Ludwig Tieck
Eine Sommerreise
Ludwig Tieck

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Von Altenburg begaben sich die Freunde nach Chemnitz. Walther schien völlig verstimmt, und als sie im Gasthofe abgestiegen waren, verschloß er sich in seinem Zimmer und 132 ließ sich mit einer Unpäßlichkeit entschuldigen, die ihn verhindere, zum Abendessen zu kommen. Wachtel, der wohlgemuth war, ließ ihn gewähren und sagte nur zu Ferdinand: unser Moralist fängt an, etwas langweilig zu werden, und weil es ihm nicht so recht gelingen will, so wirft er sich in das verdrüßliche Fach; denn glaube mir, Freund, wer was Rechtes in der Langeweile leisten will, der muß schon früh, in der Jugend dazu thun, die Erziehung kann eigentlich nur den besten Grund dazu legen, und wenn das Genie freilich angeboren ist, so thun doch Ausbildung, Kunst, Uebung und tüchtige Vorbilder auch das Ihrige. Auf dem halben Wege stehen bleiben, wie es unserm lieben Walther begegnen kann, ist das Kläglichste. Ich habe Männer in dem Fache gekannt, die eigentlich von der Natur die herrlichste Anlage hatten, unausstehlich langweilig zu seyn; aber sie hatten das Unglück gehabt, eine Zeitlang unter die Geistreichen zu gerathen, und der Zunftgeist dieser Menschen hatte sich ihnen einigermaßen mitgetheilt, um sie zu ruiniren. Sie hatten die Gabe, Anekdoten ohne Salz und ohne Spitze breit, mit Parenthesen, sich wiederholend und sich widersprechend mit der größten Verwirrung vorzutragen, und zwar solche Geschichten, die jedes Kind schon weiß; aber demungeachtet waren ihnen, wie Fliegen in alten Spinnweben, einige gute Einfälle und Gedanken hängen geblieben, die demnach, wenn auch schlecht vorgetragen, das Kunstwerk ihres miserablen Vortrages hinderten, ein Vollendetes zu werden. Der rechte Virtuose müßte es dahin bringen können, einen heftigen, ungeduldigen und dabei verständigen Menschen geradezu umzubringen. Kann das durch Schreck geschehn, sind Menschen am Lachen oder an der Freude verschieden, so wäre es wohl der Mühe werth, einmal einen Künstler heranzubilden, den ein eifersüchtiger Fürst oder Minister nur auf diesen und 133 jenen Verdächtigen oder Verhaßten loszulassen brauchte, um dem guten Kopf, welcher sich dem Wohl des Vaterlandes nicht fügen will, den Garaus zu machen. Was unsre löblichen Kanzelredner leisten, was Theater oder religiöse und moralische Dichter thun, die Familiengemälde, viele Romanciers, das ist alles nur Bagatell. Bis zum Uebelwerden, selbst Erbrechen können es Gutmeinende bringen; was ist das aber gegen die Wirkung der Leidenschaften, der Elemente oder des Krieges? Wie oft hat man Gefangene, denen man übel wollte, molestirt und torquirt, Grausamkeiten mit spitzfindigem Grübeln ersonnen, – bildeten Staaten und Schulen aber mehr jene wahrhaften Langweiligen aus, von denen das Ideal meiner regen Phantasie vorschwebt, so könnte das Unerhörte geleistet werden.

Hüte Dich nur, sagte Ferdinand lächelnd, nicht selbst ein Pfuscher in diesem Handwerke zu werden. Es steht keinem an der Stirne geschrieben, wie er einst im Alter endigen werde.

Am folgenden Morgen trat Walther mit einer gewissen Feierlichkeit bei den Freunden zum Frühstück ein. Ich habe eine schlechte Nacht gehabt, begann er dann, weil ich mich schäme, Euch etwas vorzutragen, das ich Euch doch mittheilen muß. Wir sind hier in einer kleinen Stadt, die nicht ohne Anmuth ist, aber wir würden doch nicht eben Ursach haben, lange hier zu verweilen, da wir so mancher viel merkwürdigern nur einige Stunden geschenkt haben, – und doch begreife ich noch nicht, wie wir sobald von hier wegkommen wollen.

Wie käme denn das? rief Wachtel aus. Welcher Zauber sollte uns denn hier bannen können?

Der die ganze Welt bannt und fesselt, antwortete Walther. Ich habe die Reisekasse geführt und mich mit Euch 134 berechnet, in Meiningen gabt Ihr mir, was Ihr noch bei Euch trugt, und es war mehr als reichlich, um nach Dresden, Berlin, Hamburg oder wohin wir noch streben mochten, zu gelangen. In Liebenstein spielte ich und gewann für einen Unglücklichen, der ohne meine Dazwischenkunft verloren war –

Sie haben sich herrlich gegen ihn benommen, rief Wachtel aus, und ich hörte auch noch die vortrefflichen Ermahnungen, die Sie dem Spieler gaben.

Ich hätte sie selber nur zu gut brauchen können, antwortete Walther. Seit vielen Jahren hatte ich nicht gespielt, nun ging es mir wie dem gezähmten Löwen, wenn er wieder einmal Blut kostet. Unmittelbar nach jenen moralischen Reden begab ich mich wieder an den Spieltisch und verlor, bis auf eine Kleinigkeit, Alles, was mir gehörte, und auch Euer Eigenthum. Ihr werdet bemerkt haben, wie knapp und ängstlich ich seitdem auf der Reise war, weil ich hoffte, mindestens bis Dresden auszureichen; gestern Abend gab ich unserm Fuhrmann als Trinkgeld das Letzte. Wir Alle führen keine Creditbriefe mit uns, weil die baare Summe übergenug war; so stehe ich denn hier, beschämt wie ein Schulknabe, vor Euch, und begreife jetzt selbst nicht, wie der Aberwitz mich ergriff, unser Vermögen zu verschleudern. In Dresden, so hoffe ich, können wir uns wieder helfen; aber wie die wenigen Meilen dahin zurücklegen? Sollten wir uns so beschimpfen, Uhren oder Ringe hier zu versetzen? Freysing hat mich in Liebenstein tüchtig ausgelacht, daß ich ihm solche Summe noch zugewendet habe.

Am klügsten und kürzesten ist es, rief Wachtel aus, daß ich mich so schnell als möglich nach Dresden hinstümpere, dort habe ich Bekanntschaft und Credit, ich schicke alsbald das Nöthige her, Ihr unterhaltet Euch indessen hier, so gut 135 Ihr könnt, und wir treffen uns in Dresden wieder, wo Sie dann, Freund Walther, sich wieder in Baarschaft setzen können, um mir und Ferdinand Das wieder zu geben, was Sie uns schuldig geworden sind.

Als Walther das beschämende Geständniß überstanden hatte, lachte er mit den Uebrigen recht herzlich über seine Unbesonnenheit. Man ließ sogleich einen Fuhrmann der Stadt kommen, und Wachtel bat sich aus, das Geschäft mit diesem allein abzumachen. Der Mann kam und Wachtel fragte ihn: ob er im Stande sei, ihn noch an diesem Tage nach Dresden zu schaffen, ihn allein mit einem kleinen Gepäck. Der Fuhrmann sah dem Fragenden ins Gesicht, schaute dann an die Decke, hierauf zum Boden nieder, als wenn die Beantwortung dieser Frage viel Nachdenken und Grübeln erforderte. Es ginge zur Noth wohl, sagte er mit langer Verzögerung, wir haben noch lange Tage, meine Pferde sind gut, die Last nicht schwer. – Und wie viel verlangt Ihr, Mann? – Ja, sagte jener, wenn nur die Ernte nicht wäre, und das Vieh ist jetzt auch nicht so, wie späterhin, und das Futter ist jetzt theuer; unter sechs Speciesthalern kann ich es nicht thun. – Aber ich kann sogleich abfahren? – Gefressen haben die Pferde, erwiederte der Kutscher, also hat es keinen Anstand. – So macht Euch fertig, Freund, ich setze mich gleich ein, Eure Forderung ist nicht unbillig, auch verlange ich Euern Schaden nicht, und verspreche Euch, wenn Ihr mich zeitig nach Dresden hinschafft, sieben Species, außer Euerm Trinkgelde. So kann ich Ihre Geschäfte, Herr Baron und Herr Graf (indem er sich mit der höflichsten Verbeugung an seine Reisegefährten wendete), gleich morgen früh besorgen, und wenn Sie mir in einem oder zweien Tagen nachfolgen, so treffen Sie Ihren ergebensten Diener im goldenen Engel. Nur 136 eins noch, mein guter Fuhrmann, bedinge ich mir aus, daß Ihr Chaussee und dergleichen Alles, auch was ich im Gasthofe bedürfen möchte, auslegt, weil es mir unerträglich ist, mich mit Zoll und Geleit und Kellnern und Wirthschaft einzulassen, und daß Ihr mir morgen in Dresden Alles genau und gewissenhaft berechnet. Und so geht denn, Freund, und spannt an.

Der Fuhrmann entfernte sich in Demuth und zufrieden, und Wachtel sagte lachend: ich habe Dich, lieber Ferdinand, zum Grafen erhöht, um seine Auslagen leichter zu erlangen. Zum Glück geht die Reise nicht weit, es bedarf keiner großen Summe, und ich bin in Dresden meiner Bekanntschaft gewiß.

So reisete Wachtel ab, indem er sich noch einmal, beim Einsteigen, der Gewogenheit des Herrn Grafen und Barons empfahl. Wir können nun rechnen, sagte Walther, wenigstens noch zwei Tage in dieser kleinen Stadt bleiben zu müssen; heut Abend kommt unser Wachtel in Dresden an, ein Tag geht wenigstens hin, bis das Geld hieher kommt und vielleicht, wenn er es nicht durch den Fuhrmann senden will, währt es noch länger. Wir müssen also sehn, wie wir uns hier ergötzen.

Sie gingen aus, um die Stadt und Gegend näher kennen zu lernen. Nach ihrem Spaziergange trafen sie auf ein Haus, in welchem Bücher verliehen wurden, und Ferdinand nahm einige, deren Titel ihn anlockten, mit nach dem Gasthof. Sie blätterten in den Erzählungen, lasen abwechselnd einiges laut, und warfen sie dann verdrüßlich hin. Ist es nicht sonderbar, daß die Deutschen, welche so viel schreiben, immer noch nicht lernen (wenige Autoren abgerechnet), wie man eine Erzählung vortragen kann und soll? Gelingt es auch hie und da Diesem und Jenem, uns ein 137 Interesse abzugewinnen, so trägt er uns gleich darauf Dinge vor, die nicht zur Sache gehören, die uns nichts angehn, und verschweigt im Gegentheil, worauf wir neugierig sind. So lernen es die wenigsten, sich der Form, selbst der leichtesten, zu bemächtigen, und schwanken ungewiß und unsicher hin und her, nirgend festen Fuß fassend, weitschweifig zur Ermüdung, und doch, wie Cervantes sagt, das Beste im Dintenfasse lassend.

Wir können bemerken, erwiederte Ferdinand, daß das Beste, was bei uns erscheint, indem es Mode wird, alsbald zur Nachahmung dient und sich tausendfältig schwächer und immer schwächer wiederholt; aber diese Scribenten, die ihr Vorbild verwässern, studiren nicht dessen Tugenden, oder machen sich klar, wodurch es vortrefflich ist, sondern sie bemächtigen sich nur obenhin der Manier und hängen an den Zufälligkeiten. Andre Modeschriftsteller ergreifen den rohen Stoff, sprechen Gesinnungen aus, die gerade an der Tagesordnung sind, heute Frivolität, morgen Pietismus, bald Patriotismus, bald Rebellion, Haß gegen die Obrigkeit oder süß frömmelnde Liebe, dann wieder Rohheit gemeiner Wachstuben, die sie uns für Rittersinn verkaufen, oder Gespenstergrauen, wenn nicht Familien der Landprediger sammt Liebe und Sehnsucht, die sich schon in den Kindern entwickeln. Es haftet und dauert von allen diesen schlechten Manieren keine, aber eine jede läßt ihre schlimmen Folgen zurück. So ist die Masse des Volkes, welches sich jetzt gern das gebildetste in Europa nennen hört, in Ansehung seiner Modelectüre ohne Zweifel das roheste von allen.

Wie entzückt Denjenigen, welcher zu lesen versteht, fuhr Walther fort, jede, auch die kleinste Novelle des Boccaz, des feinen Cervantes gar nicht einmal zu erwähnen. Aber 138 auch die ruhige Klarheit eines Sacchetti erfreut, und fast jeder Italiener der früheren Zeit weiß die Sache, die er mittheilen will, geschickt vorzutragen. Und so können uns leicht und heiter aufgefaßte Geschichten ergötzen, die sonst gar keinen Inhalt haben, und manches in dieser Art haben die Franzosen auch sehr glücklich geleistet.

Man sollte vielleicht aus unsrer komischen Geldnoth, sagte Ferdinand, die uns hier zu bleiben zwingt, eine heitere Novelle bilden können. Zwei Reisende treffen zum Beispiel in einem Gasthofe von verschiedenen Gegenden her zusammen, sie beleidigen sich, und doch zwingt sie die Noth, daß einer sich dem andern eröffnet, um Hülfe von ihm zu begehren; nun erfährt jeder vom andern, warum sie sich nicht beistehn können, und wie jeder von ihnen in diese lächerliche Verlegenheit gerathen ist.

Recht, rief Walther aus, der eine kann, zum Beispiel, ein Mädchen entführt haben, sie wartet auf ihn in einer gewissen Entfernung, wohin sie ihn bestellt hat, und er kann nun durchaus nicht zu ihr, weil es ihm am Gelde mangelt.

Nicht übel, sagte Ferdinand, doch geriethen wir da vielleicht zu sehr in das Sentimentale. Könnten die beiden Fremden nicht Verwandte seyn, aus verschiedenen Ländern, die sich gegenseitig aufgesucht haben, und die jetzt ein läppischer Zwist daran hindert, sich einander zu erkennen, da sie unter erborgten Namen reisen? Es könnte so weit kommen, daß sie sich forderten, daß man alle Mühe anwenden müßte, um Diejenigen, die sich liebend seit lange suchen, vom mörderischen Kampfe abzuhalten.

Das würde mir darum nicht gefallen, sagte Walther mit verdrüßlicher Miene, weil es an die Komödie der Irrungen und an andre Geschichten, die auf ähnliche Art 139 verwickelt sind, erinnert. Aber, fuhr er heitrer fort, bearbeiten wir jeder auf unserm Zimmer heute und morgen, da wir doch nichts anders zu thun haben, diesen Gegenstand und lesen wir uns morgen Abend unsre Productionen vor.

Es sei! rief Ferdinand mit Lebhaftigkeit aus, nur Schade, daß wir keinen Schiedsrichter haben, der einem von uns den Preis ertheilen möchte.

Jeder begab sich auf sein Zimmer, und Ferdinand, um sich zu zerstreuen, schrieb mit Laune und Heiterkeit, obgleich er nicht unterlassen konnte, einige Umstände aus seiner eigenen Geschichte einzuflechten. Die Aufgabe interessirte ihn dadurch so sehr, daß er unvermerkt dieses und jenes der Erzählung hinzufügte, was er um keinen Preis seinem Freunde erzählt haben würde. Er meinte aber, so vermischt mit der Erdichtung würde sich die Wahrheit als eine solche nicht verkündigen. Walther gab seiner Erzählung einen ernsteren Inhalt; aber sowie er fortfuhr, kam ungesucht die Aufgabe in die Geschichte, die ihn selbst auf die Reise getrieben hatte, nehmlich der Wunsch, einen Gegner, der, nach seiner Meinung, Strafe verdiene, aufzufinden; nur machte er aus diesem Gegner einen Nebenbuhler, damit sich die Fabel mehr runden möchte.

So waren die Freunde zwei Tage beschäftiget und kamen sehr heiter und mit sich selbst zufrieden zum Abendessen zusammen. Nachdem sie gesättigt waren, holten sie ihre Manuscripte und Walther sagte: Sie, von welchem der Gedanke unsrer Schriftstellerei ausging, müssen Ihre Novelle auch zuerst vortragen, damit die meinige alsdann beschließen könne, und morgen, nachdem wir geschlafen haben, soll jeder des andern Versuch kritisch prüfen und scharf untersuchen.

Ferdinand zog den Tisch, nachdem Alles entfernt war, 140 an sich und fing an: Der Taube von Benevent, Novelle. – Wie? rief Walther; ich muß mich sogleich als Rezensent melden und Einspruch thun, denn dieser Titel schon scheint mir gegen unsre Abrede zu seyn. Ich bildete mir ein, die Scene müsse nach Deutschland verlegt werden, und darum habe ich meine Erzählung genannt: Der Weltentdecker in Verlegenheit.

Auch sonderbar genug, sagte Ferdinand, hinter dem Titel sollte kein Mensch die verabredete Aufgabe suchen.

Doch, sagte Walther, ein Reisender, der schon die halbe Welt durchstrichen ist, der immer etwas Neues sieht und sucht, und sich nicht wenig damit weiß, für Alles Rath zu schaffen und die Menschen zu kennen, muß, wie Sie sehn werden, in dem elenden Wirthshause eines kleinen Städtchens lange kleben bleiben, und verliert so die wichtigsten Vortheile seiner Reise, ja gewissermaßen das Glück seines Lebens. Doch ich störe Sie und halte Sie auf.

Ferdinand begann. Es war nicht lange nach jenem berühmten Erdbeben in Calabrien, welches so viele Orte zerstört hatte, daß – –

Hier entstand ein lautes Sprechen draußen, und ein Klopfen an der Thür, und der Genius des Verfassers, oder der Zufall wollte nicht, daß Ferdinand jetzt seine Erzählung weiter vortragen sollte. Der Fuhrmann kam nehmlich zurück und händigte den Freunden ein großes Paket ein. Der Herr, sagte er, der gestern mit mir fortreisete, hat mir gleich heut Morgen dieses vielfach versiegelte Schreiben eingehändigt und mir auf meine Seele befohlen, gleich, gleich zurückzueilen, und es ja noch heut Abend, wenn ich auch spät ankommen sollte, in Ihre Hände zu überliefern. Und da mich der wackre Herr sehr gut und über meine Erwartung belohnt hat, so schien es mir eine Gewissenssache, seine 141 Befehle prompt und schnell auszurichten. Ich habe daher auch auf keine Retourgesellschaft gewartet, sondern mich eilig aufgemacht, um nicht zu spät anzukommen.

Walther beschied ihn auf morgen, wenn auch nicht sehr zeitig, damit die Pferde ausruhen könnten, überzählte, als sie allein waren, die Summe, welche Wachtel in Gold überschickt hatte, und las alsdann den Brief des Freundes vor:

Hiebei das Nöthige, gleich durch den Kutscher, weil die Post es sechsunddreißig Stunden später würde abgeliefert haben. Aber zugleich muß ich Euch melden, daß Ihr mich in Dresden nicht mehr treffen werdet, denn sowie ich diesen Brief geendigt habe, springe ich mit gleichen Beinen in eine schon bestellte Kalesche, und fahre nach Guben, um meinen umirrenden Ritterzug zu endigen. Glaubt Ihr denn, Ihr von mir leidenschaftlich Geliebteste, daß Ihr niemals langweilig seid? Anzi, pur troppo, wie wir Italianisirten zu sagen pflegen. Sapperment noch einmal! Ihr vergeßt es ja immerdar, daß ich, wenn ich mich recht besinne, ein zärtlicher Gatte bin. Soll ich meine Liebe denn ganz vernachlässigen und so in der öden, weiten Welt herumrasen? Wer freilich so ledern ist, wie Ihr Beide, so ganz ohne Liebessehnsucht, wessen Herz niemals im Enthusiasmus überschwillt, kurz, wer so nur der Gegenwart und dem flüchtigen Augenblick lebt, wie Ihr, Nächte am Spieltische vergeudet, jungen hübschen Mädchen in allen Ruinen nachläuft, oder wie ein Deserteur auf dem hölzernen Esel stundenlang in der russischen Drehmaschine unverwandt und stieren Blicks die dürren Bretter einer hölzernen Bude anschauen kann, – solche Leute sind für Schwärmer, wie ich einer bin, eine zu trockne Gesellschaft. Mein pochendes Herz treibt mich zu meiner Gattin, die gewiß bei jedem Kloß, den sie einrührt, dieses meines Herzens gedenkt. Und dann, – hat das Vaterland, – 142 meine Vaterstadt – keine Rechte, keine Forderungen an mich? Man verliert in dieser Kosmopoliterei allen Sinn für das Einheimische, selbst Heimische und Heimelnde; und wenn Ihr auch heimlich gegen mich wart, und Jeder von Euch seine Heimlichkeiten vor dem Andern hat, so ist mein heimelndes Heimathgefühl, mein Heimweh, viel edlerer Natur. Wenn ich so bei den Sägemühlen die frischgeschnittenen Kienbretter roch, – ha, alle Reize meines Guben standen vor mir. Wenn ich den Streusand über ein beschriebenes Blatt spritzte, so war mir Das, was der Kuhreigen dem biedern Schweizer ist. Kleinstädtisch, voll armseliger Rücksichten wurde ich auch in Eurer Gesellschaft; wenn ich mich einmal aufschwingen wollte auf den Adlersfittigen meiner Begeisterung, – was habe ich von den kleinartigen, niemals nach vollen Zügen durstigen Seelen aushalten müssen! Von der Hippokrene, oder dem musenberauschenden Quell des Parnassus soll der Mensch gar nicht, oder recht tief, voll, in den mächtigsten Wogen trinken; so sprechen die weisen Alten. Man sei völlig nüchtern, – oder – nun ja, was? Ihr würdet als Plebejer vielleicht von knüppel- oder hageldick, oder was die guten Deutschen sonst noch kümmeltürkenartig an den schändlichen Ausdruck »besoffen« anknüpfen, sprechen: Sieben ist die böse, aber auch die heilige Zahl, und ein alter Jäger hier sagt von einem so Begeisterten: er sei halb Sieben. – Herr Walther kann mir also das Geld, welches er mir noch schuldig ist, nach meiner geliebten Vaterstadt senden. Vielleicht besucht mich derselbe hohe Mann, sowie der Crucifix- und Nepomuksjäger, der zarte katholisirende Ferdinand dort. Wenn derselbe einmal mit christlichem Legendencostüm als ein Wegweiser ausgehauen und mit Grün und Gold angemalt an die Landstraße gestellt würde, hätte er seine Harmodius- und Aristogiton-Statue und Vergötterung verdient und erreicht. Seh ich Euch, 143 Freunde, in diesem sterbenden Leben oder in dieser lebenden Sterblichkeit noch einmal wieder, so wird es mir immer, so viel ich auch höher strebe, einige, wenn auch nicht die größte Freude gewähren.

Wachtel.            

Dresden, den 9. August 1803.

Nachdem dieser Brief gelesen war, fragte Ferdinand, ob er jetzt in seinem Manuscripte fortfahren solle; doch Walther, der noch mit dem Briefe beschäftigt schien, war sehr zerstreut und verstimmt, sodaß er kurz aufbrach, ein Licht nahm und seinem Gefährten eine gute Nacht wünschte. Als Walther allein war, las er für sich das Postscript noch einmal aufmerksam, welches so lautete: – Indem ich hier im Engel alles Dies abfertige, drängt sich ein junger Herr in mein Zimmer, derselbe Herr von Bärwald, den wir in der Kirche zu Graupen zu bewundern Gelegenheit hatten, und zwingt mir noch diesen versiegelten Zettel für den Herrn Walther auf. Er meint, der Inhalt sei für Sie von der allergrößten Wichtigkeit.

»In Dresden werde ich die Ehre haben, Sie zu sehn, und Sie werden auch Denjenigen kennen lernen, welcher Ihnen einliegendes Blatt sendet.«

Das versiegelte Blatt enthielt folgende Worte: »Den Entführer, welchen Sie suchen, können Sie nur den vierzehnten August bei, oder in Guben treffen, wenn Sie ihn im Hause des Herrn Wachtel erfragen wollen, wo alsdann die sichere Nachricht, wo sich dieser Herr von Linden aufhält, Sie erreichen soll.«

Sonderbar! sagte Walther zu sich selbst, also dort soll ich den Elenden nun antreffen, von wo gewissermaßen mein Umstreifen in diesen deutschen Provinzen begann? Und – kann ich es mir verleugnen? – jetzt, nach Monaten erscheint mir die Ahndung seiner That und die Bestrafung dieses 144 Mannes nicht mehr so nothwendig, wie damals, als ich mich zu diesem Geschäfte drängte. Scheint es doch auch, daß mein Vetter in Warschau sich längst getröstet hat; indessen habe ich mich einmal damit eingelassen und mich dazu verpflichtet, sodaß die kühlere Ueberlegung zu spät kommt. Und ist die schöne Maschinka am Ende mit diesem Entführer glücklich, so möchte ich mich jetzt fragen, was diese Leiden und Freuden mich eigentlich angehn, da die Verwandten des Mädchens, wenn doch einmal etwas geschehn sollte, Jenen verfolgen und zur Rechenschaft ziehn konnten. Sie haben nicht weniger Muße dazu, als ich. Nun wird also doch zum Beschluß meiner Reise eintreffen, was nach meiner Meinung am Anfange geschehn sollte.

Nachdem man am andern Morgen mit dem Gastwirth die Rechnung berichtigt hatte, fuhr man, als die Hitze schon eingetreten war, nach Freiberg ab. Dort verweilten die Freunde nur, um einige Merkwürdigkeiten in Augenschein zu nehmen, und kamen, nachdem es schon Nacht geworden war, in Tharand an.

Walther freute sich darauf, am folgenden Morgen die Schönheit dieser Thäler, des Buchenwaldes und der Aussicht von der Ruine zu genießen, als Ferdinand ihm plötzlich ankündigte, er würde noch in dieser schönen kühlen Nacht zu Fuß nach Dresden gehn. Die Einwendungen Walther's wurden nicht angehört, sondern, obgleich es dunkel war, Ferdinand wanderte sogleich wohlgemuth weiter, nachdem er nur eben aus dem Wagen gestiegen war. Walther glaubte bemerkt zu haben, daß ein Unbekannter ihm beim Ankommen einen Brief überreicht habe, den Ferdinand in größter Hast, beim ungewissen Schein eines flackernden Lichtes angesehn habe und durch ihn in diese Unruhe gerathen sei.

Zum Argwohn aufgereizt, konnte es Walther nicht 145 unterlassen, dem Gefährten, nachdem dieser in der Dunkelheit manchen Schritt voraushatte, eilig und ohne Geräusch nachzugehn. Als er das Städtchen verlassen hatte, glaubte er in der stillen Einsamkeit Stimmen, ganz nahe vor sich, zu vernehmen. Als er weiter schritt, mußte er vermuthen, daß es nur das Rauschen des Gebirgstromes sei, welches ihn so getäuscht habe. An der waldbewachsnen Bergwand hinwandelnd, glaubte er im Dunkeln eine weiße weibliche Gestalt neben einer dunkeln männlichen zu unterscheiden; bald überzeugte er sich auch von der Wahrheit, aber es waren Menschen, die ihm entgegenkamen und wohl zur Mühle des Ortes zurückwandern mochten. Noch mehr wie einmal glaubte er in der Entfernung Klagen, Zank oder Gelächter zu vernehmen, und immer wieder mußte er sich überzeugen, daß es das Geräusch des kleinen Stromes sei, das ihn in der stillen Nacht so getäuscht habe. Beschämt ging er endlich zurück, verdrüßlich über sich selbst, daß er sich, ohne etwas erfahren zu haben, zum Horchen und Belauschen herabgewürdigt habe.

Am klaren frischen Morgen durchstreifte er die reizenden Gegenden bei Tharand, die dem Naturfreunde immer neu und anmuthig bleiben, wenn er auch aus der Schweiz oder Tyrol eben zurückkehrt. Diese Thäler, die so einsam von der lärmenden Straße entfernt sind, vom köstlichen Waldstrom durchrauscht, von schönen Hügeln und Buchen und Tannen bekränzt, sind so lieblich, daß man hier gern die weiten Blicke über den schönen Elbfluß vergißt. Von der Natur geläutert, Alles, was er in Guben wollte, oder gestern Abend ihn bewegt hatte, vergessend, fuhr er dann bei schönem Wetter nach Dresden und stieg bald nach der Tischzeit vor dem goldnen Engel von seinem Wagen.

Als er sein Geschäft mit seinem Bankier berichtigt hatte, fiel es ihm erst auf, daß er seinen Reisegefährten Ferdinand 146 noch nicht war ansichtig geworden. Er forschte im Gasthofe nach ihm, aber er hatte sich hier nicht, wie die Freunde doch abgeredet hatten, gemeldet. Sonderbar! sagte Walther zu sich selbst, ich bin ihm noch eine bedeutende Summe schuldig, er hatte, so viel ich weiß, gar kein Geld bei sich, und so entschwindet er nun plötzlich, ohne Abschied, ohne Nachweisung, ob und wo wir uns treffen können.

Jetzt suchte ihn der junge Baron von Bärwald in seinem Zimmer auf. Was mir das leid gethan hat, rief der junge Mensch, daß wir uns vor einigen Wochen in Graupen und Teplitz verfehlt haben; ich hätte wahrscheinlich die ganze Reise mit Ihnen machen können, und mein Freund, der mit mir war, ebenfalls.

Doch wie, fragte Walther, sind Sie auf die sichre Spur jenes Linden gekommen?

Eben jener junge Freund, der auch mit mir in Graupen und Teplitz war, antwortete der Baron, hat mir umständlich die ganze Geschichte erzählt. Er ist mit beiderseitigen Familien, sowohl der des Herrn von Linden, als der schönen Maschinka, befreundet. Er steht mit jenen Bekannten in Warschau in ununterbrochenem Briefwechsel, und von dort, ich weiß nicht, wie, hat er erfahren, daß an jenem Tage, den ich Ihnen meldete, die schöne Maschinka sowie der Herr von Linden in Guben sein werden. Was sie dort, oder wohin sie von dort wollen, ist mir freilich unbekannt.

Der bestimmte Tag war ganz nahe. Walther, um nicht mit dem jungen ungestümen Baron zu reisen, der sich ihm schon angeboten hatte, schützte Geschäfte vor, die er auf einigen Gütern abzumachen hatte, und begab sich auf die Straße nach Guben. Die öde Gegend, durch welche er reisete, vermehrte seinen Mißmuth.

Am zweiten Tage, als es schon spät am Abend war, 147 erreichte er Guben. Im Dunkeln fragte er sich nach Wachtel's Hause hin, aber dieser sowohl, als seine Gattin war nicht zugegen, und man wußte, so sagte der Dienstbote, nicht, wann sie zurückkommen würden. – So wollte Walther nach dem Innern der Stadt zurückkehren, verfehlte aber, weil er die entgegengesetzte Richtung nahm, den Weg und gerieth in die freie Landschaft. Es kam ihm nicht darauf an, sich nicht noch etwas zu ergehn und abzukühlen. Er gerieth auf eine Wiese und glaubte hinter einigen Gebüschen Klagelaute zu vernehmen. Er suchte sich mit Behutsamkeit, um im Finstern nicht zu fallen, der Stelle zu nähern, und als er die Worte unterscheiden konnte, hörte er deutlich folgendes Gespräch: So raffe Dich nur auf. – Was, raffen! das ist ein dummes Wort! Was kann man an sich selber raffen? Hier liegt sich's gut, und ich will wenigstens bis zur Regenzeit hier wohnen bleiben. – Was für ein Kreuz mit solchem Mann! Kannst Du denn wirklich gar nicht stehn? – Als wenn das eine nothwendige Sache wäre, wenn man so angenehm liegt, wie ich hier. – Wenn nur ein Mensch zur Hülfe in der Nähe wäre! – Ja, keiner, weil sie Alle in meiner Position, wenn auch nicht derselben Situation, in ihren Betten liegen.

Walther hatte gleich im Anfang Wachtel's Stimme erkannt, und halb gerührt über die Wehklage der Frau, halb lachend über den so ganz unverbesserlichen Reisegefährten, ging er näher, um seine Hülfe anzubieten, damit der Trunkene so nach Hause geschafft werden könne.

Ach Gott! seufzte die Frau, immer muß so ein fremder Herr als ein Engel vom Himmel mir zur Hülfe herbeikommen. – Mit gemeinsamer Anstrengung richteten sie den Taumelnden endlich auf, der in seinem Rausch den Reisegefährten nicht wiedererkannte. Walther und die Frau 148 faßten ihn unter die Arme und richteten ihre künstliche Wanderung nach der Stadt, die aber, so sehr sie den Zögernden auch schoben oder zogen, dennoch nur sehr langsam vor sich gehen konnte. Ja, gnädigster Herr, klagte die Gattin, er hat sich da, so wunderlich er nun ist, einen höllischen Trank verschrieben und kommen lassen, den er die Menschenessenz nennt, und behauptet, Abraham und Isaak hätten den Soff schon im Paradiese gehabt. So rennt er nun heut so heraus, wie er es treibt, um die Nachtwelt aufzusuchen und ihr vorzupredigen, und da denkt er, die dumme Nachtwelt antwortet ihm, wenn es die Frösche sind, die im Sumpfe quaken.

Frösche, Sumpf, quaken! rief Wachtel im Zorn: schlechte Worte! Quaken, was das ein Mißlaut ist! Und dann, wie einfältig, die ordinäre Nachtwelt, zu welcher freilich Frösche, Eulen und Fledermäuse gehören, mit meiner Nachtwelt, die ich heut aufgesucht und gefunden habe, zu verwechseln! – Er hielt an, stemmte sich mit aller Kraft an Walther und bestrebte sich, ihm in das Gesicht zu sehn. – Erlauben Sie mir, unbekannter Herr Menschen-, aber nicht Wortführer, Ihnen eine authentische Nachricht von jener Begebenheit zu geben, welche diese Person, die eine Frau und zugleich meine Frau ist, ziemlich confuse vorzutragen sich bemüht, als ob sie keine Frau, sondern ein Narr wäre. – Jetzt ging er wieder weiter, mit seiner ganzen Schwere auf Walther gestützt, der schon, von der Anstrengung erhitzt, häufigen Schweiß vergoß. – Sie werden es oft empfunden haben, fuhr Wachtel, etwas lallend fort, daß der denkende Mann mit seiner Gegenwart und der ganzen Zeit unzufrieden ist. Alles, was wir denken, wissen, wollen, die edelsten Bestrebungen unsers bessern Menschen, auch wenn wir nicht soeben die echte Menschenessenz genossen haben, legen wir sauber hin auf den großen Ladentisch dieser alten Krämermadam, 149 der Zeit. Sie sitzt nun immer da, mit der Brille auf der spitzen Nase und die blöde gewordenen Augen aufreißend und zukneifend, und sucht aus und wählt, hebt auf und registrirt, schreibt ein und streicht aus, und weiß vor vielem Thun und Wissen nicht, was sie thut, und vergißt immer wieder, was sie sich merkt. Die Kunden stehn vor dem Tisch übelgelaunt da und fordern und fragen, und erhalten nichts oder nur schlechtes Zeug. Der will vom feinsten Battist und kriegt alten, abgelegenen Cattun in die Hände, der will eine schöne politische Blondengarnitur, und die dumme Alte schiebt ihm ein verwittertes, längst aus der Mode gekommenes legitimes Haubenmuster hin, mit erstickter Stickerei und ausgewaschenen Knötchen. Treffliches Westenzeug möchte der recht blank und glänzend sich aneignen, und alten Hosencamelot aus Osten steckt sie ihm zu. Die beste reformirte Religionskräuselei und Krause fordert der, und sie will ihn mit schlechtem steifgestärkten moralischen Pietismus abspeisen. Schreit der nach der einfachen Kunst ohne Form und Gesetz, ein Bildwerk für des Herzlichsten Herz, so fährt sie ihm mit einer alten Mosaik entgegen, lauter zusammengesetzte schroffe Einzelheit; der will das Platonische, sie giebt ihm das Platte oder höchstens Plattirte: Lucretius und Lucretiensaft, Archangel und Erzengel, Peter Madsen und Matthison, Shakspeare und Käsebier, Racine und Ratzen, Alles verwechselt die dumme Creatur. Die Käufer laufen fort, die besten Arbeiter wollen ihr nichts mehr liefern, denn sie verzettelt die schönsten und edelsten Zeuge, daß sie unter den großen Ladentisch fallen, wo nachher sich Hunde und Katzen ihre Nester drin bauen. Und die Nachwelt – nun, die steht in der Ferne, sperrt das Maul auf, und wünscht doch etwas aus unsrer Zeit zu überkommen. Den Unfug hatte ich nun lange geduldig mitangesehn, und hatte mich überzeugen 150 müssen, daß die gute Nachwelt nur Schund und Schofel, Spreu und Asche, Sägespäne (die auch vielleicht für Shakspeare ausgeschrien werden) und Kohlenstaub in Magen, Herz und Gehirn kriegen wird. So, gestärkt durch einen starken Zug aus dem Quell der Begeisterung, machte ich mich heut an diesem heißen Tage, an welchem das Thermometer hoch auf Zukunft steht, auf, um mit der Nachwelt selbst zu sprechen und ihr im voraus die Lehren, Gedanken und Winke zu überliefern, die ich für die besten unsrer Tage halte. Dort in der Einsamkeit des Waldes fand ich sie denn auch, sie hatte sich's bei der großen Hitze bequem gemacht, und war fast ohne Hülle, sie war so aufgelöst und auseinander gequollen, daß sie in der That in unsre Gegenwart, die sich auch hatte gehn lassen, hineinreichte. Sie nahm alles von mir gütig auf und sagte freundlich zu Allem Ja; sodaß unsrer Enkel Enkel durch meine redliche Bemühung doch etwas von den guten Fabrikationen unsrer Zeit ungefälscht erhalten haben. Und dies, mein geehrter Herr Lieutenant, der Sie im Gehn gewissermaßen meine Stelle vertreten und mein Treten wieder übergehn müssen, ist Das, was der vorige einfältige Berichterstatter als Nachtwelt, als Sumpf, als Frosch und Quaken charakterisiren wollte. Sie aber, erleuchteter Mann, sehn jetzt genau ein, wie Alles zusammenhängt. – Sollten wir nicht aber schon in der Stadt und vor meinem derzeitigen Hause seyn?

Und so war es in der That. Der Trunkene dankte für die Ehre der Begleitung, die ihm ein fremder Mann in so später Nacht erwiesen hatte, und ging mit der Frau in seine Thür, wo ihn ein Diener und die Magd schon erwarteten.

Am andern Morgen war Wachtel ganz ernüchtert, als Walther zu ihm eintrat; er konnte ihm über Alles Rede und Antwort geben, was dieser nur zu wissen begehrte. Es ist 151 wirklich wahr, erzählte er, das junge, schöne Frauenzimmer, welches schon einmal bei uns gewohnt hat, ist wieder hier durchgekommen und hat wieder eine Nacht oben geschlafen; ein alter Diener und eine Magd, welche mit ihr waren, nannten sie Maschinka. Sie war wieder ebenso eilig, wie damals, sodaß ich sie fast gar nicht gesehn habe, und ist dann über die Oder gegangen. Aber ein junger Mann hat sich auch gemeldet und nach Ihnen gefragt, Sie möchten nur an Herrn von Linden ein Billet schreiben, so würde dieser sich gewiß in den nächsten Stunden stellen, im Fall Sie ihn nur an der Oder erwarten möchten.

Wachtel schrieb also einige Zeilen, welche binnen kurzem auch wirklich abgeholt wurden. Der Herr von Bärwald stellte sich ebenfalls ein und bot sich zum Sekundanten Walther's an, und Wachtel, der ängstlich um seinen Reisegefährten war, ließ es sich nicht ausreden, diesen ebenfalls zu begleiten.

Sie hatten sich einen Platz an der Oder zur Ruhestätte erwählt, nachdem sie den Wagen verlassen hatten, von wo sie einen großen Theil des Flusses übersehn konnten und gegenüber die sogenannte Kretschem vor sich hatten. Als es etwas kühler wurde, sahen sie, wie die Fähre herüberruderte. Sie bemerkten, daß eine elegante herrschaftliche Kutsche darauf stand, und wie das Fahrzeug näher kam, unterschieden sie, wie zwei Männer, Arm in Arm, da standen und nach dem Ufer hinüberschauten. Der ältere und größere glänzte in einer reichen Uniform.

Man war nicht wenig verwundert, als Walther und Wachtel beim Anlanden der Fähre in dem jüngeren Manne ihren Freund Ferdinand erkannten. Man umarmte sich und Ferdinand sagte eilig: ich kann hier bei Ihnen nicht 152 verweilen, denn mich erwartet ein dringendes Geschäft, welches ich erst abthun muß, dann wollen wir uns sprechen.

Mit mir ist es eben so beschaffen, erwiederte Walther; aber wir sehn uns hoffentlich bald wieder und verbringen in der Stadt den Abend fröhlich mit einander.

Der General, denn dies war der angesehene Fremde, mischte sich in das Gespräch und der junge Herr von Bärwald, der nicht Zeit und Umstände gern berücksichtigte, brach mit der Nachricht heraus, daß Walther auf einen Herr von Linden wartete, um mit diesem ein Duell auszufechten.

Ferdinand trat mit Erstaunen von Walther zurück, und der General rief aus: Wie? Sie sind jener Herr von Hellbusch, der meinen Neffen gefordert hat?

So ist es, erwiederte Walther, dieses ist auch mein wahrer Name, ich reisete unter einem erborgten, um, wie ich mir einbildete, besser beobachten und, selbst weniger bemerkt, Nachrichten einziehn zu können.

Sonderbar! höchst sonderbar! rief jetzt Ferdinand aus: ich nahm drüben und in Warschau den Namen Linden an, um mich nachher in Deutschland leichter den Nachforschungen meiner Gegner und den Verwandten meiner Frau entziehn zu können.

Frau? fragte Walther jetzt mit der größten Lebhaftigkeit. Allerdings, sagte der General lächelnd, vor drei Tagen ist meine Nichte Maschinka meinem guten Neffen Ferdinand drüben im Preußischen in meiner Gegenwart und auf mein Wort und meine Bürgschaft, als seine rechtmäßige Gemahlin angetraut worden. Und Sie, Herr von Hellbusch (indem er sich an Walther wendete), können mit dem besten Gewissen Kampf und Krieg aufgeben, denn Brüder und Verwandte sind durch meine Vermittlung mit dem neuen Gatten 153 ausgesöhnt, und Ihr Vetter, welcher Ansprüche auf Maschinka zu haben glaubte, hat sich ebenfalls verheirathet.

Da Alles sich so gefügt hat, sagte Walther, so bin ich der glücklichste aller Menschen; denn ich darf den Mann als Freund umarmen, den zu lieben und hochzuschätzen mir schon längst auf meiner Reise zum Bedürfniß geworden war.

Indem öffnete ein Jäger den Schlag der Kutsche und eine schöne Dame stieg aus derselben, um Walther höflich zu begrüßen. Wachtel, der sie mit Verwundrung angesehn hatte, rief aus: Ei, wie kann man denn so reizend seyn! das heißt mit dem Schönsein kein Maß halten! Das versteht meine Frau viel besser, die sich wohl hütet, die häßlichste auf der Welt zu seyn. Aber eigen ist es zugegangen, daß zwei Menschen, die sich als Todfeinde verfolgen, ein paar hundert Meilen in ein und demselben Wagen so gelassen und schläfrig neben einander sitzen.

Jetzt nahm Ferdinand das Wort und erzählte, wie Maschinka seinetwegen ihre Familie verlassen und in Angst nach Deutschland herübergekommen sei. Sie fürchtete, zu einer Verbindung gezwungen zu werden, und da der Oheim abwesend war, so wußte sie keinen andern Rath, als sich den Ihrigen, welche sie tyrannisirten, zu entziehen. Ferdinand war vorangegangen, um einen sichern Aufenthalt zu suchen. So kam sie über die Oder, und von einem Briefe einer Freundin gelenkt, suchte sie sich, wenn auch nur auf kurze Zeit, bei der Gattin Wachtel's zu verbergen, der die Freundin sie empfohlen hatte, ohne von ihren Schicksalen etwas Näheres zu melden. Hier erfuhr sie, daß man ihr nachstelle, daß ein Vetter des Mannes, dem sie hatte vermählt werden sollen, von Warschau ihr nachgereiset sei, und daß die Brüder dieses aufdringlichen Bräutigams sie ebenfalls suchten. Sie war also, nachdem sie ihrem Geliebten eine 154 kurze Nachricht nach Madlitz gesendet hatte, schon wieder entschwunden, als dieser nach Guben kam.

Ich habe die gnädige Erscheinung damals, wie jetzt, sagte Wachtel, nach meinen besten Kräften beherbergt.

Meine Braut und jetzige Gattin, erzählte Ferdinand, wußte von meiner Irrfahrt, sie war mir immer um einige Stationen voraus, und so trafen wir uns, um Abrede zu nehmen, in dem alten Schlosse Glich, oberhalb Bamberg, wo sie in der Maske eines Förstermädchens erschien. Hier hatte ich Gelegenheit, das Nähere mit ihr zu besprechen, und wir nahmen die Abrede, in Würzburg oder Heidelberg uns zu verbinden.

Sieh! sieh! rief Wachtel aus, drum! drum! Ei ja freilich, es ist auch dasselbe hübsche Gesichtchen. – Er sah hiebei Walther mit einem bedeutenden Blicke an, und dieser lächelte halb verlegen.

In Würzburg aber, erzählte Ferdinand, kam ein junger Pole, der Begleiter eines Herrn von Bärwald, meiner Geliebten auf die Spur. Er machte Anstalt, sich ihrer zu bemächtigen, und sie, benachrichtigt davon, rief mich auf zur Hülfe, da sie mich in jene Bude hatte eingehn sehn, wo wir uns, kindisch genug, mit einer russischen Schaukel ergötzten. In der Bude aber stand, ohne daß ich es wissen konnte, neben dem Herrn des Kunststückes, eben dieser junge Pole, der meine Braut persönlich kannte, und ihren Namen laut ausrief, als sie in die Bude hineinblickte. Alles stürzte ihr nach, ich aber, als der Schnellste, fand Mittel, sie im Getümmel des Jahrmarktes zu verbergen und vor den Nachstellungen zu retten.

Ei! rief Wachtel aus, unser Freund Walther, welcher den Jungfrauenraub zu bestrafen ausgereiset war, 155 saß indessen mit eingelegter Lanze hoch oben wie ein rächender Gott in der einsamen Bude.

In Heidelberg, fuhr Ferdinand fort, erfuhr ich endlich aus ihren Briefen, daß unser gütiger Onkel sich unser annehmen und Alles schlichten wolle, nur machte er es zur Bedingung, daß wir umkehrten, um nicht als Abentheurer in fremden Regionen den Ruf meiner Geliebten unnöthig auf das Spiel zu setzen. In eines jungen Gelehrten, Keyser's, Gesellschaft, welcher seine Braut besuchte, sprach ich die geliebte Maschinka, und wir beredeten unsre Rückreise. Aber wir durften uns noch nicht vereinigen, um uns nicht dem Ungestüm der Verwandten, welche uns verfolgten, auszusetzen. Ich hatte in Briefen und aus dem Munde meiner Braut von einem wüthenden und rachsüchtigen Hellbusch gehört, und konnte mir nicht träumen lassen, daß dieser derselbe freundliche Mann sei, an dessen Seite ich die schöne Reise durch Deutschland machte. So kehrten wir denn um, und schrieben hie und da Merkworte ein, die der Andre fand und die kein Fremder verstehen konnte. In der Höhle von Liebenstein trafen wir uns an jenem schönen Sonntage, und dort, als ich mich hatte von der Barke auf dem unterirdischen Gewässer übersetzen lassen, sprach ich im Dunkel, und von der ganzen Welt abgesondert, meine Geliebte. Bei Tharand bestellte sie mich und ich traf sie in der Nacht dort im schönen Thal. Sie reisete sogleich hieher nach Guben, ihrem gütigsten Oheim entgegen, und der großmüthige Mann hat auch mich seinen Neffen genannt und durch seine Güte alle die Irrsale geschlichtet. –

So fuhren sie nach Guben zurück und ergötzten sich an den kleinen Begebenheiten ihrer Reise. Von dort begaben sie sich mit dem Oheim nach der Schweiz, und Walther, welcher seinen Reisegefährten Ferdinand herzlich liebgewonnen 156 hatte, bat sich die Erlaubniß aus, mit ihnen reisen zu dürfen, um in ihrer Gesellschaft einige Zeit in dem schönen Lande dort zu leben.


Es waren zehn Jahre verflossen, als dem Erzähler dieser Geschichte Walther und Ferdinand wieder begegneten. Die seltsamen Begebenheiten des Befreiungskrieges hatten uns in Prag im Sommer des Jahrs 1813 vereinigt. Ferdinand war mit seiner Frau, die noch immer schön zu nennen war, glücklich, er hatte einige allerliebste Kinder, mit denen er gern spielte. Auch Walther war verheirathet, und wir erfreuten uns Alle des Wiedersehns und der erneuten Vertraulichkeit. Nur war es mir merkwürdig, daß der schwärmende Ferdinand jetzt ein eifriger, möcht' ich doch sagen, einseitiger Verfechter der protestantischen Lehre war, und Walther im Gegentheil war zur katholischen Kirche übergetreten und mit vollem Ernst und ganzem Herzen ein Bekenner ihrer Glaubens-Artikel.

Wie dieses sich zugetragen hatte, läßt sich vielleicht in Zukunft mittheilen, da es für denkende Leser, die selbst etwas erlebt haben, nicht ohne Interesse seyn dürfte. Auch läßt sich um so unparteiischer diese Seelengeschichte erzählen, da beide Freunde, sowie der dritte, der humoristische Wachtel, vor Jahren nach Italien gereiset sind, und dort froh und glücklich leben. Als heitre Beilage und Episode dürften alsdann auch die beiden Novellen, welche die freundlichen Feinde, die sich als solche nicht kannten, im Gasthofe zu Chemnitz ausarbeiteten, nicht unwillkommen seyn.

 


 


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