Johann Ludwig Tieck
Die Ahnenprobe
Johann Ludwig Tieck

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Sowie nur der alte Probst von seiner Reise zurückgekehrt war, ging Edmund zu ihm, um aus seinem Munde die Bestätigung jenes sonderbaren Vermächtnisses zu vernehmen. Der Greis wiederholte alles das, was der Küster ausgesagt hatte, er führte ihn selbst zu der Stelle, wo das seltsame Document verwahrt lag. So freundlich er dem Jünglinge war, der sich mit seinem Taufschein und andern Beweisen als den Erben jenes Testaments auswies, so wollte der Probst doch jetzt noch nicht die Truhe dem Erben verabfolgen lassen, bis jener Tag, den der Ahnherr anberaumt hatte, erschienen sei.

Als Edmund zurückkehrte, fand er auf seinem Zimmer ein Billet des Grafen, in welchem ihn dieser einlud, ihm, wenn er die Briefe schon gelesen habe, dieselben persönlich wieder einzuhändigen. Er versiegelte die Blätter also wieder sorgfältig und begab sich am andern Morgen mit ihnen zum Oberkammerherrn.

Mein junger Freund, fing dieser an: ich hatte mir fest vorgenommen, Sie nicht wiederzusehen, und dennoch breche ich meinen Vorsatz, weil es mich zu sehr schmerzt, so von Ihnen zu scheiden. Sie haben es nun selbst gelesen, wie ich in meiner Jugend war, was ich erlebte und erlitt, und daß man irrt, wenn man meint, meiner Kälte seien alle Schmerzen unbekannt geblieben. Sie haben nun auch gesehen, mit welchem Edelmuth sich ein weibliches Wesen betrug, wie groß sie ihr Schicksal nahm und mein thörichtes Herz und meine Irrthümer beschämte. Glauben Sie mir, noch jetzt in meinem hohen Alter steht mir diese Jungfrau, wie eine wahrhaft göttliche Erscheinung vor den Augen meiner Seele; ich sehe sie immer noch in ihrer Schönheit, – und was habe ich ihr und ihrer großmüthigen Aufopferung zu danken. Zwar bin ich nicht so glücklich geworden, wie es mir meine damals berauschten Träume vormalten, zwar habe ich nicht jene Seligkeit gefunden, die unter Millionen vielleicht nur Einem zu Theil wird: aber ich konnte ein dankbarer Sohn bleiben, ein Freund meiner Geschwister und Verwandten, ein Staatsbürger und Freund meines Vaterlandes. Sie hat dieses edle Opfer gewiß unter tausend Schmerzen gebracht, denn sie liebte mich innigst. Der Baron, mein Jugendfreund, folgte unbedingt einer scheinbaren Begeisterung für das Höchste (wie wir damals unsere Irrthümer nannten), und sein ganzes Leben ist zersplittert und in Wahn und falsche Genialität aufgegangen. Eine Unwürdige, von niedrigem Stande, täuschte ihn, und als er ihre gemeinen Gesinnungen entdeckte, nahm er, so zerstört er im Innern war, die Maske des Freigeistes vor, der das in Gesellschaften laut belachte, was er nicht mehr ignoriren konnte. Sie starb, auch eine Tochter, nachdem sie sein Vermögen zerrüttet und ihn von jeder guten Gesellschaft zurückgezogen hatte. An dem übriggebliebenen Sohne soll er auch keine Freude erleben.

Edmund händigte dem Alten die Papiere wieder ein, indem er ihm mit Herzlichkeit für das schöne Vertrauen dankte, das er ihm durch die Mittheilung derselben bewiesen hatte. Freilich, sagte er dann, muß ich es lernen, im Sinne dieses herrlichen weiblichen Wesens zu handeln, und in diesem Spiegel sehe ich nur meine eigne Mißgestalt, die auch nicht von fern dieser schönen Seele ähnlich ist. Doch Ihr Vertrauen macht mich so dreist, Ihnen eine Bitte vorzutragen, deren Gewährung meine Entsagung, das fühle ich, mir unendlich erleichtern wird. Lassen Sie mich, verehrter Mann, noch in Ihren Diensten bleiben, verschließen Sie mir den Zutritt zu Ihrer Familie und der theuern Gräfin Tochter nicht; ich kann ihr meine Ansicht, mein Gefühl, meinen Entschluß freundlich mittheilen; wenn ich ihr auch von jenem edlen Wesen nicht sprechen darf, so wird sie, von mir überredet und geleitet, ebenfalls sich zur Entsagung Dessen, was sie ihr Glück nennt, entschließen können.

Nein, erwiederte der Graf mit einiger Lebhaftigkeit, meine Ueberzeugung ist, daß Trennung das beste, ja einzige Heilmittel ist. Wenn Sie auch den redlichsten Willen hätten, so würde in diesem Scheidungsprozeß sich doch nur Ihre Leidenschaft von Neuem stärken. Und dabei übersehen Sie die Hauptsache. Dieselbe Großmuth, welche meine Geliebte damals begeisterte, mir zu entsagen, kann meine Tochter aufreizen, Ihnen treu zu bleiben, oder Sie selbst zu einem verzweifelten Schritte zu bereden. Jene sollte sich erheben und stieg begeistert herab, Diese wird ihre Aufopferung leicht, von der Leidenschaft angetrieben, in der Erniedrigung suchen. Sie verzeihen mir das Wort, welches die Sache richtig bezeichnet. Mich freut aber, daß Sie selbst schon so viel heiterer und sicherer sind; die Genesung und nahe Gesundheit leuchtet aus allen Ihren Mienen. Die Krise Ihrer Krankheit haben Sie offenbar schon überstanden.

O mein theurer Gönner, sagte Edmund, mein Kopf ist so angefüllt von wunderlichen Erwartungen, mein Leben wendet sich so in das Seltsame und Mährchenhafte, daß in meinem Glück und Unglück, in dieser Aufspannung, in welcher mir alle Gedanken entgehen, es aller Kräfte und Anstrengung bedarf, um nicht ganz wie ein Zerstreuter und Wahnsinniger umherzuwandeln. Es liegen solche Erwartungen, Entdeckungen vor mir, ganz nahe vor mir, daß vielleicht in wenigen Tagen ein anderes Schicksal, fremde Bestimmungen meine Thätigkeit und mein Dasein in Anspruch nehmen.

Der Graf sah hoch auf, schlug den Schirm der Lampe zurück, um den jungen Mann genauer zu betrachten, und bat dann, ihm, da Edmunds geheimnißvolle Andeutungen seine ganze Neugier rege gemacht hatten, Alles mitzutheilen, was ihn so sonderbar in Bewegung setzte. Edmund trug ihm den Fall umständlich vor, und der Greis hörte ihm mit der größten Aufmerksamkeit zu. Als Edmund seine Erzählung geendigt hatte, stand der Graf auf und ging tiefsinnend im Zimmer auf ab. Endlich stand er still, sah dem verwunderten jungen Manne mit hochglänzendem Blicke scharf in die Augen und sagte mit bebender Stimme: Glauben Sie mir, junger Herr, das ist etwas Großes, Mächtiges! Ihr Ahnherr hat einen Blick in die Zukunft gethan, und es ist nicht ohne höhere Zulassung, daß das Vermächtniß gerade an Sie gerichtet wurde, der sich mir und meiner Familie genähert hat. Wird das Alterthum so oft geschmäht und werden seine ehrwürdigen Institutionen eingerissen, so ist es gut, daß das Große, Vergessene auch einmal wieder aus dem verdunkelnden Staube an das helle Licht des Tages gezogen werde. Um 1510 und schon dreißig Jahre früher war in unserem Lande eine große Periode der Entwickelung, eine gefährliche geschichtliche Krise. Die größten und ältesten Geschlechter hatten sich gegen die angestammten Fürsten erhoben, ihr Bund war mächtig; aber, so sehr auswärtige Regenten aus Eigennutz und Politik auch diese Zwietracht unterhalten und angefeuert hatten, so siegten endlich doch die Fürsten, und die Gefährlichsten des Adels mußten es sich gefallen lassen, als Rebellen behandelt zu werden. Hinrichtungen, Gefängniß, Aechtung und Verbannung traf und schmähte manche große und tapfere Häupter. Manche Namen sind seitdem verschwunden. Selbst ein Name ist verloren, der mit seinem Blute unserem Regenten verwandt war. So wenden sich die Zeiten nun wohl um, und ein Edelstein, der so lange vermißt wurde, steigt aus den Trümmern wieder herauf, um neu zu glänzen. Offenbar ist Ihr Name Frimann ein angenommener; unbezweifelt, daß in jenen unruhigen Tagen der Verfolgung ein hoher Mann sich rettete, verbarg und mit großem Sinn auf die Zukunft dachte, daß sein Urenkel die erloschenen Rechte wieder lebendig mache. Ist es so, und so wird es seyn, so biete ich Ihnen, junger Sprosse des Heldengeschlechts, alle meine Hülfe, um Ihre Ansprüche bei König und Vaterland geltend zu machen; dann auch sollen keine Schwierigkeiten Ihrem und meiner Tochter Glück mehr entgegentreten. Aber – (doch warum dergleichen zu früh annehmen) wenn Sie vielleicht, wie es nicht unmöglich ist – doch darüber läßt sich nachher sprechen – sollten Sie in der That vielleicht nachher zur Familie unseres gnädigen Königs, auch entfernt, gehören – wie gesagt, ich halte Sie für einen redlichen Mann und habe Sie immer so behandelt, – doch ich bemerke, junger Herr, ich bin wie berauscht, mehr als Sie selber, – und muß mich sammeln.

Gnädiger Herr! rief Edmund tiefbewegt aus, – was auch das Schicksal über mich beschließen mag, wie auch jene Entdeckung ausfallen kann, – ich halte mich jedenfalls für gebunden, und mein größtes Glück wird dann seyn, zu zeigen, wie rechtlich, wie edel ich denke, und daß ich es verdient hätte, gleich als solcher aufzutreten, der Ihrer Familie nicht unwürdig war.

Durch diese Worte war plötzlich der Graf wieder verwandelt. Er blickte noch einmal auf und setzte sich dann langsam nieder. So weit sind wir noch nicht, sagte er dann, und überhaupt: sprechen wir nicht fast wie im Traum? Ich bitte, kommen wir zur Wahrheit zurück, und falls Sie noch in der Stadt bleiben, bis sich jenes Räthsel enthüllt, würden Sie doch besser thun, sich eine andere Wohnung zu suchen. Wäre es mir vergönnt, das Antlitz jenes weiblichen Wesens, das meine Jugend erhellte, noch einmal zu sehen, noch einmal den Ton ihrer Stimme zu hören, so wäre ich unaussprechlich glücklich; es wäre mir das Abendroth einer untergehenden Sonne. – Wie die Erfüllung des wunderbarsten Mährchens die Auflösung des Räthsels meines Lebens. –

Indem kam, was unerhört war, der Kammerdiener, ohne gerufen zu seyn, in das Zimmer. Bleich, verstört, zitternd, wie es schien, trat er an das Ohr des erstaunten Oberkammerherrn und flüsterte ihm einige Worte zu. – Der Graf fuhr zurück und lehnte sich dann in den Sessel bleich und mit geschlossenen Augen zurück. Gewiß? rief er. Joseph, der Kammerdiener, bejahte nur mit einer stummen Neigung des Kopfes. Die ausgestreckte Hand des Grafen bedeutete den Diener, sich zu entfernen, welcher diesen stillschweigenden Befehl schleunigst befolgte. Der Graf stand auf, mühsam, angestrengt, zitternd. Er ging an das Fenster, kehrte dann zurück und faßte die Hand Edmunds. Der junge Mann erschrak, denn die Hand des Greises war todtenkalt, wie die einer Leiche. Mein junger, lieber Freund, stammelte der Alte, ich habe Sie ersucht, bald dies Haus zu verlassen, jetzt aber, bei näherer Erwägung, verlange ich Ihr Ehrenwort von Ihnen, daß Sie bei mir bleiben, bis auf weiteres, bis ich Sie wiederum entlasse. Meine Tochter habe ich gestern schon zu meiner Schwester hingesendet. Es mag sich Alles enthüllen, wie es mag und kann, ich werde immer Ihr Freund bleiben; nur müssen Sie noch einige Zeit bei mir bleiben, weil ich Sie noch in nöthigen Geschäften brauche. – Edmund versprach es und entfernte sich verwundert. –

Als Edmund noch nachdenkend auf seinem Zimmer saß, hörte er draußen auf dem Gange leise schleichen und dann schüchtern anklopfen. Er öffnete selbst die Thür und erstaunte, als er mit Aengstlichkeit den alten Jäger eintreten sah. Dieser hatte immer eine große Vorliebe für den jungen Mann gezeigt, und da er viel beim Oberkammerherrn galt, so spielte er im Hause gegen die übrigen Bedienten fast die Rolle eines Haushofmeisters.

Als der alte Mann die Thüre wieder vorsichtig und leise zugemacht hatte, damit sie kein Geräusch machen sollte, so winkte er Edmund, der ihm in den fernsten Winkel des großen Zimmers folgte, und sagte flüsternd: Haben Sie Nichts gehört? Nichts vernommen? Ist Ihnen Nichts aufgefallen, als Sie vom alten Herrn zurückkamen?

Es war, antwortete Edmund, ein ängstliches Hin- und Herlaufen, die Domestiken waren Alle verwirrt, ich fragte, aber Keiner stand mir Rede, die Gräfin Katharine lief über den Corridor und that, als wenn sie mich nicht sähe; käme ich nicht selbst aus dem Zimmer des Oberkammerherrn, so würde ich glauben, er sei gestorben oder gefährlich krank.

Er kann es auch noch werden, sagte der Jäger mit Bedeutung; denn mit einem Worte: die jüngste Comtesse ist verschwunden. Niemand weiß, wohin; ob sie schon gestern, ob sie in der Nacht, oder erst heute früh heimlich abgereist ist, weiß Niemand. Es soll vor der Dienerschaft verschwiegen werden, aber, lieber Himmel, wie es geht. Alle wissen es schon. Der alte Herr hat nun in seiner Herzensangst aussprengen lassen, daß er sie selber zu seiner Gräfin Schwester auf das Land hingeschickt habe, aber kein Mensch will es glauben; denn warum sollte es denn so heimlich geschehen? Und gerade in diesem kalten, häßlichen Wetter? Der Portier weiß auch von Nichts; er sagt, zwischen drei und vier heute Morgen sei ein Weibsbild aus dem Hause gegangen, der er aufgemacht habe. Er hatte sie für die Maria Anna gehalten, die zur kranken Schwester in der Barfüßergasse gehen wolle, um die Sterbende zu pflegen; ein zweites Frauenzimmer, die ihm des Kochs Frau geschienen, ist mitgegangen und wollte um sieben wiederkommen. Die beiden Personen sind jedoch im Hause, aber das junge Fräulein Wilhelmine wird auch vermißt. – Nur, ums Himmels willen, verrathen Sie mich nicht, Herr Secretair, daß ich Ihnen das Alles erzählt habe. Ich konnte es nicht lassen, weil ich weiß, daß Sie ein treuer Freund des Hauses sind, und die Comtesse Elisabeth immer große Stücke auf Sie gehalten hat.

Der Alte, der ein Geräusch draußen hörte, erschrak und entfernte sich dann wieder mit derselben Vorsicht, nachdem Edmund erst auf den Gang hinausgesehen hatte, ob ihn auch Niemand betreffen könne. Edmund fühlte sich durch diese Nachricht in einen Zustand der Verzweiflung versetzt. Jetzt mußte er wieder Alles, was jener Unwürdige von seiner Geliebten ausgesagt hatte, für Wahrheit erkennen. Er zweifelte nicht mehr, daß sie von diesem Frechen sich wirklich habe entführen lassen. Jetzt gereute es ihn, daß er das Haus des Grafen nicht schon längst verlassen habe; er war ergrimmt, daß er dem Vater sein Wort verpfändet hatte, zu bleiben und sich nicht zu entfernen.

Er sah in den Sturm des Wetters hinaus und entsetzte sich, wenn er die zarte Gestalt sich im Freien dachte, wo sie vielleicht hülflos umherirrte oder in ihrem Begleiter bald einen Elenden erkennen und verachten müsse. Im Mantel verließ er eiligst das Haus, um den Baron aufzusuchen. Dieser war über seinen frühen Besuch erstaunt, noch mehr aber über die Ungeduld und Hast, mit welcher er sich nach der Wohnung des jungen Wendelbein erkundigte. – Was haben Sie mit ihm? sagte der neugierige Alte; ist denn etwas vorgefallen? Sie wollen ihn doch wohl nicht gar herausfordern, weil er Ihr Nebenbuhler ist?

Nein! nein! rief Edmund ungeduldig; ich habe sonst ein Geschäft mit ihm abzumachen; nennen Sie mir nur Straße und Haus.

Der Jüngling, antwortete der Baron, liebt es, mit dem Logis oft zu wechseln, auch hat er manchmal zwei, selbst drei Wohnungen, theils um sich der Zudringlichkeit der Gläubiger zu entziehen, theils auch, um seine Liebschaften, deren er viele hat, ungestört abzuwarten. Seine Wohnung für die Tugend ist in der Stadt, und die für das Laster dahinten, in der einsamen Vorstadt. Diese wird aber in der Regel verschwiegen und kaum den Vertrautesten offenbart; wenn Sie einen Ducaten daran wenden, erfahren Sie sie wohl von der geldgierigen Aufwärterin.

Edmund hatte sich das Haus in der Stadt genau bezeichnen lassen und ging eilig fort, um nur dem neugierig forschenden und schwatzenden Baron aus den Augen zu kommen. Die Wohnung war leer, und der Wirth, ein überkluger Schneider, sagte: Ob und in wiefern der Herr Wendelbein von mir ausgezogen ist, weiß ich nicht zu sagen; so viel ist gewiß, daß er vorgestern in der Nacht mit übereilter Hast alle seine wenigen Mobilien heimlich an einige Trödler verkauft hat. Mir ist er noch bedeutend schuldig, er hat mir aber ein schön geschriebenes eigenhändiges Billet zurückgelassen, wie er denn im Schreiben, was die Hand betrifft, ein Meister ist, in welchem er mir meldet, daß er nur auf einige Tage auf seine Güter draußen da, auf dem Lande gehe, um sich mit seinen Pächtern und Verwaltern zu arrangiren. Ich soll ihm unterdessen seine Zimmer nicht vermiethen, so wenig, daß er sogar die andern der Etage noch begehrt, weil er im Sinne habe, mit einer Gemahlin und vielen Domestiken zurückzukehren. Wie Vieles oder wie Weniges nun an diesen Aussagen wahr oder falsch sei, bin ich nicht im Stand zu beurtheilen, weil der liebe junge Herr ein außerordentliches Talent im Erfinden besitzt, und zwar so sehr, daß er zuweilen wohl schon in acht Tagen Dasjenige völlig wieder vergessen, was er mir mit hohen Eiden vorgetragen hatte.

Wie ungeduldig Edmund war, mußte er diese und ähnliche Erörterungen anhören, ehe er sich von dem Redseligen losmachen konnte. Von einer Wohnung in der Vorstadt schien der Schneidermeister nichts zu wissen. Im Vorsaal bestürmte Edmund die listige Magd, ihm dieses Logis zu verrathen. Sie weigerte sich anfangs hartnäckig, doch konnte sie endlich der dringenden Bitte und dem Goldstücke nicht widerstehen. Bei einem alten Töpfer war jenes verheimlichte Logis des verdächtigen Menschen, und als hier nun der alte Wirth sah, daß sein Verleugnen nichts fruchtete, führte er den Nachforschenden selbst in die leeren Zimmer und sagte: Hier, Verehrter, hauset manchmal jener arme Verfolgte, den die Menschen verkennen und der noch einmal eine große Rolle spielen wird. Daß er sich oft vor seinen Gläubigern hieher gerettet hat, die ihn dann nicht finden konnten, ist nur Nebensache. Er hat Geld und besitzt große Summen, sobald er nur will. Daß er zuweilen, und sogar oftmals, hier seine Liebschaften hegte, und sich mit Frauenzimmern von allen Ständen hier traf, ist auch nicht zu leugnen. Der junge Mann ist der Liebe fähig, auch verführen ihn seine Leidenschaften zu weit. Aber, die Hauptsache seiner Verborgenheit hier weiß nur ich. Sehen Sie, Bester, hier war sein Archiv, alle Correspondenz mit hiesigen und fremden Ministern und Gesandten. Er ist, verstehen Sie, einer von Denen, die da wirken, ohne daß er sichtlich und augenscheinlich an einer hohen Stelle steht. Er hebt und stürzt, er lenkt und maschinirt, ohne daß sich Tausende träumen lassen, aus welchem Winkel diese Politik und Tendenz herkommt. Zu großen Zwecken läßt er sich nur gebrauchen und ist jetzt auf einer geheimen Mission begriffen, weit, weit in die Länder hinaus, über die See und so weiter, und es handelt sich um nichts Geringeres, als ganz Europa einen andern Zuschnitt zu geben. Dann kommt er zurück und tritt aus seinem Incognito hervor, und bezahlt mir Alles bei Heller und Pfennig, und hilft mir eine große Fabrik einrichten, in welcher wir dann lauter neumodiges Töpfergeschirr erfinden werden.

Unbemerkt war ein alter Jude hereingetreten und hatte das Letzte mit angehört. Er begleitete Edmund, als dieser sich wieder entfernte. Auf der einsamen Straße stellte er sich dicht vor dem jungen Mann hin und sagte: Liegt dem Herrn viel daran, von dem Wendelbein das Sichere zu erfahren? – Gewiß, sagte Edmund. – So steht, fuhr Jener fort, hier der Mann vor Ihnen, der Ihnen den besten Bescheid geben kann, wo Sie den sonderbaren Jüngling finden werden. – Nun, sagte Edmund heftig, wo ist er? Er ist also in der Stadt? Nennt mir den Ort!

Umsonst nicht, umsonst nicht, schmunzelte der Alte und verneigte sich tief: Euer Gnaden ist, wie ich sehe, an der Sache gelegen, und ich bin ein armer Mann, ein sehr armer Israelit, der um Vieles gekommen ist; auch durch jenen Baron Wendelbein, der mir noch große Summen schuldig bleibt. Alles, was der gute Töpfer gefabelt hat, ist nur Muthmaßung und Windbeutelei, denn er kennt die wahren Umstände nicht.

Könntet Ihr mir, sagte Edmund, gewisse Nachricht geben, wo der Wendelbein sich aufhält wäre es wahr, daß er sich noch in der Stadt befindet, so wollte ich Euch gern diesen Ducaten für Eure Entdeckung geben.

Versterben will ich, sagte der Jude, hier auf der Stelle, und niemals wieder in mein Haus kommen und meine Kinder sehen, wenn nicht Alles, Alles wahr ist, was ich entdecken kann. Gehen Sie nur hin, gnädigster Herr, Sie treffen ihn, bei meiner Seele, er kann Ihnen nicht entgehen, und ich würde Sie selber begleiten, wenn es für mich alten Mann von hier nicht zu weit wäre, und wenn ich nicht darüber ein Geschäftchen versäumen thäte, bei dem ich viel verlieren würde. –

Edmund gab ihm einen Ducaten, und der Israelit sprach nun, indem er neben ihm ging: Ich vertraue Ihnen, Herr Graf, mein gnädigster Herr, ein Geheimniß, ein gar großes Geheimniß; meine Leute werden es mir vielleicht sehr übel deuten, daß ich es Ihnen verschwatze. Der junge Mann Wendelbein, sehen Sie, hat keinen recht guten, ausbündigen Lebenswandel geführt. Er machte viel Schulden und thät niemals bezahlen. Das können nun die wenigsten Menschen vertragen, denn es ist gegen die Natur. Und was soll der Jude anfangen, wenn er seine ausgelehnten Gelder nicht wieder erhält? Sie sind sein Acker und Pflug, ganz anders noch als beim Christen, der vielerlei anfangen kann. So ist mir und andern Israeliten der junge Mann vielfach verschuldet gewesen, seit lange, und hat vertröstet und vertröstet, und ist niemals eingetroffen, wenn er von Wiederzahlen prophezeite. Nun hätten wir Alle schon längst mehr Lamento gemacht und laute Klage geführt, wenn das junge wilde Herrchen nicht so gar ein liebes Kindchen wäre. In seinem Herzchen ist viel Gutes und wahre Liebe. Besonders hat er einen guten, ächten Glauben. Ach! es ist nicht zu sagen, wie er unsere heiligen Bücher ehrt, wie bewandert er in den Propheten und den Schriften Mosis ist. Ich habe ihm auch den Talmud leihen und Vieles erklären müssen. So ist denn nach manchen Studien sein inwendiger Mensch aufgegangen, und er hat seine alten Irrthümer eingesehen. Immer inniger hat er sich uns angeschlossen und mir, auch dem reichen Zacharias, dem Levi auf der großen Straße und noch zwei Andern, mit denen er am meisten Geschäfte gemacht hatte, hat er sich entdeckt, daß er zu unserem Glauben, als der ächten Religion, hinübertreten möchte. Wir haben natürlich unserem Gott gedankt, der ihm das Licht seiner verdunkelten Augen gesendet hat, daß wir Verstoßenen, Verkannten aus den Christen heraus einen neuen Bruder erhalten sollen. Die Gemeine, so hoffe ich, wird mir, als dem Aermsten, meine Auslagen ersetzen. Er wird jetzt, der Neubekehrte, in der Synagoge seyn; gewiß ist die Ceremonie schon an ihm geschehen, und er kann nun natürlicherweise nicht ausgehen.

Der Ducaten schien gut angelegt, und Edmund, um sich ganz zu überzeugen und sein Herz noch mehr zu erleichtern, ließ sich beschreiben, wo er diese Synagoge finden könne. Sie war in der entgegengesetzten Vorstadt. Er ging hinaus und seine Eile, so wie sein eifriges Nachforschen brachte ihn bald zu dem unansehnlichen Gebäude. Es war verschlossen, er ließ sich zu dem Vorsteher der Schule führen. Die Menschen waren verwundert, warum der junge Mann mit diesem Ernst und der leidenschaftlichen Hast nach der Synagoge forschte, weshalb er den Rabbi durchaus sprechen wolle, und was ihn antreiben könne, so öffentlich und dringend mit der Judenschaft Geschäfte zu machen. Ein Juden-Mädchen führte ihn in das stille kleine Zimmer des bejahrten Lehrers. Dieser verwunderte sich über den Besuch und erstaunte noch mehr, als Edmund ihm erzählte, aus welcher Ursache er zu ihm gekommen sei. Es half nichts, daß er versicherte, er kenne diesen jungen Wendelbein nicht, wisse nichts davon, daß ein solcher sich bekehren wolle, durchaus unwahr aber sei, daß es schon geschehen, denn er habe diesen Menschen niemals mit Augen gesehen; denn Edmund glaubte, der Jude wolle ihn nur verleugnen, um sich keine Verantwortung zuzuziehen. Edmund erklärte und schwur, daß er von dieser Entdeckung durchaus keinen Gebrauch machen wolle, es sei nur ein Privatinteresse, was ihn zu diesen Nachforschungen antreibe, er sei auch weit entfernt, der Judenschaft dieses neue Mitglied zu mißgönnen oder es dem Christenthum wieder zuführen zu wollen; es komme ihm nur darauf an, sich zu überzeugen, daß dieser Abtrünnige noch in der Stadt sei, damit wolle er sich beruhigen.

Als der Alte endlich aus Edmunds Beschreibung erkannte, wer ihn hieher geschickt habe, so sagte er: Nun wundert's mich nicht mehr, warum Sie zu mir gekommen sind. Sie sind da auf den einfältigsten und leichtgläubigsten unserer Glaubensgenossen gestoßen. Ich begreife, daß dieser und vielleicht noch einige thörichte Juden sich haben bewegen lassen, dem ausschweifenden jungen Manne Gelder zu leihen, weil er ihnen vorspiegelte, daß er das mosaische Bekenntniß annehmen wollte. Bei mir würde er nicht leicht wagen, mit diesem Vorgeben einzutreten, besonders, wenn er es darauf anlegte, mit solchen Worten zu gewinnen. Wir würden ihn auch ganz gewiß abweisen, wenn er des Geldes wegen unsere Gemeine vermehren wollte, denn wir sind hier der Juden genug, und zu unserem Unglück fehlte uns nur Das noch, daß lüderliches Gesindel, Schuldenmacher, die nicht mehr aus und ein wissen, Taugenichtse und dergleichen, die weder Christen noch Heiden sind, es als ihre letzte Zuflucht ansähen, in unsere Synagoge zu kommen.

Edmund mußte endlich wohl dem eifernden Manne glauben, der zum Schluß die Leichtgläubigkeit des Christen belächelte, der sich von einem einfältigen Juden, der freilich selbst hintergangen war, hatte täuschen lassen.

Beschämt verließ er den Alten und war ziemlich verlegen, als er sich durch einen Haufen gemeinen Volkes drängen mußte, die ihn mit Lachen und Schimpfworten empfingen, weil sie gehört hatten, er wolle sich zum Judenthum bekehren und habe deshalb so angelegentlich den Rabbi aufgesucht. Er war froh, als er sich endlich diesem Pöbel entzogen hatte und wieder in den belebten Theil der Stadt wandeln konnte. Sein Weg führte ihn dem rothen Löwen vorüber, und da er schon so viele Forschungen unternommen hatte, hielt er es nicht für überflüssig, auch hier den lahmen Aufwärter auszufragen. Dieser war aber so unwissend, daß er nicht einmal die Namen der Mitglieder des aufgeklärten Clubs kannte. Der Herr Graf sitzt oben und arbeitet, sagte er endlich, der kann Ihnen vielleicht Nachricht geben. Als Edmund den finstern öden Saal betrat, fand er bei Büchern und Schreibgeräth und einer Flasche rothen Wein den Grafen emsig beschäftigt. Beide begrüßten sich und der Arbeitende verzog sein rothaufgelaufenes Gesicht zu einem grinsenden Lächeln, indem er sagte: Sie stören mich eigentlich in einer wichtigen Arbeit. Wir sind dabei, in unserer nächsten Sitzung einen neuen Präsidenten zu wählen, und so führe ich jetzt in unserer Chronik die Verdienste unseres letzten Vorstehers, des trefflichen Schuhmachers Knorr aus; zugleich wird Ihr Eintritt und Abentheuer erwähnt und geschildert, und Sie können ermessen, daß dergleichen Talent und Anstrengung erfordert. Ich hoffe, dieses Geschichtswerk soll es wenigstens mit den berühmten aufnehmen dürfen, die wir bis jetzt in Deutschland besitzen. Ueberall finde ich, daß noch zu wenig geschehen ist, um Das in das Licht zu stellen, was dergleichen Gesellschaften, wie die unserige, zum Heil der Welt und Menschheit gethan haben.

Edmund, der in seiner Verstimmung und Eile keinen Sinn für die Rolle hatte, die der Graf sich selber wählte, fragte mit ungestümer Eile, ob der Sekretair der Gesellschaft ihm keine zuverlässige Nachricht von dem ehrenwerthen Mitgliede Wendelbein und dessen Aufenthalte geben könne. – Von seiner Wohnung, erwiederte der Graf, eine zuverlässige nicht, denn diese wechselt so sehr, daß er die Sonne noch übertrifft, die durch den Thierkreis und alle Wirthshauszeichen, Krebs, Jungfrau und Zwillinge läuft. Zuweilen scheint er sogar zu den Troglodyten zu gehören, und an gar keiner Wohnung, von Menschenhänden erbaut, Theil zu haben. Aber, wo er heute Mittag ist, kann ich Ihnen mit der größten Bestimmtheit sagen.

Edmund drang in ihn, der Graf aber sagte behaglich und mit langsamer Stimme: Sie wissen vielleicht nicht, junger Mann, wie sehr sich Wissenschaften und der Geist der Untersuchung in unserem lieben Vaterlande ausbreiten. Die Gesellschaft der Patrioten, oder die Akademie der Inschriften, feiert heute ihren Jahrestag, und da er eines der ausgezeichnetsten Mitglieder und einer der Stifter dieses höchst verdienten Institutes ist, so speist er heute mit den Uebrigen und ist mit ihnen froh und guter Dinge.

Und wo hat sich diese Gesellschaft versammelt? fragte Edmund ungeduldig.

Sie müssen nicht glauben, fuhr der Graf ruhig fort, daß diese ächten gesunden Menschen sich um die Hieroglyphen oder griechische und römische Inscriptionen kümmern, oder gothische und alte fränkische sammeln und erklären; dergleichen wird, wie billig, den Stubensitzern überlassen. Nein, diese Vaterlandsfreunde sind nur auf das allernächste bedacht, um Das zu retten und dem Lande aufzubewahren, was täglich, ja stündlich unterzugehen droht. Sie sammeln alle Wirthshaus- und Bierhausschilde in der Stadt, das heißt, geschickte Künstler zeichnen sie ab und streichen sie mit Farben an; die Bedeutung wird erklärt, geforscht, wie alt sie sind, welche ausgezeichnete Gäste in dem Hotel, in jener Kneipe gewohnt haben, wer in ihnen ist arretirt worden, wer betrunken nach Hause gebracht wurde und dergleichen mehr. Unermüdlich sammeln diese thätigen Männer auch alle Inschriften, wo sich dergleichen noch an den Häusern finden, commentiren sie, merken Schreibfehler an und suchen manche ganz unverständliche zu enträthseln. Wie viel auf dem Wege gerettet wird, wie viel die Geschichte gewinnt –

Aber, um des Himmels Willen, rief Edmund aus, wo ist die Mittagsgesellschaft dieser erlauchten Männer?

Auf einem Dorfe, eine halbe Meile von hier, antwortete der Graf; das unscheinbare Gasthaus heißt zum schmeckenden Wurm. Schmecken ist nehmlich nach der ältern Bedeutung Riechen.

Sowie Edmund nur den Namen des Dorfes erfahren hatte, verließ er in der größten Eile den Grafen, das Haus und die Stadt. Er wollte sich nicht damit aufhalten, einen Wagen zu suchen, so müde er sich auch fühlte, und so unangenehm das Schneegestöber war, welches ihm entgegenwehte. Er bedachte im schnellen Gehen, wie unnütz diese Menschen alle, die vielleicht mit Talenten ausgestattet waren, ihr Leben vergeudeten. Ein ächter Scherz, meinte er, müsse eben auf einem wahren Ernste ruhen, und der flüchtige Geist des Humors sei eben ein Prophet vom tiefsinnigen Räthsel und der Wehmuth des Lebens.

Als er im Dorfe angekommen war, hörte er schon von Ferne den Lärmen und Jubel der Trunkenen erschallen. Als er die Treppe hinaufstieg, wehrte ihm ein Knecht den Eingang, weil die hier Versammelten eine geschlossene Gesellschaft bildeten und keinen Fremden zulassen wollten. Durch freundliche Worte, ein Geldstück und die Versicherung, daß er nur einen Augenblick sich aufhalten wolle, ward ihm endlich die Thür geöffnet. Er entschuldigte sich beim Eintreten, daß er störe, denn er suche nur den Herrn Wendelbein, dem er zwei Worte zu sagen habe. Dieser ist nicht unter uns, sagte ein ältlicher Mann, wie Sie sich auch selber überzeugen können. Edmund musterte die Versammlung und fand die Aussage bestätigt. Wendelbein! rief ein junger roher Mensch: o mein Bester, wenn Sie den ausbündigen Mann, dies ächte Genie suchen, so müssen Sie sich nach der Frohnfeste bemühen, denn dort sitzt er schon seit vorgestern. Einige seiner Gläubiger sind endlich seiner leeren Vertröstungen überdrüssig geworden, und da sie Wind davon haben mochten, daß er sich in diesen Tagen ganz und auf immer aus dem Staube machen wolle, so haben sie ihm ein zuverlässiges Quartier angewiesen. Unsere Gesellschaft hat an diesem Herrlichen viel verloren und würde geistreicher seyn, wenn dieser Treffliche zugegen seyn könnte.

Edmund dankte und verließ mit Entschuldigungen das Haus. Ohne sich Ruhe oder Erquickung zu gönnen, ging er eilenden Schrittes nach der Stadt zurück und begab sich in die finstere, abgelegene Gasse, in welcher die Frohnfeste lag. Als er die Glocke gezogen hatte, ward ihm die traurige Herberge geöffnet. Der Vorsteher nahm ihn freundlich auf, gab ihm aber die Versicherung, daß dieser Wendelbein bis jetzt noch nicht unter seine Aufsicht gestellt sei. Wie gern, sagte der rauhe Mann, hätte ich diesen Candidaten schon seit lange hieher befördert gesehen, denn ich weiß, daß seine Verdienste ihn gehörig qualifiziren.

Da er merkte, daß Edmund ihm nicht ganz vertraute, reichte er ihm das große Buch, welches ein Verzeichniß seiner Pfleglinge enthielt, und da eben die Zeit war, wo sich Alle, des schlimmen Wetters wegen, in einem großen bedeckten Raum versammelten, führte er den Zweifelnden selbst nach dieser Halle, in welcher die Gefangenen sich Bewegung machten. Mit der Ueberzeugung, daß Wendelbein auch in dieser großen Anstalt nicht sei, verließ Edmund das finstere Haus, um endlich in seiner Wohnung von seinen Wanderungen auszuruhen.

Indem er nach dem Marktplatze einbiegen wollte, hörte er in einer Nebengasse Getümmel und Geschrei. Eine Art von Neugier bewog ihn, den Umweg durch diese Straße zu nehmen, und gleich fielen ihm Gassenjungen und Pöbel in die Augen, die wieder ihre Lust an jenem trunkenen Kesselflicker hatten, der dem Ueberraschten schon in zwei seltsamen Begegnungen aufgestoßen war. Der Trunkene lärmte und sang, und wenn ihn die Nachfolgenden fragten, was das Neueste sei, so schrie er laut: das Neueste ist, daß eine Prinzeß davon gelaufen ist! – Eine Prinzeß? riefen die Jungen ihm zurück. – Nicht eine eigentliche Prinzeß, sagte der rohe Trunkenbold, nein, eine Art Excellenz, ein Grafwesen, was man so das vornehme Gelichter nennt. Aber hübsch ist sie, bei meiner Seele!

Edmund war dem Taumelnden näher gekommen. Er suchte ihn aus dem Getümmel zu entfernen und nahm die Gelegenheit wahr, als sie jetzt vor einem Wirthshause standen, den Schreienden in dieses durch gute Worte und halb mit Gewalt hineinzuziehn. Er ließ sich hier ein stilles Zimmer nach dem Hofraum aufschließen, und so trunken der Kesselflicker schon war, forderte er für diesen doch noch einen Schoppen Wein, um ihn nur bei guter Laune zu erhalten, und ihn zum Reden zu bringen.

Woher wißt Ihr, fragte er, als dieser Namensvetter sich etwas beruhigt hatte, daß ein vornehmes Frauenzimmer entflohen ist?

Sapperment! sagte jener, weil ich sie heute in der frühesten Frühstunde selbst gesehen habe. Ich kam da aus der Schenke, zur blühenden Zunderbüchse oder glühenden Donnerbüchse. Da stand der Windelfürst, oder Stelzfuß, oder wie er heißt, mit dem ich im plundrigen Löwen auch mit Ihnen und anderen Alfanzern gewesen war. Ich kannte den Patron gleich wieder. Er war auch nicht blöde und sprach mit mir. So kamen denn zwei Weibsen um die Ecke, eingemummt und wie die Bürgermädchen angezogen; da nannte Stelzbein sie Gräfin, oder Cum- oder Prinzeß, das weiß ich nicht mehr genau, aber er winkte mir so lachend, und neulich war ja auch ein Zank mit Ihnen um die Prinzeß. Nun stiegen sie in einen Wagen, der hundert Schritte davon im Regen hielt, und davon gejagt, was die Pferde nur laufen mochten. Sehen Sie, das habe ich schon heute früh lange vor Tagesanbruch erlebt.

Da nichts weiter aus den verwirrten Reden des Trunkenen zu entnehmen war, so ging der erschöpfte Edmund mit der Ueberzeugung nach der Wohnung des Grafen, daß sich Elisabeth dennoch von dem ruchlosen Wendelbein habe entführen lassen.



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