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»Sie ist aufgeflogen.«


Mit diesem Telegramm wurde mir am 2. März 1916 der Tod der Königin Elisabeth von Rumänien durch ihre Freundin mitgeteilt, und wirklich, ich wüßte mir für ihr Ableben keinen schöneren, bezeichnenderen Ausdruck.

Wenn auch ihr Andenken, wie die letzten Ereignisse zeigten, vielleicht nicht so sehr bei den Rumänen, die ihr und ihrem Gemahl, dem weisen König Carol, so unendlich viel zu verdanken haben, fortleben wird, so wird die deutsche Prinzessin, die Tochter vom Rhein, bei uns nie vergessen sein, »so weit«, wie Vater Arndt sagt, »die deutsche Zunge klingt und Gott im Himmel Lieder singt«.

Ein wesentlicher Zug des Charakters der Fürstin war ihre liebe, impulsive Art – das herzliche Entgegenkommen von Menschenkind zu Menschenkind. – Wen Carmen Sylva lieb gewann, wer, wenn auch unbewußt, eine verwandte Saite in ihrer Seele anschlug, auf den eilte sie zu auch ohne persönliches Bekanntsein und reicht ihm beide Hände.

Davon und von ihrem leuchtenden Deutschtum, das sie sich bis zum letzten Atemzuge bewahrte, will ich nun erzählen, – denn: wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

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Im Jahre 1911 erschien von mir in den »Fliegenden Blättern« unter anderen das folgende von Herrn Professor Simm in München illustrierte Gedicht:

's Renkontreche.

»E' lieb', nett', klää', alt' Jüngferche'
So tüpfer, tüpfer, tümpferche,
Mit rischel – raschel – Röckelcher
Un' ringel – rangel – Löckelcher,
Des kummt so zierlich, so leschär,
Un' so korrekt die Gass' doher.

E' alter grooer Junggesell'
So schteckel – schtickel – schteif – reell,
Mit Vaddermörder, Schnalle'schuh',
Un' lange Rockschöß' aa' dezu,
Der kummt, – der Zufall hot 'n g'führt, –
Die selwig' Gass' doher schbaziert.

Der alte grooe Junggesell'
So schteckel – schtickel – schteif – reell,
Der schteht wie angeworzelt do,
Un' schtaunt, un' guckt un' guckt nor so;
Dann grüßt er dief, un' grüßt devot
Un' wärd bis in die Hoor' 'nuf rot.

Des lieb', nett', alt', klää' Jüngferche'
So tüpfer, tüpfer, tümpferche,
Des traut jetzt seine Äägle' kaum
Un' knixt, un' knixt als wie im Traum'.
Wehmütig zuckt's 'm um de' Mund
Un' 's Herzel is 'm gar so wund.

Ich glaab', der alte Junggesell'
So schteckel – schtickel – schteif – reell,
Un' sie, des alte Jüngferche'
So tüpfer, tüpfer, tümpferche,
Die hawwe' sich verleicht amend'
In junge' Johr' geliebt, gekennt, –
Un' 's Lewe' hot halt nit gewollt,
Daß Ään's des Anner' kriege' sollt'!«

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Einige Zeit darauf schrieb mir die Redaktion, daß Ihre Majestät Königin Elisabeth von Rumänien nach der Adresse der Verfasserin gefragt, und daß sie diese, mein Einverständnis voraussetzend, mitgeteilt habe. Es währte nicht lange, da kam zu meiner großen Freude und Überraschung aus dem Palatul regal in Bukarest ein Paket für mich, aus dem mich ein großes schönes Bild der Königin und liebe, warme Worte grüßten.

Ich bedankte mich gleich vom Herzen in die Feder und erfuhr bald darauf in einem großen, lieben Brief, daß das Gedicht und das Bild wohl zu niemandem so laut und vertraut gesprochen hätten als zu ihr.

Damals konnte ich mir das nicht so recht erklären, erfuhr aber später, daß es etwas Heiliges war, das aus der Jugendzeit der Königin in ihrem Herzen weiter klang und vibrierte, an das ich ganz unbewußt gerührt hatte. Und diese Saite klang fort und fort bis zu ihrem Tode.

»Das Lewe' hat's halt nit gewollt,«

schrieb sie öfter.

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Carmen Sylva erzählte mir von ihrem Schloß, dem Märchenschloß, das sie allen Menschen zeigen möchte, damit sie sähen, was König Carols Geduld und Ausdauer – neben all seiner rastlosen Arbeit fürs Land – geschaffen.

»Es ist ein Monument und mehr ein Museum als ein Wohnhaus,« schrieb sie, »und da alle Menschen bei uns essen, die uns zu sehen begehren, sind es wirklich viele, die das Schöne mitgenießen. Wir rechnen, daß in einem Sommer 5–6000 Menschen bei uns zu Tisch sind! Das ist eine gewaltige Anstrengung für mich, aber eben ein Teil des Dienstes, den ich zu leisten habe.

Kinder haben ihre kleinen Freuden bei mir, – junge Leute bekommen Musik, – die Alten gutes Essen – und Alle den Anblick schöner Bilder, – die Aussicht aufs Hochgebirg aus allen Fenstern, und auf den Terrassen die schönsten Blumen. Das erquickt Viele und Jedes geht froh hinaus in dem Gedanken, daß es ihm mitgehört, denn nur so verstehe ich sogenannten Besitz.

Besitz ist ja nicht etwas Wirkliches, da er schon in andere Hände übergeht, bevor wir ihn recht besaßen, und uns so wenig gehört, als wären wir überhaupt nie auf der Welt gewesen. Man ist immer nur der Verwalter für alle die andern, die nicht Zeit hatten, so etwas zu schaffen.

Mein Bestreben war es immer, den Menschen das Leben erträglicher zu machen. Nämlich so viele finden es unnötigerweise so unerträglich, und das kränkt mich!

Mein Leben war sehr schwer und doch sage ich alle Tage das wunderbare Lied: »Wenn ich, o Schöpfer, deine Macht« vor mich her, denn man kann doch nicht aufhören zu staunen über alles, wie weise man geführt wird, wenn auch das Leben oftmals »nit gewollt hat, daß mer das hawwe' sollt', – was mer gemeint hat, nit entbehren zu könne'«. Man kann merkwürdig viel entbehren und doch so fröhlich dabei sein.

Sehen Sie, ich hätte den Thron zehnmal und allen äußeren Besitz dafür gegeben, einen Sohn zu haben. Aber das »Leben hat's halt nit gewollt«. Es hat mir sogar grausam mein einzig Kind geraubt. Ich habe lange, lange Jahre nicht verstanden, warum – und erst später, als ich sah, was für eine Zukunft man ihr bereitet hätte, da hab' ich Gott gedankt, daß er sie so früh zu sich nahm.

Das Schloß ist das Sinnbild des Aufblühens des Landes. Zuerst wohnten wir lange Jahre in Mönchszellen im alten Kloster hier, und als das Schloß wie eine große Villa aussah, da fingen wir an darin zu wohnen. Jetzt aber ist nichts mehr vom ersten Anfang übrig. Noch nie waren wir ohne Arbeiter im Hause, und das macht es doppelt lieb, denn die Arbeiter sind wie Freunde, die alles geteilt haben, und sich mitgefreut, das Schöne zu schaffen.

Meine Freunde, die Bergmännchen, die in meinem Gefühl vollkommen existieren, haben auch ihre Abbilder darin; sie begrüßen alle Eintretenden mit gezogenem Käppchen, die Laterne in der Hand und sehen so nett aus auf der Treppe, daß es schon den Menschen wohl wird, die sie sehen.

Ich könnte wirklich ein ganzes Märchen erzählen nur vom Schloß und seiner Entstehung, habe es teilweise auch schon getan und werde es Ihnen schicken. Zuerst wollte ich es überhaupt gar nicht sehen und bei der Grundsteinlegung weinte ich so, daß ich dachte, das Herz bräche mir, denn ein leeres Haus ohne Kinder kam mir so traurig vor, daß ich meinte, es nicht darin aushalten zu können. Aber langsam hat mich der liebe Gott doch gelehrt, wie ich es füllen könne mit Gedanken und Erinnerungen – und mit Menschen, die hier Sonntag halten und sich erquicken am Schönen. Nur einmal hat ein Herr gesagt: »Wie soll mir das Freude machen, da es mir nicht gehört?« Nur ein einziges Mal war das!

Das Schöne gehört allen Menschen gleich, sie begreifen es nur nicht! Der sogenannte Besitzer hat doch auch nur zwei Augen und ein Gehirn, also die Fähigkeit, gerade so viel davon zu haben als andere auch.

Wenn ich früh morgens arbeite, das ist nämlich sehr früh, von 3 bis 8 Uhr, dann ist es so wunderbar still und friedlich! Dann kommen alle meine Lieben, deren ich fast keine mehr auf der Welt habe, sie sind mir schon vorausgegangen, – und dann plaudern wir zusammen und es ist gar nicht einsam, denn ich weiß, sie verstehen mich viel besser als früher. Diese stille Feier der Morgenstunden, lange ehe die Sonne aufgeht, lasse ich mir nicht rauben. Und wenn das erste Morgengrauen die Tannen schwarz gegen den Himmel zeichnet, dann wird mein Herz groß und weit und ich möchte allen, allen Menschen etwas Ermutigendes sagen und Liebes und Freundliches.

Ich habe immer noch nicht die heitere Note gefunden, hoffe aber immer, die kommt mir noch, wenn ich noch viel abgeklärter sein werde. Heiterkeit ist vollkommene Abklärung und die erreicht man eben schwer! Heutzutage wird so viel von all' der Poesie verdorben, es gibt kaum noch Rischel-raschel-Röckelcher – der Sport hat sie verbannt. Ich bin vielleicht altmodisch, aber man kann von alten Leuten nicht verlangen, neumodisch zu sein.

Der echte Humor ist immer rührend und ergreifend im Grund. Sie können nicht denken, wie lieb mich das immer ansieht, das Gedicht und das Bild! Noch einmal innigen Dank für die tägliche Freude, die ich Ihnen verdanke.«

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Schon in einem ihrer ersten Briefe klagt Königin Elisabeth über ihre Augen, denen sie wohl im Leben zu viel zugemutet habe, so daß sie jetzt »nicht mehr mittun wollten« und erzählt, daß sie eben täglich von 4 – 8, von 10 – 1 und wieder von 4 – 8 Uhr an einem Buche arbeite, um einer schwerkranken Verwandten eine Freude zu machen. Am liebsten schreibe sie Frakturschrift auf Pergament mit Tusche. Sie erwähnt, daß sie in einer früheren Existenz Mönch oder Nonne gewesen sein müsse, weil sie sich so gern mit Zellenarbeiten beschäftige.

Auch spätere Briefe vom selben Jahre berichten über zunehmende Augenschwäche:

»Ich hatte mir mein Alter so schön gedacht,« schreibt die Fürstin, »von all' den vielen drückenden Pflichten frei, mit Malen oder Handarbeit beschäftigt, in einem stillen Stübchen. Aber da hatte ich nicht gedacht, daß die Augen mich im Stiche lassen würden. Gott wird mir helfen, das heiter zu ertragen, das fühle ich schon.

Ich kann nicht sehen, was ich eben schreibe. Wenn Sie es nur lesen können! Ich kann aber auch nicht diktieren! Denken Sie 'mal was es hieße, nie allein zu sein! Und am frühen Morgen, wo die meisten Menschen noch gern schlafen, einen herauszutrommeln, – nein, das kann ich nicht, das ist mir unmöglich! Selbst bei einem Brief muß ich mit dem allein sein, an den ich schreibe. Nie hätte er sonst meine ganze Seele.

Ich freue mich, wenn ich an meinem Schreibtisch sitze noch mehr über die Einsamkeit als über das Schreiben! Die wundervolle Einsamkeit, die in unserem so überaus überladenen Dasein oft der größte Luxus ist, – die Einsamkeit im stillen Stübchen! – Es muß eigentlich ganz klein sein, – der große Luxus im Schloß hat mir zu Anfang das Arbeiten unendlich erschwert, da wir dreizehn Jahre hier im Kloster, in kleinen, weiß getünchten Räumen gelebt haben.

Ich las über mich, daß es leicht sein müsse in so stimmungsvoller Umgebung zu arbeiten. Wie irren sich die Menschen! Ich erfand »Jehova« und »Hexe« in einem Räumchen, das vier Schritte lang war, fast kein Licht hatte, in dem es so feucht war, daß meine Schuhe auf einem Brett stehen mußten, um nicht schimmlig zu werden. Aber draußen war ja der große Wald! Jahrelang habe ich nicht dorthin gehen können, nur im Rollstuhl wurde ich hingefahren. Und Sie wissen, daß man nur auf seinen eigenen Füßen den Wald genießen kann! Man muß sich nach jedem Storchschnäbelchen und Sauerklee bücken, muß am Moose riechen und die Bäume umarmen können, wenn es niemand sieht, sonst ist der Genuß doch sehr beschränkt!«

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»Mein Maschinchen erleichtert mir das Schreiben ungemein, nur das Geklapper ist unangenehm, und für Gedichte muß ich doch immer wieder zur Feder greifen. Eben ist ein Strom da, der unaufhaltsam fließt, als sollte ich für die lange Krankheit meines Königs und die meine entschädigt werden, in der ich das Gefühl hatte, keinen Reim mehr finden zu können, geschweige denn zu dichten!

Viele Leute möchten, daß ich das Büchlein, von dem ich Ihnen erzählte, chromolithographieren ließe. Aber das kostet schrecklich viel Geld, und da ich eine arme Königin bin, deren Beutel nur für Andere da ist, kann ich mir diesen Luxus nicht erlauben.

Ich höre eben viele Klagen wegen den Lebensmitteln, die früher beinahe nichts kosteten. Natürlich, wir exportieren jetzt 5 Millionen Fische, früher aßen wir sie allein. Wir exportieren unsern Kaviar, den aßen wir früher auch allein. So sind es viele Sachen, die wohl das Land bereichern, den einzelnen aber schwer treffen.

Für das Epheublatt danke ich Ihnen tausendmal! Wenn Sie wüßten, wie oft und wie gern ich im Heidelberger Schloß gewesen bin!

Ich wallfahrtete vor einigen Jahren wieder dorthin, fand aber lauter Schutzleute und Führer!

Ich dachte zurück, wie wir da allein herumstiegen und kein Mensch da war, uns dies und jenes zeigen zu wollen. Wie ist das jetzt alles so zivilisiert geworden!«

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»Eben arbeite ich an einem Altartuch für Jerusalem«, erzählt mir Carmen Sylva ein anderes Mal, »das ganze Vaterunser in Rumänisch in kleinen Kristallen, richtigem Bergkristall und leuchtend von weitem.

Ist der Gedanke nicht hübsch? Es wird im Lande einen guten Eindruck machen, und ich werde sagen, das sei mein Gebet in alle Ewigkeit für mein kleines Volk. Das verstehen diese kindlichen Seelen und es wird ihnen wohl tun.

Von hier aus wallfahrten arme Hirten, kleine Nonnen, Menschen, die keinen Groschen haben, nach Jerusalem und wissen, daß sie geholfen bekommen von anderen Pilgern.

Es ist ganz rührend. Ich glaube, die Menschen bedürfen eines Wallfahrtsortes, das stärkt sie und gibt ihnen neuen Mut.«

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»Ich habe die Absicht, ein Stück zu schreiben, das ich seit mehr als zwanzig Jahren mit mir herumtrage.

Ich wollte nur warten, bis alle tot sind, die darin eine Rolle gespielt. Jetzt wird wohl niemand mehr erkannt werden; denn die Sache ist längst vergessen.

Ich kann ruhig daran gehen ohne Indiskretion und verlege es ins Mittelalter, so daß man gar nicht auf die Idee kommt, daß ich die Menschen gekannt habe, die das Drama spielten, mit ihrem Herzblut! Wenn ich es nur zustande bringe; zu einem Drama braucht man so furchtbar viel Kraft, körperlich und seelisch. Es scheint, daß in meinem Alter die Philosophie die Oberhand gewinnt.«

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»Wie schön ist Frakturschrift in Tusche auf ein Stück Pergament!

Ich habe so viele Bücher damit geschrieben und möchte wissen, was die Sozialisten zu diesen Arbeiten sagen würden, wenn sie sähen, daß sie so mühsam sind und so unnütz und vielleicht so großer Mühe nicht wert!

Ich habe schon oft gefunden – je bescheidener die Freude, desto größer ist sie!

Darin sind die Japaner großartig!

Ich las über ihre Spielsachen, die so reizend sind und nur ein paar Pfennige kosten! Man kommt nie nach Hause, ohne den Kindern etwas mitzubringen und das darf dann nicht teuer sein.«

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Im Januar 1912 schrieb die Königin, daß das protestantische Kirchlein in der Neujahrsnacht bei einer Kälte von 18 Grad zum größten Teil abgebrannt, die Orgel geschmolzen, die Fenster gesprungen seien. Sie hatte es selbst ausgeschmückt mit 150 eigenhändig in Gold auf schwarze Tafeln gemalten Sprüchen. Der König hatte die Fenster gestiftet, in gelbem Kathedralglas, so daß ewiger Sonnenschein darin war.

»Es ist ein bißchen schwer«, heißt es; »denn alles war noch neu; die Altardecke hatte ich gearbeitet, das Kirchlein war sehr schön geworden. Nun bin ich ohne Geld, nach Neujahr, und habe nicht mehr so recht die Augen zum Malen! Aber es geht vorüber und wird alles wieder gut! Im ersten Augenblick scheint es viel!«

Und zum Schluß stand auf einem besonderen Blättchen: »Unser Kirchlein wird wieder heil, – die Orgel wird ganz bezahlt; denn sie war versichert. Nun will ich doch wieder Sprüche malen, aber 150, das geht nicht mehr, das können meine Augen nicht mehr leisten! Ich mache sie jetzt auf Marmor, statt auf Holz.«

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Und dann wieder die Klagen über die erlöschende Sehkraft.

»Ach Gott, ja, die Augen! Ich schreibe eben auf einem Diwan, auf dem andern ruht der König. Der Arzt hat befohlen, daß das ewige Menschen-sehen und Menschen-sprechen für ihn etwas aufhören muß.

Wenn man 70 Jahre alt ist, das ist doch eine Grenze, wo ein bißchen Ruhe anfangen soll. Nun lesen, denken und sprechen wir zusammen, und ich habe doch auch ein bißchen meinen Mann, was früher nie der Fall war. Die übermäßige Arbeit trennte uns immer. Ich habe mich auch von der ganzen öffentlichen Tätigkeit zurückgezogen, erscheine auch nicht mehr in Konzerten und Theater, ich kann die enge Luft nicht mehr vertragen. Alles, was wir in vierzig Jahren gegründet haben, das lebt und blüht, und es sind schon zwei Generationen nach uns da, die jung und schön und stark sind.

Das Büchlein, von dem ich Ihnen erzählte, wurde fertig. Ein zweites bekam Königin Eleonore von Bulgarien; die hat es sehr schwer, da habe ich es ihr als Sonnenstrählchen zu Weihnacht geschickt!«

»Ja unser deutscher Humor! Er ist doch hoch über allem Witz der lateinischen Rasse, der uns oft so derb erscheint! Ist ein fröhliches Lachen nicht Gold wert?«

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Sehr anschaulich erfuhr ich später unter anderem, wie die Landesmutter bestrebt ist, die Industrie, namentlich die Frauenarbeit in Rumänien in die Höhe zu bringen.

»Ich gebe mir alle Mühe, unseren Bäuerinnen Verdienst zu verschaffen durch die Hebung der Seidenzucht und Weberei im Lande. Mein ganzes liebes Segenhaus am Rhein möbliere ich mit lauter von unseren Bäuerinnen gewebten seidenen und halbseidenen Stoffen, rosa, hellblau und graublau, und sie verdienen eine Masse dabei. Aber, mache ich sie dadurch auch wirklich glücklich? War ihre erste Antwort: »Nein, ich verkaufe keine Seide, – das tue ich nicht, – ich webe zu meinem eigenen Vergnügen, – zu Hochzeits- und Patengeschenken, – lieber mache ich mir Schuhe aus Seide als etwas zu verkaufen, das ich gewebt habe,« – nicht eher ein Zeichen von Behagen? So stolz, – sie verachteten förmlich den, der verkaufte!

Der alte Bauernstolz, der den berühmten Adelsstolz noch bei weitem übertrifft! Wenn ich aber keine Industrie in unser Land bringe, geht es zurück. Wir müssen alles tun, unseren Export zu erhöhen und zu vermehren, sonst kommen wir nicht aus! Es hat alles seine zwei und auch drei und fünf Seiten, – das Leben ist so kompliziert geworden.

Ich beeile mich, das Handgewerbe zu fördern, ehe wir von Maschinen überflutet sind. Wenn ich das Segenhaus von oben bis unten in rumänische Stoffe hülle, so ist das eine Art Reklame und wird vielleicht Bestellungen bringen. Aber bis jetzt haben unsere Frauen nicht die Idee, daß sie zwanzig, fünfzig, hundert Meter von demselben Muster machen können; das langweilt sie, und man ist nie sicher, wenn man nachbestellt, jemals wieder dasselbe zu bekommen. So ist alles sehr schwierig, und gar nicht so einfach Nationalökonomie auf diese Weise zu studieren, und kostet viel Mühe und Kopfzerbrechen.

Seit vierzig Jahren erfinde ich Verdienst für die Frauen meines Landes. Bei Nähen und Spitzenklöppeln stirbt man Hungers; bei Sticken geht es besser, wenn gerade die Mode herrscht, gestickte Sachen zu tragen. Seidenweberei scheint mir das einträglichste, besonders da man in jedem Hause Seidenzucht treibt, der Maulbeerbaum und die Seidenraupe im ganzen Lande gedeiht und die Eier für schweres Geld in Italien gekauft werden. Scharenweise kommen die Bauern mit ihren Kokons zu Markte. Das ist dann eine wirkliche Einnahme, – selbst gewachsen wie Getreide, – das verkaufen sie gern.

Um Sinaia herum haben sie durch die vielen Fremden nun doch schon gelernt Teppiche zu verkaufen. Sie glauben nicht, wie wunderschön das aussieht, wenn man an warmen Abenden durch die Dörfer fährt, und Hunderte von Frauen bis zu zehnjährigen kleinen Mädchen stehen da mit der Kunkel im Gürtel und spinnen, indem sie den Faden mit der Spindel bis auf die Erde laufen lassen, oder die Spindel mit der Hand schwingen. Es ist wunderbar malerisch. Sie färben sie auch selbst und wenn sie erst zu den alten vegetabilischen Farben zurückkehren, gibt es unverwüstliche wundervolle Muster. Die Teppiche sind ewig, da man sie mit Wasser und Seife waschen kann.«

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Wie einfach es im Schloß Monrepos bei Neuwied und in der Jugendzeit der Prinzessin zuging, wie ihr diese Einfachheit sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen und daß sie das Heimweh und die Sehnsucht nach der deutschen Heimat nie verloren, nie ganz verwunden hat, zeigen die folgenden Zeilen:

»Gott, was waren wir einfach und arm nach achtundvierzig! Natürlich habe ich Jakonett getragen, ganz steif gestärkt, mit Krinoline darunter, es war wunderschön!

Wir fanden es reizend, solch ein Mullkleidchen mit Tupfen bestickt, wie Fräulein Lavater es trug – zu zwölf Bällen.

Ein selbstgesticktes Mullkleid! Wer weiß, ob man nicht einmal wieder zu solcher Einfachheit zurückkehrt! Es wäre aber vielleicht ein schlechtes Zeichen, denn Fräulein Lavater kam nach den Freiheitskriegen, wo man ein gutes Mittagessen mit Kalbsbraten, Kartoffel und Salat für drei Kreuzer bekam.

In guten Haushaltungen kam einmal die Woche Kalbsbraten, und der wurde noch ein paar Tage gewärmt, dann aufgeschnitten und kalt gegessen, und da war man satt und lebte zufrieden!

Wenn ich nur an alles denke, was ich schon getragen habe, da muß ich fragen, waren die Moden nicht zu allen Zeiten verrückt? Aber da muß ich doch sagen, daß die Krinolinen anständiger aussahen mit den schönen Ballkleidern aufgebauscht wie eine Wolke, als die engen heutigen Kleider, in denen man schlimmer als nackt ist und die geschlitzt sind bis ins halbe Bein!«

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»Ja der Frühling in Deutschland das ist etwas einziges! Ich rieche ihn! Ich höre ihn! Ich möchte mitjubeln! Das ist die einzige Jahreszeit, die es hier nicht gibt! Aus vollem Winter in glühende Hitze, – im März manchmal schon 28 Grad, bevor noch Blätter an den Bäumen sind! Das ist wirklich schwer zu ertragen; das Klima ist schaurig! Wir haben jetzt mehrere warme Tage gehabt, und darauf wieder Schneesturm, und von unseren Schneestürmen macht man sich keinen Begriff, wenn man sie nicht miterlebt hat! Mein Heimweh ist oft am allergrößten nach einem Schneeglöckchen, nach einem Lerchentriller und Amselschlag! Sogar nach den Straßen von Neuwied habe ich Heimweh, nach der Zichorienfabrik und der Kartoffel- und Traubenzuckerfabrik! Ach ja, Heimweh, das ist eben unheilbar! Mein armer Vetter Wilhelm von Nassau besuchte uns öfter; wir bauten das Schloß und es waren Mainzer Arbeiter da.

Ich sagte: »Willi, willst Du Mainzer Deutsch hören?« – »O, wie gern!«

Ich: »Nun, wie gefallt es Ihne' dann hier?«

»O, ganz gut, mer kriegt nur hier kei' orndlich' Schöppche' Wein! Die Gläsche' sind zu klei'!«

Sie können sich denken, wie dem armen Vertriebenen das Herz pochte. Die ahnten nicht, was wir fühlten, während sie sprachen, die guten Mainzer Arbeiter, die Lieder sangen bei der Arbeit.

Wir versteckten uns unter dem Gerüste und hörten zu. Wir sahen einander an, lächelten und sagten kein Wort.

Ja, die rheinischen Kinder mit ihrem Heimweh. Das ist ein ganz besonderes Heimweh.

Meine Tante hatte nach Laubach geheiratet, nicht weit in die Wetterau, aber wenn sie im Wagen angereist kam, dann mußte sie aussteigen und hingehen, und den Rhein mit ihren schönen Händen streicheln.

Und wie wird es erst mir, wenn ich ihn sehe!«

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»Das Automobil hat mir heute den ersten Lerchentriller verschafft, den ich seit Jahren gehört. Es war noch sehr früh, wir waren weit gefahren, es passierte dem Automobil etwas, wir mußten aussteigen, da trillerten die Lerchen! Mein Gott, ich hatte gewollt, der Wagen würde in drei Stunden nicht repariert! In der Stadt höre ich keine Lerchen! Die Sehnsucht nach dem Geruch der Scholle ist unsagbar! Im goldenen Käfig! Wenn ich Märchen schreiben würde, säßen die Leute gewiß nicht in goldenen Palästen, sondern in Laubhütten, in der lieben Natur.

Wie sonderbar, daß man sich immer das ausdenkt, was man nicht hat!

Für mich wäre ein Hüttchen ein Ideal! Aber es müßte doch ein Bad darin sein und ein gutes Bett, nicht eine Pritsche. Und eine Lampe müßte es haben, einen guten Sessel, Bilder alter Meister und eine tief schlagende Uhr. Wie merkwürdig haben sich das Leben und die Bedürfnisse verändert seit meiner Jugend! Die jetzige Jugend mit ihrem Sport, ich möchte wohl wissen, ob sie so vergnügt ist, wie wir es waren. Wir erfanden so viel, unsere Phantasie war wirklich sehr reich, weil wir an sie appellierten jeden Augenblick.

Ich hatte mir in der Jugend immer gewünscht Dorfschullehrer zu werden, aber ich glaube, daß es auch manchmal die Kräfte übersteigt. Ich darf nicht klagen über meinen Beruf, der Boden war sehr fruchtbar und alles blüht, was ich gesät habe. Das muß mich mit Dank erfüllen, wenn es auch oft heiß zugegangen ist, und das Leben recht dunkel war.

Ich habe mir immer gewünscht etwas recht Humorvolles zu schreiben, es ist aber nie gelungen. Es ist nicht meine Note und man muß sich doch an das halten, was einem geschenkt ist! Ich habe ein komisches Stück geschrieben, aber wenn sie es spielen, machen sie es ordinär, und dann wirkt es unangenehm. Sonderbar, daß Humor ein ganz besonderes und sehr großes Talent ist, das man sich nicht geben kann. Ich hätte es so gern gehabt, aber es kommt nicht! Ich erzähle auch besser tragische Sachen, das ist wiederum ein anderes Talent. Die Welt ist so vielfältig und abwechslungsreich. Menschen zu studieren ist doch wohl die interessanteste Beschäftigung, die es geben kann. Jeder ist tiefinteressant, man muß nur mit geschickter Hand die Saite berühren, die vibriert.«

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Im Herbst 1912 klagte Königin Elisabeth über eine Zeit »hoffnungsloser Müdigkeit und Hinfälligkeit«.

»Es war so eigentümlich, vielleicht überarbeitet, besonders zu viel Menschen gesehen und mich für alle interessiert. Ich konnte nicht einmal schreiben, denn schreiben ist wie sprechen. Ich mußte liegen, sogar meine geliebte Handarbeit wurde lässig. Aber nun blüht sie wieder. Es kommen manchmal solche Zeiten, wo ich gar nicht recht in die Höhe komme. Doch dann kommt der alte Mut und der alte Fleiß wieder Hand in Hand gegangen, nehmen mich in ihre Arme und lachen ein bißchen, daß ich so kleinmütig war. Das Meer hat mich wieder aufgerichtet, das tut mir immer so gut, während das Hochgebirge etwas zu starkluftig für mein altwerdendes Herz ist. Ich weiß nicht, das Leben ist so rätselhaft. Ich hörte neulich einen kleinen Knaben sagen: »Du lehrst mich immer zu beten: Nimm uns alle wohl in acht, – und doch hat die Katze meinen Vogel gefressen.« Solcher Fragen hätte man viele auf dem Herzen!

Die Augen werden nicht mehr besser, aber ich habe mich nun damit abgefunden; ich ertrage es ganz geduldig und bringe es doch fertig zu schreiben und zu arbeiten. Nur die Musik geht nicht mehr und das Malen auch nicht. Ich denke, daß ich alles nur so lang habe tun sollen, bis ich die Anregung dazu gegeben, dann nimmt es der liebe Gott sachte weg und gibt es Anderen, Jüngeren. Man glaubt nicht, daß ich ganz blind werde, wenigstens so langsam, daß ich vorher ausgelebt habe. Ich arbeite jetzt eifrig an dem letzten Bändchen »Geflüsterte Worte« und denke, daß Sie es gern haben werden. Es ist wie ein heißer Lavastrom aus meiner Seele geflossen, ohne eine einzige Korrektur und da möchte ich gar nichts davon korrigieren, weil es wie eine Inspiration kam.«

»Das einzige, was bei mir ein tolles Lachen hervorbringt, ist eine mißlungene Tragödie! Ich sah in Wien eine solche, da mußte ich mich ins Foyer flüchten vor rettungslosem Lachen. Ich weiß nicht, wie das kommt; kein Fall, nichts in der Welt bringt mich dazu, Kontenance zu verlieren, im Leben nicht, – das Lächerliche macht mich höchstens traurig, aber ein schlechtes Trauerspiel, da bin ich verloren. Da lache ich, daß ich mir nicht helfen kann!«

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»Eine amerikanische Freundin hat mir eine fast geräuschlose Maschine geschenkt, in einem wundervollen Kasten in grauem Holz; mein Wald, so wie in meinem Ex libris, ist in Silber darauf graviert. So geschmackvoll! Ich war ganz wild vor Freude. Die Amerikaner lernen von der ersten Stunde an zu schreiben, ohne hinzusehen, und die Blinden können es ja auch sehr gut. Warum soll denn ich der große Hans sein, der nichts mehr lernen kann?

Diese amerikanische Freundin habe ich auch noch nie gesehen. Sie ist eine große Dichterin und eine furchtbar unglückliche Frau; verlor ihre vier Kinder in einem Jahre, – wurde blind – und ihr außerordentlich tüchtiger Mann verunglückte bei einem Eisenbahnunfall. Meine »Geflüsterten Worte« Verlag von W. Wunderlings Hofbuchhandlung in Regensburg. wurden ihr ein Trost, und so sind wir einander nahegekommen. Es geht ja so wunderbar zu auf dieser winzigen Erde! Die Menschen, die dazu bestimmt sind, einander zu verstehen und zu trösten, kommen allemal zusammen, ob auch das Weltmeer sie trennt. Was ist auch das Weltmeer, wenn es sich um Seelen handelt?«

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»Was denken Sie von den Suffragettes?« wurde ich ein anderes Mal gefragt.

»Ich glaube, die sind auf einem schrecklichen Holzweg; denn die Natur hat uns doch weder männliche Kraft, noch männliche Logik verliehen. – Natürlich müßte Frauenarbeit besser bezahlt sein; das ist wieder ein Kapitel für sich, – aber politische Rechte scheinen mir vollkommen unnötig.

Allerdings sollen in England zwei Millionen Frauen mehr sein als Männer. Warum bilden sie keine klösterlichen Gemeinschaften, wo viel schöne Arbeit gemacht würde, je nach Begabung und Anlage? Es war mein höchster Wunsch, solch' einen Verband zu gründen, – aber der nervus rerum hat immer gefehlt.«

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»Ich habe Ihnen Jemand geschickt – denken Sie wie die Dinge gehen! Mir wurde mitgeteilt, daß ein Herr aus Neuwied in Bukarest ist und mich sehen möchte; er inspizierte dort die deutschen Schulen. Er kam zu mir nach Constantza Am Schwarzen Meer, wo später die Begegnung mit dem Zaren stattfand.; wir blieben den ganzen Tag beisammen, sprachen Neuwiedisch und erinnerten uns an unsere alten Lehrer, die wir zusammen gehabt. Ich erzählte ihm von Weinheim, er hat Ihre Adresse in der Tasche, und wenn er wieder dorthin kommt, wird er Sie besuchen. Nie hätte ich gedacht, daß ich noch einmal im Leben von meinen alten Lehrern sprechen könnte. Gott, wie wurde alles lebendig! Wir plauderten von den köstlichen Kleinstädten Deutschlands, deren ganzen Wert nur der kennt, der darin geboren und groß geworden ist, und der weiß, wie viele tiefe Herzens- und Geistesbildung sich oft in den bescheidenen Umgebungen verbirgt und wie ehrwürdig viele komische Dinge sind. Es war eine große und reine Freude, wirklich, ich habe den Tag sehr genossen. Ach, so ein klein', deutsch' Städtchen, wie ist das lieb: Ich sehne mich so oft darnach zurück!«

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Ihre erste politische Sorge äußert Carmen Sylva, anläßlich des Balkankrieges, in einem Brief, geschrieben zu Sinaia am 8. Oktober 1912:

»Wir sind in nicht geringer Sorge, seit es im Nachbarstaate brennt. Unser politisches Interesse wäre nämlich nicht, daß die Bulgaren siegen, denn ein starkes Bulgarien wäre für uns eine große Gefahr. Ich kann nicht anders, als mich für das aufstrebende Volk interessieren, wenn sie auch nicht unsere Freunde sind und uns gern das Stückchen Land, das wir am Meer errungen, wieder abnehmen möchten. Sie können gar nicht denken, wie sonderbar verwickelt unsere Lage ist und wie groß unsere Sorge. Der König ist eigentlich der, auf den alle sehen. Wir sind ein bißchen in der Stellung einer schönen Frau, der man von allen Seiten die Cour macht. Es war eigentümlich, daß der König den russischen Feldmarschallstab geschickt bekam, als die Nachbarn wie ein Mann aufstanden und den Krieg erklärten. Der König hatte das schon mitgeteilt, er wußte, daß die Balkanhalbinsel sich zu einer Erhebung vereinigt, und überraschte damit sehr in Österreich, wo man es noch nicht ahnte. Man hört jetzt allenthalben auf meinen König. Die Zeiten haben sich sehr geändert, wenn ich an unsern Anfang zurückdenke, und an das allgemeine Übelwollen, das uns umfing. Das war hauptsächlich im Jahre 1870, als der deutschfranzösische Krieg ausbrach.

Ich habe eine wahre Todesangst, wir könnten in die Wirren hineingezogen werden. Wenn auch der König sich als Heerführer bewährt hat, so ist er doch setzt vierundsiebzig. Allerdings haben schon andere Heerführer, im Wagen liegend, Schlachten gewonnen, und Gott sei Dank, ist bei ihm der Geist stärker als der Körper. Für den Augenblick haben wir nur zuzusehen und uns ganz still zu verhalten. Aber die Donau zwischen uns und dem gewaltigen Tumult scheint aus einmal gar nicht mehr der gewaltige Strom, sondern eine kleine Wasserbahn. Nehmen Sie sich eine Karte von Europa und sehen Sie unser Land an. Wie unbegreiflich, daß es überhaupt noch existiert und nicht schon längst der Bärenumarmung irgendeines Nachbarn erlegen ist! Die Rumänen haben gar nichts mit den Bulgaren gemein. Die sind ungeheuer fleißig und sparsam, aber viel weniger begabt, als die glänzenden Rumänen. Kein Rumäne ist sparsam. Wenn einer seinen Freund um Geld bittet, so antwortet der: Ja, sieh nur 'mal nach, im anderen Zimmer in der Schublade, da hab' ich Geld, nimm dir nur, was Du brauchst.«

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»Das Schloß raucht von Arbeit: In einem Zimmer studiert unser großer Geiger Ernesco für seine nächste Konzerttournee, daneben im Atelier arbeiten ein Maler und eine Malerin, nicht weit davon kopieren zwei Damen unsere schönen Bilder, ich zwischen Allen mit neuen Büchern im Kopf und in der Feder, – und unten der König, bei dem die Arbeit nie stillsteht!

Man sagt immer, es sei nicht gut, reich zu sein, aber wem würden die Maler ihre Bilder verkaufen, vor wem würden die Musiker spielen, wenn es keine reichen Leute gäbe! Sie sollen nur lernen, ihr Gut richtig anzuwenden und die Armen damit zu erfreuen. Wir haben hier das schöne Schloß, aber gewiß nicht für uns allein!

Wer herkommt und sich einschreibt, wird zu Tisch geladen, so daß alle Menschen bei ihrem König essen. Das macht, daß alle das Gefühl haben, daß ihnen das Schloß mitgehört. Wenn wir es nun nicht hätten, so könnten wir nicht sechstausend Personen im Jahr einladen. Man muß nur von dem Seinen mitteilen, darauf kommt es an. Man muß denken, man wäre nur Mitbesitzer und als hätten Alle dasselbe Gut. Man sollte die reichen Kinder lehren, immer Wünsche zu erraten und Freude zu machen, wo und wie sie nur können. Es wäre so gut für sie, aber das übersieht man zu oft.«

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»Es ist sonderbar, wir können nicht aussehen wie die Leute aus dem achtzehnten Jahrhundert, weil wir nicht so fühlen wie sie. Erst die große Revolution hat uns zu dem gemacht, wie wir jetzt sind, viel weniger graziös und leichtlebig, aber ein gut Teil ernster. Wenn nun noch ein Weltkrieg kommen sollte, dann wird wieder eine Menge Leichtsinn aus der Welt gekehrt werden. Wenn man ihr doch etwas mehr Zufriedenheit schenken könnte! Aber das ist wohl auch nicht möglich, den verwöhnten Menschen Dankbarkeit ins Herz zu gießen! Wenn man sehen würde, wie wir hier gewohnt haben, in Mönchszellen, mit weiß getünchten Wänden und Holzmöbeln, auf denen wir saßen! Sessel gab es nicht bei uns, und nur ganz kleine Stübchen, und wir waren sehr zufrieden.«

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»Für mein abgebrannt' Kirchlein hat mir Herr von Krupp-Halbach die Glocken geschenkt, die habe ich nach den Engeln Raphael, Gabriel und Uriel genannt. Raphael ist der Beschützer der Wanderer und unsere Kirche ist ja von Wanderern gefüllt. Gabriel bringt Leben und Tod und Uriel das Licht. Sie sollen wunderschön klingen, und so werde ich sie immerfort aus meinem Fenster hören, und es wird sein, als riefen mir die Engel einen Gruß zu!

Wenn alle Menschen sich kleine Blümchen in ihre Briefe legen wollten wie Sie, so würde das sehr lieb sein. Gleich etwas Duftendes, das den ganzen Brief durchströmt. Ich möchte Ihnen auch immer welche schicken, aber ich gehe ja nie spazieren. Das kann ich noch immer nicht, wie lieb ich auch den Wald habe.«

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Ein Brief vom 25. Oktober 1912 sagt:

»Wir sind in großer Sorge wegen dem Krieg vor unserer Tür'! Wenn es im Nachbarhause brennt, so ist das sehr ungemütlich und auch ziemlich bedenklich. Jedermann rechnet auf den König, daß er den Frieden wiederherstellen wird. Gott soll ihm dazu helfen, ehe ein Weltbrand ausbricht, wonach es viel mehr aussieht als nach Frieden. Im Frühjahr wird vielleicht ganz Europa in Flammen stehen. –

Wir wissen fast nichts vom Kriegsschauplatz, man hält alles geheim. Vielleicht weiß man in der übrigen Welt mehr als in der nächsten Nähe. Wir wissen nur, daß unser Handel und unsere Ausfuhr unsagbar leiden und viel Armut die Folge davon sein wird, daß unsere Nachbarn sich hauen.«

In einem Schreiben vom 7. November 1912 bekomme ich erzählt:

»Wir haben in die drei Nachbarländer Ambulanzen geschickt, nach der Türkei, Bulgarien und Serbien, unsere Neutralität streng bewahrend. Jede Ambulanz kostet hunderttausend Franken. Es ist immer ein kleines Spital für 25 Betten mit vielen Ärzten und mit allem Nötigen ausgestattet. Gott, was will das heißen, wo Tausende hilflos daliegen! Der Enthusiasmus dieser jungen Völker ist großartig. In Montenegro gibt es jetzt zehnjährige Metzger, Bäcker und Kaufleute, da Männer und Frauen fort sind in den Krieg. In Bulgarien sind fast Alle fort, von siebzehn bis zu fünfzig Jahren. Einstweilen ist es meinem weisen König gelungen, das übrige Europa zur Ruhe zu veranlassen. Man wendet sich beständig an ihn und folgt Gott sei Dank seinem Rat. Er hat auch nicht einen Mann mobilisiert. – Das würde eine Masse Geld kosten und unser mühsam Erspartes wäre in ein paar Tagen fort. Rumänien war gerade in große Prosperität gekommen, wir hatten mehr Geld als wir unterbringen konnten und erwarteten eine Ausfuhr wie noch nie. Nun war ein großer Schrecken: es ging ein großes Torpedo im Schwarzen Meer spazieren. Der König hat einer Kommission den Auftrag gegeben es zu finden und zu fischen und das ist gestern gelungen, so daß man wieder ohne Angst zu uns hereinfahren kann.«

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»Hier ist ein bulgarischer Gärtner; dem hat man drei Söhne und zwei Schwiegersöhne abverlangt und nun auch gestern seine beiden jüngsten Söhne von 19 und 17 Jahren, und der Mann hat mit keiner Wimper gezuckt. Rumänien ist heute das reichste Land in Europa, und wenn ich denke, daß anfangs eine Frau die Staatskasse verwaltete – eine Frau Frank!

Wir haben schlimme Zeiten ausgehalten. Natürlich sahen wir auch keine Zivilliste; denn wo nichts war, gab es nichts. Und nun steht das wunderbare Schloß und ist ein wahres Monument rumänischen Aufschwungs und seines Königs Geduld und Ausdauer. Der liebe Gott wird doch wollen, daß er am Leben bleibt! Ganz Europa schaut auf ihn; er konnte neulich sagen: Das werde ich nie zugeben, – nur kein Krieg, – das ist zu teuer!«

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»So lange habe ich geschwiegen«, heißt es unter anderem in einem späteren Brief; »zuerst die Irisoperationen, die nur die Extraktion des Stars vorbereitet und mir nicht die geringste Erleichterung brachte, und dann gleich Influenza mit Bronchitis und lange im Bett und so schändlich schwach, daß das Schreiben fast unmöglich war. Ich schreibe jetzt, ohne hinzusehen. Es scheint mir eine problematische Geschichte mit den Augen und das Resultat nicht so glänzend, wie man es sich vorstellt. Das ist nicht so wie in den Büchern; es geht langsam und verlangt viel Geduld. Das ist nicht der berühmte Jubelschrei: Ich sehe! Nun, wenn nur am Ende das Augenlicht wiederkommt!

Das Nichtlesen ist vielleicht das Schwerste! Ich hatte mich so daran gewöhnt, wenn die Gedanken quälend wurden und die Erinnerungen furchtbar, nach einem Buche zu greifen wie der Trinker nach dem Glas! Nun muß ich meinen Gedanken Audienz geben und das ist oft sehr schwer. Meine schönen Handarbeiten gehen aber weiter, die leiden nicht; denn ein Blinder kann die machen. Es ist doch eine Wohltat, wenn man überhaupt arbeiten kann.«

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»In Neuwied lebte eine alte Dame, die so unendlich lieb zu mir war, bei der ich oft sang und die mich auch mit Konfitüren regalierte. Von der erfuhr ich erst viel später, daß mein Vater ihre erste Liebe gewesen war. Sie hatte noch die Locken behalten, wie man sie in der Kindheit trug, und war so gut und so sanft und so freundlich, und ich hatte ihre altmodischen Möbel so gern! Als sie starb, kaufte meine Mutter den Stoff aus ihrer Eltern Salon, wie man gar keinen mehr bekommt, und damit habe ich mir einen reizenden Salon in Segenhaus gemacht. Damals war man doch so fein gegen heute! Meine Mutter wurde verheiratet, ohne meinen Vater zu kennen; aber als sie nach Neuwied kam, da sagte man ihr, sie müsse gegen die Dame sehr liebenswürdig und rücksichtsvoll sein, da sie ihres Mannes erste Liebe gewesen.

Heutzutage verfährt man derber und härter, und die erste arme Liebe wird weit fortgetan, nicht mehr gesehen, und wie eine Sünde behandelt man die niedliche Idylle. Ich habe das durchgemacht und erduldet. Ich war noch so altmodisch! Ich finde, Freundschaft ist das höchste Gefühl auf Erden. Freundschaft ist etwas vollkommen Heiliges und Hehres, das meiner Meinung nach hoch über der Liebe steht, weil selbstlos und frei von Sinnlichkeit.

Die Welt ist so garstig. Der liebe Gott muß doch zuweilen den Kopf schütteln und sich fragen, ob eine zweite Sintflut genügen würde, oder ob es nicht besser sei, die ganze Erde von der Sonne verschlucken zu lassen. Eine Sintflut kehrt nicht genug aus, das muß gründlicher sein.

Ich weiß nicht, ob Sie meine Schrift heute lesen können, sobald ich in Eifer komme, weiß ich nicht, was die Finger machen; alles verschwimmt im Nebelgrau! Ich kann nicht sagen, daß es angenehm ist, aber die Hoffnung ist da, daß es besser wird, und so lebt man weiter.«

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»Heute wird mein klein protestantisch Kirchlein neu geweiht, da es fertig aufgebaut ist und eine neue Orgel hat. Ich habe auch wieder viele Sprüche gemalt, für die verbrannten. Das war mühselig mit den schlechten Augen, aber es ist doch gegangen! Der liebe Gott schenke mir Ihren wunderbaren Humor und segne Sie für jedes heitere Wort! Wie viele Dinge werden dadurch erträglicher!

Es ist ein eigentümlich Gefangenenleben so auf dem Thron; man ist immer eingeschlossen und zu Hause; spazieren geht man nicht, zu Fuß kann man in der Stadt nicht gehen, da würden einem Hunderte nachlaufen. So gehen wir manchmal in den Garten, wenn wir Zeit haben, aber die haben wir eigentlich nie.

Ich habe mir den Speicher unseres alten Hauses, das recht baufällig wird, in ein Atelier umwandeln lassen. Daneben habe ich ein weißgetünchtes Stübchen mit blauen Vorhängen und lauter Heiligtümern an der Wand, und an der anderen Seite – auch weißgetüncht und mit lauter weißseidenen von unseren Bäuerinnen gewebten Vorhängen – das Familienzimmer. Wir hatten nämlich keins, man deckte immer erst den Tisch, wenn die Audienzen vorbei waren. Es ist ein kleines Reich für sich, das ich dem Speicher abgewonnen habe, eigentlich ohne den König zu fragen, und nur mit unserem Architekten. Und ein ganz kleiner Gang führt über den Speicher hinüber in des Königs Zimmer. Es ist wirklich reizend. Die Kinder Die sechs Kinder des damaligen Thronfolgers, jetzigen Königs Ferdinand. um den Tisch, und solche schöne Kinder! Sie sind doch ein Trost und eine Freude für uns. Da wir unser einziges haben hergeben müssen und kein anderes gekommen ist, unsere Einsamkeit zu erhellen, müssen wir für diese dankbar sein, die doch manchmal bei uns sind, Sonntags immer, und die Spektakel machen! Es ist so furchtbar, ein stilles Haus ohne Kinderlärm! Man glaubt nicht, wie tot und traurig das ist! Ich habe mich vor drei Dingen gefürchtet im Leben, – vor einem Thron – vor einem kinderlosen Haus – und davor, allein übrig bleiben zu müssen von meinen Lieben auf der Erde – gerade die drei Dinge, die mein Schicksal waren! Es war wohl eine Ahnung, es war ein Vorgefühl von dem was mich erwartete.« –

»Es ist jetzt 6 Uhr, eben hat eine meiner treuen Dienerinnen mein Bad bereitet, wir müssen immer früh fertig sein, daß der König um sieben Uhr seinen Kaffee hat! Bitte bald wieder schreiben. Sie sind der einzige Mensch an den ich schreiben kann ohne steif zu werden.«

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In einem anderen Brief spricht Carmen Sylva ihre Freude aus, über die Fortschritte, die sie in der Beherrschung ihrer Schreibmaschine macht.

»Ich finde, daß es besser geht mit dem Schreiben ohne hinzusehen und daß die Geschichte von Hans und Hänschen so wenig wahr ist, wie viele andere! Man muß sich nur das Hänschen-Herz bewahren, dann kann man mit 70 Jahren noch eine Menge lernen, das Alter macht da wirklich nichts aus.

Eben fliegt ein schöner Schmetterling um meinen Kopf, der offenbar in meinem Zimmer Schutz sucht vor der Kälte draußen. So still flog er daher und streifte meine weißen Locken.«

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»Wir haben hier viel Klavierholz in den Wäldern, Resonanzholz heißt es, das nur gewisse Bäume liefern, das nach Leipzig an Blüthner und nach Stuttgart an Sedlmaier geht, und da schicke ich immer Grüße mit und den Wunsch, daß es schön klingen möge und kein Wunderkind damit zu Tod gequält wird. Die Kategorie der Wunderkinder ist mein Herzeleid, die armen Tierchen! Und weil ich musikalisch bin, glauben die Leute, das Wunderkind freut mich noch!

Zum Operieren der Augen habe ich eben leider wirklich keine Zeit, denn die Gäste sind sehr zahlreich und ich kann die Sorge um sie meinem armen König nicht allein zumuten. Auch fährt er manchmal gern etwas Automobil, wenn ich aber nicht dabei bin, fährt er gar nicht und das Gehen fängt doch an, ihm beschwerlich zu werden. Der Schritt ist noch fest und elastisch, aber nicht mehr ausdauernd. Mit Vierundsiebzig läuft man nicht mehr in die Berge, wie so viele dieser hohen Herren, die dadurch im Training bleiben. Ich möchte aber wissen, wann der König hätte auf die Jagd gehen sollen in seinem arbeitsreichen Leben. Im Winter kommt er überhaupt nicht hinaus, oft monatelang nicht! Wundervoll ist der Sonnenuntergang dieses opfervollen Lebens! Wundervoll! Und man kann nicht dankbar genug sein für dieses Gelingen.«

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Aus dem Inhalt weiterer Briefe von 1912 und 1913 seien hier noch folgende Stellen angeführt:

»Es ist eine große Qual mit den Augen; und so überaus amüsant, wie andere Menschen so gut unsere Leiden ertragen können. Sie sagen immer: »O, das ist nur vorübergehend, – Sie werden alles wieder tun können!«

Ich möchte so gerne wissen wie viel das ist, alles! Viel lesen? – Wohl schwerlich! Schreiben? Hoffentlich besser als jetzt, aber ob viele Stunden nacheinander? Ich zweifle! Man denkt nicht, daß ich nun schon ein Jahr nicht mehr lese, ich, die ein Buch im Tag verschlang!

Ich habe aber nun doch gelernt, meinen Gedanken Audienz zu geben ohne Angst und Qual, was ein großer Fortschritt ist! Früher wagte ich das nicht, weil selbst die Erinnerung mich so verzweifelt machte, daß es mir ging, wie dem Reiter am Bodensee. Ich kann jetzt zurücksehen ohne schwindelig zu werden; das ist schon viel. Ich glaube, ich habe viel gelernt in diesem Jahre.

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»Das linke Auge wird vielleicht bald operiert. So ein ganz klein bißchen kalt habe ich im Rücken, aber man weiß ja, daß die Staroperationen so gut gelingen.

Es ist schon eine Wohltat, daß man nicht auf völlige Erblindung wartet, sondern vorher operiert.«

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»Man will meinen 70. Geburtstag so wunderschön feiern, man will mir sogar ein Monument setzen! Da habe ich händeringend gebeten, mir das zu ersparen, das schöne Geld nicht so zu verschwenden, sondern für eine meiner Stiftungen zu verwenden, die ich so in die Höhe bringen könnte, wenn ich ein bißchen Geld hätte. Was meine Statue kosten würde ist schrecklich viel, und so eitel bin ich nicht, daß mir das Freude machen könnte. Ich bleibe lieber als Legende in den Herzen der Menschen, als in Stein und Marmor, kalt und fremd und gleichgültig.

Wirklich, ich könnte weinen vor Kummer, wenn sie mir das antun würden, während sie mir eine Sorge von den Schultern nehmen würden, wenn sie mir helfen, ein Liebeswerk vollenden! Ich sagte: Ihr wollt mir doch eine Freude machen, und das schönste Monument ist eine Stiftung, die in Jahrhunderten noch gutes tut.«

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»Ich habe mir so etwas Nettes ausgedacht. Manina Das älteste vierjährige Töchterchen ihres Neffen, des Prinzen von Wied, von dem die Königin in einem früheren Brief erzählte und ein Bildchen schickte. hatte so gern einen großen Hund, den ich unter anderem angeschafft hatte, um all die vielen Kinder zu amüsieren, die mich besuchen; in den Hund hat sie sich förmlich verliebt. Ich hatte wirklich das Herz, das Kind abreisen zu lassen, ohne ihm den Hund zu schenken; nun wird sie ihn unter dem Weihnachtsbaum finden, mit einem Blumenkranz um den Hals und einem Brieflein an einem roten Band, daß er es ohne Manina nicht hat aushalten können und einfach davongelaufen ist.

Ich hüte mich, den Kindern zu zeigen, wie gut ich mit ihnen spielen kann, weil sie mich sonst so müde machen, daß ich es gar nicht mehr aushalten könnte! Die Stellung einer Großmutter kann man nur im Schweiße seines Angesichts erwerben.«

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Der Brief vom 15. September 1913 enthält wieder viel von Politik.

»Heute hat mein König die ganze Balkanhalbinsel in seiner Gewalt. Und was das Wunderbarste ist: Alle sind ihm dankbar. Bei der Friedenskonferenz hat sich König Carol alle die grimmigen Feinde zu Freunden gemacht. Als gestern sogar der türkische Gesandte zu mir sagte, sie seien ihm dankbar, daß sie Adrianopel bekämen, da dachte ich, daß das wirklich die Krone ist.

Alle haben nun ungefähr dasselbe nach Kilometern gemessen und guten Boden; Niemand kann unzufrieden sein, nachdem sie Alle haben etwas einhalten müssen. Wie ein großer Lehrer hat der König mit jedem Einzelnen stundenlang gesprochen und sie Alle überzeugt, daß er recht hatte. Es schadet nichts, daß ich nicht arbeiten kann, wo das Erleben so groß ist. Ich sorge nur, daß der König ruht, das ist all' mein Geschäft, und das ist für den Augenblick genug.

Meinem Neffen, Wilhelm von Wied, hat man die Krone Albaniens angetragen. Er hat geantwortet, daß er, ohne den Großonkel zu fragen, nicht antworten kann. Heute erwarte ich seine junge Frau mit dem ältesten Kinde; er kommt, sobald er frei wird. Dann kommt auch sein jüngerer Bruder, um uns seine junge Frau vorzustellen, und so haben wir eine schöne und interessante Zeit, in der große Entscheidungen fallen werden! Das Jahr schließt wundervoll ab: Mein König sieht blühend aus in seinem weißen Haar; nur ein bißchen kleiner ist er schon geworden, aber sein Gedächtnis und sein Adlerauge sind wie vor zwanzig Jahren, und sein geistiger Weitblick nimmt nur immer zu. Da tanzt mein Herz vor Freude.«

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Im Brief, geschrieben am 30. Dezember 1913, einen Tag nach dem siebzigsten Geburtstag der Königin, heißt es:

»Ach Gott, ach Gott, – die erste ruhige Stunde! Tausende von Telegrammen diktiert, – müd' bis zur Erschöpfung! Und da ist er ja, der Brief, aus den ich mich so gefreut! – Ich diktiere weiter; denn schon verschwimmt alles im Nebelgrau!

Jetzt das Bild von meinem Geburtstag.

Wenige Tage vorher starb mir eine heißgeliebte Freundin, die als junges Mädchen bei mir eintrat und mir vierzig Jahre zur Seite gestanden hatte. Dann starb der treueste Freund, der seit dreißig Jahren des Königs Gut verwaltet; den Tag zuvor meine arme Schwägerin, die von langem Leiden erlöst ist, und in der Nacht darauf die letzte Schwester meiner Mutter, die Königin von Schweden.

In diesen Trauerrahmen eingefaßt, steht mein Geburtstag wie ein schönes Kirchenfenster, hell beleuchtet, ergreifend einfach, weil die Liebe wahr und ihre Beweise aufrichtig gewesen sind.

Die protestantische Gemeinde schenkte mir ein Waisenkindchen, dessen Vater im Krieg geblieben, dessen Mutter sterbend im Spital liegt. Für alle Zeit soll diese Elisabeth-Stiftung ein rumänisches Waisenkind erziehen, bis es sich selbst weiterhelfen kann.

Die Diakonissen stifteten ein Freibett, zu dem sie in wenig Tagen 20,000 Franken erbettelt hatten.

Die katholische Gemeinde schenkte reiche Gaben für die Armen und Holz, und dazu sangen die Schulkinder »Lobe den Herren«, »Es ist ein Reis entsprungen« und »Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre«. Ich hatte beständig das Gefühl, als könne die Brust das Herz nicht mehr fassen, so stürmte es!

Gleich darauf wurde ich hinunter in den Hof gerufen, – der Doktor hüllte mich rasch in Pelze, denn bei der Augenoperation darf man nicht niesen, – und da kamen, mit weißen Tüchern auf den Köpfen, 2800 Arbeiterinnen aus der Tabakfabrik mit Blumen und Tüchern, auf denen geschrieben stand: Es lebe die Mutter der Armen! Und die Älteste der Arbeiterinnen hielt eine Ansprache an mich und dann defilierten sie an mir vorbei. Denken Sie 'mal, das war vielleicht der einzige Feiertag für diese Frauen, ein Lächeln ihrer Königin! Ich heul' gleich wieder! –

Am Nachmittag kamen alle meine Armenvereine, ungefähr 24 an der Zahl, zwischen 5-600 Damen im Festsaal, die mich mit Blumen überschütteten, Geschenke brachten und Worte der Liebe. Von den fernsten Ecken des Landes waren sie im Winter angereist, für einen einzigen Gruß, für einen Händedruck und mein beständiges »Gott segne Sie«.

War das nicht wunderschön?

Noch habe ich hinzuzufügen, daß das Ministerium mir unsern höchsten Orden bescherte, und gleich darauf die ganze Armee eine Medaille, die nur für mich ganz allein geprägt wird. Der Kriegsminister hielt eine wundervolle Ansprache, und ich sagte, daß sie mir in meiner letzten Ruhestatt die Medaille auf die Brust legen sollten; ja, es war sehr schön!«

»Die Weihnachtsfeier in Cotroceni mußte verschoben werden, weil die Eltern und erwachsenen Kinder zur Beisetzung nach Sigmaringen gefahren sind. Die ganze Balkanhalbinsel ist wieder in gährender Unruhe, so daß König Carol noch fester am Steuer sitzen muß, damit das unterirdische grollende Erdbeben nicht sein ganzes Lebenswerk zerstöre.«

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Ich lasse hier ein Gedicht folgen, das Carmen Sylva einige Zeit nachher in einen ihrer Briefe einlegte.

Sie hat es, wie sie angab, für mich verfaßt; es wird wohl eines ihrer letzten Gedichte gewesen sein.

 

Gib nie dahin Dein fröhlichsein!


Gib nie dahin Dein Fröhlichsein,
Mach' Deine Fenster groß,
Damit der liebe Sonnenschein
Herein kann, rücksichtslos!

Damit Dein nächtlich Lämplein glüht
Zum Wanderer hinaus –
Damit für Jedes duftig blüht
Dein Herzensblumenstrauß!

Sei fröhlich wie ein tief' Gemüt,
Das Dankbarkeit erhellt, –
Sei fröhlich wie ein Liedlein sprüht
Von Mund zu Mund geschnellt.

Sei fröhlich wie der Sonnenstrahl
Im krausen Mädchenhaar,
Wie vor geschloss'nem Weihnachtssaal
Des Hauses Kinderschar.

Sei fröhlich wie der Wiesenhang
Voll Schlüsselblumen – kling'
Wie reiner, hehrer Glockenklang, –
Sing', Menschenseele, sing'!

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Im persönlichen Briefwechsel folgte nun eine größere, fast halbjährige Pause. Carmen Sylva ließ mir schreiben und berichten durch ihre deutsche Freundin Bucura Dumbrava, die in Bukarest wohnt und fast täglich im Palast verkehrte. »Bucura Dumbrava« zu deutsch »Waldquell«, ist der Schriftstellername, den Carmen Sylva ihr zulegte. Ihre zwei äußerst interessanten, in Deutsch geschriebenen Bücher »Der Haiduck« und »Der Pandur« Verlag von W. Wunderlings Hofbuchhandlung in Regensburg., die in Rumänien spielen, sind unvergängliche Kulturwerke von großer Schönheit und hohem Wert; Meisterwerke, die einzig in ihrer Art dastehen.

Im Februar 1914 erfuhr ich von ihr, daß die Operation des einen, völlig erblindeten Auges gut gelungen sei, Königin Elisabeth aber noch eine Zeitlang im Dunkeln liegen müsse, und im März konnte sie mir berichten, daß auch die Voroperation für das zweite Auge gemacht würde.

Im Juni bekam ich erzählt, daß das Herrscherpaar eine wunderbar-schöne Reise in das Donaudelta und die Dobrudscha unternommen und durch seine Herzensgüte Triumphe wahrer, höchster Menschlichkeit gefeiert habe, selbst in dem kurz vorher einverleibten bulgarischen Landstrich.

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»Meine liebe Frau Sommer, nicht wahr, das ist doch schön, daß ich endlich wieder selbst schreiben kann, und daß die Finger wieder fliegen,« beginnt ein Brief aus Sinaia vom 9. Juli 1914.

»Ich habe soviel erlebt in den letzten Monaten und Wochen! Die Blätter an den Bäumen, – die Blumen auf den Wiesen, – das ist schon ganz überwältigend. Dann die schönen Farben hier im Schlosse, von denen ich keine Ahnung hatte, – dann die Ereignisse in Bosnien und Albanien, wo man die Einen um den gemeinsamen Tod nur beneiden kann und den Andern so gern helfen möchte und nicht kann. Früher waren wir Frauen ein Schutz für unsere Männer, jetzt können wir wenigstens die Gefahren und das tapfere Sterben mit ihnen teilen! Der Besuch des russischen Kaisers in Constantza lief ja so gut ab! Das Schönste an dem Tag war aber, als der König herausritt und feine Truppen vorführte; und dann am Abend, als alles vorbei war und so gut abgelaufen, kamen die Offiziere vor unser Häuschen am Meer, sangen improvisiert die Hymne und umringten jubelnd ihren alten Führer und Meister. Es war sehr schön; dieser improvisierte Gesang war herrlicher als der beste Chor!

Und dann atmeten wir alle auf!

Wie viel ängstlicher wären wir gewesen, wenn das greuliche Attentat in Bosnien bereits stattgefunden hätte! So war man ruhig und voll Mutes, weil die Reife in den neuen Landesstrichen so gut verlaufen, trotz der großen Sorgen der Getreuen! Es war in des Königs Leben so schön, daß er alles zu Ende führen durfte. Auch die Donaubrücke steht. Ich fahre nur immer stehend darüber, mit einem Dankgebet auf den Lippen, daß man einen solchen Mann zum König gehabt hat. Ja, ja, die heilige Arbeit! Das schöne Leben, das Arbeit enthalten hat! Man sieht doch gern zurück, wenn es auch oft stürmisch war, und das Wasser bis an den Mund ging. Aber man ist ja noch da und wartet auf den großen Appell. Das Altwerden wäre ja wunderschön, wenn das viele Abschiednehmen nicht wäre und das Überleben der Jüngeren, auf die man sicher gezählt hatte als auf die Fortsetzer begonnener Dinge! Ich werde noch müde beim Schreiben, nicht nur die Augen sondern auch der Kopf! Eben übersetze ich die Märchen der Prinzessin Die jetzige Königin. ins Deutsche und werde Ihnen alle schicken.«

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»Gestern war ich als Hausfrau in unserem Kinematographen«, plaudert Carmen Sylva ein anderes Mal, »aber das ist zu gefährlich für die Augen. Wenn ich ganz blind werde, dann gehe ich hin, nur um die Kinder lachen zu hören! Kennen Sie die nette Geschichte aus der Schule? Der Lehrer frägt: »Wer kann mir ein Tier des Feldes nennen?« Allgemeines, tiefes Schweigen.

Endlich hebt ein klein' Bübchen sein Fingerchen.

»Nun, mein Kind, heraus mit der Sprache!«

»E' Wärmche', Herr Lehrer!«

»Recht so, – wer kann mir noch ein Tier des Feldes nennen?«

Wieder allgemeines, tiefes Schweigen. Da hebt das gleiche Kind wieder sein Fingerchen.

»Ei, so ist's recht; weißt Du wieder ein's?«

»Noch e' Wärmche', Herr Lehrer!«

Etwas anderes. Eine Dame geht mit ihrem Kind in das Museum; da liegt Prometheus und der Adler frißt ihm die Leber. Bei der mütterlichen Erklärung sagt das Kind:

»Ach, der arme Adler!«

»Warum denn?«

»Ach, der arme Adler!«

»Aber, warum ist denn der Adler arm?«

»Muß alle Tage Leber fressen!«

Ein anderes Kind sieht ein Bild einer römischen Arena, wo die Christen von wilden Tieren gefressen werden. Es kommt nach Hause und sagt:

»Aber, da war so ein armer Tiger, der hatte gar keinen Christen!«

Kölner Geschichten wußte ich so viele! Als mein Bruder noch lebte, steckte er so voll unsalonfähiger Anekdoten, daß man sich halb tot lachte, wenn man beisammen war.

Pitter und Drickes sitzen am Ufer und gucken ins Wasser. Da sagt Drickes:

»Guck e'mol Pitter, dat Örmche'!«

»Warum säg'st De dann Örmche'? Warum säg'st De dann nit Wörmche'?«

»Dazu bin ich zu mied'!«

Wird man nicht ordentlich müde, wenn man das gut erzählt?

Von Leonore dachten wir immer, daß sie im Wagen um das Morgenrot herumfuhr, und meine Mutter sagte als Kind ein Gedicht her, das hieß:

Als Solimann in frommer Wut
Die Mauren von sich stieß,
Floß Omar's junges Heldenblut
Durch Gußmanns Ritterspieß.

Da dachte sie, die Mauern sind umgefallen, der Spieß war hohl, da floß Blut hindurch! Natürlich, wie soll man sich das auch anders ausmalen! –

Wenn man sich erinnert, was man als Kind gedacht hat, und was die Großen denken, daß man denkt, und einen dafür schelten und für eigensinnig halten, tut es einem leid, daß man es nicht besser behalten; es gäbe zu köstliche Sachen.«

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Zwischendurch erhielt ich einige Telegramme und am 11. September 1914 kam wieder ein Brief aus Bukarest.

»Das Heldentum fängt immer bei den Müttern an! Daß Deutschland großartig sein würde, das haben wir gewußt, aber es ist mehr als das! Daß Sie noch ein Eckchen Humor finden, ist einfach wundervoll, und ich bin Ihnen so dankbar dafür! Es stürmt auch hier, und es ist für uns eine große Leidenszeit! Wir müssen sehr geduldig sein, da unser Volk ganz andere Gedanken hat als wir! Wir bekommen Telegramme alle paar Stunden, und wenn wir sie nicht rasch bekommen, können wir's gar nicht aushalten! Und doch wie wenig enthalten sie, lauter widersprechende Nachrichten auf einem Blatt! Es ist furchtbar, das alles zu lesen! Die Albaner haben ihr Nest verlassen müssen, das sie bis aufs Äußerste verteidigt haben. Mein Neffe Wilhelm hat seine Dienste angeboten, um von einer Gefahr in die andere zu stürzen. In den Verlustlisten stehen die vornehmsten Namen neben den Hauptsozialisten! Zusammen sterben können sie gut!

Wer einen Augenblick am Sieg Deutschlands zweifelt, der kennt es nicht! Und wenn die ganze Welt ihm dräut, es wird stehen! Für uns alte Leute ist es furchtbar, das Jahr 70 noch einmal zu erleben! Wir hatten auf einen stillen Sonnenuntergang gehofft und nicht auf Sturm und Wetter! Wir danken Gott, daß unsere Nachbarn und Liebsten alle tot sind. Meine Schwägerin von Flandern wäre vor Gram gestorben. Mit ihr hat Gott es gut gemeint, daß er sie vorher leicht und schmerzlos wegnahm! Gott mit Ihnen! Ich kann ja nichts anderes tun, als die Hände falten! Ich fürchte die Engel haben unsere kleine Erde verlassen, sie ist zu abscheulich eben! Und wenn die Engländer gar noch Asien hereinrufen, dann muß die Hölle lachen! Ich denke Eduard VII, der große Erfinder davon, Deutschland in eiserner Umschlingung zu unterdrücken, lacht jetzt schon in der Hölle über das allzu gute Gelingen seiner Teufelssaat! Ich will aufhören, sonst wird mein Brief nicht postfähig!«

(Seit Kriegsausbruch mußten auch die Briefe der Königin offen bleiben. Später kamen sie dann geschlossen durch das Auswärtige Amt in Berlin.)

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Am 11. Oktober 1914 starb König Carol. Meine Briefe wurden durch Telegramme beantwortet. Ein Telegramm von Palatul regal in Bukarest nach Weinheim brauchte vier Stunden.

Am 6. November und 12. Dezember trafen Briefe aus Curtea de Arges, der Begräbnisstätte König Carols, ein, in denen Carmen Sylva unter anderem schreibt:

»Eben erklingen die Glocken, so feierlich, so groß, und es ist so still! Ich weiß wohl, warum ich habe hierher kommen müssen, – nicht nur um mein liebes Grab nie mehr zu verlassen, sondern weil hier solch ein Elend ist, daß nur die größte Energie helfen kann! Ich wäre dazu wohl noch nicht im Stande, ich habe aber eine sehr praktische Hofdame, die eben schon eine große Anzahl Kinder in warme Kleider hüllt und das Essen für sie richtet, das sie nun täglich von mir bekommen. Die Tasse Milch am frühen Morgen, wo der Magen bis jetzt stets bis 12 Uhr leer blieb, erweckt die kindliche Begeisterung.«

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»Ich diktiere eben dem Neffen von Bucura (er studierte vorher in Berlin), der zeitweilig mein Sekretär ist, solange er in Deutschland nicht weiter lernen kann, und die Söhne des Vaterlandes eine so ernste Beschäftigung gefunden haben!

Ich konnte nicht selbst weiter schreiben, da die Augen wieder mehr als unbequem sind, ich sollte wahrscheinlich die Brillen wechseln, aber wo jetzt die Brillen hernehmen, sie sind in Paris besonders für mich geschliffen.

Das unoperierte Auge wird allmählich ganz blind, und das operierte sieht durch einen Schleier. Sonst geht es mir besser, und hie und da schlafe ich auch, ich bin dessen so entwöhnt durch das viele Wachen der letzten zehn Jahre.

Hier in Curtea de Arges ist es wunderbar schön, und die Kirche, die der König sich als Mausoleum gewählt hat, dürfte wohl für ein kleines Weltwunder gelten. Ich sehe sie aus jedem Fenster, und jeden Morgen rollt man mich die paar Schritte hinüber zu den rührenden, einfachen, archänistischen Gebeten, welche 40 Tage lang am Grabe gehalten werden. Das eintönige Singen schläfert die Seele etwas ein.

Nun ist der letzte kalte Stein für mich auf der Erde. Aber jeden Morgen, wenn mir seine Kälte bis ins innerste Mark weh tut, dann denke ich an Hebbels wunderbare Worte: »Den Ort, wo meine Lieben sind, den kenne ich nicht; ich kenne nur den, wo sie nicht sind – das Grab.«

»Ich bin nicht krank, nur sehr schwach, und kann immer nur im Rollstuhl in die wunderbare Kirche gelangen, in deren märchenhaftem Licht mein Teuerstes schlummert! Es ist so schwer für mich, die Meinen am Rhein begraben – mein Mann hier – mein Kind in Cotroceni.

Ich kann fast nicht lesen – meine einzige Beschäftigung sind die vielen Armen.

Es ist so still hier, ringsum waldige Berge, schneegekrönt, und inmitten dieser prachtvollen Natur diese einzig schöne Kirche, in hellgrauem Stein, grün und blau gemalt und leicht vergoldet, jedes Fenster anders gemeißelt. Sie sind nur 10 Zentimeter breit, da aber das ganze Innere der Kirche auf Goldgrund gemalt ist, scheint sie in goldenem Lichte zu schwimmen. Der Architekt hat sie ganz abgetragen und von Grund aus wieder aufgebaut, und dann ließ mein König dieses Haus dazu errichten, immer unter dem Vorwand, es müßte der bischöfliche Palast sein, aber mit der festen Absicht, es für mich zu bauen. Ich danke ihm alle Tage für diese väterliche Fürsorge, denn mir sind die großen leeren Räume in der Stadt und in Sinaia kaum noch zu ertragen, und die zu raschen Nachrichten dort vom Krieg machen die Tage trüb und dunkel. Man soll nur nicht glauben, daß wenn man selbst schwer getroffen ist, das Miterleben von Anderen leichter ist; im Gegenteil, alle Berge von Seelenschmerz wälzen sich noch mit auf das müde Herz.«

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»Mein letztes Wort jeden Abend ist: Friede, Friede, und ich falte unablässig die Hände,« sagt Carmen Sylva in einem Briefe vom Februar 1915.

»Ich hätte so gern einen ganzen Haufen von meinen Sachen in die Schützengräben geschickt, habe aber gelernt, mich zu mäßigen – der Zeitungen halber!

Vielleicht lasse ich Ihnen einige Sachen schicken, die Sie dann verteilen, dann geht es so still und Sie brauchen nichts davon zu sagen, daß sie von mir sind.«

Es kam keine Sendung.

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»Ich fange an, mich zu erholen; die letzten verängstigten Jahre war der Schlaf bei mir ein Luxusgegenstand.

Angst ist doch wohl schlimmer als Schmerz, denn Angst verzehrt.

Wenn das Auge operiert ist, hoffe ich wieder leistungsfähig zu werden. Nur hat die arme Phantasie einen etwas zu harten Schlag bekommen. Ob sie je wieder aufwacht, steht beim lieben Gott! Einstweilen ist mir schon Arbeit ein helles Entzücken. Ich diktiere, dabei fliegt mein Occhischiffchen rastlos in herrlichen Erfindungen. Nur noch eine unglaubliche Müdigkeit habe ich in mir; dann gehe ich eben um neun Uhr schon zu Bett. Auf Wiedersehen, bald komme ich wieder. Bleiben Sie mir Sonnenschein und Frühlingsfreude!«

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Ein Brief vom März 1915 sagt:

»Ich habe die Idee, daß bald Frieden kommt, und daß ich mich dann nach Segenhaus begebe. Ach, Frieden, Frieden, – könnten wir Frauen uns nicht erheben, – ich meine die Frauen aller Länder – und sagen, daß wir mehr Opfer nicht bringen können! Denken Sie doch, daß mein König auch dem Krieg zum Opfer gefallen ist. Sein armes Herz konnte das nicht ertragen! Mit aller Kunst erhielten ihn der Doktor und ich seit langen Jahren, und wir hätten ihn auch noch erhalten! Darum sage ich immer, Rumänien hat sein Bestes geopfert, man darf nichts mehr von ihm verlangen.

Ich habe Gelegenheit ins Ausland, da schicke ich Ihnen eine Photographie, die den Menschen hier zu traurig aussah, die Sie aber beredt finden werden, denn sie will sagen: Gott erhalte ihn mir! Darum schicke ich sie Ihnen als Seelengemälde.«

 

Die große Photographie stellt Carmen Sylva dar mit einem flehenden Blick nach oben, ein Bild ihres Gemahls in der Hand, und darunter steht von ihrer Hand geschrieben: »Hilf Gott!«

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»Ach habe mein ganzes liebes Segenhaus voller Flüchtlinge, ich konnte es leider nicht für Verwundete einrichten, weil es zu weit von der Stadt ist. Es müssen sehr merkwürdige Menschen dort zusammengekommen sein, unter anderen die französische Frau und drei Kinder eines seit vierzig Jahren in Frankreich ansässigen Deutschen, den sie eingesperrt haben und Frau und Kinder hinausgeschickt. Sie können kein Wort deutsch.

Der einzige Sohn einer hiesigen Familie, um den sie schon zwei Monate getrauert, hat auf einmal geschrieben! Er hat die Kinnlade durchschossen, von einem Ohr zum andern, und kann weder sprechen noch essen. Er ist bei den Franzosen gefangen, wird durch die Nase gefüttert, schreibt aber ganz vergnügt, bald würde er wieder sprechen können. Wenn ich doch allen denen, die sich verzweifelt an mich wenden, auch solche Nachrichten verschaffen könnte! Aber aus Sibirien, was kann man da erfahren, das ist zu weit!

Das hat doch meine Mutter schön ausgedacht, daß ich ein eigenes Heim in Deutschland behalten sollte. Welche Wohltat in dieser unruhigen Zeit. Stückweise hat sie den Bauern den Boden abgekauft, damit er freies Eigentum sei und hat sich vom Munde abgespart, damit ich eine Zuflucht hätte, wenn es einmal schief gehen sollte!!!!

Wenn der König an Abdanken dachte, wollte er sich zwar gern in der Schweiz niederlassen. Der liebe Gott hat ihn zu sich geholt, da er genug gelitten. Nicht denken, daß ich traurig bin, ich freue mich immerfort seiner Ruhe! Ich werde 72, also nur noch ein bißchen Geduld – es leuchtet alles

Ich bin kein Mensch der flennt, eher vor Freude; da kann es vorkommen; das Flennen ist gut, wenn man jung ist. Im Alter ist man wie eine eiserne Schaufel, die man zu oft glühend gemacht hat, und die nun nicht mehr heiß wird.

Ich diktiere tapfer drauf los, und habe nun schon einige Kapitel vom zweiten Band »Penatenwinkel« fertig. Es gehört nur etwas Energie dazu, dann geht es. Die ersten Monate war das Gedächtnis weniger gut, jetzt hat es aber seine alte Kraft und Frische, und die Bilder steigen vor mir aus und ich höre die Stimmen.«

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Von einer Dame, die eine nationale Frauenzeitung herausgibt, wurde ich ersucht, einige Aussprüche von Carmen Sylva zu erbitten. Ich schrieb darum, und acht Tage später schon hatte ich mit lieben Worten die Aphorismen in der Hand. Einen der Aussprüche, es waren neun, hat die Zensur durch dickes Ausstreichen vollständig unleserlich gemacht. Er wird wohl zu deutschfreundlich gewesen sein.

 

Ein Land, das Kant und Bach hervorgebracht, kann nicht erniedrigt werden.

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Was wir Freiheit nennen, ist der Gottesgedanke in uns.

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Schmach kann uns niemand antun, als wir selber.

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Eine Völkersturmflut kann nur einem Volke im Niedergang gefährlich werden. Auf der Höhe der Sitte, der Religion, der Opferfreudigkeit ist es unbezwingbar.

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Kant und Bach tragen den Dombau deutschen Denkens.

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Lieb' Vaterland! Bleib' im Siege bescheiden und großmütig; nur dann sind die Feinde überwunden, denn sie sollen Freunde werden.

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Griechenlands Blüte und Italiens Renaissance gingen mit dem Kampf um's Dasein Hand in Hand.

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Das heutige Nenikekamen heißt: Gebt unserm Gott die Ehre!

 

Carmen Sylva 1915.

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Als sich der Todestag König Carols jährte, schrieb mir Königin Elisabeth:

»Ich hab's heute ungefähr so gemacht, wie Frau Wähler, die ich im »Penatenwinkel« beschrieben habe!

»Ich habe uf mei'm Mann sei'm Grab so recht von Herze' dem liewe' Gott gedankt, daß er mich so viele schöne Geburtstage mit ihm hat erlebe' lasse'; und wann auch der heutig' Tag am Herze' zieht und drückt, so is es doch sei' Geburtstag und bleibt e' Feierdag bis zum ganz große' Feierdag, wo wir wieder beisamme' sin' in lauter Licht und Fröhlichkeit!«

Heute kamen vierzehn Bürgermeister von vierzehn umliegenden Dörfern, lauter prachtvolle Bauern in ihrer schönen Tracht mit wundervollen Sträußen.

Dann kam ein großer Korb frischgeschnittener Krokus hier aus den Wiesen; die habe ich in Tannengirlanden hineingesteckt. Man sieht den Stein nicht mehr, sondern ein ganzes Meer von Blumen. Den Bauern habe ich eine Mahlzeit bereitet und werde sie nachher bei mir empfangen und für jede Gemeinde ein eingerahmtes Bild vom König schenken.«

»Als ich voriges Jahr unser Bett mit all' den wundervollen Blumenkörben umgab, die man ihm geschickt hatte, ging mir ein banges Gefühl durch's Herz, als wären es der Blumen zu viele für einen Lebenden!

Wenn ich hätte ahnen können, wie es dies Jahr aussehen würde, da hätte das Herz noch ganz anders gebebt!

In den letzten Jahren sollte der König so viel als möglich ruhen, und da hatten wir die Gewohnheit, unseren Morgenkaffee um sieben Uhr zusammen auf zwei kleinen Tischchen im Bett zu trinken. Ich war natürlich schon seit vier Uhr auf, aber ich kroch wieder ins Bett, damit er sich ja nicht krank fühlte! Dann griff ich gleich zur Arbeit und dann kam unser kostbares Plauderstündchen, in dem des Tages Last noch nicht zu drücken begonnen!

Jetzt frühstücke ich allein.

Ihr liebes Gedicht (»'s Rencontreche«) und das Bild von Herrn Professor Simm habe ich mit hierher genommen und an mein Bett gehängt. Es hat gewiß zu Niemand so warm und wahr gesprochen als zu mir und meinen Erinnerungen.

Wenn wir uns in Segenhaus sehen, dann reichen wir uns die Hände und sind zu allererst ganz still; denn wir wissen schon, daß wir uns einander verstehen, wir brauchen uns das nicht erst zu sagen! Ich freue mich kindisch auf diese Stunde! Wenn sie nur erst käme!«

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»Ich versuche es, so wenig als möglich an des Krieges Greuel zu denken,« plaudert Carmen Sylva später, »und ich bin Ihnen so dankbar, daß Sie mir Schönes erzählen und sich noch Humor bewahrt haben. Tausend gute Wünsche umgeben Sie beständig!

Schon wieder habe ich zwei treue Augen zudrücken müssen. Meine alte Oberhofmeisterin, die vierzig Jahre bei mir war, ist einer doppelseitigen Lungenentzündung erlegen. Ich war so dankbar, daß ich sie pflegen durfte, und daß es mir gelang, ihr zu verheimlichen, daß ihr Ende nahe sei. Sie hatte durch das Sterben ihrer Geschwister einen Schrecken vor dem Tod, eigentlich mehr vor dem Sterben als vor dem Tod. Sie hat mit mir an meines Kindes, – meiner Mutter – und meines Mannes Sterbebett gestanden. Es war doch förmlich mein Recht, ihr die letzte Reise leicht machen zu dürfen.«

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»Ich habe immer das Gefühl, daß die Frauen aller Länder sich die Hände reichen sollten, um Frieden zu erzwingen. Nur sind leider so viele Frauen so leidenschaftliche Hasser, daß sie die Männer bei weitem übertreffen. Was machen wir da? –

Die südländischen Frauen sind ja in allen Stücken sehr leidenschaftlich und finden es notwendig, stark zu hassen. Christentum ist da eigentlich ein leeres Wort, wenn man auch Kirchen baut, und das Zeichen des Kreuzes macht. Sonderbar, wie kann man nur hassen! Ich wiederhole immer das Wort der Antigone: »Nicht mitzuhassen, – mitzulieben bin ich da.« Aber die Menschen hier verstehen mich gar nicht; sie hätten lieber, ich teilte ihre heftigen Empfindungen. Ich suche ganz ruhig zu bleiben und in keiner Weise an der heftigen Erregung teilzunehmen, die übrigens die unteren Schichten keineswegs ergriffen hat. Die danken Gott für jeden Tag, an dem Frieden ist, und haben nur den einen Wunsch, daß wir draußen bleiben! Man sagt, der Krieg sei die Erfüllung der Prophezeiungen und der Offenbarung Johannes. Die habe ich noch nie recht verstanden! Vielleicht verstehen Andere sie besser zu deuten!«

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»Ich kann nicht sagen, daß ich meinen leiblichen Neffen noch einmal in Albanien zu sehen wünschte. Dort paßte besser ein tüchtiger Räuberhauptmann hin. Seine junge Frau war gerne dort, nun aber Essad Pascha ihnen alles gestohlen, wird auch ihr Jugendenthusiasmus ein bißchen gedämpft sein!

Es ist sonderbar, daß der Thron, den man immer vor sich sieht, oft einen Widerwillen einflößt – wogegen der unbekannte Thron eine Art Missionar-Gefühl erweckt, weil man die Alltäglichkeit noch nicht gesehen hat. Ich bin jetzt so eine Art Kinderfrau, oder Missionarsfrau, oder so etwas ähnliches.«

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»Ach schicke Ihnen ein Bild, das ich zum Freudemachen anfertigen ließ.

Wir fanden im Frühjahr im letzten Dorfe vom Donaudelta am Ende vom St. Georgskanal den Dorfbürgermeister und luden ihn zum Essen auf unser Schiff ein; ich sagte ihm, er solle uns in Sinaia besuchen. So kam er mit seinem Töchterchen, der arme alte Herr, und sah so fein aus und ich überlegte, womit ich ihm wohl eine rechte Freude machen könne!

Nach Tisch ließ ich mich dann mit ihm, seinem Töchterchen und meiner Hofdame photographieren. Sie werden sehen, wie fein er aussieht! Er ist so arm und hat Verwandte, die sind Millionäre.

Der Mann hat vor Freude geweint über diese Bilder und ich schickte ihm eine Menge, damit er sie verschenken und sich damit rühmen könne!«

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»Eine rechte Königin ist auch ein rechter Beichtvater. Die Jugend hatte sogar eine Ecke in meinem Schreibzimmer »le confessional« getauft.

Ich habe mich schon oft darüber besonnen, warum es den Menschen so ein spezielles Vergnügen macht, Andere zu demütigen. Es ist das, was ich am schlechtesten vertrage mit anzusehen, es macht mich einfach krank.

Ich empfing gestern einen Herrn aus Mainz, der eine Rumänin geheiratet hat; er sprach gerade noch soviel Dialekt, daß mir sehr wohl ums Herz wurde. Haben mir doch schon Rheinländer gesagt, man höre mir sofort die Rheinländerin an, – und ich hatte die Illusion, dialektlos zu sprechen. Mein Neuwiedtsch bin ich doch in 45 Jahren nicht los geworden und ehrlich gesagt, ich gebe mir auch keine Mühe, es los zu werden.«

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»Sobald des Winters Strenge vorüber, kehre ich nach meinem Arges zurück, wo ich mir die nächtliche Osterfeier ganz ergreifend denke, so ganz anders als in der Hauptstadt mit den skeptischen Leuten, während dort nur tief andächtige Bauern in ihrer schönen Tracht wundervoll beleuchtet, die brennenden Kerzen halten und wirklich glauben, daß Christ jetzt erstanden ist. Es wird sehr schön sein!

Ich hatte erklärt, ich könne nach Sinaia unmöglich zurückkehren, bis jemand auf den guten Gedanken kam, ich solle das ganze Schloß für die Jugend abgeben und statt dessen das kleine Forsthaus beziehen, das wir uns gebaut hatten, als es noch kein Schloß gab. Es ist in Arges im Sommer entsetzlich heiß. In Deutschland schließt man die Schulen mit 21 Grad und die Rumänenkinder machen bei 35 Grad ihre Examina.«

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»Ich fange erst jetzt an mich wohler zu fühlen; manchmal befühle ich mich ganz erstaunt, daß ich das sein soll, – ohne Fieber und ohne Schmerzen! Schade, daß das Gute oft gar so spät kommt!

Mit meinen Brillen habe ich viel Last! Die kommen nämlich aus Paris, immer durch einen Reisenden, und ich warte wochenlang darauf, um dann doch nicht das Richtige zu haben. Wenn ich nur erst keine Hilfe mehr brauche! Die Abhängigkeit der letzten Jahre war furchtbar für einen so selbständigen Menschen wie ich.

Eben werde ich gemalt für mein Regiment, und da sitze ich in meiner Witwentracht und hoffe, meine jungen Offiziere an ihren großen Führer zu erinnern. Wie traurig, nicht einmal meinen Mann und mein Kind habe ich beisammen. Ich habe nicht mehr den Mut, ihr Grab in Cotroceni zu besuchen, seitdem so dicht daneben sechs fröhliche Kinder blühen. Die Familie des Königs Ferdinand. Es gibt doch Sachen, für die die Überwindung nicht ausreicht.

Mein liebes Grab ist ein Bett von Blumen, denn alle, die hinpilgern, kommen mit vollen Händen. Jeden Morgen bin ich dort, obgleich ich weiß, daß er nicht dort ist; nun habe ich mehrere Tage hier ein paar seelenmüde Menschen erquickt.«

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»Heut' ist der 20. Dezember,« beginnt ein anderer Brief, »in Deutschland kommt Weihnachten heran. Hier sind es noch fast 3 Wochen; ich bleib' in meinem Winkelchen und feiere nicht. Hier ist erst Neujahr der Tag für Geschenke. Einstweilen verteile ich Holz an die Armen. Das ist immer die größte Sache, das Holz, denn hier brennt man es ausschließlich, leider zum Schaden unserer Wälder. Ich hoffe immer, daß das Petroleum seine Stelle einnehmen wird, denn es ist ein Jammer, wie unsere Urwälder abgehauen werden.

Der Tod hat wieder viele alte Freunde mitgenommen, Bungert und einen sehr lieben Vetter, den Grafen Solm, der in Straßburg Professor der Botanik war. Wenn ich nach Deutschland komme, finde ich fast Niemand mehr; Jugend wird noch da sein; aber wie fern ist man der Jugend, wenn man über siebzig ist!

Ich denke, ich werde noch vieles anbahnen, Weberei, Seidenzucht und Töpferei in großem Stile. Wenn das auch erst nach meinem Tode ins Leben treten wird, es ist ja einerlei, wenn nur der Weg gezeigt ist.«

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Und nun kommen Teile aus den letzten Briefen, geschrieben im Januar und Februar 1916.

»Deutschland ist ja großartig! Ich wage gar nicht, das so laut zu sagen, wie ich es denke. Die Leidenszeit zeitigt wunderbare Früchte, die sonst vielleicht nicht gekommen wären, wenigstens nicht so bald und nicht in solcher Fülle. Ich wachte wieder einmal die ganze Nacht und habe so viel gedacht und erlebt, innerlich. Eben schlägt es vier Uhr; also ist der Morgen nahe.«

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»Nun habe ich meine Brillen bekommen und denken Sie, ich sehe wieder wie ein ganz normaler Mensch! Der alte Blick, – der Blick aus der Jugendzeit! Ach, Sie können sich nicht ausdenken, was es heißt, sehen zu können, wenn man beinahe blind war! Das Entbehren muß man gekannt haben, um zu wissen, welche Dankbarkeit in meinem Herzen wohnt! Ich gehe ganz sicher durch's Haus, über die Treppen – – es ist einzig! Ich hatte wirklich gedacht, der liebe Gott verlangte noch das Opfer von mir, daß ich blind bleiben sollte; aber das verlangte er doch nicht! Ich fühle mich zum ersten Male gar nicht mehr schwach, die alte Arbeitslust wacht wieder auf wie die Amseln im Februar, wenn der erste Sonnenstrahl ins Pfarrhaus in Alt-Wied herunterscheint! Lichtmeß, ja, so wie Lichtmeß ist es in meinem Herzen und Sie sind die Erste, diesen Jubel zu hören. Man ruft mich zu Audienzen; morgen früh im Bett schreibe ich weiter.«

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»Es ist erst drei Uhr; ich kann sehen, was ich schreibe, wie herrlich! Hätte es doch mein König erleben können, er, der so ungeduldig war, daß die Operation gemacht würde; immerfort sprach er davon. Wenn ich denke, wie er mir die Blütenbäume zeigte: »Sieh' 'mal, wie schön« – und ich sagte: »Ja, sehr schön«, und sah nicht eine Blüte. In diesem Frühjahr werde ich sie sehen, aber Niemand wird mit mir jubeln über die Herrlichkeit.

Doch ich will nicht undankbar sein; eine Dame, die zu leidend war, um selbst auszugehen, schickte gestern eine andere Dame, sie sollte sehen, ob es wahr sei, man habe ihr gesagt, ich hätte meinen Blick wieder; das hat mich tief gerührt; denn das ist doch Liebe, nicht wahr?«

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»Gestern empfing ich verschiedene Gesandte, die ich lange nicht gesehen habe und ich dachte, welches Glück es ist, wenn gebildete Leute sprechen mit internationaler Parteilosigkeit und Ruhe! Ich habe Verwandte und Freunde in allen Ländern und bekomme Briefe von überall her! Alle denken wahrhaftig an Sieg, es ist fast unbegreiflich! Aber man mag sich nur an ihre Stelle versetzen, es muß sehr schwer sein einzugestehen, daß man geschlagen ist. Die Frau des englischen Gesandten sagte mir, daß die Zeppelinflotte über London das Schönste und Großartigste gewesen wäre, das sie je gesehen und daß viele Leute ihr Leben in Gefahr brachten, weil sie den Anblick genießen wollten und nicht von der Straße wegzubringen waren.

Alles was man mir aus Deutschland erzählt, ist so schön, daß es mein Herz erquickt; ich bin sehr stolz auf mein Vaterland!

Wenn die Friedensglocken anfangen zu läuten, dann rufen Sie mich, ich höre es ganz gewiß, – wie sollte ich das nicht hören! Heute kann ich nur immer die Hände falten und danken für meine Augen. Der liebe Gott hat doch gewollt, daß ich nochmal das Freuen lernen sollt'.«

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Wie schön, wenn ein Menschenleben so harmonisch ausklingt!

Am 2. März ist die Seele Carmen Sylvas ausgeflogen in die Wohnungen des ewigen Lichtes, das sie so liebte.

Es leuchtet alles!

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