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Bei Hoirup an der Gjelsau lag das Grundstück, das für Björn Heddenholm von seinem Vater erworben worden war. Es unterschied sich wenig von den übrigen Ansiedelungen in dieser einförmigen Gegend. Hineingebettet in immergrüne, fruchtbare Wiesen und Weiden, die nur stellenweise von schwarzem Ackerlande unterbrochen waren, auf dem im Sommer die goldgelbe Gerste wogte; gerade Wege, wenig Bäume; ein langes, sauberes Dorf mit weißen Häusern und bunten Zäunen, mit sehr viel Apfelbäumen und mit einem steinernen Ziehbrunnen. Am Ende das Herrenhaus auf dem viereckigen Wirtschaftshof, um weniges nur größer und schöner als die Häuser der Arbeiter. Hof und Stallgebäude in musterhafter Ordnung. Hinter dem Hause ein kleiner Garten mit schmalen Steigen, sehr viel saubern Gemüse- und Blumenbeeten, wenig alten Bäumen, zumeist Buchen und Ulmen, und gegen das Feld hin abgegrenzt durch einen schnurgeraden, altmodischen Buchenlaubengang. Über allem jener merkwürdige Duft nach Seesalz, Weidevieh und Grasblüte. Und wenn dann noch im Hochsommer Levkojen und Nelken blühten, wenn das Volk der Bienen emsig summte, wenn der Klee duftete und das Korn in Garben stand, wenn die heiße Sonne über dem allen drückend brütete, dann prangte das Land in seiner eigentümlichsten Schönheit. Satt an seinem eignen Reichtum; einfach im Vollgefühl seiner Kraft; schwermütig in seiner unendlichen Einsamkeit.
Auf Björn und Julia hatte die Umgebung, in der sie nun seit sechs Jahren lebten, sehr verschieden gewirkt.
Björn hatte sich vom ersten Tage an hier unerwartet wohl gefühlt. Seine neue Thätigkeit hatte viel Reizvolles für ihn. Er brachte den größten Teil seiner Zeit im Freien zu, und seine Arbeit brachte ihn immer in unmittelbare Berührung mit der Natur. Er wirtschaftete ohne Beamten und richtete sein Tagewerk so ein, daß ihm möglichst wenig Zeit zum Nichtsthun blieb. Er schaffte sich Arbeit, wie und wo er konnte, und fand seine größte Befriedigung in ununterbrochener Thätigkeit.
Er war älter geworden, auch äußerlich. Sein Gesicht hatte zwar immer noch die frische, gesunde Farbe, die sich im ungebrochenen Seewind, in der schattenlosen Sonne seiner Heimat eher noch vertieft hatte; aber seine Züge waren fester und ausgeprägter geworden, und um seinen Mund lag ein Zug wie von beständig angestrengter Willenskraft.
Auf seine äußere Erscheinung gab er noch ebensoviel wie früher. Er hielt sich gerade und aufrecht und sah immer so aus, daß er sich vor jedem, auch dem vornehmsten Gast hätte zeigen können. Er trug mit Vorliebe graugrüne Jägertracht, im Winter von Tuch, im Sommer von Leinwand, oder dunkle Samtjoppen, die seiner kräftigen, geschmeidigen Gestalt besonders gut standen; die schwarzen Anzüge mochte er nicht. Das ritterliche Wesen, das ihm zum Teil aus den in der großen Welt verlebten Jahren anhaftete, zum Teil ein Bestandteil seines Charakters war, hatte sich auch hier oben in rauher Einsamkeit und strammer Arbeit nicht verloren. Er behandelte jeden, sogar seinen geringsten Knecht, mit Achtung und Zartgefühl und fand immer am rechten Platz das rechte Wort. Dafür liebten die Leute ihn auch schwärmerisch und hatten eine unbegrenzte Verehrung für ihn.
Aber die Atmosphäre von sonniger Schwermut, die hier über dem Lande lag, hatte auch Björn eingehüllt. Er konnte nicht recht heimisch werden. Es blieb ihm immer eine ungestillte Sehnsucht nach allem, was er verlassen hatte; ein großes Vermissen. – Wenn er sich in einsamen Stunden dessen bewußt ward, so fragte er sich wohl: ist diesem Lande, ehe es diesen Ausdruck annahm, auch einmal eine Loslösung widerfahren von etwas, danach es nun ewig Heimweh hat?
So sehr indes Björn der neue Lebensanfang erleichtert wurde durch die Verhältnisse, in denen er ihn machte, so sehr wurde er Julia eben dadurch erschwert. Es hatte sie lange, thränenreiche Kämpfe gekostet, sich an soviel Einsamkeit und Einfachheit zu gewöhnen und den Tand und Flitter ihres bisherigen Lebens gegen Ernst und Arbeit zu vertauschen. Es wurde ihr, deren fast einzige Beschäftigung bis jetzt in Geselligkeit, Toiletten und weltlichen Vergnügungen aller Art bestanden hatte, sehr schwer, sich nun um häusliche und wirtschaftliche Dinge selbst thätig zu bekümmern. Nur sehr allmählich lernte sie, ihre Mußestunden auszufüllen und es zu verschmerzen, daß Björn nicht immer zur Hand war, ihr die Zeit zu vertreiben und sie mit Zärtlichkeiten zu verwöhnen. Sie konnte ihre schönen Kleider nicht mehr tragen, denn es war niemand da, sie darin zu bewundern. Sie mußte hunderterlei große und kleine Bequemlichkeiten entbehren, an die sie sonst gewöhnt gewesen war.
Es wurde ihr sehr schwer und kostete sie manche heimliche Thräne. Aber sie hatte bei alledem eine große Hilfe; eine starke Kraft, die ihr siegreich über all die Klippen in ihrer Umgebung und in ihrem eignen Herzen hinweghalf. Das war ihre Liebe zu Björn.
Diese Liebe war sich immer gleich geblieben. Aus der Leidenschaft, die sie einst zügellos umtrieb, war eine stille Macht geworden. Diese Liebe war das einzige Tiefe und Echte in ihr; diese Liebe hatte sie erzogen und veredelt; kraft dieser Liebe näherte sie sich mehr und mehr dem, was Björn in ihr zu sehen wünschte; mit dieser Liebe ordnete sie sich ihm unter, äußerlich und innerlich; befolgte sie seine Wünsche, bemühte sie sich, sein Gemütsleben zu verstehen und zu teilen.
Sie konnte natürlich nicht eine völlig andre werden. Ihre Wertschätzung des Lebens war zu verschieden von der seinen, die Gesichtspunkte, aus denen sie das Leben ansah, lagen auf andern Polen. Sie konnte nicht plötzlich aus sich heraus tief empfinden und ausdauernd wollen. Aber sie bemühte sich, ein williges Gefäß zu sein, in das er seinen Inhalt goß. Sie war Wachs in seiner Hand; er machte aus ihr, was er wollte. Sie war immerwährend, bewußt oder unbewußt, bemüht, ihm zu danken, daß er sie gerettet hatte.
All das hatte ihrem jungen, hübschen, nichtssagenden Gesicht einen ernstern, nachdenklichen Ausdruck verliehen; ihre Augen schienen immerfort etwas zu fragen, mit der besorgten Unsicherheit eines ungeübten Anfängers. Sie sah einfacher aus; das kam von den schlichten Kleidern und davon, daß sie die Haare nicht mehr so kraus trug. Sie war stärker geworden und sah blühend und gesund aus.
Und noch ein dritter lebte auf dem einsamen Hof an der plätschernden Gjelsau. Das war Harry: Björns einziges Kind; der Sonnenstrahl, der seinem ernsten Lebenstage leuchtend aufgegangen war und mit rosigem Finger hinauswies in eine Zukunft, für die es wert war, zu arbeiten und zu leben. Klein Harry war fünf Jahre alt, hatte seines Vaters graue Augen und seiner Mutter blonde Haare, seines Vaters kräftigen Leib und Geist und seiner Mutter flatterhafte Liebenswürdigkeit. Er lief auf strammen, runden Beinchen, die Winters und Sommers nur kurze Söckchen trugen, in Haus, Hof und Garten umher, und wo es ihm an zweibeiniger Gesellschaft fehlte, da begnügte er sich mit vierbeiniger. Des Vaters Jagdhund, die Schafe und Kälber in den Koppeln waren seine vertrauten Freunde. Den ganzen Tag hatte er zu thun, und wenn es Abend wurde, so war er noch niemals fertig geworden. Er war ein glückliches kleines Menschenkind; zufrieden, thätig und heiter. Er fand alles, was um ihn her war, wunderschön, und hätte man ihm erzählt, daß es noch viel schönere und wunderbarere Dinge gäbe, er hätte es gekränkt bestritten.
Wenn sich in Julias Charakter manches gebessert und veredelt hatte, so hatte dieses Kind mit dazu geholfen. Ihre Gefühle für dasselbe waren von dem, was man gemeinhin mütterlich nennt, sehr verschieden. Sie liebte in ihm nur Björn; sie liebte es überhaupt nur, weil es Björns Kind war – ebenso wie sie Eberhards Kind niemals geliebt haben würde. Wenn sie allein war, wenn sie Sehnsucht nach Björn hatte, dann holte sie das Kind und sah es an und küßte es, bis es sich ungeduldig ihrer erwehrte. Ihre Liebe zu dem Kinde würde erkalten von dem Tage an, wo sie aus irgend einem Grunde Björn nicht mehr würde lieben können. – Aber dieser Tag und dieser Grund würden niemals kommen.
Zwischen Julia und ihren Schwiegereltern hatte sich ein ganz erfreuliches Verhältnis gebildet. Ihren Schwiegervater hatte sie schnell gewonnen durch ihr anziehendes Äußere, und wußte ihn festzuhalten durch ein aufmerksames, liebenswürdiges Wesen; sie verstand es eben wie keine andre, mit Männern umzugehen. Litta lernte bald, ihre guten Seiten anzuerkennen, und über das, was Julia mangelte, ein Auge zuzudrücken, Björn zuliebe; denn Björn liebte seine Frau so wie sie war und hatte anscheinend nichts an ihr auszusetzen. So mußten sie wohl auch mit ihr zufrieden sein. Sie machte Björn glücklich, das war die Hauptsache, das vor allem machte Litta ihrer Schwägerin wohlgeneigt.
Nur eine sah tiefer: sah durch bis auf den untersten Grund; sah und schwieg, weil Reden nichts ändern, nur Unheil anrichten konnten. Und diese eine war Björns Mutter.
Nach dem ersten Zusammensein mit Julia wußte sie, daß diese vielleicht sehr gute, aber sehr oberflächliche und unreife Frau ihrem Sohne nie genügen könne. Ein Spielzeug konnte sie ihm sein, ein Zeitvertreib, aber nicht die lebenslange Teilnehmerin seines innern und äußern Lebens. Und kurze Zeit später wußte sie, daß Björn seine Frau nicht liebte; daß er sie geheiratet hatte aus Ehrenhaftigkeit und Pflichtgefühl; daß er vielleicht auch manchmal eine kurz aufflackernde Leidenschaftlichkeit für sie empfand. Aber eine beglückende und befriedigende Liebe, die ein Leben lang dauern und verschönern kann, war das nicht. Er war gut gegen sie, von einer geradezu rührenden, geduldigen, zartfühlenden und selbstlosen Güte. Das sah sie; das erpreßte ihr heimliche, traurige Mutterthränen. Gerecht wie sie war, mußte sie aber auch einsehen, daß Julia ihm seine Güte mit anbetender Hingabe vergalt, daß sie war, was sie sein konnte; und das erleichterte es ihr, zu Julia so zu sein, wie Björn es wünschen würde. Es gelang ihr sogar, Julia ein wenig lieb zu gewinnen. Namentlich seit der Geburt des Kindes wurde ihr das leichter. Sie liebte Björn in dem Kinde und liebte Julia um Björns willen. Und was Julia an guten Empfindungen gegen ihre Schwiegermutter fühlte, das fühlte sie auch um Björns willen. Die Liebe zu Björn band und verband sie alle untereinander, wo sie sonst nichts gemeinsam hatten. Sie waren gut und rücksichtsvoll zu einander, weil sie wußten, daß es ihn betrüben würde, wenn sie es nicht wären. Sie beruhigten sich alle allmählich und waren ganz zufrieden so, wie es war.
Nur Magna Heddenholm litt fortan an einem heimlichen Kummer, und in ihre Liebe zu Björn war etwas Trauriges gekommen.
Nach Weihnachten, gerade zu der allereinsamsten Zeit, als alles verschneit und in ein großes Schweigen versunken war, ereignete sich etwas. Außer Harrys Geburt das einzige, was sich überhaupt ereignet hatte, seit sie hier waren.
Julia bekam einen Brief von ihrer Stiefschwester mit der Nachricht, daß die Mutter im Sterben läge.
Julia wußte, daß ihre Stiefmutter seit Jahr und Tag an einem unheilbaren Leiden siechte. Sie hatte sie in dieser Zeit nicht besucht, sie überhaupt nicht gesehen seit dem vorübergehenden Aufenthalt bei ihr vor ihrer Wiederverheiratung. Sie war durch diese großen Umwälzungen in ihrem Leben, bei denen sie niemandes Rat und Beistand gesucht hatte, sondern ganz selbständig und eigenmächtig entschied und handelte, der zweiten Frau ihres Vaters noch ferner gerückt. Sie, die Julia kaum gekannt und nie besonders Gutes von ihr gehört hatte, bekam durch all diese Vorgänge keine bessere Meinung von ihr. Und da Julia selbst an einem nähern Verhältnis nichts gelegen zu sein schien, so hatte sie sich in die immer größere Entfremdung gefunden. Es konnte ihr in der That auch nichts daran liegen, ihre kaum erblühte, reine, unberührte Tochter, deren Seele sie mit der größten, behütenden Sorgfalt gepflegt und erzogen hatte, mit Julia in nähere Berührung zu bringen. – Sie schrieben einander dann und wann und freuten sich, wenn es einander gut ging. Julias Briefe waren immer ziemlich nichtssagend. Äußere Erlebnisse hatte sie nicht; innere auch nicht; wenigstens keine, darüber sie hätte reden können oder mögen.
Rottraut pflegte ihre Mutter mit aufopfernder Liebe und Kindlichkeit. Sie gab Julia regelmäßig Nachricht über den Verlauf der Krankheit. Als es zu Ende zu gehen schien, schrieb sie ihr auch das und bat sie, ob sie nicht die Mutter vor dem Tode noch einmal besuchen möchte.
Julia war allein, als sie diesen Brief bekam. Nachdem sie ihn gelesen, verfiel sie in ein langes Nachdenken.
Die schlechten Nachrichten über ihre Mutter erregten sie nicht so sehr. Sie hatte sie erwartet, und wenn die Mutter starb, so hatte das weder äußerlich noch innerlich viel für sie zu bedeuten. Viel mehr erregte sie die Aufforderung, zu kommen: der Gedanke an eine große Reise; an einen Ausflug in die Welt, die sie verlassen hatte und die ihr verschollen war seit sechs langen Jahren.
Sie waren kaum aus diesem Winkel herausgekommen, abgesehen von einigen kleinen Ausflügen nach den Inseln. Ihre Verhältnisse waren nicht so, daß sie große Ausgaben ohne weiteres machen konnten. Björn war auch aus andern Gründen den Reiseplänen, die Julia dann und wann sehnsüchtig machte, immer ausgewichen. Aus was für Gründen, das freilich ahnte Julia nicht.
Nun aber lag eine wirkliche, ernste Veranlassung vor; wenn sie daraufhin den Wunsch äußerte, zu verreisen, so konnte Björn es ihr nicht verweigern. Und war sie einmal fort, so würde sie die Gelegenheit nicht nur benutzen, um von ihrer Stiefmutter Abschied zu nehmen. Dann würde sie sich gleichzeitig wieder einmal erfrischen nach jahrelanger Dürre und Einsamkeit.
Als Björn nach Hause kam – er machte täglich, auch bei schlechtestem Wetter, lange Spaziergänge – lief sie ihm mit hochroten Backen in freudigster Erregung entgegen und zeigte ihm den Brief.
»Ja – aber das sind doch sehr ernste Nachrichten,« sagte Björn und sah in ihr Gesicht, als sei ihm dessen Ausdruck unbegreiflich.
Julia schlug verlegen die Augen nieder. »Wirst du mir erlauben, zu reisen?«
»Aber selbstverständlich! Heute noch, wenn du willst!«
»Und du – Rottraut schreibt zwar nichts von dir –«
»Ich habe deine Mutter nie gesehen,« sagte Björn ernst. »Es würde sie nur aufregen, wenn ein Fremder an ihr Sterbebett träte.«
»Also willst du mich allein reisen lassen?« fragte sie unsicher. Er wandte sich ab und überlegte, die Hände auf dem Rücken.
»Wäre es dir lieber, wenn ich mitkäme?«
»Mir ist es natürlich immer lieber, wenn du mitkommst. Aber ich möchte auch nicht, daß du mir mit deiner Begleitung ein Opfer brächtest.«
»Wie lange willst du denn fort bleiben?«
»Ich weiß nicht – ich werde doch dann wohl das Letzte abwarten; Rottraut ist so allein –«
»Natürlich; und kannst du irgend etwas helfen oder nützen, so thue es. Ich bin mit allem von vornherein einverstanden.«
Es beschämte sie immer, wenn er ihr soviel Vertrauen schenkte, ohne daß sie wußte, warum? Sie wußte nicht recht, wie sie anbringen sollte, was sie nun noch auf dem Herzen hatte.
»Björn –« sagte sie zaghaft.
»Was ist – was willst du noch –?«
»Wenn es nicht zu lange dauert mit der Mutter, Björn – wärest du wohl damit einverstanden, daß ich dann noch ein wenig länger draußen bliebe – zu meinem Vergnügen –«
Sie wurde immer unsicherer seinen großen, forschenden Augen gegenüber. Die letzten Worte flüsterte sie nur noch.
Zu ihrem Vergnügen – wenn sie frische Trauer haben würde! Freilich – die Stiefmutter stand ihr nicht nah, und sie war sehr lange hier eingesperrt gewesen mit ihm; abgesperrt von allem, woran sie ihr ganzes übriges Leben hindurch gewöhnt worden war.
»Du fühlst dich wohl sehr einsam hier, Julia?«
»Die Hauptsache ist, daß du da bist,« entgegnete sie. »Mit dir würde ich noch viel mehr verschmerzen lernen. Aber wo sich die Gelegenheit nun gerade bietet –«
»Nutze sie nur aus,« sagte er großmütig. »Ich freue mich ja, wenn du mal eine Abwechslung hast. – Aber wo würdest du denn noch hingehen sonst?«
Bekannte und Verwandte, die sie hätte aufsuchen mögen, wußte sie nicht; entweder sie kannten all die Vorgeschichten ihres jetzigen Lebens – das war ihr unangenehm; oder sie wußten überhaupt nichts mehr von ihr – da fehlte es ihr an Liebe und Lust, die zerrissenen Verbindungen wieder anzuknüpfen. Sie dachte an eine kleine Vergnügungsreise.
»Nun, mache das, wie du willst. Ich bin auch hierin mit allem einverstanden.« Er sagte das ganz harmlos, nur in der Absicht, ihr zu Willen zu sein. Seit er ihr einmal das Größte geschenkt, erbat sie nur selten etwas von ihm. Ihr aber schien dies Vertrauen in ihre Dispositionen plötzlich unnatürlich.
»Björn – ist es dir denn gar nicht unsicher, mich solange allein in der Welt umherfahren zu lassen?«
»Warum sollte es mir unsicher sein?« fragte er ruhig. »Du bist meine Frau. Wie könnte ich dir da mißtrauen?«
»Daß ich jemandes Frau bin, ist noch keine Bürgschaft dafür, daß ich mich als solche benehme,« sagte sie bitter.
»Aber Julia – soll ich dir denn mißtrauen? Das würde dich doch erst recht kränken!«
»Es ist dir ja vielleicht ganz gleichgültig, was ich thue –« meinte sie und sah auf ihre hübschen Hände nieder. Da ergriff Björn diese Hände und sah ihr herzlich in das verstimmte Gesicht.
»Was ist dir denn eigentlich, Julia? Was willst du von mir? Warum machst du dir künstlich solche unangenehmen Gedanken?«
Langsam schlug sie die Augen auf. Sie wußte nichts zu sagen. Endlich entriß sie ihm ihre Hände und warf sich an seinen Hals.
»Ach – ich bin kindisch. Es ist nur, glaube ich, es ist nur, daß ich mich zum erstenmal auf länger von dir trennen soll –«
Er hielt sie gerührt fest. Aber zu sagen wußte auch er nichts. Denn weshalb sie weinte, das erschien ihm fast als eine angenehme Aussicht.
Was aber Julias Thränen und ihr wunderliches Wesen veranlaßte, war noch etwas andres. Sie war sich seines so gewaltsam eroberten Besitzes nie sicher. Sie zweifelte nicht an seiner Liebe, aber sie fürchtete immerfort irgend einen widrigen Wind, der die Flamme dieser Liebe auslöschen könne wie ein kraftloses Licht, das sich nur vom Quell des Augenblickes nährt.
Am andern Morgen reiste Julia auf unbestimmte Zeit ab; mit viel Thränen und doch sehr vergnügt. Björn brachte sie auf die Bahn und schickte dann den Schlitten allein nach Hause. Er wollte lieber gehen. Der Schnee lag zwar tief, aber er trug über. Der Wintertag war kalt, klar und windstill, und Björn hatte Verlangen nach einem weiten, einsamen Wege.
Ja, einsam. Einsam wie die weiße, stille Welt war auch sein Herz geworden. Und darum fühlte er sich so wohl in dieser Welt, in der nur ein paar hungrige Vögel wie flüchtig aufgescheuchte Gedanken umherflatterten.
»Warum bist du nicht mitgereist?« fragte Litta, als er am nächsten Sonntag mit dem Jungen zu seinen Eltern fuhr. »Du hättest uns Harry in Pflege geben können, wir hätten es ihm an nichts fehlen lassen.«
»Warum bist du nicht mitgereist, mein Junge?« fragte auch seine Mutter. »Es hätte dir gut gethan.«
»Nein, Mutter,« meinte er; sie waren gerade allein. »Ich bin noch nicht so weit, um ungefährdet wieder aus meiner Zurückgezogenheit hervorgehen zu können. Es würde nur alles wieder aufwachen, der alte Kampf von vorn anfangen. Ich muß hier erst noch fester einwurzeln.« Nachher ärgerte er sich, daß er es gesagt hatte. Seine Mutter freilich war nicht überrascht darüber.
Heimkehrend fand er den ersten Brief von Julia vor. Sie habe ihre Stiefmutter sehr leidend gefunden, schrieb sie; das Ende sei aber noch nicht abzusehen. Indes habe sie beschlossen, es zu erwarten. Rottraut scheine es zu wünschen und sei überhaupt ein erstaunlich reizendes Geschöpf. Auch die Mutter sei sehr freundlich und sanft zu ihr, soweit sie überhaupt Besinnung habe.
Björn legte den Brief beiseite und lehnte sich mit einem gewaltigen Atemzuge tief in den Stuhl zurück; als habe er nun Zeit, sich einer großen Müdigkeit zwanglos hinzugeben. – – –
Julia blieb acht Wochen fort. Der Zustand der Kranken hatte sich noch einmal wieder gebessert, und diese Zeit hatte Julia zu einem Aufenthalt in der Hauptstadt benutzt. Sie hatte gehofft, an allem, was sie dort sah und hörte, viel Freude und Zerstreuung zu finden – aber sie fand sich enttäuscht. Sie fühlte sich fremd in allem, als passe sie nicht mehr hin; als seien die Fähigkeiten, mit denen sie all diese weltlichen Dinge sonst durstig genoß, völlig abgestorben in ihr. Ob eine große Leere zurückgeblieben war, ob jene Fähigkeiten durch andre, bessere ersetzt worden seien, darüber war sie sich selbst nicht klar. Außerdem war sie allein bei allem – –
Nach wenig Tagen, die ihr endlos lang erschienen, obgleich sie jede Stunde ausfüllte, kehrte sie wieder in das stille Krankenzimmer zurück. Hier ging es nun schnell zu Ende.
Am Abend vor dem Tode stand Julia allein am Bette der Kranken. Das war ihr immer sehr unbehaglich, der Ernst der augenblicklichen Lage erdrückte sie; unfaßlich war es ihr, daß die junge Rottraut dem allen so mutig entgegen trat!
»Setz dich doch, Julia,« bat die Kranke. »Hier auf den Bettrand; da hab' ich dich um so näher. So. – Es ist doch gut von dir, Julia, daß du gekommen bist. Ich hab' so wenig von dir gehabt im Leben. Nun lern' ich dich doch jetzt zuletzt noch kennen!«
Julia schwieg beschämt.
»Ist denn dein Mann einverstanden damit, daß du solange fortbleibst?«
Julia sah unwillkürlich aufstrahlend zu ihr nieder. »O – der erlaubt mir alles! Der ist so gut –« Sie fing fast an zu weinen: denn sie hatte längst schon wieder Sehnsucht nach ihm.
Die Kranke beobachtete sie scharf. »Wie mich das freut!« sagte sie. »Weißt du, Julia, ich habe einmal rechte Sorge um dich gehabt!«
»Warum?« fragte sie unangenehm berührt.
»Nun damals – verzeih, wenn ich davon spreche, du hast es nie hören wollen – als ich so manches über deine erste Ehe von dir hörte, und dann deine Scheidung, und deine schnelle Wiederverheiratung. Du hieltest dich auch so fern von uns seit deines Vaters Tode –«
»Ich war damals jahrelang in einer Stimmung, in der ich für niemand und nichts zugänglich war, als nur für eins –« sagte Julia gepreßt.
»Ich fürchtete, du seist auf einem gefährlichen Wege –«
»Das war ich auch,« rief Julia. »Aber Björn hat mich gerettet.«
›Sollte es wirklich einmal vorgekommen sein, daß eine böse That eine gute Frucht zeitigt?‹ dachte die Kranke.
»Wenn das, was aus dir geworden, wirklich Björns Werk ist, so ist er ein guter Mann und hat nicht ein leichtsinniges Glück gesucht, als er dich heiratete,« sagte sie nachdenklich. »Du hast dich sehr verändert, seit ich dich zuletzt sah –«
»Und wenn Björn mich nicht geheiratet hätte,« rief Julia eifrig, »so wäre ich heute auch eine andre, so wäre ich unglücklich und schlecht. Damals war ich nur leichtsinnig –«
Sinnend sah die Kranke mit ihren matten Augen zu der immer noch jugendfrischen Frau auf.
»Du hast wenig von deinem Vater,« meinte sie.
»Ja, ich war immer der Mutter ähnlich.«
»Wärest du ihm ähnlich – ich habe ihn sehr geliebt, obwohl ich ihn nur kurze Zeit besaß – so würde es mir leichter werden, dir etwas zu sagen –«
»Aber warum denn? Wenn ich etwas helfen oder nützen kann – Björn sagt, er sei mit allem einverstanden.«
»Ich sagte schon, du seist so ganz anders geworden, Julia. Ich habe dich ordentlich lieb gewonnen. Ich habe Vertrauen zu dir. Was meinst du, Julia, würdet ihr es als große Last empfinden, euch meines Kindes etwas anzunehmen?«
Julia war so betroffen von dieser ganz unerwarteten Frage, daß sie diese anfangs kaum begriff, geschweige denn gleich Antwort geben konnte. Die Kranke hielt ihr Schweigen schon für eine halbe Ablehnung und fuhr hastig fort:
»Das Kind hat keine Heimat mehr, wenn ich sterbe. Meine wenigen nähern Angehörigen sind mir zum Teil nicht vertrauenerweckend genug – eine Mutter ist ängstlich und anspruchsvoll, Julia – zum Teil leben sie unter Verhältnissen, die ihnen einen solchen Familienzuwachs sehr unbequem erscheinen lassen würden. Ich kann mein Kind niemand aufdrängen. Es wäre mir schrecklich, zu denken, sie bekäme eine Art Gnadenbrot, womöglich noch mit einem unfreundlichen Gesicht. – Wenn du sie mitnehmen könntest, Julia – wenn sie bei euch bleiben könnte, nicht für immer, nur für den Anfang, bis sich etwas andres für sie gefunden haben wird –«
›Ein Mann,‹ dachte Julia, und setzte in Gedanken hinzu: ›wo soll ich den für sie herholen – bei uns? Überhaupt wurden ihre Gedanken sehr aufgeregt durch die Worte der Kranken. So eine Gefährtin, wie Rottraut, um sich zu haben – das würde ihr manches, namentlich die große, große Einsamkeit, unendlich erleichtern! Aber sie sagte immer noch nichts.
»Ich glaube nicht, daß sie euch zur Last fallen würde,« fuhr die Kranke matt fort. »Sie ist einfach und tüchtig erzogen und ist ein zufriedenes Gemüt. Wir haben uns ja doch auch sehr einschränken müssen. Ich hatte gar nichts, von deinem Vater blieb mir auch nicht viel. Rottraut hat nun alles, was ich besitze. Sie braucht nicht umsonst eure Güte in Anspruch zu nehmen.«
»Nun, davon wird Björn nichts hören wollen,« sagte Julia endlich, auf das Nebensächlichste zuerst eingehend. »Aber will denn Rottraut überhaupt mit mir kommen?«
»Ich habe sie gefragt. Sie sagte: ›Ja‹. Sie hat dich lieb.«
»Nun – ich kann mir ja nichts Angenehmeres wünschen,« entgegnete Julia. »Ich bin dann nicht mehr so allein. Und was sollte Björn dagegen haben?«
»Meinst du wirklich?« Die Kranke hatte noch allerlei Bedenken, die Julia ihr indes geschickt ausredete. Und je mehr sie das that, desto mehr leuchtete ihr das Wünschenswerte der Verwirklichung dieses Planes ein, für den sie endlich ganz erwärmt war. Sie versprach, gleich am folgenden Morgen an Björn zu schreiben.
»Nun kann ich ruhiger sterben,« sagte die Kranke und streckte sich müde aus. »Wochenlang habe ich Tag und Nacht diese Sorge in meinem Herzen herumgewälzt –«
Der Brief, den Julia schreiben wollte, blieb einstweilen ungeschrieben. Am andern Morgen war der Zustand der Kranken so bedenklich, daß niemand an etwas andres dachte, als an sie. Am Nachmittag starb sie.
Rottraut hielt ihre zuckenden Hände im letzten Todeskampf und drückte ihr die Augen zu. Dann brach das durch monatelange Pflege, Nachtwachen, Sorgen und Kummer überanstrengte Mädchen kraftlos zusammen.
Julia hatte eine grauenhafte Angst vor dem Tode. Sie stand im Nebenzimmer, zitternd und weinend, und wagte lange nicht, hereinzukommen.
Als es dann an die Besorgung der äußerlichen Geschäfte ging, war es umgekehrt Julia, welche sich als brauchbar und thätig erwies.
Während Rottraut, ganz gebeugt von ihrem Schmerz, der jung und heftig über sie hintobte, kaum körperliche Kraft zum Notwendigsten hatte, fuhr und lief Julia in der Stadt umher, um alles zusammenzubringen, der Entschlafenen eine würdige Totenfeier zu veranstalten.
Daß sie Rottraut mitnehmen würde, war stillschweigendes Übereinkommen zwischen ihnen.
Am Begräbnistage kam ein langer Brief von Björn, den Julia bei der Heimkehr vom Kirchhofe vorfand. Sie setzte sich ins Wohnzimmer zu der weinenden Waise und las ihn erst für sich. Sie hatte Björn erst eine kurze Todesnachricht und unmittelbar darauf einen langen Brief geschickt, in welchem sie ihm die über Rottraut gefaßten Pläne unterbreitete. Dies war nun die Antwort auf beides. Er erklärte sich darin völlig einverstanden mit allem, was Julia beschließen würde, und bat sie nur, den Tag ihrer Heimkehr zu bestimmen und anzugeben, welches Zimmer für Rottraut hergerichtet werden sollte.
Julia antwortete ihm darauf voll warmen Dankes für sein gütiges Entgegenkommen. Wann sie zurückkehren werde, ließe sich noch nicht ganz bestimmen; es gäbe hier noch viel aufzulösen und zu ordnen, wobei sie Rottraut nicht hetzen könne. Er möchte anordnen, daß das Giebelzimmer nach dem Garten zu, über dem Eßzimmer, für Rottraut eingerichtet werde; es sei das größte und sonnigste. Auch möchte er Sorge tragen, daß alles bequem und freundlich zurechtgemacht werde, die Fenster geputzt, die Gardinen geklopft würden. Es müsse auch ein Glas mit Blumen auf dem Tisch stehen, wenn sie ankämen. Schneeglöckchen und Weidenkätzchen würde es ja wohl schon geben.
Björn machte ein frohes Gesicht, als er diesen Brief las. Julia schien die junge Stiefschwester ja sehr in ihr Herz geschlossen zu haben, daß sie so zart um sie besorgt war, wie es sonst gar nicht in ihrer Art lag. Da würde ihr an derselben vielleicht eine Gefährtin erwachsen, die sie die Einsamkeit und Eintönigkeit ihres Lebens minder drückend empfinden ließ. Wie Rottraut sein möge, darüber dachte er nicht nach; er wollte es vor sich selbst nicht aufkommen lassen, daß er sich für seine Person wenig Annehmlichkeiten versprach vom Umgang mit einem Menschen, den Julia so zu lieben schien. Er war entschlossen, ihrem Wohlbehagen jedes Opfer persönlicher Bequemlichkeit zu bringen. – Und so kam er Julias Wünschen über Rottrauts Empfang und Aufnahme in weitgehendster Art nach.
Er kontrollierte die Säuberung und Einrichtung des Giebelzimmers; einige fehlende und zur Bequemlichkeit doch wünschenswerte Kleinigkeiten ließ er aus der Stadt mitkommen. Er ging mit Harry in den Garten und schnitt eine Handvoll Kätzchen an langen, schlanken Zweigen ab, während Harry Schneeglöckchen pflückte. Beides wurde dann sehr gewissenhaft teils in Julias, teils in Rottrauts Zimmer gestellt. Er machte den Küchenzettel für das Mittagessen, das auf etwas später angesetzt wurde, weil die Reisenden erst nach der gewohnten Essensstunde ankommen konnten.
Das ganze Haus war in Aufregung um die Wiederkehr der Hausfrau sowohl als um den Einzug des fremden Gastes. Denn seit Julia hier war, hatte sich noch niemand »von draußen« herverflogen. – Selbst der Himmel schien das zwiefache Ereignis feiern zu wollen. Ein frischer Wind hatte alle Wolken fortgefegt. Rein und blau spannte er sich über der Erde aus, in deren verschwiegenste Falten der letzte Rest saumseligen Schnees sich mürrisch verkroch. Die Gjelsau strömte geschwollen und eilig durch die nassen Weiden: sie sah trübe und schmutzig aus und warf gelbe Schaumflocken ans Ufer. Hier und da schwamm noch ein Stückchen Eis auf ihren krausen Wellen.
Zugleich mit den Kiebitzen und Staren kamen Julia und Rottraut nach dem Norden. Die ziehenden Vögel begleiteten sie oder saßen schon, Nahrung suchend, auf den Wiesen und Sümpfen, die der Zug durchbrauste, blinzelten mit den Augen, legten den Kopf zur Seite und schrien und schwatzten geschäftig, als wollten sie sagen: wir sind auch schon da!
Björn fuhr selbst zum Bahnhof, um die beiden abzuholen. Er war in einer ruhigen, beschaulichen Stimmung. Ihn regte die bevorstehende Veränderung seines häuslichen Lebens wenig auf, denn er war der Ansicht, daß er kaum davon berührt werden würde.
Schon lange, ehe der Zug einlief, sah er ihn weit, weit hinten am Horizont auftauchen und langsam durch das nasse, flache Land daher kommen. Er überlegte bei sich, wie es doch merkwürdig sei, daß er sich so gar nicht auf Julias Heimkehr freuen könne. Er fürchtete sich nicht etwa davor – nein, er nahm ihre Heimkehr ebenso als selbstverständlich hin, wie man sich darin findet, daß es alle Tage Abend wird. Es mußte so sein.
Julia stieg zuerst aus und nahm kurze Zeit seine Aufmerksamkeit ganz in Anspruch. Sein so lange entbehrter Anblick versetzte sie in einen Taumel von Glückseligkeit, dem sie zügellosen Ausdruck lieh. Ein Sturm heißer Zärtlichkeit ergoß sich über ihn; er hielt ihm geduldig still.
Dann, als Julia sich satt geküßt hatte, wandte er sich zu der andern, die es schweigend erwartete, daß sie an die Reihe kommen werde.
»Sei mir herzlich willkommen, liebe Schwägerin,« sagte er in zwangloser Vertraulichkeit und gab ihr die Hand und schüttelte sie kräftig. Unter dem schwarzen Schleier sah er zwei samtweiche, braune Augen sich erstaunt und erfreut ihm entgegen öffnen; aber eine Antwort bekam er nicht.
Sie nahmen Platz im Wagen; ein paar kleine Koffer waren unterzubringen, die größten folgten mit der Fracht. Björn saß vorn neben dem Kutscher. Julia hatte ihm viel zu erzählen und sprach immerfort. Björn mußte sich selbst sagen, daß die Familienangelegenheiten sich hier zur Besprechung nicht eigneten. Dennoch hätte er gewünscht, Julia möchte weniger vergnügt von lauter bloßen Äußerlichkeiten reden; er gewann fast den Eindruck, als sei das Sterben der Stiefmutter das Nebensächlichste ihrer Reiseerlebnisse gewesen und habe auf dem flachen Sandboden ihres Herzens keinen Eindruck hinterlassen. Ihr Geschwätz peinigte ihn, weil er es rücksichtslos und verletzend gegen die Waise fand.
Rottraut saß ganz schweigsam dabei. Sie hatte den Schleier zurückgeschlagen, ihre braunen Augen gingen wie große, erwartungsvolle Fragen über das Land; ihr etwas blasses, angegriffenes Gesicht wurde von dem rüstigen Märzwind rosig angehaucht. Sie beteiligte sich gar nicht an der Unterhaltung, kaum schien sie zu merken, daß eine solche geführt wurde. Plötzlich atmete sie tief auf und sagte:
»Wie wunderbar gut ist diese Luft! Hier muß man gesund sein!«
Björn sah sie gerührt an. Es beglückte ihn stets, wenn jemand irgend etwas Gutes über seine Heimat sagte. Julia lachte und meinte:
»Nun, wie du siehst, fehlt es daran bei uns auch nicht!«
In der That sah Björn gerade jetzt ganz besonders braun und frisch aus – mochte wohl von der Märzsonne kommen. Auch Julia sah aus, als käme sie von einer Erholungsreise. Sie war noch voller und runder geworden; ihr Gesicht glich trotz ihrer dreiunddreißig Jahre einer Pfirsichblüte. Und sie hatte einen ungewöhnlich vergnügten, zufriedenen Ausdruck. Die Trauerkleider paßten nicht recht zu alledem.
Auf dem Hof kam ihnen Harry entgegen und lief jauchzend neben dem Wagen her.
»Du hast ihn gut gepflegt, Björn,« meinte Julia. »Es kommt mir fast so vor, als ob ich hier gar nicht vermißt worden wäre.«
Im grellen Nachmittagssonnenschein hielt der Wagen vor der Thür des schlichten, weißen Hauses. Björn sprang herunter und half den andern beiden beim Aussteigen. Dann nahm er Rottrauts Hand und führte sie über seine Schwelle.
»Gott segne deinen Eingang, liebe Schwägerin,« sagte er ernst und schlicht. »Ich hoffe, du sollst dich wohl bei uns fühlen.«
Sie erwiderte seinen Händedruck schnell und heftig und lief dann eilig hinter Julia her, die sie ihr zu folgen bat. Die Thränen waren ihr in die Augen geschossen.
»Mach dich schnell zurecht und komm herunter, wir wollen dann Mittag essen!« Mit diesen Worten ließ Julia ihre junge Stiefschwester in deren Zimmer allein.
Rottraut streifte langsam die Handschuhe von den schmalen, kräftigen Händen und sah sich dabei in diesem Zimmer um, das nun für eine kurze oder lange Zeit, je nachdem die Verhältnisse es fügen würden, ihre Wohnung sein sollte. Es war sehr verschieden von den städtischen Einrichtungen, die sie bisher gewohnt gewesen. Fast wie eine Bauernstube, aber wie eine direkt aus der Werkstatt gekommene. Einfach und hell, von den weißen Gardinen an den Fenstern bis zu den naturhölzernen, steifbeinigen und geradlinigen Möbeln und den frischgescheuerten Dielen. Die Tapeten waren weiß und grün, wie der Schneeglöckchenstrauß auf dem Tisch mit der leinenen Decke. Durch die offenen Fenster schien die Sonne, daß es fast blendete, und dieselbe schöne Luft, die draußen über die Felder und Weiden wehte, füllte den ganzen Raum. Alles heimelte Rottraut an. In einer solchen Umgebung, schien ihr, müsse alles gesund und schlicht und wahr und fröhlich sein. Und auf alles aufgeprägt waren die Worte, die dieser neuen Umgebung von vornherein den Charakter des Fremdartigen genommen hatten: »Gott segne deinen Eingang.«
Als sie herunterkam, standen Björn, Julia und Harry schon ihrer wartend im Speisezimmer. Zum erstenmal saß sie nun mit ihnen an einem Tisch. Sie war sehr still; es gelang bis zuletzt nicht, in ein Gespräch mit ihr zu kommen. Björn ließ sie nach einigen vergeblichen Versuchen in Frieden. Er begriff, daß ihr weh zu Mut sein mußte nach allem, was sie erlebt, und nach dem Abschied, den sie genommen hatte.
Auch er war stiller als gewöhnlich. Es wurde ihm fast schwer, Julias außerordentliche Gesprächigkeit zu ertragen. Er fand, es wäre rücksichtsvoller gewesen, wenn sie weniger lebhaft und weniger vergnügt geplaudert hätte. Und als er sah, daß des jungen Mädchens Gesicht immer abgespannter und nervöser wurde, beschleunigte er die Mahlzeit so viel wie möglich.
Rottraut ging gern auf den Vorschlag ein, sich ein paar Stunden zu ruhen.
»Willst du sie nicht hinaufbringen?« sagte Björn zu Julia. Aber Rottraut wehrte es ihr.
»Bemühe dich doch nicht – ich finde mich sehr gut allein. Wenn du mir nur sagen lassen möchtest, wann ich wieder herunterkommen soll!« Sie nickte freundlich zurück, indem sie aus der Thür schlüpfte wie ein schwarzer Schatten.
Als Björn mit Julia in seinem Zimmer allein war, fragte sie sogleich mit neugieriger Spannung:
»Wie findest du sie, Björn?«
Er antwortete nicht gleich. »Ich habe sie ja kaum gesehen,« sagte er endlich ruhig. »Und sie ist noch zu befangen und zu traurig, um aus sich herauszukommen. Aber sie hat einen angenehmen, kindlichen Ausdruck.«
»Das freut mich, daß du das findest. Ich mag sie sehr gern. Mir war es ein sehr tröstlicher Gedanke, sie mit her zu nehmen. Ich bin dann nicht mehr so viel allein. – Hoffentlich bist du doch wirklich einverstanden mit dieser Einrichtung?«
»Gewiß, Julia. Dein Wunsch allein war schon Grund genug für mich, einverstanden zu sein. Es ist für mich kaum weniger wichtig, als für dich, daß du dich hier wohl fühlst. – Ich werde mich mit ihr schon einrichten, ich bin ja wenig berührt von dieser Veränderung –«
Julia sah ihn etwas erstaunt an. Dann fiel ihr ein, daß er im Frühling und Sommer thatsächlich wenig im Hause war und nicht viel von dem neuen Zuwachs merken würde.
»Zunächst wirst du nicht viel von ihr verlangen dürfen,« fuhr Björn nach einer Pause fort. »Sie trauert und wird Ruhe und Schonung bedürfen. Thue, was du kannst, ihr beides zu gewähren und ihr den Aufenthalt hier wohlthuend zu machen. Sie wird dann eines Tages um so verständnisvoller und bereitwilliger den Ansprüchen genügen, die du an sie stellst. – Willst du mir nun aber nicht von der Verstorbenen erzählen? Es giebt doch gewiß noch allerhand zu besprechen!«
So liebenswürdig und unerschöpflich Julia von anziehenden und angenehmen Dingen zu plaudern verstand, so schnell versiegte ihr der Redequell, wenn es an ernste und traurige Eindrücke ging. Sie nahm nicht viel davon in sich auf, und das Wenige haftete nicht lange; so daß sie also auch nie viel davon wiederzugeben hatte. Björn kannte das und rechnete damit. Er fragte ihr einfach ab, was ihm zu wissen von Wert war. Julia antwortete, so gut sie konnte. Aber hier wie überall, wo es auf ein wärmeres Empfinden ankam, versagte ihr Gemüt. Es war keine Tiefe unter der schillernden Oberfläche.
›Auf die Erleichterung wohlthuender Ansprachen wird Rottraut verzichten müssen,‹ dachte Björn bei sich.
Mit einer Absichtlichkeit, die aus logischer Überlegung entsprang, kümmerte sich Björn so gut wie gar nicht um das Thun und Treiben der Frauen in den ersten Wochen. Er wollte, daß sie sich ineinander einrichten sollten, und das geschah am besten ohne einen dritten. – Ohne daß er es sich ganz eingestand, gewährte es ihm eine Erleichterung, daß Julia nun nicht mehr allein auf seine Gesellschaft angewiesen war. Wenn er draußen auf dem Felde beschäftigt war, so beunruhigte ihn nicht der Gedanke, daß sie nun schon wieder sehnsüchtig auf ihn warte. War er einmal den ganzen Tag abwesend, was selten genug vorkam, so ließ er sie nicht allein zurück. Sie hatte fortan Gesellschaft und Unterhaltung auch ohne ihn. Eine Menge lästigen Kleinkram, mit dem ihre unselbständige Natur ihn sonst quälte, bekam er nun gar nicht mehr zu hören, weil sie eine andre dafür hatte. Er fühlte sich entlastet und befreit, und es war ihm wohl dabei zu Mut.
Die mancherlei Frühlingsarbeit im Freien füllte um diese Jahreszeit seine Tage immer voll aus. Kam er dann mit sinkender Dämmerung müde nach Hause, so stand sonst Julia meist an der Thür oder am Fenster und erwartete ihn ungeduldig; war wohl gar verstimmt und in Thränen, weil sie sich einsam gefühlt und gelangweilt hatte. Dann mußte er sie trösten und erheitern, ob ihm selbst schon oft nicht heiter zu Mut war. Er bewies dabei immer eine unendliche Sanftmut und Güte. Nie ließ er sie rauh an; keiner, und Julia am wenigsten, ahnte, welche Selbstbeherrschung es ihn kostete, sie zu ertragen und so zu behandeln.
Jetzt, wenn er nach Hause kam, wartete niemand auf ihn mit Thränen und Launen. Er hatte nicht mehr das bedrückende Gefühl, in seinen Kerker zurückzukehren, wenn er Julias Zimmer betrat. Denn da drin war man jetzt immer frohgemut, trotz der Trauerkleider, und vor allem: man war fleißig.
Rottraut schneiderte und nähte sich ihre einfachen Sommerkleider. Auf irgend eine eben so geräuschlose wie unbegreifliche Weise hatte sie Julia vermocht, ihrerseits für sich Nadel und Faden zu rühren. Julia hatte angefangen, es ihr gleichzuthun, erst aus Neugierde, dann, weil sie sich dem Fleiß der jüngern gegenüber ihrer eignen Unthätigkeit schämte; und schließlich fand sie Gefallen daran. Sie stellte sich herzlich ungeschickt an, aber Rottraut spielte die Lehrmeisterin mit unermüdlicher Geduld und Freundlichkeit, und das erste Lachen, das in diesem Hause von ihren Lippen kam, galt der Unbeholfenheit ihrer großen Schülerin.
Björn, der gerade hereinkommen wollte, hörte dieses Lachen und zögerte noch einen Augenblick vor der Thür. Man lachte so selten in seinem Hause, und er hatte sich immer verantwortlich dafür gefühlt. Nun lachte man ohne sein Zuthun. Es stimmte ihn fast dankbar gegen das fremde Mädchen, das er sich noch kaum ordentlich angesehen hatte. In dieser Stimmung trat er ein.
Julia saß am Fenster, umgeben von allerlei Nähzeug, und sah mit kindlich hilflosem Ausdruck zu Rottraut auf. Die stand vor ihr, mit dem Rücken nach der Thür, lang und schlank, hielt mit beiden Händen ein Stück Zeug ausgebreitet, von dem man noch nicht recht sah, was es werden sollte, und setzte Julia lachend auseinander, daß sie den Ärmel verkehrt eingenäht habe. Bei Björns Eintritt wandte sie sich hastig um; als sie ihn erkannte, wurde ihr Gesicht sofort ernst, fast verlegen; sie setzte sich hin und fing an, den Ärmel auszutrennen. Björn kam näher und sah interessiert auf ihre fleißigen Finger. Dabei empfand er es angenehm, daß Julia es sich ganz abgewöhnt hatte, sofort bei seinem Eintritt auf ihn zu stürzen und ihn mit ihren Zärtlichkeiten zu überschütten.
»Was wird denn das?« fragte er, auf das blaue Etwas deutend, daran Rottraut trennte.
»Ein Kittel für Harry,« erklärte Julia.
»Und das?« fragte er weiter, auf einen dünnen, schwarzen Stoff zeigend, der neben Rottraut auf der Diele lag.
»Davon näht sich Rottraut ein Sommerkleid!«
Björn sah von neuem auf Rottrauts Hände, dann auf ihr gesenktes Gesicht. »Wo hast du das alles gelernt, Rottraut?« fragte er.
»Zu Hause,« sagte sie und sah nur flüchtig von ihrer Arbeit auf. »Wir hatten es nötig, unser Leben so einfach und billig einzurichten als möglich. Mutter hat mich alles lernen lassen, was dazu nötig war.«
Björn sah das schmale Kindergesicht gerührt an. »Und nun nimmst du Julia in die Lehre?«
Sie hörte einen Vorwurf daraus und errötete.
»In unsrer Abgelegenheit hier,« sagte sie entschuldigend, »ist es doch viel praktischer, selbst zu nähen, als sich alles von weit her schicken zu lassen. Was soll man denn auch den ganzen Tag machen –«
»Ich habe sonst nie etwas gethan,« sagte Julia ehrlich. »Es war auch wirklich oft tödlich langweilig. Aber allein ist alles langweilig. Allein hätte mir auch das Nähen keinen Spaß gemacht.«
»Macht es dir denn jetzt Spaß?« fragte Björn.
»O ja, freilich – ich sah Rottrauts Eifer, und da kam mir auch die Lust. Ich bin aber noch sehr ungeschickt.«
»Das findet sich,« tröstete Rottraut. »Es macht mir große Freude, dich etwas lehren zu können.«
Björn fühlte sich von dem ungewohnten Anblick des Fleißes in seinem Hause unwiderstehlich angezogen. Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu den arbeitenden Frauen. Julia erzählte ihm eifrig und umständlich von all den Blusen, Röcken, Kitteln und sonstigen nützlichen Dingen, die sie noch verfertigen würden; während er mit halbem Ohr zuhörte, betrachtete er zum erstenmal aufmerksam die neue Hausgenossin.
›Sie hat doch kein Lot Fleisch auf dem Leibe,‹ dachte er bei sich. Sie war Julia überhaupt in keiner Weise ähnlich. Sie hatte dunkles Haar, das dick und locker ihren schmalen Kopf umgab und ganz kunstlos nach hinten gestrichen war. Auch ihre Hautfarbe hatte einen dunkeln Ton, obgleich sie rein und frisch war. An Julia war alles weich und rund, an Rottraut alles schmal, fast scharf. Dabei machte sie durchaus keinen schwächlichen Eindruck. Sie hatte Blut in ihren magern Gliedern, viel Blut, warmes Blut. Man sah es pulsieren unter der feinen Haut, man spürte, wie es sie ganz und gar mit kräftigem Leben durchrann. Hübsch war sie nicht – dazu war sie viel zu mager; aber sie hatte irgend etwas an sich, was sie sehr lieblich machte. Es kam Björn so vor, als ob es nötig sei, daß man ihr recht viel Liebes und Gutes thue, und es fiel ihm ein wenig aufs Gewissen, daß er sich in diesen vier Wochen, die sie nun hier war, gar nicht um sie gekümmert, kaum einmal mit ihr von ihrer Mutter gesprochen hatte. Er wußte nicht, ob Julia das that, er nahm es aber nicht an. Er wußte auch nicht, ob Julia gut und rücksichtsvoll gegen sie war, ob sie sich in seinem Hause wohl fühlte. Er hatte sich bisher immer damit zufrieden gegeben, die beiden freundlich miteinander verkehren und Rottraut ein gleich bleibend liebenswürdiges Gesicht machen zu sehen.
Er war letzthin so wenig im Hause gewesen; er hatte dem sonderbaren Gefühl der Entlastung allzusehr nachgegeben und war wirklich auf dem besten Wege, seine Hausgenossen zu vernachlässigen. Es wunderte ihn nur, daß Julia es noch nicht empfunden und ihn mit Thränen und Küssen deshalb zur Rede gestellt hatte.
›Um so besser,‹ dachte er. ›Aber ich darf mich doch nicht gehen lassen. Ich kann ja auch vielleicht für mich an dem neuen Familienzuwachs Freude finden.‹ Und aus seinen Überlegungen heraus sagte er:
»Hast du dich nun schon ein wenig eingelebt, kleine Schwägerin?« Sie ließ die Arbeit sinken und sah flüchtig auf. Ihre schönen braunen Augen waren erstaunt und wurden traurig.
»O ja,« entgegnete sie mit einem kleinem Seufzer. »Julia meint es gut mit mir.« Da Björn ein schlechtes Gewissen hatte, hörte er daraus einen Vorwurf gegen sich.
»Glaubst du, daß du es in unsrer Einsamkeit wirst aushalten können?« fragte er weiter.
»So lange ich etwas zu thun habe, und so lange ich euch nicht zur Last falle –« es kam sehr schüchtern heraus.
»Unsinn,« sagte Julia. »Du fällst niemand zur Last; es ist ein wahrer Segen, daß du da bist.« Es entfuhr ihr so schnell, und dann erschrak sie, denn Björn sah sie aufmerksam an. »Ja,« erklärte sie, »es ist wirklich ein Segen, denn ich war zu viel allein. Du mußt doch selbst sagen, Rottraut, er ist zeitweise kaum im Hause. Und dafür eben ist es ein Segen, daß du da bist. Denn ich kann nicht allein sein. Namentlich ohne dich kann ich nicht sein, Björn,« rief sie, warf das Nähzeug fort, setzte sich auf seinen Schoß und küßte ihn. »Und wenn ich niemand habe, der mir deine Abwesenheit verschmerzen hilft, so bin ich ganz unglücklich.«
Rottraut bückte sich tiefer über ihre Arbeit. Es war das erste Mal, daß Julia in ihrer Gegenwart zärtlich mit Björn war, und es machte sie verlegen, weil sie dergleichen überhaupt nicht kannte. Auch Björn war aus irgend einem Grunde verlegen und bemühte sich, Julia loszuwerden.
»Du bist nicht ganz schuldlos an dem vielen Alleinsein,« sagte er. »Du hast von Anfang an kein Gefallen daran gefunden, mich auf meinen Wegen zu begleiten. Ich konnte deinetwegen nicht meine Wirtschaft vernachlässigen; namentlich im Anfang, wo ich selbst noch unerfahren war und viel zu lernen hatte.« Julia stand da wie ein gescholtenes Kind, und Björn war verstimmt, weil er sich über sich selbst ärgerte. Da sagte Rottraut mit energischer Frische:
»Eigentlich hat dein Mann ganz recht, Julia. So lange ich wenigstens hier bin, sind wir noch nicht ein einziges Mal ordentlich gegangen. Ich weiß noch nicht, wie es hinter dem Garten aussieht!«
»Das geht aber doch gar nicht!« rief Björn, die Ablenkung dankbar aufgreifend. »Wißt ihr, morgen machen wir zusammen einen großen Spaziergang! Nicht wahr, Kind, es ist dir recht?« wandte er sich mit rührender Freundlichkeit an Julia. »Versuch es nur mal wieder, vielleicht findest du jetzt mehr Gefallen daran! Es muß dir doch auch Spaß machen, Rottraut unser Gut und Eigentum zu zeigen!«
»Und noch eins,« fuhr er fort, als Julia sich einverstanden erklärt hatte; »am Ostertage fahren wir zu den Eltern, nicht wahr? Ich muß auf jeden Fall hin, ich war zu lange nicht dort. Und ich denke, du kommst auch mit,« wandte er sich an Rottraut. »Es ist niemand da außer uns. Du wirst dich durch nichts verletzt fühlen in deiner Trauer. Und es ist einmal eine Abwechslung.«
»O – ich sehne mich durchaus nicht nach Abwechslung,« sagte Rottraut. »Aber ich fürchte mich auch nicht davor. Und wenn du es wünschest, komme ich selbstverständlich mit.«
»Ich wünsche nichts, was dir schwer fällt,« entgegnete Björn. »Du brauchst dich ja nicht schon heute zu entscheiden. Heute ist erst Montag –«
Und dabei blieb es.
Am andern Morgen war es sehr windig. Nach vielem Hin- und Herschwanken und langem Zureden von Björn entschloß sich Julia endlich, es trotzdem mit dem Gehen zu versuchen. Aber schon auf dem Hof erklärte sie, es sei ihr unmöglich, weiter mitzukommen. Der Wind zerre sie an den Kleidern und benähme ihr den Atem.
»Versuche es doch, liebes Herz,« bat Björn. »Es macht nur, weil du es so gar nicht mehr gewöhnt bist!«
Er hatte sich wirklich gefreut auf diesen gemeinsamen Gang, und darauf, Julia wieder einmal die frisch bestellten Felder und die neu bearbeiteten Wiesen, die Koppeln mit den jungen Kälbern und Füllen zu zeigen. Aber Julia blieb dabei, es sei ihr unmöglich. Gerade, weil sie es nicht mehr gewohnt sei, müsse sie an einem recht schönen, windstillen Tage anfangen. Es war nicht Laune von ihr, es wurde ihr selbst schwer, nun doch zurückzubleiben; sie hatte sich eben durch jahrelange, unbesiegbare Trägheit vollkommen verzärtelt. Björn hatte nie ein Machtwort sprechen mögen – nun konnte er es jetzt erst recht nicht.
»Schade –« sagte er ein wenig gereizt. »Dann muß ich mit Rottraut allein gehen.«
»Ach nein –« rief Rottraut; es klang förmlich erschrocken. »Es ist doch besser, ich bleibe dann auch hier, und wir gehen ein andermal alle zusammen.«
»Aber warum denn – Julia läßt dich sehr gern mit mir gehen. Also wenn dir das Wetter nicht unangenehm ist –«
»Ich glaube wirklich, Julia sieht es lieber, wenn ich bei ihr bleibe,« beharrte Rottraut nun beinahe ängstlich.
»Nun, Julia? Äußere dich!« Björn fing an, ungeduldig zu werden.
»Wenn ihr mich fragt,« sagte Julia sehr harmlos, »so ist es mir natürlich sehr viel lieber, wenn Rottraut bei mir bleibt. Morgen hat der Wind vielleicht schon nachgelassen.«
Eine Wetterwolke zog flüchtig über Björns Stirn. Er kämpfte den Unmut aber schnell nieder.
»Wie ihr wollt – also auf Wiedersehen zu Tisch.« Damit drehte er ihnen den Rücken zu und ging davon. Er war ernstlich geärgert. Die beiden Zurückbleibenden fühlten es, aber sie schwiegen darüber; Julia, weil sie sich schämte; Rottraut, weil sie doch nicht hätte sagen können, warum sie Björn nicht allein begleiten mochte. Das hätte zu unnützen Erörterungen und Aussprachen geführt. Und Rottraut kannte Julia gut genug, um zu wissen, daß sie sich zur Vertrauensperson nicht eigne.
Der Wind hielt mehrere Tage an, und von einem gemeinsamen Spaziergang war nicht mehr die Rede. Björn schien seinen flüchtigen Vorsatz, etwas mehr Gemeinsamkeit im Familienleben anzustreben, wieder aufgegeben zu haben. Die, die diesen Vorsatz in ihm wachgerufen hatte, war nun seiner Ausführung ein Hindernis geworden. Er merkte, daß Rottraut sich aus irgend einem ihm unerklärlichen Grunde scheu von ihm fernhielt, und es fiel ihm nicht ein, ihr seine Gesellschaft aufzudrängen oder sich durch ihr Wesen verletzt oder geärgert, ja nur beunruhigt zu fühlen.
Am Ostersonnabend war er früh aufgestanden. Er hatte ein krankes Pferd im Stall, nach dem er sich umsehen wollte. Aber das Tier hatte sich über Nacht erheblich gebessert, es gab weiter nichts dabei zu thun. Unschlüssig stand Björn vor der Stallthür. Es war halb sechs. Im Osten ging eben hinter einer schmalen Wolkenwand die Sonne auf; die Lerchen sangen und jubelten ihr entgegen, eine kräftige Brise strich vom Meer über das grüne Land herüber. Es war ein frischer, würziger, urgesunder Frühlingsmorgen; viel zu schade, um noch einmal ins Haus zu gehen. Björn beschloß, einen weiten Gang zu machen, obgleich er draußen nichts zu thun hatte. Aber gerade diese zweck- und ziellosen Wanderungen waren seinem Herzen dann und wann Bedürfnis. Sie waren seine Ruhestunden, seine Gottesdienste.
Er ging ums Haus herum durch den Garten. Julia und Harry schliefen noch hinter fest zugezogenen Vorhängen. Rottrauts Giebelfenster stand weit offen; aber die schlief immer bei offenem Fenster, gerade wie er selber. Sie hatte recht wenig vom Stadtkind an sich.
Durch die Pforte im dicken Heckenzaun trat Björn auf die Wiesen, die dicht hinter dem Garten anfingen und sich längs des Flüßchens breit und grün dahinzogen. Das Gras fing eben an zu sprießen, hier und da blühten Gänseblumen und Wiesendotter. Längs des Wassers war alles gelb von den dicken, fleischigen Blütenköpfen. Es war sehr naß, der Tau lag in großen, breiten Tropfen, als ob es geregnet hätte; je höher die Sonne über dem Wolkensaum heraufschwebte, je lustiger funkelte und glitzerte es überall.
Björn hatte dicke Stiefel an und ging unbesorgt um die Nässe bis an das Wasser, und dann am Bache aufwärts. Das frische Rauschen und Plätschern war eine angenehme Musik; jeder Uferstein war sauber gewaschen, und immer doch von neuem spülten und wischten die kleinen Wellen darüberhin. Hier und da wuchs eine Weide und ließ ihr knospenvolles Gezweig ins Wasser hängen. Wunderlich verbogen und verkrüppelt neigten sich die alten Stämme, der eine hierhin, der andre dahin, und unter dem Umkreis ihrer schattenden Äste – jetzt freilich noch schattenlos – war das Wiesengras abgetreten von tränkendem Vieh und ruhendem Menschenvolk.
Björn schlenderte in tiefen Gedanken weiter. Es kamen doch immer noch Zeiten, wo er zu kämpfen hatte mit dem Schicksal, in das er sich nun doch endlich gefunden zu haben meinte; Zeiten, in denen er es nicht lassen konnte, sich auszumalen, wie sein Leben sich gestaltet haben würde, wenn nicht – Julia hineingekommen wäre. Zeiten, in denen er sich ganz vergeblich sagte, daß solche Gedanken unfruchtbar und verderblich seien, daß sein Leben eben so geworden sei, wie er es sich gemacht habe, und daß er es folglich auch geduldig und tapfer zu Ende führen müsse; in denen er sich vergeblich an alles Gute und Schöne erinnerte, das dies Leben ihm noch gelassen hatte und ihm täglich neu schenkte – seine Gesundheit, seinen Besitz, sein Kind und noch viel mehr – und sich vergeblich bemühte, um dessentwillen das andre zu verschmerzen. War denn das eine, das er nicht hatte, die Hauptsache? War es nur dadurch zur Hauptsache geworden, daß es ihm versagt geblieben war und versagt bleiben mußte?
Seine Gedanken schienen heute keinen wohlthuenden Ausweg zu finden. Ärgerlich über sich selbst, schüttelte er energisch den Kopf, als könne er damit die Gedanken abschütteln wie taube Blüten, und beschloß, sich an dem schönen Morgen zu freuen.
Das erste, was sein wieder erhobener Blick mitten in diesem schönen Morgen entdeckte, war Rottraut, die wenige Schritte vor ihm an einem Weidenstamm lehnte, ihm den Rücken zugekehrt, und irgend etwas im Arm hatte, das sie zärtlich streichelte. Björn war so überrascht, daß er ohne weiteres Überlegen schnell den kurzen Raum durcheilte, der ihn von ihr trennte, und ihr einen fröhlichen Morgengruß zurief.
Rottraut fuhr zusammen und wandte ihm langsam ihr schmales braunes Gesicht zu. Sie hatte nicht einmal einen Hut auf. Verweint sah sie aus und wurde purpurrot unter seinem erstaunten Blick.
»Sieh mal, was ich gefunden habe!« sagte sie hastig, als wolle sie jeder Frage seinerseits zuvorkommen. Dabei zeigte sie ihm ein ganz junges Häschen, das ängstlich die Nase in ihre Ärmelfalten steckte. »Hier in der Wiese saß es, ganz allein. Ein Raubvogel wollte eben darauf niederstoßen. Ich kam gerade noch zur Zeit. Ich wußte es nicht anders zu retten, als daß ich es auf den Arm nahm. Der Vogel muß es wohl schon lange verfolgt und gehetzt haben – es war ganz matt. Wenn es sich erholt hat, setze ich es wieder aus.«
Er hatte sie noch nie soviel zusammenhängend sprechen hören. Sie sprach sehr erregt, hastig und abgerissen. Er war überzeugt, daß diese Erregung noch andre Gründe hatte, als das kleine Abenteuer mit dem Häschen. Einstweilen ging er indes eifrig ein auf das, was sie ihm erzählte.
»Schade, daß ich nicht ein wenig früher kam und eine Flinte hatte; da hätte ich dem Raubzeug gleich den Garaus machen können. Zeige mal – wie verängstigt das arme Tierchen ist! Es begreift natürlich nicht, daß du es gerettet hast, und hält auch dich für irgend einen grausamen Feind!« Er stand dicht vor ihr, und seine große braune Hand glitt liebkosend über das haarige Fell in ihrem Arm. Dabei kam es ihm vor, als sei es nicht allein das verängstigte Tier, was so zitterte, sondern das ganze Mädchen.
»Du bist ja ganz naß, Rottraut,« sagte er, ihren schwer hängenden Kleidersaum und ihr durchweichtes Schuhzeug gewahrend. Sie sah kaum danach hin.
»Das schadet nichts. Ich habe keine so zimperliche Gesundheit. Das heißt,« verbesserte sie sich erschrocken, »ich wollte damit nichts Unfreundliches gegen Julia sagen. Julia hat wirklich eine weniger robuste Natur, wie ich.«
»Von Julia ist ja gar nicht die Rede,« wehrte er, peinlich berührt. »Und wo hast denn du als Stadtkind deine robuste Natur her?« fragte er. Sie zuckte die Achseln und starrte in die Sonne.
»Mein Vater war ja auch ein Landmann,« sagte sie nebenbei.
»Wie alt warst du denn, als er starb? Hast du noch eine Erinnerung an ihn? Du hast mir noch nie etwas von deinem Leben erzählt –«
»Wir haben ja überhaupt noch kaum zusammen geredet,« sagte sie. Er schwieg beschämt still. Sie fing wieder an, ihren Hasen zu streicheln, als sei er nicht da.
»Was machst du eigentlich hier, zu dieser Stunde!« begann Björn wieder. »Wie kommst du auf den abenteuerlichen Gedanken, vor Tau und Tage allein spazieren zu laufen?«
»Der Tau ist da und der Tag auch,« versetzte sie ein wenig spöttisch. »Und warum es abenteuerlich sein soll, weiß ich nicht. Ich bin gewissermaßen darauf angewiesen, allein spazieren zu gehen. Da thue ich es natürlich zu einer Zeit, wo Julia mich nicht vermißt.«
»Du bist rührend gegen Julia –«
»Gar nicht! Ich bemühe mich nur, ihr zu danken. Und das kommt mir von Herzen.« – Wieder eine lange Pause.
»Warum behauptest du, auf das Alleingehen angewiesen zu sein?« fragte endlich Björn. »Ich wollte neulich mit dir gehen, aber du hattest nicht Lust.«
Sie sah ihn mit großen Augen flüchtig an und schwieg.
»Und warum kommst du just heute auf den Einfall, spazieren zu gehen? – Oder hast du das schon öfter gethan?« Sie schüttelte den Kopf.
»Nun also – beichte. Einen besondern Grund hat es. Ich weiß es. Denn du hast geweint.«
Sie wurde wieder dunkelrot, senkte den Kopf ganz tief und schwieg.
»Willst du es mir nicht sagen? Gut – ich will dich nicht quälen. –« Es schien, als ob er gehen würde. Ihr wenigstens schien es so. Und da sagte sie hastig, während zwei große Thränen auf den weichen Hasenpelz fielen:
»Heute ist Mutters Geburtstag.«
Den zwei Thränen folgten noch zwei – und noch zwei – und eine nach der andern; und das Mädchen schämte sich seiner Thränen und konnte sie nicht einmal verbergen, weil es die Hände nicht frei hatte.
»Gieb mal her!« sagte Björn plötzlich. Seine Stimme klang sehr bewegt. Er nahm ihr ohne weiteres das Tier ab, setzte es ein paar Schritt seitwärts ins Gras und ließ es laufen. »Dem ist viel wohler so –«
Als er zurückkam, hatte Rottraut das Taschentuch vor das Gesicht gedrückt und schluchzte herzbrechend. Dabei hörte man, wie sie sich krampfhaft bemühte, aufzuhören. Björn wurde ganz weich.
»Mein Kind – mein armes, liebes Kind! Weine dich nur ordentlich aus! – Ich habe ja keine Ahnung davon gehabt!«
Er wartete geduldig, bis sie sich beruhigt haben würde. Derweil überlegte er sich, daß sie ihn doch für einen recht gefühllosen Menschen halten mußte, weil er sich um den Schmerz, den sie so frisch mit hierher gebracht, noch gar nicht bekümmert hatte.
»Sage mal, Rottraut,« begann er, als sie stiller wurde, »du hast wohl eigentlich gar kein Vertrauen zu mir?«
»Wie kommst du darauf?«
»Es scheint mir, als ob du es absichtlich vermiedest, in nähere Berührung mit mir zu kommen. Und ich habe mich ja wohl auch nicht besonders vertrauenerweckend betragen?«
Sie schlug die verweinten, schönen, sanften Augen zu ihm auf, und es schien, als überlege sie. Dann gestand sie etwas zaghaft:
»Ich habe geglaubt, du seist nicht einverstanden mit meinem Hiersein.«
»Warum glaubtest du das?«
»Weil du dich gar nicht um mich kümmertest. Weil du es kaum der Mühe wert hieltest, mit mir zu reden. Weil ich dich überhaupt kaum sah. Ich bildete mir ein, du miedest das Haus, weil meine Anwesenheit darin dir unangenehm sei, und du duldetest mich nur Julias wegen. Und aus diesem Grunde überlegte ich mir heute früh, ob ich nicht lieber wieder gehen sollte.«
Das war eine solche Fülle von Offenbarungen und Anschuldigungen, daß er nicht so schnell darauf antworten konnte.
»Da ist es ja ein wahres Glück, daß ich gerade bei diesen Überlegungen dazu komme,« sagte er endlich, »um ein großes Unheil zu verhüten. Denn du hast dir da wirklich ganz falsche Begriffe in den Kopf gesetzt. – Sieh mal, kleine Schwägerin, als von deinem Kommen die Rede war, da habe ich es in der That zunächst als eine für Julia sehr willkommene Veränderung und Verbesserung ihres Lebens gehalten – du weißt selbst, Julia fühlt sich einsam hier, und man kann es ihr auch nicht ganz verdenken; nur ist es nicht zu ändern – und schon allein aus diesem Grunde habe ich dein Kommen freudig begrüßt. Wenn ich mich dann so wenig um euch kümmerte, so lag das zumeist daran, daß ich dachte, ihr, die ihr doch fortan am meisten aufeinander angewiesen sein würdet, könntet euch am besten und am schnellsten einleben, wenn ich euch möglichst euch selbst ließe. Und dann – siehst du, ich bin manchmal etwas angegriffen, nervös, schlechter Laune – nenn's wie du willst; kurzum, es ist mir manchmal gut, wenn ich recht viel allein sein kann; und das Bewußtsein, daß Julia nun nicht mehr auf mich angewiesen sei, sondern durch deine Gesellschaft Ersatz habe, bestärkte mich noch in der Hingabe an diese meine Sonderbarkeit – –«
Es wurde ihm nicht leicht, ihr diese unzureichende und etwas erzwungene Erklärung zu geben. Er fühlte, daß sie ihm nicht recht glaubte oder mindestens erstaunt war und ihn groß ansah.
»Du begreifst das vielleicht nicht,« fuhr er fort, »und ich kann es dir auch weiter nicht erklären. Aber ich bitte dich, mir zu glauben, daß mein Benehmen mit dir nicht zusammenhängt.«
»Ich konnte es auch nicht recht begreifen,« meinte sie, immer noch ungewiß. »Ich hatte dir doch nichts gethan. Und wenn du mit meinem Kommen nicht einverstanden warst, hättest du es ja nicht zugeben brauchen. Und zu allererst, als ich ins Haus kam – da warst du so gut – da war ich ordentlich glücklich –«
Die Thränen kamen schon wieder. Während sie sich mühte, ihrer Herr zu werden, suchte er vergeblich, sich zu erinnern, was er besonders Gutes bei ihrem Eintritt in sein Haus gethan oder gesagt habe.
»Um so unbegreiflicher war es mir nachher,« fuhr sie fort. »Ich hatte immer Angst vor dir –«
»Aber mein liebes Kind!« sagte er und nahm ihre herabhängende Hand väterlich fest in seine beiden. »Das muß ja schrecklich für dich gewesen sein! Das habe ich ja nicht geahnt! Denn ich war so gänzlich fern von all den Gedanken, die du mir da unterschiebst! – Wirst du mir nun auch glauben, daß ich dich von ganzem Herzen bei mir aufgenommen habe und mir ebenso von ganzem Herzen wünsche, daß du dich bei mir glücklich fühlen und recht lange bei mir bleiben möchtest?«
Sein ganzes Herz voll Güte und Mitleid gegen die arme Waise, der er ahnungslos so weh gethan hatte, trat in seine Augen, die er dringend und bittend auf ihr Gesichtchen heftete. Sie stieß ein letztes, stoßendes Schluchzen heraus.
»Ach – ich bin so dumm – so kindisch –«
»Du bist gar nicht dumm. Aber ich war dumm, thöricht und verblendet, daß ich mir nicht selber sagte, wie weh es dir gerade in deiner verwaisten, traurigen Stimmung thun mußte, so verständnislos behandelt zu werden. Willst du mir das verzeihen? Willst du mir glauben?«
»Ja, ja, ich glaube dir!« unterbrach sie. »Ich bin auch jetzt schon ganz glücklich! Ich danke dir! Nun ist ja alles gut!«
Er sah sie noch eine Weile besorgt an. Sie wurde verlegen, entzog ihm ihre Hand und sah sich um.
»Ist er weg?« fragte sie zerstreut. Er konnte sich erst gar nicht erklären, wen oder was sie meinte.
»Das Häschen – ach so, ja, das ist weg. Das freut sich seines Lebens. Und wir wollen jetzt auch weitergehen; vom Stehen bekommen wir nur kalte Füße. – Willst du dich meiner Führung anvertrauen? Aber wenn du lieber allein bleibst – heute?«
»Nein, ich will gern mitkommen,« sagte sie mit einem guten, sonnigen Blick, der ihn unbeschreiblich freute.
»Na, dann komm.« Und als könne er ihr nicht deutlich genug zeigen, daß er es gut mit ihr meine, zog er ihren Arm durch den seinen und hielt obenein noch ihre Hand fest, die ganz kalt geworden war. So gingen sie einträchtig die nasse Wiese entlang, an der Gjelsau hinauf, in Morgenduft und Sonnenschein.
»Also deiner Mutter Geburtstag ist heute,« begann Björn nach längerm Schweigen. »Ich kann mir denken, wie solch Erinnerungstag deine Trauer ganz besonders wach ruft. – Wie habt ihr diesen Tag sonst gefeiert?«
Es wurde ihr schwer, zu antworten. Teils wollten immer von neuem die Thränen ihre Stimme ersticken; teils war es noch die Scheu vor ihm, die sie nicht so schnell ganz ablegen konnte. Aber er half ihr liebreich ein, wo sie nicht weiter fand, und stellte seine Fragen so, daß ihre Antworten möglichst kurz sein konnten. Mit der Zeit beruhigte sie sich und wurde ganz zutraulich. Er fühlte mehr und mehr, daß es ihr eine große Wohlthat war, von alledem zu reden.
»Sprichst du oft mit Julia von deiner Mutter?« fragte er plötzlich. Sie antwortete nicht gleich. Dann meinte sie ausweichend:
»Julia hat sie so wenig gekannt –«
Als Björn darauf ganz stumm blieb, glaubte sie, etwas Thörichtes oder Unvorsichtiges gesagt zu haben, und fügte schnell hinzu:
»Es ist auch viel besser, wenn wir nicht soviel davon sprechen. Ich bin doch hier, um Julia Gesellschaft zu leisten und zu erheitern –«
»Sie hat es eigentlich nicht nötig, erheitert zu werden,« sagte er ziemlich scharf. »Du bist diejenige, die Trost bedarf!«
»Es ist viel besser, wenn man nicht so viel getröstet wird,« meinte Rottraut freundlich. »Man legt sonst dem eignen Kummer leicht zu große Wichtigkeit bei. Julias Natur bedarf heiterer Einflüsse und Eindrücke; indem ich mich bemühe, sie ihr zu verschaffen, verschaffe ich sie zugleich mir selbst, und komme leichter hinweg über das, was ich nun doch einmal überwinden muß.«
Björn sah mit einem Gemisch von Rührung und Bewunderung auf das junge Ding nieder, dessen Mund so einfache, große, rührende Worte sprach.
»Ich danke dir, daß du so gut bist,« sagte er, und drückte unwillkürlich ihren Arm fester. »Du beurteilst Julia vielleicht ganz richtig. Sie hat den Ernst, das Traurige des Lebens nie recht vertragen können. Vielleicht ist ihre Heiterkeit auch von einigem Wert für dich? –«
»O, gewiß, von großem Wert; sie hilft mir über manche trübe Stunde hinweg.«
»Nun, siehst du – so giebt einer dem andern. Du sollst aber in keiner Weise darunter leiden, mein gutes Kind. Wenn dir einmal weh ums Herz ist – wenn du dich einmal aussprechen, einmal ausweinen möchtest, dann komm zu mir. Mich bedrückt das nicht; mich macht es froh, wenn ich andern ein Leid tragen helfen kann. – Willst du das thun? Wirst du genug Vertrauen zu mir haben?«
Er blieb stehen, ohne ihre Hand loszulassen, und sah sie unverwandt an.
»Ich weiß nicht,« sagte sie leise, nicht wagend aufzusehen.
»Nimm es dir vor! Sage: ›ich will!‹« bat er. »Gieb mir damit die Möglichkeit, wieder gut zu machen, was ich in diesen ersten Wochen gedankenlos versäumt habe!«
»Ich will!« sagte sie fast feierlich, drückte herzlich seine Hand und sah ihn fest an. Sein warmer Ton und Blick hatten ihm ihre Seele erschlossen.
»Das ist brav!« rief er erfreut. »Du sollst sehen, es wird dir nicht schwer werden, und wir sind bald die allerbesten Freunde! – Und nun sieh – hierher wollte ich dich führen. Von dieser kleinen Anhöhe kann man das ganze Gut übersehen, und noch ein gut Stück darüber hinaus. Hier sieh dich einmal um – du weißt ja überhaupt noch kaum, wie es bei uns aussieht.«
Und Rottraut sah sich um, lange, still und aufmerksam, während er ihr alles erklärte; die Gehöfte, die man sah, wie sie hießen und wem sie gehörten; die Wege, wohin sie führten; die Merkmale, an denen sie die Grenzen seines Grundstückes erkennen konnte; was Wiese war und was Weide; auf welchen Ackerstreifen Gerste gesät war, und auf welchen Kartoffeln und Futterrüben gepflanzt werden sollten.
»Und da drüben, hinter jenem Höhenzuge, über den du eben den Kranichflug ziehen siehst, da wohnen meine Eltern.«
Rottraut hörte aufmerksam zu und folgte seinem weisenden Finger mit immer leuchtenderen Augen. Als er geendet hatte, breitete sie plötzlich extatisch die Arme aus, um sie dann im Genick zu verschränken, und rief begeistert!
»Ach – ich finde es so schön hier! So grün – und weit – und frei – – ich begreife nicht –« sie stockte und wurde verlegen.
»Was begreifst du nicht?« Und als er keine Antwort bekam, fuhr er bedrückt fort: »Du begreifst nicht, daß Julia anders denkt; daß es ihr in mehr als sechs Jahren nicht gelungen ist, sich hier einzuleben. Oder vielmehr, daß es mir nicht gelungen ist, ihr mehr Liebe für meine Heimat einzuflößen. Ich weiß das: sie hat mir nie ein Hehl daraus gemacht. – Nun, Rottraut, versuche du es noch einmal. Vielleicht gelingt es dir. Dein Beispiel scheint ja auf sie zu wirken. Sie hat schon das Nähen von dir gelernt, vielleicht lernt sie auch noch von dir dies Stück Erde zu lieben – überhaupt das Zufriedensein,« setzte er leiser hinzu.
»Wenn ich das könnte – wenn ich mich damit dir dankbar erweisen könnte –«
»Laß doch das Wort aus dem Spiel,« bat er. »Wir wollen uns doch nicht auf den Standpunkt stellen, daß wir einander zu allen möglichen Gegenleistungen verpflichten. Dann kommen wir nie zu einem zwanglosen Verhältnis.«
»Aber du kannst mir doch nicht verbieten, euch dankbar zu sein!« Ein süßes Schelmenlächeln lag auf dem verweinten Gesicht. Er war betroffen.
»Nein, Traute, – gewiß nicht,« sagte er zerstreut.
Sie war ganz blaß geworden bei dieser Anrede, die ihm so unwillkürlich über die Lippen gekommen war, und starrte ihn sekundenlang an. Er merkte es nicht.
»Komm, wir wollen nach Hause gehen,« sagte er. »Wir dürfen Julia nicht warten lassen mit dem Frühstück.«
Zerstreut ging sie neben ihm her. Er schien auch das nicht zu merken. Er plauderte in zwangloser, gemütvoller Weise von hunderterlei Dingen, als thäte es ihm gut, einmal so plaudern zu können; und endlich wurde sie von seiner ihr so seelenverwandten Art angesteckt und mitgerissen.
»Wie alt bist du eigentlich?« fragte er mitten dazwischen.
»Zweiundzwanzig Jahre –«
»Zweiundzwanzig –« Er sah sie nachdenklich an. »Du siehst noch so kindlich aus.«
»Aber ich bin nicht kindisch,« sagte sie lachend.
»O, nein – das meinte ich auch nicht. Du bist sogar, glaube ich, ein sehr verständiges, tapferes Mädchen.«
Sie sagte nichts darauf. Nach einer Weile fragte sie befangen:
»Wie kamst du vorhin darauf, mich Traute zu nennen?«
»Nannte ich dich so? Ich weiß es gar nicht.«
»Aber ich weiß es. Es hat mich noch nie jemand so genannt – außer meiner Mutter. Darum erschrak ich fast –«
»Verzeih, mein Herz – ich wußte es nicht. Ich werde dich nicht wieder so nennen, wenn dir das schmerzlich ist.«
»O, nein – so meinte ich es nicht. Ich werde mich sogar sehr, sehr freuen, wenn mich wieder jemand so nennt –« sie hatte Thränen in den Augen. Ihm aber hätte sie keinen bessern Beweis ihres schnell entstandenen Vertrauens zu ihm geben können, und er sagte ihr das.
»Also Traute – von dieser Stunde an sind wir gute Freunde, nicht wahr?« rief er, als sie sich dem Hause näherten.
»Ja,« stimmte sie freudig zu. »Heute früh noch bildete ich mir ein, du fändest mich gräßlich; jetzt weiß ich, daß das ein Irrtum war – und bin von ganzem Herzen froh darüber!« –
Julia saß schon mit Harry beim Frühstück und schien ein wenig verstimmt darüber, daß man sie allein gelassen hatte.
»Wo wart ihr denn? Ich habe dich überall gesucht, Rottraut?« sagte sie nicht sehr freundlich. Rottraut flog ihr um den Hals.
»O – sei nicht böse, Julia! Der Morgen war so verlockend zum Spazierengehen!«
»Und den schönen Morgen haben wir benutzt, um Freundschaft zu schließen!« rief Björn vergnügt. Er sah so frisch und heiter aus, als habe er die ganze kräftige Sonnenluft mit hereingebracht. Julia blickte von einem zum andern und hatte eine Falte auf der Stirn.
»So –« meinte sie gedehnt. Es schien sie nicht zu interessieren, was Björn da sagte, wenigstens nicht zu erfreuen.
Ostern war vorüber. – Der Mai blühte in Gärten und Wiesen; in die Frühlingsatmosphäre mischten sich sommerliche Lüfte. Die Sonne schien manchmal erdrückend warm. Man sah förmlich, wie Laub und Gras wuchs und sich breitete.
Harry lief in den blauen Kitteln umher, die Rottraut ihm genäht hatte, und Björn meinte, es habe ihn noch nie ein Anzug so gut gekleidet.
Die Näherei hatte allmählich ein Ende genommen. Der Sonnenschein lockte ins Freie, aber um draußen mit der Handarbeit zu sitzen, war es noch zu feucht. Es gab ja auch andre Arbeit genug. Rottraut stand täglich viele Stunden im Garten, grub, hackte, goß und pflanzte, daß es eine Lust war. Wo sie das alles gelernt hatte, wußte kein Mensch. Sie war mehrere Tage lang mit dem Tagelöhner, der sonst unter Björns Anweisung die Gartenarbeiten machte, herumgegangen und hatte sich dann einfach ans Werk gemacht. Julia hatte gelacht, und Björn hatte widersprochen und gescholten – sie blieb dabei:
»Ich muß etwas zu thun haben. Ich bin nicht glücklich, wenn ich nicht arbeite. Ich bitte euch, erlaubt es mir!«
Da hatte man sie gewähren lassen. Sie entwickelte viel Geschick und war nebenbei eine wirkliche Arbeitskraft. Und täglich zeigte sich deutlicher, wie gut ihr diese Arbeit im Freien that. Ihre bräunlichen Wangen bekamen eine frischere Farbe; ihre Augen, aus denen noch deutlich die Trauer um die Tote klagte, strahlten in froherem Glanz. Sie wurde überhaupt heiterer und frischer. Sie lachte herzlich, so daß es durch den ganzen Garten schallte, und tollte mit Harry die geraden Wege entlang wie ein übermütiges Kind.
Julia fand an dieser neuen Liebhaberei ihrer Schwester keinen großen Gefallen. Hatte sie sich entschlossen, ihr zu Liebe zu nähen und zu trennen, so gewann sie es doch nicht über sich, ihre zarten, weißen Hände in die schwarze Gartenerde zu stecken. Sie stand nur bei Rottraut herum, wenn diese arbeitete, schüttelte den Kopf und langweilte sich.
»Man hat gar nichts mehr von dir,« klagte sie eines Tages. »Den ganzen Vormittag arbeitest du wie ein Knecht, und nachmittags machst du es ebenso, wenn wir nicht gerade andres vorhaben –«
Rottraut stand auf einem langen, schmalen, saubergeharkten Beet und steckte Bohnen. In der aufgebundenen weißen Schürze trug sie die blanken, weißen Samenkerne; in der einen Hand einen Holzlöffel, mit dem sie die Löcher aushob, in welche die andre Hand je drei und vier Bohnen versenkte. Es ging so schnell, daß man kaum begriff, wie sie es machte. Bei Julias Worten sah sie auf – einen Hut trug sie natürlich nicht, trotz der Sonne; den hätte der Wind ihr zu oft abgeweht – und lachte sie fröhlich an.
»Du solltest mir helfen, das wäre viel hübscher. Du mußt nur nicht bange sein, dir die Finger schmutzig zu machen!«
Julia seufzte. Im Grunde ihres Herzens beneidete sie Rottraut, daß sie Gefallen an all diesen Arbeiten fand, die ihr reizlos und entwürdigend dünkten.
»Du sollst mal sehen,« fuhr Rottraut fröhlich fort und arbeitete unverdrossen weiter, »wie prächtig mir nachher die Früchte meiner Arbeit schmecken werden! Und was übrig bleibt, schicken wir in die Stadt auf den Markt. Prölsen –« das war der Gartenarbeiter – »meint, wenn der Garten nur ordentlich gepflegt und bearbeitet würde, müßte er das Doppelte tragen; er habe nur nie Zeit genug, alles rechtzeitig und gründlich zu besorgen. Nun will ich meine Ehre darein setzen, die Arbeitslücken mit meinen eignen Händen auszufüllen. Ich beabsichtige, eine große Ernte zu machen. Und den Erlös von dem, was ich mit Prölsen verkaufe, den liefere ich dir dann ab; den kannst du auf die Sparkasse tragen für Harry. Weißt du, er möchte so gern ein Pony haben!« Sie hielt einen Augenblick in ihrer Arbeit inne und sah halb schwärmerisch, halb glücklich zu dem kleinen Schlingel hinüber, der an einem Kirschbaum verzweifelte Kletterversuche machte.
»Du hast dir ja ein recht hübsches Ziel gesteckt!« spottete Julia.
»Ich wollte, ich hätte es erst erreicht,« sagte Rottraut und arbeitete weiter.
Jeden Abend kam Björn und ließ sich zeigen, was sie geschafft hatte. Wenn er sie dann lobte und bewunderte, glühte ihr Gesicht vor Freude. Sie entwickelte ihm all ihre Pläne und änderte, was er unpraktisch daran fand. Manchmal tadelte er auch dies oder jenes, was sie aus Mangel an Erfahrung versehen hatte. Dann verbesserte sie den Irrtum sofort oder war untröstlich, wenn das nicht mehr anging.
»Heute hab' ich Zwiebeln gesteckt,« sagte sie einmal, als er sie gegen Abend im Garten aufsuchte und bei dem kleinen Gerätschuppen im hintersten Winkel entdeckte. »Das war eine greuliche Arbeit.«
»Du bist doch ein braves Mädel,« sagte Björn und sah gerührt in ihr frisches, von Eifer und Gesundheit belebtes Gesicht. »Zeig mal deine Hände her!«
Rottraut machte ein erschrockenes Gesicht und versteckte die Hände auf dem Rücken.
»Ich habe sie noch nicht gewaschen,« sagte sie verlegen.
»Um so besser! Ich will sehen, ob du das alles wirklich eigenhändig machst!« Sie wußte nicht recht, ob er im Ernst oder Scherz sprach. Die Möglichkeit, daß er ihren Fleiß anzweifle, entrüstete sie aber.
»Da, sieh her!« rief sie und streckte ihm ein Paar Hände entgegen, deren rosige Haut nur spärlich durch graugetrocknete Erde hindurchschimmerte. Björn nahm diese kleinen schmutzigen Hände, betrachtete sie eine Weile ernst und aufmerksam und drückte dann einen herzhaften Kuß auf jede.
»Was thust du denn? –« rief Rottraut erschreckt und entriß sie ihm.
»Was sie verdienen, diese fleißigen Finger –«. Er lachte.
»O – und sie riechen noch dazu so schlecht –« sagte sie bedauernd, aber dabei sah sie ganz glücklich aus.
Eines Tages konnte sie Björns und Julias Zimmer mit großen Sträußen von Tausendschönchen und roten Primeln schmücken, die sie selbst gepflanzt hatte.
»Erst, wenn man sie selber pflegt, weiß man, was Blumen für eine Freude sein können!« sagte sie vergnügt.
»Es ist nicht zu glauben, daß du ein Stadtkind bist!« meinte Björn mit einem nachdenklichen Blick über sie hin. Dann fiel ihm auf, daß Julia ein bedrücktes Gesicht machte. Er verstand sofort, was in ihr vorging, und sie that ihm leid. Sie konnte ja nicht für das, was sie war –
Er nahm aus einem Glase ein Bündel Primeln, schüttelte die Wassertropfen ab und ging zu Julia hin.
»Gieb mal das Köpfchen her!« Er steckte mit vieler Vorsicht die roten Blumen in ihrem goldblonden Haarschopf fest. Sie lehnte den Kopf fest an seine Brust dabei, und ließ ihn liegen, als Björn längst fertig war.
»So – nun sieh uns mal an –« sagte er und wollte sie aufrichten. Da merkte er, daß sie weinte. »Aber Julia? –«
Diese Thränen konnte er sich nun doch gar nicht erklären. Er streichelte sie und versuchte sie aufzurichten.
»Hab mich lieb, Björn!« flüsterte Julia. »Ich habe Sehnsucht nach dir!«
»Aber mein süßes Kind – ich bin ja doch da –« sagte er ratlos.
»Du mußt mich immer lieb haben – sonst werde ich schlecht. Versprichst du mir das?«
»Aber natürlich – wie kommst du nur darauf!« Sie schlang statt aller Antwort die Arme um ihn und küßte ihn leidenschaftlich. Er begriff ihre Erregung ganz und gar nicht. Aber er war sehr gut und freundlich mit ihr.
Rottraut war zartfühlend hinausgeschlichen.
Nach immer wiederholtem Zureden hatte Julia endlich doch wieder angefangen, spazieren zu gehen. Es kamen auch windstille Tage, wo es besser und leichter ging, und wo sie Gefallen daran fand. Die eigentliche Triebfeder bei diesen Unternehmungen war Rottraut. Seit jenem einsamen Morgenspaziergang hatte sie eine wahre Begeisterung für das Umherstreifen durch Feld und Flur gepackt. Und als sie merkte, daß Julia es nicht gern sah, wenn sie sich stundenlang von Haus entfernte, ließ sie nicht nach mit Bitten und Zureden, bis Julia sich bereit fand, sie zu begleiten.
Eines Nachmittags überraschten sie Björn ziemlich weit draußen an der Grenze, wo er einen großen Torfstich angelegt hatte.
Björn traute seinen Augen kaum, als plötzlich die beiden Frauen, von Harry begleitet, hinter dichtem Werftgestrüpp unmittelbar vor ihm auftauchten.
»Aber das ist ja etwas ganz Neues!« rief er und eilte ihnen vergnügt entgegen. »Wie hast du denn das fertig gebracht, Traute?« setzte er hinzu, indem er Julias Hände ergriff und Rottraut ansah. – Julia, die sich zuletzt wirklich gefreut hatte, ihren Mann zu überraschen, schien ein wenig unzufrieden, daß er jene lobte, statt ihrer. Rottraut sah und fühlte es und meinte schnell:
»Ich habe weiter kein Verdienst dabei, Julia wollte dir eine Freude machen.« – Es war so neu, so unglaubwürdig, daß Julia sich ein Opfer oder auch nur eine Unbequemlichkeit auferlegt haben sollte, um ihm eine Freude zu machen, daß er es nicht recht glauben konnte. Aber er schluckte seine Zweifel hinunter, er wollte nicht die Stimmung verderben.
»Das ist brav, Julia,« lobte er. »Nun komm, und sieh dir an, wie meine neue Torfmaschine arbeitet!« Er zog ihren Arm durch den seinen und ging mit ihr davon. Rottraut sah ihnen eine Weile sehr nachdenklich nach. Dann seufzte sie ein wenig und strich sich mit einer ungeduldigen Bewegung ein paar widerspenstig flatternde Haare unter den großen schwarzen Strohhut zurück.
»Komm, Harry!« rief sie, und begann – selbst wie ein Kind – mit dem Knaben herumzutollen. Im Moor gab es eine Menge merkwürdige Dinge: dicke, fleischige Blumen, die eben mühselig aus den Deckblättern krochen; breite, grünliche und bräunliche Frösche, die schwerfällig zwischen den groben Gräsern umherplumpsten; kleine Schnecken in zerbrechlichem Gehäuse; hier und da einen Schmetterling, der ungeduldig um halb erschlossene, duftlose Blumenknospen flatterte. Dann sahen auch sie der Arbeit zu. Harry zeigte ein großes Interesse für die viereckigen, schwarzen, feuchten Erdstücken, welche die Maschine aushob und die von schnellen Händen zum Trocknen ausgelegt wurden, und Rottraut ließ sich von Björn ganz genau alles erklären und, was noch mehr war, verstand auch alles.
»Das war ein zu hübscher Einfall von euch,« sagte Björn auf dem Heimweg, den sie gemeinsam antraten. »Hoffentlich hast du Geschmack daran gefunden und thust es öfter,« wandte er sich an Julia. Er sah den ganzen Abend sehr zufrieden, beinahe heiter aus, und Rottraut war glücklich, etwas gethan zu haben, was ihn freute.
Hätte sie nicht einen so gewaltigen Respekt vor ihm gehabt, so wäre ihr Gefühl für ihn vielleicht Mitleid gewesen, entspringend aus dem Bedürfnis, irgend etwas zu thun, was die ernste Schwermut seines Wesens ein wenig milderte. So aber dünkte er sie viel zu selbständig, zu erhaben über irgend welche Abhängigkeit von Menschen und Verhältnissen, als daß ihr Thun von Wichtigkeit für ihn sein könne.
Julia zeigte wirklich den redlichsten Willen, ihre Faulheit und Schwerfälligkeit zu überwinden. Sie brachte es darin so weit, daß sie sich jeden Nachmittag zur verabredeten Stunde zum Spazierengehen einfand, und einige Male auch wirklich mitging. Aber ihr Vergnügen an diesen Wanderungen war nur ein erzwungenes. Bald war es ihr zu windig, bald fand sie den Weg zu sandig oder zu schmutzig, oder das Ziel zu weit, oder sie bildete sich ein, zu Hause noch etwas Notwendiges zu thun zu haben. Allmählich wurde es zur stillschweigend angenommenen Gewohnheit, daß Julia mit Harry nach etwa halbstündiger Wanderung wieder umkehrte, während Björn und Rottraut weitergingen. Rottraut hatte sich nur ungern darein gefunden. Im Grunde hielt sie es für ihre Pflicht, Julia heimzubegleiten. Aber ihre Vorliebe für frische Luft, für Bewegung, für diese ganze geheimnisvoll anziehende, ernste, liebliche Natur siegten.
Mit Björn spazieren zu gehen, war auch noch ein ganz besonderer Genuß. Abgesehen von dem Interesse, das sie seiner Wirtschaft und allen darin vorkommenden Arbeiten entgegenbrachte, eröffnete sich ihr auf diesen Gängen noch eine ganz andre Seite des Lebens: nämlich die eigentliche Seite seines Lebens.
Er lehrte sie die Sprache der Natur verstehen, wie er sie verstand. Und indem er sie ihr zeigte und erklärte, verwandelten sich ihr die einfachsten Dinge, die alltäglichsten Erscheinungen in tiefsinnige Wunder; sah sie in ihnen, wie überhaupt in der ganzen Natur, die für manchen nur der Acker ist, auf dem ihm das Brot wächst, eine göttliche Offenbarung.
»Du mußt doch glücklich gewesen sein, Björn,« meinte sie einmal nach solchem Gespräch, »als du hierher zurückkommen konntest!«
Björn schwieg. – Die Sonne ging eben am flachen Horizont unter; eine Gruppe schlanker Birken stach schwärzlich und scharf gegen den flammend goldgelben Himmel ab. Kiebitze strichen in der hellen Luft umher, dann und wann brüllte und wieherte das junge Weidevieh.
»Wie konntest du es nur in der Stadt aushalten,« fuhr sie harmlos und ahnungslos fort, »mit deiner Liebe für die Natur, mit deinem Verständnis für ihr verborgenstes Wesen – –«
»Ich war mit Leib und Seele Soldat,« sagte er einfach.
»Das kann ich mir gar nicht denken! Das Soldatenleben ist so ganz anders. Hast du nicht immer Heimweh gehabt?
»O, nein – gar nicht.« Er lächelte. »Ich habe sogar daran gezweifelt, daß ich mich jemals auf dem Lande wohl fühlen würde.« Sie sah ihn ungläubig an.
»Ich habe mich aber da in mir selbst getäuscht,« fuhr er schnell fort. »Ich wußte nicht, daß ich viel mehr Anlage zum Landmann wie zum Soldaten in mir habe. – Sieh mal,« sprach er weiter, in dem Bestreben, das Gespräch von sich abzulenken, »du bist auch ein Stadtkind, und zwar viel mehr, wie ich jemals war, denn du hast seit deiner frühesten Kindheit in der Stadt gelebt. Und trotzdem hast du dich in das Landleben gefunden wie wenige, die darin aufgewachsen sind. Hast all deine städtischen Gewohnheiten abgeschüttelt, stehst mit den Hühnern auf, arbeitest im Garten mit schmutzigen Fingern, gehst hochgeschürzt spazieren auf Wegen, die eigentlich gar keine sind. Du rettest kleine Hasen und streichelst schmutzige Kälber –«
»O, die sind nicht schmutzig –«
»Kurz und gut,« fuhr er in fröhlichem Eifer fort, »du bist ein Landkind, wie ich es mir nicht anders wünschen kann. Und was das Beste ist: ich glaube, du bist glücklich dabei!«
Er beobachtete sie verstohlen. Er wollte gern wissen, ob er das Rechte glaubte. Rottraut atmete tief; sie machte ein ernstes Gesicht, ihre Augen bekamen einen bewegten Ausdruck und richteten sich verträumt in die golddunstige Ferne.
»Ja,« sagte sie. »Ich bin glücklich; so glücklich, wie ich sein kann, seitdem ich das Liebste verlor –«
»Erzähle mir von deiner Mutter!« rief er. »Du hast es nie mehr gethan seit jenem Morgen, obschon du es mir damals versprachst!«
Björn hatte die Absicht, ihr wohlzuthun, indem er ihr Gelegenheit gab, von ihrem Kummer und von ihrer Toten zu reden. Aber er ahnte nicht entfernt, wie wohl er ihr that. Rottraut hatte oft ein brennendes Heimweh nach der Mutter. Sie lag oft nachts und weinte heiße Thränen um die eine, die ihr Mutter und Freundin, Rat und Fürsorge, Teilnahme und Verständnis, alles in einem gewesen war; denn das alles war nun mit der einen dahin. Selbständig, selbstverantwortlich war sie ins Leben hinaus geworfen worden, und wenn auch gute Menschen sie in ihrer schützenden Mitte freundlich aufgenommen hatten, wenn sie auch äußerlich versorgt und geborgen war – es war doch anders. Nicht das schreckte sie, daß sie bei allen ferneren entscheidenden Schritten ihres Lebens auf ihr eignes Gutdünken und Entschließen angewiesen sein würde – sie besaß Mut, Selbständigkeit und Frische genug, um den Kampf ums Dasein aufzunehmen. Aber daß sie mit ihrem jungen Herzen einsam war, das fiel ihr schwer zu tragen. – Julia geriet trotz ihres redlichen Bemühens, es zu verbergen, allemal in eine unbehagliche Stimmung, wenn Rottraut über ihre Trauer sprach und traurig war; und wenn sie vollends gar weinte, so war Julia außer sich und ratlos. Und da Rottraut selbstlos und taktvoll war und nichts so sehr scheute, als andern lästig zu fallen, hörte sie schnell ganz auf, ihre eignen Angelegenheiten zum Gesprächsgegenstand zu machen. Julia beruhigte sich dabei. Sie glaubte, Rottraut habe sich getröstet, und fragte nicht mehr danach.
Aber nicht solche Aussprache allein war es, was Rottraut schmerzlich vermißte. Der ganze rückhaltlose Gedankenaustausch, den sie mit ihrer Mutter in inniger Herzensgemeinschaft gepflegt hatte, die innere Wechselwirkung zweier Menschen aufeinander, das sympathische Ineinanderströmen von Seele zu Seele war es, was sie viel empfindlicher vermißte, und was sie oft mit dem traurigen Gefühl innerer Verödung quälte. – Julia war gut und liebenswürdig; aber außer über Wirtschaft, Kleider und allerlei Tagesklatsch war mit ihr nicht zu reden. Und Björn war ja nie vorhanden. Tags über war er draußen – abends am Schreibtisch.
Weil Rottraut ein verständiges Mädchen war und niemand mit sentimentalen Gesichtern oder selbstsüchtigen Klagen behelligte, sondern von dem Standpunkt ausging, daß es ihre Aufgabe sei, Björn und Julia die Aufnahme in ihr Haus täglich und stündlich zu danken, daß sie nichts zu verlangen, sondern nur zu vergelten habe, so zweifelte niemand daran, daß sie vollkommen zufrieden sei.
Seit Björn mit ihr spazieren ging, war diesem Mangel abgeholfen. Seine Art flößte ihr ein unbegrenztes Vertrauen ein und that ihr unbeschreiblich wohl. Sie fühlte sich ihm nah und vertraut und scheute sich nicht, ihre geheimsten Gedanken vor ihm auszukramen. Sie kam nie auf den Einfall, daß er ihr Geplauder langweilig oder lächerlich finden könne – er hatte Verständnis und Erklärung für alles. Diese Spaziergänge waren ihre Erholungsstunden, von denen sie sich eine Portion Frische und Freudigkeit heimbrachte, mit welcher sie allen ihrer guten Laune auferlegten Proben frohgemut stand hielt.
Es gab eine ganze Menge solcher Proben für sie. Julia war ein verzogenes Kind, und mit solchen ist nicht immer leicht fertig werden. Das einzige, was vom Weibe in ihr war – die anbetende Leidenschaft für Björn – das ging ja Rottraut nichts an; das verlieh in ihren unschuldsvollen Augen Julia nur einen gewissen rührenden, geheimnisvollen Reiz.
Seit sie nun auch mit Björn von ihrer Mutter sprach, war die letzte Scheu vor ihm von ihr gewichen. Seitdem hängte sie sich an ihn mit einer grenzenlosen Dankbarkeit.
»Ich danke dir, daß du so gut zu mir bist!« sagte sie mit unterdrückter Heftigkeit, als sie sich dem Hofe näherten; schob ihren Arm zutraulich in den seinen und drückte ihr Gesicht an seinen Ärmel. Er stand erschrocken still.
»Aber Traute – aber Kind – ich habe dir ja gar nichts gethan –« Sie richtete sich auf und schien verlegen über ihre impulsive Vertraulichkeit. Doch ihre Augen strahlten, als sie sagte:
»Du bist aber so gut –«
Björn brauchte in der That eine ganze Weile Überlegung, um zu begreifen, was ihm solche heiße Dankbarkeit eingetragen. Und als er es begriff, wurde er sehr ernst. Er sah an diesem Abend mehreremale zu Julia hinüber und unterdrückte einen Seufzer. Und wenn er dann Rottraut anblickte, flog über sein Gesicht ein sehr weicher, gerührter Ausdruck.
Julias Wirtschafterin war krank geworden und mußte außer der Zeit entlassen werden. Julia war unglücklich über die Störung im Haushalt, über die ihr daraus erwachsenden Mühen und Unbequemlichkeiten, über die voraussichtliche Unmöglichkeit, vor Ablauf des Vierteljahrs einen Ersatz zu finden.
»Beunruhige dich doch nicht so sehr deshalb,« sagte Rottraut in ihrer freundlich beschwichtigenden Art. »Ich werde so lange Wirtin spielen!« Julia sah ganz verblüfft auf.
»Du? – Kannst du denn kochen?«
»Mutter hat es mich ein wenig gelehrt, so die ersten Grundlagen. Das einfache Essen, das ihr gewohnt seid, wird mir schon glücken. Das Küchenmädchen ist ja auch ganz anstellig –«
»Aber das ist doch eine schreckliche Beschäftigung – in der Junihitze!«
»O, es ist nicht so schlimm. Du besuchst mich mal bei der Arbeit und überzeugst dich davon!«
»Aber das Einmachen – all das Obst und Gemüse –« jammerte Julia. »Und all das kleine Vieh im Hühnerstall? –«
»Ja – kannst du denn nicht einmachen?« fragte Rottraut ein wenig zaghaft.
»Wie sollte ich? – In der Stadt lernt man das nicht. Hier hatte ich immer eine gute Wirtin und habe mich nie darum gekümmert.«
›Ja – was hast du denn den ganzen Tag gethan?‹ dachte Rottraut und sah Julia verwundert an. Aber sie faßte sich schnell und sagte:
»Hm – das ist dumm; ich kann es auch nicht. – Weißt du was? Wir bitten Litta, daß sie kommt und uns hilft; die thut es sicher gern!« Julia fand den Vorschlag nicht sehr angenehm, sah aber doch ein, daß er gut war.
»Und das kleine Federvieh,« fuhr Rottraut unermüdlich fort, »das will ich schon besorgen. Du hast ja ohnehin den ganzen Tag eine alte Frau zum Hüten auf dem Grashof – die wird mir schon von allem Bescheid sagen. Das Ausführen ist dann eine Kleinigkeit.«
Julia schüttelte verständnislos den Kopf und seufzte. Es war ihr unbegreiflich, wie man an all diesen unangenehmen Arbeiten ein Vergnügen finden, wie man sie gern thun könne. Daß man auch einmal aus Notwendigkeit, aus Pflicht etwas Unangenehmes thun, und es, eben weil es Pflicht ist, gern thun könne, begriff sie noch weniger. Da es ihr aber auf sehr angenehme Weise aus der Verlegenheit half, so nahm sie nach einigem Hin- und Herreden Rottrauts Anerbieten willig an.
Mit einem wahren Feuereifer stürzte sich Rottraut in die Obliegenheiten ihres neuen Amtes. Heimlich – Björn durfte nichts davon wissen, weil er es sonst am Ende nicht gelitten hätte – stand sie täglich eine Stunde früher auf, fütterte das Federvieh und besorgte das Frühstück. Sie stand vormittags mit hochroten Backen am Herde, und was sie dann auf den Tisch brachte, wurde mit jedem Tage besser und appetitlicher. Sie hatte zu allem Talent, auch zum Kochen. Julia sah es mit wehmütigem Neide an, fühlte aber nicht einmal den Wunsch, es ihrerseits zu versuchen.
Björn war anfangs mit dieser Einrichtung durchaus nicht einverstanden gewesen, und es hatte vieler Klagen von Julia und vielen Schmeichelns und Zuredens von Rottraut bedurft, bis er endlich darein willigte. Die ersten Tage war er sichtlich verstimmt und beobachtete Rottrauts Gesicht mit heimlichem Mißtrauen, ob es nicht Spuren von Überanstrengung zeige. Schließlich konnte er ihrem immerfrohen Wesen, mit dem sie ihrer Arbeit nachging, den strahlenden Augen, mit denen sie die Erzeugnisse ihrer Kochkunst auf den Tisch kommen sah, nicht mehr widerstehen.
»Na, Traute – wenn es dir solchen Spaß macht, dann darf ich dir ja wohl den Spaß nicht verderben,« sagte er eines Tages; und nun fing er an zu essen, wie ein Ferienkind und behauptete, es habe ihm noch nie so gut geschmeckt, und sagte das jeden Tag, nur, um Rottraut eine Freude zu machen, denn es schmeckte keineswegs immer köstlich. Er wollte sie auf irgend eine Weise für ihren Fleiß und ihre Emsigkeit belohnen, und es gelang ihm. Sie wurde feuerrot vor Freude, wenn er sie lobte. Aber auf Julias Stirn erschien eine trübe Falte.
»Mein armer Garten kommt zu kurz über meiner Küchenthätigkeit,« meinte Rottraut eines Abends bedauernd, als sie mit Julia die arg verunkrauteten Steige entlang schritt. »Die Bohnen müssen gehäufelt werden, und die Erbsen müssen Strauch haben, und alles Gemüse muß gehackt werden – Prölsen verläßt sich jetzt ganz auf mich und denkt, wenn er begießt, so hat er genug gethan. Ich werde Björn fragen, ob ich morgen ein paar Frauen bekommen kann – du könntest sie doch beaufsichtigen, während ich in der Küche zu thun habe!«
Julia seufzte ein wenig, widersprach aber nicht.
»Mein ganzer, schön erträumter Gelderwerb geht mir verloren,« fuhr Rottraut in fröhlichem Unmut fort. »Das kommt davon, wenn man zu vielerlei vornimmt; oder vielmehr, wenn man seine Zeit so schlecht einteilt, daß nicht jede Pflicht zu ihrem Recht kommt!« Mit gerunzelter Stirn, als habe sie ernste Sorge, ging sie zwischen den Beeten umher, dabei laut überlegend, was morgen alles gemacht werden müsse, und wie die Arbeit am richtigsten einzuteilen sei.
»Die Erdbeeren sind auch ziemlich reif; von morgen ab kann ich welche auf den Tisch bringen. Und heute noch schreibe ich an Litta, daß sie kommen möchte. Vielleicht giebt es bis dahin auch noch grüne Erbsen, soviel, daß wir ein paar Büchsen davon einmachen können und ich es dabei lerne –«
Während sie so sprach und sann und dachte, kam Björn des Weges daher. Sie bemerkte ihn erst, als er schon dicht herangekommen war, und rief ihm mitten aus ihren Gedanken heraus zu:
»Ach, Björn, du kommst wie gerufen! Kannst du mir morgen ein paar Arbeitskräfte in den Garten geben? Sieh nur, wie das hier aussieht – ich schaffe es nicht mehr allein, ich habe jetzt zu wenig Zeit!«
Björn sah die verwilderten Beete, sah ihr bekümmertes Gesicht und lächelte.
»Selbstverständlich, Traute. Ich werde heute abend noch anordnen, daß ein paar Mädchen oder Frauen von der Heuarbeit zurückbleiben.«
»Von der Heuarbeit – o, das ist aber sicher sehr unbequem?«
»Du kannst Leute haben, wann und wieviel du willst,« sagte er kurz und bestimmt.
»Wenn ich einmal Leute in den Garten haben wollte, warst du nicht so bereitwillig,« meinte plötzlich Julia und machte ein gekränktes Gesicht. Björn sah sie überrascht an.
»Das war auch etwas ganz andres –«
»So – warum denn? Muß man gegen Fremde immer gefälliger sein, wie gegen die eigne Frau?«
»Nein, durchaus nicht. Aber du hast dich nie eingehend und regelmäßig um den Garten gekümmert. Du hast ein oder zwei Sommer hindurch Leute gehabt so oft du wolltest und so schwer sie mir manchmal zu entbehren waren. Hätte ich irgend einen Erfolg gesehen, so hättest du die nötige Hilfe auch weiter bekommen. Aber du wirst zugeben, daß der Erfolg fehlte. Und da meinte ich natürlich: Das Wenige, was bei all dem Aufwand an Arbeit und Kosten gewachsen ist, kann auch Prölsen allein besorgen. Und er hat es ja auch besorgt.«
»Und nun – glaubst du denn, daß Rottraut mehr Erfolge erzielen wird?« Björns Blick streifte die langen Beete, auf denen es trotz Unkraut von kräftig entwickelten Pflanzen und Stauden strotzte, mit wohlwollendem Blick:
»Ja, nach dem, was ich sehe, glaube ich das. – Ich mache dir ja keinen Vorwurf daraus, liebes Herz,« fuhr er gutmütig fort, und schlang seinen Arm um Julias Schultern. »Gartenbau ist eben Talentsache, und was kann man dafür, ob man ein Talent hat oder nicht. Rottraut hat auch mehr Zeit wie du. Du hast mich und den Jungen und die Wirtschaft – alle erheben Anspruch an dich; da konntest du dich nicht einer Sache so ausschließlich widmen, wie es nötig war, um etwas darin zu leisten.«
Julia schmiegte sich an ihn an und lauschte gierig auf jedes seiner schonenden Worte. Rottraut hatte sich abgewandt. Sie hatte manchmal so ein sonderbares Gefühl im Herzen, wenn der Mann so nachsichtig, so großmütig, so unendlich zart und liebreich mit seiner Frau umging, wie mit einem Kinde. Ein sonderbares Gefühl, das sie nicht verstand, und das ein Gemisch von Bewunderung und Erbarmen war.
»Und wenn Rottraut keine nennenswerten Erfolge erzielt,« fuhr Björn beinahe neckisch fort und sah fröhlich zu dem schmächtigen Mädchen hinüber, »so bekommt sie nächstes Jahr auch keine Leute mehr! Also – nimm dich zusammen, Traute!«
Sie konnte ihn nicht im Stich lassen; sie mußte ihm zu Hilfe kommen. Und so rief sie vergnügt:
»Nächstes Jahr bekommt Harry von den Früchten meiner Arbeit einen Pony, und damit wird er mir Gartenfuhren leisten, damit ich noch mehr verdienen kann! Hurra!« Und sie ergriff den Jungen, der hinter seinem Vater hergelaufen war, bei der Hand und lief mit ihm davon.
Rottraut hatte ein reines Herz und ein fröhliches Herz. Und mit diesem Herzen war sie des Hauses Sonnenschein und ganz besonders Björns Sonnenschein. Sie war seinem Gemüt eine Erquickung mit ihrer tauigen Frische und seiner Seele eine Wohlthat mit ihrer impulsiven Wärme, mit ihrer ernsten Tiefe. Er sonnte sich förmlich in dem Zauber ihres Wesens, und das Licht, das er im Umgang mit ihr einsog, strahlte zurück aus seinen Augen, die noch nie so heiter gelacht hatten, als jetzt.
Am andern Morgen traten sechs stramme Weiber zur Gartenarbeit an. Rottraut verteilte sie an den verschiedenen Beeten bei verschiedenen Beschäftigungen. Als sie zum ersten Frühstück hereinkam, sagte sie zu Julia:
»So, wenn du nun so gut sein willst, ab und zu nachzusehen, ob sie fleißig sind und ihre Sache gut machen –«
»Laß nur,« Julia blickte nicht von ihrer Tasse auf; »bleibe du nur im Garten. Ich habe mir vorgenommen, heute einmal zu kochen.« Rottraut sah erstaunt, beinahe erschrocken aus.
»Aber das kannst du ja gar nicht!«
»Das werden wir sehen.«
»Und es ist dir doch auch so unangenehm –« Es wollte Rottraut durchaus nicht in den Sinn, was Julia da vorhatte.
»Das kann dir ja gleichgültig sein,« entgegnete Julia eigensinnig. »Ich habe mir das nun einmal so ausgedacht.«
Rottraut schwieg und ließ ihr den Willen.
Zu Mittag kam ein Gericht auf den Tisch, von dem man nicht recht erkannte, was es sein sollte.
»Was stellt denn das vor?« fragte Björn, der sonst nichts weniger als ein Feinschmecker war.
»Das hat Mutter gekocht,« rief Harry; er hatte den ganzen Vormittag sehr interessiert bei Julias Unternehmungen zugesehen. Björn sah auf – Julia war erhitzt und nicht in bester Laune; Rottraut sah verlegen auf ihren Teller nieder. Björn begriff.
»Ach so,« sagte er mit dem Ausdruck rührendster Güte; »darum schmeckt es auch so schön –«
Er aß tapfer und anscheinend mit dem größten Behagen.
»Aber wie kommst du denn plötzlich darauf, zu kochen?« fragte er belustigt. Julia schluckte ein paarmal an Thränen.
»Rottraut hatte ja im Garten zu thun – und es machte mir Spaß –«
»Es wäre gar nicht nötig gewesen,« mischte sich Rottraut darein. »Aber Julia wollte mir durchaus helfen – und nun sieh nur, wie nett sie es gleich das erste Mal gemacht hat!«
Sie nickte ihr vergnügt zu. Aber Julia bemühte sich vergebens, über das unverdiente Lob erfreut zu thun. Schweigend ließ sie es geschehen, daß Björn seinen ganzen Teller leerte und ihn sich dann noch zum zweitenmale füllte.
Nach Tisch pflegte Björn ein Viertelstündchen zu ruhen. Auch Julia und Rottraut saßen oder lagen dann wohl eine Weile in traulichem Nichtsthun beisammen.
Heute warf sich Julia mit einer Gebärde gänzlicher Mutlosigkeit in einen tiefen Lehnsessel – die Einrichtung ihres Zimmers war noch dieselbe, die sie als Eberhard Altefahrs Frau besessen – und sagte, die Arme im Genick verschränkend und zur Decke starrend:
»Morgen koche du nur wieder, Rottraut. Ich bin ja doch nichts nütze –« und dann brach sie in Thränen aus.
Das junge Mädchen war furchtbar erschrocken; blickte Julia sekundenlang fassungslos an, kniete dann neben ihr nieder und überschüttete sie mit Zärtlichkeiten.
»Aber Julia – liebe, einzige Julia, wie kannst du dir das nur so zu Herzen nehmen, daß dir mal was mißglückt ist – es war doch dein erster Versuch –« so und weiter bemühte sie sich aus treuem, warmem Herzen die Thränen zu stillen, die sie besser zu verstehen und zu würdigen wußte, als Julia es ahnte.
»Du kannst alles – und ich kann nichts –« schluchzte Julia.
»Du kannst nichts, meinst du, weil du gerade zufällig nicht kochen kannst –« rief Rottraut unter Küssen und Streicheln; »du kannst so vieles andre! Du kannst, zum Beispiel, lieben –« es entfuhr ihr so, und sie wurde dunkelrot dabei.
»Und ich glaube,« fuhr sie eifrig fort, »wichtiger als alles andre an seiner Frau ist dem Manne, ob sie ihn liebt oder nicht!«
Julia starrte trübsinnig vor sich hin.
»In den ersten Monaten vielleicht – nachher nicht mehr. Nachher treten andre Dinge in den Vordergrund!«
Zum erstenmal in ihrem Leben litt Julia entsetzlich unter ihrer eignen Untüchtigkeit.
Am andern Tage kam Litta zum Erdbeereneinkochen. Rottraut ging eifrig bei ihr in die Lehre, und Julia, die ihre gute Laune wiedergefunden hatte, that so, als helfe auch sie.
Rottraut hatte sich in Björns Familie schnell die ungeteilteste Zuneigung gewonnen. Nicht durch das, was Björn von ihr erzählte – Björn erzählte nie etwas von ihr –, sondern lediglich durch das, was sie war; durch ihre Natürlichkeit und Warmherzigkeit, durch ihre Tüchtigkeit und Brauchbarkeit, wo immer das Leben sie hinstellte.
›Wenn doch Rottraut seine Frau wäre!‹ so dachten sie alle; so sprachen sie wohl auch zueinander in vertraulichen Augenblicken. Natürlich waren sie viel zu taktvoll und zartfühlend, um es Julia oder, schlimmer noch, Björn empfinden zu lassen. Aber Julia fühlte es trotzdem. Sie argwöhnte diese Empfindung, weil sie selbst sie allzu natürlich fand. Es füllte sie mit gekränktem Stolz, mit schmerzendem Trotz. Aber sie ließ sich nichts merken und verzehrte sich in schweigendem Herzweh.
»Das nächste Mal kannst du es allein – du bist ja eine fabelhaft geschickte kleine Person!« sagte Litta, als sie die schön gefüllten Gläser zuband. Sie nannte sich längst »du« mit Rottraut und hatte überhaupt ein sehr vertrautes Verhältnis mit ihr. – Rottraut errötete vor Freude über das Lob und nahm sich sofort vor, es auch wirklich das nächste Mal allein zu machen.
Litta war lange nicht dagewesen und hatte beschlossen, über Nacht zu bleiben. Es gab viel Neues zu sehen, und Litta interessierte sich für das Geringste in ihres Bruders Wirtschaft. Björn schlug einen großen Spaziergang vor. Julia erklärte von vornherein, ihn nicht mitmachen zu können; sie wußte, daß ein Marsch mit diesen beiden kernigen Menschen ihre Kräfte überstieg. Rottraut beschloß, bei Julia zu bleiben, soviel diese auch dagegen redete. In Wirklichkeit war sie ein wenig abgearbeitet und hatte außerdem noch im Garten zu thun; mochte aber von beidem nicht reden.
So gingen die Geschwister allein. – Es war eine Lust, Litta gegen den immer wehenden Wind ausschreiten zu sehen. Björn sah ihren ruhigen, kraftvollen Bewegungen mit Wohlgefallen zu.
»Du kannst doch noch besser marschieren, wie Rottraut!«
»Die ist ja auch wie ein Grashalm,« sagte Litta fast mitleidig. »Ihr müßt sie besser pflegen.«
»Ich glaube nicht, daß es daran liegt. Ich habe nie den Eindruck gehabt, als ob sie schwächlich sei. Im Gegenteil, sie ist ungemein leistungsfähig. Sie steckt voller Blut und hat Muskeln von Draht. Sie ist nur so schmal und geschmeidig – wie eine junge Pantherkatze. Sie wird nie einen stämmigen Eindruck machen.«
»Wie kommt sie denn mit Julia aus?«
»Sehr gut; sie lieben sich, wie es scheint, aufrichtig. Zweifeltest du daran?«
»Das nicht gerade – aber du weißt ja, wie das oft ist mit Stiefschwestern. Und sie sind doch sehr verschieden –«
Björn hatte nicht Lust, auf diese Verschiedenheit näher einzugehen, und fing von etwas anderm an.
Bei den Koppeln hielten sie sich länger auf. Von allem Landwirtschaftlichen liebte Litta das Vieh ganz besonders.
»Du solltest nur sehen, wenn Rottraut mit Harry die Füllen herumjagt,« sagte Björn so beiher und sah ganz vergnügt aus bei der bloßen Vorstellung. »Man weiß nicht, wer besser springt von den jungen Geschöpfen, die vierbeinigen oder die zweibeinigen!«
»Interessiert sich denn Rottraut für das alles?«
»O, sehr. Sie versteht sogar schon eine ganze Menge davon.«
»Nun ja, das habe ich ja eigentlich selbst längst gemerkt –« meinte Litta nachdenklich.
Dann, auf dem kleinen Hügel an der Gjelsau, wo ein paar einsame Birken ein windschiefes Dasein fristeten, stand er still.
»Hier halte ich immer gern eine kurze Umschau. Ich mag den Platz gern. Er ist auch schon Rottrauts Lieblingsplatz geworden.«
»Geht sie viel spazieren?« fragte Litta.
»Ja, viel und gern. Wir gehen oft zusammen. Julia ist ja leider nicht dazu zu bewegen.«
Heimkehrend, kamen sie an dem Grashof hinter dem Hühnerstall vorbei; ein altes krummes Weiblein trieb eben mit vieler Mühe ein stattlich Häuflein allerhand flatternden, hüpfenden und piependen Getiers dem hintern Eingang zu. Litta interessierte sich sofort lebhaft dafür und wollte allerlei darüber wissen.
»Da mußt du Rottraut fragen,« sagte Björn. »Seit Julia so plötzlich ihre Wirtin entlassen mußte, hat sie die Aufsicht über den Hühnerstall.« Litta schwieg. Dann wünschte sie, noch den Gemüsegarten zu sehen.
»Wir sind nun gerade mal unterwegs, und wer weiß, was morgen für Wetter ist.« Björn war ihr gern zu Willen.
Es war schon Feierabend, der Garten lag still und verlassen. Nach der eben vollendeten Säuberung sahen die Beete und Pflanzen doppelt stattlich und lustig aus. Manche waren frisch gegossen; das junge Grün hing schwer darnieder unter der Last der Tropfen, die noch an Blättern und Stengeln hafteten.
»Was ist denn hier für eine Veränderung vorgegangen?« rief Litta überrascht. »Sonst war euer Garten doch immer ein Stückchen Wildnis –«
»Ja – das ist Rottrauts Verdienst,« sagte Björn beinahe verlegen. »Sie wollte durchaus ihre Künste auch auf diesem Gebiet erproben und hat die Absicht, große Einnahmen zu erzielen.«
»Wo nimmt sie nur die Zeit dazu her?« fragte Litta und sah sich bewundernd um.
»Ich weiß es selber nicht; sie ist emsig wie eine Biene von früh bis spät, und je mehr sie zu thun hat, um so fröhlicher ist sie.«
Harry hatte durchs Fenster den Vater und Tante Litta entdeckt und kam herausgestürzt aus dem Hause, ihnen nachzueilen. Jubelnd schoß er den Weg entlang in Littas ihm entgegengebreitete Arme.
»Er sieht prächtig aus!« sagte sie, ihn zärtlich betrachtend. Dann, mit einem Kennerblick seinen Anzug musternd: »Und wer hat ihm denn den allerliebsten Kittel genäht?«
»Tante Rottraut!« rief das Kind mit stolzem Augenleuchten.
Björns Gesicht trug wieder den schwermütig lächelnden, unendlich guten Ausdruck, der Rottraut manchmal zu Thränen rührte. Es war nicht recht zu erkennen, ob er das Kind ansah oder den Kittel.
»Rottraut scheint ja hier eine sehr wichtige Persönlichkeit geworden zu sein.« Litta lachte dabei; eigentlich aber war sie sehr ernst gestimmt.
»Ja,« sagte Björn ruhig. »Sie ist wie ein Sonnenschein und ein Vogellied. Es ist ein rechtes Glück für Julia.«
Spät abends, als schon jeder sein Schlafzimmer aufgesucht hatte, schlich Litta, bereits halb ausgezogen, über den Gang und klopfte leise bei Rottraut an.
»Mach mir noch einmal auf!« bat sie hinter der Thüre. Rottraut öffnete sofort und sah den späten Gast ein wenig erstaunt an. Auch sie hatte ihr schwarzes Kleidchen bereits ausgezogen und einen weißen Frisiermantel um die schmalen Schultern gehängt. Ihr dunkles Köpfchen mit dem bräunlichen, warm gefärbten Gesicht hob sich überraschend scharf und wirksam von dem hellen Weiß ab.
Litta betrachtete sie von oben bis unten, während Rottraut die Thür hinter ihr zumachte und ihr einen Stuhl herbeitrug.
»Du müßtest immer helle Farben tragen,« sagte sie. »Du siehst ja ganz fabelhaft hübsch darin aus!« Rottraut lachte kurz und herzlich.
»Kommst du nur, um mir das zu sagen?«
»Nein, bewahre – ich war ja auf diesen Eindruck gar nicht vorbereitet. – Ich wollte noch ein wenig mit dir plaudern. Wir haben uns den ganzen Tag nicht einen Augenblick allein gehabt –«
Sie setzte sich behaglich auf dem Stuhl zurecht, den Rottraut für sie hingeschoben hatte. Das große, blonde, breit und kräftig gebaute Mädchen bot einen schroffen Gegensatz zu dem feingliedrigen, dunkelfarbigen Geschöpf, das einige Schritt von ihr auf der Kante seines schmalen weißen Bettchens hockte. Sie waren fast gleich alt, und doch sah Rottraut aus wie ein Kind gegen die reifer entwickelte Gefährtin.
»Eigentlich –« begann Litta, ohne die klaren, blauen Augen von Rottraut zu wenden, »bin ich nur gekommen, um dir zu sagen, daß ich dich bewundere. Ich wollte dir das nicht in Julias Gegenwart sagen, denn ich dachte, es könnte sie traurig machen –«
Rottraut sah erstaunt und unschuldsvoll zu der Sprecherin auf.
»Was meinst du denn?«
»Nun – du machst doch jetzt hier alles. Was früher ein andrer oder niemand that, das thust du. Alle Unordnung bringst du in Ordnung. In jede Lücke springst du helfend ein. Es ist in allem ein ganz andrer Zug –«
»Aber Litta, du übertreibst ja furchtbar!« rief Rottraut, die dunkelrot geworden war. »Ich mache mir etwas zu thun – nun ja, das ist wahr, aber das ist doch nur natürlich. Was sollte ich wohl den ganzen Tag machen? Meine Mutter hat mich immer zum Arbeiten angehalten. Und da ist es auch weiter ganz natürlich, daß ich mir solche Arbeiten vornehme, womit ich Julia ein wenig nützen kann. Denn ich bin ihr doch auch sehr, sehr viel Dank schuldig!«
»Dafür, daß sie dich aufgenommen hat? Nun – ich finde, sie kann sich freuen, daß sie dich unter ihrem Dache hat. Glaube mir, es weht jetzt hier eine ganz andre Luft!«
»Ach Litta –« es klang bedrückt, und Rottraut legte die Stirn in die Hand; »ich mit meinen Trauerkleidern und mit meinem – glaube mir's! – oft recht traurigen Herzen!«
Da saß Litta neben ihr auf der Bettkante und drückte sie zärtlich an sich.
»Du armer, verwaister Vogel! Wer wollte dir's verdenken! Aber gerade um so mehr bist du zu bewundern und zu loben, daß du so viel schaffst und thust, mit dem betrübten Herzen und den – sei nicht böse – erbärmlichen kleinen Gliedern! Und wenn du merkst, wieviel Gutes du hier thust, so wirst du allein dadurch mit der Zeit schon Glück und Befriedigung finden!«
Rottraut hob das Gesicht aus den Händen. Ihre Augen leuchteten noch wärmer durch die Thränen, die sich rasch darin gesammelt hatten.
»Ich bin so gern hier, Litta. So sehr, sehr gern!«
Litta sah sie nachdenklich an. »Hast du Julia lieb?«
»Ja. Julia ist gut und freundlich; und ich glaube, es ist ihr gut, daß sie nicht mehr so viel allein ist.«
»Sie brauchte nie allein zu sein,« sagte Litta ein wenig streng. »Wenn eine verheiratete Frau an Alleinsein leidet, so ist das ihre Schuld.«
»Wieso?«
»Weil sie ihren Mann nicht genug zu fesseln verstand.«
»Das ist doch hart geurteilt, Litta. – Julia ist sehr ungern allein; sie hätte es gewiß verhindert, wenn sie es vermocht hätte. Aber sie kann oft körperlich nicht so, wie sie wohl möchte.«
»Wie meinst du das?«
»Nun – Björn ist ein Landkind und eine kernige, zähe Natur. Er ist bei Wind und Wetter den ganzen Tag im Freien; er muß es auch, denn es ist sein Beruf. Julia kann es aber einfach nicht. Sie ist ein verzärteltes Stadtkind –«
»Ach was,« stritt Litta mitleidslos; »das ist alles Gewohnheit. Wenn sie nur von Anfang an gewollt hätte! – Du hast es doch auch gelernt!«
»Ich habe eben eine andre Natur, wie Julia. Das ist Anlage; dafür kann man nichts.« Litta schwieg ein Weilchen.
»Gut –« meinte sie dann. »Nehmen wir an, du habest recht. Es ist das Los mancher Frau, täglich stundenlang sich selbst überlassen zu sein. Es liegt aber ganz an ihr, wie sie diese Zeit ausnützt. Jede Frau, namentlich auf dem Lande, findet genug Gelegenheit zu nützlicher und zeitkürzender Beschäftigung; es ist sogar ihre Pflicht, zu arbeiten und zu schaffen. Julia aber hat das nie gethan. Natürlich haben sich ihr die Stunden des Alleinseins zu endloser Öde gedehnt, in der sie Grillen fing und sich unglücklich fühlte. Das letztere kann ich ihr nicht einmal verdenken. Ich wäre verrückt geworden bei einem Leben, wie sie es hier all diese Jahre geführt hat.«
»Du mußt sie nicht so hart beurteilen,« sagte Rottraut begütigend. »Bedenke, was ihr früheres Leben war. Sie hat es nie gelernt, zu arbeiten.«
»So hätte sie es hier lernen können. Sie war noch nicht zu alt dazu. Damit, daß sie ein Stadtkind ist, kannst du sie nicht entschuldigen. Du bist auch ein Stadtkind –«
»Du mußt mich nicht immer mit ihr vergleichen. Ich bin ganz anders erzogen, wie sie.«
»So hätte sie sich sollen durch das Leben weiter erziehen lassen. Und du kannst mir glauben, wenn sie die rechte Liebe zu Björn hätte, so würde sie manches gelernt haben. Denn wir Frauen haben die Gabe, aus Liebe das zu werden, als was die Männer uns haben möchten. Aber es muß die rechte Liebe sein. Und die hat Julia nicht.«
»Aber Litta – wie kannst du das behaupten?« rief Rottraut ganz entrüstet. »Julia liebt Björn leidenschaftlich; sie betet ihn an, sie vergöttert ihn geradezu! Ich weiß es, denn ich sehe und erlebe es täglich!« Ihre Augen flammten, sie war ganz erregt.
»Das gebe ich alles zu,« sagte Litta mit überlegener Ruhe. »Trotzdem ist ihre Liebe nicht die rechte. Denn es ist eine selbstsüchtige und kindische Liebe; eine Leidenschaft, die nur nach Genuß und Befriedigung strebt, die nur das eigne Glück sucht, und nicht das des andern.« Sie schwieg. Rottraut senkte den Kopf und schien angestrengt nachzudenken. Endlich seufzte sie kurz auf.
»Du mußt nicht so von Julia sprechen. Julia ist wirklich gut und kann sehr reizend sein. Und oft, weißt du, thut sie mir leid. Ich glaube, sie wäre ganz anders, wenn sie könnte. Aber sie kann eben nicht anders sein, wie sie ist.«
»Damit kann man freilich vieles entschuldigen –«
»Man muß auch so viel wie möglich entschuldigen.«
Litta stand auf und begann im Zimmer hin und her zu gehen. Sie schien noch etwas auf dem Herzen zu haben. Rottraut blieb ruhig in ihrer kauernden Stellung sitzen.
Plötzlich machte Litta dicht vor ihr Halt.
»Rottraut,« fragte sie mit gedämpfter Stimme, »glaubst du, daß Björn glücklich ist?«
Langsam sah die Angeredete auf. Ihr Auge war durchsichtig wie ein helles Fenster.
»Natürlich ist er glücklich,« sagte sie, beinahe lachend über die seltsame Frage. Aber Litta lachte nicht mit.
»Warum: natürlich!?«
»Weil ein Mann, wie Björn, gar nicht anders als glücklich sein kann.«
»Wie meinst du das: ein Mann wie Björn?«
»Ein Mann,« erklärte Rottraut, »der seine Arbeit mit soviel Liebe thut und mit soviel Erfolg, der gegen alle Menschen gut und freundlich ist, der die Natur so liebt, der einen so selbstständigen, festen Charakter hat und ein so zufriedenes Gemüt.«
»Nun ja – das alles sind sehr schöne Gaben und Eigenschaften; sie helfen das Leben ertragen und verschönern. Aber glücklich ist man dadurch allein noch nicht!«
»Ja – was meinst du denn?«
»Ich meine: ob Björn Julia liebt?«
Rottraut antwortete darauf nicht gleich. Es war, als überlege sie, warum Litta diese Frage stelle. Und darum klang ihre Antwort auch weniger ungezwungen, als vorhin:
»Aber natürlich liebt er sie!«
Litta war entschieden nicht befriedigt von dieser Antwort. Sie warf Rottraut einen mißtrauenden Blick zu und ging wieder einigemale auf und ab. Dann setzte sie sich abermals neben Rottraut nieder, zog sie vertraulich an sich und sprach warm und ehrlich zu ihr.
»Du mußt nicht denken, ich wolle dich aushorchen über das Haus, in dem du verwandtschaftliche Aufnahme gefunden hast. Das wäre ja abscheulich von mir. Aber siehst du, wir machen uns manchmal Sorge um Björn. Er war früher ganz anders. Er ist so verschlossen geworden; wir wissen gar nicht mehr, wie es in ihm aussieht. Und gerade das macht uns besorgt. Denn wenn es heiter und glücklich in seinem Herzen aussähe, so würde er uns doch nicht geflissentlich jeden Einblick verwehren! – Wenn ich nicht überzeugt wäre,« fuhr Litta fort, als Rottraut schwieg, »daß du die beiden lieb hast, wenn du nicht so ein verständiges Mädchen wärst, dem man vertrauen kann, so würde ich gewiß nicht mit dir darüber sprechen. So aber dachte ich, könnten wir getrost einmal davon reden, als von zwei Menschen, deren Glück uns am Herzen liegt!«
Rottraut schwieg noch immer, und Litta fing an, sich zu beunruhigen. War sie vorschnell gewesen mit ihrem Vertrauen?
»Wenn du mich indiskret findest, so sage es nur,« meinte sie ein wenig gekränkt. Rottraut sah langsam zu ihr auf.
»Ich finde dich gar nicht indiskret. Ich denke nur darüber nach. Und ich kann nur wiederholen: natürlich liebt er sie.«
»Warum glaubst du das?«
»Weil er die Güte und Freundlichkeit selbst ist gegen sie. Weil er immer und bei allem zuerst denkt, ob es Julia freuen wird oder nicht. Weil er alles thut, was er ihr an den Augen absehen kann. Weil sein ganzes Wesen Rücksichtnahme und Aufmerksamkeit gegen sie ist.«
»Hm –« meinte Litta nachdenklich; »das haben wir ja auch eigentlich immer gefunden – und uns doch nicht dabei beruhigt. Glaubst du nicht, daß er das alles doch vielleicht nur aus – Pflichtgefühl thut? Du weißt, unter welchen Umständen er sie geheiratet hat, und du kennst seinen Charakter –«
Sie beobachtete Rottraut beinahe ängstlich. Die sah aus, als ob sie angestrengt nachdenke und als ob dies Nachdenken ihr weh thue.
»So, wie Björn zu Julia ist,« sagte sie dann langsam und bestimmt, »so kann man nicht aus Pflichtgefühl sein. So kann man nur sein aus großer, treuer Liebe.«
Es war nicht zu erkennen, ob Litta überzeugt war. Und Rottraut fühlte plötzlich den heftigen Wunsch, Litta zu überzeugen. Als sei sie es Björn schuldig, jeden Zweifel an seinem Glück aus dem Herzen seiner Angehörigen zu verscheuchen. Und so fuhr sie eifrig fort:
»Ich habe mich ja oft selbst gewundert, wie die beiden zueinander passen möchten. Aber wir wollen uns doch darüber freuen und nicht daran rühren. Ich glaube, es wäre Julias Tod, wenn sie dächte, es könnte anders sein.«
»Bewahre!« rief Litta ganz erschrocken. »Du wirst mir doch nicht zutrauen, zu ihr etwas von diesen Gedanken zu äußern!«
Sie sprachen noch dies und das; aber sie waren beide zerstreut. Litta war durch den Inhalt dieses Gesprächs eher erregt als beruhigt. Als sie einander Gutenacht sagten, hielt sie Rottraut innig umschlungen und sagte leise:
»Du mußt Björn immer recht lieb haben, hörst du?«
»Ich? Warum denn ich?« Rottraut riß die Augen weit auf und wußte nicht, sollte sie das ernst oder scherzhaft nehmen.
»Ich glaube,« sagte Litta bewegt, »du bist so eine Art Sonnenschein für ihn. Es wird ihm wohl thun, wenn du recht gut zu ihm bist!«
Sie gab ihr noch schnell einen Kuß auf jede Backe.
»Gutenacht, Traute!« Dann lief sie hinaus.
Rottraut blieb mitten im Zimmer stehen und sah ihr verblüfft nach. Sie wußte nicht recht, warum es ihr unlieb war, daß Litta sie »Traute« nannte. Bis jetzt hatte das nur Björn gethan. War denn das ein besonderes Vorrecht, das er mit keinem teilen sollte?
Die ganze Nacht mußte sie darüber nachdenken, ob Björn glücklich sei; ob er Julia liebe; ob sie zu ihm passe – oder nicht; Gedanken, die sie noch niemals gehabt hatte.
Am andern Morgen war sie befangen und scheu ihm gegenüber, als habe sie ein schlechtes Gewissen. Namentlich in Littas Gegenwart wagte sie kaum die Augen aufzuschlagen. Und gerade heute blieb Björn im Hause, weil er von seiner Schwester soviel wie möglich haben wollte.
Es wollte Rottraut scheinen, als ob sich in Littas Zärtlichkeit für den Bruder etwas wie Mitleid mische, und das empörte sie. Niemand sollte Björn bemitleiden. Zu beneiden war er, und nicht zu bedauern. Es giebt Menschen, für die kann man im allergrößten Unglück nur Bewunderung und Hochachtung, aber nicht Mitleid haben. Zu denen gehörte Björn. Und Björn war nicht einmal unglücklich –
Der Schluß des Wirtschaftsjahres brachte Björn viel schriftliche Arbeiten. Stundenlang saß er abends am Schreibtisch, rechnete und ordnete in seinen Büchern bis in die Nacht hinein.
Eines Vormittags hatte er mit Julia eine sehr lange und sehr ernste Unterredung. Es war auch in diesem Jahre wieder im Haushalt zu viel verbraucht worden, und er machte ihr in der liebevollsten Weise sehr ernste Vorstellungen darüber.
»Wir müssen uns durchaus nach unsrer Decke strecken, und unsre Decke ist nicht sehr lang. Du mußt mit dem reichen, was ich dir nach sorgfältiger Berechnung und mit Rücksicht auf unsre Gesamteinnahmen zubilligen kann. Unser Haushalt ist einfach; wir leben still, ich mache gewiß keine großen Ansprüche. Ich begreife nicht, wo all die Naturalien bleiben, ganz abgesehen von deinem ziemlich hohen Wirtschaftsgeld!«
Da Julia wußte, daß seine Unzufriedenheit begründet war, und weder die Fähigkeit, noch den ernsten Willen hatte, der Ursache abzuhelfen, brach sie in Thränen aus und versuchte, durch zum Teil recht kindische Klagen sein Herz zu rühren. Und es war leider eine von Björns wenigen Schwächen, daß er Julia nicht weinen sehen konnte. Er kam sich fast wie ein Barbar vor, solchen Thränen gegenüber, die er veranlaßt hatte. Sie war ihm eben – ohne daß er sich vielleicht ganz klar darüber war – nur ein Kind, von dem man nichts verlangen, dem man nichts aufbürden durfte, weil es nichts leisten und nichts tragen konnte; gegen das man nur unbegrenzte Nachsicht üben mußte.
»Sei doch nicht gleich so unglücklich darüber, liebes Herz,« tröstete er. »Ich weiß ja, daß du es besser machen würdest, wenn du es verständest. Aber weil du es doch eben allein nicht kannst, müssen wir es einmal gemeinsam ernstlich besprechen. Denn es geht wirklich nicht weiter so. Wir haben gute Jahre gehabt, ich habe mit Glück gearbeitet, und wir haben trotzdem keinen Pfennig zurückgelegt. Kommen einmal schlechte Jahre, so müssen wir Schulden machen. – Und wenn wir wenigstens von dem Geld, das du ausgiebst, etwas Bemerkenswertes hätten! Aber ich weiß in der That nicht, wo du es läßt!«
Da Julia es selbst nicht wußte, konnte sie ihm auch keine Auskunft darüber geben, und fuhr fort, zu klagen und zu weinen. Björn entwickelte eine fast unnatürliche Langmut. Als er endlich fühlte, daß ihm doch die Geduld zu schwinden begann, brach er die Unterredung ab.
»Ich habe keine Zeit mehr,« sagte er. »Ich bin ja auch keine Hausfrau und könnte dir vielleicht nicht sagen, wie du es besser machen sollst. – Sprich doch mal mit Rottraut darüber; die ist so praktisch veranlagt und weiß vielleicht, wie es sich sparsamer einrichten ließe.«
Rottraut – ja, das war ein Hoffnungsstrahl. Aber Rottraut stand voraussichtlich in der Küche und hatte keine Zeit. Julia ging indes trotzdem hin, nachzusehen.
Nein, Rottraut sei im Garten beim Erdbeerenpflücken. Morgen sollte Saft gekocht werden.
Julia ging und suchte sie im Garten. Unter ihrem großen Strohhut kniete Rottraut in den Beeten und suchte zwischen dem in der schattenlosen Sonne würzig duftenden Blattwerk nach den reifen, roten Früchten. Ein paar Mädchen halfen ihr.
»Kannst du ein Weilchen mitkommen?« fragte Julia. »Ich möchte etwas mit dir besprechen.«
Rottraut war nicht eben entzückt über die Störung. Als sie aber bemerkte, daß Julia verweint und bedrückt aussah, stellte sie sofort ihren irdenen Topf hin, stand auf und lief leichtfüßig zu ihr hinüber.
»Da!« sagte sie und schob ihr eine besonders fleischige, große Beere, die sie schnell noch abgezupft hatte, in den nur unlustig sich öffnenden Mund. »Was giebt's denn?« fragte sie, nahm ihren Arm und ging mit ihr den Steig entlang, nach einer Weinlaube am andern Ende. – Mit beredten Worten schüttete Julia ihr Herz aus; Björns Unzufriedenheit, und ihre völlige Ratlosigkeit. Sie gewährte ihr einen vollständigen Einblick in alle hier mitsprechenden Verhältnisse, wobei sie weinend versicherte, daß sie es nie nötig gehabt habe, zu rechnen und zu sparen, und daß sie das auch niemals lernen werde.
Rottraut hörte sehr ernst, sehr aufmerksam zu und that dann und wann eine kurze sachliche Frage. Und als sie nichts mehr zu fragen und Julia nichts mehr zu sagen hatte, blieb sie in der Laube aufrecht stehen, während Julia mutlos auf die Holzbank niederfiel, stemmte die schmalen Hände in die schlanken Hüften, sah unter dem großen Hut hervor mit nachdenkenden Augen in das sommerliche Land hinaus und sagte sehr energisch:
»Ja, da muß natürlich Abhilfe geschaffen werden!«
»Aber wie?« seufzte Julia.
»Das findet sich schon mit der Zeit. – Zum Beispiel –« fing sie an, direkt auf das Ziel lossteuernd und Julia dabei frisch ansehend – »was ich schon lange gedacht habe: warum willst du durchaus wieder so eine teure Wirtin nehmen?«
»Ach – darauf kommt's doch nicht an?«
»Eins kommt zum andern, und dies eine halte ich gar nicht für so unwichtig. Denke doch: erstens der hohe Lohn! Zweitens haben solche Personen meist eine sehr großartige Manier, aus dem Vollen zu wirtschaften. Ich habe längst gefunden, daß in eurem einfachen Hause für solchen Posten gar kein Platz ist. Nimm eine einfache, tüchtige Köchin, die Fleisch und Gemüse kochen kann und weder hohen Lohn noch Selbständigkeit beansprucht, sich kontrollieren läßt und thut, was sie soll. Wenn mal etwas Besonderes auf den Tisch kommen soll – das werde ich schon machen, und mit der Zeit lernt sie es auch.«
»Ach nein – das geht doch nicht. Dann kommt es doch wieder darauf heraus, daß du Wirtin spielst –«
»Ich denke nicht daran!« rief Rottraut heiter. »Das sind immer nur die ersten Wochen, die etwas mühsam sind, bis man sich das Mädchen angelernt hat. Und was thut's, wenn man sich dauernd etwas eingehender um die Wirtschaft kümmert – das ist im Gegenteil eine sehr nützliche Folge einfacher Köchinnen. Und dir, liebe Julia, schadet es gar nichts, wenn du den Verbrauch in der Speisekammer etwas genauer überwachst!«
Julia ließ den Kopf hängen und wurde immer unfroher, je mehr Rottraut auf sie einredete. Endlich rief das Mädchen ärgerlich:
»Weißt du, Julia, wenn ich du wäre – es würde mir eine wahre Wonne sein, für meinen Mann zu arbeiten, und ich wäre stolz über jeden Groschen, den ich ihm durch meiner Hände Arbeit erspare oder einbringe.«
Julia sah das Mädchen und seinen lieblichen Eifer freudlos an.
»Wenn es nur nicht so unbequem wäre –« sagte sie und wurde dabei rot vor Scham über sich selber. Rottraut sah es und unterdrückte in schnell aufsteigendem Mitleid ein hartes Wort.
»Du bildest dir nur ein, daß es unbequem ist. Aller Anfang ist schwer. Und denke mal an den süßen Lohn –« Julia sah fragend auf. »Stelle dir mal vor,« fuhr Rottraut mit einem reizenden Schelmenausdruck fort, »du hast dich einen Tag lang redlich geplagt, vielleicht auch Ärger und Unannehmlichkeiten gehabt, und bist abends rechtschaffen müde – meinetwegen auch ein wenig verstimmt – und dann kommt Björn und hört und sieht, was du geleistet hast, und weiß, daß es dir recht sauer geworden ist – und dann strahlt er dich mit seinen guten Augen so recht anerkennend an und lobt dich und giebt dir gar noch einen Kuß – was meinst du, würdest du noch einen Augenblick an die Mühe denken, die du gehabt hast? Würdest du nicht vielmehr stolz sein auf das, was dir seine Anerkennung erwarb?«
Rottraut war im Eifer des Sprechens ganz heiß geworden, ihre Augen strahlten Julia ermutigend und lachend an. Sie sah entzückend aus, und Julias Blick hing gefesselt an ihr.
»Du hast eigentlich recht,« sagte sie endlich. »Er ist es wert, daß man sich für ihn plagt.«
»Siehst du wohl!« rief Rottraut, schnell befriedigt. »Und die Plage, die von dir verlangt wird, ist nicht einmal besonders groß. Nichts mehr und nichts weniger, als was jede fleißige Hausfrau thut. – Wir werden uns redlich in die Arbeit teilen, dann merken wir beide nicht viel davon. Heut nachmittag wollen wir weiter überlegen, gründlich und in Ruhe. Jetzt muß ich zu meinen Erdbeeren, sonst gehen die guten ins Kröpfchen und die schlechten ins Töpfchen. Weißt du – schreibe einstweilen an die Mietsfrau wegen der Köchin, es ist doch eilig. Das kannst du ganz gut allein.«
»Du könntest es aber lieber nachher lesen –«
»Ja, natürlich, wenn du willst?«
»Und Björn – was wird er dazu sagen?«
»Er wird unsern Unternehmungsgeist anstaunen und loben!« rief Rottraut. Sie war selbst ganz glücklich in dem Gedanken, ihm eine Freude zu machen, indem sie Julia bewog, seinen Wünschen entgegenzukommen. Und Julia war getröstet durch die Aussprache mit Rottraut und ermutigt durch die Gewißheit ihrer unverdrossenen Mitarbeiterschaft.
Sie arbeiteten zusammen ein förmliches Spar- und Ordnungssystem aus; Rottraut stellte Zahlen und Zahlen einander gegenüber. Soviel war bis jetzt verbraucht worden – soviel hofften sie in Zukunft zu ersparen. Den ganzen Nachmittag brachten sie dabei zu. Abends unterbreiteten sie Björn ihre Pläne. Julia legte ihm die Berechnung vor, und Rottraut hielt den erläuternden Vortrag dazu.
Björns Antlitz war den ganzen Tag umwölkt gewesen. Nun war es, als gleite eine Lichtwelle darüber hin. Sein Mund lobte Julia, die selig dabei errötete; sein Auge suchte Rottraut – aber die sah es nicht. Dann bückte er sich tief über den vollgekritzelten Bogen, bis Zahlen und Buchstaben vor seinen Augen zu tanzen begannen. Endlich merkte er, daß es still um ihn geworden war. Er sah auf. Julia war hinausgegangen. Rottraut stand ihm gegenüber auf der andern Seite des Tisches. Sie schien ihn beobachtet zu haben, denn sie wandte den Kopf ab und ward rot dabei.
»Komm einmal her, Traute,« sagte er.
Sie kam herum, stand neben ihm und wußte nicht, was er wollte.
»Ich danke dir, Traute!« Seine Stimme klang bewegt. Er ergriff ihre kleine Hand und drückte sie an seine Lippen. Ihr Herz begann ängstlich zu flattern.
»Wofür dankst du mir denn –« Sie versuchte, ihm ihre Hand wegzuziehen.
»Ich danke dir, daß du Julia immer so schön hilfst –«. Dabei sah er sie mit einem jener unbeschreiblichen Blicke an, die sie nicht ertragen konnte.
»Ach – das ist ja ganz selbstverständlich und gar nicht der Rede wert!« sagte sie noch, während sich ihre Kehle zusammenschnürte. Ganz sacht machte sie sich von ihm los und verließ langsam und unauffällig das Zimmer. Einmal draußen, lief sie schnell und leise die Treppe hinauf in ihr Stübchen, zog die Thür hinter sich zu und brach in ein haltloses Schluchzen aus. Es that ihr gut, wie ein warmer Regen. Plötzlich nahm sie die Hände vom Gesicht und sah sehr erstaunt aus.
›Was fällt mir nur ein – warum weine ich nur? Ich glaube gar, ich werde nervös!‹
Mit Rottrauts Hilfe oder, besser gesagt, unter ihrer Leitung wurde die neue Ordnung allmählich eingeführt. Julia wollte oft dabei ermatten und bei jeder Schwierigkeit den Mut verlieren; aber Rottraut zog sie immer wieder mit sich, ermunterte, schalt auch mitunter, und ging stets mit gutem Beispiel voran. Julia folgte – seufzend zwar, aber sie folgte doch. Hätte Rottraut sie weniger lieb gehabt, so würde sie sie wahrscheinlich gering geschätzt haben wegen ihrer Unfähigkeit, Tüchtiges zu leisten. So hatte sie nur schonendes Mitleid für sie; machte ihr alles so leicht wie möglich, that immer das Schwierige und Unangenehme selber und überließ Julia das Leichte und Angenehme. Schließlich beschäftigte sie Julia nur mehr zum Schein, und verstand es dabei in zartester Weise, ihr das Bewußtsein ihrer Nützlichkeit und Unentbehrlichkeit, und dadurch Befriedigung und Freudigkeit zu geben, während in Wirklichkeit doch Rottraut das treibende Rad und die schaffende Kraft war oder mehr und mehr wurde.
Julia ließ sich täuschen und nahm mit seliger Genugthuung von Björns Lippen das Lob hin, das im Grunde Rottraut gebührte. Und Rottraut stand neidlos dabei und freute sich über Julias Freude. Einen andern Lohn brauchte und suchte sie nicht.
Björn aber ließ sich nicht täuschen. Und wenn er Julia lobte, wo Rottraut es verdiente, so geschah das, weil er bereitwillig mitarbeitete an dem frommen Trug, den Rottraut spann.
Hätte er Julia geliebt, so würde er anders gehandelt haben. So aber scheute er sich, sie rauh anzufassen und von ihr zu verlangen, was sie doch niemals mehr lernen würde. Er wußte, daß sie unter seiner Unzufriedenheit entsetzlich leiden, sich aber dennoch nicht mehr ändern würde. Wozu also sie seine Unzufriedenheit erst fühlen lassen?
Er glaubte sich immer in ihrer Schuld, gegenüber ihrer jeweilig ausbrechenden, heißen Leidenschaft für ihn; und er suchte diese Schuld beständig abzutragen durch eine Güte, Geduld und Nachsicht, die ans Unwahrscheinliche streifte. Rottraut erleichterte ihm das wunderbar, indem sie seinem Streben in verständnisvollster Weise entgegenkam.
Manchmal machte ihn das stutzig. Durchschaute sie ihn und sein Verhältnis zu Julia?
Die Dankbarkeit gegen sie brachte es mit sich, daß er sie immer freundlicher und rücksichtsvoller und aufmerksamer behandelte. Ohne viel Worte und Thaten fand er überall Gelegenheit, ihr seine liebevollste Verehrung zu beweisen. Manchmal wußte sie gar nicht, daß sie diese oder jene Erleichterung ihres Tagewerkes seinen heimlichen Anordnungen zu danken habe, und es war ihm am liebsten, wenn sie seine Gefälligkeiten hinnahm, ohne zu ahnen, daß sie von ihm kamen. Und wenn sie es doch einmal erfuhr und ihre braunen Samtaugen ihn dankbar froh anstrahlten, so that ihm das gut bis ins Herz hinein.
Sie war in Wahrheit sein Sonnenschein. Sie hatte sich tiefer eingenistet in seinem Herzen mit dem sanften Strahl ihres Wesens, als er ahnte. Es war gut, daß er es nicht ahnte; zu ändern wäre es ja doch nicht gewesen. –
Hochsommer war es geworden und drückend heiß. Die gemeinsamen Wanderungen waren seit lange unterblieben; einesteils wegen der drückenden Schwüle, andernteils, weil Rottraut den ganzen Tag zu thun hatte und abends oft zu müde war. Björn fing an, unzufrieden darüber zu werden.
»Du überanstrengst dich. Ich will nicht, daß du ausgenützt wirst,« sagte er ziemlich schroff in Julias Gegenwart; sie hatte ihm wieder ihre Begleitung abgeschlagen – aus Müdigkeit, wie sie sagte; in Wahrheit aber aus Rücksicht auf Julia, die es immer unliebsamer empfand, wenn Rottraut sie allein ließ. »Ich glaube, du bist noch magerer geworden, als du schon warst!« schloß er mit einem flüchtigen Blick über ihre Gestalt hin.
»O bewahre,« rief Rottraut erschrocken und schielte bange nach Julia hin. »Das Arbeiten ist mir sehr gesund. Ich habe mir sogar meine Kleider weiter machen müssen.«
»Wie lange wirst du denn noch Trauer tragen?« Björn fragte es abschweifend in ruhigerm Ton. »Bei dieser Hitze müssen die schwarzen Kleider doch sehr lästig sein!«
»Man trauert ein Jahr um eine Mutter,« sagte Julia trocken.
»So mag es Sitte sein; Gesetze giebt es doch darüber nicht. Hast du die Absicht, es damit so genau zu nehmen, Traute?« Er sah sie zärtlich an. Aber sie merkte es nicht, weil sie verlegen um eine Antwort war, die jeden von beiden befriedigte.
»Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht,« sagte sie sanft. »Aber wenn du es wünschst, kann ich die Zeit ja abkürzen. Alle Männer haben eine Abneigung gegen Schwarz.«
»Man braucht aber doch nicht aus Rücksicht auf den Geschmack der Männer die gute Sitte zu verletzen!« warf Julia ein. »Ich habe meine rechte Mutter ein volles Jahr betrauert.«
»Das war auch anders. Du lebtest in der Welt, wo es all der Unbeteiligten wegen mehr auf die peinliche Befolgung äußerer Gebräuche ankommt. In unsrer Abgeschiedenheit ist es harmloser. Da bleibt es lediglich Gefühlssache.«
»Nun, da Rottraut ihre Mutter sehr geliebt hat, wird es ihren Gefühlen wohl mehr entsprechen, sie noch eine Weile zu betrauern.«
»Auf die Kleider kommt es dabei am Ende nicht so viel an –«
»Aber das äußere Benehmen ist immer ein Abbild des innern Empfindens!« beharrte Julia.
Rottraut begann, das ganze Gespräch äußerst peinvoll zu finden. Sie versuchte das selten versagende Mittel, einen Scherz daraus zu machen.
»Ihr werdet euch doch nicht über meinen Anzug streiten, über so etwas Unwichtiges! Meine liebe Mutter legt gewiß keinen Wert darauf, daß ich ein genau gemessenes Jahr hindurch in Schwarz gehe. Sie weiß, daß mein Herz unberührt davon bleibt. Ich habe noch ein paar weiße Kleider liegen – wenn Björn es doch so gern will, mache ich sie mir zurecht und trage sie Sonntags. Nicht wahr, Julia? Wenn man einander mit solchen Kleinigkeiten gefällig sein kann, soll man es thun!«
Julia antwortete nicht und schien verstimmt. Und ihre Verstimmungen, so unwichtig sie an und für sich waren, hatten stets etwas Bedrückendes für ihre Umgebung.
»Ich finde es sehr überflüssig, daß Björn sich um deinen Anzug kümmert,« sagte sie spitz, als er schweigend das Zimmer verlassen hatte.
Rottraut begann, sich zu ärgern.
»Aber Julia – wie kannst du nur! Er sagte doch das nur, weil es ihm eben einfiel, wie man von hundert andern gleichgültigen Dingen auch spricht. Im Grunde ist es ihm wahrscheinlich sehr unwichtig, ob ich Schwarz oder Weiß trage.«
»Nun also – dann trage nur ruhig weiter Schwarz.«
Rottraut biß sich auf die Lippen und schwieg. Sie hätte Björn gern den Gefallen gethan; außerdem war ihr – einmal angeregt – der Gedanke sehr angenehm, das hitzende Schwarz gegen luftiges Weiß zu vertauschen. Aber obschon sie nicht begriff, was Julia für ein Interesse daran haben könne, sie in schwarzen Kleidern zu sehen, beschloß sie, nachzugeben und die Sache nicht mehr zu erwähnen.
Aber am nächsten Sonntag, als sie in ihrem einfachen Trauerkleidchen neben der in hellem Lila prangenden Julia erschien, fragte Björn sofort: »Ich denke, du wolltest heut ein weißes Kleid anziehen, Traute?«
Das Mädchen wurde rot vor Schreck und warf Julia einen hilfesuchenden Blick zu.
»Warum willst du sie denn durchaus zwingen, ihre Trauer abzulegen?« sagte Julia. Björn sah sehr erstaunt aus.
»Ich will sie gar nicht zwingen. Ich frage ja nur.« Dann sprach er von andern Dingen und schien die Kleiderangelegenheit zu vergessen. Rottraut aber fühlte, daß er nicht zufrieden war.
Nach Tisch ging sie zu Julia, als diese allein war.
»Sage mir, Schwesterherz,« begann sie freundlich und kniete neben dem Sofa hin, auf dem sich Julia mit einem Buch ausgestreckt hatte, »hast du eigentlich irgend einen vernünftigen Grund dafür, daß du mich nicht in hellen Kleidern sehen willst?«
Julias Gesicht, das längst wieder den Ausdruck ruhigen Behagens angenommen hatte, umdüsterte sich schnell.
»Ich dachte, in deinem Sinne zu handeln, indem ich Björn widersprach,« sagte sie scharf. Rottraut aber hörte diese Schärfe nicht, sondern rief fröhlich:
»O – das ist gut – dann hast du also nichts dagegen, und ich kann ihm den Gefallen thun. Mir ist es ganz gleich – und meiner Mutter auch, das weiß ich!« Sie wollte aufspringen; Julia aber hielt sie am Handgelenk fest.
»Liegt dir denn so sehr viel daran, ihm einen Gefallen zu thun?« Ihre Blicke bohrten sich in Rottrauts Augen.
»Aber gewiß – ich wollte, ihr hättet alle Tage neue Wünsche, die ich euch erfüllen könnte!« Sie sah so hell und heiter aus wie ein Kind, das sich über ein neues Spielzeug freut.
»Nun – so geh nur – mach ihm die Freude und zieh dich um!« Rottraut gab ihr einen dankbaren Kuß und sprang hinaus. Julia sah ihr nach – das Herz ward ihr schwer. Seufzend kehrte sie sich nach der Wand um.
Im Sommer vesperte man immer hinter dem Hause unter den Ulmen. Rottraut machte den Kaffee und strich für Harry eine Semmel mit goldgelbem Honig, wobei sie heiter mit ihm plauderte. Sie hatte ein weißes Waschkleid an und einen schwarzen Bandgürtel dazu – unbeschreiblich einfach und anspruchslos. Durch das grüne Laub fielen ein paar verirrte Sonnenstrahlen mit grünlichem Licht über sie hin. Zwischen den Stühlen auf dem Kies hüpften ein paar Spatzen, die sie mit Krümchen fütterte.
Björn trat aus der Hausthür. Er blieb verdutzt stehen, als er Rottraut sah. Sie merkte es, errötete und wurde so verlegen, wie ein junges Mädchen, das zum erstenmal einen Ballsaal betritt. Und diese unschuldige Befangenheit machte sie ganz besonders reizend und anmutig.
»Also doch!« sagte er näher tretend, ohne sie aus den Augen zu lassen. »Warum habt ihr denn erst solche Komödie aufgeführt?« Rottraut wurde immer verlegener.
»Wir hatten uns mißverstanden, Julia und ich!« Sie sah nicht von ihrer Kaffeekanne auf. »Jetzt haben wir uns geeinigt.«
Merkwürdig – Björn konnte die Augen gar nicht loslassen von ihr. Er stand ihr schweigend gegenüber, die Hände auf dem Rücken verschränkt, und betrachtete sie immerfort mit selbstvergessenen, zärtlichen Blicken. Er hatte es schon lange als ein großes Glück betrachtet, so ein junges, frohes, gesundes Geschöpf im Hause zu haben. Ihre sonstigen Reize waren ihm noch nie bewußt geworden.
»Traute, was bist du hübsch!« sagte er ganz glücklich.
In diesem Augenblick trat Julia aus dem Hause. Sie hörte noch diese Worte; und ehe sie Zeit hatte, darüber nachzudenken, kehrte sich Björn zu ihr und fuhr fort:
»Ist sie nicht reizend, Julia?«
Julia nahm ihren gewohnten Platz ein und streifte das Mädchen mit einem gleichgültigen Blick.
»Sieht sie denn anders aus als sonst?«
»Die schwarze Hülle ist gefallen – ein weißer Falter ist ihr entflattert,« rief Björn fröhlich. »Auf die äußere Hülle kommt es ja schließlich nicht an; aber es ist mir doch lieb, daß ich nun weiß, was dahinter steckt!« schloß er lachend.
Rottraut fühlte sich wieder peinvoll bedrückt, ohne recht zu wissen, warum.
»Nimm doch die Sache nicht so wichtig,« schalt sie. »Ich komme dir ungewohnt vor – das ist alles. In einer halben Stunde wirst du dich daran gewöhnt haben und nichts Neues mehr an mir finden. So, der Kaffee ist fertig – willst du einschenken, Julia? – Setz dich, Harry, mit Honigsemmeln muß man nicht umherlaufen; das ist gefährlich. – Sieh mal, Björn, was dein Jagdhund wieder für Löcher im Rasen gekratzt hat, du mußt ihn wirklich an die Kette legen!«
So plauderte sie, erst etwas gezwungen und absichtlich, dann bald ganz harmlos und vergnügt, und stellte das gestörte Gleichgewicht schnell wieder her. Auch Björn war gut aufgelegt, stimmte in ihren Ton ein und sah sie immer wohlgefälliger an. Nur Julia blieb verstimmt. Er merkte es wohl, beachtete es aber anfangs nicht. Nach einigen vergeblichen Bemühungen, sie ins Gespräch zu ziehen, sagte er zu Rottraut, während er Julias Hand ergriff, die auf dem Tische lag:
»Weißt du, warum Julia so gern solche lila Kleider trägt? – Sie hatte lauter solche Kleider, als wir uns kennen und lieben lernten – und sie weiß, daß es mir Freude macht, diese Farbe zu sehen, die mich an jene Zeit erinnert. – Weißt du noch, der Ball beim Präsidenten, Julia? Ich war an jenem Abend sehr unglücklich, weil ich mir vorgenommen hatte, mich für immer von dir zu trennen. Ich Thor –« Er sah sie besorgt an; er hoffte, sie zu erheitern mit diesen Rückerinnerungen.
Anfangs wollte sie sich nicht erheitern lassen. Dann gewannen die Erinnerungen Gewalt über sie. Sie sah auf und lächelte durch Thränen.
»Ja, und wenn ich nicht alles aufs Spiel gesetzt hätte, so wären wir vielleicht wirklich für immer getrennt gewesen. Aber ich wollte dich nicht loslassen; ich konnte nicht sein ohne dich. Ich habe dich gezwungen zu deinem Glück!«
»Ja – zu meinem Glück –« wiederholte er gedankenschwer. Über Rottrauts Seele sank es plötzlich wie eine dunkle Wolke. Sie hörte Litta fragen: ›Ist er glücklich?‹ und es befiel sie eine jähe Angst, daß irgend jemand darauf antworten könne. Und als Harry eben den Wunsch aussprach, daß man ihm auf seine Schaukel helfen möchte, sprang sie bereitwillig auf und ging mit ihm. – Björn hatte alles gemerkt.
»Wie zartfühlend sie ist –« meinte er.
»Zartfühlend? Wieso?« Julia schien sogleich abgekühlt.
»Sie denkt, diese Unterhaltung bedürfe keines Zuhörers. Sie denkt vielleicht auch, ich wollte dir einen Kuß geben –«
»Als ob du das noch nie in ihrer Gegenwart gethan hättest!«
»Nicht oft. Und dann kommt es auch auf die augenblicklichen Umstände an.«
»Wie meinst du das?«
»Nun – wenn ich meiner Frau Gutentag oder Gesegnete Mahlzeit sage und gebe ihr dabei einen Kuß, so kann das jeder sehen. Wenn ich aber am Sonntagnachmittag mit meiner Frau unter den Ulmen sitze, und sie ist ein wenig schlechter Laune, und ich schmeichle ihr, um sie wieder zu erheitern, und sie sieht das ein, und schämt sich ein wenig – nun, den Kuß, den sie mir dann giebt, braucht nicht jeder zu sehen!«
»Ach, Björn!« Es klang wie Lachen und Schluchzen durcheinander, und dann hing sie an seinem Halse und küßte ihn und war froh, daß er nicht nach dem Grunde ihrer Verstimmung fragte. Sie ahnte nicht, daß er ihn besser kannte, als sie selber.
»Es ist wirklich gut und nett von dir, mein altes Kind,« sagte er, zog sie neben sich auf die Bank und sah sie beinahe gerührt an, »daß du immer noch mir und der alten Zeit zuliebe lila Kleider trägst –«
»Aber Björn,« sie barg verschämt ihr Gesicht an seiner Schulter, »das ist ja nicht allein der Grund. Ich weiß sehr gut, daß diese Farben mir am besten stehen.«
»Wirklich? Ich finde, jede Farbe steht dir gut. Ich finde dich überhaupt immer hübsch.«
Sie richtete sich sehr plötzlich auf und sah ihn scharf an.
»Findest du mich auch hübscher als Rottraut?« Sie verriet sich. Aber er that aus Rücksicht auf sie, als sei er ahnungslos.
»Bist du etwa eifersüchtig auf ihre blühende Jugend?« lachte er. »Das lohnt sich nicht, Herzblatt; es giebt allzuviel hübsche junge Menschen. Je älter wir werden, um so mehr Veranlassung zur Eifersucht fänden wir da.«
»Du kannst sie ja hübsch finden,« sagte Julia bedrückt. »Ich sehe ja selbst, daß sie hübsch ist. Aber du sollst sie deshalb nicht lieber haben, als mich!«
Sekundenlang stand Björn das Herz still. Dann besann er sich. Sie war ja ein Kind; sie wollte nur eine Scene.
»Du mußt nicht solche häßlichen Späße machen, Julia,« erklärte er gütig und streng. »Das ist unzart gegen uns alle drei.«
»Es soll kein Spaß sein,« entgegnete sie trotzig, wagte aber nicht, ihn anzusehen, als sie weiter sprach. »Daß du sie jemals lieber haben könntest, als mich, fällt mir natürlich nicht ein zu glauben. Aber ich bin doch nicht blind; ich sehe doch, daß sie viel besser und tüchtiger, viel tiefer und zuverlässiger und darum also viel liebenswerter ist, als ich. Und du siehst das auch, ebensogut oder vielleicht noch besser als ich. Und darum ist mir oft so bange –«
»Aber Julia – Herzenskind –«
»Und nun hast du auch noch ihre Schönheit entdeckt!« rief sie aufschluchzend und versteckte wieder ihr Gesicht an ihm.
Björn war tief erschrocken und wußte nicht, wie er diese Sache anfassen sollte. Es war ihm alles so neu, so unerhört, was sie da sagte! – Und nun weinte sie auch noch.
»Sage nur, Julia, wie kommst du auf solche Gedanken!«
»Ich weiß es selber nicht –« stieß sie unter Thränen hervor und drängte sich immer fester an ihn. »Ich sehe nur täglich deutlicher den Unterschied zwischen ihr und mir, und was sie leistet, und wie du sie verziehst –«
»Ja, aber eben weil sie so viel leistet, muß ich sie doch ein wenig verziehen –«
Julia hörte nicht darauf.
»Und du vernachlässigst mich seit einiger Zeit so sehr,« sagte sie.
»Ich vernachlässige dich – ja, wie mache ich denn das?«
Sie preßte ihr Gesicht an seine Brust und schwieg.
Björn dachte nach. Dabei legte sich ein tiefer, schwermütiger Ernst über sein Gesicht; über seinen ganzen Menschen. Halb unbewußt, wie aus treuer Gewohnheit, streichelte er dabei Julias blonden Kopf. Und sie wurde ruhiger bei dieser Liebkosung.
»Höre mal zu, Julia,« sagte er endlich; »aber ganz still und verständig. Hast du schon jemals an meiner Liebe zu dir gezweifelt oder daran, daß du und dein Glück mir mehr am Herzen liegt, als alles andre in der Welt?«
Sie schüttelte heftig den Kopf.
»Nun denn – ist es hübsch von dir, wenn du mir bei der ersten besten, echt weiblichen Eifersuchtsregung, die ebenso folgenlos vorübergehen wird, wie sie grundlos entstand, Dinge zutraust, die mein Herz und meine Mannesehre verletzen müssen?«
Er wußte, daß er am meisten Gewalt über sie hatte, wenn er sie ernst nahm.
»Sei nicht böse, Björn,« flüsterte sie. »Das kommt ja alles nur, weil ich dich so liebe. Ich müßte verrückt werden, wenn ich an dir zweifeln müßte, ich würde sterben, wenn ich dich verlöre –«
»Du mußt nicht so aufgeregt sein, Liebling. Sieh mal, wenn man jemanden lieb hat, so recht echt und wirklich lieb, so quält man ihn nicht mit Mißtrauen und Eifersucht, sondern man vertraut ihm. Nicht wahr?« Sie nickte.
»Nun also, dann vertraue mir und fülle dir nicht den Kopf mit Hirngespinsten an. Und vor allen Dingen, laß Rottraut nichts von diesen Gedanken merken; ich traue ihr zu, daß sie dann davonginge –«
»Und das möchtest du auf alle Fälle verhindern, nicht wahr?«
»Ja,« sagte er ruhig und verschluckte den Ärger, den diese häßliche Bemerkung ihm verursachte. »Ich wäre in der That außer mir, wenn deine Thorheit diesem verwaisten und schutzlosen Kinde die Heimat nähme, die ich ihm unter meinem Dache zu gründen bemüht war. Und niemand würde Rottraut schmerzlicher vermissen, als du selber.«
Wenn er so energisch sprach, hatte sie eine unbegrenzte Scheu vor ihm; sie war dann allemal ernüchtert und wußte, wie sie sich zu benehmen hatte. Er war aufgestanden und schien sehr erregt zu sein, und sie wagte nicht, ihn anzureden oder auch nur anzurühren. Eine Zeitlang schien er sie ganz zu vergessen. Plötzlich wandte er sich um und sah sie ermutigend an.
»Komm, mein Herz!« Er zog sie, die nur allzu bereit war, in seine Arme. »Ich hoffe, die Sache ist erledigt, und wir sind wieder gute Freunde –«
»Gute Freunde –« es klang enttäuscht und unzufrieden.
»Also Liebesleute, wenn dir das besser gefällt.«
Eine Viertelstunde später gingen sie Arm in Arm durch den Garten, Rottraut und Harry zu suchen. Sie fanden beide auf dem entlegenen Platz, wo Harrys Turngeräte standen. Rottraut half ihm mit verständnisvollen Griffen, seine kleinen Kunststücke ausführen und neue dazu lernen. Sie sah ein wenig ängstlich auf, als die beiden herankamen. Als sie Julias wieder ganz vergnügtes Gesicht sah, fiel ihr ein Stein vom Herzen.
Jedenfalls hat er ihr wieder eine Liebeserklärung machen müssen, um ihre Laune zu verbessern – dachte sie und war im stillen empört über Julias kindisches Benehmen, mit dem sie Björn nur allzu oft quälte.
»Kommst du mit, Traute? Ich geh' ins Moor, Enten schießen!«
Er stand vor der Hausthür, im graugrünen Leinenrock, die Flinte über der Schulter, den Hund neben sich. Es war gegen Abend an einem gewitterschwülen Augusttage.
Rottraut kam aus dem Hühnerstall. Sie trug eine weiße Battistbluse und eine große weiße Leinenschürze. Am Arm hing ihr ein Körbchen mit Eiern. Bei Björns Frage leuchtete ihr ganzes Gesicht auf.
»Ach ja – gern!« sagte sie. »Aber ich möchte erst mit Julia sprechen.«
»Nun, dann lauf schnell! Ich warte hier auf dich!« Sie ging ins Haus, und er setzte sich auf die Bank neben der Thür. Der Hund streckte sich in den Sand, ließ die Zunge aus dem Maule hängen und stieß ab und an ein kurzes, ungeduldiges Bellen aus.
Björn hatte sein Benehmen gegen Rottraut nicht geändert. Er hätte sich damit nur Julia gegenüber schuldig bekannt und des Mädchens Aufmerksamkeit – wenn nicht andres – erweckt. Es wäre ihm auch schwer geworden, seinem Umgang mit ihr Zwang anzuthun. Sie verdiente in vollstem Maße die Achtung und zärtliche Zuneigung, die er ihr bewies. Und sie war je länger je mehr der Sonnenschein seines pflichttreuen Daseins geworden.
Nach wenigen Minuten erschien Rottraut wieder in der Thüre.
»Julia möchte lieber, daß ich bei ihr bleibe. Sie hat Kopfschmerzen. Ich soll ihr vorlesen,« sagte sie, tapfer bemüht, eine große Enttäuschung lächelnd zu leugnen. Björn unterdrückte eine ärgerliche Aufwallung.
»Hm – vorlesen scheint mir nicht sehr angebracht bei Kopfschmerzen. Aber meinetwegen. – Dann schick' mir, bitte, den Jungen.«
Rottraut ging ins Haus zurück. Abermals nach einigen Minuten kam sie wieder heraus und meldete:
»Julia meint, es sei zu weit und zu spät für Harry.«
Mit einer heftigen Gebärde fuhr er auf. »Wo ist Julia?«
»In ihrem Zimmer.«
»Wo ist der Junge?«
»Er spielt im Garten.«
»Sei so gut und sorge dafür, daß er lange Stiefel anzieht und schicke ihn hierher. Ich werde ihn auf alle Fälle mitnehmen.« Damit ging er an ihr vorbei ins Haus.
Julia saß am Fenster und stickte irgend etwas. Sie sah sehr blühend und gar nicht nach Kopfweh aus. – Als Björn bei ihr eintrat, hatte er seinen Ärger bereits hinuntergezwungen.
»Willst du denn alles für dich allein behalten?« scherzte er, doch so, daß sie den Ernst wohl durchhörte. »Wenn du Rottraut zu deiner Gesellschaft hier behalten willst, so kannst du mir doch den Jungen lassen.« Julia zuckte die Achseln.
»Wenn du ihn durchaus überanstrengen willst –«
»Ich weiß so gut wie du, wieviel er leisten kann, und werde ihn nicht überanstrengen. Wohl aber werde ich ihn an das Gehen gewöhnen, und ihn fortan öfter mitnehmen. Erstens ist das sehr gesund für ihn. Zweitens habe ich nicht Lust, dauernd allein umherzulaufen. Bei meiner Frau habe ich es ja leider nicht durchsetzen können, daß sie mich begleitete. Bei meinem Sohn werde ich es einfach befehlen. – Du hast Kopfschmerzen?« fragte er dann, in einen andern, sehr freundlichen Ton verfallend. »Das kommt gewiß von der Hitze. Ich denke, wir bekommen heute noch ein Gewitter –«
»Das denkst du – und dann willst du das Kind mitnehmen?« rief sie auffahrend.
»Aber einziges Herz, was schadet es denn dem Jungen, wenn er mal naßregnet!«
Sie versuchte vergeblich, es ihm auszureden. Was sie anfangs nur aus Laune hatte verhindern wollen, machte ihr nun Angst. Aber er blieb dabei.
»Kurz und gut, der Junge geht heute mit. In zwei Stunden sind wir wieder hier. Ihr wartet wohl auf uns mit dem Abendbrot?«
Harry war glückstrahlend, daß er seinen Vater begleiten durfte. Er lief vor ihm und neben ihm her, und sein kindliches Fragen und Plaudern zerstreute des Mannes schwere Gedanken. Zuletzt leuchtete es sonnig auf in seinen Augen, wie ein erster Sonnenblitz nach einem schwülen Wetter.
»Komm mal her, Junge!« Er hatte sich auf einen Baumstumpf gesetzt, inmitten eines dichten Werftgestrüpps am Rande des Torfmoors, von wo aus er das Wassergevögel am besten belauschen und treffen konnte. – Vorläufig schien er indes daran noch nicht zu denken. Er nahm den Jungen zwischen seine Knie und sah ihn zärtlich an.
»Wem bist du eigentlich ähnlich, kleiner Schlingel?«
»Die traute Tante sagt, ich sehe aus wie Mutter.«
»So. Es heißt aber nicht: traute Tante, sondern: Tante Traute.«
»Ach, Vater – ich kann so nicht sagen. Ich verspreche mich immer.«
Er strich ihm die Locken aus dem erhitzten Gesicht. »Bist du müde, Bübchen?«
»Nein. Aber heiß!« Harry machte eine Bewegung des Erstickens.
»Nun, mir ist auch heiß. Setz dich hier neben mich ins Gras und kühl dich ab. Und paß fein auf, daß wir keine Ente entwischen lassen.«
Lange regte sich nichts. Nur zahllose Mücken summten und surrten, und Harry erschlug eine nach der andern auf seinen bloßen Armen.
»Die traute Tante sagt, man darf nicht Tiere töten, außer wenn man ihr Fleisch oder ihr Fell braucht. Aber Mücken darf man doch töten, nicht wahr, Vater?«
Björn lächelte. »Ich glaube nicht, daß der liebe Gott darüber böse ist. Aber du kannst sie auch leben lassen, für die Schwalben und Fliegenschnäpper. Ich werde mir eine Cigarre anstecken, das hilft auch.«
Harry fand ein ganz neues Vergnügen daran, zu beobachten, wie die kleinen, blutgierigen Plagegeister vor den bläulichen Rauchwölkchen Reißaus nahmen.
Ein paar Enten flatterten aus dem Röhricht auf und strichen vorüber. Björn legte an, zielte und schoß vorbei.
»Aber, Vater –« sagte Harry enttäuscht und weinerlich.
»Ich habe zu spät aufgepaßt,« lachte Björn. »Das nächste Mal mache ich's besser.« Aber wieder eine lange Weile rührte sich nichts.
»Komm, wir wollen ein paar Schritt gehen. Ich werde den Hund hineinschicken. Bleib immer ganz dicht hinter mir.«
Eine halbe Stunde später hing Björns Jagdtasche schwer von gefiederter Beute. Den schönsten, grünblau schillernden Vogel schleppte Harry. Er war außer sich vor Vergnügen.
»Willst du öfter mit mir kommen?« fragte Björn, als sie den Heimweg antraten.
»Alle Tage!« rief der Knabe begeistert.
»Nun – wir wollen mal sehen; wenn's nicht zu weit ist, und wenn's Mutter erlaubt –«
Am westlichen Himmel sammelte sich blauschwarzes Gewölk, darin es manchmal feurig zuckte. Es war trotz der vorgerückten Tagesstunde immer noch drückend schwül. Die ganze Natur lag lautlos, in ängstlichem Harren.
Björn schritt langsam aus; es war Rücksicht für das Kind, aber es kam auch daher, weil er sich in solch einer stillen Feierabendstimmung befand. Er hätte gemocht, daß jetzt jemand käme und ihm den Kopf streichelte, wie seine Mutter es ihm gethan, als er noch ein Junge war – und dann später noch einmal, an einem unvergeßlichen Abend –
Unsinn, jetzt hatte er selbst einen Jungen zum Streicheln, und für sentimentale Anwandlungen war er zu alt.
»Was willst du eigentlich einmal werden, Kind?« fragte er, in dem Bedürfnis nach Gedankenablenkung.
»Soldat, wie du einer warst,« erwiderte Harry prompt.
»Woher weißt du denn, daß ich ein Soldat war?« Björn war erstaunt. Er hatte ihm nie davon gesprochen. Er sprach überhaupt nicht mehr von jener Zeit.
»Mutter hat mir Bilder gezeigt, wo du als Soldat darauf bist. Sie sagt, du seist der allerschönste Mann gewesen. Und dann haben wir dich geküßt, und Mutter hat gesagt, wenn ich groß bin, darf ich auch Soldat werden. Ich weiß nur noch nicht, ob ich lieber einen blauen Rock mit Silber haben möchte, oder einen grünen. Aber ich glaube, ein blauer ist hübscher!«
Er dachte diesem schwierigen Problem noch eine Weile schweigend nach. Dann plötzlich:
»Vater –«
»Nun? Was ist?«
»Denke mal, Vater –« und nun lachte er, »die traute Tante sagt, sie findet deine grünen Jagdröcke viel hübscher, wie alle Uniformen! Das ist aber doch falsch, nicht wahr?«
»Warum?« sagte Björn. »Ich finde dasselbe.«
»Aber Vater –« klang es bedauernd.
»Ich will dir sagen, mein Junge, man liebt gewöhnlich am meisten den Rock, in dem man am glücklichsten ist.«
Harry konnte sich nicht Rechenschaft darüber geben, warum ihn diese Antwort nicht befriedigte. Die traute Tante konnte doch nicht wissen, in welchem Rock sie sich am glücklichsten fühlen würde!
Zu Hause warteten sie schon mit dem Abendessen. Julias Kopfschmerz schien vergangen zu sein – wenigstens war sie ganz vergnügt –, und als hinge von ihrer Laune die aller übrigen ab, wurde es noch ein sehr fröhliches kleines Mahl.
Julia konnte sich überzeugen, daß Harry durchaus nicht überanstrengt war, und das Gewitter kam erst spät in der Nacht zum Ausbruch.
Die gereinigte und gekräftigte Luft, der balsamische Odem, den Erde, Kraut und Baum am andern Morgen ausströmten, der Vogelsang und das blitzende Sonnenlicht über allem ließen Rottraut keine Ruhe im Hause. Heimlich stahl sie sich hinaus, um vor dem Frühstück noch schnell ein wenig querfeldein zu laufen. Sie kam ohnehin jetzt so selten dazu. – Durstig trank sie den duftenden Äther in die Lungen, in denen sich Staub und Hitze der letzten Tage förmlich angesammelt zu haben schien. Einen Hut trug sie nicht. Der Morgentau, die Regentropfen, die von den Zweigen fielen, hängten sich feucht und schwer in ihr Haar, und näßten ihre dünnen Schuhe.
Es lag so etwas heilig Reines über der morgendlichen Erde, das sie zwang, die Hände zu falten und die Augen nach oben zu richten. In dieser Stellung, mit dem ernsten, unschuldigen Ausdruck sah sie aus wie die jungfräuliche Priesterin dieser unentweihten Morgenstunde.
Als sie heimkam, hatte sie noch Zeit genug, im Garten ein paar Rosen zu schneiden; damit wollte sie Julia begrüßen. Wie sie damit beschäftigt war, entdeckte sie Björn, der am offenen Fenster seines Zimmers stand.
»Guten Morgen, Traute!« Er sprang mit einem jugendlichen Satz aus dem niedrigen Geschoß ins Freie.
»Julia schläft noch,« fuhr er fort. »Sie hat eine unruhige Nacht gehabt wegen des Gewitters. Ich wollte nach dir schicken, aber Julia meinte, du fürchtetest dich nicht.«
»Keine Spur!« rief sie munter. »Kaum aufgewacht bin ich. Mein Schlaf ist viel zu fest und gesund!«
»Und nun bist du natürlich wieder die erste auf –«
»Morgens habe ich nie lange Ruhe, das kennst du ja. Wegen der Wirtschaft wäre es gar nicht nötig, früh aufzustehen – Christine hat sich sehr gut eingelebt und angelernt –«
»Ja, im vorigen Monat ist sehr viel weniger gebraucht worden von allem –«
»Siehst du – und ich hoffe, es soll noch weniger werden!« Er mochte sie nicht loben und hatte überhaupt keine Lust, jetzt von diesen alltäglichen Dingen zu reden.
»Bist du schon lange auf?«
»Ja; ich bin spazieren gegangen.«
»Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Ich wußte ja nicht, ob du schon auf warst.«
»Du hättest es mir schon gestern abend sagen können!«
»Gestern abend wußte ich noch gar nicht, daß ich heute früh spazieren gehen würde!« lachte sie.
»Ach, Traute, du bist unfreundlich. Mit mir zu gehen, hast du nie mehr Zeit. Allein zu gehen – immer. Nun – wenn es dir mehr Spaß macht, in deiner eignen Gesellschaft herumzustrolchen –«
Sie sah ihn erschrocken an; da merkte sie, daß er nur Spaß mit ihr treibe, und fing herzlich an zu lachen. Plötzlich legte sich ein tiefer Ernst über ihr frisches, junges Gesicht.
»Ich will dir etwas sagen, Björn – ganz im Vertrauen –«
»Nun –?«
»Ich glaube, Julia fühlt sich vernachlässigt, wenn wir beide sie stundenlang allein lassen. Ich habe das so allmählich begriffen und meine, es ist besser, du gehst allein.«
»So soll sie doch lieber mitkommen!« rief er unwillig.
»Das kann sie nicht. Nein, sie kann es wirklich nicht,« beteuerte Rottraut. »Sie hat ihren Körper nie an dergleichen Übungen gewöhnt.«
»Und weil sie nicht kann, sollst du auch nicht – –«
»Laß nur, Björn! Es ist besser so. Harry wird ja nun auch immer größer –«
Björn sah ihr gedankenvoll zu, wie sie eine Rose nach der andern abschnitt. Wie sah sie süß und frisch aus – und dabei doch ein wenig wehmütig. Galt das den vereitelten Spaziergängen?
»Ja, ja,« sagte er aus seinen Gedanken heraus, »Julia ist etwas anspruchsvoll – wie ein verwöhntes Kind –«
»Und wer hat sie denn verwöhnt? Wer verwöhnt sie denn noch alle Tage?« rief sie neckisch.
»Hätte ich es nicht thun sollen?« fragte er ernst.
»Aber natürlich – es war und ist das einzige Rechte. Es ist ja ihr ganzes Glück, sich von dir verwöhnen zu lassen!«
Wieder blieb er nachdenklich.
»Aber Traute –« rief er dann belustigt, »du schneidest ja den ganzen Rosenstock kahl!«
Vor Schreck fielen ihr alle Rosen aus der Hand, und sie starrte mit kläglicher Miene die wahrhaft traurig zugerichtete Krone an.
»Ach – ich bin doch auch zu dumm –«
»Laß nur,« tröstete er lachend; »es wachsen neue.« Dann kniete er auf dem feuchten Erdboden hin und begann, die zerstreuten Rosenblumen zu sammeln. Rottraut war so verwirrt, daß sie es schweigend geschehen ließ, regungslos vor ihm stehen blieb und ihm eine Rose nach der andern, wie er sie ihr zureichte, aus der Hand nahm. Er war in übermütigster Laune und machte lauter neckende Bemerkungen.
»Bekomme ich nicht eine einzige zum Lohn?« fragte er, indem er ihr die letzte rosenrote Knospe hinreichte. Rottraut zog die Hand wieder zurück, die schon danach griff.
»Behalte sie,« sagte sie und ärgerte sich, daß sie nicht selbst auf den Gedanken gekommen war. Er wollte sie in seine Joppe stecken, kam aber nicht recht zu stande damit.
»Wart' ich werde dir helfen,« sagte sie und that es. Er lag immer noch mit einem Knie auf der Erde und sah ihr lachend in das rosige Gesicht, das sich ein wenig über ihn beugte.
Plötzlich fiel ihm etwas Merkwürdiges ein; etwas, das gar nicht hierher gehörte. Eine Unterhaltung mit seiner Mutter, ein ganz zusammenhangloses Stück daraus:
›Wenn du die einzige Frau bleiben solltest, vor der ich knien kann, wäre das so schlimm, Mutter? Und kann man nur lieben, wo man knien kann?‹
Björn fühlte plötzlich, daß der Erdboden kühl und feucht war. Er stand auf. Das Lachen auf seinem Gesicht erstarb. Die Rose saß fest in seinem Knopfloch, und Rottraut sah ihn erstaunt an.
»Ich danke dir,« sagte er zerstreut. »Komm, es ist längst Frühstückszeit.«
Von dieser Stunde an schien irgend etwas auf Björns gleichmäßig gute Laune zu drücken. Er gab sich alle Mühe, sich nichts merken zu lassen; war aufmerksamer und zuvorkommender gegen Julia, denn je; machte sich den ganzen Tag zu thun, trotz Hitze und Sonnenbrand, und ging regelmäßig abends mit Harry spazieren; er zeigte die gewohnte Teilnahme für große und kleine Vorkommnisse; die gewohnte liebevolle Fürsorge für alle Hausgenossen. Und doch war etwas um und in ihm, das ihn veränderte; ein grüblerischer Ausdruck in seinen Augen, ein Schatten von Kümmernis um seine ganze Erscheinung. Er hielt oft den Kopf tief gesenkt, wenn er ging, was er sonst nie that, und es kam vor, daß er zerstreut und gedankenabwesend war. Abends sah er oft müde und angestrengt aus und zog sich früher zurück als die andern.
Die einzige, die von dieser Veränderung etwas merkte, war Rottraut. Sie wurde aufmerksam darauf, nachdem sie ihn einmal, als er unter dem Vorwand großer Müdigkeit Gutenacht gesagt hatte, etwa eine Stunde später von der Gartenseite her leise hatte ins Haus schleichen hören.
›Er trennt sich von uns also nicht, weil er müde ist, sondern weil er allein sein will,‹ folgerte sie. Und nachdem ihre Gedanken einmal auf diesen Weg gebracht waren, beobachtete sie unwillkürlich weiter. Kraft irgend eines ihr unbewußten Sinnes sah und verstand sie all die kleinen, unscheinbaren Färbungen seines Wesens.
Es war augenscheinlich, daß etwas ihn bedrückte, beunruhigte oder ängstigte. Je mehr er sich bemühte, heiter, sorglos und liebenswürdig zu sein, um so weher that es Rottraut. Sie konnte es oft nicht ertragen, wenn sein Mund gleichgültige und lustige Dinge sprach, während in seinen Augen die schwermütige Finsternis saß. Dann ging sie unter irgend welchem leichtgefundenen Vorwand davon.
Sah denn Julia nicht, was sie, die Fremde, sah? Oder wußte sie darum, trug sie es mit ihm, verbarg sie es gleich ihm? – Nein, Julia war nicht die Frau, Kümmernisse irgend welcher Art lächelnd zu ertragen; überhaupt nicht eine Frau, die etwas tragen konnte. Es war daher viel natürlicher, daß Björn ihr gar nicht erst davon sprach.
Armer Björn! Nicht einmal die Wohlthat der Aussprache war ihm vergönnt. Rottraut fing an, zu begreifen, daß mancher Segen, manches Glück ihm in seiner Ehe versagt geblieben war.
Nein, Julia sah und merkte nichts. Sie lebte gedankenlos weiter in den Tag hinein, ließ sich von ihm verhätscheln, küßte ihn dafür mehr als gut war und quälte ihn reichlich mit ihren kindischen Launen und Verständnislosigkeiten.
Rottraut überlegte, ob sie Julia auf Björns veränderte Stimmung aufmerksam machen solle. Aber sie sagte sich bald, daß sie damit nichts Zweckmäßiges erreichen, daß sie Björn durchaus keinen Gefallen damit thun würde.
Da sie sich nicht berufen fühlte, mit ihm darüber zu sprechen, begnügte sie sich damit, ihn wo sie konnte durch zarte Rücksichten und kleine Aufmerksamkeiten zu erfreuen; und wenn es weiter nichts war, als daß sie ihm seine Lieblingsgerichte kochen ließ, ihm täglich frische Rosen in sein Zimmer stellte oder ihm einen kalten Trunk, eine Schale frisches Obst brachte, wenn er heiß und müde vom Felde kam.
Er dankte ihr fast nie für all diese Aufmerksamkeiten; und sie wollte auch seinen Dank gar nicht. Er sah sie nur manchmal so gerührt an, und in seinen Augen zitterte dann etwas wie Glück und tiefes Unglück zugleich. Sie blickte dann allemal weg, weil ihr das Herz weh that.
»Warum bist du immer so besorgt für mich?« fragte er einmal und hielt die Hand fest, die ihm soeben ein Glas Wasser gereicht hatte. Sie senkte errötend den Kopf.
»Ich thue ja gar nichts Besonderes –« stammelte sie.
»Du thust mir wohl. Ich danke dir, Herzenskind du –«
Rottraut schlüpfte hinaus, sobald sie konnte. Im hintersten Winkel des Gartens hockte sie nieder und weinte bitterlich.
Die Erkenntnis, gegen die sie sich gesträubt hatte, Wochen und Monate hindurch, war nun doch über sie gekommen. Sie wußte, daß er unglücklich war.
Wenn sie nur erst wußte, weshalb und wodurch?
Eigentlich wußte sie auch das; ihr Gefühl sagte es ihr, aber sie wollte es nicht glauben. Gefühle täuschen.
Harry hatte sich eine kleine Erkältung zugezogen. Julia schob es natürlich auf die unvernünftigen Abendspaziergänge und erklärte, daß es nun vorläufig damit ein Ende haben müsse. Björn sprach mit keinem Wort dagegen. Er küßte das Kind, das kaum die Thränen über das Verbot zurückdrängen konnte, zärtlich auf Stirn und Augen und ging hinaus. Schon in der Thür, grüßte und winkte er noch einmal liebevoll zurück.
Rottraut schwoll das Herz bis in die Kehle. Sie war empört über die Frau, die beständig verwöhnt und auf Händen getragen werden wollte, und all die ihr entgegengebrachte himmlische Güte durch nichts vergalt, als durch gelegentliche launenhafte Zärtlichkeitsausbrüche.
»Da Harry jetzt nicht mit seinem Vater spazieren gehen soll,« sagte sie mit mühsam beherrschter Erregung, »so werde ich Björn begleiten, bis der Junge wieder gesund ist.«
»So –« meinte Julia gedehnt. »Du weißt ja gar nicht, ob er dich mitnehmen will!«
»Ich werde ihn fragen.«
»Und deine Arbeiten?« fragte Julia spitz.
»O – abends bin ich damit noch immer fertig gewesen. Außerdem wäre es Grund genug, meine Tageseinteilung zu ändern.«
»Du wirst ja sehr eigenmächtig!« höhnte Julia.
»Aber liebste Julia,« sagte Rottraut einlenkend, »ich kann doch über meine Zeit verfügen – ich bin doch kein Dienstbote! Du kannst sicher sein, daß ich keine meiner freiwillig übernommenen Pflichten vernachlässigen werde. Das heißt – wenn Björn etwas von mir verlangen würde, so würde es mich stets meine oberste Pflicht dünken, seinem Verlangen nachzukommen.«
»Ich weiß gar nicht, warum du dich so ereiferst,« sagte Julia. Rottraut begann zu fürchten, daß sie zu weit gegangen sei, und that sich Gewalt an.
»Ich weiß es eigentlich auch nicht –« sie lachte etwas gezwungen. »Also nicht wahr, du bist einverstanden, daß ich mitgehe, und beurlaubst mich?« setzte sie freundlich bittend hinzu.
»Ja – meinetwegen – geht nur –« seufzte Julia; und dann fuhr sie verstimmt fort: »Ich weiß nicht – früher ist doch Björn immer allein gegangen!«
»Ja, früher – das war auch anders,« sagte Rottraut in harmlosem Eifer. »Harry war da noch zu klein, und ich war nicht da. Wenn man etwas nicht haben kann, so denkt man nicht daran und kommt gar nicht erst so weit, es zu vermissen. Wenn man es aber gehabt hat oder haben könnte, dann empfindet man den Mangel um so schmerzlicher!«
›Von mir spricht sie schon gar nicht mehr,‹ dachte Julia. ›Warum sollte sie auch? Ich bin ihm nichts – wie sollte er mich vermissen –‹
Sie war unlogisch und ungerecht, wie immer, wenn sie ärgerlich war.
Rottraut ging indessen hinaus, Björn zu suchen. Sie freute sich ordentlich in dem Gedanken, ihm eine Freude zu machen, indem sie ihm ihre Begleitung anbot.
In seiner Stube war er nicht zu finden; auch nicht auf dem Hofe. Ein Knecht hatte ihn in den Garten gehen sehen.
Sie durchsuchte im Laufschritt den ganzen Garten. Rufen mochte sie nicht. Beinahe schon hatte sie die Hoffnung aufgegeben, ihn zu finden – da sah sie ihn sitzen, auf einer einsamen Bank an der Hecke, hinter welcher das Wasser plätscherte. Er kehrte ihr den Rücken zu, hatte die Stirn in die Hände gestützt und rührte sich nicht.
Rottraut überlegte, ob sie auf ihn zugehen oder lieber wieder umkehren solle. Dann beschloß sie das erstere zu thun.
Er war wohl tief in Gedanken, und sie hatte einen leichten Schritt. Er hörte sie nicht. Als sie nahe herangekommen war, trat sie fester auf, und als auch das nicht half, räusperte sie sich. Da richtete er sich auf und sah sich um.
Wie kummervoll sah er aus! Und es war ihm sichtlich unangenehm, daß sie ihn hier aufsuchte.
»Was willst du denn, Kind? Oder bist du zufällig hier?«
»Ich lief dir nach,« sagte sie und stützte sich leicht auf die Lehne in seinem Rücken. »Ich wollte dich fragen – da der Junge nicht mitgehen darf – ob du mich mitnehmen willst?« Es klang unsicher, beinahe ängstlich. Er sah lange auf seine zwischen den Knien gefalteten Hände nieder.
»Hat es Julia erlaubt?« fragte er dann.
»Ja.«
»Aber am Ende that sie es nur aus Rücksicht und freut sich doppelt, wenn du trotzdem bei ihr bleibst!« Er sah nicht auf. Rottraut fühlte sich enttäuscht.
»Ich sehe aber doch nicht ein –« meinte sie – »Julia hat immer Gesellschaft, und du bist immer allein!«
Er sah noch immer nicht auf. Es war so still – er konnte ganz genau des Mädchens leisen, schnellen Atem hören. Und dann fühlte er einen ganz leichten Druck auf seiner Schulter.
»Björn,« sagte eine zitternde Stimme, »hast du Sorgen?«
Er zuckte zusammen. Der Druck auf seiner Schulter hörte auf; Rottraut hatte im ersten Schreck über die unbedacht entschlüpften Worte ihre Hand wieder zurückgezogen.
»Wie kommst du darauf, Traute?« fragte er und sah sie groß an. Sie begann, sich zu fürchten.
»Weil du so traurige Augen machst – und so gedrückt bist – trotz aller Verstellungskunst –«
»Woher weißt du denn, daß ich mich verstelle?«
»Aber Björn –« sie sah ihn hilflos an. »Das merkt man doch, wenn man jemanden kennt!« schloß sie mutig.
»So? – Hat Julia es auch gemerkt?«
»Nein,« sagte sie und schämte sich in Julias Seele. Björn hüllte sich wieder in Schweigen.
»Ich dachte auch,« fuhr Rottraut fort, indem sie sich krampfhaft an der hölzernen Lehne festklammerte, »weil du damals das mit dem großen Verbrauch im Haushalt so ernst nahmst – man fängt ja oft erst an zu sparen, wenn es zu spät ist –«
»Und da hast du gemeint, ich hätte Geldsorgen?«
»Sei nicht böse, Björn –« Er sah nicht im mindesten böse aus; er lächelte sogar ganz glücklich.
»So – also darum hast du gearbeitet und dich geplagt von früh bis spät?«
»Nein, darum nicht,« fiel sie hastig ein. »Damals dachte ich an all das noch gar nicht. Ich arbeitete, weil ich gern thätig bin – und für euch noch ganz besonders gern.«
Björn sah sie immer noch an mit diesem ganz merkwürdigen Lächeln, aus dem sie nichts zu machen wußte. Endlich sagte er:
»Komm, setz dich zu mir, Traute.«
Sie nahm neben ihm Platz, aber sie fühlte sich unsicher und beklommen. Er faßte eine ihrer Hände und streichelte sie mechanisch.
»Wie braungebrannt sie ist –« bemerkte er so nebenbei. Sie kämpfte mit den Thränen und mit einer qualvollen Verlegenheit. Sie glaubte indiskret gewesen zu sein, und das war ihr schrecklich. Björn fühlte, was in ihr vorging.
»Du mußt dir nicht solche Gedanken machen, mein Herzenskind,« sagte er. »Sieh mal, es kommt wohl für jeden Menschen ab und zu eine Zeit, wo etwas ihn drückt, wo er etwas mit sich abzumachen hat. Solche Zeiten sind notwendig und gut. Aber es giebt Dinge, die muß man ganz allein ausfechten. Niemand kann dabei helfen; man kann zu niemand davon sprechen. Dafür hat man den lieben Gott, das Gewissen und den freien Willen. Es ist schon eine große Wohlthat und Erleichterung, in solchen Zeiten ein Wesen um sich zu haben, das zart und schonend mit einem umgeht. Verständnisvoll, obwohl es ahnungslos ist. Und wenn du mir diese Wohlthat gewähren willst, Traute, dann sei weiter so zu mir, wie du bis jetzt warst – und frage weiter nicht. Willst du?«
Sie nickte heftig, und dabei fiel eine Thräne auf ihre ineinandergelegten Hände.
»Aber Traute – meine liebe Traute –« rief er erschrocken.
»Laß nur –« wehrte sie verzweifelt. – »Ich glaube, ich bin etwas nervös heute. Ein Spaziergang wird mir gut thun. Nimmst du mich mit?« Sie war aufgesprungen und stand fragend vor ihm.
»Gewiß!« rief er und erhob sich gleichfalls. »Aber dann wollen wir gleich gehen. Und nun will ich dir etwas sagen,« fuhr er lebhafter fort, »seit einigen Tagen steht ein Rehbock auf meinem Revier – unten in den Moorwiesen – ein Ereignis in dieser waldarmen Gegend; wahrscheinlich ein Überläufer von den Woyenser Höhen. Den wollen wir anpürschen. Das Wetter ist günstig. Ich hole mir schnell die Büchse –«
Über dem Moor lag die ganze, schwere Melancholie des Sommerabends. An den trocknern, inselartig aus dem binsendurchwucherten Torfsumpf sich abhebenden Stellen stand das Heidekraut in Blüte. Die Strahlen der Abendsonne vergoldeten die bräunlichen Spitzen und durchglühten die winzigen, rötlichen Blütenglöckchen, über denen trunkene Schmetterlinge schwerfällig flatterten. Nur der klagende Schrei des Brachvogels klang durch die Totenstille.
Die beiden, die rüstig durch den müden Abend schritten, empfanden lebhaft den poesievollen Zauber der Stunde und kämpften vergebens gegen die große Schwermut an, die mit tragischem Flügelschlag unsichtbar darüber schwebte. Sie waren still geworden; das wohlthuende Schweigen zweier Menschen, die einander auch ohne Worte verstehen und einander oft durch Schweigen mehr Verständnis beweisen, als durch Sprechen.
Plötzlich ergriff Björn Rottrauts Arm und nötigte sie, still zu stehen.
»Sieh hin – da steht er!«
Weiterhin, in den Wiesen, am Rande einer stillen, schwarzen Wasserlache stand der Bock und tränkte. Dann hob er den schlanken Hals und äugte umher.
»Wie schön er aufgesetzt hat!« lobte Björn. Rottraut rührte sich nicht. Das Tier schien nichts gefunden zu haben, was es beunruhigte, ging ein paar Schritt tiefer in die Wiese hinein und äste sorglos weiter.
»Komm,« sagte Björn. »Wir schleichen nun hinter dem Gestrüpp und Röhricht entlang auf die Jenseite – ich weiß, wo er seinen Wechsel hat. Irgendwo da herum liegt im Gebüsch ein gestürzter Weidenstamm – das giebt einen guten Beobachtungsposten. Geh aber recht vorsichtig – tritt nicht auf trocknes Reisig, sonst verrät uns das Knacken.«
Behutsam ging sie hinter ihm her, immer in seine Fußstapfen tretend; sie schwebte fast. Einmal sah er sich um, weil er sich überzeugen wollte, ob sie ihm überhaupt gefolgt sei. Sie waren noch schweigsamer als im Anfang.
Immer das arglos äsende Wild im Auge behaltend, gewannen sie den von Björn bezeichneten Platz. Auf dem bemoosten Stamm, der wuchtig und schwer im wuchernden Grase lag, wuchs allerlei kleines Unkraut mit unscheinbaren Blütchen. Das Gezweig der Büsche wölbte sich darüber zu einer engen Laube. Rottraut setzte sich. Björn blieb neben ihr stehen und lehnte die geladene Büchse vorsichtig gegen das Geäst. Dann sah er schweigend lange auf das Mädchen nieder, das mit großen Augen durch das feine Blattwerk hinausspähte. Sie hatte den Hut auf die Knie gelegt und das schmale Köpfchen lauschend nach vorn geneigt. Björns Gesicht wurde immer weicher und wehmütiger, je völliger er sich in ihren Anblick versenkte.
»Glaubst du wirklich, daß er hier vorüberkommt?« fragte sie plötzlich mit gedämpfter Stimme. Er hatte eben noch Zeit, fortzusehen, bevor sie zweifelnd zu ihm aufblickte.
»Ja, ich glaube es. Er wird hier herum Deckung suchen. Jedenfalls ist hier der einzige Ort, wo wir ihm auflauern können. Aber es kann freilich noch eine Weile dauern. Wirst du auch nicht die Geduld verlieren?«
»O nein – ich könnt' hier noch stundenlang sitzen –«
Ihre Zweifel und Sorgen waren zerstreut. Sie fühlte sich zufrieden und glücklich. Es war immer ein unendliches, wohlthuendes Behagen, solch eine zufriedene Stille in ihr, wenn sie bei Björn war. Das lag an dem Einfluß seines ernsten, gesammelten Wesens; weil sie ihm so unbedingt vertraute und weil sie ihn so herzlich lieb hatte, mit einer Liebe, die manchmal ordentlich weh that, wenn sie dachte, daß er nicht glücklich sei. – Jetzt, in dieser vergoldeten und verklärten Abendstunde dachte sie nicht mehr daran. Sie schien im Gegenteil frohe und glückliche Gedanken zu haben, denn es lag ein sonniger Ausdruck über ihrem Antlitz.
»Kann ich dir etwas erzählen,« fragte sie nach einem langen Schweigen, »oder meinst du, daß es ihn stört?«
»Erzähle nur – du kannst ja ein wenig leise sprechen.«
Da fing sie an zu plaudern, im Flüsterton, in ihrer vertraulichen, offenen Art. Erst von allerlei kleinen wirtschaftlichen Sorgen und Nöten, die sich viel besser als mit Julia mit ihm besprechen und erledigen ließen. Dann von Harry, von allerhand kleinen Witzen und Streichen, die er losgelassen hatte. Dabei lachte sie ganz leise, als wenn ein Vögelchen zwitschert. Und endlich von allerlei Gedanken und Betrachtungen, die sie in ihrem rastlosen jungen Geist bewegt hatte.
Da Björn Mühe hatte, ihre gedämpfte Sprache zu verstehen, setzte er sich neben sie. Und während er seine Aufmerksamkeit dem Wild zuzuwenden schien, verlor er doch kein Wort von dem, was sie sagte, und hatte eine wohlthuende Freude daran, auf ihre Erzählungen und Gedanken einzugehen und dafür seinerseits Ansichten und Meinungen vor ihr auszukramen.
»Ach, Björn,« sagte sie aufatmend, »du glaubst gar nicht, wie ich es liebe, so mit dir zu plaudern. Ebenso machte ich es früher mit Mutter. Ich habe damals geglaubt, niemals wieder würde ich einen Menschen finden, der mich so geduldig anhört und so gut versteht, wie sie es that. Aber du verstehst mich fast noch besser. Es bringt mir etwas von dem stillen, unberührten Glück jener Zeit wieder, wenn wir so miteinander reden –«
»Trauerst du denn immer noch so sehr um jene Zeit?«
»In gewissem Sinne werde ich nie aufhören, darum zu trauern, weil ich nie aufhören werde, Mutter zu lieben. Andrerseits habe ich nicht für möglich gehalten, daß ich mich so schnell in das veränderte Leben finden, daß ich so zufrieden darin sein könnte. Das liegt auch in der Hauptsache an dir, Björn, ich kann es ja getrost aussprechen. Ohne dich hätte ich mich doch wohl dauernd etwas vereinsamt gefühlt. – Schade, daß unsre schönen Spaziergänge jetzt so selten geworden sind!«
Er wandte sich nach ihr um und sah sie scharf an.
»Ja – warum sind sie denn so selten geworden?« fragte er und bereute die Frage in demselben Augenblick.
Rottraut aber schien sie gar nicht gehört zu haben. Sie bog plötzlich den Oberkörper vor und spähte durch das Gezweig hinaus; dabei legte sie unwillkürlich ihre Hand auf seinen Arm, als wolle sie ihn vor jeder unvorsichtigen Bewegung hüten.
»St! Da ist er!«
Björn sah hin – wirklich, er hätte es beinahe verpaßt. Dreißig Schritt vor ihnen stand der Bock und kam langsam, ruhig weiter äsend, immer näher. Dann mußte er irgend etwas gehört haben – er stutzte, hob den Kopf und äugte regungslos nach dem Busch hinüber, in dem Björn und Rottraut verborgen saßen.
Björn machte sich schußfertig. Rottraut wagte kaum zu atmen.
Drüben ging die Sonne unter in einem von Staub und Hitze erzeugten, rötlichen Nebel. Ein trüber Dunst hüllte den Horizont ein. Die Luft war beklemmend still. In den Moorlachen schrien die Unken mit ihren kläglich heulenden Stimmchen.
Rottraut stieß einen kurzen Seufzer aus – ihr Herz klopfte so sehr in Erwartung des Schusses. Langsam sah sie sich nach Björn um. Er stand dicht neben ihr, hatte die Büchse an der Schulter und hielt sein Opfer fest ins Auge gefaßt. Wie unerbittlich scharf und fest konnte dieses schöne, warme Auge blicken! Wie war es überhaupt möglich, daß dieselben Hände, die sonst nur liebkosten und wohlthaten, sich nun erhoben, um ein unschuldiges Geschöpf zu töten!
Sie schalt sich sentimental, und doch lief ihr ein kleiner Schauder den Rücken herunter.
In demselben Augenblick setzte Björn das Gewehr wieder ab.
»Er steht zu spitz von vorn. Ich muß warten, bis er sich wendet. – Was hast du denn?« unterbrach er sich, ihr Zusammenschauern bemerkend. Sie schämte sich ihrer Thorheit.
»Ich weiß nicht – mich fröstelt ein wenig –«
»Bei der Wärme? Hast du dich etwa erkältet? Du bist ja ganz blaß!« Er sah sie besorgt und liebevoll an.
»Du hast wohl wieder zu viel gewirtschaftet,« fuhr er, immer im vorsichtigen Flüsterton, fort, »und bist übermüdet. Setz dich wieder hin – so – mein Liebling.« Er strich mit der Hand über ihr lockeres Haar. Die Hand war schwer und zitterte.
»Jetzt – Björn – sieh.« Mit ausgestrecktem Finger zeigte sie nach vorn. Der Bock hatte sich gewendet und zeigte dem Schützen die ganze schlanke Breitseite. Björn legte hastig an – es dauerte lange; sein Auge war trübe geworden und seine Hand unsicher. Aber nun – – Da machte das Tier wieder eine unerwartete Bewegung und äugte von neuem herüber. Der Busch da mußte ihn doch nicht ganz geheuer dünken.
Rottraut war aufgesprungen, und dabei hatte ihr Kleid geraschelt. Sie legte abermals ihre Hand auf seinen Arm – beinahe auf die Finger, die den Hahn spannten und nun unwillkürlich abließen.
»Schieß ihn nicht, Björn!« sagte sie mit erstickter Stimme. »Heute nicht! Jetzt nicht! Bitte, bitte!«
Er sah sich erstaunt um. Ihre Augen ruhten ineinander; die ihren mit einem ängstlichen, für die eigne Thorheit um Nachsicht flehenden – die seinen mit einem gerührten, nachdenklichen, sehr ernsten Ausdruck. Dann setzte er die Büchse ab und entlud sie.
»Nein, du hast ganz recht. Es wäre schade um den Frieden dieser Stunde.«
Bei dem kräftigen Aufsetzen der Büchse auf den unebenen Boden knackte ein Zweig. Der Bock schreckte und ging in langen Sprüngen ab. Nun that es Rottraut doch leid.
»Es war doch wohl recht kindisch von mir, Björn,« meinte sie schüchtern. Er steckte die Patrone in die Tasche und sah sie nicht an.
»Einem lieben Kinde einen Wunsch zu erfüllen oder seiner Stimmung Rechnung zu tragen, ist für einen Mann eine ganz besondere Art von Freude.«
»Ja – aber vielleicht ist er nun ein- für allemal auf und davon!«
»Nun, das wäre auch nicht das Schlimmste.« Er hängte die Büchse über die Schulter und bog vor ihr das Gestrüpp auseinander, daß sie unbehindert durch das Dickicht hinausschlüpfen konnte.
Schweigsam traten sie den Heimweg an. Sie konnte sich des bedrückenden Gefühls nicht erwehren, ihn durch eine sentimentale Laune um ein Vergnügen gebracht zu haben. Björn fing nach einiger Zeit eine harmlose, fröhliche Unterhaltung an; aber es dauerte lange, bis sie an die Echtheit dieses zur Schau getragenen Frohsinns glaubte.
›Was werden wir Julia sagen?‹ dachte sie zwischendurch. Aber ein unbekanntes Gefühl hinderte sie, die Frage laut werden zu lassen.
Julia empfing die Heimkehrenden nicht allzu freundlich. Man hatte sie warten lassen, und das konnte sie nicht vertragen.
»Nun – und der Bock?« fragte sie mit höhnendem Anflug im Ton.
»Ich bin nicht zu Schuß gekommen,« sagte Björn ruhig und lehnte die Büchse an die Wand.
Julia warf dem Mädchen, das ihr den Rücken drehte und geschäftig am Speiseschrank herumhantierte, einen mißtrauenden Blick zu, in dem nichts Gutes geschrieben stand.