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In der Nähe von Bagdad lebten Omar und Machmud, die Söhne einer armen Familie. Als der Vater starb, erbten sie nur ein kleines Vermögen, und jeder von ihnen beschloß, zu versuchen, wie hoch er damit sein Glück bringen könne. Omar zog fort, um eine kleine Reise zu machen, und den Ort zu finden, wo er sich niederlassen wolle. Machmud begab sich nach Bagdad, wo er einen kleinen Handel anfing, der in kurzer Zeit sein Vermögen um ein Ansehnliches vermehrte. Er lebte sehr sparsam und eingezogen, und sammelte sorgfältig jede Zechine zu seinem Kapitale, um mit diesem wieder etwas Neues zu unternehmen. Auf diese Art bekam er bei mehreren reicheren Kaufleuten Kredit, die ihm zuweilen einen Theil der Schifffracht abtraten und gemeinschaftliche Spekulationen mit ihm versuchten. Durch wiederholtes Glück ward Machmud dreister, er wagte größere Summen, und sie trugen ihm jedesmal reichliche Zinsen. Nach und nach ward er bekannter, seine Geschäfte wurden größer, er hatte bei vielen Leuten Summen ausstehen, so wie er von vielen andern Gelder in den Händen hatte, und das Glück schien ihm beständig zu lächeln. Omar war im Gegentheil unglücklich gewesen, keiner von seinen vielen Versuchen war ihm gelungen; er kam jetzt ganz arm, fast ohne Kleider, nach Bagdad, hörte von seinem Bruder und ging zu ihm, um bei ihm Hülfe zu 246 suchen. Machmud freute sich, seinen Bruder wieder zu sehn, beklagte aber seine Armuth. Da er sehr gutmüthig und weich war, gab er ihm sogleich eine Summe aus seiner Handlung, und richtete ihm davon ebenfalls einen Laden ein. Omar fing an mit Seidenwaaren und Kleidern für Frauen zu handeln, und das Schicksal schien ihm in Bagdad günstiger, sein Bruder hatte ihm die Summe Geldes geschenkt, und er hatte es daher nicht nöthig, sich wegen der Wiederbezahlung zu ängstigen. Er war in allen Unternehmungen unbesonnener als sein Bruder, und eben deswegen glücklicher; er war bald mit einigen Kaufleuten bekannt, die bis dahin mit Machmud ihre Geschäfte gemacht hatten, und es gelang ihm, sie zu seinen Freunden zu machen: dadurch verlor sein Bruder manchen Vortheil, der jetzt auf seine Seite fiel. Machmud hatte sich jetzt eine Gattin gewählt, die ihn zu manchem Aufwande nöthigte, den er bis dahin nicht gemacht hatte; er mußte von seinen Bekannten Summen aufnehmen, um Schulden zu bezahlen. Andre Gelder, die er erwartet hatte, blieben aus, sein Kredit sank, und er war der Verzweifelung nahe, als er die Nachricht erhielt, daß eins von seinen Schiffen untergegangen sei, ohne daß man das mindeste habe retten können: jetzt meldete sich ein Gläubiger, der dringend die Bezahlung seiner Schuld verlangte. Machmud sah ein, daß an dieser Zahlung sein ganzes noch übriges Glück hänge, er beschloß also in dieser äußersten Noth seine Zuflucht zu seinem Bruder zu nehmen. Er eilte zu ihm, und fand ihn sehr verdrüßlich, weil er gerade einen kleinen Verlust erlitten hatte. – Bruder, begann Machmud, ich komme in der äußersten Verlegenheit mit einer Bitte zu dir. 247
Omar. Sie betrifft?
Machmud. Mein Schiff ist gescheitert, alle Gläubiger drängen mich und wollen von keinem Aufschube wissen, mein ganzes Glück hängt von diesem Tage ab, leihe mir nur auf kurze Zeit zehntausend Zechinen.
Omar. Zehntausend Zechinen? – Du versprichst dich doch nicht, Bruder?
Machmud. Nein, Omar, ich kenne die Summe recht gut, die ich fordre, und nur grade so viel, nicht eine Zechine weniger, kann mich von der schimpflichsten Armuth retten.
Omar. Zehntausend Zechinen?
Machmud. Gieb sie mir, Bruder, ich will alles anwenden, sie dir in kurzem wieder zu erstatten.
Omar. Wer sie hätte! – mir sind Schulden ausgeblieben, – ich weiß selbst nicht, was ich anfangen soll, – man hat mich noch heut erst um hundert Zechinen betrogen.
Machmud. Dein Kredit wird mir diese Summe leicht verschaffen können.
Omar. Aber niemand will jetzt Geld ausleihen, Mißtraun von allen Seiten: nicht ich bin mißtrauisch, das weiß der Himmel! – aber es würde jedermann vermuthen, daß ich das Geld für dich verlange, und du weißt selbst am besten, an wie schwachen Fäden oft das Zutrauen hängt, das man zu einem Kaufmanne hat.
Machmud. Lieber Omar, ich muß dir gestehen, ich hatte diese Bedenklichkeiten nicht von dir vermuthet. Ich würde mich in umgekehrtem Falle nicht so argwöhnisch und saumselig finden lassen. 248
Omar. Das sagst du jetzt. Auch bin ich gar nicht argwöhnisch – ich wollte, ich könnte dir helfen: Gott ist mein Zeuge, daß es mich freuen würde.
Machmud. Du kannst es, wenn du nur willst.
Omar. Alles, was ich besitze, würde die verlangte Summe noch nicht vollmachen.
Machmud. O Himmel! ich hatte mir einen Vorwurf daraus gemacht, daß mein Bruder nicht der erste war, bei dem ich Hülfe suchte, – und warlich es schmerzt mich, daß ich ihm auch nur mit Einem Worte zur Last gefallen bin.
Omar. Du wirst böse; das solltest du nicht, denn du hast Unrecht.
Machmud. Unrecht? – Wer von uns beiden thut nicht seine Pflicht? – Ach, Bruder, ich kenne dich nicht wieder.
Omar. Ich habe erst heute hundert Zechinen eingebüßt, dreihundert andere stehn mir auch gar nicht sicher, und ich muß mich auf ihren Verlust gefaßt machen. – Wärst du in der vorigen Woche zu mir gekommen, o – ja, da herzlich gern –
Machmud. Soll ich dich denn an unsre ehemalige Freundschaft erinnern? – Ach, wie tief kann uns das Unglück erniedrigen!
Omar. Du sprichst da auf eine Art Bruder, die mich fast beleidigen sollte.
Machmud. Dich beleidigen? –
Omar. Wenn man alles mögliche thut, – wenn man selbst Noth leidet und fürchten muß, noch mehr zu verlieren; – soll man da nicht gekränkt werden, 249 wenn man für seinen guten Willen nichts als bittern Spott, tiefe Verachtung zurück empfängt?
Machmud. Zeige mir deinen guten Willen, und du sollst meinen wärmsten Dank empfangen.
Omar. Zweifle nicht länger daran, oder du bringst mich auf; ich bleibe lange kalt, ich kann viel ertragen, aber wenn man mich auf solche ausgesuchte Art kränkt –
Machmud. Ich merke es recht gut, Omar, daß du den Beleidigten spielst, um einen bessern Vorwand zu haben, völlig mit mir zu brechen.
Omar. Du würdest nicht auf diesen Gedanken kommen, wenn du dich nicht auf solchen Kleinlichkeiten ertappt hättest. Die Laster argwöhnt man von andern am leichtesten, mit denen man selbst am meisten vertraut ist.
Machmud. Nein, Omar, weil du mich doch durch diese Sprache zum Prahlen aufforderst, ich handelte nicht so gegen dich, als du, ein unbekannter Fremdling, nach Bagdad kamst.
Omar. Also für die fünfhundert Zechinen, die du mir damals gabst, verlangst du jetzt von mir zehntausend?
Machmud. Hätte ich's vermocht, ich hätte dir damals mehr gegeben.
Omar. Freilich, wenn du es verlangst, muß ich dir die fünfhundert Zechinen zurück geben, ob du es gleich nicht gerichtlich erweisen kannst.
Machmud. Ach, mein Bruder! –
Omar. Ich will sie dir schicken. – Erwartest du keine Briefe aus Persien? 250
Machmud. Ich erwarte nichts mehr.
Omar. Aufrichtig, Bruder, du hättest dich etwas mehr einschränken sollen, auch nicht heirathen, wie ich es bis jetzt noch immer unterlassen habe; aber du warst von Kindheit an ein wenig unbesonnen. Laß dir das zur Warnung dienen.
Machmud. Du hattest ein Recht, mir die verlangte Gefälligkeit zu verweigern, aber nicht dazu, mir so bittere Vorwürfe zu machen.
Machmud verließ mit tiefgerührtem Herzen seinen undankbaren Bruder. – So ist es denn wahr, rief er aus, daß nur Gewinnsucht die Seele des Menschen ist! – Nur sie selbst sind ihr erster und letzter Gedanke! für Geld verkaufen sie Treue und Liebe, stoßen die schönsten Gefühle von sich weg, um das nichtswürdige Metall zu besitzen, das uns mit schändlichen Fesseln an diese schmuzige Erde kettet! – Eigennutz ist die Klippe, an der jede Freundschaft zerschellt, – die Menschen sind ein verworfenes Geschlecht! – Ich habe keine Freunde und keinen Bruder gekannt, nur mit Kaufleuten bin ich umgegangen. Ich Thor, daß ich von Liebe und Menschenfreundlichkeit zu ihnen sprach! nur Geldstücke muß man ihnen wechseln!
Er machte einen Umweg, ehe er nach Hause ging, um seinen Schmerz etwas erkalten zu lassen. Er weinte, als er das tobende Marktgewühl sah, wie jedermann gleich den Ameisen beschäftigt war, in seine dumpfe Wohnung einzutragen, wie keiner sich um den Andern kümmerte, als nur wenn er mit seinem Gewinn zusammenhing, alle durch einander laufend, so empfindungslos, wie Zahlen. – Er ging trostlos nach Hause.
251 Sein Schmerz vermehrte sich hier; er fand die fünfhhundert Zechinen, die er seinem Bruder einst mit dem besten Wohlwollen gegeben hatte; sie waren bald eine Beute der stürmenden Gläubiger. Alles was er besaß, ward öffentlich verkauft; eines seiner Schiffe lief in den Hafen, aber die Ladung diente nur, um alle seine Schulden zu bezahlen. Arm, wie der Bettler, verließ er die Stadt, ohne vor dem Hause seines hartherzigen Bruders vorüberzugehen.
Seine Gattin, die ihn in sein Elend begleitete, tröstete ihn und suchte seinen Kummer zu zerstreuen; aber es gelang ihr nur wenig, das Andenken seines Unglücks war noch zu frisch in Machmuds Gedächtniß, er sah noch immer die Thürme der Stadt vor sich, in der sein Bruder wohnte, der kalt und ungerührt bei seinem Unglücke geblieben war.
Omar fragte niemand nach seinem Bruder, um ihn nicht bemitleiden zu dürfen, er bildete sich ein, es könne vielleicht noch alles gut gegangen sein. Indessen hatte sein Kredit doch auch durch seinen Bruder gelitten, man ward mißtrauischer gegen ihn, und mehrere Kaufleute vertrauten ihm nicht mit der Leichtigkeit ihre Gelder wie ehemals. Dazu kam noch, daß Omar jetzt sehr geizig, und auf sein erworbenes Vermögen stolz ward, so daß er sich viele Feinde machte, die sich freueten, wenn er irgend einen Schaden erlitt.
Es schien, als wenn das Verhängniß seine Undankbarkeit gegen seinen Bruder bestrafen wolle, denn Ein Verlust folgte in kurzer Zeit auf den andern. Omar, der gern das Verlorne schnell wieder erlangen wollte, wagte größere Summen, und auch diese gingen verloren. 252 Er hörte auf, Gelder, die er schuldig war, zu bezahlen, das Mißtrauen gegen ihn ward allgemein, alle Gläubiger meldeten sich zu gleicher Zeit, Omar kannte niemand, der ihn aus dieser Verlegenheit würde helfen wollen; er sah keinen andern Ausweg vor sich, als in der Nacht heimlich die Stadt zu verlassen, und zu versuchen, ob ihm das Glück in einer andern Gegend günstiger sein würde. –
Das kleine Vermögen, das er noch mit sich hatte nehmen können, war bald verzehrt. Seine Unruhe wuchs in eben dem Grade, als sein Geld abnahm; er sah der drückendsten Armuth entgegen,– und doch keinen Ausweg ihr zu entfliehen.
Unter Klagen und schwermüthigen Gedanken war er so bis an die persische Gränze gewandert. Er hatte jetzt alles Geld, bis auf drei kleine Münzen ausgegeben, die grade nur noch hinreichten, um ein Abendessen in einer Carawanserei zu bezahlen; er fühlte Hunger, und da sich die Sonne schon zu neigen anfing, eilte er, um einen Zufluchtsort zu erreichen, in welchem er noch in dieser Nacht, vielleicht in der letzten, herbergen könne.
Wie unglücklich bin ich! sprach er zu sich selbst. Wie verfolgt mich das Schicksal und fordert mein Elend, welche schreckliche Aussicht eröffnet sich mir! – Ich werde von den Allmosen mitleidiger Seelen leben müssen, es ertragen müssen, wenn man mich verhöhnend abweist, nicht murren dürfen, wenn der Verschwender frech vorüber geht, mich keines Anblicks würdigt, und hundert Goldstücke für eine elende Spielerei verschleudert. – O Armuth, wie kannst du den Menschen erniedrigen! – wie ungleich und ungerecht theilt das Glück 253 seine Schätze aus. Es schüttet seinen ganzen Reichthum über den Lasterhaften, und läßt den Tugendhaften Hungers sterben.
Die Felsen, die Omar überstieg, machten ihn müde, er setzte sich auf eine Rasenerhöhung am Wege nieder und ruhte aus. Da schleppte sich an Krücken ein Bettler vor ihm vorüber und murmelte eine unverständliche Bitte; er war zerlumpt und abgezehrt, sein brennendes Auge stand tief im Kopfe, und seine bleiche Gestalt zerschnitt das Herz und zwang es zum Mitleiden. Die Aufmerksamkeit Omars ward wider seinen Willen auf diesen Gegenstand des Abscheus gelenkt, der murmelnd seine dürre Hand nach ihm ausstreckte. Er fragte nach dem Namen des Bettlers, und merkte jetzt, daß dieser Unglückliche auch taub und stumm sei.
O wie unaussprechlich glücklich bin ich! rief er aus, – und ich klage noch? Warum kann ich nicht arbeiten; – warum nicht durch das Werk meiner Hände meine Bedürfnisse erwerben? Wie gern würde dieser Elende mit mir tauschen und sich glücklich preisen! Ich bin undankbar gegen den Himmel.
Von einem plötzlichen Mitleiden ergriffen, zog er die letzten Silbermünzen aus seiner Tasche und gab sie dem Bettler, der nach einem stummen Danke seinen Weg fortsetzte.
Omar fühlte sich jetzt außerordentlich leicht und froh, die Gottheit hatte ihm gleichsam ein Bild vorgehalten, wie elend der Mensch sein könne, um ihn zu belehren. Er fühlte jetzt Kraft in sich, die Armuth zu erdulden und durch seine Thätigkeit wieder abzuwerfen. Er machte Plane, wie er sich ernähren wolle, und wünschte 254 nur gleich eine Gelegenheit herbei, um zu zeigen wie fleißig er sein könne. Er hatte nach seinem edeln Mitleiden gegen den Bettler, nach der Freigebigkeit, mit der er ihm sein ganzes übriges Vermögen hingegeben hatte, eine Empfindung, wie er sie bis dahin noch nicht gekannt hatte.
Ein steiler Fels stand an der Seite, und Omar bestieg ihn mit leichtem Herzen, um die Gegend zu überschauen, die der Untergang der Sonne verschönerte. Er sich hier zu seinen Füßen gelagert die schöne Welt mit ihren frischen Ebenen und majestätischen Bergen, mit den dunkeln Wäldern und rothglänzenden Strömen, über alles das goldene Netz des Abendroths ausgespannt; und er fühlte sich wie ein Fürst, der alles dies beherrsche, und den Bergen, Wäldern und Strömen gebiete.
Er saß oben auf der Felsenspitze in dem Anschaun der Gegend versunken. Er beschloß hier den Aufgang des Mondes abzuwarten und dann seine Reise fortzusetzen.
Das Abendroth versank und Dämmerung fiel aus den Wolken nieder, ihr folgte bald die finstre Nacht. – Die Sterne flimmerten am dunkelblauen Gewölbe, und die Erde ruhte und schwieg in einer feierlichen Stille. Omar sah mit starren Augen in die Nacht hinein, und sein Auge verlor sich schwindelnd in die unendliche Zahl der Sterne, er betete an die Majestät Gottes und fühlte heilige Schauer durch seine Seele ziehn.
Da war's als wenn sich ein Lichtstrahl am fernen Horizont erhöbe, blauleuchtend zog er empor und näherte sich wie ein glänzendes Feuer dem Mittelpunkte des Himmels. Die Sterne traten bleicher zurück, und wie ein Wiederschein des Morgens flimmerte es durch den ganzen 255 Himmel und regnete in zarten, rothdämmernden Strahlen herab. – Omar erstaunte über die wunderbare Erscheinung und ergötzte sich an dem schönen und seltsamen Lichte: die Wälder und Berge umher funkelten, die fernen Wolken schwammen in blassen Purpur, wie ein goldenes Gezelt wölbte sich der Schein über Omar zusammen.
Sei mir gegrüßt, Edler, Mitleidiger, Tugendhafter, rief eine süße Stimme von oben herab, du erbarmest dich des Elends, und der Herr sieht mit Wohlgefallen auf dich herab.
Wie verhallende Flötentöne säuselten die Winde der Nacht um Omar, seine Brust hob sich froh und beklemmt, sein Auge war vom Glanze, sein Ohr von den himmlischen Harmonieen trunken. Und aus dem Glanze schritt eine Lichtgestalt hervor, und stellte sich vor den Entzückten; es war Asrael, der glänzende Engel Gottes. – Steige mit mir auf diesen rothen Strahlen in die Wohnung der Seligen, rief die süße Stimme, denn du hast es durch deinen Edelmuth verdient, das Paradies mit seinen Seligkeiten zu schauen.
Herr, sprach Omar zitternd, wie soll ich dir als ein Sterblicher folgen können? Mein irdischer Leib ist noch nicht von mir genommen.
Gieb mir deine Hand, sprach die Lichtgestalt. – Omar reichte sie ihm mit bebendem Entzücken, und sie wandelten auf den rothen Strahlen durch die Wolken, zwischen den Sternen hindurch, und die süßen Töne gingen hinter ihnen, und Morgenroth legte sich in ihren Weg, und Blumendüfte würzten die Luft.
Plötzlich ward es Nacht, Omar schrie laut auf, und lag in dicker Finsterniß unten am Fuße des steilen 256 Felsen mit zerschmetterten Armen. Der Mond hob sich eben dunkelroth hinter einem Hügel hervor, und warf die ersten ungewissen Strahlen in das Felsenthal.
O ich dreimal Unglücklicher! rief Omar jammernd aus, als er seine Besinnung wieder gesammelt hatte. – Hatte der Himmel nicht genug an meinem Elende, daß er mich in einem lügnerischen Traume von der Spitze des Felsen schleudert, meine Glieder zerbricht, damit ich dem Hunger zum Raube werden soll? – Belohnt er so das Mitleiden, das ich mit einem Elenden hatte? – Wer war jemals unglücklicher als ich?
Eine Gestalt schleppte sich mühsam vorüber, die Omar für den Bettler erkannte, dem er heut den Rest seines Vermögens gegeben hatte. Omar rief ihn jammernd an, er solle die Wohlthat, die er von ihm empfangen, mit ihm theilen, aber der Krüppel keuchte gleichgültig in seinem Wege weiter, und Omar wußte nicht, ob er ihn nicht gehört habe, oder sich nur verstelle, um ein Recht zu haben, sich nicht um ihn zu kümmern. Bin ich nun nicht elender, als dieser Verworfene? klagte Omar durch die Nacht. – Wer wird sich mein erbarmen, da mir nun alles genommen ist, was mich noch trösten konnte?
Er seufzte tief und seine Arme schmerzten ihn, wie glühende Feuer brannte es in den Gebeinen, und jeder Athemzug gab ihm Pein. Er überlegte schweigend sein Schicksal, und dachte jetzt zuerst wieder an seinen Bruder. –
O, wo bist du Edelmüthiger! rief er aus, vielleicht hat dich das Schwert des Todesengels schon getroffen, das Elend hat dich vielleicht in der drückendsten Armuth verzehrt, und du hast in der Todesstunde deinem armen 257 Bruder geflucht. – Ach ich habe es um dich verdient, ich leide jetzt die Strafe für meinen Undank, für meine Hartherzigkeit, der Himmel ist gerecht! – Und ich konnte noch so stolz einhergehn, und Gott zum Zeugen meiner Tugend anrufen? – O Himmel! vergieb dem Sünder, der sich ohne Murren deiner Züchtigung unterwirft.
Omar verlor sich in trüben Gedanken, er erinnerte sich, mit welcher brüderlicher Liebe ihn Machmud damals, als er zum erstenmale verarmet war, aufgenommen hatte, er warf es sich vor, daß er es unterlassen habe ihn zu retten, und auf diese Art seinen Dank gegen seinen Bruder abzubezahlen; er wünschte den Tod als das Ende seiner Strafe und seiner Leiden.
Der Mond erleuchtete die Gegend hell, und eine kleine Carawane von einigen Kameelen zog sich langsam durch das Thal. Die Liebe zum Leben erwachte bei Omar, er rief die Vorüberziehenden mit kläglicher Stimme um Hülfe an. Man legte ihn behutsam auf ein Kameel, um in der nächsten Stadt seine Wunden verbinden zu lassen, die die Carawane mit dem Anbruch des Tages erreichte. Der Kaufmann verpflegte den Unglücklichen selbst, und Omar erkannte in ihm seinen Bruder. Seine Beschämung war ohne Gränzen, so wie das Mitleiden Machmuds. Der eine Bruder bat um Verzeihung, und der andere hatte schon vergeben; Thränen flossen von dem Angesichte beider, und die rührendste Versöhnung ward zwischen ihnen gefeiert.
Machmud hatte sich nach seiner Verarmung nach Ispahan gewandt, und war dort mit einem alten reichen Kaufmann bekannt geworden, der ihn bald lieb 258 gewann und ihn mit seinem Vermögen unterstützte. Das Glück war dem Vertriebenen günstig, und er erlangte sein verlorenes Vermögen in kurzer Zeit wieder; sein alter Wohlthäter starb, und setzte ihn zum Erben ein. –
Als Omar geheilt war, reiste er mit seinem Bruder nach Ispahan, wo ihm dieser eine neue Handlung einrichtete. Omar vermählte sich und vergaß nie, wie viel Dank er seinem Bruder schuldig sei. Beide lebten von dieser Zeit in der größten Eintracht, und waren für die ganze Stadt ein Muster der brüderlichen Liebe.