Ludwig Tieck
Ryno
Ludwig Tieck

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Ludwig Tieck

Ryno

Erzählung

Mit schwankenden Schritten folgte Ryno dem Diener, der ihn auf seine Halle führte. Dieser stellte die Fackel in eine Ecke der Halle, und entfernte sich dann so schnell, als wäre Ryno ein schrecklicher Drache, der mit rasselnden Flügeln hinter ihm herjagte, um ihn mit seinen Basiliskenaugen anzublicken, oder ihm seinen giftigen Hauch ins Angesicht zu blasen. Ryno saß stumm da, die Arme ineinandergeschlungen. Die Fackel loderte wehend empor, und goß einen zitternden Lichtglanz über die Mauern hin. Seine Augen schlossen sich dem irren Schein, der um ihn herflog, oft schnell wie ein Blitz aufschoß, öfter noch langsam wie ein weites Lichtgewölk sich auseinanderfaltete. Da fuhren ihm Schreckgestalten aus der Finsternis entgegen; wie mit Schlangenkörpern wanden sie sich zu ihm hinan, der Schauder faßte ihm mit eiskalter Leichnamshand in den Nacken, und Ryno öffnete schnell wieder die Augenlider. Er starrte in die Flamme der Fackel; sein Blick verfolgte ängstlich jeden Funken, der sich von ihr losriß und wie ein flammender Stern durch das matterleuchtete Dunkel schwamm, denn er sah in der lodernden Flamme ein Bild des Lebens; er glaubte nicht allein zu sein. Jetzt traten die Bilder der Vergangenheit ernst auf ihn zu, er dachte sich, und schauderte bei dem Gedanken, daß er Ryno sei.

»Ich bin abscheulich!« sagte er leise, denn er fürchtete einem lauschenden Ohr zu gestehen, was das schrecklichste Gefühl seines Unwerts ihm kaum abzuzwingen vermochte. »Ich bin abscheulich!« klang's in seinem Innersten wieder, »ausgestoßen bin ich von allem, was atmet, fühlt und weint und tröstet, allein steh ich da, wie ein schrecklicher Gott, von allen gefürchtet, von keinem geliebt. Die Nachwelt wird meinen Namen nie bei Freudenmahlen in den Muschelklang rufen, er wird ein Losungswort für Mörder sein, wenn sie schreckliche, blutende Rache schwören. Warnend wird der Greis meine Taten lauschenden Kindern erzählen, er wird fluchen bei meinem Namen, und schaudern und zittern wird der Knabe, wie ich bebte, wenn mein Vater von den Ungeheuern der Bosheit sprach! Hu! mein Bild ist schrecklich! wer bin ich, und wer könnt ich sein? Könnt ich sein? Das ist die Frage eines Dummkopfs. Wenn Kräfte wie die meinigen gären, so kann es nicht anders aufbrausen, als es wirklich aufkocht. Das Schicksal wollte, daß ich Ryno sei, mein Streben wär fruchtlos gewesen, meine Kraft an seinen Wehren zerbrochen. Ich sollte so verhaßt und abscheulich sein, als ich bin, und wohl mir, daß ich's bin! Die Götter lenken alles zum Besten! Ich bin so gewiß recht glücklich. – – Glücklich?«

Er erschrak vor diesem Worte und schwieg.

Wie in der Nacht schwere Gewitterwolken langsam und schauernd dem Monde vorüberschweben, wie eine der andern die dunkle Hand bietet, wie ein Gewand an das andere furchtbar wallt, so zogen langsam und fürchterlich vor Rynos Seele alle seine Taten vorüber. Er fuhr zurück, alles um ihn war öde; er stand auf dem schmalen Rand eines schroffen Felsens, wie die Nacht lag die Gegenwart um ihn, wie brausende Stürme durch den Eichenforst rauschen, so rauschte ihm die Vergangenheit furchtbar nach; die Zukunft lag vor ihm wie ein Abgrund voll schwarzer Nacht, aus dem ihm Schlangen entgegenzischten, und Wölfe entgegenheulten: »Sei unser!«

Dies Gefühl war Ryno um so schrecklicher, da er es noch nie empfunden hatte; sein Haupt sank auf seine Brust zurück, ihm war, als stehe er wie ein müder und durstender Wanderer vor einer dürren Heide; er warf seinen trostlosen Blick in die wüste Unendlichkeit hinaus, und zog ihn langsam zurück, ohne nur einen Rasenplatz, eine Quelle, eine Blume, die ihm irgendwo blühte, entdeckt zu haben. Seine Seele stand vor dem furchtbaren Pfade der Verzweiflung. Warum, dachte er, ich, gerade ich, der Ryno, mit dem ich so vertraut bin, warum dieser gerade der Bösewicht Ryno? Warum zuckte diese Hand gerade den Dolch auf Toskars Brust? – Warum heißt der Frevler nicht Carno?

»Warum?« rief er lauter, und lachte und erschrak. »Warum«, zitterten die Lippen noch einmal. »Warum?« ertönte es dumpf im Innern seiner Seele. Die Gedanken flohen, alles verdorrte um ihn her, alles verlor Farbe und Umriß, sein Geist versank in einen Moor von dunklen Gefühlen. Ohne Bewußtsein saß er da, und starrte vor sich hin; mühsam wand seine Seele aus diesem Pfade voll Unsicherheit und Untiefen sich auf die feste Bahn der Gedanken zurück.

Plötzlich zuckten die Muskeln seines Auges, ein krampfhaftes Beben wie ein Lächeln spielte um seine Lippen, sein Kopf erhob sich, er wagte es die Augen aufzuschlagen und umherzublicken. Seine Lippen bebten noch einmal, und zogen sich dann plötzlich in ein grinsendes fürchterliches Lächeln. Er fühlte sich auf einmal so unaussprechlich glücklich, eine schauerliche Wonne strömte durch sein ganzes Wesen, er sahe dem Gedanken: Auch zu verabscheuenswürdigen Taten gehört Kraft, und – du bist der Bösewichter Erster, so froh ins Auge, daß plötzlich Dunkelheit und Nacht aus seiner Seele schwanden. Er hatte sich einen Unhold geglaubt, und jetzt sah er auch an diesem Unholde noch einen verborgenen Reiz. Die ganze Bürde seiner Verbrechen erschien ihm so leicht, er hielt sich für einen Gott, daß er ihre Felsenlast ohne Keuchen zu tragen vermöchte, er fühlte sich so groß in dem Gefühl, er wisse es, daß er ein Bösewicht sei, und dieses Bewußtsein könne ihn nicht niederbeugen.

Er warf den dreisten Blick weiter, und fand das Ziel seines ganzen Strebens, Liebe und Malwina.

»Wär es nur gelungen«, sprach er, »ich wäre noch jetzt der geachtete Ryno, der ich sonst war; keiner würde es wagen, meinen Sieg zu beschimpfen. Wenn der Sieger auf dem Hingeschmetterten kniet, wer darf fragen, durch welche Ränke er ihn niederwarf? – Nur das Mißlingen entehrt – Kraftlosigkeit, Feigheit oder Unwürdigkeit des Preises schänden den Kämpfer. Was war der Lohn meines Strebens? Was trieb die aufsiedende Kraft über ihre Schranken?« – »Liebe, Liebe! du warst es! Du Frühlingsgeist, der alles, was atmet, durchweht! Der du alle Blüten schöner und großer Taten aus den Stämmen rufst, und du solltest Verbrecher bilden? Liebe ist der Segen der Götter, ihren Lieblingen legen sie dies Gefühl heiß und glühend an die Brust. Reifen Trauben am Dornstrauch? Blühen Rosen am Distelbusch? Der edle Stamm trägt edle Frucht, die Liebe macht groß, anstaunenswürdig, nicht abscheulich. Und wenn – – ha! Malwina war der Preis meines Kampfes, unzertrennliche Ketten rissen mich zu ihr hin; die Allgewalt der Liebe war es, die mich mit Riesenkräften zog! Was kann der Pfeil dafür, den eine starke Hand von der Sehne schnellt, wenn er im Fluge zum Ziel unterwegs eine Fliege tötet?«

Ein heller emporschießender Schein rief ihn aus seinen täuschenden Träumen, die Flamme der Fackel loderte hoch auf, und warf ein schimmerndes Strahlengewebe gegen die Decke, um dann zu erlöschen, sie sank zusammen und ließ eine rotglühende Kohle zurück. Dämmerung zitterte um Ryno her, die Nacht umgab ihn, und alle Schrecken seiner Seele kehrten wieder, all sein Frohsinn war plötzlich verschwunden, er bebte von neuem.

Seine Blicke starrten jetzt auf die glimmende Kohle, die nach und nach verglühte. Jetzt verlief sich der letzte Funken in der weißen Asche; schwarze Nacht lag um Ryno.

Der Gedanke des Todes trat mit allen seinen Schrecken vor seine Seele.

»Was? tot? Dieser Gedanke wagt's, von mir gedacht zu werden? Er zittert nicht vor mir, dem Schrecklichen, zurück? Ich zittre? Und dennoch steht er da, und bietet mir die Hand zum grausen Bunde der Freundschaft und Vertraulichkeit! Ja, ja, es ist wahrhaftig so! Er wankt nicht zurück, er steht und droht, und ich bebe vor seiner Allkraft!«

Eine schreckliche Pause der Todesempfindung; dann brach er wieder aus, von Schaudern geschüttelt, mit dumpfem, tränenschwangerm Ton:

»Ryno, Ryno! – Sterben – verwesen – sterben! Statt dieser Vertraulichkeit mit jedem deiner Glieder, statt dieser Fülle der Gesundheit, statt dieser Kraft, die deine Muskeln schwellt, daliegen in den Armen der Verwesung und des Moders! O schreckliches Ziel, das unser am Ende unserer Reise harrt! Nicht sein, nicht fühlen! Alles entbehren, selbst des Gefühls, daß man unglücklich ist! Hier tritt der Gedanke blaß zurück, die Hoffnung stürzt verzweifelnd rückwärts, alle Seelenkräfte erlahmen vor diesem fürchterlichen Tor der Ungewißheit! Unter der Erde liegen, über mir den Tritt des fluchenden Wandrers, der die feuchte Erde noch fester auf mich stampfet? – Auf mich? – Ich bin dann aus dem Gebiet des Seins verloren, liege da, ein Greuel der Ahndung jedes Sterblichen, nicht edler als die Baumwurzel, die neben mir fault. Warum war ich geboren? Nicht geboren sein ist kein Verlust; aber wieder aus dem Leben in das Gebiet der Träume wandeln, ist schrecklich! O warum ward ich geboren? Noch einmal brüll ich es laut dem Schicksal ins Ohr: Warum ward ich geboren? Um zu sterben! Ja, um zu sterben, um meinetwillen zerbricht die Natur ihre Gesetze nicht! Nun gut, wenn ich denn sterben soll, so gehe alles unter, damit nichts glücklich sei, weil Ryno es nicht ist!«

Er schwieg. Da schwammen leise Harfentöne aus der Ferne seinem Ohr näher. Sie tönten von Malwinas Händen auf, die im Hochgefühl ihres Glückes, an Carnos Brust gelehnt, die Lieder spielte, die sie einst in Tagen der Freude und des Harms von Ullin lernte. Gleich Freunden riefen diese Töne in Rynos Brust alle Erinnerungen aus seiner Kindheit zurück; er fühlte es, und – knirschte. Andere sind so glücklich, dachte er itzt, und du –! Aber doch schmiegte sich seine Seele ängstlich um jeden Ton, es war Leben, was ihm entgegentönte. Die Töne versanken, wie der Mond hinter einem schwarzen Tannenhain untergeht; sie verloschen, wie ein fernes Licht in der Sturmnacht dem Wanderer auf sumpfiger Heide erlischt.

Da murrte es dumpf vom Gebirge her; es brauste durch den Eichenwald, ein Donner rollte durch den gewölbten Himmel, ein schwacher Blitz umflatterte den schwarzen Saum des Horizonts. Ryno ging an das Fenster, und blickte starrend in die Gegend hinaus, durch die der flatternde Glanz zitterte. Tannen und Eichen traten fürchterlich wie schwarze Gespenster aus der Erde hervor, die ihre zackigen Arme gegen ihn hinstreckten. Die Wetterwolken schienen ihm Ungeheuer, die ihn im Vorüberfliegen anklafften, und von ihren Rabenschwingen Flüche auf ihn herabschüttelten; er fuhr zurück, und ein Donner schwang sich majestätisch durch die ernst brausenden Eichenwipfel.

»Rolle, Donner!« rief Ryno, »daß die Erde unter deinen Schlägen seufze, daß diese fürchterliche Einsamkeit mich nicht zum Kinde mache, diese grauenvolle Öde, die mein Haar emporsträubt, und kalte Tränen des Entsetzens in meine Wimpern jagt. Zerschmettre alles in Staub, wandle mich plötzlich, ohne daß ich es wisse, in nichts! Begrabe mich und alles in einen Trümmer, daß die Glücklichen sich nicht ihres Glücks erfreuen können!«

Ein Blitz schoß durch das Gemach und jagte Rynos Schatten fürchterlich verzerrt die Wand hinab. »Was war das?« rief Ryno. »Ein Schatten? Mein Schatten? Und vor ihm beb ich? Ryno, Mann! schäme dich, der du, ohne zu wanken, von Carnos Turm in das Gebiet des Todes hinunterschauen konntest!« Ein zweiter Blitz; und an jedem Gliede verzerrt flog der Schatten noch einmal vorüber, als wenn er erschrocken vor Ryno hinwegflöhe.

Ryno war sich selbst schrecklich geworden; er sah dem Schatten bebend nach. Er empfand itzt das fürchterliche Gefühl, einsam dazustehen, eine Beute der Qualen seiner Seele; um ihn her kein Ton, der das Grausen vertönte, keine Gestalt, die die fürchterlichen Bilder des Todes verscheuchte. Diese feierlich gräßliche Stille konnte Ryno nicht dulden. Er wollte irgendeine der bekanntesten Harfnerlieder singen, um in dieser grausenvollen Wüste sich nicht allein zu scheinen, um Töne zu hören, die ihn den Tod vergessen ließen, die ihn taub machten für das ächzende Geschrei der Eule, die von einem verdorrten Baume vor seinem Fenster ein Totenlied krächzte. Aber sein Gedächtnis versagte ihm den Dienst; er suchte in dem Vorrat seiner Erinnerung, aber vergebens. Jedes angenehme Andenken war in seiner Seele untergegangen, es war ihm unmöglich, sich itzt der Weise eines Liedes zu erinnern; nur Eulengeschrei und Wolfsgeheul tönte in seiner Einbildungskraft.

»Unglücklicher Ryno!« rief er vom Schmerz überwältigt.

»Unglücklicher Ryno!« hallte es durch die Gemächer, und flog wie das Rauschen eines Gespenstes die Decke hinab. »Ryno!« hallte es aus den fernsten Gewölben krächzend und gebrochen zurück, und ein Schauder flog über Ryno dahin. Sein eigener Ton, seine eigene Stimme war ihm fremd und schrecklich geworden. Auch dieser Weg, auf welchem ihm oft die Blume des Trostes duftete, war ihm versperrt; wie ein schrecklicher Geist stellte sich der Schauder davor. Ryno durfte auch nicht reden, wenn er nicht vor sich selbst erzittern wollte. Stumm saß er da, wagte es nicht, die Augen aufzuschlagen, und noch weniger sie zu schließen, kaum getraute er sich zu atmen. Er fühlte es, daß kalte Schweißtropfen auf seiner Stirn standen, und hatte nicht das Herz, sie abzutrocknen, denn seine Hand war ihm schrecklich, sie schien ihm schon itzt die Hand eines Totengerippes; er verachtete, verabscheute und fürchtete sich selbst.


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