Ludwig Tieck
Ein Tagebuch
Ludwig Tieck

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7.

Ich habe schon oft behauptet, daß die Welt schon deswegen endlich sein müsse, weil sie sonst völlig unausstehlich wäre, und ich denke, ich habe Recht. Die Philosophie ist meine Sache nicht, und es ist mir daher unmöglich, die nothwendigen Gründe beizubringen, die es auch für andre Personen wahrscheinlich machen könnten.

Mein Onkel ist krank und hat mir einen beweglichen Brief geschrieben, und dieser Umstand hat mich eigentlich auf obigen Satz geführt. Der Maler meint, die Krankheit würde wohl nicht viel zu bedeuten haben, indessen will ich ihn doch besuchen. Ich weiß nicht, ob ich über diesen Vorfall gerührt sein soll, bis jetzt bin ich es eben noch nicht gewesen. Ich bin ja auch krank, ich bin verliebt und werde geliebt, und kein Mensch bekümmert sich um mich, keiner vergießt eine Thräne zu meinem Besten, ja ich selber thu es nicht einmal.

Wenn die Welt mein Tagebuch einmal vor die Augen nehmen sollte, so wäre sie im Stande, mich für schlecht auszuschreien. Die Welt ist ein Kollektivum, aber gemeiniglich steckt doch nichts dahinter; ich habe schon Welten gesehn, die aus einem und einem halben guten und ziemlich guten Freunde bestanden: es hat noch keinen Menschen gegeben, von dem die ganze Erde gesprochen hätte, es wird keinen solchen jemals geben, und darum ist es auch gar nicht der Mühe werth, der Welt etwas zu Gefallen zu thun.

Ich habe einmal in meinen jüngern Tagen gewettet, ob es ein Schicksal gäbe, und dazumal verlor ich meine Wette; denn ein berühmter Geistlicher entschied zu 322 meinem Nachtheil. Ein andermal wettete ich wieder, daß Raphael einen größern Geist gehabt habe, als Plato, und ich verlor auch diese Wette. Ich hatte eine ordentliche Englische Wuth zu wetten, und jemehr ich mich mit den Wissenschaften beschäftigte, jemehr ich nachdachte, jemehr Geld verlor ich. Ich ließ also das Studium fahren und ergab mich den Vergnügungen. Aber hier ging es mir noch viel schlimmer, denn ich vergnügte mich durchaus nicht; es war, als wenn der Satan sein Spiel mit mir hätte und zwar immer in der Vorhand säße. Vor Langeweile mußte ich nun auch, so wie die andern Menschen thun, zur Langeweile greifen, ich erholte mich an wirthschaftlichen Diskursen mit einem benachbarten Amtmann. Er war ungemein langweilig, aber das that nichts zur Sache, denn er kurirte mich doch, und damit war mir im Grunde gedient. Nunmehr macht' ich zur Abwechselung auf die schöne Natur Jagd, das heißt, ich stellte malerische Reisen an, das heißt, ich ließ es mir in den Wirthshäusern gut schmecken und war erbost, wenn ich eine schlechte Herberge antraf. Ich aß und erboste mich so lange, bis ich etwas fetter zur Stadt zurückkehrte. Alle Leute fanden mich damals dummer. So wenig sind wir in unserm jetzigen Zustande für die Natur gemacht.

Fatal ist es, daß ich mich zu meiner eigenen Schande hier ordentlich charakterisire. Für den Verständigen liegen wenigstens viele Winke verborgen. Ueber's Jahr will ich mich aus allem diesem recht genau kennen lernen. Wenn ich nur so lange Geduld haben könnte! Aber da plagt mich eine ganz verzweifelte Neugier, eigentlich zu wissen, wie ich bin, oder vielmehr zu wissen, wie ich eigentlich bin, oder um mich am 323 allervollständigsten auszudrücken, eigentlich zu wissen, wie ich eigentlich bin. Es klingt nur nicht hübsch.

Wenn ich's erst mit dem Schreiben genauer nehmen werde, so werde ich diese Genauigkeit auch gewiß bald auf das Leben anwenden. Oder vielmehr werd' ich's dann mit dem Leben gewiß noch ungenauer nehmen, weil ich dann für die letzte wenige Ordnung in mir einen Ableiter gefunden habe, der diese Gichtmaterie dem Papier anvertraut. Qui proficit in literis etc. – Wie wahr!

Unter einem ähnlichen Gedanken kann man sich das Schicksal dieser Welt vorstellen, und da ich mir selber der nächste bin, will ich zu allererst so daran denken. – Emilie hält oft meinen Ernst für Spaß und meinen Spaß für Ernst, und das thut mir an ihr sehr leid. Ich vergesse es ihr oft vorher zu sagen, wenn ich ein Narr bin, und sie verwechselt mich dann jedesmal mit ihrem ordentlichen Liebhaber. Es ist eigentlich eine Untreue, und wahrlich, ich könnte mich sehr darüber grämen, ich könnte sehr eifersüchtig werden.

Die Eifersucht hat mir unter allen menschlichen Leidenschaften immer ganz vorzüglich gefallen, weil sie von allen die unvernünftigste ist. Es ist eine sehr große Unvernunft, die ich aber bei vielen vernünftigen Leuten angetroffen habe, zu verlangen, daß in irgend einer Leidenschaft Vernunft sein soll. Die Eifersucht hat darum etwas Bezauberndes, erstens, weil kein Mensch von ihr frei ist, und zweitens, weil sie am besten den Menschen ausdrückt, und drittens, weil alle andere Leidenschaften in ihr zusammentreffen. Viertens, – nein, ich irre mich doch wohl, mehr Gründe hatt' ich nicht, und vielleicht sind die drei schon zu viel.

324 Ich will meinen Onkel besuchen. – Gute Nacht! das sag' ich nämlich zu mir selber, und aus Höflichkeit setz' ich hinzu: Schönen Dank! – Man muß auch gegen sich selbst die gute Lebensart nie aus den Augen setzen. Aber das thun auch die wenigsten Leute, wie denn überhaupt von den vielen Regeln, die man hat, nur die wenigen unterlassen werden, die gut sind. Das thut den Fortschritten unserer Vollkommenheit unsäglichen Schaden.



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