Franz Treller
Der König der Miami
Franz Treller

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Eine Überraschung

Die Sonne hatte bereits den Zenit überschritten, als die Männer sich gekräftigt erhoben. Als der alte Puritaner seiner Gewohnheit nach ein leises Vaterunser betete, sah er, aufschauend, die Augen des Irren wie in kindlichem Staunen auf sich gerichtet. Plötzlich faltete der Mann die Hände und begann die Worte des Gebets nachzusprechen. Er kam nicht mehr ganz damit zustande, aber es schien offensichtlich, daß er es kannte und irgendwann einmal zu beten gewohnt gewesen war. Burns versuchte seinen flackernden Blick zu fassen und sprach ihn an: »Ihr kennt das Vaterunser?«

»Vaterunser?« sagte der Irre und schüttelte nachdenklich den Kopf.

»Vater unser, der du bist im Himmel«, begann der Alte. In den flackernden Augen ihm gegenüber leuchtete es auf.

»Ihr kennt das Gebet von Euren Eltern? Aus Eurer Kindheit?« Die Augen blieben leer. Der Mann schien nicht zu wissen, was Eltern und Kindheit bedeutete.

»Ihr seid Engländer?« fuhr der Alte fort; »Ihr sprecht englisch.« Die Augen flackerten stärker. »Engländer!« zischte der Mann und spuckte aus. Dann richtete er sich auf; der irre Ausdruck in seinem Gesicht verstärkte sich. »Way-te-ta ist ein Krieger der Oneida«, sagte er, »kein Yengeese!«

»Er war vielleicht früher ein Engländer«, beharrte Burns. Aber den Mann schien das Wort wild zu machen; er fletschte die Zähne. »Way-te-ta Oneidakrieger!« wiederholte er stumpf.

»Wieso hat er dann weiße Haut?«

Der Mann sah an sich herab, sein Gesichtsausdruck wurde stumpf; das Auge blickte leer; er antwortete nicht.

»Way-te-ta hat doch sicher Eltern gehabt«, fuhr Burns unbeirrt fort, »erinnert er sich nicht? Einen Vater, eine Mutter?«

»Mutter«, wiederholte der Mann, und seine Stirn zog sich wie in angestrengtem Nachdenken zusammen, »Mutter?« Sein Kopf fuhr plötzlich hoch, ein Ausdruck hemmungsloser Wildheit trat darin hervor. »Way-te-ta Oneidakrieger!« stieß er heraus, sich unruhig umsehend. Gleich darauf versank er wieder in Lethargie. Sein Blick traf Bob Green. Bob sah ihn unverwandt an. »Wo habe ich nur dieses Gesicht schon gesehen?« murmelte er. Way-te-ta schien nichts zu sehen und zu hören; seine Gedanken mochten irgendwo suchend umherirren, in der eigenen Vergangenheit vielleicht. Er erhob sich plötzlich und ging, als rufe ihn eine Stimme, mit langen, wiegenden Schritten in den Wald.

»Mir ist, als kennte ich das Gesicht, und zwar schon seit langem«, sagte der Bootsmann, »seit das Wasser die greuliche Malerei aus seinem Gesicht wusch, grübele ich darüber nach. Ich finde es nicht. Da ist irgend eine Ähnlichkeit – ich weiß nicht, mit wem.«

Burns maß ihn mit einem verwunderten Blick. Bob schüttelte nachdenklich den Kopf.

»Wir müssen überlegen, was wir nun beginnen wollen«, sagte der Farmer nach einer Weile, und, sich an Waltham wendend: »Wie beurteilen Sie die Lage, Sir Richard?«

Der junge Baronet, der noch immer einen sehr erschöpften Eindruck machte, lächelte schwach. »Verzeiht, Freunde«, antwortete er, »ich versuche mich erst zurechtzufinden. Ich war zu lange von der Welt abgesperrt. Die Tatsache des Krieges hat mich überrascht; ich begreife immer noch nicht, wie es dazu kommen konnte. Ich war vor gar nicht langer Zeit drüben in England, da dachte noch niemand an eine solche Möglichkeit. Die kolonialen Streitigkeiten hier in Amerika schienen in keiner Weise wichtig. Nun ist es doch so weit gekommen. Und hier scheint es mir nun vor allem um Akadien und die Verhältnisse am Ohio zu gehen. Die Franzosen sind von ihren Ausgangsstellungen am Erie aus nach Süden gegen den Ohio vorgestoßen, um die Landstriche dort in Besitz zu nehmen. Die Überraschungsaktion dürfte ihnen teilweise gelungen sein. Von Osten aus gilt der Angriff den Kolonien Virginien und Pennsylvanien. Hier im Norden sind New-York, Connecticut und wohl auch Massachusetts in Mitleidenschaft gezogen worden. Es kann meines Erachtens nur zwei größere Kriegsschauplätze geben: Im Ohiotal und am Champlain- und Georgsee. Im Ohiotal war die Miami-Konföderation den Engländern verbunden; der Bund scheint gesprengt, und es ist offensichtlich ein Umschwung zu Gunsten der Franzosen eingetreten. Die indianischen Stämme scheinen überhaupt uneinig und hin- und hergerissen. So geht der Riß mitten durch den Irokesenbund. Von den sechs Nationen stehen zwei auf unserer Seite: Onondaga und Mohawk, die anderen haben sich, wohl unter Führung der Seneca, für die Franzosen entschieden. Stammesstreitigkeiten mögen dazu beigetragen haben; Onondaga und Seneca waren einander schon lange nicht grün. Die Huronen haben immer auf Seiten der Franzosen gestanden, sie haben lange und schwer unter den Angriffen der Oneida und Onondaga zu leiden gehabt und sind schließlich aus reinem Selbsterhaltungstrieb zum Bündnis mit den mächtigen Seneca gekommen. Jedenfalls, die Wälder rund um die Seen starren von Waffen; blutige Auseinandersetzungen scheinen unvermeidlich. Wenn ich mich unter diesen Umständen frage, welcher Weg uns die größte Sicherheit gewähren könnte, möchte ich sagen: der Marsch nach Südosten, zum Hudson. In dieser Richtung müßten wir schon nach kurzer Zeit auf befreundete Stämme stoßen, wahrscheinlich auch auf englische Linientruppen und Kolonialmiliz. Ich glaube nicht, daß ich mich in dieser Berechnung irre.«

»Was meinst du, Häuptling?« wandte der Alte sich an Ni-kun-tha.

Das Gesicht des Indianers blieb unbewegt. »Ni-kun-thas Weg klar«, antwortete er. »Seine Krieger sind bei den Shawano. Die Shawano wohnen im Westen. Ni-kun-tha muß nach Westen gehen. Den Weg zum Hudson kennt er nicht.«

»Und Ihr, Bob?«

»Nicht einfach zu sagen, Sir«, knurrte der Bootsmann. »In den Wäldern kenne sich der Teufel aus. Sehen überall gleich aus. Zumal, wenn hinter jedem Baum eine schuftige Rothaut lauern kann. Meine deshalb: Es ist ziemlich gleich, ob wir nach West oder Ost gehen. Wenn ich aber sagen wollte, daß ich große Lust hätte, nach Westen zu gehen, müßt' ich lügen. Aber mit der Ostrichtung verhält sich's nicht viel anders. Habe überhaupt keine Lust, durch die Wälder zu – klettern, muß man ja wohl sagen. Muß aber überhaupt marschiert werden, was der Teufel holen soll, dann ist's, glaube ich, immer noch besser nach Westen. Erstens bleibt dann der alte Ontario an seiner Stelle, und der Genesee kommt uns näher. Das Beste wäre natürlich, wir versuchten, auf dem Wasser vorwärts zu kommen. Hab' zu Lande verdammt wenig Erfahrung und kann deshalb auch nichts sagen. Muß mich fügen, wenn's mir auch schwer fällt.«

»Ich will Euch gerne glauben, daß der Weg nach dem Hudson weniger Gefahren bietet«, wandte Elias Burns sich wieder an Waltham. »Aber ich muß nach Hause, Mann. Die Unruhe bringt mich bald um, wenn ich an meine Tochter denke und mir vorstelle, daß die Wilden am Genesee herumheulen.«

»Damit kein Irrtum entsteht: Ich bleibe natürlich bei Euch, ob Ihr nun nach Ost oder West geht«, warf Bob Green ein.

»Das gilt natürlich auch für mich«, sagte Waltham lächelnd. »Selbstverständlich möchte ich gern nach Albany, aber ebenso selbstverständlich ist es, daß ich mich hier in der Wildnis nicht von Euch trenne, ganz abgesehen davon, daß ich Euch meine Freiheit und vielleicht das Leben verdanke. Und schließlich, da Ni-kun-tha nach Westen geht, und der Häuptling im Augenblick zweifellos unser wichtigster Mann ist, so ist es klar, daß wir alle nach Westen gehen.«

So wurde denn also beschlossen, sich gemeinsam westwärts zu wenden. Way-te-ta kam nach einiger Zeit zurück; er hatte in einem Eßgeschirr eine ziemliche Menge Waldbeeren gesammelt, die allen gut schmeckten. Bald darauf brach man auf, um bis Sonnenuntergang noch eine Strecke nach Westen zurückzulegen. Den Bach weiter zu verfolgen schien sinnlos; man hätte zu diesem Zweck das Kanu eine ziemliche Strecke um den Fall herumtragen müssen. Man nahm deshalb den Weg durch den Wald.

Einstweilen fiel ihnen nichts Beunruhigendes auf. Bald nach Sonnenuntergang erreichten sie einen sich von Norden nach Süden erstreckenden See. Sie stießen von Nordosten kommend darauf zu und sahen das gegenüberliegende Ufer vor sich. Da die Nacht nicht mehr fern war, schien es geraten, sich einen geeigneten Ruheplatz zu suchen. Sie brauchten sich auch gar nicht weit umzusehen; zu ihrer Überraschung stieß Ni-kun-tha bald darauf auf ein noch gut erhaltenes Blockhaus nahe am Seeufer. Es war eine dieser aus rohem Holz primitiv zusammengeschlagenen Hütten, wie Jäger und Waldläufer sie sich hier und dort zu errichten pflegten, wenn sie sich längere Zeit in einem bestimmten Jagdrevier aufzuhalten gedachten. Es mußte jetzt längere Zeit nicht mehr benutzt worden sein, denn das Dach war ziemlich stark beschädigt, und die Tür hatte sich ihrer aus Weidengeflecht hergestellten Angeln entledigt und lag am Boden. Immerhin schien dieses Häuschen ein geradezu idealer Aufenthaltsort für die Nacht, die in der Regel empfindliche Kälte zu bringen pflegte. Auch war der Waldboden ziemlich feucht.

Sie machten sich unverzüglich an die Arbeit. Gras und Strauchwerk wurde herbeigeschleppt, die Tür wieder befestigt und das erbeutete Bärenfell ausgebreitet. Feuer zu entzünden wagte man nicht, solange man sich nicht näher im Wald umgesehen hatte. Da ohnehin alle müde und erschöpft waren, legte man sich nach einer kleinen Mahlzeit aus dem gebratenen Bärenfleisch, das man mitgenommen hatte, bald zur Ruhe.

Richard Waltham aber vermochte nicht einzuschlafen. Er sah die Sterne durch die Ritzen und Fugen im Dach schimmern und überließ sich seinen wenig erfreulichen Gedanken. Die Erlebnisse der jüngsten Zeit standen wieder vor ihm auf. Er erlebte noch einmal den jähen Oberfall auf den DUKE OF RICHMOND. Damals hatte er nicht ahnen können, daß das Piratenstück eigens seinetwegen veranstaltet worden war, und ganz gewiß hätte er nicht auf den Gedanken kommen können, in seinem Vetter Hotham den Anstifter der Sache zu sehen. Die Zeit der Gefangenschaft war nicht einfach gewesen. Er hatte immer und immer wieder hohes Lösegeld geboten, sicher, daß sein Onkel kein Mittel scheuen würde, ihn zu befreien, aber er hatte nichts damit erreicht. Dann wieder hatte es unter den Piraten bei Trinkgelagen öfters böse Situationen gegeben, wenn einzelne betrunkene Kerle sich auf ihn stürzen und ihn kurzerhand umbringen wollten; in solchen Fällen hatte ihn das Dazwischentreten des Piratenkapitäns immer noch gerade im letzten Augenblick gerettet.

Der jähe Tod seines Oheims, noch dazu unter solchen Umständen erfolgt, ging ihm nahe, und die Handlungsweise seines Vetters sah ihn fassungslos; hilflos gegenüber heimtückischen Ränken, deren Quelle ihm verschlossen war, wußte er nicht einmal, wie er ihnen begegnen sollte.

Die Unruhe trieb ihn nach einiger Zeit vom Lager und hinaus in die schweigende Nacht. Die Gefährten schliefen bis auf Ni-kun-tha, dessen dunkle Augen ihm aufmerksam folgten. Er ging ein Stück am Seeufer entlang und ließ sich schließlich unter der Krone eines breitästigen Baumes nieder. Über ihm funkelten die Sterne, tausend sprühende Lichter im glatten Spiegel des Sees erzeugend. Bis auf das Rauschen in den Baumkronen war feierliche Stille ringsum. Auch die Natur schien zu schlafen.

Was tue ich, wenn ich aus dieser Wildnis heil herauskommen sollte? dachte Waltham. Soll ich dem eigenen Blutsverwandten mit den Mitteln des Gesetzes entgegentreten? Soll ich ihn einfach davonjagen wie einen räudigen Hund? Nun, einstweilen waren Gedanken dieser Art wohl müßig, denn die Wälder steckten voll roter Teufel, und nahezu alle Wege schienen verlegt.

Waltham wußte nicht, wie lange er, in Gedanken versunken, am Seeufer gesessen hatte, als plötzlich Stimmengewirr zu ihm herandrang. Die Stimmen kamen von rechts, sie näherten sich und wurden allmählich deutlicher. Er unterschied französische Laute, Wortfetzen, die der leichte Wind vom See her zu ihm herübertrug. Er glitt unwillkürlich hinter den Baum, unter dem er gesessen hatte, und verschmolz mit dem Stamm. Plötzlich zuckte er zusammen: Das gab es doch nicht. Das war doch unmöglich. Ihm stockte der Atem, er glaubte sich von einem Spuk genarrt. Aber dann wurde die Stimme, die da sprach, deutlich, er hörte den scharfen, befehlsgewohnten und Widerspruch von vornherein ausschließenden Ton. Diese Stimme gab es nur einmal. Mochte es zusammenhängen wie es wollte, einer der beiden Männer, die da, französisch miteinander sprechend, herankamen, war Edmund Hotham, sein Vetter, der Mann, dessen er eben noch grollend gedacht hatte. Dann sah er die Umrisse zweier Männer sich schattenhaft vom Spiegel des Wassers abheben. Der zweite Mann – er vermochte Einzelheiten nicht zu erkennen – war seiner holprigen Aussprache und seiner Akzentuierung nach ein Indianer, der andere aber, jeder Zweifel war ausgeschlossen, sein Vetter Hotham.

»Mein Freund mag ruhig sein, ich habe die zwanzig Krieger selbst ausgewählt«, sagte der Indianer. »Sie sind ihnen auf den Fersen. Der hungrige Wolf kann nicht eifriger einer Spur folgen als meine jungen Leute. Sie haben noch einen anderen Grund. Bei den Yengeese weilt ein Miamihäuptling, ein räudiger Hund, der den großen Mona-ka-wache aus dem Hinterhalt abschoß. Mein Bruder glaube mir: wir werden sie finden.«

»Und wenn sie sich längst zu den englischen Truppen oder zu den Engländern befreundeten Stämmen durchgeschlagen hätten?«

»Sie können soweit noch nicht sein. Ob sie sich nun nach Osten oder Westen gewandt haben, meine Krieger finden sie. Der weiße Mann mag mir glauben. Der weiße Mann hat viel Geld gegeben; die Seneca kennen den Wert des Geldes; sie wissen, was sie an Büchsen und Decken dafür kaufen können. Er kann sich auf sie verlassen.«

»Ich verdoppele die Summe, sobald ich Gewißheit habe, daß der Mann nicht mehr lebt«, sagte der Weiße.

»Er soll sterben wie die anderen. O-kon-tha gab sein Wort; er wird es halten. Die Seneca sind bereit, hundert Krieger zu opfern, um den Miami zu fangen. Die Huronen sind den Seneca befreundet. Die weißen Leute, deren Tod mein Bruder wünscht, befinden sich bei dem Miami. Sie werden alle nicht entkommen. Im Osten stehen Franzosen und Huronen, im Westen – aber mein Bruder wird sehen. Er wolle jetzt mit mir in das Kanu steigen, ich bringe ihn zum Lager der Krieger aus den Kanadas. O-kon-tha muß dann zu den Seinen zurück.«

Der von wilden Gefühlen geschüttelte Waltham sah zähneknirschend, wie die beiden Männer ein im Ufergebüsch bereitliegendes Kanu bestiegen und in den See hineinfuhren. Bald tauchten sie in der Dunkelheit unter.

Richard Waltham war wie gelähmt; er vermochte sich nur schwer aus seiner Erstarrung zu lösen. Dann war es, als zöge sich ein eiserner Ring um sein Herz. Dieser Schuft! dachte er. Soweit gehen Ehrgeiz und Geldgier also, daß sie selbst den Verrat nicht scheuen. Ein Mann, der auf den englischen Pairstitel Anspruch erhebt, konspiriert mit dem Landesfeind! Scheut sich nicht, mitten im Krieg die Hilfe des Feindes für seine persönlichen Schurkereien zu erkaufen! Dann kamen die nüchternen Überlegungen: So nahe also stand der Feind! In den Wäldern Irokesen und jenseits des Sees französische Truppen! Er erhob sich schwerfällig und ging nach der Blockhütte zurück. Er hatte sie noch nicht erreicht, als ihm der Miami entgegenkam. Mit hastigen Worten flüsterte der Weiße ihm zu, was er soeben erlauscht hatte.

Das Gesicht des Häuptlings verdüsterte sich, dann verzogen sich seine Lippen zu einem verächtlichen Lächeln. »Finden nicht Spur«, sagte er, »zu viel Fels. Denken auch nicht, daß wir nach Westen gehen, suchen nach Osten. Hier nicht gut. Sicher viel Seneca und Oneida im Wald. Können Spur nicht verbergen. Großer Büffel zu schwer. Wenn Sonne da, Seneca werden sehen.«

»Was also tun, Falke?«

»Ni-kun-tha wird warten, bis der Seneca zurückkommt.«

»Töte ihn nicht, Falke. Das würde sie uns erst recht auf den Hals hetzen.«

»Nicht töten. Verfolgen. Sehen, wo Seneca schlafen.«

»Ja, das ist gut, Falke.«

»Du gehen zu Shanty zurück. Wecken alle. Zu viele Feinde. Wenn Eule schreit, dann Gefahr.«

Der Indianer entfernte sich in der Richtung, aus der Waltham gekommen, und dieser ging zur Blockhütte zurück. Er weckte die Gefährten bis auf Way-te-ta und berichtete ihnen sein Erlebnis.

Der alte Burns zeigte sich besorgter als je zuvor. Selbst John schien einigermaßen ratlos, und Bob äußerte den Wunsch, das ganze Irokesengezücht möchte nur einen Hals haben, damit er ihm die Gurgel zudrücken könne.

Indessen erkletterte Ni-kun-tha draußen eine hochragende Fichte, von der aus er die ganze Fläche des Sees zu überblicken vermochte. In der Entfernung von einigen Meilen sah er die hellen, glühenden Punkte der französischen Wachfeuer. Dort mochten die Truppen liegen, von denen der Seneca gesprochen hatte. Er stieg wieder hinab, verbarg sich in der Nähe der Stelle, wo das Kanu gelegen hatte und wartete geduldig. Eine der besten indianischen Eigenschaften ist das geduldige Wartenkönnen.

Es verging ein Weilchen, bis er den regelmäßigen Schlag eines Ruders vernahm. Er sah aus seinem Versteck heraus den Irokesen landen und in den Wald hineingehen, einem schmalen, mit dem Tomahawk roh ausgehauenen Pfade folgend.

Ni-kun-tha folgte ihm mit den geschmeidigen Bewegungen einer Wildkatze. Sie mochten an die fünfhundert Schritte zurückgelegt haben, als der Miami Feuerschein durch die Baumstämme schimmern sah. So nahe also lagerte der Feind? Wunderbar genug, daß sie das Shanty erreicht hatten, ohne bemerkt zu werden.

Der junge Miami fühlte eine starke Versuchung, dem Senecakrieger sein Messer in den Nacken zu stoßen; er erlag ihr nicht, sagte er sich doch, daß ein kleiner Schrei des Mannes das ganze Lager in Aufruhr bringen würde. Er wußte jetzt, wo die Irokesen lagerten. Offenbar waren es dieselben Leute, die mit Mona-ka-wache den Fluß herabgekommen waren, dessen Leben seine Kugel ein Ende bereitet hatte.

Er ging vorsichtig und nach allen Seiten sichernd nach dem Shanty zurück, wo man ihn schon sehnsüchtig erwartete. »Sehen Franzosenlager, Irokesenlager. Kommen, nehmen Kanu, gehen auf See«, sagte er kurz, »Wasser keine Spur.«

Sie ergriffen das Kanu, das sie vorsorglich mitgenommen hatten, und gingen zum Ufer. Ni-kun-tha und John griffen zu den Rudern. Auf Weisung des Indianers fuhren sie quer über das Wasser zu einem Punkt, der etwa die Mitte zwischen den feindlichen Lagern bildete.

Sie spähten, sich dem Ufer nähernd, nach einer Bachmündung aus, erschien es doch gefährlich, unmittelbar das Land zu betreten. Hunderte scharfer Augen lauerten rundum in den Wäldern. Es mußte damit gerechnet werden, daß Läufer den See abstreiften. Nach vergeblichem Suchen glaubten sie zwischen dem den Uferrand säumenden Schilf eine Öffnung zu erblicken und lenkten das Kanu darauf zu. Es zeigte sich gleich darauf, daß sie nicht in eine Bachmündung, sondern in einen Sumpf einliefen, der von Schilfinseln und Bäumen durchsetzt, sich weit auszudehnen schien. Sie fuhren in der Dunkelheit hin und her; augenscheinlich hatten sie sich bereits ziemlich weit vom Seeufer entfernt. Es schien äußerst bedenklich, sich noch weiter zu wagen, zumal niemand wissen konnte, wie weit das Sumpfgebiet sich erstreckte. Sie hielten deshalb im Schilf und erwarteten die Morgendämmerung.

Der Aufenthalt in dem schmalen indianischen Kanu war für alle reichlich unbequem, da keiner die Glieder zu rühren vermochte, die allmählich in der Feuchtigkeit zu erstarren begannen. Vor allem Bob wußte kaum noch, wie er seine gewaltigen Gliedmaßen unterbringen sollte.

Way-te-ta verhielt sich vollkommen still, der Indianer kauerte ebenso lautlos im Stern des Bootes.

»Wie, um alles in der Welt, mag der junge Hotham hierher in die Wildnis kommen?« sagte Elias Burns nach einer Weile.

Der Miami wandte ihm das Gesicht zu. »Grade Zunge ihn fortjagen«, entgegnete er, »Ni-kun-tha ihm sagen, was weißer Schurke getan.«

»Hoffe, ich kriege ihn mal zwischen die Fäuste, den sauberen Patron«, knurrte Bob Green.

Waltham äußerte sich nicht, und allmählich trat wieder Schweigen ein. Sehnsüchtig warteten alle auf den Aufgang der Sonne.


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