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Fünftes Kapitel.
Berufsärger

Geheimrat Rose hatte Bärbel, als man zum Atelier Brausewetter fuhr, noch mehrfach beruhigen müssen. Bärbel meinte immer wieder, daß sie ihre Existenz nun neu aufbauen müsse, weil der Chef niemals vergeben werde, daß sie den berühmtesten Mann des Jahrhunderts zerbrochen habe.

»Der Schaden läßt sich wieder gutmachen, liebes Fräulein Bärbel Wagner, und der größte Mann des Jahrhunderts bin ich auch nicht.«

»Es war doch für uns alle eine Ehre, und gerade darum habe ich Sie nochmals auf der Platte ansehen wollen. Wenn nur Meier, Schulze oder Lehmann gekommen wären, hätte ich gewiß die Platten nicht herausgefischt. Würde ich geahnt haben, daß Sie so etwas Berühmtes sind, hätte ich schon im Empfangszimmer eine eingehende Besichtigung vorgenommen. Aber ich dachte, Sie wären weiter nichts, nur ein Geschäftsreisender.«

Im Atelier Brausewetter angekommen, wollte Bärbel Herrn Brausewetter erst langsam vorbereiten, zumal sie heute mit einstündiger Verspätung erschien. Doch der Geheimrat wehrte ab.

»Ich werde die Sache selbst in Ordnung bringen, Fräulein Bärbel Wagner. Gehen Sie nur wieder an Ihre Arbeit. Noch bester, Sie melden mein Hiersein Herrn Brausewetter.«

Gemeinsam betraten sie das Empfangszimmer. Bärbel wollte den Geheimrat vorangehen lassen, doch der wehrte ab.

»Die Damen haben den Vortritt.«

»Ach, du meine Güte,« meinte Bärbel, »ich bin hier doch nur eine Angestellte, sogar nur ein Lehrling, und Sie sind eine Berühmtheit.«

»Höflichkeit ist die erste Pflicht des Mannes.«

»Sie sind wirklich ein vornehmer Charakter,« sagte Bärbel und betrat als erste den Empfangssalon.

Es war gerade kein Kunde anwesend. Fräulein Pertis, die sich lächelnd der Tür zuwandte, zog die Stirn sofort in finstere Falten.

»Jetzt kommen Sie an? Ja, was erdreisten Sie sich eigentlich! – Wissen Sie nicht – – o, welche Ehre, Herr Geheimrat! Die Bilder, – ich werde gleich – – Fräulein Wagner, gehen Sie sofort nach hinten – –«

»Danke, danke,« wehrte Geheimrat Rose ab. »Ich komme nicht wegen der Bilder. Ich hätte Herrn Brausewetter gern gesprochen und habe zu diesem Zweck Fräulein Wagner so lange in meinem Hotel zurückgehalten, weil ich noch einige Fragen zu stellen hatte.«

»Außerordentlich liebenswürdig, Herr Geheimrat, aber unser Lehrling dürfte Ihnen geeignete Auskünfte nicht geben können. – Vielleicht kann ich Ihnen dienen. Sollte es sich um wissenschaftliche Aufnahmen Ihrer Forschungen handeln, so stellt sich Ihnen unser Atelier mit größtem Vergnügen zur Verfügung.«

»Danke, danke, – wenn Sie mir Herrn Brausewetter herbitten wollten –«

»Melden Sie Herrn Geheimrat!«

Bärbel warf noch einen flehenden Blick auf den Gelehrten, dann verschwand sie. Schon wenige Sekunden später erschien der Inhaber und bat den Geheimrat in sein Privatzimmer.

Da Geheimrat Rose wenig Zeit hatte, machte er keine langen Vorreden. Er erzählte, daß Fräulein Bärbel Wagner die Platte mit der Aufnahme zerbrochen hätte, fragte, ob die andere Aufnahme geglückt sei, sonst bäte er, ihn nochmals aufzunehmen. Mit herzlichen Worten verwendete er sich für den anmutigen Lehrling und sprach zum Schluß die Bitte aus, Fräulein Wagner keinerlei Vorwürfe zu machen, er, der Geheimrat, habe ihr seinen Schutz zugesagt.

Brausewetter verbeugte sich in der liebenswürdigsten Weise.

»Ich bedaure es außerordentlich, Herr Geheimrat, daß Sie durch Fräulein Wagner belästigt wurden. Ich weiß, wie kostbar Ihre Zeit ist, jede Minute gehört der Wissenschaft.«

»Es war eine herzerfrischende Abwechslung für mich, Herr Brausewetter. Gerade weil mein ganzes Leben strenge und ernsthafte Arbeit ist, hat mir diese Entspannung wohlgetan. Ich bin kein großer Freund der heutigen Jugend, es ist viel zu wenig Ernst, zu wenig Überlegung zu finden. Aber Ihr prächtiger Lehrling hat wie ein frischer Seewind auf mich gewirkt. Dieses klare Auge, dieses offene, harmlose Geplauder, und dabei doch Verantwortungsgefühl und ehrlicher Wille zur Arbeit. Ich wollte, daß mir das Schicksal öfters solch ein Plauderstündlein schenkte, das frischt den Menschen auf. Wenn uns solche Jugend in den Weg tritt, wissen wir, daß wir nicht umsonst arbeiten. Sie beherbergen ein Kleinod in Ihrem Atelier, Herr Brausewetter, halten Sie nach Möglichkeit schlechte Einflüsse und schlimme Eindrücke von dieser unberührten Mädchenseele fern; so bitte ich nochmals, schelten Sie das kleine Bärbel Wagner nicht, es ist gestraft genug.«

»Wenn Fräulein Wagner solch einen Fürsprecher hat, Herr Geheimrat, ist ihr natürlich dies Versehen vergeben.«

»Wollen Sie Fräulein Wagner rufen lassen?«

»Wenn Sie es wünschen, Herr Geheimrat!«

Der Chef klingelte, Bärbel erschien selbst. Sie behielt krampfhaft die Türklinke in der Hand. Jetzt würde das Donnerwetter beginnen. Die großen Augen glitten von einem zum anderen.

»Herr Geheimrat Rose hat mir von Ihrer Unvorsichtigkeit erzählt, Fräulein Wagner. Es wird Ihnen gewiß eine Lehre sein. Platten müssen sehr vorsichtig behandelt werden. Ich glaube gern, daß Sie starke Gewissensbisse hatten. Durch die große Liebenswürdigkeit des Herrn Geheimrat ist der Schaden zu beheben, in anderen Fällen geht es nicht so glatt ab. Seien Sie also in Zukunft recht vorsichtig.«

Bärbel blieb stehen. Sie hatte ganz etwas anderes erwartet. Aber als ihr Herr Brausewetter einen Wink gab, sich zu entfernen, rief sie in ihrer Freude jubelnd aus:

»Das haben Sie gemacht, Herr Geheimrat, ach, Sie sind wirklich ein prächtiger Herr!«

Der Gelehrte hatte sich erhoben und reichte Bärbel die Hand. »Sollte mich mein Weg wieder einmal nach Dresden führen, werde ich das Atelier Brausewetter aufsuchen, um zu hören, ob aus meiner kleinen Freundin eine tüchtige Photographin geworden ist.«

Damit war Bärbel entlassen. Aber diese letzten Worte brausten ihr in den Ohren. Der berühmte Mann hatte sie seine Freundin genannt; er wollte in einiger Zeit wiederkommen. Nun galt es, die Ohren steif zu halten, damit auch sie eine Berühmtheit in ihrem Fach wurde.

Im Vorraum traf sie mit Herrn von Sasseneck zusammen.

»Na, Sie können wohl Ihr Bündel schnüren? Wissen Sie auch, daß Sie etwa dreißig Platten verdorben haben, die Sie im Fixierbade liegen ließen? So etwas ist mir in meiner Tätigkeit noch nie passiert!«

Bärbel schaute ihn mit seligem Blick an.

»Wissen Sie denn, was der Geheimrat gesagt hat?« flüsterte sie.

»Das kann ich mir denken.«

»Ich bin seine kleine Freundin.«

»Was – – wer?«

Aber Bärbel war viel zu glücklich, um noch weiter zu antworten; sie ließ einen schrillen Ruf hören, der Fräulein Pertis herbeilockte.

»Was ist denn das für ein unanständiger Lärm? Sie vergessen wohl, Fräulein, daß Sie sich in einem Dresdener Atelier befinden? Solche Töne können Sie in Ihrem Heimatdorfe ausstoßen, nicht hier, unter feingebildeten Menschen.«

Das verklärte Lächeln war noch immer nicht von Bärbels Gesicht verschwunden. Sie schaute die Empfangsdame ohne Scheu an.

»Es war so schön,« sagte sie. »Er war so lieb – ich dachte, er würde furchtbar zanken. Und dann hat er gesagt, ich wäre seine kleine Freundin. – Ach, ich bin so glücklich!«

»Haben Sie Zustände?« fragte Fräulein Pertis spitz.

Die Stimme des Geheimrats ertönte, der, von Herrn Brausewetter begleitet, aus dem Atelier trat. Man zerstreute sich hastig.

Fräulein Pertis ruhte nicht eher, als bis sie von Brausewetter alle Einzelheiten erfuhr. Sie lächelte zwar, aber in ihrem Innern kochte sie vor Zorn. Dieses Mädel mit dem goldblonden Haar, das erst ganz kurze Zeit als Lehrling im Atelier weilte, wurde von diesem berühmten Manne ausgezeichnet. – Unerhört!

An diesem Tage wurde die Abneigung der Empfangsdame gegen Goldköpfchen noch weiter genährt. Ein älterer Herr, der längere Zeit auf die Aufnahme warten mußte, der Bärbel Wagner ebenfalls gesehen hatte, fragte die Empfangsdame, wer diese anmutige junge Dame sei, die vorhin das Kind ins Atelier geholt habe.

Fräulein Pertis lächelte bitter-süß dazu. »Ein Lehrling, vom Lande. Die Kleine hat uns schon manchen Schaden bereitet. Ein hübsches Lärvchen – sonst nichts.«

»Ein außergewöhnlich sympathisch wirkendes junges Mädchen.«

Das war zuviel für die Empfangsdame. Sie nahm sich vor, Bärbel in Zukunft nach Möglichkeit aus dem Empfangszimmer zu verbannen. Hier war sie die Herrscherin, hier erwartete sie allein Schmeicheleien. Fräulein Pertis vertrug es nicht, daß neben ihr ein anderer Stern strahlte.

Goldköpfchen merkte bald, daß es bei der Empfangsdame verspielt hatte. Fräulein Pertis fand stets an Bärbels Arbeit etwas zu tadeln. Oft füllten sich die Blauaugen Bärbels verstohlen mit Tränen, die sie aber tapfer hinunterschluckte. Fräulein Pertis sollte nicht sehen, daß der Lehrling ihretwegen weinte.

Dagegen änderte sich das Betragen des Herrn von Sasseneck. Aber das war Bärbel nicht angenehm. Wenn er ihr etwas reichte, wußte er es stets so einzurichten, daß sich ihre Hände berührten. Es dauerte gar nicht lange, so kam ein leiser Daumendruck, und schließlich fielen die ersten Bemerkungen, daß Bärbel außerordentlich hübsch sei. Ihr wurden andere Arbeiten zugeteilt. Sie durfte Bilder kopieren, vor allen Dingen holte sie Herr von Sasseneck in die Dunkelkammer, daß sie ihm beim Arbeiten zuschaue. Noch vor wenigen Tagen hätte sich Bärbel über diese Änderung gefreut, jetzt ging sie nur ungern Herrn Sasseneck zur Hand.

Sie klagte der Großmama ihr Leid.

»Er ist immer so ölig, Großmama, er kommt angekrochen wie eine Schlange. – Ich will ihm einmal gehörig meine Meinung sagen.«

»Das laß nur sein, mein Bärbel. Sei zurückhaltend zu ihm, aber freundlich.«

»Ich glaube, Großmama, er will meine Gunst erringen. Er nimmt mich nur in die Dunkelkammer mit, weil er das Sprichwort kennt: im Dunkeln ist gut munkeln. Aber ich schmuse nicht mit ihm, ich will lernen, und wenn es mir zu dumm wird, werfe ich ihm eine Platte an den Kopf.«

»Aber nicht den Geheimrat, Bärbel!«

»Ach – meinen Geheimrat,« sagte Bärbel verzückt, »er ist längst erledigt. Ich trage sein Bild auf dem Herzen.«

»Ich wüßte einen besseren Platz, Bärbel. – Wie wäre es, wenn wir das Bild des Geheimrates neben deinen Sommerhut ins Zimmer hingen?«

Bärbel senkte den Kopf. »Könntest recht haben, Großmama – aber wenn wir doch alles hinhängen, was eine Wandlung in meinem Leben hervorrief, mußt du mir bald ein größeres Zimmer einräumen.«

»Nanu – hast du schon wieder etwas erlebt, Kind?«

»Nein, Großmama, aber ich fürchte, mit Herrn von Sasseneck entwickelt sich etwas.«

»Das will ich nicht hoffen, Bärbel. Tue deine Pflicht; du hast an Herrn und Frau Brausewetter einen gütigen Chef, dem du dich anvertrauen darfst.«

Am nächsten Tage mußte Bärbel wieder in die Dunkelkammer kommen. Sie rückte zwar recht weit von Herrn von Sasseneck ab, der es immer wieder einzurichten wußte, daß er sich über Bärbels Schulter neigte. Da spritzte sie ihm mehrfach Wasser ins Gesicht, so daß er schließlich ärgerlich sagte:

»Warum sind Sie so hitzig bei der Arbeit?«

»Wasser ist gut für die Abkühlung.«

Er lenkte ab. Er sprach von Dillstadt, fragte Bärbel, ohne daß sie es merkte, nach den Verhältnissen des Vaters aus und vernahm mit Interesse, daß die Apotheke anscheinend recht großen Nutzen abwarf.

»Werden Sie einmal ein eigenes Atelier eröffnen?«

»Ja,« sagte Bärbel, »ganz was Großartiges! – Fabelhafte Ausstattung!«

»Das kostet aber alles viel Geld!«

»Das macht nichts,« sagte sie hochfahrend, »auf Geld kommt es unsereinem nicht an.«

»So so!«

Damit stand es für Herrn von Sasseneck fest, sich langsam um Bärbel zu bemühen. Wenn deren Vater in so glänzenden Verhältnissen lebte, war es doch das beste, Bärbel zu heiraten. Er hatte zwar Fräulein Pertis gegenüber bereits einmal angedeutet, daß er sie zu seiner Frau machen wolle, wenn er sich etwas gespart habe. Da aber Fräulein Pertis nichts besaß, war es für ihn viel vorteilhafter, sich um Fräulein Wagner zu bemühen.

Er erzählte dann von seiner Familie. Seine Vorfahren seien ein altes Rittergeschlecht, er hätte vierzehn Ahnen, seine Eltern seien leider verarmt, doch habe er mutig und entschlossen sich einen bürgerlichen Beruf gewählt, den des Photographen, da er ihn für den schönsten hielte. Sein Großvater sei ein Schloßherr gewesen, ritterlich, kühn, der mehrere Jahre in Afrika gelebt und dort Heldentaten vollbracht habe.

»Es ist doch schade,« erwiderte Goldköpfchen, »daß ein solcher Mann stirbt und nichts mehr von seinen Fähigkeiten übrigbleibt.«

»Seine Eigenschaften pflanzten sich in seinen Nachkommen fort.«

»Ach – in Ihnen auch?«

»Ritterlichkeit ist meine beste Eigenschaft, Fräulein Wagner. Auch in meiner Brust lebt der Heldenmut, ich könnte, wie mein Großvater, auf Löwen- und Bärenjagd gehen –, o ja, das wäre so nach meinem Geschmack.«

Goldköpfchen begann leise zu lachen. Die Löwenjagd erinnerte sie wieder an den Spitznamen dieses Mannes. – Das Löwenhaupt auf Löwenjagd, das war doch zum Lachen!

»Worüber freuen Sie sich denn so sehr, mein liebes Fräulein?«

»Wollen wir nicht arbeiten?«

»Wir arbeiten ja beständig. Ein Plauderstündlein ist doch so etwas Reizendes. – Also, ein photographisches Atelier wollen Sie eröffnen? – Wenn ich Ihnen da aber nun Konkurrenz mache? Der Name von Sasseneck hat einen guten Klang.«

»Ach,« meinte Bärbel wegwerfend, »unser Name klingt noch besser. Von Ihrem Großvater weiß keiner was, aber bei uns könnte man denken, daß der berühmte Richard Wagner mein Großvater gewesen ist. Und mein zukünftiges Atelier wird auch viel größer als Ihres und fabelhaft elegant ausgestaltet. Blaue Seidenmöbel im Wartezimmer, ein Rauchsalon, die Havanna gibt es zu, für die Damen Marzipankartoffeln. – Sie sollen 'mal sehen, wie dann die Leute gelaufen kommen.«

»Ich habe eine Idee,« sagte Herr von Sasseneck, indem er Bärbel auf die Schulter schlug, »wir machen gemeinsam ein Atelier auf. Sie bekommen die Kinder zur Aufnahme – –«

»Nein – danke,« unterbrach ihn Bärbel, »Kinder will ich nicht, ich will die berühmten Leute photographieren. Und mit Ihnen mache ich überhaupt nichts –, daß uns die Leute verulken. Atelier zum Löwenkopf – –«

»W-a-s?«

»O je –, das wollte ich eigentlich nicht sagen. – Sie nehmen es nicht krumm, Herr von Sasseneck.«

»Das erfordert Buße, mein liebes Fräulein Bärbel! Löwenkopf nennen Sie mich? Wissen Sie, daß der Löwe seinen Gegner anfällt?«

»Nur wenn er Hunger hat.«

»Ich habe aber Hunger, schönes Fräulein Bärbel.« Er kam dem jungen Mädchen immer näher.

»Dann holen Sie sich ein Brot!«

»Nein, Hunger nach Kirschen – nach roten Kirschen –«

»Quatsch – Kirschen gibt es nicht im November. – Sollen die Platten noch länger hier drin liegenbleiben?«

»Bärbelchen – liebes Fräulein Bärbelchen – haben Sie denn noch nichts gemerkt?«

Das junge Mädchen war aufgesprungen. »Oller Schloßherr von Sasseneck, erscheine! Sage deinem Enkel, daß er sich ritterlicher benehmen soll und etwas mehr arbeiten muß!«

»Sie süßer Kobold!«

Der Photograph wollte Bärbel umschlingen, doch das junge Mädchen war ihm entwichen, patschte schnell mit der gespreizten Hand ins Wasser, so daß sich ein Sprühregen über Herrn von Sasseneck ergoß, dann eilte Bärbel zur Tür.

»Kühlen Sie sich zuerst 'mal ab!«

Sie stieß draußen an etwas –, das war Fräulein Pertis, die schon eine ganze Zeitlang horchend an der Tür der Dunkelkammer gestanden hatte. Seit Tagen glaubte sie bemerkt zu haben, daß ihr heimlich Verlobter die goldhaarige Elevin mit zärtlichen Blicken betrachte. So war sie heute Herrn von Sasseneck nachgegangen, und wenn sie auch nicht alles von der Unterhaltung der beiden vernommen hatte, genügte ihr das Gehörte, um zu wissen, daß Fräulein Wagner ihrem Udo den Kopf verdrehte.

»Sehen Sie mich denn nicht?« fuhr sie Bärbel zornig an.

»Nein,« gab das junge Mädchen zurück, »zwischen uns war die Tür.«

»Was tun Sie denn so lange in der Dunkelkammer?«

»Ich soll bei Herrn von Sasseneck lernen.«

»Wirklich eine entzückende Bemerkung! Ich mache Sie darauf aufmerksam, Fräulein Wagner, daß Herr Brausewetter das größte Gewicht auf Moral und gute Sitte legt.«

»Nun, dann ist es Zeit, daß er den Herrn von Sasseneck hinauswirft.«

»Sie sind nicht hergekommen, um sich vor allen Herren auffallend zu betragen. Sie sind ein Lehrling! Wenn es so weitergeht, werde ich Herrn Brausewetter davon Mitteilung machen.«

In Goldköpfchen kochte der Zorn auf. Es hatte sich nicht das geringste zuschulden kommen lassen, und nun wurde es so scheußlich behandelt. Es war ein Glück, daß gerade in diesem Augenblick ein Kunde das Empfangszimmer betrat und Fräulein Pertis dadurch abgerufen wurde.

Es war für Bärbel sehr schwer, ihre kleinen Pflichten zu erfüllen. Auf der einen Seite legte ihr Fräulein Pertis Steine in den Weg, sie durfte mit ihrem Kummer nicht zu Herrn von Sasseneck flüchten, der immer wieder eine Gelegenheit suchte, mit Bärbel allein zu sein, der ihr andauernd heimlich zärtliche Worte zuflüsterte.

Bärbel wurde immer scheuer und stiller. Mehrfach trug sie sich mit dem Gedanken, zu Herrn oder Frau Brausewetter zu gehen, um dort Beistand zu finden. Aber sie wollte auch wieder Herrn von Sasseneck nicht verklagen, weil sie wußte, daß sie sich dadurch ihre Stelle noch mehr erschwerte. Sie machte daheim der Großmama Andeutungen und gestand ihr eines Abends alles, denn das Herz war ihr übervoll.

»Hast du Herrn von Sasseneck schon zu verstehen gegeben, daß du seine Annäherungen nicht wünschest?«

»Das müßte er längst verstanden haben, Großmama.«

»Laß ihn wissen, mein Kind, daß du weder an eine Verlobung denkst, noch auf eine Kameradschaft Wert legst. Er wird sich dann gewiß bald wieder zurückziehen, wenn er einsehen muß, daß er von dir nichts erhoffen kann.«

»Ich will ihm sagen, Großmama, daß ich überhaupt nicht heiraten will, daß ich die Ehe abgeschworen habe.«

»Nein, mein Kind, solche Worte glaubt man keinem jungen Mädchen. Weise ihn ruhig, aber bestimmt zurück, das ist das Beste. Vielleicht wäre es gut, wenn ich einmal zu Herrn Brausewetter ginge und ihn bitte – –«

»Aber, Großmama –, ich bin doch kein Baby! Ich werde mir meine Stellung selbst erringen. Mit dem Löwenhaupt will ich fertig werden, und wenn mich die Pertis ärgert, beuge ich ergeben mein Haupt und sage: das sind eben die Berufssorgen, das ist Lehrkummer, den jeder herunterwürgen muß. Ach, ich weiß ja, während der Lehrzeit lebt man unter einem Joch. Und das muß man geduldig tragen.«

»Herr Brausewetter wird meinen Besuch richtig auffassen, mein Kind.«

»Nein, liebe, liebe Großmama, ich würde in seinen Augen zu einem Nichts zusammenschrumpfen, er würde mich für vollkommen unselbständig halten, ich würde viel verlieren. – Liebe Großmama, tue mir das nicht an!«

»Nun gut, Bärbel, so sieh selbst zu, wie du mit Herrn von Sasseneck fertig wirst. Aber sei vorsichtig und erschwere dir das Leben nicht selbst durch eine Unvorsichtigkeit. Und wenn du gar nicht mehr weiterweißt, so komm zu mir. Ich glaube aber auch, daß dich Herr Brausewetter gern anhören wird, wenn du dich über Herrn von Sasseneck bei ihm beschwerst. Auch das kann in ruhiger und sachlicher Weise geschehen.«

In den nächsten Tagen spann Bärbel die verschiedensten Pläne. Den Mann mit dem Löwenhaupt mußte sie sich abwimmeln.

An einem Morgen rief Harald Wendelin im Atelier an und fragte, ob es der Großmama recht sei, wenn er heute abend zu einem Plauderstündchen käme.

»Natürlich – wir freuen uns alle beide darauf. Kommen Sie nur!«

Herr von Sasseneck hatte dieses Gespräch gehört.

»Auf wen freuen Sie sich denn so sehr, Fräulein Wagner?«

Da glaubte Bärbel den rettenden Ausweg gefunden zu haben. »Auf meinen Verlobten.«

»Was – – auf Ihren Verlobten? Davon haben Sie ja noch nie etwas gesagt?«

»Weil diese Verlobung noch geheim ist. Es weiß kein Mensch etwas davon.«

Bärbel freute sich innerlich, daß sie sich mit diesen Worten selbst aus dem Lügengewebe befreit hatte. Und nochmals wiederholte sie:

»Noch kein Mensch weiß etwas davon.«

»Wer ist denn der Glückliche?« fragte Sasseneck giftig.

»Ja – kennen Sie denn den berühmten Herrn Wendelin nicht?«

»Den kenne ich nicht.«

»Lieber Himmel, er ist doch der Hauptmacher von der großen elektrischen Fabrik in Heidenau. Die allererste Kraft. Wenn er nicht da ist, stehen alle Maschinen still.«

»Was ist er denn dort?«

»Oberingenieur, die rechte Hand der Direktoren. – Ach, was sage ich –, beide Hände der Direktoren ist er. – Kurz gesagt, ohne ihn geht es nicht. Und schön ist er auch. – Ach, so was haben Sie überhaupt noch gar nicht gesehen. Kurzgeschnittenes Haar, auf der linken Seite gescheitelt, nur eine einzige Locke vorn, aber ganz klein, ganz diskret –, nicht so eine ekelhafte Künstlermähne. – Und der Schnitt seines Gesichtes – einfach klassisch. – Haben Sie schon einmal den Apoll von Belvedere gesehen? So ähnlich schaut er aus.«

Sasseneck zuckte die Schultern. »Mir können Sie viel erzählen, Bärbelchen.«

»Ich bin nicht Ihr Bärbelchen. – Wenn das mein Verlobter hörte, gäbe es Blut. – Bitte, nehmen Sie sich zusammen, Herr von Sasseneck, denn mein Verlobter fürchtet sich nicht vor Ihrem Großvater und seiner Ritterlichkeit, der geht aufs Ganze. – Wenn er den elektrischen Strom einschaltet, sind wir alle hops!«

»Wird man dieses Wundertier einmal kennenlernen?«

»Mein Verlobter ist so stark beschäftigt; wenn er wirklich einmal etwas Zeit hat, kommt er zu uns.«

»Deswegen könnten Sie doch neben Ihrem Verlobten noch einen Freund haben?«

»Den habe ich.«

»So – – dann haben Sie es also hinter den Ohren sitzen, wie man zu sagen pflegt.«

»Faustdick,« gab Bärbel mit blitzenden Augen zurück.

Unschlüssig blieb Herr von Sasseneck stehen. Er wußte nicht recht, was er aus diesem Fräulein Wagner machen sollte. Foppte sie ihn, oder war diese vermögende Krabbe wirklich schon vergeben? Aber wozu lernte sie dann den photographischen Beruf? Wahrscheinlich wollte sie sich vor ihm wichtig machen und ihn noch verliebter werden lassen.

Der Ruf des Chefs riß ihn aus den Gedanken. Brausewetter machte Herrn von Sasseneck Vorwürfe, denn Fräulein Pertis hatte ihn beim Chef verklagt. Seit Tagen sammelte sie Material gegen ihren heimlich Verlobten. So mußte Sasseneck tadelnde Worte über sich ergehen lassen. Er ahnte, daß diese Anklagen von der Empfangsdame kamen, und hielt es für richtig, Fräulein Pertis wieder zu versöhnen. Wenn die kleine Wagner wirklich bereits verlobt war, erschien es ihm das richtigste, mit Fräulein Pertis Frieden zu halten.

So suchte er sie während einer Ruhepause auf, erhielt aber leidenschaftliche Anklagen.

»Ich weiß genau, daß du Absichten auf die andere hast, das werde ich dir versalzen!«

»Du bist im Irrtum, mein Schäfchen, die Kleine ist längst verlobt.«

»Pah – verlobt – die, mit wem denn?«

»Mit dem Apoll von Belvedere, mit den beiden Händen des Direktors der elektrischen Fabrik in Heidenau.«

»Was soll dieser Unsinn?«

Sasseneck legte zärtlich seinen Arm um die Schulter der Empfangsdame. »Sei doch friedlich, mein Schäfchen. Wegen der kleinen, übergeschnappten Person brauchen wir uns doch nicht die Perücken abzureißen. Sie hat mir allerlei erzählt. Ich glaube natürlich kein Wort davon. Sie will mit ihrem Herrn Wendelin prahlen. Sie trägt ja keinen Ring. Sei also nicht eifersüchtig, Schäfchen, du bist mir doch die Liebste.«

Da wurde wieder Frieden geschlossen; aber Fräulein Pertis verlangte energisch, daß sich Udo in Zukunft von Bärbel fernhalte und daß er diese eingebildete Person in ihre Schranken zurückweise.


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