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Langsam erhob sich Almansur aus dem Schatten der Palme, eine Thräne rollte von seinen Wangen, er blickte ihr wehmuthsvoll nach, wie sie an seinem Stabe hinuntergleitete und sich im Staube verlor, die ganze Vergangenheit stand mit ihren hellen und finstern Farben vor ihm, Abendroth und Regennächte. Noch einmal blickte er rückwärts nach Bagdad und sahe wie sich der letzte goldne Mond hinter einem blauen Berge langsam hinabzog. – Nun so lebe wohl! Auf ewig wohl! rief er, und ging langsam weiter ohne selbst zu wissen, wohin. Die Sonne ging unter, die Vögel des Abends sangen im nahen Walde, aber seine Augen sahen weder das goldne Feuermeer um dort sich Trost zu holen, sein Ohr hörte nicht die Melodieen, die von jedem Zweige herab um ihn schwammen, der Wind spielte mit seinem Mantel, aber er ließ ihn nachläßig hängen und eilte weiter vom Wege ab, mit tiefgesenktem Blick.
Endlich blickte er auf, er sah sich in einem schönen Thale, rings um von grünen Bergen umschlossen, im Thale glänzte ein silberner See, auf den das Abendroth auf jeder Welle sich wiegte, die Berge erhoben sich sanft umher und auf ihnen schimmerten Reben, Palmen standen auf Abhängen und wiegten sich rauschend über das Thal hinab, die ganze Gegend spiegelte sich zitternd im See, und das Abendroth und der 262 aufgehende Vollmond gossen ein so süßes Licht um alle Gegenstände, daß Almansur sich in einem Theile des Paradieses glaubte. Er stand und sahe die schönbewachsnen Berge, wie der Abendschein über die grünen Abhänge herüberschwamm und sanftes Roth auf den gegenüberstehenden Berg streute, durch einen Palmenhain schlängelte sich der schimmernde Glanz der Gluth des Himmels, und bebte zurück in jedem Tropfen der am Grase zitterte, von jedem Blatt, an welchem ein Rubin sich wiegte. Der Mond stand über einem finstern Tannenhain, ein kleiner Wasserfall rauschte, die großen Wälder sangen der Natur ihr Abendlied, der Tag eilte in sein Rosenbett hinab, das Heimchen zirpte, der Mond schien aus dem goldnen See zu trinken, und auf jedem leichten Wölkchen des Himmels, das unter dem Monde hinwegschlüpfte und ihm etwas von seinem goldnen Glanze stahl, schien Ruhe, Trost und Freude zu schweben. Lange stand noch Almansur so, doch endlich lößte sich sein Gefühl in die Harmonie einer wonnevollen Wehmuth auf, die Erinnerung seines Unglücks war mit dem letzten Streit der untergehenden Sonne hinter den Bergen hinabgeleitet. Er bestieg den Berg, ging bald hinauf, bald hinab, und sein Blick schwebte stets auf den gegenüberstehenden Abhang, oder auf den Spiegel des tief unten glänzenden Sees.
Er ging über einen Quell, der aus den Spalten des Berges sich drängte und sein Silber hinuntergoß; er kam zu einer kleinen Vertiefung, wo unter Weidenzweigen versteckt der Gipfel eines moosbewachsnen Daches hervorragte. Ruhe und Heiterkeit schienen hier ihren Sitz aufgeschlagen zu haben; er ging herum um diesen Kranz von Weiden, und stand vor dem Eingang einer kleinen 263 Hütte. Ein Greis, dessen Silberhaar im Winde hin und her wallte, pflanzte mit ruhigem Lächeln Reben, und band sie an die schwesterliche Ulme, dann sah er zum Monde hinauf, dann in den goldnen See hinab, und setzte wieder freudig seine Arbeit fort. – »Der Himmel schütte seinen Segen auf dich herab!« rief Almansur dem Greise zu; liebevoll dankte der Greis und führte den Jüngling in die dämmernde Hütte.
Freundlich sprangen dem Alten zwei Hunde entgegen, bellten und wedelten. Der Greis und der Jüngling setzten sich auf Flechtwerk von Binsen; dann holte der geschäftige Alte aus seiner Vorrathskammer Milch und Datteln. »Iß!« sprach er. – Almansur aß wenig; bald sah er die niedren Wände der Hütte an, bald blickte er auf den lächelnden Alten. Nach der Mahlzeit setzten sich beide vor dem Eingang der Hütte.
Du bist recht glücklich! fing Almansur nach einer langen Stille an, wenn man je glücklich werden kann. – Ja, war die Antwort des Greises; ich stahl mich aus dem Getümmel der Welt hinweg, und niemand vermißte mich; ängstlich, mit Schweißtropfen auf der Stirn jagte ich dem Glücke nach – umsonst! Es floh wie der luftgewebte Morgentraum; verzweiflungsvoll schlich ich mich in diese Hütte, ich sah mich um, und es stand neben mir. – Ja! Dank dir großer Prophet! Ich bin hier recht glücklich! – O, wenn ich am Morgen hier stehe, der frischgebadete Tag, rosenroth an jener neigenden Spitze hängt, dann zollen dir meine Thränen heißen Dank, dann seh ich auf mein voriges Leben zurück, wie der müde Pilger am Grabe des Propheten auf die zurückgelegten Steppen; – dann schwebt vor mir die ferne Zukunft, dann fliegt mein Geist durch 264 das rosenrothe Gewebe des Morgens, er durchfliegt die Bahn der Sterne, und schwingt sich im Flug um die glühenden Räder des Sonnenwagens. – Jeder meiner Blicke schaut dann voll Dank zum Himmel!
Almansur horchte vorwärts gebeugt mit Ehrfurcht der Rede des Greises, er sah in seinen Augen eine Thräne glänzen, heiß rann eine Zähre über die Wangen Almansurs. – Dann ergriff er voll Zutraun die Hand des Greises; o weiter! sprach er, deine Stimme ist wie das Murmeln der fernen Quelle dem Durstigen. Weiter! Mein Geist fliege dir nach! – Versuch' es in todten Worten mir das Abendroth deines Glücks zu malen. –
O Jüngling, sprach der Greis, Glück läßt sich besser fühlen, als dies Gefühl sich in Worten zwängen läßt. – Leise schleicht sich durch das helle Weinlaub am Morgen die Sonne; sie fliegt zu meinem Bette und flüstert mir: »Erwache!« zu. Ich erhebe mich vom rothen Glanz umflossen, und sehe wie die Sonne majestätisch hinab ins Thal schreitet, die Natur wacht auf und lächelt freundlich der Sonne entgegen, unter mir glüht der See, über mir flammt der Himmel, die Waldung rauscht, die Lerche singt, der See bebt, und ihre Rosenwellen laufen mit dem Westwind um die Wette. Wenn das purpurne Gold des Himmels sich hinter den blauen Mantel stiehlt, dann besuch ich meine Heerden, die Ziegen blöken mir entgegen, die Lämmer hüpfen um mich her. – O ich lebe hier nicht ganz verlassen! Ich kenne jeden Baum dieser Gegend, jeden Zweig eines jeden Baums; wenn das erste Laub nach dem Winter erscheint, oder mein Blick des Frühlings erstes Veilchen erjagt, o dann freu ich mich eben so, als wenn 265 ein längst gewünschter Freund unvermuthet dem Schiff' entsteigt; das erste Sommerlüftchen, das meiner Wange vorüberbebt, ist mir, was dem Elenden ein blauer Hoffnungsstrahl ist. Als der Sturmwind im vorigen Monden von meinem Berge herab eine junge Pappel ins Thal warf, da weint' ich um den jungen Baum, als habe mir der Tod einen geliebten Jüngling davon geführt. Ach, dies einsame Thal möcht ich nur gegen Mahomets Paradies vertauschen, es gilt mir mehr als die Erde mit ihren Königreichen, diese Bäume gelten mir mehr als Könige und Fürsten mit ihren Unterthanen. Ich besuche oft drüben die alten Palmen, sehe nach jenen jungen Birken die ich selber pflanzte, und freue mich über ihren Wachsthum wie ein Vater über seine Kinder. Im kleinen Gärtchen hinter meiner Hütte scheint die Gluth der Rose auf die weiße Lilie, das Veilchen kniet zu den Füßen der stolzen Malve, und jede der Blumen kenn' ich, bei jeder erinnre ich mich im Vorbeigehn, wenn und wie ich sie pflanzte, jede habe ich selbst am Morgen und Abend begossen. Diese Blumen, diese Bäume sind meine Freunde, von ihnen brüstet sich keiner vor dem andern, von ihnen lacht mir keiner höhnisch nach. Neid und Verläumdung dürfen nicht über diese Berge fliegen, des Glückes Pfeil zerschnitt ihnen die Sehnen des Fittigs, sie liegen jenseits den Bergen und suchen vergebens mit schwarzen nachschleppenden Schwingen der Felsen Gipfel zu erklimmen; das Glück und die Ruhe fliegen hier verschlungen Arm in Arm durch den Himmel, in jedem Baum, in jeder Quelle flüstert Glück, in jedem Nachhall der Berge tönt ruhige Freude.
Wenn nach und nach das gelbe Laub zur Erde fällt, wenn der Herbst auf selbst gesponnenen Seidenfäden durch die Lüfte schwebt, sie um die Bäume wickelt, und das reife Obst mit den Blättern abschüttelt, dann seh' ich, wie die Natur sich entkleidet, und unter dem glänzenden Schwanenbette schläft, um gestärkt mit neuem Glanze zu erwachen. Wenn dann Regen herabrauscht, wenn der Nordwind durch den Gipfel der Palmen saußt, wenn die Fichten knarren, der Wind Schneegestöber vor sich her wirbelt – dann nehm ich von der Wand die silberbezogne Leier, dann sing' ich dem Frühlinge meines Lebens Lieder, und sehe lächelnd dem Untergang meiner Sonne entgegen. Dann dämmert vor meinen Augen der Nebel der Vergangenheit, dann schwing ich mich auf dem Adlerfittig meiner Phantasie durch Dämmrung ferner Vorzeit, durch schweigende öde Nacht der Zukunft. – In diesem Kreislauf wallte mir mehr als ein halbes Jahrhundert vorüber, in dieser schönen, ununterbrochenen Einförmigkeit. – –
O Jüngling! Mit warmer Freundschaft drückst du meine Hand, eine Thräne zittert in deinen schwarzen Augenwimpern, – sprich – führte dich Kummer zu meiner einsamen Hütte?
Almansur. Ja, Kummer führt mich zu dir, Greis! – Ach, laß mich mit Dir diese Hütte bewohnen, laß mich dein Sohn sein. Die Freude ist für mich gestorben. – Ich muß die Gesellschaft der Menschen verlassen; hier laß unter dieser Palme den Wind am Abend meine Seufzer davon führen, laß am Morgen mich unter dieser Cypresse weinen. – Warum sollt' ich zu jenen Menschen zurückkehren, wo jeder dem fliehenden Glücke nachläuft, und keiner den Saum seines Kleides berührt, wo einer des andern lacht, und blind für eigne Fehler 267 ist, wo Verläumdung und Neid hinter mir gehn, die sich täuschend in das Gewand der Freundschaft hüllen. – Nein, hier will ich ein neues Leben beginnen, mein voriges Leben mir als einen Traum denken, den der Sonne heller Strahl verscheuchte. O Greis, weise meine Bitte nicht zurück, in keinem Winkel glimmt für mich ein Fünkchen Freude mehr als hier. Schon lange war es mir unerträglich, mich ohne Zweck und Absicht vom Wirbel der menschlichen Gesellschaft mit fortreissen zu lassen, warum sollt' ich noch ferner unter einem Haufen, wo jedes Gesicht mir zuwider ist, essen und trinken, schlafen und aufstehn, den einen Tag so wie den andern; warum leb' ich in der menschlichen Gesellschaft? Ich bin mir selbst und andern verhaßt! zu welchem Endzweck schuf der Schöpfer die Menschheit? Einer den andern zu quälen? Ihm den Genuß des Lebens zu rauben? Warum tanzen die zahllosen Welten den ewigen schwerfälligen Tanz um ihre Sonnen? Warum ließ der Schöpfer aus seiner Hand die Schöpfung hervorgehn? Warum warf er das Sternenheer durch den Himmel? Sollen wir hier leben, ohne glücklich zu sein, und dann wie der Baum verwelken; wozu dann dies quaalenvolle Leben? – Oder harrt schönerer Sonnenschein unsrer nach dem Todesschlaf; wozu diese Pilgerschaft durch Dornen, über Felsen? – – O Greis! dies, dies hat mich schon längst unglücklich gemacht! –
Der Greis sah ihn an und schwieg. »Verweile!« sprach er dann. Ein frommer Eindsiedler schenkte mir schon vor vielen Jahren ein kleines Buch; es ist nur ein Märchen, der Mond scheint hell; ich will es dir lesen. – –
Er ging fort. Almansur sah indeß starr vor sich 268 hin ins Thal, sein Blick ruhte auf einen Zweig, den der Wind hin und her warf; sein Kummer war zurückgekehrt, die mancherlei Scenen seines Lebens wachten in seiner Seele auf. Er preßte eine Thräne in sein Auge zurück; der Greis kam, setzte sich nieder und las: – –
Nadir. Ein Mährchen.
Der finstre Menschenhasser Nadir wandelte über eine von Arabiens Steppen. Die Sonne stand in der Mitte des Himmels und warf ihre glühenden Strahlen auf den Wandrer, ringsum kein Baum, kein Gesträuch, welches einen erquickenden Schatten darbot; Nadirs Auge suchte vergebens eine Quelle, seinen brennenden Durst zu löschen, er ging matt und langsam, er sah schmachtend umher, ob keine mitleidige Wolke herbeischweben wollte, ihm Regen und Kühlung zu schenken; so weit sein Auge reichte, glänzte der Himmel im hellblauen Gewande, der Sonne Strahlen wurden immer heißer und heißer, kein milder Wind wehte ihm Kühlung zu, Stille lag ausgestreckt über der Erde, die Vögel waren im Schatten des fernsten Waldes zurückgeflogen, und kein Dorf, kein Haus winkte dem Wandrer. Vor sich und um sich sah Nadir nur eine unermeßliche Wüste, er beneidete die kleine Fliege die sich in den Schatten des verdorrten Grases setzen konnte.
Nadir verwünschte tausendmal sein Schicksal, tausendmal das Schicksal der Menschen, denen ewig Quaal und Schmerz auf jedem ihrer Schritte folgen. Durch den blauen Himmel goß sich nach und nach ein sanfter Purpur, die Sonne sank, der Schatten flog über die Ebne.
269 Dank sei dir großer Prophet! rief der schmachtende Nadir, indem er über sich den Mond und die Sterne hervorkeimen sah. Er schleppte sich langsam fort, seine Zunge lechzte nach einem einzigen Wassertropfen. O ging' ich im tiefsten Schnee des klippigen Caucasus, könnt' ich jetzt durch einen Strom des Nordpols schwimmen! Er ging weiter. Es wehte ein kühlender Wind über die Haide, Nadir kam in einen Wald. Der Wind ward stärker, Wolken flohen durch den Himmel, und löschten mit ihren schwarzen Fingern den Mond und die Sterne aus, der Sturm schüttelte den Wald, die Fichten seufzten, die Cypressen rauschten, Regen stürzte herab. Endlich sah Nadir durch den verschränkten Wald ein fernes, flimmerndes Licht, das durch das nasse Laub und durch den Regen ihm entgegenblickte: er drängte sich durch den Wald, durch Gebüsche, die ihn oft mit ihren nassen Armen umfaßten: er kam durch die Waldung, und sah über eine Ebne das Licht vor sich glänzen.
Es war eine niedre Hütte, deren moosiges Dach vom Regen triefte, er schlug an die kleine Thür, ein Hund bellte ihm aus dem Hofe entgegen, der Wetterhahn des Daches knarrte im Winde; leise öffnete sich die Thür des Hauses, eine alte Frau trat heraus. – Wollt ihr einem armen Wandrer erlauben, diese Nacht hier zu schlafen? flehte Nadir. Sehr gern war die Antwort. Sie führte ihn in das Haus durch einen Gang. Dort, wo du das Licht durch die Thüre flimmern siehst, dort geh' hinein; – sie verließ ihn. Nadir bewunderte den großen Gang in der kleinen Hütte, seine Schritte hallten von der Mauer zurück, als er durch die Stille ging. Er stand vor der Thür, aus der 270 das Licht ihm entgegenglänzte, – er öffnete sie – und das Erstaunen schlug seine geblendeten Augen zu. Er trat in einen großen unermeßlichen Saal, den tausend Lichter erleuchteten; die Wände glänzten von Marmor mit Gold umgossen, eine himmlische Musik schwamm auf den Wellen der Harmonie durch den Saal. – Wo bin ich? rief Nadir. – Ein prächtiggekleidetes Frauenbild kam ihm entgegen, sie führte ihn zu einem Tische und lud ihn zum Essen ein; Nadir aß und wagte kaum die Augen empor zu heben. Als er gegessen und getrunken hatte, fühlte er sich durch neuen Muth, durch neue Kraft beseelt, er sah um sich. Tausend Lichter glänzten auf Kronenleuchtern von Diamant. Saphir, Rubinen und Gold waren über die schönpolirten Wände hingestreut, unsichtbare Musik goß sich umher und gaukelte um Nadirs Ohr, sein Auge verlor sich ermüdet in die entferntesten Bogengänge, ohne ihr Ende erreicht zu haben; Nadirs Staunen ward immer größer.
»Komm!« rief ihm die Besitzerin dieses Pallastes zu und führte ihn durch die blendenden Säle. Er sahe sie mit allen Arten von Menschen angefüllt und weidete sich an den verschiedenen Gruppen. Hier tranken und aßen einige, dort weinten andre, andre tanzten in fröhlichen Reihen. Dieser Pallast, begann Nadirs Führerin, ist ein Werk meines gestorbenen Gatten, er suchte das Glück lange vergebens und fand es endlich mit mir in der Einsamkeit; zu seiner Erinnerung hat er mir dies Spielwerk hinterlassen, das ich erneuern kann, so oft ich will. – Er war ein mächtiger Zauberer, gewandt in allen geheimen Künsten; auf sein Gebot entstand dieser Pallast, er brachte in ihm die Welt im Kleinen zusammen. Sieh, jede Art von Menschen befindet sich 271 hier; dort auf den Thron sitzt ein König, seine Stirn schmückt das Diadem, seine Schultern umfließt der Purpur, er wird von jedermann beneidet, aber ach! er beneidet heimlich den Sklaven, der jetzt vor ihm kniet und zittert; er ist ein gütiger Regent, er macht andre glücklich, ist aber selbst unglücklich. Jener Volkslehrer lehrt Demuth und haßt den der neben ihm steht, weil er ihn mehr als sich geehrt glaubt. Dort an jene Säulen gelehnt steht ein Haufe unglücklicher Menschen, in der Welt nennt man sie Kluge, sie sehn die Eitelkeit der Welt ein, sie lassen sich durch keinen Glanz von Ehre noch von Reichthümern blenden, ihre Wünsche scheinen so mäßig und sind doch so vielumfassend, werden fast nie erfüllt. – Dort stehen andre, für welche die Welt mit allen ihren Schönheiten gestorben ist, sie können keine Blume sehen, ohne ihr einen Namen zu geben und ihre Blätter zu zählen, keinen schönen Baum, ohne sein Laub und seine Rinde zu betrachten und zu bemerken, zu welchem Geschlecht er gehöre; sie kennen jeden Stern, der am Himmel flammt, und wissen die Stunde, wenn der Mond auf und untergeht, sie haschen jede Abendfliege, und stellen sie in ihren Rang in der Schöpfung, sie sagen uns, daß jeder Sonnenstaub bewohnt sei. – Dieser Pallast ist zugleich auf eine wunderbare Art mit Gemälden ausgeziert, sie sind doppelt; auf der einen Seite stellen sie alles ernsthaft, auf der andern dasselbe lächerlich dar. Sieh, hier trauert eine Mutter um ihren einzigen Sohn, dieser Zuschauer weint gerührt, jener auf der andern Seite lacht. – Siehst du jene dort, die so bleich sind und starr auf die Erde blicken? bei ihrer Geburt vergoß das Elend Thränen über sie und weihte sie sich dadurch zu seinen Kindern; 272 sie können über ein gelbes Blatt weinen, das vom Baume auf die Erde fällt, sie hassen die Welt und sich am meisten; sie machen oft andre glücklich, aber kein Anblick von Glück, kein Anblick der aufgehenden Sonne kann sie vergnügt machen; sie lächeln, aber ihr Lächeln ist als wenn die Abendsonne durch einen verdorrten Baum scheint, ihnen folgt das Unglück wie ihr Schatten, ihre Augen sind matt von Thränen, ihre Wangen bleich, sie sind die ärmsten Geschöpfe. – Jener jauchzende Haufe verspottet sie, ihr Mund lacht stets, ihre Augen blinzeln jedem freudig entgegen, die Welt nennt sie Thoren, sie sind glücklich, denn sie halten sich für weise, sie fragen nicht nach ihrer Bestimmung, sie durchlachen ihr Leben, lachen im Winter eben so wie im Sommer, bei dem Aufgang der Sonne wie beim Untergang, die Natur nahm ihnen jede sanftere Empfindung und gab ihnen das Vermögen alles lächerlich zu finden. – Jene spielten mit ihrer Phantasie, der Verstand löste die Fesseln der gebundenen Einbildung, sie schoß wie ein Blitzstrahl dahin und nun hinkt der Verstand an seinen Krücken hinter sie her und kann sie nicht einholen, jede Saite ihrer Laute ist verstimmt und giebt angeschlagen einen falschen Ton, man nennt sie Wahnsinnige, Unglückliche; aber sie sind wirklich glücklich. Jener hält die Kette, die ihn an die Mauer festhält, für ein goldnes Halsgeschmeide, seine Lumpen für den Purpurmantel des Königs. Jener glaubt in seinem Strohlager alle Schätze Indiens zu besitzen und fühlt sich beseligt. – Jener ist taub für jeden Harfenton, blind für jede Schönheit, die der Maler der Natur abstahl, seine Seele sitzt auf seiner Zunge, er freut sich nur wenn er sich an den Tisch setzt, er hört nicht die 273 himmlische Musik, die ihn umfließt, aber er lächelt beim Becherklang, der Duft von Speisen bringt Freude in seine Seele. – Wer von allen diesen scheint dir in dem Zustande zu sein, in den die Natur den Menschen aus ihrer Hand hervorgehn ließ? – O jener, rief Nadir, der sich an den Dampf der Speisen weidet, denn er ist der glücklichste, an sein Herz reicht nicht die Stimme des Elends, ihn durchbohrt nicht des Mitleids scharfer Pfeil, er ist der glücklichste, er kann viermal täglich glücklich sein; wozu sind jene feinern Empfindungen, sie bringen weit mehr Schmerz als Vergnügen hervor! – Sieh, jener Mann, fing die Führerin Nadirs an, der dort unbekannt herumgeht, ist ein verehrungswürdiger Mann; keiner kennt ihn, keiner achtet auf ihn, aber er findet sein Glück im Glücke anderer; manche heiße Thräne fleht im Dunkeln Segen für ihn vom Himmel, manche Brust athmet durch ihn freier, manche Klage verstummte durch ihn, er erfüllt den Beruf des Menschen, er macht andre glücklich, und nur dazu schuf uns die Natur. – Du willst die Gesellschaft der Menschen verlassen, komm und überzeuge dich, daß der Mensch da sei um in Gesellschaft glücklich zu leben; warum will der schwache Mensch seine Bestimmung erforschen, warum die Bestimmung der Welten? zwecklos rollen sie nicht um ihre Sonnen, aber warum wollen des Verstandes Maulwurfsaugen den Plan der Natur durchdringen? der Mensch ist da, das zu genießen, was ihm die freigebige Natur darbeut, sein Verstand soll aber nicht über die Gränze hinausschreiten wollen, die ihm gezeichnet ward. Sie gingen hin durch die hundert Bogengänge und Nadir bewunderte die Pracht des Pallastes; seine Augen wurden erhellt, er sahe ein, daß 274 es Frevel sei, sich von den Menschen zurückzuziehn, vor ihm zerrann der dunkle Nebel, er durchdrang den Plan der höchsten Weisheit; er versprach zur Gesellschaft der Menschen zurückzukehren.
Der Tag öffnete die blinzelnden Augen, das Morgenroth flog über die Ebne und schimmerte an den Fenstern; Nadirs Führerin verließ ihn, ein Bogengang verschwand nach dem andern, mit ihm ihre Gemälde und ihre Beschauer, ein Licht erlosch nach dem andern, die Pracht gleitete von den Wänden, die Decke sank, der Saal zog sich zusammen, ward immer kleiner und kleiner, immer düstrer und düstrer, und der helle Sonnenschein glänzte endlich an den Wänden einer niedern Hütte. Nadir öffnete vor Staunen stumm die niedre Thür, er suchte vergebens den langen Gang, die alte Frau öffnete die kleine Hausthür, er ging hinaus, die Thür ward hinter ihm verschlossen; dieselbe kleine Hütte, an deren Thür er gestern klopfte – der Hund bellte ihm wieder nach, der Wetterhahn knarrte in den Wind, das moosbewachsne Dach triefte noch vom gestrigen Regen und das Morgenroth schwamm in den großen Tropfen. »Wacht' ich, oder träumt' ich?« rief Nadir aus; er sah über einen niedern Zaun in den Garten neben der Hütte, ein Knabe mit nackten Füßen pflückte sich Kirschen von einem Baume. Er stand lange stumm da, seine Phantasie malte ihm noch einmal den gestrigen Tag; stumm ging er weiter, blickte noch oft zurück nach der wundervollen Hütte, bis ein Wald den letzten weißen Schimmer von ihr ihm entzog. – –
Der Greis schwieg. Almansur sah starr vor sich hin. Der Mond schien hell, die Sterne bebten im schimmernden See, die Cypressen rauschten. Kehre 275 zurück, Jüngling, begann der Greis, kehre zur Welt zurück, wer weiß, wo dein Glück schlummert, gehe hin und erwecke es, du bist zur Gesellschaft geboren, gehe hin und erfülle deine Bestimmung, genieße ohne zu grübeln und du wirst gewiß glücklich sein.
Almansur. Verzeihe, edler Greis, daß ich dich täuschte, dir meinen Gram nicht ganz enthüllte. Wenn du die Geschichte meines Unglücks hörst, und du räthst mir dann noch zur menschlichen Gesellschaft zurückzukehren, so will ich dein Verlangen erfüllen.
Ich heiße Almansur, mein Vater war ein Kaufmann in Bagdad; ich hatte einen Freund, einen einzigen, ganz mir gleichgeschaffenen, er starb vor wenig Wochen; ich hatte eine Geliebte, ich liebte sie mehr als meine Seele, sie vermählte sich vor wenig Tagen. – Roxane war schön, wie der werdende Tag, schöner wie eine der Houris, auf ihren Wangen floß Abendroth, ihre Lippen waren wie der Purpur der untergehenden Sonne, die sich im Meere spiegelt, ihr Lächeln war der Sonnenschein des Frühlings, in ihren blauen Augen lachte das ganze Paradies Mahomets, ihre blonden Haare flossen um ihre Schultern, wie der Nebel im goldnen Glanze der Morgensonne um Felsen sich kräuselt; – sie kannte meine Liebe. – Ihr Vater lag einst auf dem Sterbebette, nur ein Trank konnte ihn retten, aber er mußte ihn trinken in weniger Zeit als die Biene am Abend braucht nach ihren Zellen zurückzufliegen, es war ein Quell, der in der schwarzen Kluft eines weitentfernten Felsen murmelte. Roxane liebte ihren Vater, ich sah die Thränen in ihren Augen glänzen, ich schwang mich auf mein Roß, eilte hin, füllte eine Flasche mit diesem wundervollen Wasser, ich stürzte 276 zurück, die Wälder sausten mir vorüber, eine Eiche raubte mir meinen Turban, mein Roß eilte dem Winde voraus, sein Hufschlag tönte laut, ich kam zurück; Roxanens Vater ward gerettet, ihr Lächeln dankte mir, und ich war vergnügt. Ich sank nieder von Schweiß und Staub bedeckt, mein gutes treues Roß starb noch an demselben Abend, Roxanens Lächeln dankte mir, und ich war vergnügt. O für sie hätte ich die heißen Ebnen Aethiopiens mit nackten Füßen durchmessen, für sie hätte ich unbedeckt den Schnee des Caucasus erklettert. Ach ich träumte eine so heitre goldne Zukunft in ihren Armen; mein Freund starb, sie trauerte mit mir, aber ach, sie gab ihre Hand einem andern, denn er war reicher als ich; vorgestern ward ihre Vermählung gefeiert, jeder Trompetenstoß, der aus der Ferne mein Ohr erreichte, jeder Klang der Cymbeln, jeder ferne Donner der Pauken, stieß einen glühenden Dolch durch meine Brust; in der Mitternacht verließ ich Bagdad kalt und stumm, verließ den Ort, wo jeder Baum, wo jedes Haus, verflossene frohe Scenen in meine Seele zurückriefen, die Sonne war für mich auf ewig untergegangen; ich ging fort ohne zu wissen wohin, endlich kam ich zu deiner glücklichen Einsamkeit. Edler Greis, o höre meine heiße Bitte, es ist der einzige Wunsch, der mir zurückblieb, laß mich an deiner Seite, im Schooße der Ruhe und der Einsamkeit, meine übrigen Tage verleben; ach, die Einsamkeit hat ja Trost für so manche Leiden, sie trocknet so manche Zähre, wiegt so manchen Kummer ein; hier in diesem glücklichen Thale will ich den Traum meiner Jugend noch einmal träumen, hier will ich weinen, wenn ich erwache. Laß mich bei dir wohnen, jedes Band, das mich an die 277 Menschheit fesselte, ist gerissen, jede Freude hat der Ostwind von dort weggeweht, sie sind alle hier auf diesen Bergen hingestreut, laß sie mich hier wiedersuchen; laß sie mich wiederfinden, Greis, denn beim Barte des Propheten! ich kann nie unter Menschen wieder glücklich sein. – Aber warum glänzen Thränen in deinen Augen und verlieren sich in die Silberwellen deines Bartes? Woher diese Seufzer, die deine Brust erheben? Woher diese fliegende Röthe auf deinen Wangen?
Greis. Ach, Almansur! – deine Worte haben meinen entschlafenen Kummer erweckt, ich hielt ihn für todt, aber er schlief nur. – O Jüngling, du hast den Morgentraum meiner Jugend, meiner Phantasie wieder vorübergeführt. – Ein ähnlich Schicksal führte mich hierher; ach, Fatime! diese Thränen fließen dir! dieser Seufzer fliegt zu dir! Vor meinen Augen webt sich die Vergangenheit noch einmal hin, sie glänzt im Sonnenschein, eine Nebelwolke verfinstert sie auf ewig. – O Almansur, bewohne mit mir diese Hütte, trinke mit mir von meiner Milch, laß uns beide in den Schatten eines Baumes ruhn. Ach, ich will denken, du seist mein Sohn, denke du, ich sei dein Vater. Jüngling, du bist mir theuer geworden, theile mit mir was ich habe, wir wollen wie die Sonne des Tages, wie der Mond der Nacht, in schöner Gleichförmigkeit unser Leben verfließen sehn, wollen sehn, wie sich unser Leben in einem Kreise dreht, so leben, wie eine Welle beständig um ihr grünes Eiland murmelnd fließt; beide bewundern wir nun den Aufgang der Sonne, wir beide sehn ihrem Scheiden nach, du hilfst mir Blumen in meinem Gärtchen pflanzen, du begießest sie mit mir am Abend, du brichst mit mir das Obst von den Zweigen und 278 freust dich mit mir des Frühlings und Sommers: Jeden Wandrer, der seinen Weg verfehlte, wollen wir mit Speise und Trank erquicken, und ihn dann auf die rechte Straße führen; dem Trauernden wollen wir den Balsam des Trostes reichen, vor dem Fröhlichen unsern Kummer in unsrer Brust verschließen. Wir erzählen uns dann die Geschichte unsrer verflossenen Jahre, wir tauschen unsre Erfahrungen gegen einander ein, ich lerne jeden Baum kennen, der dir einst mächtig war, du beschreibst mir deine vorige Wohnung so genau als wollte ich sie morgen beziehn, ich sage dir von jedem Bache, bei dem ich mich einst freute oder Thränen vergoß, ich zeichne dir jeden Gang in meines Vaters Garten, jede Rosenhecke, jeden Apfelbaum; so lebe ich in deiner vorigen Welt, du in der meinigen, oder wir sitzen am Abend unter dieser Cypresse und sehen wie sich der Mond auf jeder Welle wiegt, wie sich jene Ulme im Wasser spiegelt, wie ihre Zweige zittern, und durch ihr finstres Laub die Sterne gebrochen flimmern; wir erzählen uns wunderbare Mährchen so vertraut als wären es die alltäglichsten Dinge; wir träumen uns unser Leben nach dem Tode, bauen luftige Schlösser und reissen sie wieder ein; so leben wir, bis der Tod mir immer näher und näher schleicht und mich unvermerkt aus deinen Armen führt, dann häufest du mir einen Grabhügel unter jener Cypresse, die ich selber pflanzte, dann bewohnest du meine Hütte allein, dann sitzest du ohne mich vor dem Eingange, dann denkst du beim Schimmer des Mondes an den gestorbenen Abdallah, dann brichst du das Obst allein, und pflanzest Blumen ohne meine Hülfe, dem verirrten Pilger zeigst du das Gras auf meinem Grabe und sagst zu ihm: hier ruht ein biedrer Greis! dann sitzest du einsam in der kleinen Hütte und hörst den Regen gegen die Fenster schlagen, bis ich deinem Geiste mit einem Lichtkranze entgegenfliege.