Ludwig Tieck
Die Reisenden
Ludwig Tieck

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Im Hause des Pfarrers tobte indessen ein lautes Getümmel. Die Hochzeitgäste waren so lustig, daß es die Glücklichen endlich auch auf der Wiese hörten. Der alte Baron hatte indessen schon seinen Sohn Theophilus heraus gesucht 268 und ihm unter Umarmungen seine Vaterschaft erklärt. Ich habe nun auch einen Vater! rief Theophilus im Hause lärmend umher, und schlug laut lachend mit den Beinen aus, als der Pfarrer ihm dazu vernünftig Glück wünschen wollte. Wolfsberg machte es mit dem Pfarrer ab, daß er ihn in den nächsten Tagen mit seiner überglücklichen Franziska verbinden sollte. Der Gerichtspräsident Walther konnte in der Leidenschaft des Glücks nicht so mit dem Geistlichen sprechen, wie dieser es wohl verdient hätte; auch wurden alle Unterhandlungen durch ein laut schmetterndes Posthorn unterbrochen. Eine glänzende Equipage hielt, viele zierlich gekleidete Diener beeiferten sich, einen ansehnlichen Mann, der auf dem Rocke einen großen Stern trug, aus dem Wagen zu heben. Die Dorfleute befiel ein stilles Grauen, und als Anselm ausrief: der alte Graf Birken! so fing der Pfarrer an zu zittern.

Wo ist mein ungerathener Sohn? schrie der alte Graf, als er in das mit Menschen überfüllte Zimmer trat. Die Braut heulte laut, und die anwesenden Weiber aus dem Dorfe stimmten in denselben Ton ein. Wo ist Caspar Birken? schrie der Alte noch einmal. Hier, winselte der junge Graf, der sich hinter einen großen eichenen Tisch verschanzt hatte. – Und wo ist der unverschämte Pfaff, der es gewagt hat, den dummen Laffen mit seiner Tochter zu verkuppeln? – Hier! rief der Pfarrer, der sich indessen wieder gesammelt hatte; aber keine Verkuppelung, sondern eine ächte christliche Ehe, wie unsre Kirche sie vorschreibt. – Die wird wieder geschieden! – Die wird nicht geschieden! – Sie ist nicht gültig, so gewiß da oben auf den Ebreschenbäumen keine Aprikosen wachsen. – Sie bleibt so lange gültig, bis da oben die rothe Felsenwand ein Mensch hinauf klettern kann, und von den nämlichen Ebreschenbäumen sein Veto in das Thal zu uns herunter schreit. – Und wenn ich Blut und 269 Leben, wenn ich mein Vermögen lassen muß, und wenn ich der Mörder meines eigenen Sohnes werden sollte, so gebe ich zu dem Unsinn nie meine Einwilligung. – Und wenn ich, schrie der Pfarrer entgegen, prozessiren müßte, bis ich keinen Groschen mehr hätte, und wenn ich zur Fortsetzung des Prozesses von dem Junker Görge, oder einem noch Einfältigern, das Geld betteln müßte, so lasse ich die Sache nicht ruhn. Mein Kind muß glücklich und Gemahlin des Grafen, Ihres Sohnes, bleiben. Wissen Sie, was ein Horoskop ist? – Nein. – Nun, dann können Sie auch gar nicht mit sprechen. Sehn Sie dies Papier; in der Geburtsstunde meiner Tochter habe ich alle ihre Sterne beobachtet, und schon damals mit Gewißheit prophezeiht, daß sie eine Gräfin werden müsse. Was können Sie gegen alle Sterne ausrichten? He?

Der Graf sah das Papier eine Weile mit staunenden Blicken an. He! Caspar! schrie er von Neuem. Heraus aus Deinem Winkel, Du Satansbrut! Komm her, Spitzbube, ich will Dir ja meinen väterlichen Segen geben, weil es denn also doch einmal nicht anders seyn kann.

Der junge Birken hüpfte herbei, er legte die Hand des Sohnes in die seiner Braut und küßte das kleine dicke Mädchen dann recht herzlich auf den Mund. Nun, Spaß bei Seite, sagte hierauf der alte Herr bedächtlich, im Grunde ist es mir ganz lieb, daß die Sache so gekommen ist, denn der Junge hätte einmal noch ärger anlaufen können; er kommt somit in eine ziemlich reputirliche Familie; der Mosje Caspar muß nun aber seine dummen Teufeleien lassen, die ihm einmal den Hals hätten kosten mögen; der Schwiegerpapa ist ein resoluter Kerl, der wird ihm wohl den Daumen aufs Auge halten. Aber nun kriegt Dein jüngerer Bruder die großen Güter, und Du, Hasenfuß, trittst in seine Rechte, wie es auch eigentlich viel vernünftiger ist.

270 Alles war zufrieden und glücklich. Walther und Raimund waren indeß mit der geliebten Blanka zum Hause des Edelmanns gewallfahrtet. Es war vorläufig davon die Rede gewesen, den Jugendwohnsitz Raimunds wieder zu kaufen; auch zeigte sich die Möglichkeit einer Verbindung zwischen der empfindsamen Baronesse und Theophilus, da dieser jetzt von seinem Vater anerkannt wurde.

Alle gingen selig, in Gefühlen und Hoffnungen schwelgend, sprechend und scherzend die grüne Wiese hinunter. Kilian unterhielt sich mit Sokrates. Gnädige Frau, sagte er nachher zu Görges Mutter; der Mann kann Ihrem Sohne auf die Beine helfen; ich habe ihm auf den Zahn gefühlt, ich habe mit ihm disputirt, einen solchen Gelehrten bekommen Sie niemals wieder. Indem man noch sprach, hörte man von oben, die Felswand herunter ein lautes Veto! rufen. Alle sahen hinauf und schwindelten, denn von der steilsten Höhe hing der alte Graf Birken reitend auf einem Ebreschenbaum. Veto! rief er noch einmal; aber nun kommt schnell zu Hülfe, oder ich breche den Hals! – Widerrufen Sie erst Ihr Veto! schrie der Pfarrer hinauf. – Ich widerrufe, tönte es herab, aber ich werde doch den Hals brechen. Die Bedienten liefen, die Leute aus dem Dorfe holten Stangen, Leitern und Stricke. Plötzlich brach der Baum, und der Graf stürzte herab; er kam aber noch ziemlich glücklich auf dem Boden, zur Freude Aller, an. – Wie ist er nur auf die steile Wand gekommen? rief der Pfarrer. Ja, Schwiegervater, antwortete der junge Graf Birken, Sie sehen, mein Papa ist noch toller, als ich!

Die Sonne sank und beschloß den seligsten Tag, den Walther, Blanka und Raimund noch erlebt hatten. Franziska schloß sich diesen an, und im gebesserten Herzen fühlte sich Adlerfels als den glücklichsten Menschen.

 


 


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