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»Ein ruhiger Miether,« sagte die alte Kanzleiräthin, »ist eine Perle und nicht mit Gold aufzuwiegen.«
Sie vermiethete nämlich seit dem Tode ihres Mannes ein paar möblirte Zimmer an einzelne Herren, um, wie es viele Witwen in der grossen Stadt thun, auf diese Art ihr bescheidenes Einkommen ein wenig aufzubessern.
»Sie haben wohl,« fragte ich, »mancherlei Erfahrungen mit Miethern gemacht?«
39 »Und zwar recht trübe,« erwiderte sie. »Ich selbst bin sehr für die Ruhe eingenommen, und in dem Hause, in dem ich wohne, gibt es einige Parteien, die es noch mehr sind. Diesen zu Liebe hat der Hauswirth schon in den Contract setzen lassen, dass im Hause keinerlei Musik gemacht werden darf, weder mit Leierkasten, noch mit Pianinos und Flügeln, auch nicht mit Harmoniken, Maultrommeln, Castagnetten, Holz- und Strohzithern, Mandolinen und Balalaiken, kurzum mit keiner Art von musikalischen oder unmusikalischen Instrumenten. Darum bin ich immer sehr darauf aus gewesen, stille Leute zu Miethern zu haben, und wenn Miethslustige sich meldeten, habe ich sie sehr scharf auf ruhige Gemüths- und Lebensart hin ins Auge gefasst und examinirt. Und doch habe ich mich manchmal sehr getäuscht.«
»Wie denn ja oft der Schein trügt,« 40 warf ich ein, um eine geistreiche Zwischenbemerkung zu machen.
»Sie haben mir aus der Seele gesprochen,« sagte die alte Dame mit Wärme. »Wer hätte es jenem Assessor, an den ich vor fünf Jahren vermiethete, angesehen, dass er Unruhe in unser Haus bringen würde. Er war die leibhafte Stille, die personifizirte Ruhe, er sprach sogar nicht einmal und ging also noch viel weiter, als ich verlangte. Denn mit einem gescheiten Menschen mag ich gern einmal eine Unterhaltung anknüpfen, doch bei ihm war das unmöglich, weil er gar keine Anknüpfungspunkte darbot; er war in Bezug auf Anknüpfungsfähigkeit eine gläserne Kugel. Und dieser herrliche Mann, das Ideal von einem ruhigen Menschen, machte sich im Hause unmöglich, weil er ein leidenschaftlicher Thierfreund war und mir nach und nach eine ganze Arche Noäh in die Wohnung brachte.«
41 »Wie fing das an?« fragte ich.
»Es fing an,« sagte die alte Dame, »mit drei oder vier Weissbiergläsern, die mit Moos und Ameisen gefüllt waren. Diese Ameisen, die verschiedenen Arten angehörten, beobachtete er, und sie zu füttern hatte er nicht nöthig, weil sie sich untereinander auffrassen. Dazu kamen bald Glashäfen mit Salamandern und Holzkisten mit Schlangen.«
»Alle diese Thiere,« sagte ich, »sind ja doch nicht lärmend, weder die Ameisen, noch die Salamander, noch die Schlangen. Letztere zischen zwar ein wenig, dieses Zischen aber ist, wie ich aus Brehm weiss, unbedeutend und selbst bei den über zwanzig Fuss langen Arten nicht lauter als das Geräusch, das ein heisser Plättbolzen hervorbringt, wenn man ihn mit nassem Finger berührt.«
»Das ist wahr,« sagte die Kanzleiräthin, »und das Zischen war es auch nicht, 42 was die Hausruhe störte, sondern auf andere Weise, wie ich Ihnen später erzählen werde, wirkten die Schlangen beunruhigend auf die Hausbewohnerschaft ein. Ausserdem blieb es auch nicht bei Ameisen, Salamandern und Schlangen. Allerhand kleine Säugethiere kamen dazu, und dann besonders Vögel auch, darunter sehr lärmende. Einige schrieen, schnatterten, schmetterten und pfiffen durcheinander, dass man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte, wenn man unter ihnen war; andere redeten ordentlich wie Menschen, aber wie sehr thörichte Menschen, und ein Grau-Papagei, welcher unaufhörlich versicherte, dass Lott' todt sei und Jule im Sterben liege, brachte das ganze Haus zur Verzweiflung, besonders aber den alten Obersten a. D., welcher neben dem Thierfreund wohnte, nur durch eine dünne Wand von demselben getrennt. Auch ein alter, nach der Versicherung des 43 Referendars mindestens tausendjähriger Rabe gehörte zu seinem Thierpark, ein äusserst boshaftes Geschöpf. Er sagte nie etwas, dachte sich aber im Stillen allerhand heimtückische Streiche aus. Eines Tages sass er dem Mädchen, als dasselbe einheizte, plötzlich auf dem Kopf und erschreckte sie so, dass sie wahrscheinlich auf alle Zeit für ihren Beruf untauglich geworden ist. Seitdem nämlich hatte sie von Zeit zu Zeit immer wieder das Gefühl, als sässe ihr noch der schreckliche Vogel im Haar, und dann liess sie alles fallen, was sie gerade in den Händen hatte. Ich musste ihr aufsagen und sie entlassen, nachdem der grösste Theil meines Porzellans durch sie zu Grunde gegangen war. Wie der Mann all dies Gethier ins Haus hineingebracht hat, weiss ich nicht; vielleicht unter dem Hut oder in den Rocktaschen, denn bemerkt habe ich niemals, dass er mit einem Vogel, einem 44 Nagethier oder einem Reptil nach Hause kam. Er war überhaupt ein sehr solider und an und für sich höchst ruhiger Mensch, so dass es mir recht leid that, ihm kündigen zu müssen; aber die übrigen Hausbewohner verlangten es, und ich selbst musste mir sagen, dass es für uns nothwendig sei, ihn loszuwerden, ehe er zu den grossen Raubthieren überging. Trotzdem zögerte ich immer noch, weil er mir übrigens so wohlgefiel, aber das Ausbrechen der Schlangen führte die Entscheidung herbei.«
»Wie kam das?« fragte ich.
»Wie es ihnen gelungen ist, sich zu befreien, weiss ich nicht. Wahrscheinlich hat er die Kiste offen gelassen, oder sie haben sich durch das Holz durchgefressen. Kurz, eines Tages waren sie aus der Kiste fort, und da zufällig die Zimmerthür offen gestanden hatte, so hatten sie auch das Zimmer verlassen. Nun wurde auf dem 45 Corridor eine regelrechte Schlangenjagd veranstaltet, an die ich Zeit meines Lebens denken werde. Mein Miether versicherte zwar, sie seien nicht giftig, ich meine aber, dass man Schlangen, ebenso wenig wie Pilzen, jemals trauen darf. Bei beiden kann man nie genau wissen, ob sie giftig sind oder nicht, und das einzig Richtige ist es, dass man sich überhaupt nicht mit ihnen einlässt. Nun gelang es dem Besitzer dieser gefährlichen Reptile, sie alle wieder einzufangen bis auf eine, welche verschwunden war und blieb. Diese eine hat sich bis jetzt, nachdem Jahre darüber vergangen sind, noch nicht wiedergefunden, und jetzt noch, so oft ich einen Schrank öffne, bin ich in der grössten Angst davor, dass sie mir giftspritzend könnte entgegengesprungen kommen. Am Tage, da der Ausbruch der Schlangen stattfand, kündigte ich dem Thierfreund, und vierzehn Tage darauf zog er aus mit 46 seinem ganzen zoologischen Garten, nicht ohne mir vorher noch Anweisung gegeben zu haben, in welcher Verpackung ich die Schlange, falls sie sich wiederfände, ihm zuschicken sollte. Als er fort war, fanden wir noch einen Igel unter dem Sopha, den er sich, nachdem er durch Postkarte von dem Funde unterrichtet war, abholte. Nach ihm kam ein Maler.«
»Ist denn,« fragte ich, »die Wohnung für einen solchen geeignet?«
»Es war kein Oelmaler,« entgegnete die Kanzleiräthin, »sondern eigentlich nur ein Zeichner, der seine Sachen schwarz auf Weiss machte, übrigens ein stiller Mensch, der mir sehr zusagte.«
»Aber?«
»Aber er hatte einen Anhang von Freunden, die nicht so still waren wie er. Die besuchten ihn häufig und lärmten und sangen in seiner Wohnung, ja sie tanzten sogar zuweilen in derselben – wenigstens 47 hörte es sich so an. Oft blieben sie sehr spät, polterten Nachts zwischen zwölf und zwei Uhr die Treppe hinunter und unterhielten sich noch von der Strasse aus mit ihm. Er war zu gutmüthig, das war sein Fehler. Ich glaube, dass er selbst sehr mässig und solide war, aber für die Freunde liess er Getränke holen, und die Folge davon war, dass sie anfingen zu singen. Er rauchte nicht, aber er hielt Cigarren für die Freunde, und was diese im Rauchen leisteten, das konnte man bald den Tapeten und den Gardinen ansehen. Als ich nun gar dahinter kam, dass er einmal einen obdachlosen Strolch, der ihm im Thiergarten aufgestossen war, aus Erbarmen ins Haus mitgenommen und die Nacht über beherbergt hatte, da kündigte ich ihm. Das war schon kurze Zeit darauf, nachdem er eingezogen war. Er war sehr verwundert über die Kündigung, und er that mir auch leid, aber das geht 48 doch nicht, dass man Leute mit solchem Anhang im Hause behält.«
»Nein, natürlich nicht. Wo hatte er den Strolch für die Nacht untergebracht?«
»Auf dem Sopha natürlich. Und am anderen Morgen war der Undankbare, ohne auf den Kaffee zu warten, fortgegangen, und zwar mit dem Ueberzieher, dem Hut, den Stiefeln, der Uhr und dem Regenschirm meines Malers. Der hatte noch fest geschlafen und nichts davon gemerkt. Nun, so musste denn auch dieser Künstler, weil er ein zu gutes Herz hatte, ausziehen, und sein Nachfolger war ein Gelehrter in gesetztem Alter.«
»Mit dem waren Sie doch gewiss zufrieden?«
»Ich hatte geglaubt, dass ich es sein würde, weil ich die Gelehrsamkeit für ein sehr ruhiges Gewerbe hielt. Das Nachdenken macht ja doch kein Geräusch und das Schreiben nur wenig. Auch die Eule, 49 welche symbolisch die Gelehrsamkeit repräsentirt, ist bekanntlich, abgesehen von dem Geschrei, das sie doch nur manchmal in der Nacht ausstösst, ein sehr ruhiger Vogel. Das sagte ich zu mir und dachte um so weniger an etwas Arges, als mir mein neuer Zimmerherr auch persönlich den Eindruck eines sehr ruhigen Menschen machte. Aber wie sehr wurde ich enttäuscht.«
»Hatte er auch einen lauten Anhang?«
»Nein, aber er war selbst laut. Zunächst hatte er die furchtbare Angewohnheit, beim Nachdenken fortwährend auf und ab zu gehen, gerade wie der grosse Königstiger im Zoologischen Garten, und zwar nicht am Tage nur, sondern auch in der Nacht, wenn der Königstiger, wie auch andere vernünftige und unvernünftige Creaturen, sich ruhig ausstreckt und schläft. Es war ganz erstaunlich, wie viel er nachdachte und umherging. Ich habe 50 mir ausgerechnet, dass, wenn er dieselbe Strecke geradeaus auf der Chaussee zurückgelegt hätte, er mit Bequemlichkeit jeden Tag von Berlin nach Potsdam und wieder zurück hätte gehen können, und das sind doch beinahe acht Meilen. Den Fussboden nutzte er in einer Weise ab, dass nachher eine gründliche Reparatur desselben nöthig war, und was mag er wohl an Schuhzeug verbraucht haben, obgleich er wenig ausging! Da er nun einen schweren Tritt hatte und die Berliner Häuser nur zu leicht gebaut sind, so hallte es durch das ganze Haus, wenn er ging, und dieses allein wäre schon ein ausreichender Grund gewesen, ihm aufzusagen. Aber er machte sich auch noch auf andere Weise unmöglich. Er hatte zahllose Bücher ins Haus gebracht, die auf hohen Gestellen placirt wurden, und unter diesen Büchern befanden sich viel dicke, in Schweinsleder gebundene 51 Folianten. Um Bücher von den oberen Borden herunterzuholen, musste er sich einer Trittleiter bedienen, und da er ungeschickt war, wie alle Gelehrten, so geschah es nicht selten, dass er fehlgriff und dass ein paar von den schweinsledernen Ungethümen mit entsetzlichem Krachen herunterstürzten. Einmal fiel er auch selbst von der Leiter, und wir fürchteten schon, dass es aus mit ihm wäre, weil gleich darauf alles still war. Aber nach kurzer Zeit hörten wir ihn schon wieder auf und ab gehen, und es stellte sich heraus, dass er sich nur wenig zerbrochen hatte. Zerstreut war er natürlich auch über die Massen, wie alle Gelehrten, und das führte endlich die Katastrophe herbei. Zuerst liess er den Hausschlüssel von aussen stecken, das eine Mal, als er spät Abends nach Hause kam, weil er in einer gelehrten Gesellschaft gewesen war. Ein Vorübergehender zog den Schlüssel aus und nahm 52 ihn mit, wahrscheinlich für eine Schlüsselsammlung, die er sich angelegt hatte. Das war sehr unangenehm, weil wir das Schloss mussten ändern lassen. Darauf vergass er eines Tages den Hahn der Wasserleitung zu schliessen, nachdem er sich derselben bedient hatte, und setzte dadurch einen grossen Theil des Hauses unter Wasser. Das war äusserst fatal, indessen liess ich es noch dabei bewenden, ihn in ernster Weise auf die Gefahren und Kosten aufmerksam zu machen, welche mit einer solchen Ueberschwemmung verbunden sind, denn ich dachte, man müsse Nachsicht mit einem Gelehrten haben. Aber schon am Tage darauf legte er Feuer an, aus Versehen allerdings. Er schleuderte nämlich in Gedanken das brennende Streichholz, statt die Lampe damit anzuzünden, in die Gardinen hinein, die alsbald lichterloh brannten, worauf das Feuer sich auch einigen anderen Gegenständen 53 mittheilte. Die Feuerwehr kam, und wir hatten einen grossen Auflauf in der Strasse. Nun musste er natürlich sofort hinaus, denn einen Menschen, der einem das Haus über dem Kopfe ansteckt, kann man doch nicht unter seinem Dache dulden. Er war sehr unglücklich darüber, weil er sich in der Wohnung wohl fühlte und für ihn seiner vielen Bücher wegen das Umziehen sehr beschwerlich war, aber es half ihm nichts. Nun ist er lange schon fort, aber mitunter, des Nachts besonders, ist es mir immer noch so, als hörte ich ihn ruhelos auf und ab gehen. Das ist natürlich Täuschung, aber keine angenehme.«
»Und es könnte nicht,« sagte ich, »von dem Nachfolger des Gelehrten herrühren?«
»Nein,« erwiederte die alte Dame, »derselbe hatte diese Angewohnheit nicht, obgleich er sie sehr wohl auch hätte haben können, denn er war ein Dichter.«
»O weh!« rief ich unwillkürlich.
54 »Sie denken wohl,« sagte die Räthin, »an das Bezahlen der Miethe dabei? Nein, darum brauchte ich keine Sorge zu haben. Er war ein gut situirter Herr und bezahlte pünktlich. Man braucht sich einen Dichter durchaus nicht immer hungernd und frierend, ohne weisse Wäsche und ohne Halsbinde mit geborstenen Stiefeln und unten ausgefransten Beinkleidern vorzustellen; es giebt auch solche, die ordentlich angezogen sind, regelmässige Mahlzeiten halten und alles baar bezahlen. Ob diese die besseren unter den Jüngern Apollos sind, weiss ich nicht, soweit reichen meine Kenntnisse nicht, die ich vom Dichterberuf habe. Kurzum aber, mein Miether gehörte der wohlhabenderen Klasse von Poeten an. Er hatte es eigentlich nicht nöthig, zu dichten, sondern dichtete zu seinem Vergnügen, keineswegs aber zu dem meinen.«
»War also das Dichten,« bemerkte 55 ich ein wenig erstaunt, »mit Getöse verbunden?«
»Leider! Er hatte keine Versschmiede und bediente sich überhaupt keiner lärmmachenden Vorrichtung zum Dichten. Auch einen Pegasus ritt er nicht, wenigstens habe ich von der Anwesenheit eines solchen in der Wohnung niemals etwas gespürt. Er dichtete anscheinend ohne jeden Apparat, wie es auch Zauberkünstler giebt, die auf ähnliche Art ihre Kunststücke machen und dadurch das namenloseste Staunen des Publikums hervorrufen. Was mich betrifft, so habe ich keine Vorstellung davon, weder wie man einen Vers machen, noch wie man einen Gegenstand verschwinden lassen kann, ohne dass dabei mit einer sehr complicierten Maschinerie gearbeitet wird.«
»Genau so geht es mir,« warf ich ein.
»Dieser Mann nun, der ganz ohne Apparat Verse machte, dichtete dabei doch 56 sehr laut oder deklamirte vielmehr laut, was er gedichtet hatte. Das war aber sehr schlimm, denn er machte nur Trauerspiele, in denen es unerhört grausam zuging und besonders auch wimmelte von Verwünschungen und Flüchen, die in die Welt hineingedonnert werden mussten. Noch dröhnen mir die Verse in den Ohren:
›So hab' ich also dennoch mich getäuscht!
Fluch sei dem Tag, an welchem ich zuerst,
Auronica, dein Angesicht gesehen!
Fluch sei dem Tag, an welchem ich geboren!
Dem Tage Fluch, an welchem ich zuerst
Kam nach Palermo in Gandolfos Haus!
Ha, Viper! Schändlich hast du mich betrogen
Indess mir Liebe deine Blicke logen,
Trugst du im Busen Odoardos Bild.‹
Das Stück, in welchem diese Verse vorkamen, hiess: ›Der Mord aus Eifersucht‹, es lag also ein ähnliches Motiv zu Grunde, wie in Shakespeares ›Othello‹, und ähnlich 57 endete die Sache auch. Natürlich war Auronica unschuldig, und ihr Geliebter kam erst dahinter, nachdem er sie völlig ermordet hatte. Was blieb ihm nun weiter übrig, als sich selbst den Tod zu geben? Auch aus der Scene, in welcher er dieses vollführt, indem er sich von einem Eisenbahnzuge überfahren lässt, habe ich einige Verse behalten. Sie lauten :
›Der Schnellzug naht! Eh er vorübersaust,
Will ich mich rasch platt auf die Schienen werfen,
Und blutend roll' mein schuldig Haupt dahin.‹
Wenn der Dichter mit furchtbarer Stimme diese furchtbaren Verse deklamirt hatte, pflegte er hinzuzusetzen: ›Er thut's‹. Ich schliesse daraus, dass der Selbstmord Francescos – so hiess er – auf offener Scene vor sich gehen sollte.
»In einem anderen Stück, dessen Name 58 mir entfallen ist, spielte ein fürchterlicher Tyrann eine hervorragende Rolle. Natürlich fällt derselbe durch den Dolch eines Verschworenen. In schrecklicher Erinnerung sind mir noch die Verse, in welchen der Verschworene, Namens Camillo – alle Stücke dieses Dichters spielten in Italien – dem Tyrannen sein nahendes Verhängnis ankündigt:
›Nicht länger, rücksichtslosester Tyrann,
Nicht länger wollen wir dein Joch ertragen.
Die Nemesis, die grause, naht heran –
Bereite dich, dein Stündlein hat geschlagen.
Siehst du den Dolch in meiner Rechten blinken?
Im nächsten Augenblick wirst du vom Thron
Hinunter in den Schlund des Orkus sinken.
Erkenne mich! Ich bin Antonios Sohn.‹
Auf diese Verse folgte von Seiten des Dichters noch der in derselben Tonart 59 gehaltene Zusatz: ›Er stösst zu. Grimaldo fällt und windet sich zuckend am Boden.‹
»Alle Parteien im Hause kamen bald darin überein, dass der Dichter hinaus müsse. Weil er aber sonst ein ordentlicher Mensch war, nüchtern und fleissig und ein Mann von moralischen Grundsätzen, so versuchte ich es erst noch mit einem milden Mittel. Eines Tages suchte ich ihn in seiner Wohnung auf und störte ihn mitten im Deklamiren. Ich glaube, dass er dabei vor dem Spiegel gestanden hatte, um sein Mienenspiel und seine Gesten beobachten zu können. Mit Donnerstimme rief er ›Herein!‹ als ich anklopfte, und als ich ins Zimmer trat, rollten seine Augen noch so furchtbar, dass mir himmelangst wurde. Aber ich fasste mir ein Herz und redete zu ihm ruhig und freundlich. Ich stellte ihm vor, dass das Deklamiren aufhören müsse. Wenn Theaterstücke ohne das nicht geschrieben werden 60 könnten, so möchte er doch vom Drama zum lyrischen Fach übergehen, wozu er doch auch gewiss grosses Talent habe, oder zum Epos. Beim lyrischen wie beim epischen Dichten ginge es doch sicherlich leiser her.
»Er hörte mich ruhig an und entgegnete mir ebenso ruhig, das ginge nicht. Er habe nun einmal Anlage zum dramatischen Dichter und hoffe darin noch einmal Grosses zu erreichen, wenn auch bis jetzt allerdings noch keines seiner Stücke zur Aufführung gelangt sei. Der Geschmack des Publikums sei zur Zeit gründlich verdorben, er müsse abwarten, dass sich derselbe wieder bessere. Dann werde sein Stern aufgehen. Ohne Deklamiren aber ginge das Dramendichten nicht, weil man ohne das nie über den Effekt, den man hervorzurufen beabsichtigt, ins Klare kommen könnte.
»So einigten wir uns denn in Frieden 61 dahin, dass er das Haus verliess, und er hat darauf, wie ich höre, eine Wohnung im vierten Stock eines Hinterhauses bezogen, wo er niemand stören konnte, weil über ihm das Dach und unter ihm eine Tischlerwerkstatt war.«
»Sie haben da allerdings,« sagte ich, »eine Reihe von schlimmen Erfahrungen mit Miethern gemacht.«
»Gott sei Dank,« erwiderte sie, »war diese mit dem dramatischen Dichter die letzte.«
»Nach ihm fanden Sie wirklich einen ruhigen Miether?«
»Freilich. Ich war bis dahin immer so sehr vorsichtig gewesen, hatte mir jeden, der die Wohnung miethen wollte, genau angesehen, mich auch erkundigt nach ihm, und so manchen wieder fortgeschickt, und doch war ich immerzu das Opfer schwerer Täuschungen geworden. Nun, weil ich dachte, es hilft doch alles 62 nichts, nahm ich den ersten besten, der angelaufen kam, obgleich er sich mir in keiner Weise empfahl. Der war die lange vergebens gesuchte Perle.«
»Und welches Metier betrieb dieser Mann?«
»Er war Musikant.«
»Um Gottes Willen! Was für ein Instrument handhabte er?«
»Er blies das Horn, manchmal auch die Trompete, wie er sagte.«
»Und mit diesem Menschen konnten Sie es im Hause aushalten?«
»Ich sagte Ihnen ja, er war die gesuchte Perle. Wo er das Horn bläst, weiss ich nicht, vielleicht in entlegenen Wäldern oder auf hohen Bergen. Jedenfalls thut er es nie zu Hause. Er ist der leiseste Mensch, der mir je vorgekommen ist. Man merkt es gar nicht, dass er da ist. So war er gleich zuerst, und so ist 63 er geblieben. Zu Ostern werden es zwei Jahre, dass er in unserem Hause wohnt.«
»Dann,« sagte ich, »wünsche ich Ihnen von Herzen, dass Sie lange Zeit noch diesen lautlosen Musikanten, der jedenfalls eine merkwürdige Species bildet, als Miether behalten.«
Die Kanzleiräthin war zu Ende mit ihrem Bericht und wir erhoben uns, denn eben trat die Frau des Hauses ins Zimmer und bat uns, zu Tische zu kommen. 64