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11.

»Welch ein bewundernswertes, liebenswertes und beklagenswertes Weib,« dachte er, als er mit Stefan Arkadjewitsch in die kalte Luft hinaustrat.

»Nun, was sagst du? Ich hatte dir schon gesagt,« begann Stefan Arkadjewitsch, welcher sah, daß Lewin vollständig besiegt war.

»Ja,« versetzte dieser gedankenvoll, »ein ungewöhnliches Weib! Nicht nur, daß sie Verstand besitzt, sie ist auch wunderbar innig. Mir thut sie außerordentlich leid.«

»Jetzt wird ja wohl, so Gott will, bald alles in Ordnung sein. Man muß nur nicht zu früh richten,« sagte Stefan Arkadjewitsch, die Wagenthür öffnend; »entschuldige, wir haben doch nicht einen Weg.«

Fortwährend an Anna denkend, an alle die so einfachen Gespräche, welche mit ihr gepflogen worden waren, und sich dabei alle Einzelheiten ihres Gesichtsausdrucks ins Gedächtnis zurückrufend, mehr und mehr in ihre Lage eindringend und Mitleid mit ihr empfindend, fuhr Lewin nach Hause.

 

Daheim berichtete ihm Kusma, daß Katharina Aleksandrowna sich wohl befinde, sowie, daß die Schwestern nicht lange erst weggefahren wären, und überreichte zwei Briefe.

Lewin las dieselben gleich an Ort und Stelle, im Vorzimmer, um sich später nicht davon ablenken lassen zu müssen. Der eine Brief war von Sokoloff, seinem Verwalter. Sokoloff schrieb, daß der Weizen nicht verkauft werden könne, da man nur fünf und einen halben Rubel gebe, und ein höheres Gebot nirgends zu erlangen sei. Der andere Brief war von seiner Schwester. Dieselbe machte ihm Vorwürfe darüber, daß ihre Angelegenheit noch immer nicht erledigt sei.

»Nun; so werden wir für fünfeinhalb verkaufen, wenn man nicht mehr geben will,« entschied Lewin sofort mit einer ungewöhnlichen Leichtfertigkeit die erste Frage, die ihm früher so schwierig erschienen war. »Wunderbar, wie hier die Zeit stets in Anspruch genommen ist,« dachte er bei dem zweiten Briefe. Er fühlte sich schuldig der Schwester gegenüber, weil er bis jetzt nicht erledigt hatte, warum sie ihn gebeten. »Ich bin heute wieder nicht aufs Gericht gekommen, aber es war heute auch, als hätte man nicht die geringste Zeit.« Nachdem er beschlossen hatte, es morgen entschieden zur Ausführung zu bringen, begab er sich zu seiner Gattin. Auf dem Wege zu ihr ging er noch einmal schnell in der Erinnerung den ganzen Tag durch, so wie er ihn verbracht hatte. Alle Erlebnisse des Tages bestanden in Gesprächen – Gesprächen, welche er angehört und an denen er teilgenommen hatte.

Alle Gespräche hatten von Dingen gehandelt, mit denen er sich, hätte er allein und auf dem Lande gelebt, nie würde beschäftigt haben, die aber hier sehr interessant waren. Alle diese Gespräche waren auch gut gewesen; nur in zwei Punkten nicht so ganz. Der eine betraf das, was er von dem Hechte gesagt hatte, der andere, daß ihm Etwas »nicht richtig« vorkam in dem zarten Mitgefühl, welches er für Anna empfand.

Lewin fand sein Weib verstimmt und gelangweilt. Die Tafel der drei Schwestern hatte sich ganz heiter gestaltet, dann aber hatte man auf ihn gewartet und gewartet, alles begann sich zu langweilen, die Schwestern fuhren von dannen und sie war allein zurückgeblieben.

»Nun, was hast du denn gemacht?« frug sie, ihm in die Augen blickend, welche ein wenig, verdächtig glänzten. Um ihn nicht zu hindern, alles zu erzählen, verbarg sie jedoch ihre Wahrnehmung und hörte mit billigendem Lächeln seiner Erzählung zu, wie er den Abend verlebt hatte.

»Nun, ich freute mich sehr, daß ich Wronskiy begegnet bin. Ich habe mich recht wohl und unbefangen in seiner Gesellschaft gefühlt. Du begreifst, daß ich mich jetzt bemühen werde, ihn nie wieder zu sehen; aber diese peinliche Situation mußte doch ihr Ende erreichen,« sprach er, dachte daran, daß er »sich bemühend, ihn nie wieder zu sehen«, sogleich darauf zu Anna gefahren war, und errötete. »Da reden wir, daß das Volk trinkt; ich weiß nicht, wer mehr trinkt, das Volk oder unsere Gesellschaft; das Volk thut es wenigstens nur an Feiertagen, aber« –

Kity interessierte indessen die Betrachtung, wie das Volk trinke, nicht. Sie hatte gesehen, daß er rot geworden war, und wünschte zu wissen, warum.

»Nun, und wo warest du dann?«

»Stefan bat mich aufs Dringendste, mit zu Anna Arkadjewna zu fahren.«

Lewin hatte dies kaum gesagt, als er noch mehr errötete, und seine Zweifel darüber, ob er gut oder übel daran gethan habe, zu Anna zu fahren, waren endgiltig entschieden. Er wußte jetzt, daß es nicht gerade nötig gewesen war, dies zu thun.

Die Augen Kitys öffneten sich eigentümlich weit und blitzten auf bei dem Namen Annas, doch sich selbst bezwingend, verbarg Kity ihre Aufregung und täuschte ihn.

»Ah,« sagte sie nur.

»Du wirst wohl nicht ungehalten sein, daß ich dahin gefahren bin. Stefan bat mich und Dolly wünschte es,« fuhr Lewin fort.

»O nein,« sagte sie, doch in ihren Augen las er ihre Anstrengung über sich selbst, die ihm nichts Gutes verhieß.

»Sie ist sehr liebenswürdig, sehr, sehr beklagenswert, ein gutes Weib,« sagte er, von Anna erzählend, von ihren Beschäftigungen und von dem, was sie ihm auszurichten befohlen hatte.

»Ja, natürlich, sie ist sehr beklagenswert,« sagte Kity, nachdem er geendet hatte. »Von wem hast du einen Brief erhalten?«

Er gab ihr Bescheid, und ging, der Ruhe in ihrem Tone vertrauend, sich auszukleiden.

Als er zurückkehrte, fand er Kity noch in demselben Sessel sitzend. Nachdem er zu ihr hingetreten war, blickte sie ihn an und brach in Thränen aus.

»Was ist? Was ist denn?« frug er, schon vorher den Grund kennend.

»Du hast dich verliebt in dieses abscheuliche Weib; sie hat dich bestrickt. Ich seh es an deinen Augen! Ja, ja; was soll daraus werden? Du hast im Klub getrunken, getrunken, gespielt und dann bist du zu ihr gefahren. Zu wem? Nein; wir reisen ab! Morgen reise ich ab!«

Lewin vermochte lange nicht, sein Weib zu beruhigen. Endlich hatte er sie indessen beschwichtigt, jedoch nur dadurch, daß er eingestand, daß das Gefühl des Mitleids im Verein mit dem Weine ihn verleitet habe, und daß er dem hinterlistigen Einfluß Annas unterlegen sei, diese aber fortan meiden werde.

Ein Umstand, welchen er am Aufrichtigsten eingestand, war der, daß er, so lange schon in Moskau, lediglich durch diese Unterhaltung, das Essen und Pokulieren um seine klare Vernunft gekommen sei.

So sprachen sie bis drei Uhr nachts, und erst um drei Uhr hatten sie sich so weit versöhnt, daß sie Schlaf fanden.


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