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Herr V. D. M. Gottfried Michel, seit wenigen Jahren wohlbestallter Pfarrherr zu Rüschegg, war bei einem Bauernhause im Gfell untergestanden. Große Tropfen klatschten in heulenden Windstößen gegen die altersgraue Bretterverschalung der Laube. Bald knisterte dichter Regen auf dem morschen Schindeldach, und es ward — nachmittags um die Kaffeezeit — so finster, als würfe schon die Nacht ihre Schleier über die Berge. Ein Blitzstrahl blendete desto grausiger. Unwillkürlich blickte der junge Pfarrer nach dem Hügelrücken, auf welchem das kleine Turmspitzchen seines Kirchleins, kaum erkennbar, aus Tannenwipfeln ragte. — Nein, es hatte nicht dort eingeschlagen. Wohl eher im Unterscheidwalde drüben. Dort schien eine Tanne zu rauchen. Oder war es nur ein Nebelfetzen? — Es war nun schon das dritte Gewitter heut. Alles lag in Dampf und Nebelschwaden. Der Donner rollte seit dem frühen Morgen fast ununterbrochen. In den Widerhall, der an den Waldhängen vom Gurnigel bis hinaus zum Guggershörnli hin und her lief, als suche er umsonst einen Ausgang in freie Weiten, krachten immer neue Schläge.
«Chömit yne, Herr Pfarrer, es brätschet ja bis a d’Wand hingere.»
Die dürre Hand der Bäuerin zupfte an des Pfarrers Aermel. Aber Herr Gottfried rührte sich nicht.
Bald darauf kam sie wieder: «Chömet yne, i machen Ech es Gaffee.» Es half nichts.
«I wott ihm e chly zueluege,» antwortete er, «me gsehts da eso schön.»
Gern hätte die Bäuerin gesagt: «So bättet mr emel de o derfür», denn ihr bangte bei dem Brüllen des Donners um Haus und Vieh. Sie brachte es jedoch nicht über die Lippen.
Aber was eine Bäuerin sich in den Kopf gesetzt hat, gibt sie so schnell nicht auf. Mochte er dem Toben des Wetters zuschauen, ihretwegen «bis gnue». Uebrigens, wer weiß! Vielleicht betete er doch dabei, ohne Worte zu machen. Sie verstund auch zu warten, wenn man darob, wie heute, nichts versäumte. Als der Regen ein wenig nachließ und der Pfarrer dachte, jetzt wär’s zu wagen, er möchte doch wissen, ob seine Frau sich nicht gefürchtet, vertrat ihm die Bäuerin den Weg und nötigte ihn in die Stube, wo sie für den Pfarrer den Tisch gedeckt hatte, vorn in der Ecke, so daß er nach zwei Seiten das Wetter beobachten konnte, falls er davon noch nicht genug hatte. Sie schenkte ihm ein, daß die Milchhaut in die Tasse platschte, legte vor und blieb mit verschränkten Armen am Tische stehen. Die Milch war so heiß eingeschenkt, daß man notgedrungen erst ein wenig plaudern mußte.
Als ihm vorkam, er hätte dem Imbiß reichlich zugesprochen, erhob sich der Pfarrer. «Jitz mueß i aber doch ga luege, was d’Frou macht.»
«Eh für was o! Es isch ja jitz übere.»
«Ja, aber villicht wartet öpper uf mi.»
«Eh wär wett o vo Hus bi däm Wätter!»
So ging es weiter. Aber endlich gelang es ihm doch, seinen Dank zu erstatten und loszukommen.
Kaum auf dem Sträßchen draußen, erblickte Pfarrer Michel tief unten auf dem Wege, der sich dem Bach entlang nach Rüeggisberg hinausschlängelt, einen seltsamen Menschen rüstigen Schrittes talwärts wandern. Er war feierlich schwarz gekleidet, trug in der einen Hand einen Stock, in der andern den breitrandigen Panama-Hut und ließ seine Blicke links und rechts schweifen, als wollte er sich von dem Landschaftsbild nichts entgehen lassen. Soviel von hier aus zu erkennen war, trug er einen dunkeln Vollbart und üppiges krauses Haupthaar. Langsam folgten des Pfarrers Blicke dem seltsamen Wandersmann. Erst als die einen kleinen Engpaß überwölbenden Bäume diesen verschlungen hatten, wandte er sich heimwärts. Die Frau Pfarrerin empfing ihren Mann an der Haustüre mit einem lauten «Gott sei Dank!»
«Hesch di öppe gförchtet?»
«Und wie!»
«I ha’s no dänkt», entschuldigte sich der Pfarrer. «Bi halt im Gfell z’Schärme gangen und du natürlech bhanget. — Das het emel o gmacht.»
«Ja, i hätt afange bald der Sigerischt gheisse ga sturmlüte, für dir Bei z’mache.»
«Es het doch nid ygschlage hie umenand?»
«Ygschlage? Nei, nid wägem Wätter. I ha’s nid zum erschtemal ghöre donnere, aber dä Möntsch...» Die Pfarrerin legte die Hand auf ihre noch immer wie im Schreck wogende Brust.
«Was für ne Möntsch?»
«Hesch ne nid atroffe? Er louft wie-n-e Schelm düre Graben us — i dyne Chleider.»
Das sagte die aufatmende Frau, als erstattete sie dem Landjäger Anzeige. Der Pfarrer aber schnalzte mit der Zunge. «Der Düß öppe?»
«Prezis. — Jsch das jitz dä, wo du mr so mängisch erzellt hesch von ihm? Dä wo di Gschicht gha het mit däm Meitschi?»
«Es macht mr alli Gattig. Aber, wo geit er hi? Er louft würklech wie wenn er hie gstole hätti. Er wird doch nid öppe...?»
«Wie me’s nimmt. Los, das mueß i jitz scho säge, du hesch echly kuriosi Fründ, du.»
«Er isch der harmlosischt Kärli, wo uf der Wält umenand louft.»
«’s cha sy; aber weisch, mit so eim muetterseelenallei im Hus, bi settigem Wätter, wo’s alli Bott chlepft, daß me der Bstuch underem Täfel ghört brösmele. Und fyschter isch es ja gsi zum Förchte, und de steit dir undereinisch so eine-n-i der Stube, wie vom Blitz ynegschnellt, und luegt umenand, daß me sech fragt, ob er nid lätz im Chopf sygi. — Emel e Schutz het er. Das redsch mr nid us. Er isch nid wie ander Lüt.»
«Wie ander Lüt!» lachte der Pfarrer auf. «Wie sy ander Lüt? — Wär isch das? — Und wenns am Änd eso wär, daß grad juscht settigi...»
«Di normale wären und mir die lätze?»
«Was isch normal? — Normal, das het irged e Sturm erfunde, wo gmeint het, er sygi fertig gchüechlet vom Olymp abecho. I wott eifach nüt ghöre vo Norm und normal. Mir sy alli nid wie mr sy sötte. Das isch, was me sicher weiß. Und wär dem Ideal necher isch oder wyter ewäg, das söll mi niemer welle cho brichte, und no viel weniger, wär Gott am nächschte sygi. Me wird sech einisch de no wundere, was für Chöuseni vornen a stande bim große Defiliere. Und wär weiß, vo Gottes Thron us gluegt, isch alles numen eis Glid, wo mir is en unermäßlechi Colonnetiefi ybilde.»
«Söll i öppe grad afah nacheschrybe für nächschte Suntig? — I förchte nume, dyni Rüschegger syge de alli i eim Glid, wenns a ds Begryfe geit.» Jetzt hatte die Frau das Lachen wieder gefunden. «Also mr wei anäh, dy Fründ sygi norm... excusez, sygi...»
«Sägs nume: Gott nächer als der Pfarrer vo Rüschegg. Ja, ja, wär weiß! ‹Er hat viel geliebt,› cha men einisch von ihm säge, ‹viel geliebt›!»
«Aber sy Liebi gschändtet.»
«Mr wei säge: vergüdet. Gschändte tuet dä, wo überchunt und ’s nid weiß z’schetze... Hm... hm.» Der Pfarrer lief in der dunklen Stube auf und nieder. Endlich fuhr er fort: «Also eigetlech mir. Mir hei se gschändtet, und — me darfs schier nid säge: der lieb Gott het se vergüdet. — Wohl wohl, so isch es, erchlüpf nume nid! Aber mir sy d’Schuld, daß si vergüdet isch. ’s isch anders gmeint gsi. Wenn mir äbe wäre, wie mr sy sötte... so müeßti me nid vo Güde rede.»
Ein Wetterschein erhellte das Zimmer, und aus weiter Ferne rollte bald darauf ein weiches majestätsvolles Donnern in die Stille des Pfarrhauses.
Eine Weile hörte man das Ticken der Wanduhr. Dann fing der Pfarrer wieder an: «Aber jitz üse Düß! Erzell mr. I weiß ja no gar nid, was du mit ihm erläbt hesch.»
«Wenn d’ mr o wettisch lose...»
«Red! I schwyge.»
«Ja, i kenne das. Du hesch es grad wie hütt ds Wätter. Ob jedem Vogelpfiff fahsch wieder a.»
«Nu, so pfyf jitz. I ha verdonneret.»
«I wetti nume, du hättisch ne gseh cho. Das heißt, i ha ne ja o nid gseh cho, sünsch wär’ i weniger erschrocke. Er isch undereinisch dagstande, was söll i säge, wie usem Bach zoge, groß und breit und fyschter, und ds Wasser isch z’ringsetum von ihm abtropfet. Lue da, am Bode! — I bi no schier an ihn gschosse, wil i grad use welle ha. Es isch mr, gloub, e Brüel etwütscht. ‹Nüt für unguet,› seit er, ‹daß i grad so ynechume; aber es isch mir, i syg jitz dünklet gnue für i das Heiligtümli. Wän der Himmel sälber touft, darf überall i der Wält zuechesitze. Oder öppe nid? Und dür ds Füür bin i o gange. I fah jitz de afah gloube, i sygi doch no für öppis i der Wält, sünsch wär’ i dem Blitz nid ertrunne. Heit Drs nid ghört chlepfe dert äne? — Grad näbe mr i ne Tanne. Lueget, da uf der Syte hets mr Ermel und Hosebei tröchnet. ’s het dampfet; aber jitz ischs halt ume naß.› Hättisch du ne nume ghört lache! Wie der Tüfel i der Schwarze Spinnele.»
«Bisch du dert derby gsi?»
«I cha drs säge, i ha mi z’grächtem gförchtet. Und du fragt er du no: ‹Dir syd doch d’Frou Pfarrerli?› — I ha grad anenand hinderem Halszäpfli bättet.»
«So? Jitz hesch emel einisch i dym Läbe bättet, daß d’säge darfsch, es isch bättet. Han i’s nid gseit, dä Ma...»
«Lue jitz. Han i nid gseit, du fahjisch ob jedem Pfiff wieder a predige?»
«Pfyf nume wyter, i schwyge. Und du...?»
«Ja und du? I myr Angscht han i du welle Liecht mache. Mer hei d’Felläde zuezoge gha, wils es paar Steinli gä het. Aber i ha gschlotteret am ganze Lyb, und d’Lampe het gchlingelet und i ha mit dem Zündhölzli geng dernäbe greckt. Da seit er: ‹Wartet, i will das mache›, müpft mi dännen und faht a i syne Seck umenusche. — ‹Potz Hagel! Das isch e nätti Zueversicht›, brummlet er und leit alles ufe Tisch, alles flättsch flotternaß, ds Zündhölzlidruckli, der Gäldseckel, ds Mässer, der Tubakseckel, der Naselumpen und was weiß i sünsch no. Aber undereinisch faht er afah lache: ‹Warum heit dir eigetlech am heiterhälle Tag d’Läde zue?› Du stoßt er mr sen uf. ‹Den blauen Himmel raubt ihr mir, doch nimmer meine Sonne›, het er gsunge — und de no schön — und du fragt er: ‹Wo heit Dir eigetlech der Gödel? Eues Pfarrerli, das Männlein Gottes von Rüschegg. — Jäso, Frou Pfarrerli, i ha ganz vergässe, mi vorz’stelle. I bi nämlich der vielgewandte Odysseus, zubenannt der Düß›.
‹Aha›, isch es mr etwütscht, und er seit: ‹Aha! Gället, jitz förchtet Dir Ech nümme. Jitz bin i legitimiert. Ja, ja, i hätt Ech das z’erscht sölle säge, ’s isch wahr. Nämet mer’s nid übel, daß i’s vergäße ha ob däm Wätter.› Und du het er mr du erzellt, er chömi usem Sibethal, übere Ganterisch. Dert heig ne ds Wätter überfalle. Und du syg er über d’Pfyfe cho, heig im Wald der Wäg verloren und syg i allne Greben umegrütscht bis hie abe. — Usgseh het er! Du channsch de dussen uf der Loube di Chleider aluege.»
«Und du?»
«Ja und du! — Vo Chopf bis zu de Füeße han i ne-n-anders agleit. Was han i welle! Dyni Suntigschleider han ig ihm vüregä. Schueh, Strümpf, Hemli, Cravatte, grad alles. Und wo-n-er wieder vürechunt i dym Suntigsstaat, het er nid chönne höre lachen obem Gedanke, was du wärdisch säge, wenn du di sälber de gsehjisch dasitze mit mene Bart und strube Haare. ‹Männlein Gottes von Rüschegg!› het er geng wieder gseit. — Du isch er vore Spiegel gstande, und wo-n-i ne frage, was er z’trinke möcht, hout er sech mit der Hand uf ds Chneu, wie wenn ihm öppis ganz Appartigs i Sinn chäm. Statt mr z’antworte, seit er: ‹Also, grüeßet mr der Gödel, gället, und dankheiget z’hunderttusedmale.› Und wo-n-i ne verstuunt aluege, zieht er es Ryßblei usem Sack und schrybt das da a d’Wand, lue!»
Der Pfarrer trat an die Wand, wo dicht neben der Türe auf das weiße Getäfer die Verse Homers geschrieben standen:
«Aber am Abend entsandt’ ihn die herrliche Göttin Kalypso,
wohl in Kleider gehüllt voll süßen Geruchs und gebadet.»
«Ja und du?» fragte der Pfarrer.
«Ja und du!» antwortete, halb lachend, halb vorwurfsvoll seine Gattin. «Da gsehsch jitz, was du für Fründ hesch. — Wo-n-ig ihm säge, er wärdi doch gwüß no nes Taßli Café mit mr trinke, lachet er mi a: ‹Halte mich nimmer zurück, du herrliche Göttin Kalypso!› Ja, so ungfähr het er gseit. Und wo-n-i no einisch mit mym Café chume, isch er scho dussen und furt. — I hätt’ ihm der Sigerischt nache gschickt, wenn i gwüßt hätti, wo dä Stopfi sueche.»
Der Pfarrer ließ sich aufs Ruhbett fallen und lachte: «Das isch üsen alte Düß, wie er leibt und läbt.»
«Aber dyni Suntigchleider!»
«Kei Chummer, Marie, die kriegen i ume, du channsch druuf zelle.»
«Zum Staat mache sy si de allwäg nümme. — Aber chumm, lue jitz das Gwandli, wo-n-er hie zrückgla het.»
Auf der Laube draußen hing ein erbärmliches Gehudel. «Isch es nid schröcklech?» lachte die Frau Pfarrerin. «Währeddäm ers dinne, i der Schlafstube, abzoge het, han i ne ghöre singe: ‹Das Laub fällt von den Bäumen›; aber nachhär hets ne doch echly geniert. Wo-n-i wott ga useruume, für uf d’Loube dermit, het er alles a ne-n-Arvel gnoh und isch a mr vorby. ‹Wo söll i hi dermit?› ‹Da›, sägen i, ‹uf d’Loube, wenn dr weit so guet sy.› — ‹Oder drüber us?› meint er, ‹nei gället, Frou Pfarrerli, Ordnung, heilige Himmelstochter!› und bängglet der ganz Bündtel da i Egge. ‹Gmüejet Ech emel de nid dermit. I chume de einisch ungsinnet wieder cho changiere.›»
«Das begähren i nid,» sagte der Pfarrer nachdenklich und mit Wehmütigem Unterton, «myni Suntigchleider söll er nume bhalte.»
«Aber Mandli!»
«Wohl wohl, i wott se nümme. Das ‹Männlein Gottes vo Rüschegg› mueß er büeße, und sy eigete Plunder schickt men ihm suber gwäschen und g’glettet nache. — Wenn er no einisch wott cho changiere, so söll ers inwändig, am ‹verborgene Mensche des Härzens›.»
Die Frau Pfarrerin hatte ein Lachen in den Augen, als sie ihrem eifernden Gemahl antwortete: «I ha gmeint dertdüre...»
«Ja ja», fiel er ihr ins Wort. «Es isch wahr, dertdüre wärs schad am Düß öppis z’ändere. Es isch eigetlech nume sy üssere Möntsch, wo i keim Gleis wott loufe. Der inwändig isch uf ds rächte Ziel ygstellt. — Ja ja, du lachisch geng, aber gloub mir nume, das isch so, jawolle, das isch so, und das isch ganz en ärnschti Sach, so z’sägen e heiligi.» Er ging in seiner Studierstube auf und nieder und hatte in seinem Herzen ein echtes klemmendes Weh um den guten Kameraden, während die Frau Pfarrerin in der Küche vergeblich sich mühte laut zu pfeifen, weil es ihr immer wieder die Lippen zum Lachen verzog.
Auf einmal ging wieder die Türe zum Studierzimmer auf. Die Frau Pfarrerin steckte den Kopf hinein: «Was het er eigetlich gstudiert?»
«Alles.»
«Und was trybt er jitz?»
«Er studiert im sächzigschte Semeschter ds Läbe, vo der Geburt a zellt natürlech.»
* * *
Im «Bären» zu Flüehbrunnen saßen einige Männer um den hintersten Tisch herum, der sonst gewöhnlich leer blieb. Das kam daher, daß heute sich ihrer zwei dort niedergelassen hatten, die man an gewöhnlichen Werktagen nicht im Wirtshaus sah, der Chrigi vom Chalte Färrich und Gäälmatten-Hans. Sie hielten zwar ihren Abendschoppen für hinlänglich gerechtfertigt durch den gewitterreichen Tag, der es heute nie zu einer dauernden Arbeit kommen ließ. Aber eineweg, es brauchte sie auch nicht jeder Vorübergehende durchs Fenster dasitzen zu sehen. Und dann hatte sich eben dort in der vordern Ecke, wo man sonst immer saß, ein Unbekannter eingenistet, nach der Kleidung zu schließen ein Pfarrer. Der schwarze Mann sürggelte schon seit wenigstens einer halben Stunde an einem Schoppen Waadtländer und las die Zeitung.
Es kamen dann bald noch andere, Leute, die durch das Wetter an der Ausübung ihres Broterwerbs nicht beeinträchtigt worden. Immerhin waren sie der Meinung, man hätte der Finsternis halber schon früh Licht machen müssen, und das hätte sich nicht gelohnt. Der Gemeindeschreiber blieb mitten in der Stube stehen, warf einen mißtrauischen Blick nach dem Mann hinter der Zeitung und setzte sich zum Gäälmätteler. Dann kam der Krämer Müller. Er stapfte mit Augen, die nicht sahen, gegen den Tisch in der Fensterecke. Schon im Begriff, sich am gewohnten Platz niederzulassen, entdeckte er jetzt erst, daß da einer saß, der nicht zum Höck gehörte. Um seine Zerstreutheit zu maskieren, zog er einen Stumpen aus dem Gilettäschlein und machte am Zündholzstein, der neben des Fremden Flasche stand, umständlich Feuer an, wobei er den Zeitungsleser gemächlich betrachten konnte. Und wie er jetzt eben aus dem Stein Feuer gestrichen, wollte er auch den schwarzen Mann da veranlassen, Farbe zu bekennen.
«Gueten Abe, Herr Pfarrer», sagte der Krämer auf gut Glück.
«Gueten Abe wohl,» antwortete der andere. Er hob kaum die Augen von der Zeitung, netzte vielmehr den Finger und wandte ein Blatt herum, als stünde da wunder was Wichtiges zu lesen.
Der Krämer setzte sich nun zu den andern hinten in der Stube, wo ihn der Gemeindeschreiber alsobald leise fragte: «Bchennsch du dä?»
«M’m.»
«Wohär weisch de, daß es e Pfarrer isch?»
«Das cha me ja gryfe», meinte der Krämer, und die andern lachten mißtrauisch.
«Äine het o gmeint er heig der Fuchs,» sagte der Färrich-Bauer, «wo-n-er i nes Härdloch yhegreckt un öppis Ghaarets gspürt het. Und du isch es e totni Chatz gsi.»
Sie blähten ihre Rücken, senkten die Köpfe und lachten in den Tisch hinein.
«Jä», bestätigte der Gemeindeschreiber, «es treit no mänge ne schwarzi Chutten un isch wäge dessi nid meh Pfarrer weder du un ig.»
«He, wenn ig ihm doch gseit ha, ‹Herr Pfarrer› un är mr no Bscheid tuet druuf u nüt erwideret!»
«Das wott no nüt säge.»
«Item, das isch my Gotts Seel e Pfaff», knurrte jetzt der Krämer, verdrossen durch das Mißtrauen in seine Menschenkenntnis. So, dachte der Fremde, der jedes Wort verstanden hatte, wartet nur, ich will mir den ‹Paffen› hinter die Ohren schreiben. Am hintern Tisch wurde derweil ein Jaß begonnen, und Lisette Wälchli, die Wirtin, erhielt den Wink Klarheit zu schaffen über Stand und Herkunft des Mannes in der Fensterecke. Sie sagte gleich: «Eh weder nid isch das e Pfarrer.»
«Gäll, Liseli, gäll!» schnappte der Krämer ein. «Ja ja, mir bchenne ds Volch, du un i. Dir angere gseht geng nume glychlig Lüt. Aber bi üs beedne fahrt öppe chehrium e chly alls ungere Trouf.»
Eine Zeitlang hörte man nun nicht viel anderes als das Aufklatschen der Spielkarten, etwa einmal einen Faustschlag auf den Tisch, die üblichen Redensarten der Spieler, wie ‹Yschäiche› oder ‹das isch ifalt gange› oder ein jähes Aufwiehern.
Auf einmal ward es totenstill. Die Wirtin trat zum Fremden. «Herr Pfarrer», sagte sie laut und deutlich, «cha men Ech no nes Schöppli bringe?»
«He ja, guet», antwortete er.
«Heit drs jitz gehört?» fragte der Krämer.
«Me sötti schier meine, du heigisch dä Chehr guet errate», meinte der Gäälmätteler. Und der Krämer versicherte: «He z’Donner, me isch doch nid erscht nächti uf d’Wält cho.»
Das Gespräch, welches die Wirtin weiter zu spinnen wußte, beseitigte bald die letzten Zweifel. Es sei ein leider Tag gewesen zum Wandern, sagte sie, worauf der schwarze Herr antwortete, das sei ihm einerlei, übrigens werde ja die Nacht schön werden, und er wandere gern bei Sternenschein. He ja, meinte die Wirtin, andern Leuten könnte das wohl passen, so an einem Samstag nachts, aber ein Pfarrer habe doch Sonntags immer seinen strengen Tag. Dem sei allerdings so, gab der Gast zu, aber zur Vorbereitung auf eine Predigt diene nichts besser als eine Nachtwanderung, auf der man so am Herzen der schlafenden Welt ungestört über alles nachdenken könne.
Die Wirtin wollte noch mehr herausbringen. Ob er denn noch einen weiten Weg vor sich habe.
So weit als er wolle, sagte er lachend. Es warte keine Gemeinde auf ihn, eher noch er auf eine Gemeinde.
Der Krämer hatte somit recht behalten. So viel stand fest. Des Fremden Stimme hatte guten Klang, und die ganze Art, wie er sich gab, etwas so Frohes, daß man sich immer besser mit der Tatsache abfand, einen Pfarrer in der Gaststube zu wissen. Es hätte auch gar nichts geholfen, sich weiter darob zu grämen, denn der geistliche Herr bestellte nun noch zu essen, und die Wirtin schien Wohlgefallen an ihm zu finden. Bald sah es aus, als hätten die Parteien stillschweigend eine Wette eingegangen, wer es am längsten aushalte im Hocken.
Das Eßgeschirr war abgetragen, und der schwarze Gast war an seinem vierten Schoppen. Da deutete er auf einmal nach der andern Ecke. «Was heit dir da für nes Psalterspiel?»
«O das isch Rötele-Miggels Gitarre, ’s weiß ke Möntsch, wo-n-er sech umetrybt. Jitz isch er de bal es Jahr furt.»
«La gschoue», sagte der Gast und holte sich die arg verstaubte Zupfgeige herunter. Er drehte an den Wirbeln, spannte die klirrenden Saiten, bis sie wieder Klang gaben, und hub erst leise, dann kräftig zu singen an, meist Studentenlieder.
Auf dem Dorfplatz blieben die Leute stehen, und es währte nicht lange, so erschien an jedem Fenster eine Reihe von jungen Gesichtern. Da einer der Gäste, die sich nach und nach vermehrten, umständlich die Pfeife anzündete, fiel einen Augenblick heller Lichtschein auf einen schönen Mädchenkopf, der vor dem Fenster nach den seltenen Klängen lauschte. Die Helle währte nicht länger als etwa ein Wetterleuchten. Aber sie hatte genügt, um dem Sänger zu verraten, daß er unversehens in die Rolle eines Troubadours getreten sei. Die Augen des Mädchens hatten nicht gleichgültig geblickt. Es hatte ihm etwas ans Herz gegriffen. Wie im Gleitflug eines Traumes zog das Bild seiner Jugend an ihm vorüber. Verheißungsvolles Morgenrot, brausender Frühlingssturm, der vieles knickte und ihn nun nirgends mehr Fuß fassen ließ. Suchend, wiederheischend gingen seine Blicke durch das Fenster. Aber dort war und blieb es finster, und kein flüchtiger Lichtstrahl wollte abdecken, was die Schatten umfingen. Ohne die Augen von der Fensteröffnung abzuwenden, griff er zitternd in die Saiten und sang mit weh glühender Seele:
Hätt’ gärn amen Ort es Schätzeli gha,
wüßt’ gärn amen Ort es Härz,
wo für ne verschüpfte Möntsch wett’ schla.
Villicht — villicht bisch du’s.
Aber nei, aber nei, weiß nienemeh hi,
es trybt mi vo Hus und Hei.
O, sinnet ächt niemermeh a mi?
Villicht — villicht bisch du’s.
O Muetter, mi deckt ja nümme dy Hand.
Wie isch doch di Wält so chalt!
Wär deckt e Verlorne? — Heimetland,
villicht — villicht bisch du’s.
Von den in der Gaststube versammelten Zuhörern hatte nicht mancher auf die Worte dieses Liedes geachtet; aber das tiefe Weh eines verwundeten Mannesherzens hatte, in Klang aufgelöst, den mäßig beleuchteten Raum erfüllt, so daß eine Weile dumpfes Schweigen herrschte. Es wurde vom leisen Aechzen der Türe unterbrochen, indem noch mehr Neugierige eintraten. Man rückte an den Tischen zusammen, und Frau Liseli leuchtete vor geschäftlicher Genugtuung. Die Schoppengütterli drohten ihr auszugehen, und sie berechnete in allem Herumrennen, wenn es noch eine halbe Stunde so weiter ginge, so möchte es sich lohnen, dem Pfarrer die ganze Üerte zu erlassen. Aber rentieren oder nicht, er singe so schön, daß sie auf keinen Fall einen Batzen von ihm nähme, nein, beim Donner nicht. Im Gegenteil, noch einen fünften Schoppen müsse er drüberein haben.
«Gäll,» sagte der Krämer zu ihr, «das isch o no e Pfarrer. Wenn mir so eine hätte!»
«Ja bigoscht,» pflichtete der Gäälmätteler bei, «das wär jitz öppis angers als dä Längholzfuehrme vo Vikari, wo-n-is üsen ufe Chanzel gstellt het.»
Der Gemeindeschreiber brummte dem Krämer zu: «Wenns öppe de mit üsem Pfarrer fertig macht, so sött me de luege, ob da nüt z’mache wär. Er wär ja mit Schyn z’ha.»
Es waren der Schoppen schon viele zerronnen, und der Mond trat als schneidende Sichel aus perlmutterig flimmerndem Gewölk, als der fremde Gast sein letztes Lied mit übermütigem Ton anstimmte. Es galt der Tafelrunde an der hintern Wand:
Die z’Glüüßlige hei ne Pfarrer gseh,
ne settige findt me sünsch nienemeh,
si meine’s emel, si meine’s.
Die z’Glüüßlige hei ne Pfarrer greicht,
si hei vo allne der freinischt breicht,
si meine’s emel, si meine’s.
Die z’Glüüßlige hei ne Pfarrer gwählt,
dä heig ne-n-äbe scho längschtes gfählt,
si meine’s emel, si meine’s.
Die z’Glüüßlige hei ne Pfarrer gha,
das syg jitz einisch e gäbige Ma,
si meine’s emel, si meine’s.
Die z’Glüüßlige hei ne Pfarrer gnoh,
er sygi grad usem Himmel abecho,
si meine’s emel, si meine’s.
Es war keiner da, der einen bösen Wein trank. Sie waren alle guter Laune, und so kam es, daß die Mannen an der Hinterwand aus dem Liedlein keinen Spott auf sich, sondern den zarten Wink heraushörten, an den Sänger zu denken, falls die Gemeinde Flüehbrunnen etwa in nicht allzu ferner Zeit in den Fall kommen sollte, an Stelle ihres alten kranken Seelsorgers einen neuen suchen zu müssen.
Man lachte breit und voll über die Glüüßliger und nahm sich vor, dann einst nicht nur zu «meinen».
Auf einmal sahen sie, daß der Fremde, den Hut auf dem Kopf, die Stube durchschritt. Da blickten sie auf und waren so still, daß man ganz deutlich den leisen Klang vernahm, den die Gitarre beim Aufhängen an ihren Nagel von sich gab. «So», sagte der Sänger, «jitz bhüet ech Gott alli mitenand.»
«Läbit wohl» und «adie» und «dankheigit emel de no», scholl es von allen Seiten, und die Wirtin trocknete schnell ihre Hand, um sie dem Gast zu reichen. Da gab der Gemeindeschreiber dem Krämer einen Rippenstotz: «Gang, gang hurti! Frag ne no!»
Der Krämer erwischte den Sänger erst, als er schon über die Hausschwelle trat. «Em», fing er an, womit er immerhin den Scheidenden zum Stehen brachte. «Em, dörfti me frage, wie der Herr Pfarrer heißt, wohi men ihm müeßti schrybe.»
«Düß.»
«Düß?»
«Ja, Düß. — Aber loset, wenn dr mir weit schrybe, so müeßet dr nid öppen adressiere: Herrn Pfarrer Düß. Schrybet: Herrn Pfarrer Brändli, Sulgenbach, Bern.»
Der Krämer blickte dem Fremden ins beschattete Gesicht, wie einer, der nicht so recht weiß, was er denken soll. Aus dieser Verlegenheit erlöste ihn ein Lachen des andern. «Düß isch drum nume so my Sängername.»
«Aha, ja ja äbe, ’s het mi düecht,» sagte der Krämer verstehend, «prezis. Also de Brändli im Sulgebach. So so, also nüt für unguet. Adie Herr Pfarrer.»
«Adieu.»
Und der seltsame Mann verschwand im Dunkel der Dorfgasse.
«U jitz?» fragte der Stammtisch, als der Krämer wieder eintrat.
«Düß heißt er», verkündigte der Krämer, indem er an sich herumtastete, um sein Notizbuch zu suchen. «Jitz han i das Tütschi mysex ufem Ladetisch la lige. — Janu, ’s isch glych, also Brändli, im Sulgebach, Brändli im Sulgebach.» Er sagte es noch dreimal.
«Was Brändli?»
«Heja, i mueß es numen yhetopple, daß es mr nid usem Sinn chunt. ‹Brändli› heißt er, Pfarrer Brändli — i ha’s ja geng gseit, es syg e Pfarrer.»
Unterdessen lief es an den Tischen herum: «Düß, Düß.» Und einer sagte: «Es isch mr de no gsi, dä syg usem Wältsche.»
«Ja aber, wie isch de das? Heißt er jitz eigetlech Düß oder Brändli?» wollte man wissen.
«He Brändli, natürlech. Düß säge si-n-ihm nume so. Er het nume z’erscht nid grad mit dem Name wellen userücke.» Der Färrich-Bauer schüttelte den Kopf: «So zwöiergattig Näme! Das cha mrs nüt.» Aber der Gemeindeschreiber entschied: «Das het nüt z’säge, das isch so-n-e Studäntebruuch. Aber das gäb eifach e cheiben e gäbige Pfarrer, sägen ig euch. A däm hätti me de öppis. Meinsch nid o, Liseli?»
«I troue’s o», gab die Wirtin zu.
* * *
Herr Matthias Brändli, der zwar sein Staatsexamen längst hinter sich, aber immer noch keine Pfarrei hatte, arbeitete an einer Predigt, die er am nächsten Sonntag in Vertretung eines kranken Kollegen halten sollte, als die Türe seiner Studierstube mit Vehemenz aufflog.
«Matthia! Matthia! Gürte deine Lenden!»
«Düß!»
Ja, da stand er, der bärtige Verbindungsbruder, den man ein wenig scheute und doch lieben mußte, weil unter der etwas rissigen und nicht fleckenlosen Schale seines akademischen Bürgertums ein goldenes Herz schlug.
«Was gits Neus, Düß?»
«Du hesch Angscht vor mene Pump, Matthias. Gäll? I gseh drs a. Du schlächts Tuech.»
«Ja weisch...»
«
Satis punctum!
I weiß alles, was du no säge möchtisch. Und es isch wahr. Aber dasmal, Matthias, dasmal trumpiersch di. I säge dir: gürte deine Lenden! Wenn der Pfarrer vo Flüehbrunne syni Ouge zuetuet, so isch dir sy Chanzle sicher.»
«Ja aber...»
«Nüt aber! Du bruuchsch di villicht nidemal z’mälde. Si wärde dir cho d’Chuttefäcke küsse. Und i säge dir: Gang! Gang und la alli Donner vom Sinai spile! Füür und Schwäfel über Gomorrha! — Si verdiene nüt anders. — Lue, i chäm nid zu dir, wenn i nid dene Kärleni dertobe dys heilige Füür gönnti. I kenne dy Yfer um des Herrn Haus, und grad drum muesch du dertufe.
Und wenn si dir de schrybe, du söllisch ne cho singen und spile, so mach de nid der Schüüchbündtel, hesch ghört?
Und wenn si di de frage, wo dy Bart hicho sygi, so seisch, es syg halt jitz Mode, daß d’Pfarrer rasiert uf d’Chanzle chöme, damit me se nid für Kapuziner nähm.
Und wenn me de d’Pfyfen azündtet und im Liechtschyn es paar wundervolli Augen ufblitzen und säge: hie wär e famosi Pfarrfrou, so lue de nid näbedsi! Verstande?»
«Du redsch mr i Rätsle.»
«Ja, i weiß wohl, du bisch o eine vo dene, wo alles Guete hienide für Rätsel halte. Me sötti di chehre, wie me ne Händtsche chehrt, daß ds Guete vo der Wält dir chönnt ynezündte bis i di ängschti Naht ynen und der lieb Gott di us jedem Lump use no würd alache. Ha, solang du no nid glehrt hesch mit dem Verfähltischten under de Verfählte z’singe: ‹Aus tiefer Not schrei ich zu dir›, bisch no nid Prieschter. — Du luegsch mi a, wie wenn i lätz im Chopf wär, du Knüs. Wart nume! — So, jitz ohni Gspaß, los jitze!»
Und nun erzählte Düß seinem jüngern Kommilitonen, was er in Flüehbrunnen im Gewande des Pfarrers von Rüschegg erlebt hatte. Brändli lachte leise vor sich hin. Endlich sagte er: «Scho rächt, Düß, aber ob i jitz dadrinne juscht darf e Fingerzeig erblicke...! Weisch, du bisch mr e liebe Fründ, und i weiß, daß du’s guet meinsch, aber du bringsch mi grad eis echly i Verlägeheit. D’Gspaßvögel sy halt mängisch gfährlechi Ratgäber.»
«Bin i weniger als Bileams Esel oder e Stei? Heißts nid: wo diese schweigen, werden die Steine reden?»
«Alles rächt, aber du geisch mr echly wohl liechtsinnig um mit de Bibelwort. I gloube geng, du wärisch o wyter cho, wenn du sälber chly meh Reschpäkt dervor gha hättisch.»
«Han i’s nid gseit, du wärisch grad der Rächt für dertufe?» Düß war aufgesprungen und maß seinen Kommilitonen mit beleidigtem Blick. «I weiß äbe, was du für eine bisch. Alles, was dir begägnet, schüttlisch i mene Sieb, und das het chlyni Löcher. I chönnti nid mit dir läbe, nid drei Tag. Juscht drum gönnen i di dene Flüehbrunnener Bure. — Und dir — dir gönnen i, was mir nid söll wärde, wil du so-n-e brave Ma bisch. Jitz mach, was d’witt.
Dixi
. Adieu.»
Brändli war allein. Er wußte nicht, sollte er lachen oder weinen. — Der arme Düß, dachte er. Ein guter Kerl ist er doch. — Das beste wird wohl sein, die Sache an sich herankommen zu lassen. Soll etwas draus werden, so wird Gott es schon fügen.
Wenige Tage darauf trugen die zu Flüehbrunnen ihren alten Pfarrherrn zu Grabe, und nun fragte man sich, ob nicht ein Versuch gemacht werden sollte mit jenem Troubadour im schwarzen Gehrock.
Noch sproß kein Gräslein auf dem Grabe des Pfarrers, als schon die Meinungen aufeinanderprallten. Von dem armen Vikar wollte niemand etwas wissen. Als aber das Gerücht von einer Berufung des Gitarren-Pfarrers laut wurde, erhob sich bei der strengern Richtung ein Sturm. Das fehlte sich noch, hieß es, daß man einen Bänkelsänger und Wirtshaushöck auf die Kanzel beriefe. Sieben Schoppen habe der Mensch an einem Abend hinter die Binde gegossen. Nein, neun seien es gewesen, sagten andere. Und die in jener Nacht am besten geschlafen hatten, wollten wissen, daß er wie ein mondsüchtiger Saufbruder singend und klimpernd durch das ganze Gemeindegebiet gewandert sei. Je wilder sich die Opposition erhob, desto energischer trat nun aber auch der Anhang des Sängers auf den Plan. Und dabei zeigte sich etwas Merkwürdiges. Man fühlte allenthalben, daß die Sache des Troubadours zusehends Boden gewann und erriet doch nicht, wieso. Seine Anhänger hielten keine öffentlichen Versammlungen ab und führten keine großen Reden, aber die Kandidatur Düß hielt Einzug in Stuben, Ställen und Gaden und war nicht auszurotten. Ja, wenn sie gewußt hätten, daß Liseli, die Wirtin, und Aenneli Dolder, die schöne Sägers- und Präsidententochter, sich das Wort gegeben, der Düß müsse Pfarrer zu Flüehbrunnen werden und ginge das Dorf darob in Flammen auf! — Das war eine Allianz von mächtigen Triebkräften. Frau Liseli Wälchli hatte ihr Kapital in zahlreichen Schoppengütterli und Gebinden voll goldenen Waadtländers angelegt, und dieses Kapital mußte schaffen, was erfahrungsgemäß in viel ausgiebigerem Tempo geschah, wenn jemand Musik dazu machte. In Aenneli Dolders Kopf aber sah wachsig wie ein Kürbiskeist der lockende Traum von einem Pfarrhausidyll. Jawolle, dachte sie jedesmal, wenn sie von der Sägemühle auf das Pfarrhaus und seinen verwilderten Garten hinüberblickte, das müßte mir eine andere Gattig bekommen, wenn Dolder-Aenneli dort oben regierte. Und der Pfarrer erst! Da hätte es ein Ende mit dem schüchternen Geträppel. König und Herr im Dorfe müßte er sein und die Posaune blasen, daß den Flüehbrunnenern ein Tschuder über den andern durch den Balg führe.
Fatal war jetzt nur, daß der Krämer den wahren Namen des Gitarren-Pfarrers vergessen hatte. So geht’s halt, wenn das Notizbuch auf dem Ladentisch herumliegt im Augenblick, da es der Mann auf dem Herzen tragen sollte, und dazu die Schöpplein eingehen wie Oel in den Wärrengang. Man geriet umsomehr in Aufregung, als die Gegenpartei sich eifrig umsah nach einem Pfarrer, der mit Geistesmacht neues Feuer in die erkaltete Gemeinde brächte und das unordentliche Haus mit Besen kehren würde.
Ins Gesicht sagten sie’s dem Krämer nicht, aber er hatte Scharfblick genug, um seinen Parteigenossen aus den Gesichtern zu lesen, was sie dachten: in seinen Schublädlene wisse er Bescheid, besser als die Mäuse; aber wenn er für die Gemeinde etwas tun sollte, so stelle er sich an, dümmer nützte nüt. So ein Löl! Daß sie selber, so mancher an jenem Abend mit dabei gewesen, den Namen vergessen, sei öppe zu begreifen, man habe sich eben auf den Krämer verlassen. Da hätte doch keiner daran gesinnet, daß ein solcher Gaffeebohnenregisterführer nicht mehr Kopf habe. Der Krämer wollte ein Fehlschlagen des Wahlfeldzuges nicht auf sein Gewissen kommen lassen, schon im Gedanken an die resolute Wirtin nicht. In seiner Not schrieb er, auf die Findigkeit der eidgenössischen Post vertrauend, an Herrn Pfarrer Düß im Sulgenbach bei Bern und zugleich, weil ihm so etwas im Kopf herumging, an Herrn Pfarrer Nägeli im Sulgenbach bei Bern: «Höflich Bezug nehmend auf Ihren verschönten Volksliederabend im Bären zu Flüehbrunnen wäre jetzt dank dem selig eingetretenen Hinscheid des unlängst verstorbenen Pfarrers daselbst die Stelle eines Gemeindegeistlichen zu vergeben und würde es uns sehr freuen, wenn Sie sich entschließen könnten sich für dieselbe anzuschreiben. Für eine glänzende Wahl wollten gutstehen» usw.
Daß er doch nicht der Löl sei, für den ihn besonders die Bärenwirtin hielt, bewies unwiderleglich der Erfolg seines Vorgehens. Der Brief an Pfarrer Nägeli kam als unbestellbar zurück. Der andere hatte offenbar sein Ziel erreicht.
So war es auch. Die Post hatte beide Schreiben dem Dekan des Kapitels Bern vorgelegt, dem kein Pfarrer Nägeli, wohl aber der ewige Student Düß bekannt war. Höchlich belustigt, hatte er die Bestellung des an Düß gerichteten Briefes übernommen, während der andere zurückgeleitet werden mußte. Und von Düß ging der Brief «unter höflicher Bezugnahme auf unser sachbezügliches Gespräch» an Matthias Brändli, der tags zuvor zwei Abgeordneten der Gegenpartei versprochen hatte, sich um die Pfarrstelle zu bewerben. Sah nun das nicht nach Fingerzeig aus? Die Herren Delegierten hatten Brändli die Situation erklärt und ihn gebeten, er möchte sich ja nicht durch die Umtriebe der freieren Richtung, an deren Spitze der Krämer Müller stehe, abschrecken lassen.
Pfarrer Brändli schrieb nach kurzer Ueberlegung an den Krämer, er bedaure zwar, ihn darauf aufmerksam machen zu müssen, daß hier zum mindesten eine Namensverwechslung vorliege, indem es seines Wissens keinen Pfarrer Düß gebe. Sein Freund Düß habe ihm jedoch den Brief zugestellt mit der Erklärung, daß er seinerzeit Herrn Müller die Adresse des Unterzeichneten angegeben hätte. Infolgedessen dürften die Gesinnungsgenossen des Herrn Müller nicht abgeneigt sein, die Anmeldung des Unterzeichneten gutzuheißen. Um indessen jeglichem Mißverständnis vorzubeugen, werde er sich die Ehre geben, demnächst in Flüehbrunnen vorzusprechen.
Der Krämer hatte sich mit dem Brief nach der Art seines Hündleins, das bessere Knochen in einem abgelegenen Winkel abzunagen pflegte, ins Hintere Stübli zurückgezogen. Dort hörte man ihn bald darauf mit der flachen Hand auf seinen Kahlkopf schlagen und ausrufen: «Richtig! Brändli! — Wie han i das o nume chönne vergäße. — Brändli — Brändli! Und das isch ne. Das glychet ihm ganz, wie-n-er da schrybt. Das isch e Gspaßvogel vo dertnache.»
Nach dem Mittagessen begab sich Müller in den «Bären» zum Kaffee-Jaß.
«Er chunt, er chunt», rief er seinen Freunden leuchtenden Auges, doch mit seitwärts vorgehaltener Hand zu.
«Hesch ne jitz doch no erwütscht? Ha gmeint, du wüssisch der Name nümme», antwortete einer.
«Er isch mr du wieder z’Sinn cho.» — Wann, verriet der Krämer wohlweislich nicht. «Brändli — Brändli.»
«Was? Brändli?» fragte mit gerunzelter Stirne der Gemeindeschreiber.
«Ja. — Was isch da nid Rächts dranne?»
Der Gemeindeschreiber warf seine Karten auf den Tisch und machte ein Katastrophengesicht. «Diser portiere ja o ne Brändli. — Das wird es schöns Gchafel gä.»
«Aber doch nid öppe vom Sulgebach?»
«Das weiß i nid. Matthias Brändli hei sie gseit.»
«Matthias Brändli», wiederholte der Krämer, seinen Brief aus der Brusttasche ziehend. Er kehrte sich ab, gegen das Fenster und bog eine Ecke des Briefes um. Ja, da stand wenigstens M. Brändli.
«Ja nu,» sagte jemand, «me mueß halt öppe de luege. — Wär git?»
Damit begann der Jaß. Geredet wurde nicht mehr. Erst beim Aufstehen brummte der Färrich-Bauer: «Mi hets geng düecht, das gäb de öppis kurligs mit däm Musikant.»
Aber die Wirtin meinte beruhigend: «Das wott no nüt säge. Diser chönne sech o trumpiert ha.»
«He, me gsehts ja de, wenn er chunt.» Einer brummte das. Und alle dachten’s.
Als der verabredete Samstag heranrückte, da der Pfarrer Brändli seinen Besuch machen wollte, wurde hin- und hergeredet, wer nun eigentlich den geistlichen Herrn an der Bahnstation abholen solle. Die Abgeordneten, die ihn in Bern aufgesucht, hatte Matthias Brändli gebeten, sich nicht um ihn zu bemühen, er werde alles mit dem Vikar besprechen und dann
per pedes apostolorum
, d.h. auf seinen gesunden zwei Füßen, Einzug halten, wie es sich für einen Diener am Wort gezieme. Und weil man in diesen Tagen die Pferde auf dem Feld brauchte, fand sich niemand bewogen, an der Abrede etwas zu ändern. Die Anhänger des Herrn Düß Brändli hingegen waren der Meinung, ihr Kandidat müsse mit Roß und Wagen abgeholt werden. Das gäbe ihm doch von vornherein Ansehen und Gewicht in der Gemeinde. Er müsse auch wißen, daß er an ihnen anständige Leute hinter sich habe. Diese Ansicht wurde besonders vom Gemeindeschreiber und vom Krämer verfochten, die selber weder Roß noch Wagen besaßen. Die Bauern ihrer Partei aber hatten ihre Pferde nicht minder auf dem Felde nötig als ihre Gegner. Vom Augenblick an, da man ihm dies zu Gemüte geführt, blieb der Krämer im Hintertreffen. Er hatte jetzt auffallend viel pressante Arbeit in seinem Ladenstübli, wo er über die Identität von Matthias und Düß grübelte.
Henu, erklärte darauf Frau Lisette Wälchli, daß auf das Mannevolk kein Verlaß sei, das wisse man ja, aber eine «Himmels-Gotts-Aerde-Schand» sei es denn doch, daß man nicht einmal an einem Samstag «öppen es Dragunerli» aus dem Stall bringe, um einen Pfarrer abzuholen. So fahre sie nun selber, den Höselern z’Trotz, und das Dolder-Aenneli, des Präsidenten Tochter, müsse mit, so sehe dann der Pfarrer gleich am ersten Tag, an wem er etwas haben werde. Vergeblich riet der Gemeindeschreiber davon ab, indem er sagte, es könnte dem Ansehen des Pfarrers Eintrag tun, wenn es dann hieße...
«I heig ne greicht?» schnitt die Wirtin ab. «So? Gmeindschryber, so? — Wart, dir will i dra dänke. Ja, nid Gott! Aber jitz fahren i grad dir z’Trotz.»
In große Pein gestürzt sah sich Aenneli Dolder. Sie zweifelte freilich keinen Augenblick an der Richtigkeit der Sache. Sie sah von Stunde zu Stunde deutlicher wieder den Sänger Düß vor sich und kriegte Herzklopfen. Daß das «villicht, villicht bisch du’s» ihr gegolten, hatte sie damals gleich bemerkt. Und das war’s just, was ihr jetzt bange zu machen begann. Sein Singen und seine Lustigkeit waren nicht gering anzuschlagen, und seine Züge, seine ganze Gestalt hatten etwas wonnig Starkes, Uebermächtiges. Aber aus allem heraus schlugen unsichtbare Flammen. Aenneli hatte einmal von Dämonischem gelesen und sich nie recht klar machen können, was das bedeute. Jetzt auf einmal ahnte sie es unheimlich klar. Wenn nun dieser Düß kam und sie zur Frau begehrte! Sie fühlte mit Gewißheit, daß sie ihm in die starken Arme fallen würde, ihm nicht widerstehen konnte. Und dann? — Konnte ihr dann nicht eines Tages das Leben im Pfarrhaus zur Hölle werden? Ob sie am Ende nicht besser tun würde, sich von vornherein fernzuhalten? — Aber da war die Frau Wälchli mit ihrer derben Art. Die würde dann wißen wollen, warum es nicht mitkomme, und ein Geschrei verführen. Als dann vollends am Samstagmorgen die Sonne ihr Stüblein vergoldete, da konnte Aenneli nicht mehr widerstehen. Genau wie die Wirtin neben ihr auf dem Sitz des Reitwägeleins zum Roß, so sagte sie zu ihrem Schicksal: «So hü, i Gotts Name!» Ihr Herz ratterte und tschäderte mit dem Wägelein um die Wette.
In weiten Schleifen führte die Straße den Berghang hinunter. Sie ließ Zeit zum Nachdenken. Ob sie darin zu viel getan und darüber dem Rößlein mehr Zeit gegönnt als nötig, fast sollte man’s glauben, denn auf einmal — sie waren noch auf halber Berghöhe — sahen die Frauen das Eisenbahnzüglein die Station verlassen und davonrollen.
«Eh der Donnerschieß!» sagte Frau Wälchli, «was isch jitz das? Hei mr lätz gluegt im Büechli? Item, da gits nütmeh z’brichte. We’ mr no bis abe füehre, so chäme mr näbenenandere vür. Eh weder nid, chunt er der Fueßwäg uf. Mr wei-n-ihm dert vorne passe.»
Die Wirtin hielt an einer Kehre, wo der Fußpfad die Poststraße schnitt, an. Und nun spähten die beiden Frauen bergab nach dem Panamahut und dem schwarzen Rock. Sie fragten sich schon, ob der Erwartete am Ende gar ausbleibe, und Aenneli wußte nicht recht, sollte sie darüber aufatmen oder betrübt sein, da vernahmen sie plötzlich Schritte — schon ganz nah — und bald darauf erschien ein schwarz gekleideter junger Mann mit breitrandigem Filz.
Die Frauen blickten einander fragend an. Sie schwiegen, aber Lisette Wälchlis Augen sagten: «Oha, ’s isch der Lätz.»
Als der Herr die Straße erreichte, fragte die Wirtin: «Nüt für unguet, syd Dir öppe der Herr Pfarrer Brändli?»
«Prezis, dä bin i.»
«So, so. E nu, i bi d’Frou Wälchli vom Bäre z’Flüehbrunne. Mr hein Ech welle cho ge reiche, Herr Pfarrer, u hein is jitze mit Schyn versuumt. Üser Manne sy alli sträng am Ärne, u drum sy mir jitze cho.»
«Das isch rächt fründlech von ech. Dir Froue meinets de gwüß geng no guet mit üsereim. Nötig wärs nid gsi, i bi guet z’Fueß; aber wenn dr doch jitz da syd, so will i gärn ufsitze. ’s macht warm.»
«Syd so guet.»
Im Anfahren wandte sich die Wirtin nochmals zu dem Pfarrer. «I bi Sinns gsi, Dir heiget e Bart, drum han Ech nid grad gkennt.»
Matthias Brändli erinnerte sich der Mitteilungen seines Kommilitonen Düß und antwortete ausweichend: «Me isch halt wöhler ohni Bart, wenns eso heiß macht. — Isch das d’Fräulein Tochter, Frau Wälchli?»
«Nei,» sagte Aenneli, der ein schwerer Stein vom Herzen gefallen war, «i heißen Aenneli Dolder. Der Vatter isch Sager.»
«U Bresidänt», ergänzte Frau Wälchli.
«So so, freut mi.»
Dann ward es still auf dem Wägelein.
Kann mir schon denken, daß der Düß sich vergaffte, dieser Tausendsassa, dachte der Pfarrer. Aenneli war ungewöhnlich hübsch und dabei wohlanständig und freundlich, so daß Matthias Brändli sich etwas beengt fühlte. Die Erleichterung strahlte so hell aus Aennelis Augen, daß es unmöglich war, ihnen standzuhalten. Aenneli aber dachte, der da sei gewiß kein Dämon, sondern ein gutherziger, frommer und lebensfester Mann. Wenn sie ihn mit Düß verglich, so sank letzterer immer tiefer in die Rolle eines Lumpazi Vagabundus. — Einmal müßte dann doch noch ergründet werden, wie die beiden zu einander stünden.
Mittlerweile war man am Stüblein des Krämers vorüber vor den «Bären» gelangt, und Frau Wälchli lud den Gast ein zu einer Erfrischung. «Es Schöppli Wyße, Herr Pfarrer, und öppen es Schnäfeli Wurscht oder Chäs?»
«Dankheiget, Frou Wirti, aber i trinke kei Wy, i bi Abschtinänt. Und jitz gieng i am liebschte grad i ds Pfarrhus ufe.»
«So?» — Sie brachte es kaum über die Lippen. Der Pfarrer aber wußte, woran er war. Da hatte man’s ja, dachte Frau Wälchli. Wenn sie das gewußt hätte! Und wenn nun die Leute erst noch erfuhren, wen sie da heraufkutschiert hatte. In die Finger beißen könnte man sich. Wenn ihr nur jetzt nicht der Krämer unter die Augen kam oder der Gemeindeschreiber!
Der Pfarrer, der ihr dankte, wurde mit einem halbverschluckten «’s isch gärn gscheh» verabschiedet, Aenneli mit einem knappen «adie». Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, Aenneli zu trösten, es solle sich doch ja nicht etwa grämen, daß sie nun so «näbenangere vür» gekommen seien. Es werde schon einen andern finden, so ein hübsches Chrottli. Es brauche ja nicht ein Pfarrer zu sein, man sei noch bas ohne einen solchen, der einem «vüra geng der schlächt Hung» um die Nase reibe. — Aber sie hatte schon bemerkt, daß Aenneli, «dä garniert Aff», sich in den Stündelipfaffen verschossen habe, kaum daß es seiner ansichtig geworden. So seien «afe die Meitscheni hüttigstags.»
Als Aenneli am andern Morgen die Wirtin im Vorbeigehen fragte, ob es sie nicht auch wundernehme, wie der Pfarrer Brändli predige, gab sie zum Bescheid, sie frage nicht danach, «es gaagget öppen eine wie der anger».
Andere Leute hielten es nicht so. Die Kirche war gesteckt voll. Und die meisten sagten nach der Probepredigt, ob Düß Brändli oder Matthias Brändli, sei ihnen einerlei. Der da sei doch wohl der Mann, den sie brauchten.
Es rumpelte und rumorte freilich noch lange im «Bären»; aber man hatte dort erkannt, daß gegen die Anhänger des Matthias nicht aufzukommen sei, und ersparte sich Mühe und Kosten. Der Groll wandte sich mehr und mehr gegen jenen Sänger, der ihnen, wie man jetzt erkannte, einen schlimmen Streich gespielt. Wenn sie den noch einmal erwischten, dem wollten sie dann das Gitärrelen eintreiben. Aber Düß ward innert den Grenzen der Gemeinde Flüehbrunnen nicht mehr gesehen.
* * *
Acht Tage etwa nach der Wahl des Matthias Brändli zum Pfarrer von Flüehbrunnen erschien, abermals wie aus dem Nichts in die Stube gezaubert, Düß im Pfarrhause zu Rüschegg.
«So,» sagte er nach kurzer Begrüßung des pfarrherrlichen Ehepaares, «di schwarzi Kluft het ihre Dienscht ta. — Jitz gäbet mr myni alte Chleider ume, Frou Pfarrerli.»
«Das wird jitz öppe nid eso pressiere,» meinte die Frau Pfarrer ausweichend, «dasmal wärdet Dr mir doch d’Ehr nid abschla, mit is zuechez’sitze.» Da sein Magen knurrte, ließ sich der Sonderling bewegen, die Einladung anzunehmen, und das biedere Ehepaar Michel hatte sich nicht über Langeweile zu beklagen. Der Gast mußte genau erzählen, wie er der Gemeinde Flüehbrunnen zu einem tüchtigen Pfarrer verholfen. Die Unterhaltung floß auch nach dem Essen munter, bis der Herr Pfarrer sich zur Bemerkung hinreißen ließ, eigentlich sei es doch recht schade, dah Düß nicht Pfarrer geworden sei. Da brach dieser die Unterhaltung ab, sprang auf und forderte mit Ungestüm seine alten Kleider.
«Oder sy si öppe no geng nid troche?» spaßte er zwischenhinein.
Der Frau Pfarrer wurde unheimlich zumute. Ihr Mann aber ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er sagte zu seinem Freund: «Wenn du wüßtisch, wie guet dir di schwarze da gange!»
Da zog Düß den Rock aus, warf ihn auf das Kanapee und machte Miene sich auch der Weste und der Hose entledigen zu wollen. Die Pfarrfrau ergriff die Flucht und reichte bald ihrem Mann die sauber gewaschenen und geflickten Kleider seines Kommilitonen durch die Türe herein. Michel mußte es geschehen lassen, daß Düß in sein altes, schäbiges Gewand schlüpfte. «Dank dir, edler Gefährte, und deiner Gemahlin Kalypso!» rief er und «lebt wohl!»
Ehe der Pfarrer es ihm wehren konnte, war Düß entwischt. Raschen Schrittes verschwand er zwischen den Bäumen, aus denen es zurückschallte:
«Wär deckt e Verlorne? — Heimetland,
villicht — villicht bisch du’s.»