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Als der Dichter Max Dauthendey April-Mai 1906 nach Japan kam, ließ er sich in Nikko vom »König der Kuriositäten« viele alte Bücher vorlegen, in gedämpfte Seide gebunden. Hier fand er die Liebesgeschichte des japanischen Reiches: in Farben und Holzschnitten – »wie in inbrünstigen Gedichten«.
Diese Inbrunst hat Dauthendey in sein großes Epos »Die geflügelte Erde«, in sein Lied der Liebe und der Wunder um sieben Meere übernommen – vor allem aber auch in seine japanischen Liebesgeschichten: »Die acht Gesichter am Biwasee«, welchem Buch er die Einleitung voranstellt:
»Neue Brüder sind sichtbar geworden«, riefen die Japaner schon vor hundert Jahren. »Bäume, die früher nur dazu da waren, Früchte und Holz zu tragen, Flüsse und Seen, die nur Fische und Seegras anboten, Hügel und Berge, welche Steine und Metalle den Menschen hinhielten, haben jetzt Seele und Gesicht. Die Seelen der Landschaften sind uns herzliche Brüder geworden. Sie, die bisher unsichtbar waren, zeigen uns heute leidenschaftliche Gebärden.«
Zu diesen »neuen Brüdern« gehört zweifelsohne auch der Romanschriftsteller Riutei Tanefiko oder Ryutei Tanehiko; und unter den Büchern, die seinerzeit Dauthendey vorgelegt wurden, mag sich auch wohl der in seiner Art klassische Roman mit den Holzschnitten des Utakawa Tojokuni befunden haben: »Sechs Wandschirme in Gestalten der vergänglichen Welt« aus dem Jahre 1821 – ein Werk, das sozusagen zwischen der romantischen und realistischen epischen Linie steht.
Was Schrift und die dazu gehörenden Holzschnitte angeht, so sagte damals der »König der Kuriositäten« zum Dichter: »Wer ein solches Bild in der Tasche auf der Brust trägt, der erweckt, wo er will, die Liebeslust, so daß kein Weib ihm einen Herzenswunsch abschlägt.«
Seit dem »Kara-Monogatari« an der Wende des 9. und 10. Jahrhunderts ist das Thema: die Liebe zu einer schönen Geisha ein ewiges geworden – bis zu Riutei Tanefiko, der von 1780 bis 1842 lebte und der folgendes bekannt hat: »Wenn ein Werk von neun Lesern gepriesen und von einem ausgelacht wird, so ist es sicher nichts wert, aber es bringt dem Autor Geld ein; bei guten Büchern ist meist das Umgekehrte der Fall, und der Autor hat nichts von ihnen.« Trotz dieses Bekenntnisses ist die Tatsache festzustellen, daß Riutei weit mehr als all seine Zeitgenossen gelesen wurde, vor allem mit dem hier vorliegenden Werk: der Geschichte einer schönen Zitherspielerin, die aus edlen Motiven in den Dienst eines Blumen- und Teehauses tritt und, ursprünglich eine Wasserlilie mit verschämten Blättern, alsdann mit dem Makel behaftet, durch eine reine Liebe erlöst wird. Ohne jede Lüsternheit, vielmehr mit einer Keuschheit, die nur japanisch genannt werden kann, sind hier sechs Schicksale gestaltet – im Symbol der Wandschirme, die in dem so ganz anti-europäischen, japanischen Haus ihre besondere Rolle spielen.
Also wird sich der europäische Leser, dem hier das Buch in unmittelbarer Übertragung vorgelegt wird, umstellen müssen; und wenn er nun die »Sechs Wandschirme« in der Tasche auf der Brust trägt, weiß auch er sich vielleicht also gestärkt: »er erweckt, wo er will, die Liebeslust, so daß kein Weib ihm einen Herzenswunsch abschlägt.«
Alfred Richard Meyer.