Ludwig Tieck
Die Geschichte von den Haimonskindern
Ludwig Tieck

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Siebzehntes Bild

Kunststück des Malegys.

Olivier war einst auf der Jagd und stand mit seinem Pferde auf einem hohen Berge. Da sah er unten nach dem Fluß hinunter und gewahrte einen Mann, der am Berge herumkroch, und Kräuter zu suchen schien; er gedachte gleich daran, daß es wohl Malegys sein könnte, ritt also hinunter und sagte ihm, daß er sich gefangen geben sollte. Malegys setzte sich zur Wehre, aber Olivier schlug ihm das Schwert aus der Hand, und so mußte jener sich gefangen geben und dem Olivier nach Paris folgen, zornig zwar, aber doch nachgebend.

König Karl freute sich sehr, daß Malegys in seiner Gewalt sei, er wollte ihn sogleich aufhängen lassen, aber Malegys sagte: »Lasset mich noch bis morgen leben, das ist nicht lange, und mir ist es lieber.« »Das glaub ich«, antwortete Karl, »du denkst vielleicht mir zu entwischen, aber diesmal soll es dir nicht gelingen, deshalb kann ich dich wohl bis morgen leben lassen, dann aber sollst du dafür gestraft werden, daß du mir neulich beinahe den Daumen abgebissen hättest.« – »Wenn ich morgen hänge«, antwortete Malegys, »so werd ich nun wohl Ew. Majestät nicht mehr beißen.« »Das denk ich auch«, antwortete der König.

Es wurde zur Tafel geblasen und die Genossen saßen paarweise an kleinen Tischen; der König aber speiste allein; worauf Malegys sagte: »Für alle diese Herren ist gedeckt, außer für mich nicht, ich denke, ich setze mich zu Ew. Majestät, so machen wir auch ein Paar.« – »Du böser Schalk«, antwortete Karl, »darfst du noch so lose Reden führen, ich dächte, dir sollte die Lustigkeit wohl vergehn, da du morgen sterben mußt.« Aber die Reden des Malegys gefielen dem Roland, und er ließ den Malegys neben sich niedersetzen und sie aßen und tranken miteinander. Malegys wurde immer lustiger und sang einige Lieder, worüber sich alle verwundern mußten, da er so bald sterben sollte. Aber Malegys trank immer fleißiger, und sang:

»Sollt' ich denn fröhlich nicht sein?
Schmeckt mir doch Essen und Wein,
Morgen ist lange nicht heut,
Sterben hat doch seine Zeit,
Jedermann tut es ja leid,
Stirbt doch auch mancher noch heut.«

Der König sagte: »Du denkst dich wohl vielleicht vom Galgen loszusingen, aber darin sollst du dich verrechnen«, und sogleich ließ er ihn in einen festen Kerker führen und in Ketten legen und viel Eisen an die Füße binden, damit er durchaus nicht entlaufen könne. »Gebt Ihr mich frei?« sagte Malegys; »gewiß nicht«, antwortete der König. »Nun, so gebt nur gut auf mich acht«, redete darauf der Schalk, »denn um Mitternacht denke ich Euch zu entlaufen.« »Damit wird es nun wohl keine Not haben«, sagte der König und ließ die festen eisernen Türen doppelt zuschließen, und die Genossen mußten mit bloßen Schwertern die Nacht hindurch vor dem Gefängnisse Wache halten; meinte der König, er solle ihm nun gewiß nicht entrinnen.

Aber um Mitternacht schüttelte Malegys die Schlösser von sich und die Eisen fielen ihm von den Füßen; darauf machte er durch seine Kunst die Schlösser und die eisernen Türen auf und machte, daß die Genossen in einen festen Schlaf fielen und einer über dem andern lag. Worauf er ihre Schwerter und vieles kostbares Geräte mit sich nahm und so schwer beladen nach Montalban eilte. Reinold war sehr erfreut, daß er die zwölf kostbarsten Schwerter in seiner Gewalt habe.

Am Morgen wollte König Karl den Malegys zum Tode führen lassen, stand deshalb ziemlich früh auf. Da fand er die Genossen schlafend, wie einer über dem andern lag, auch waren ihnen die Schwerter gestohlen und alle Türen offen, und kein Malegys im Kerker, aber die Ketten und das Eisen war drin geblieben, worauf König Karl sehr erbost wurde und einen Eid tat, er wolle Montalban belagern und mit eigner Hand die Schwerter erobern.


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