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Ein durchsichtig blauer Morgenhimmel mit keuscher Herbstsonne, deren zitternde Strahlen durch das dunkelgrüne Blattgewirr der Obstbäume flirren, die ihre trächtigen Zweige, unter der üppigen Last erliegend, müde zu Boden senken.
Ich habe mich träumerisch lässig in das lange weiche Gras geworfen. Vor mir liegt ein Buch gähnend aufgeschlagen, – aber noch habe ich kein Wort gelesen.
Ich lausche auf das eintönig tiefe summen der emsigen Bienen, die mich umsurren und hinüberfliegen nach der duftenden Heide, die an das kleine Besitztum grenzt, und deren rote Heideblüten den süßen Honig in die hinten im Garten befindlichen Stöcke liefern.
So träume ich in den frischen Morgen hinein und höre mit halbem Ohr auf das mutwillige priestern einer Schar naschhafter Sperlinge, die sich in dem üppigen, gelben Weinlaube, unter dem das kleine weiße Landhaus sich scheu versteckt, unruhig blustern und mit zänkischem Gezwitscher ihr freches Diebswesen treiben.
Aus dem Hause tönt hie und da Geräusch ... schlurfende Schritte – rufende Stimmen – Tellergeklapper und Gerassel mit Töpfen: Vorboten des Mittags. –
Die magere weiße Ziege, deren Milch zu trinken ich seit Wochen verdammt bin, und die zwischen den mit Kalkmilch weiß gestrichenen Obstbäumen tagüber angepflöckt ist, hat sich unruhig erhoben, als das kleine blondhaarige Mädchen mit seinem fliegenden kurzen Kleidchen sich ihr nähert. Das geängstigte Tier läuft leis meckernd in immer enger werdenden Kreisen um den Pfahl, an den es gekettet ist. Dann bleibt es stehen, und die kurzen Hörner senkend, sieht es das Kind mißtrauisch von der Seite an.
Zuweilen fährt ein kühler Vormittagswind über die herbstliche Erde, daß das Laub der Obstbäume ineinanderrauscht. Träge schwanken die übervollen Zweige auf und ab, ein gestützter Ast knarrt und ächzt mit jammerndem Laute ... und jedesmal stürzen mit hohlem, dumpfem Aufschlag ein paar Birnen und Äpfel in das lange Wiesengras ...
Fallobst! ...
Das Kind jauchzt auf. wenn die Früchte zu Boden fallen.
Plötzlich bleibt es stehn, hebt einen der rotwangigen Äpfel auf und betrachtet ihn von allen Seiten.
Dann spielt es Ball damit. –
Der Apfel rollt den kleinen Hang hinab, aber das Mädchen erwischt ihn noch rechtzeitig, und wie zur Strafe schlägt es jetzt die kleinen scharfen Zähne in das feste Fleisch der appetitlich verlockenden Frucht ...
Aber schon im nächsten Augenblicke zieht es ein Gesicht. und prustet die Stücke wieder aus.
Mit komischem Entsetzen steht es vor mir und betrachtet den angebissenen Apfel, während es sich noch immer mit dem Rücken der Hand den Mund wischt.
Ein Wurmgang mit braunem körnigen Unrat erfüllt das ganze Kernhaus, und darin bewegt sich ein niedlicher weißer Wurm, der seinen kleinen schwarzen Kopf im Sonnenlichte ängstlich hin und her krümmt.
Ich muß über das Kind lachen, das sich von dem verführerischen Äußern so hat betrügen lassen. – Aber schon lacht es wieder, wirft den Apfel weg und tollt jubelnd munter durch den Garten.
Es weiß ja noch nicht, daß in allen Genüssen dieser Erde, oft tief versteckt, aber immer der Wurm sitzt, der heimlich daran frißt und nagt, und dann seinen eklen Unrat zurückläßt ...
Wurmstichig! –
Das ist das Zeichen der modernen Zeit.
Fallobst! – Das ist die Kost, die uns geboten wird; und es bedarf eines goldnen Messers, um die guten saftigen Stücke von dem Schmutze zu befreien, damit wir nicht Abscheu empfinden. –
Die Geschichten, die ich hier gesammelt habe, gleichen ganz diesen wurmstichigen Früchten, in die man nicht wie ein thörichtes Kind in den Apfel hineinbeißen darf.
Ich habe nur die am Boden liegenden aufgelesen, und lasse die gesunden noch an den schwankenden Zweigen ausreifen.
Sie hängen mir zu hoch ... Was ich hier biete, will nichts besseres und nichts schlechteres sein ... als vom zausenden Winde mutwillig vom Baum geschütteltes, mit weiser Vorsicht zu genießendes Fallobst ...