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1

Pavillon

Sonnenstreif im Pavillon. Was wird beleuchtet? Schweifbeinig rückt ein Stück Möbel, vergoldet, an die Lichtbahn, beworfen mit Weste, Rock, Halsbinde, zeither ungebürstet alles. Auf den Schuhen, deren einer die Diele weitspurig im Passepied betritt, sind Schnallen von Stahl, zu verstaubt, um zu blitzen. Die hohen und enggestellten acht Schmalwände rundum gibt es auf und ab Götter, Tiere, Wolken, ambrosische Wollust. Etwas rissig, aber beflissen, verstaubt, aber wacker, gesunde Handgreiflichkeit, auf den Kalk gestrichen. Am gewaltigsten die mondgehörnte Frauensperson, sie steigt still aus ganz lichtem Gewölk zum Endymion nieder. An ebendieser Stelle ist im Meublement des Pavillons ein Bett vorgesehen, durch welches der gemalte Götterliebling verdeckt wird, daher denn die Schöne ihre lüsternen Füße schwebend hinter den wirklichen Mann stellt, der hier schläft, ungemalt, ja sich im Schlaf bisweilen herumwirft. Ihn betrachtet die mondgehörnte Artemis, Bogen lässig geschultert, die Hand mit Pfeilen angefüllt. Mit kalter Jägerbrunst prüft sie, Schwester des fernhintreffenden Geistgottes, eine hier ausgestreckte Beute.

Er, welcher die blaue Stunde zwischen Nachmittag und Abend in der gefährlichen Gesellschaft von Göttern verschläft, Mozart, noch auf dem Rücken liegend, wie er vor einigen Stunden sich hierhergeworfen, hemdärmelig, in Hosen und Strümpfen, hat den Kopf hintenüber gehängt. Die Sonne, als sie kommt, findet zunächst ein aufgerecktes Kinn vor. Hierdurch erscheint der beschattete Teil des Gesichts wie maskiert, nein, die Augen sind schlechthin dunkle Löcher, und etwas unheimlich ziehen sich die Schatten der blauen Stunde um die Nase, nicht samtig, schwarz, Venediger maschera, wie hier vorhandener Mann sie gern auf der Redoute verwendet. Oben blau, über dem Mund golden, bespielen, vielfach gekreuzt, Schatten und Lichter die beweglichen Züge, wenn der Schlafende hustet, seufzt, sich wirft, Pudergewölk von den Haaren aufgehen läßt. Im Sonnenstreif nebelt es davon goldig herum, vorübergehend scheint der Mann in grünem Leuchtfeuer zu liegen, als die Parkbäume draußen sich heftiger herneigen, mit schief herangerauschten Kulissen das Haus enger und dunkler umflügeln. Der Schein geht weiter; durch die Jalousie in fünf goldene Parallelen gestabt, geht er ganz über den Mann her. Seine Brust atmet, der Mund bewegt sich; im System eingefangen, greifen bisweilen die Hände. Hier liest die Sonne auf ihre Art Partitur, er, welcher gelesen wird, fühlt sich davon bedrängt.

Links, auf dem Sekretär, könnte sie rückwärtigen Anschluß herstellen, über die Tischplatte sowie ein kleines Spinett ausgefächert, liegt Partitur, Bogen hinter Bogen. Doch kaum, daß hier ein Sonnenfleck rund und verloren gelegentlich herumkreist und sich damit vergnügt, Oboen- oder Violinfiguren in kleine, schiefe Lichtphänomene zu transponieren. Lieber liest die Sonne, die Mutter des Werdenden, gleich in ihm selbst, der hier unruhvoll schläft, den Arm über Stirn und Augen geworfen, den Kopf weit hintenüber gehängt.

Auf dem Scheitel der gemalten Jagdgöttin fängt bei wechselnden Widerspiegelungen des Sonnenscheins der matte Halbmond mächtig zu glimmen an. Schwarze olympische Augen, böse-göttlich, fahren von rechts nach links unter schweren Lidern. Der Schatten ergreift sie kühl und sie ihrerseits kühl den Bogen, für den sie ihren besten Pfeil, veilchenfarben befiedert, wählt, befingert, der Senne anlegt. Fernab, aus der Tiefe des Schönbrunner Waldes, schmettert einmal erschütternd ein Horn. Die dumpfe, durchsonnte Bettluft im Pavillon nimmt den Ton auf wie eine Membran, hier mitten in die Welt, in den Raum, den Nachmittag abgesondert gehängt, vergessenes Tambourin eines eingeschlafenen Bacchanten. Gefährlich zielt, den dünnen Sonnenpfeil, veilchenfarben befiedert, auf der Senne, die Jagd-, die Todes-, die Wollustgöttin auf den Schlafenden. Sonne und Mond stehen einmal im Bunde. Ungewöhnliche Anteilnahme wölbt, spannt, bläht denn auch das Gewölke, wo es, acht Steilwände hin verteilt, Göttern weichlich zum Sitz dient. Jupiter packt seinen Donner an, weiter unten Poseidon seinen Dreizack, es wirft sich, türkisblau und golden, der Juno Pfau ins Gefieder, stellt das Rad riesengroß und schreit. Götter und Göttinnen drängen sich, hergereckt, aus den Wandflächen gegen den Raum vor. Der Himmel, der gefährliche Himmel der Lüste und Kräfte, ist zu nahe gekommen. Draußen tritt ein wirklicher, körperhafter Pfau in die Nische des ebenerdigen Fensters. Er schaudert und rauscht weg, geschleppten Schweifes. Das Horn ruft immer bedrohlicher. Einige Rosen auf dem Spinnett, vom Sonnenstrahl seit geraumer Zeit erreicht und durchgeglüht, werfen sich aus dem Glase, und ihre Blätter sinken auf die Saiten. Ein unvollkommener Es-Dreiklang ist einen Herzschlag lang zu hören. Dabei schmiegt der gemalte Pfau sich zusammen, schrumpft das Gewölk ein, lagern sich wieder die Götter mit Gelassenheit hierhin und dahin, läßt die Mondgehörnte, die Königin der Nacht, den Todesbogen diesmal noch sinken, wenngleich widerwillig, fährt vom Bett auf der Künstler, zerreißt das Netz des Schlafes, erwacht.


Zunächst nun glotzte er die Wände umher an, wobei er sich am Bettrand, auf dem er saß, festhielt, nicht anders, als taumle unter ihm ein Fahrzeug im Gischt, Sturz der Küstenwirbel, und er, anstrandend, schiffbrüchig, zwischen Himmel und Wasser auf und nieder gewälzt, habe nichts auf der Welt als unter sich das gebrechliche, verlorene Ding, fortgerissen in Tänzen des Elements. Ein Erwachen dieser Art, durch Angststoß, unbeheimatet im Raum, kannte er seit jüngster Zeit, vergaß es jedoch von einem Mal zum andern. Unter jammervollem Weltuntergangsgähnen nahm er, herübergereckt, Partiturstücke zu sich aufs Bett, – es war überaus eng im Pavillon, alles mit einem Schritt oder auch ohne einen vom Bett her zu erreichen. Um so steiler mußten sich die umher aufgestellten olympischen Anhöhen ausnehmen. Hingespannt zwischen Musik und Wirklichkeit, überlas er das zuletzt Geschriebene, setzte Fagottstellen, welche aufhuschten, zwischenein, – so waren sie ihm in der Nacht auf dem Heimweg unterm Schwatzen und Kreischen der Trinkgesellschaft eingefallen, hernach aber, morgens, nicht mehr zu erreichen gewesen. Die Figur flüchtete sich, einer verängstigten Schlange nicht unähnlich, hinan und weg im Gang der unvollständigen Quinte. Sekundenlang sah er unbewußt darauf hin, mit nach innen gewandtem Blick, überarbeitete ferner eine Schlagzeug-Passage, angelte, ohne aufzustehen noch das Auge von der Partitur zu wenden, seinen enttanzten Schuh heran und fand sich in der wirklichen Welt, aus der er sich soeben auf wenig Augenblicke bei halbem Leibe fortgehoben hatte, wieder, wie er nur seine Ledersohlen fest unter den Füßen fühlte. Er wollte jetzt fort ins Freie, in den Park, unter die Bäume, an die Sonne, möglichst weit weg jedenfalls von diesem Stück Arbeit, der Dumpfheit, der Spannung, die den Aufenthalt hier unerträglich machten. In seinen Kleidern hing kalter Tabaksgeruch, das Nachgefühl vom Sekt war ihm auf der Zunge, im Magen; zusammen mit dem Geistdunst, Drange zur Kraftanspannung, Arbeit, Verpflichtetsein zu unerhörtem Schönheitswerk, wie es in diesem Achteck spukte, machte es, daß es hierorts nicht auszuhalten war. So entwich er schlechten Gewissens zur Tür, die Klinke ging nieder und auf, öffnete aber nicht; wieder einmal fand er sich vom Direktor, einem humanen Menschenfresser, eingeschlossen. Zu den Fenstern ging er nicht erst. Die Jalousien waren von innen nicht wegzustellen. Nach anfliegendem Unmutgefühl beschloß er, sich nicht über die Gefangenschaft zu ärgern, weil eine derartige Gefühlsunternehmung, als kraft- und zeitraubend, sich mit der Ökonomie dieses Gemütes nicht mehr vertrug. Mit Trägheit des Fühlens überwältigte er denn die Trägheit des Geistes und warf sich auf die Kunst, wie einer, indem er alles gegen alles wagt, sich mit übermenschlichem Ansprung auf sein Pferd wirft, das ihm unlängst durchgegangen ist und soeben irgendwo vorbeirast. Gleich mußte er sich unter den Schenkeln haben, Ausdruck höchster Hingabe, Angsttrunkenheit des Geopferten, Verwunderung, trockenes Wahrnehmen befand sich gleichzeitig auf dem kleinen Gesicht. Alles schloß einander gegenseitig aus, dem Verzweifeln entsprach übermächtige Lust, dem Aufschwung, der Auflösung, dem letzten Sich-ins-Nichts-Zerteilen, Davondunsten gesammelte, trockene Kälte des Arbeiters, kindlichem Erstaunen das gleichgültigste, ja einigermaßen gelangweilte Wissen. Dergestalt waren Spannung und Lösung an jeder Stelle gleichzeitig vorhanden, und es war auf diesem Gesicht mithin der Jüngste Tag angebrochen. Was das Ineinandersein übrigens ermöglichte, alles dies zusammenhielt, war ebendasselbe, was es auf ewig schied – ein Spottlächeln, das jedoch nichts von sich wußte. So muß Heiligkeit, schlägt sie recht hoch und immer höher hinauf, mit Sicherheit in die Sünde hineinschlagen, weil diese, wie einst die untere, so nun in abgewandelter Form die höhere Oktave hierzu bildet, so schlägt jede Askese geradlinig in Wollust – Enthaltung, Einfalt in Geist, wie er hier am Werk war, und was den Spott betrifft, so ist er jedenfalls im Himmel unerläßlicher als sonstwo. Das erwählte Gefäß, der Mensch, mochte er alles dies schon ahnungsvoll in sich tragen, genoß es nicht oder doch nur in dem Maß, in dem er es sich mit Qualen erwarb, wußte nicht oder doch nur in dem Maß, in dem er es sich durch kindliches Nichtwissen ermöglichte. Von den engen Wänden blickten im Kreise alle Götter auf den sehr Reifen in ihrer Mitte, zu ihren Füßen herab. Die Augen, das Lächeln, der Griff der Finger sprachen auf das einmütigste Liebe, sprachen Vernichtungsentschluß der Olympischen aus. Der Künstler durchjagte unterdes mit friedeloser Seligkeit seine Geistwelten. Unter dem Schuh quoll es ihm weich und schwammig auf, er trat zu, glitschte herum, zertrat etwas, sah hin, ohne zu sehen, erkannte, ohne zu erkennen, einen orangefarbenen Pilz, wie solche hier zwischen den stark angemoderten Dielen üppig herausbrachen. Ob aus dem Waldboden darunter – der Pavillon war schlecht untermauert –, ob aus dem fauligen Holzwerk, wußte er nicht, fragte er nicht, ging ihn nichts an, da er arbeitete. Darum also riecht es alleweil verwest, nach letzten Dingen, dachte er, drängte aber den Gedanken weg. Dennoch blieb davon ein apokalyptisches Wittern um die Stelle, an welcher er schrieb, hängen: »Bald, – bald, – bald wird er unser würdig sein.« Odem der letzten Dinge, die Welt im beschleunigten Vergehen, gewaltsame Auflösung, weil der Geist darüber gekommen ist. Nichts, weder Kleines noch Großes, kann dem Künstler geschehen, das er nicht durch seine Zeichensprache sogleich in Ewigkeit zu verwandeln sich gedrungen fühlte. Er arbeitete fort, es dämmerte bereits sehr, Lichtkreise schwangen sich um seine rechte Hand. Das Gesicht erschien im Raum als heller Fladen, um welchen Lichtnebel dampfte. Die Augen glühten, entzündet durch das nach innen gerichtete Sehen. Die umgelagerte Sehbahn gibt dem Blick das Wesentliche, das fast Unerträgliche, macht daraus ein Feuer, jedoch ein kaltes. So saß er da und beschrieb, übern Tisch hingelehnt, Bogen auf Bogen, sie flogen geschichtet weg, schrieb so, schief in den achtkantigen Raum gelehnt, erschöpft, aus Fülle der Überkraft. Nun war er bereits sich selbst nicht mehr ähnlich, nun sah er aus wie niemand.


Es war jemand an den Rouleaustäben zugange, raffte sie halb empor, stieg, den Schenkel über die Fensterbrüstung geworfen, ein, stieß sich den Kopf, es rasselten Holzstäbe, es staubte, Mozart schrie und setzte die Figur, an welcher er war, zögernd zugleich und gehetzt, in sich selbst erschüttert, hin. »Nu, du Dalk,« schrie er mit ganz unverhältnismäßigem Gelächter ins fast Dunkle, »wer ist das, wer ist das?«

»Ich, der Giesecke, küss' die Hand, und der Schikaneder tät' um Partitur schicken, bitt' schön, für die Kopisten.«

»So? Nimm dir, da liegt. Halt nein, nix da. Licht müsse mer haben, mer kann eh nix sehen.«

»Nu, da schlagst halt an. Wie kann mer wissen, wo daß du das Feuer hast in deinem Teixelsloch dahier?«

Die nächste Zeit über war Mozart beschäftigt, zu lachen, für den Fall, daß es etwa Lächerliches gewesen, was Giesecke geäußert. Er schlug sich dabei aus die Beine, las, halbsingend, las und lachte fortwährend auf das gewissenhafteste, um Entgegenkommen zu erweisen. Licht wurde keines angeschlagen. »Weißt,« sagte Chorist Giesecke, Textdichter Giesecke, Student der Medizin Giesecke, den Rücken gegen den Fensterrahmen gestemmt, halb drinnen, halb draußen, »weißt, Kapellmeister, jetzt, gestern nacht, da kannst aber schau'n, einsehen, erkennen kannst jetzt, staunen kannst, wie sehr interessant daß es mit mir hergegangen ist, wie sehr unglücklich daß ich bin, gelt? Das hätt'st eh nimmer denket, wann ich im Trikot umeinand' flattere, daß ich ein Totschläger bin? Habent sua fata libelli,« sagte er; letzteres war als Witz gedacht, da der Mann gestern abend im »Peter Squentz« eine Art Waldinsekt mit blauleinenen Libellenflügeln zu machen gehabt hatte.

»Na schon,« schrie Mozart, dies um so herzlicher, als er nicht hinhörte, jetzt nicht, gestern abend nicht. »Recht hast! Ane Sauerei is es, ich hab's eh denket.«

»Und das alles auf die Letzt um wen? frag' ich. Um eine rechte gewöhnliche Schlampen von drecketem böhmischen Weibsbild.« Hier hämmerte er mit der Faust gegen den Kopf. »Meinst, daß ich noch amal auf der Welt in das Prag zuruckkomme, du?«

Mit fratzenhaftem Lächeln wand sich Mozart übern Tisch, wo er Flöten- auf Flötenpassagen ins nahezu Dunkle schmiß. »Nu – nu – nu,« sagte er dabei, stoßweis, keuchenden Atems, setzte auch hin und wieder Gekicher ein, um dem andern die Lebenslust interessierter Anteilnahme zu geben, welche dieser brauchte, um nicht aus seinen Schicksalen zu erwachen. Daß nur nichts ihn, den Künstler, dabei störe, wie er sich das dunkelbunte Blut in vielen Strählchen aus dem Herzen an die kalte Luft heraußen zog, wo es erstarrte, klingende Fäden, Netze, halb kristallinisch, recht fremd, höhnisch, holdselig, ernsthaft. Nur fein brav die Welt derweilen mit ihrer eigenen Art von Blutkunst beschäftigen, mit Leidenschaft, Abenteuer, Ichtum, – »geh her, da erzähl doch,« murmelte er, ohne die geringste Ahnung, daß der Mann längst erzähle.

»Auf der Anatomie, da hab' ich ihn gestellt auf die Letzt, es hat ja amal kommen müssen, net wahr?«

»Freilich hat es, warum auch nicht?«

»In der Fruh um sechsen ist er da, zwischen Finsternis und Siehgstminet. Er ist da über einer Weiberleichen gestanden, hat den großen, linksseitigen Adominalschnitt gemacht, eine Weiberleichen, es war eine Kindsmagd, den Tag zuvor aus der Moldau aufgefischt, Haar strohgelb. Ich sage: »Viech,« sag' ich, »o Rabenviech verdammtes, jetzt, da hab' ich dich amal fest,« sag' ich, »hier kömmst mir nimmer außi,« sag' ich. »Was war denn das auf die and're Nacht bei der Jutta?« sag' ich, »unterm Bett?« sag' ich, »wo alleweil was von unten hat gegen den Strohsack pumpert? Leugne nicht,« sag' ich, »Mensch, wer hat denn deine Hosen in diesen eigenen, leiblichen Händen gehalten?« sag' ich. »Leugne nicht, es hat kan Zweck, du stehst gleich vor deinem Schöpfer,« sag' ich. »Aus wem seiner Taschen seind denn hernacher die Kreuzerln miteinand' über die Dielen hinpimpert?« Und auf dieses, siehgst, bin ich dir doch schon in einer Wut wie Ajax, in einem sehr einem berechtigten Gefühl bin ich dir doch schon über den scelerato herkommen wie das himmelblaue Donnerwetter. Er, wie er sich hat herumwerfen wollen, – meine Hand, da schaust her, diese, – ist ihm alleweil an der Gurgel gewest, daß er gepfiffen hat wie eine Marmotte. Das Kipferl, wo er bei ihme gehabt hat, ist ihm in der Leichen ihren Bauch 'neinfallen, indeme daß er sich umwend't, – da, jetzt schau hin, ich ihm das Messer aus Handen dreht, – darum, daß er nix damit soll anrichten, nu, natürlich, warum sonst? Indeme rutscht er dir aus, auf Blut oder so, kriegt sich an der Wasserleichen zu halten, das tote Frauensmensch mit ihren nassen Haaren, – strohgelb seind sie gewesen, ganz klitschig, – über ihn hereingerumpelt, – er und ich und wir und sie, – und wie das Tote, Kalte, Schwere, Nasse, Weibliche über uns herschlagt, ich schreie, er schreit, – ich glitsch' aus, er glitscht aus, hat sein Messer, das, wo in meiner Hand is, sein eigenes Messer, das, wo er noch eh den Adominalkreis mit geschlagen hat, – selbes Messer hat er im Bauch, – genauer gesagt, in der Pfortader. – Nu, er schreit demnach, fallt mit dem toten Weib umeinand', da soll jetzt nachher noch aner kommen und sagen, du, es hat den Teufel nimmer! In acht Täge, weißt, hat das Physikum sollen sein.«

»Jessas, Jessas na, das arme Weiberl. Geh her, du, hast die Hoferin heut nimmer g'sehn?« sagte Mozart aus der Finsternis, wo auf eine unbegreifliche Art noch seine Feder kratzte. »Ich, weißt, es is an deme, daß ich stark ein Geld benötige.«

»Wen?«

»Meine Schwägerin, die Hofer. Es is noch Geld bei ihrer, von der Stanzerl, eh' sie gereist ist.«

»Alsdann, die Hoferin, du! Schön hat sich die Hoferin heint aufgeführt, gelt? Mit dem Ness'lthaler. Wie an Frauensmensch hat sich die Hoferin aufgeführt – deh, andate

»Bitt' schön, da geh her, – wo sie sternhagelblau g'wesen is.«

»Jessas, auf die Letzt g'hört das schon für die Königin der Nacht, freilich, freilich. Worüber bist da?«

»Über die Nummer 19, das Terzetto. Da schau her, es hat hier eine Passagen, wo der Baß alleweil zwischenein haut mit vermindertem Quartgang abwärts. – ›Die Stunde schlagt‹, – schön is das.« Aus der Finsternis kam vom Spinett die große C-Moll-Stelle, Trennungsklage der Liebenden, Sarastro: »Tamino muß nun wirklich fort.«

»Sehr schön is das gedichtet,« sagte der Librettist auf dem Fensterbrett.

»Sehr,« sagte Mozart.

»›Die Stunde schlagt‹, – sehr schön is das gesagt. ›Tamino muß nun wirklich fort. So mußt du fort? Nun muß ich fort. Nun muß er fort‹ Eine sehr eine wirkungsvolle Passagen is das dahier.«

»Sehr,« sprach Mozart. »Alsdann, was sagst jetzt? Wie g'fallt dir die Musik?«

»Ja. Schau, daß du mir bald die Stucken Partitur z'sammenkriagst, ja? Ich soll dem Schikaneder bringen, für den Kopisten.«

»Tamino, Tamino, – hiermit werden mer nu noch ins f-minore spazieren, – nu – nu – nu, das gibt sich. Auf die Nacht, auf die Nacht wird's gehen.«

»Du, die Madame Gerl soll ja was mit dem Kistler haben, sagt der Schack.«

» Ahi, che pena, che tormenti. – Hier, jetzt, da schau her, mer werden den Soprano und Tenor miteinander lassen die Kadenz machen, das moduliert über das c-minore moduliert das direttamente ins b-maggiore hinein, da schau her, daß alle Himmelsadler mitsammen schreien. Nu, auf die Nacht, auf die Nacht.«

»Der Schikaneder will ja einen Kupferstich von ihme haben, als Papageno gemacht, weißt schon? A so an Roßkopf, gelt? Der Gayl muß es machen, alles noch gratis nebenher zusamt die Welt Felsen, Abgründe, Tempel, Wolkengebirg und alle Teufeln, für diese Zauberflöte. Die Schlangen wird sich sehr allerliebst ausnehmen, sagt der Gayl. Das is – an Vampir is das, der Direktor. Der Gayl ist auch stark bei ihme in der Kreiden, er muß ihn in der Rollen als Papageno nach dem wahren Kostüm stechen. Er will es bei der Theater-Kassa vor 30 Kreuzern verkauft haben. Das ist sehr artig, gelt?«

»Sehr.« Sie schwiegen, es rauschte nun stark der nächtliche Schönbrunner Park, Ulmen, schwernaß vom Tau, Nebel der Wiesen, schwenkten sich groß gegen den Pavillon, wie etwas Wind aufkam. Im Finstern war es jetzt still, Mozart blickte vom rastrierten Bogen weg ins Dunkle, wo seine Musik Feuerkreise zog.

»Nachtmahlst du nimmer?«

Nur die Hand ausgestreckt, so war das Feuerzeug zu fassen, doch mußte die Beleuchtung sofort ein anderes Zimmer ergeben. Die unverschämte Helligkeit, Mühsal, sich eiligst hineinzufinden, wünschte er hinausgeschoben. Das Dunkel gab ihm starkes Gefühl seiner selbst, die Musik dieser letzten Szene war, alles herausgesponnen, hier im Raum, flog langsam herum wie ein goldenes Netz, in dessen Mitte er selbst sich befand. Von Herzgrube und Haupt gingen noch immer Feuerfäden aus und webten sich dem Werk ein.

»Nachtmahlst du nimmer?«

»Na, ich war heint sehr voll, da lasse mer's gut sein,« sagte, ohne sich zu rühren, Mozart aus der Mitte des Gespinstes.

»Eine miserablige Luft is das dahier,« sprach Giesecke. »Ich tät' mich nimmer wundern, du, wann du was Typhöses davon hättest, hier.«

»Jessas, Maria und Joseph, da sei schon so gut, ja? Schau zu, da, wo du sitzt, muß unterm Fenstern die Bouteillen Tokaier stehen, gelt?«

Giesecke griff, ohne abzusteigen, eine Weile rechts im Dunkeln herum und hatte sie. »Trinkst schon ohne Glasel,« sagte Mozart, »es is mir gestern zerbrochen, und gibst alsdann mir.«

» A proposito, Mozart: zuschaug'n mußt, daß du bald an schriftlichen Kontrakt hast mit dem Schikaneder,« sagte der Librettist. »Das is das größte Schwein in der Christenheit. Schau mich an, mich hat er zeither völlig in Krallen, ich dörf ihm ja nur fein brav alles dichten, spiel'n, einstudier'n, umeinandspringen an seiner gottverdammeten Schmieren dahier. Warum? Weil ich noch an Geld von ihm hab! Di Jegerl, ich kann das meiner Täg' nimmer abverdienen kann ich das, und wann ich ihm seinen ganzen Flohzirkus tät' in einer Persona spiel'n. Schau zu, daß du bald was schriftlich hast.«

»Nu, mer sind Logenbrüder,« sagte Mozart.

»So? An Schwein is er. Schau zu, daß du was schriftlich hast.«

»Is schon recht.«

»Gut is der Tokaier. Von wem?«

»Vom Schikaneder, daß der Geist über mich komme. – Jetzt, da geh her, mit wem, sagst du, hat die Gerl was?«

»Mit dem Kistler, sagt der Schack.«

»Wie bitter sind der Trennung Leiden!« sang im Dunkeln der Tenor. »Ich tu hier dieselbe Passagen nehmen, die wo im ersten großen Final die Pamina hat. Das – is – Gefühl.«

»Gibst schon Partitur heraus, gelt? für den Kopisten.«

»Nummer 15 und 16 kannst haben.«

Hier ward nach einigem Kratzen Licht angestrichen, der Mann im Fenster starrte auf den Künstler, dessen Gesicht weiß, mit glühendem Augenrund, aus dem Kerzenschein fuhr.

»Jessas na,« sagte er, und, herausgewendet, »eine sehr angenehme Nacht, obschon dunstig, ungesund. Ich bin oftmals in Prag mit der Juschka in den Anlagen vor der Moldaubrücken gewesen des Abends. – Du, feucht is das dahier, – da lauft das schiere Wasser von denen Wänden, schau meine Hand an, da. Es möcht' eine Sau das Grausen kriegen, – nu, es sieht schon ganz nach dem Schikaneder aus, davvero! Und die Götterfratzen, – grüaß Gott, – der ganze Olympos bei'nand'. Du mußt auf die Letzt das Fieber davon haben, Mann! Wie tust hier schlafen?«

»Net so schlecht. Ich, wann ich schlaf', nachher da schlaf' ich, siehgst. Hier is die Musik, schau, daß du fein nix verlierst.«

»Den einen Abend, weißt,« sagte der Dichter der Zaubersflöte, schon ausgestiegen, – »ich bin mit der Juschka, – mer haben uns an Kahn 'nommen, die Jutta und ich, mer sein die ganze Nacht haußen gewesen, unterm Hradschin anlegt, – ohimé, ich muß schon sagen! Herrschaften! Juni is' gewesen, so schwül wie jetzt dieser.«

»Du, bitt' schön, das letzte Stückel gibst noch amal z'ruck,« sagte Mozart, über die Fensterbrüstung ihm nachgelehnt. »Den dritten Knaben hab' ich dahier auf das tiefe gis bröcht, das arme Hascherl. Hat die Demoiselle Starke das tiefe gis

»I denk schon. Alsdann da b'hüt Gott. A süeße Goschen, Demoiselle Starke. B'hüt Gott. Ich werd' dir noch amal das alles in der Ordnung erzählen, das mit Prag. Romane möcht' mer schreiben, wann, daß mer nur die Zeit hätte. Jetzt, da wär' ich bereits Doktor, stell' dir vor, bitt' schön, vielleicht hätt' ich – die Jutta –«

»Nu freilich,« sagte Mozart. »Es kommt ein sehr ein unangenehmer Wind auf. Arrivederla!« Schlug das Fenster zu und ging, mit ungewissem Seitenblick alle Götter streifend, zum Spinett. Hier ward es zu schwül, Äste, Laubesmassen knarrten, seufzten, sausten, zischten draußen, er sperrte wieder auf, sogleich jagte der Wind viele Schmetterlinge herein, braun und grau, die zusammen mit ihren Schatten ein sehr krauses, strichiges Ballett im Raum und auf den Wandflächen huschten. Zuweilen wagte sich einer gegen das Licht und taumelte weg in dunkle Ecken. Mozart starrte hin, ohne etwas zu sehen. Es saß einer, mit Flügeln wippend, auf Hebes Krugrand und schien Nektar zu schlürfen. Diesem sah er aufmerksam und völlig unbewußt zu, nahm die Feder, schrieb.


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