe, daß er nicht zunähme.

Am Sonnabendmorgen bat sie ihn gar herzlich, auf die Waage zu steigen.

»Laß nur, Pucki.«

»Nein, nein, Claus, hiergeblieben!«

Er war noch im Schlafanzug und lief ihr davon.

Sie aber eilte ihm nach: »Ich muß wissen, was du wiegst.«

»Bereitet dir das wirklich so viel Kummer?«

»Ach, Claus, ich werde erst ruhig sein, wenn du dir wieder hundertvierzig Pfund angegessen hast.«

»Nun gut«, sagte er, »so will ich mich heute wieder wiegen. Ich komme gleich.«

Dann stieg er auf die Waage.

»Claus – sieh her, hundertzweiundvierzig Pfund!«

»Na also, bist du nun zufrieden?«

»Überglücklich!«

»Nun kann ich auch die Mehlsuppe fortlassen?«

»Ja, mein Clauschen, ja. – Aber laß mich rasch noch einmal nachsehen. – Wirklich – wahrhaftig! Hundertzweiundvierzig Pfund.« Sie stieg mit auf die Waage, umarmte ihn und jubelte: »Jetzt endlich habe ich es erreicht. – Nun können die Eltern kommen!«

Im Schlafzimmer nahm Doktor Gregor ganz heimlich einige Gewichte aus den Taschen seines Schlafanzuges. »Das hätte ich längst machen sollen«, dachte er, »die unangenehme Mehlsuppe wäre mir erspart geblieben. Eine liebe, unschuldige Frau habe ich mir erwählt. Warum soll ich sie nicht von ihrer Sorge durch eine kleine List befreien?«


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