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Der Freiherr Oswald von Falkenburg trat in das Zimmer.
Der Assessor sah sich den Mann genauer an, der in diesem Augenblicke die wichtigste Persönlichkeit für seine Zwecke war, durch den er nach der einen oder nach der anderen Seite notwendig klarer sehen mußte, mochte er einen Zeugen gegen den Thäter, mochte er den Thäter selbst in ihm finden.
Der alte Edelmann trug noch Spuren seiner vornehmen Geburt, feiner früheren besseren Erziehung. Er war eine große, stattliche Figur; sein Gesicht hatte aristokratische Züge, seine Haltung war leicht, gewandt, sein Blick stolz, sein ganzes Wesen hatte etwas Befehlendes, zeigte wenigstens, daß er an Befehlen gewöhnt war. Trotz alledem trug seine Erscheinung den Stempel einer inneren, moralischen Verkommenheit. Die Augen waren falsch, um die Lippen spielte ein frecher Hohn. Das vornehm geschnittene Gesicht wurde dadurch widerwärtig, geradezu häßlich; der falsche, lauernde Blick war zugleich scheu, unsicher, die Bewegungen seines Körpers mußten es mit werden. Seine ganze Erscheinung wurde durch alle die Widersprüche unheimlich und machte den Eindruck eines vornehmen Schurken, eines Verbrechers, der nur vor Wenigem, vielleicht vor nichts zurückscheue.
Er war mit seinem ganzen vornehmen, befehlenden Wesen eingetreten.
»Sie haben mich lange warten lassen, mein Herr Assessor.«
Der Assessor blieb ruhig und kalt. Auch er wurde vornehm, wie der Andere. Er konnte und mußte es; er vertrat ja das Recht.
»Zuvor Ihr Name, mein Herr.«
»Hätten Sie ihn nicht von dem Rentmeister erfahren?«
»Ich muß ihn von Ihnen selbst erfahren.«
»Freiherr Oswald von Falkenburg.«
»Der Oheim des Freiherrn Carl von Falkenburg, des Besitzers dieses Schlosses?«
»Hm –! Vorläufig ja.«
»Was hätten Sie mir mitzutheilen?«
»Sie forschen hier einem Verbrechen nach, Herr Assessor?«
»Wenn hier ein Verbrechen verübt ist!«
»Pah! Sie können hier mehrere finden. Sie würden doch auch den mehreren nachgehen?«
»Mein Amt befiehlt es.«
»So haben Sie die Güte, mir zuzuhören.«
»Vorab eine Frage, Herr Baron. Das Criminalgericht hat eine anonyme Anzeige über hiesige Ereignisse erhalten; sind Sie der Verfasser und Einsender?«
»Ja, mein Herr.«
Der Freiherr sagte es leicht und ruhig, als wenn es eine Sache sei, die sich von selbst verstehe, an der er nicht das geringste Hehl zu machen habe.
»Und warum wahrten Sie die Anonymität?« fragte der Assessor.
»Es wird Ihnen aus meinen .Mittheilungen klar werden.«
»Haben Sie die Güte, diese zu beginnen.«
»Ich muß etwas weit ausholen. Mein jüngerer Bruder, der Freiherr Max, war durch Erbschleicherei, dann durch einen Meineid Besitzer dieser Güter geworden.«
Der Assessor unterbrach ihn.
»So behaupten Sie. Die Justiz hat anders entschieden.«
»Pah, die Justiz! Ihre Justiz, mein Herr! Die göttliche Gerechtigkeit entschied später nicht so. Meinem Bruder erkrankte und starb die Frau, die er geliebt hatte. Es erkrankte ihm sein Kind, sein einziger Sohn, sein Erbe, sein Stammhalter –«
Der Assessor mußte ihn noch einmal unterbrechen.
»Herr Baron, die Welt hat darin Verbrechen gesehen!«
»Die Welt sieht Vieles falsch, mein Herr. Hören Sie weiter. Mein Bruder verließ sein reiches, stolzes Schloß, als wenn er, weit von dem Schauplatze seiner Verbrechen, weit von der Strafe jener göttlichen Gerechtigkeit sei – ja, mein Herr, der göttlichen Gerechtigkeit! Er verließ Deutschland, er ging nach Frankreich, nach der Schweiz, nach Italien; er war bald in dem einen, bald in dem anderen Lande. Sein Sohn genas, aber es kamen andere Strafen über ihn. Wie sein Gewissen ihn von Land zu Land jagte, so jagte es ihn von einer Leidenschaft, von einer Ausschweifung, von einer Nichtswürdigkeit zu der anderen. Zuletzt ergab er sich einem schnöden Geize. Unterdeß war sein Sohn – eine neue Strafe für ihn – sein Gefährte und sein Nachfolger in seinen Ausschweifungen und Nichtswürdigkeiten geworden, nur nicht in dem schnöden Geize. Der junge-Mensch hatte mit seinem Vater in der Welt umherziehen müssen und dessen Leben und Wandel gesehen und so dessen Leben und Wandel angenommen.
In einer kleinen Stadt im südlichen Frankreich erkrankte mein Bruder. Sein Krankenlagers wurde sein Sterbelager. Die Krankheit dauerte lange. Der Sohn hatte keine Lust, bei dem kranken Vater in dem langweiligen französischen Neste zu bleiben. Es lebte aber noch ein Funke von Gefühl in ihm, er wollte den Vater wenigstens unter einer guten Pflege zurücklassen. In dem Städtchen lebte seit mehreren Jahren ein alter Wundarzt, ein Deutscher, den allerlei Schicksale dahin verschlagen haben mochten. Er wurde dem fühlenden Sohne als ein ordentlicher, sinniger, tüchtiger Mann empfohlen, der die Pflege des Kranken um so lieber übernehmen werde, da er ein armer Teufel sei, dem es schlecht gehe. Mein Neffe begab sich zu ihm und – daraus entstand ein ganzer Roman, ein reizender Roman, wie Sie hören werden.
Mein Neffe fand nicht nur den alten Chirurg, den alten Theodor –«
»Den alten Theodor?« mußte doch der Assessor verwundert den Freiherrn unterbrechen.
»Den alten Theodor Horstmann, wie ich Ihnen sage – hier heißt er Theodor Hauser – mein Neffe fand nicht nur den alten Theodor, sondern er fand auch bei diesem eine Tochter, und diese Tochter war ein junges, bildschönes Mädchen, eine Schönheit, wie mein Herr Neffe sie noch nicht in Rom, nicht in Paris, nicht in der ganzen Welt gesehen hatte. Die Folge war begreiflich. Der Freiherr Carl reiste nicht ab; der alte Horstmann oder Theodor, wie wir ihn nennen wollen, wurde dennoch nun erst recht der Pfleger des kranken Vaters. Der Roman begann. Der Vater der Tochter war bei dem Vater des Sohnes; der Sohn war unterdeß bei der Tochter.
Diese – Emma hieß sie – hatte einen Verlobten, er war ebenfalls ein Deutscher; Gustav Treu war sein Name – ein vortrefflicher Name, nebenbei bemerkt. Er war ein deutscher Flüchtling, der in seiner Heimath Medicin studirt, sich in politische Wirren verwickelt hatte und so nach Frankreich verschlagen war. Auf einer südfranzösischen medicinischen Schule hatte er seine Studien fortgesetzt und beendigt und war Assistent eines berühmten französischen Arztes geworden; ja, er hatte Hoffnung, sich bald eine eigene Praxis zu gründen. Durch einen Zufall hatte er auf einer kleinen Reise die schöne Emma Horstmann kennen gelernt; er war auch ein schöner Mann. Ihr Vater und er gehörten einer Kunst an; der junge Mann war der höhere darin und konnte eine bedeutende Carriere machen. Die Landsleute hatten sich gefunden, die Herzen fanden sich, zu den Herzen die Hände und an die Hände die Verlobungsringe. Die jungen Leute wollten heirathen, sobald der Arzt seine selbstständige Praxis gefunden habe.
Das war ein kleiner Roman für sich. In ihn trat der Freiherr Carl mit einem neuen. Er mußte ihn fein, zart anlegen. Zuerst wurde er der zarteste Wohlthäter des Vaters und der Tochter, letzterer dann der zarteste Freund. Er schwärmte mit ihr nur von ihrem Verlobten; er kannte keinen sehnlicheren Wunsch, als einen so ausgezeichneten jungen Mann kennen zu lernen.
Der Bräutigam kam, seine Braut zu besuchen. Die beiden jungen Männer wurden Freunde. Der Bräutigam mußte wieder abreisen. Seine Verlobte und mein Neffe schwärmten weiter. Die Krankheit meines Bruders zog sich mehr und mehr in die Länge. Dem Bräutigam wurde die Schwärmerei seiner Verlobten mit meinem Neffen auf die Länge bedenklich und um ihr ein Ende zu machen, entschloß er sich kurz, zu heirathen. Die Braut war damit einverstanden, und so heiratheten sie sich.
Aber der junge Mann konnte die Frau noch nicht ernähren und also auch noch nicht mit sich nehmen. Wenige Tage nach der Trauung mußten die jungen Ehegatten sich schon wieder trennen. Gustav Treu reiste zu seinem berühmten Arzte zurück; seine junge Frau, jetzt Madame Treu, ließ er bei ihrem Vater und – bei meinem Neffen. Das war sehr leichtsinnig von ihm; aber die Jugend ist einmal leichtsinnig.
Mein Bruder starb. Als er todt war, hatte mein Neffe seinem Freunde Gustav Treu die Frau verführt.
Der betrogene Ehemann war lange Zeit blind gewesen. Als er gewahrte, daß er betrogen war, ließ er sich von der Frau scheiden. Mit der Geschiedenen zog nun mein Neffe in der Welt umher; sie war sein Eigenthum, seine Sklavin. Sie hoffte seine Frau zu werden, Freifrau von Falkenburg! Ihr Kind konnte dann gar, wenn das Glück gut ging, hinterher ein Freiherr von Falkenburg werden, Erbe der reichen Güter! Der Sohn des Arztes! War der erste Gatte betrogen, so konnte es ja auch der Zweite werden. Pah!
Die junge Dame wurde die Betrogene. Mein Neffe wurde ihrer nach Jahr und Tag überdrüssig; er war in das wilde Leben gerathen, wie Paris es bietet und verließ sie. Für allerlei Versprechungen, die er ihr gemacht, erhielt sie ein Stück Geld. Sie mochte indeß doch noch an die Versprechungen glauben, an Reue, an Besserung! Darum mußte ihr Vater bei ihm bleiben, als sein Kammerdiener, Haushofmeister oder dergleichen. Vielleicht hatten Vater und Tochter einen anderen Plan dabei; denn eines Tages trug sich Folgendes zu.
Mein Neffe befand sich mit einer lustigen Gesellschaft von Pariser Damen und Herren in Genf. Da erschien plötzlich der Herr Doktor Gustav Treu bei ihm, unterhielt sich mit ihm eine Viertelstunde, worüber, weiß Niemand, denn es war Niemand bei ihrer Unterhaltung zugegen – und traf nach ein paar Stunden in einem Wäldchen bei Carouge in der Nähe von Genf mit ihm wieder zusammen. Dort schossen ich mein Neffe und der Doctor. Letzterer schoß meinen Neffen nieder, beraubte ihn seiner Papiere und Erkennungszeichen, kehrte damit zu der Wohnung des Erschossenen zurück, setzte hier mit Hülfe des alten Theodor seinen Raub fort und war von nun an der Freiherr Carl von Falkenburg. Der erschossene Freiherr von Falkenburg wurde als ein Unbekannter in Carouge begraben.
Das Alles hatte sich in Genf, wo die Abenteurer und Abenteurerinnen, Industrieritter und Industrieritterinnen aus Frankreich und Italien täglich zusammenströmen und für ihre Zwecke Gimpel und Opfer aus allen Weltgegenden finden, und wo Rupfen und Gerupftwerden zur Lebensordnung gehört – das Alles hatte sich dort sehr leicht ereignen können, ohne daß man Notiz davon nahm, ohne daß man auch später etwas davon erfuhr.
Mein Neffe war einen oder zwei Tage vorher in Genf angekommen, unter einem fremden Namen, mit Pariser Herren und Damen, die ebenfalls seinen eigentlichen Namen nicht kannten. Diese Herren waren die Zeugen und Sekundanten des Duells gewesen. Als ihr Gefährte gefallen war, hatte die ganze Gesellschaft nichts Eiligeres zu thun gehabt, als sich über die Schweizerische Grenze davon zu machen, denn sie waren eine saubere Pariser Gesellschaft von Spielern und Betrügern, die zwar wohl mit reichen jungen Wüstlingen, aber nicht gern mit der Genfer Polizei Bekanntschaft machen mochten.
Mein Herr Assessor, ich stehe vor dem Ende meiner Mittheilungen. Der Herr Doctor Gustav Treu suchte seinen Raub zu vollenden und zu sichern. Seine ehemalige Gattin und die nachherige Geliebte meines Neffen und sein ehemaliger Schwiegervater und späterer Kammerdiener dieses letzteren halfen ihm dabei. Als Freiherr Carl von Falkenburg heirathete er nochmals Fräulein Emma Horstmann; sie wurden getraut in einem kleinen Dorfe hinten in Vorarlberg, nach allen Vorschriften der Kirche und des österreichischen Gesetzes. Das Kind der Dame wurde dabei natürlich als ein vor der Ehe gebornes Kind der beiden Neuvermählten förmlich anerkannt, und der Freiherr Carl von Falkenburg zog mit seiner jungen Gemahlin und seinem legitimirten und legitimen Sohne hierher und nahm Besitz von Schloß und Herrschaft Falkenburg und lebt so noch heute hier. Nur seine Frau ist seit vorgestern Abend todt. Das heißt, er hat sie vergiftet.
Und nun, mein Herr Assessor?«
»Und nun, mein Herr?« sagte dieser.
Er hatte vor den Mittheilungen des alten Freiherrn an einem völlig undurchsichtigen, unentwirrbaren Dunkel gestanden, wie an einem festen und dichten Vorhange, durch den er nichts sehen, den er nicht lüften konnte. Nur eine todte Frau hatte er gesehen und Menschen um sie herum. Aber die Todte war todt, und die Lebenden um sie waren ihm wie Automaten vorgekommen, die von der Todten nichts wußten.
Durch die Mittheilungen des alten Freiherrn war ihm ein Licht geworden, das ihm das Dunkel aufhellte, aber nur, um ihn in Untiefen und Abgründen blicken zu lassen, an deren Rande er schwindelig werden konnte und an deren Wänden und auf deren Grunde er doch nur wieder neues, tiefes Dunkel sah. Er hatte mit lebhaftem Interesse, vielleicht mit lebhafterem als er wollte, dem Freiherrn zugehört. Als dieser endete, war er wieder ganz der ruhige, besonnene, klare Inquirent.
»Und nun, mein Herr,« sagte er zu dem Freiherrn, »vor Allem die Beweise für die Mittheilungen, die Sie mir gemacht haben.«
»Ihr Verlangen ist gerecht, mein Herr,« sagte der Freiherr. »Ich war darauf vorbereitet und sammle schon seit drei Wochen. Hier.« –
Er legte dem Assessor einen Haufen Papiere vor. Aber der Assessor, ehe er sie einsah, hatte eine Frage an ihn.
Er hatte eine ähnliche, fast dieselbe Frage vorhin an den Freiherrn Carl von Falkenburg gehabt, der nun freilich ein Anderer sein sollte. Der junge Freiherr hatte ihm nicht antworten können.
»Wie, mein Herr,« fragte der Assessor den Freiherrn Oswald, »Sie waren seit drei Wochen darauf vorbereitet, daß die unglückliche Frau hier durch Gift sterben werde?«
Der alte, gewandte, frivole Edelmann verfärbte sich doch, freilich nur leicht.«
»Pah, mein Herr, nicht auf den Tod, aber auf die Verfolgung meiner Rechte bereitete ich mich vor, mußte ich mich vorbereiten. Als vor drei Monaten diese Abenteurer-Familie hier ankam und eigentlich von meinem Eigenthum Besitz nahm, wurde ich doch neugierig, den Mann, den auch ich damals für meinen Neffen hielt, mit Frau und Kind zu sehen. Ich kam verborgen, ich sah sie nicht, aber ich hörte Mancherlei, was mir Zweifel erwecken mußte, so denn wirklich mein Neffe hier sei. Ich mußte Gewißheit darüber haben. Ich reiste nach Frankreich, nach der Schweiz, ich zog Erkundigungen über meinen Neffen ein. Ich erfuhr nur von seinem wilden Lebenswandel, nichts, was mich seinen Tod hätte ahnen lassen. Ich konnte nur entferntere Bekannte von ihm antreffen, die in der letzteren Zeit nicht mit ihm verkehrt hatten, aber Alle waren der festen Ueberzeugung, daß er seine ehemalige Geliebte nie und nimmer werde geheirathet haben. Nun mußte ich ihn selbst sehen, ihn und seine Frau. Ich kehrte hierher zurück, ich sah nicht die Frau, aber ihn, und ich sah auf der Stelle, daß nicht mein Neffe, nicht ein Freiherr von Falkenburg, daß ein Fremder, ein Betrüger vor mir stand. Wo war mein Neffe? Was war aus ihm geworden? Vor drei Wochen reiste ich nach Paris zurück. Dort suchte und fand ich jetzt nähere Bekannte von ihm; sie wußten, daß er vor etwa vier Monaten in sehr schlechter Gesellschaft nach der Schweiz, nach Genf, gereist sei. Seitdem hatten sie nichts von ihm gehört. Ich reiste nach Genf. Der Name Freiherr von Falkenburg war dort unbekannt, bei der Polizei, bei ehrlichen Leuten. Aber von unehrlichen Leuten konnte ich ihn vielleicht erfahren. Ich ging in den Cercle des Etrangers. Er gehört einem – pah, was geht es mich an? Dort trifft man Spitzbuben von allen Nationen, am meisten Franzosen. Ich fand nur Unbekannte. Aber einer dieser Unbekannten fixirte mich, drängte sich an mich. Es war ein echtes französisches Spitzbubengesicht. Ich wich ihm nicht aus und – lassen Sie mich kurz sein, mein Herr – der Mensch fand eine Familienähnlichkeit in mir mit einem jungen Mann, der vor etwa drei Monaten in der Nähe von Genf von einem andern jungen Mann erschossen sei. Ich fragte Näheres, mein Spitzbube selbst war der Sekundant des Erschossenen gewesen. Ich erfuhr von ihm, was ich Ihnen vorhin über das Duell mitgetheilt habe. Aus den Beschreibungen blieb mir nicht der geringste Zweifel über die Persönlichkeiten. Der Erschossene war mein Neffe gewesen, der Mörder war derselbe Herr, den ich hier im Schlosse als meinen Neffen gesehen hatte, und der alte Theodor war dem Franzosen gar dem Namen nach bekannt. Ich hatte Boden und ermittelte leicht das Weitere, das ich Ihnen erzählt habe. Ich ließ gerichtliche Documente darüber aufnehmen. Sie liegen hier vor Ihnen.« –
Der Assessor sah die Papiere ein. Sie bestätigten die Mittheilungen des alten Edelmannes; aber über die Hauptsache, über das Duell und die Personen der Duellanten nur die Thatsachen, das Duelliren selbst und das Fallen des einen der Duellanten. Ihren Namen kannte Niemand; wer und woher sie gewesen waren, in welchen Verhältnissen sie zu einander gestanden hatten, welches die Veranlassung des Duells gewesen war, über das Alles wußte kein Mensch etwas. Nur die Personenbeschreibungen trafen zu. Das war freilich vor der Hand genug, es war die zureichende Grundlage für weitere Nachforschungen.
»Aber, mein Herr,« sagte der Assessor zu dem alten Freiherrn, »jetzt die Beweise, daß der gegenwärtige Besitzer dieses Schlosses, nennen wir ihn auch noch den Freiherrn Carl von Falkenburg, seine Frau vergiftet habe.«
»Sie werden auch diese erhalten, mein Herr,« erwiderte der alte Edelmann, »nur allerdings nicht urkundlich. Haben Sie die Güte, mir noch wenige Augenblicke zuzuhören.
Mit meinen Nachrichten, die ich in Frankreich, der Schweiz und Oesterreich eingezogen hatte, mit meinen Dokumenten, die jetzt in ihren Händen sind, reiste ich hierher, um sie dem sauberen Freiherrn vorzulegen. Zu welchem Zwecke? fragen Sie mich. Ich liebe keine Weitläuftigkeiten; ich bin rasch von Entschluß und bin gern schnell am Ziel; langwierige Prozesse bei den Gerichten habe ich erst recht kennen und hassen gelernt. Endlich bin ich gutmüthig – in der That, sehen Sie mich nur darauf an! – ich wollte den Menschen und die Frau nicht als Betrüger und Fälscher ins Zuchthaus bringen. Alles glaubte ich leicht und mit einem Male zu erreichen, wenn ich gerade und offen mich an den Mann selbst wendete. Ich dachte, er werde Gott und mir danken und mit Sack und Pack sich davon machen und mir mein Eigenthum zurückgeben.
Teufel, ich habe mich geirrt.
Am vorigen Sonnabend des Abends kam ich hier an. Ich ließ mich bei dem Freiherrn melden; er nahm mich an, obwohl es schon spät war. Ich hielt ihm sein Sündenregister vor und ließ ihn die Papiere einsehen. Doch ich hatte mich geirrt, verrechnet. Ich hatte es mit einem ausgemachteren Schurken zu thun, als ich erwartet hatte. Er hörte mich kaltblütig an, stellte mir ruhig anheim, einen Prozeß gegen ihn anzufangen und forderte mich dann auf, das Schloß zu verlassen und mich hier nicht wieder sehen zu lassen, widrigenfalls er mich mit den Knechten und Hunden vom Schloßhofe jagen werde. Ich mußte gehen, ich mußte ihn verlassen. Ich hatte einen dummen Streich gemacht.
Und als ich ging, machte ich den zweiten.
Die Zimmer des Freiherrn liegen oben im zweiten Stock. Er begleitete mich nicht hinaus, als ich ihn verließ. So ging ich allein die Treppe hinunter. Ich ging ärgerlich, verdrießlich. Ich kam in den ersten Stock. Auf einmal kam mir ein Gedanke, in meinem Aerger leider ein einfältiger. In dem ersten Stock lagen die Zimmer der Frau. Ich kannte die Zimmer, da meine Mutter sie schon bewohnt hatte, dann meine Schwägerin, jetzt die angebliche Freiherrin. Ich wußte es, ich wußte auch, daß sie allein schlief; nur eine alte Amme schlief neben an. Ich hatte mich schon bei meinem früheren Hiersein nach Allem erkundigt.
Zu ihr! rief es auf einmal in mir. – Sie ist ein schwaches Weib. Sie wird gestehen!
Ich war schon an der Thür ihres Schlafzimmers. Ich versuchte die Thür zu öffnen, es gelang, ich war in dem Zimmer. Sie schlief und ich weckte sie. Sie wollte aufschreien, ich hielt ihr den Mund zu und erzählte ihr unterdeß, wer ich sei, wer ihr Mann sei und wer sie sei. Schreien konnte sie nicht, aber hören, und wie sie genug gehört hatte, hatte sie keine Lust mehr zu schreien. Sie gestand mir vielmehr Alles. – Ja, Alles, mein Herr. Sie sehen mich wieder ungläubig an, aber ich schwöre Ihnen auf meine Cavalierehre, in der armen Frau hatte ich mich nicht getäuscht – desto mehr in jenem Schurken.
Die Frau gestand mir Alles, versprach mir Alles unter Thränen und Klagen – es schnitt mir in das Herz. Sie wolle mit Mann und Kind fort, sie wolle keinen Theil mehr an dem Raube haben, sie habe hier ohnehin keine glückliche Stunde gehabt. Ich glaubte es ihr. Ich wurde gerührt, denn ich habe in der That ein weiches Herz, ich versprach ihr eine anständige Abfindung für sich und ihr Kind. Wir waren einig. Ich verließ sie, und – ich hatte meine Rechnung mit ihr, aber ohne den Wirth gemacht.
Im Corridor begegnete mir der Freiherr. Er hatte meinen Wagen nicht wegfahren hören, das war ihm verdächtig vorgekommen. Er hatte nachsehen wollen, was vorgehe, da sah er mich aus dem Zimmer seiner Frau kommen. Ich enteilte ihm, aber ein unruhiger, ein entsetzlicher Verdacht kam jetzt über mich. Ich fuhr auf der Stelle fort, allein draußen am Walde ließ ich halten. Ich schlich zum Schlosse zurück, unter die Fenster des Freiherren. Sie waren dunkel, sie erhellten sich; sie wurden wieder dunkel, wieder hell. Nach anderthalb Stunden erst legte er sich zu Bett. Wo war er hin und hergegangen? Was hatte er gemacht? Eine dunkle Ahnung wollte es mir sagen. Gewißheit erhielt ich am folgenden Abend.
Die Freifrau war todt, sie war an Gift gestorben, ihr Mann hatte sie in der Nacht vergiftet. Er hatte sie vergiftet, damit sie nicht mehr Zeugniß ablegen könne, gegen ihn, gegen sich selbst, gegen ihr Kind.
Zweifeln Sie noch daran, mein Herr? –«
Hatte der Assessor noch Zweifel?
In jener Nacht war die Frau vergiftet, das stand nach Allem fest. In jener Nacht war ihr Mann in ihrem Zimmer gewesen; auch daran war, nach dem, was die Amme dem Rentmeister, und dieser wieder dem Assessor mitgetheilt hatte, schwerlich zu zweifeln. Freilich war auch der Freiherr Oswald in dem Zimmer gewesen.
Aber Einer von Beiden mußte demnach der Mörder sein. Wer von ihnen war es?
Der Freiherr Oswald hatte kein Interesse an ihrem Tode gehabt. Im Gegentheil – er hatte Recht – er hatte eine Zeugin an der schwachen, leidenden Frau verloren, die dem ersten Andringen eines Inquirenten keinen Widerstand hätte leisten können.
Gerade ein um so entschiedeneres Interesse an ihrem Tode hatte ihr Mann. Ihn auch hatte die Amme in dem Zimmer zu der Zeit anwesend geglaubt, da ihr das Gift beigebracht sein mußte. Ihn hatte sie selbst für den Mörder gehalten, und sie hatte deshalb dem Inquirenten die ganze Nachtscene verschwiegen. Der Mann selbst, der noch als der Freiherr Carl galt, hatte geradezu behauptet, seine Frau in der Nacht nicht gesehen zu haben; er wollte zuletzt am zweiten Tage vor ihrem Tode bei ihr gewesen sein. Er hatte zu der Kranken keinen Arzt geholt; wie hätte er das namentlich dann unterlassen, wenn der Freiherr Oswald, sein Todfeind, der Mörder war?
Den letzteren, den Freiherrn Oswald wenigstens glaubte der Assessor nach dem Allem mit dem Morde nicht mehr in Verbindung bringen zu dürfen.
Und doch sah dieser Mensch so widerwärtig, so falsch, so unheimlich aus, und sein ganzes Wesen war die gemeinste Frechheit, die dreisteste Lüge. War es möglich, daß er dem Assessor, in Allem die Wahrheit gesagt hatte?
Noch eine Möglichkeit blieb übrig: der Selbstmord der Frau. Schon der Dorfpfarrer hatte darauf hingedeutet, der Assessor hatte später einige Male daran denken wollen. Aber jetzt konnte er es kaum mehr, nach der Mittheilung der Amme mußte das Gift der Frau nothwendig durch einen Andern eingegeben sein, und wie hätte die Frau zu dem Gifte auch wohl kommen sollen?
War dagegen nicht dieses Gift gerade wieder eine erhebliche Anzeige gegen den vermeintlichen Freiherrn Carl? Dieser sollte Arzt sein; nur ein Arzt oder ein Chemiker konnte vertraut sein mit der geheimnißvollen Zubereitung des Laudanum aus Opiaten und Saffran. In Frankreich sind die Aerzte häufig tüchtige Chemiker, die selbst die Arzneien bereiten. Nur durch Laudanum konnte, wie der Assessor sich sofort überzeugt hatte, die Verstorbene vergiftet sein.
Freilich mußten dem Assessor wieder alle jene Bedenken einfallen, die er sich früher gegen einen Mord von Seiten des Gatten der Verstorbenen gemacht hatte. Freilich mußte ihm ein erhebliches neues Bedenken hinzutreten.
Was nämlich war durch den Tod der Frau, durch die Beseitigung dieser Zeugin, für den Mann, der sich als den Freiherrn Carl von Falkenburg ausgab, gewonnen? War nicht der alte Theodor noch da? Nicht er selbst? Blieben sie auch Beide stumm, vermochte auch keine Macht und keine List eines Criminalrichters nur ein einziges Wort ihren Lippen zu entlocken, waren sie nicht doch durch ihre Personen allein die überzeugendsten, die vollgültigsten Zeugen gegen sich selbst? In jenem südfranzösischen Städtchen waren sie bekannt. In Paris, in Genf waren die Personen zu finden, die den erschossenen Freiherrn und dessen Kammerdiener gekannt hatten, die dabei zugegen gewesen waren, wie der Freiherr von dem erschossen war, der sich jetzt dessen Namen und Rechte anmaßte, der dessen verstoßene Geliebte zu einer Freifrau von Falkenburg erhoben hatte. Nur zwei von jenen Personen brauchten herüber zu kommen, sich den angeblichen Freiherrn und den alten Diener anzusehen, und der schändlichste Betrug war entdeckt, und für die Betrüger war nur das Zuchthaus da. Jene Personen mußten aber herbeigeschafft werden. Ließ das Criminalgericht sie nicht herkommen, der alte Freiherr Oswald durfte und konnte keine Mühe und kein Opfer scheuen, um Zeugen zu gewinnen, deren Aussagen ihm Millionen einbrachten. –
»Zweifeln Sie noch, mein Herr?« hatte der Freiherr Oswald den Assessor gefragt.
Der Criminalrichter erwiderte ihm: »Der Inquirent muß lange zweifeln, bis er vollgültige gerichtliche Beweise gewonnen hat.«
»Und wie werden Sie diese zu gewinnen suchen?«
»Ich denke, das ist meine Sache.«
»Allerdings – auch die Verhaftung, und wie ich meine, die sofortige Verhaftung der beiden Betrüger, die noch hier sind!«
Der Assessor antwortete nicht.
»Bedürfen Sie meiner noch?« fragte ihn der Freiherr.
»Für den Augenblick nicht.«
»So habe ich die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.«
Der alte, häßliche, unheimliche Edelmann ging, und der Assessor mußte es sich gestehen – nicht wie ein Mörder, sondern wie ein Sieger.
Aber ist nicht gerade der Sieger oft ein Mörder?
Der Assessor mußte sich aber auch noch ein Anderes sagen:
»Der alte Freiherr hat nach diesen Dokumenten Recht. Zuerst müssen die Beiden verhaftet werden, und zwar auf der Stelle.«