Jonathan Swift
Die Bücherschlacht
Jonathan Swift

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Ein ausführlicher und wahrhaftiger Bericht usw.

Wer mit der nötigen Umsicht die ›jährlichen Zeitberichte‹ durchsieht, wird angemerkt finden, dass der Krieg das Kind des Stolzes, der Stolz aber der Sohn des Reichtums sei. Die erste Behauptung wird man ohne weiteres anerkennen, aber die zweite kann man nicht so leicht unterschreiben, denn der Stolz ist durch seinen Vater oder seine Mutter und bisweilen durch beide eng mit dem Bettelstab und dem Mangel verwandt; und um ohne Umschreibung zu reden, so zeigt er sich selten unter den Menschen, wenn alle genug haben, denn Angriffe wandern in der Regel von Norden nach Süden, das heisst, von der Armut zur Fülle. Die ältesten und natürlichsten Anlässe aller Streitigkeiten sind Wollust und Habgier; und obgleich wir beide als Schwestern oder als Seitenverwandte des Stolzes anerkennen können, so sind sie sicherlich doch Nachkommen des Mangels. Um in der Sprache politischer Schriftsteller zu reden, so können wir in der Republik der Hunde (als welche ihrem Ursprung nach eine Einrichtung der Masse zu sein scheint) beobachten, dass der ganze Staat nach einer reichlichen Mahlzeit stets im tiefsten Frieden lebt, und dass sich Bürgerkriege zwischen ihnen nur dann erheben, wenn ein einziger, grosser Knochen von irgendeinem führenden Hund aufgeschnappt wird, der ihn entweder unter die wenigen verteilt, was auf eine Oligarchie hinausläuft, oder für sich behält, was sich zur Tyrannei versteigt. Derselbe Gedankengang bleibt unter ihnen auch bei jenen Streitigkeiten stichhaltig, die wir erleben, wenn eins ihrer Weibchen anschwillt. Denn da das Besitzrecht allgemein ist (in so heiklen Fragen ist es unmöglich, Eigentumsrechte festzustellen), so ist die Eifersucht und der Argwohn so allgemein verbreitet, dass der ganze Staat einer Strasse klärlich in Kriegszustand gerät: Jeder Bürger kämpft wider jeden Bürger, bis irgendeiner, der mehr Mut, mehr Sicherheit oder mehr Glück hat als die andern, die Beute packt und geniesst, worauf sich natürlich viel Ingrimm, Neid und Knurren wider den glücklichen Hund erhebt. Und wenn wir dann einen jener Staaten betrachten, die in der Fremde in einen Angriffs- oder Verteidigungskrieg verwickelt sind, so werden wir sehn, dass auch in bezug auf die Gründe und Anlässe dieselben Gedanken ihre Gültigkeit behalten, und dass die Armut oder der Mangel in irgendeinem Grade (und es macht dabei keinen Unterschied, ob sie wirklich sind oder eingebildet) auf der Seite des Angreifers ebenso stark beteiligt ist wie der Stolz.

Wer nun geruht, dieses System zu nehmen und es entweder auf einen intellektuellen Staat oder auf die Gelehrtenrepublik anzuwenden oder anzupassen, der wird bald erkennen, welches der erste Anlass des Streites zwischen den beiden grossen Parteien war, die jetzt unter Waffen stehn; und er kann richtige Schlüsse auf die Verdienste der beiden Sachen ziehn. Aber der Ausgang dieses Krieges lässt sich nicht so leicht erraten; denn der Zank ist durch die heissen Köpfe beider Parteien so hitzig und die Ansprüche sind irgendwie so ungeheuerlich geworden, dass an die geringsten Vergleichsverhandlungen nicht zu denken ist. Der Streit begann zuerst (wie ich von einem alten Bewohner der Gegend gehört habe) um einen kleinen Fleck Bodens, der auf einem der beiden Gipfel des Hügels Parnassus liegt. Der höhere und breitere dieser beiden Gipfel war, so scheint es, seit unvordenklichen Zeiten im ruhigen Besitz gewisser Pächter gewesen, die man die Alten nennt; den andern hielten die Modernen besetzt. Da aber diesen ihre gegenwärtige Stellung nicht gefiel, so schickten sie gewisse Gesandte zu den Alten und führten über einen grossen Missstand Klage; darüber nämlich, dass die Höhe jenes Gipfels des Parnassus die Aussicht des ihren, zumal nach Osten hin, völlig verdürbe; und um daher einen Krieg zu vermeiden, stellten sie sie vor eine Alternative. Entweder sollten die Alten mit ihrem Gerät auf den niedrigeren Gipfel umziehn, den die Modernen ihnen huldvoll überlassen wollten, um an ihre Stelle hinaufzurücken; oder die Alten sollten den Modernen erlauben, mit Schaufeln und Hacken zu kommen und besagten Gipfel so weit abzutragen, wie es ihnen gut dünken würde. Die Alten erwiderten, sie hätten eine solche Botschaft wenig erwartet, zumal von einer Kolonie, die sie aus freiem Antrieb so dicht in ihrer Nähe aufgenommen hätten. Was ihren eigenen Wohnsitz angehe, so seien sie dort als Ureinwohner ansässig, und demnach sei es eine Sprache, die sie nicht verständen, wenn man ihnen einen Umzug oder eine Preisgabe zumutete. Wenn die Höhe ihres Gipfels die Aussicht der Modernen hemmte, so sei das ein Nachteil, dem sie nicht abhelfen könnten; aber sie möchten doch bedenken, ob dieser Nachteil, wenn es einer sei, nicht reichlich wieder dadurch aufgewogen würde, dass ihr Gipfel ihnen Schatten und Windschutz gewähre. Ein Abtragen oder Abgraben könne nur Wahnsinn oder Unwissenheit vorschlagen, denn sie wüssten oder wüssten es eben nicht, dass jene Seite des Berges aus einem einzigen Felsen bestände, der ihnen, ohne selber Schaden zu nehmen, die Werkzeuge und die Herzen zerbrechen würde. Sie würden also den Modernen eher raten, ihren eigenen Gipfel zu erhöhen, statt daran zu denken, den der Alten einzureissen; jenes würden sie nicht nur erlauben, sondern sie würden sogar in grossem Umfange dabei mithelfen. All das wurde von den Modernen in heller Entrüstung abgewiesen, und sie bestanden immer noch auf einem der beiden Auswege. Und so entwickelte sich diese Streitfrage zu einem langen und hartnäckigen Kriege, der auf der einen Seite durch Entschlossenheit und durch den Mut gewisser Führer und Verbündeter, auf der andern aber durch die ungeheure Überzahl, die bei jeder Niederlage beständigen Nachschub lieferte, ausgehalten wurde. In diesem Streit sind ganze Ströme von Tinte erschöpft worden, und der Ingrimm beider Parteien steigerte sich ungeheuer. Nun muss man hier wohl verstehn, dass die Tinte das grosse Wurfgeschoss in allen Schlachten der Gelehrten ist; es wird mit einer gewissen Kriegsmaschine, die man einen Kiel nennt, geschleudert; von diesen schiessen die Helden der beiden Seiten mit gleicher Geschicklichkeit und Gewalt, als wäre es ein Kampf von Stachelschweinen, unendliche Mengen wider den Feind. Die boshafte Flüssigkeit wurde von dem Ingenieur, der sie erfand, durch Mischung zweier Stoffe, nämlich der Galle und des Vitriols, hergestellt; durch ihre Bitterkeit und ihr Gift passte sie bis zu einem gewissen Grade zum Genius der Kämpfer, den sie zugleich in Aufruhr erhielt. Und wie die Griechen nach einem Kampf, wenn sie sich über den Sieg nicht einigen konnten, auf beiden Seiten Trophäen zu errichten pflegten – die geschlagene Seite nahm die gleichen Kosten auf sich, um sich bei Stimmung zu erhalten (eine löbliche und alte Sitte, die jüngst in der Kriegskunst ihre Auferstehung feierte) –, so hängen auch die Gelehrten nach einem scharfen und blutigen Disput auf beiden Seiten ihre Trophäen auf, welche auch unterlegen sein mag. Diese Trophäen tragen eine ausführliche Inschrift über die Verdienste der Sache, einen vollen unparteiischen Bericht über eine solche Schlacht, und sie erklären, dass der Sieg handgreiflich der Seite zugefallen sei, die diese Trophäe errichtet habe. Sie sind der Welt unter vielerlei Namen bekannt, als da sind: Erörterung, Argumente, Entgegnung, Kurze Erwägung, Antwort, Erwiderung, Anmerkung, Reflektionen, Einwände und Widerlegung. Ein paar Tage lang werden sie entweder selbst oder ihre VertreterTitelblätter oder Plakate; ›Aushängebogen‹. an allen öffentlichen Orten aufgepflanzt, damit die Vorübergehenden sie anstarren; von dort werden die wichtigsten und grössten in gewisse Magazine gebracht, die man Bibliotheken nennt, und in denen sie in einem ihnen eigens angewiesenen Viertel bleiben, um hinfort den allgemeinen Namen ›Polemika‹ zu führen.

In diese Bücher wird der Geist eines jeden Kriegers eingeträufelt, um dort konserviert zu werden, solange er lebt; nach seinem Tode aber wandert seine Seele hinein, um sie zu beleben. Wenigstens ist dies der verbreitetste Glaube; ich aber denke, es geht mit den Bibliotheken wie mit andern Totenackern, wo, wie manche Philosophen versichern, ein gewisser Geist, den sie brutum hominis nennen, über dem Monument schwebt, bis die Leiche verwest ist und sich in Würmer oder Staub verwandelt; dann aber verschwindet er oder löst sich auf. So können wir auch sagen, über jedem Buche schwebe ein rastloser Geist, bis der Staub oder die Würmer es fressen, was manchen nach wenigen Tagen begegnet, andern aber erst später; und da nun vor allen andern die polemischen Bücher von den aufrührerischsten Geistern heimgesucht werden, so hat man sie stets von den andern getrennt untergebracht; und aus Furcht, sie möchten Gewalttaten aneinander begehen, hielten unsre Vorfahren es für geraten, sie mit starken Eisenketten zum Frieden zu zwingen. Zu dieser Erfindung gab den ersten Anlass folgendes Ereignis. Als die Werke des Scotus erschienen, brachte man sie in eine gewisse Bibliothek und wies ihnen eine Wohnung an; kaum aber hatte dieser Autor sich häuslich niedergelassen, so suchte er seinen Meister Aristoteles auf, und beide verabredeten sich, sich mit Gewalt Platos zu bemächtigen und ihn aus seiner alten Stellung unter den Gottesgelehrten, die er achthundert Jahre lang friedlich innegehabt hatte, zu vertreiben. Der Versuch war erfolgreich, und die beiden Usurpatoren haben seither an seiner Stelle geherrscht; um aber in Zukunft die Ruhe aufrechtzuerhalten, wurde bestimmt, dass alle Polemika grössern Formats mit einer Kette zu fesseln seien.

Durch dieses Auskunftsmittel wäre der öffentliche Friede der Bibliotheken sicherlich bewahrt geblieben, wenn nicht in den letzten Jahren eine neue Gattung polemischer Bücher aufgekommen wäre, die infolge des oben erwähnten Krieges zwischen den Gelehrten um den höhern Gipfel des Parnasses von einem boshafteren Geist belebt waren.

Als diese Bücher zuerst in die öffentlichen Bibliotheken aufgenommen wurden, sagte ich, wie ich mich entsinne, gelegentlich zu allerlei daran interessierten Leuten, ich sei sicher, das würde Zank im Gefolge haben, wohin sie auch kämen, wenn man nicht unendlich auf der Hut sei; und deshalb gab ich den Rat, die Vorkämpfer der beiden Seiten aneinander zu fesseln oder sie sonstwie zu mischen, damit ihre Bosheit wie bei der Vermischung entgegengesetzter Gifte, nur unter ihnen selber wirkte. Und es scheint, ich erwies mich da weder als schlechter Prophet noch als übler Ratgeber; denn nur die Missachtung solcher Vorsichtsmassregeln hatte den furchtbaren Kampf zur Folge, der am letzten Freitag zwischen den alten und den modernen Büchern der königlichen Bibliothek ausbrach. Da nun das Gerede über diese Schlacht noch so frisch in jedermanns Munde, und die Ungeduld der Stadt, über die Einzelheiten aufgeklärt zu werden, so gross ist, so habe ich, der ich jede Befähigung besitze, die von einem Historiker verlangt wird und den keine Parteigesichtspunkte zurückhalten, mich entschlossen, dem angelegentlichen Drängen meiner Freunde nachzugeben und einen ausführlichen, unparteiischen Bericht über diese Schlacht zu schreiben.

Der Kustode der königlichen Bibliothek,Der berühmte Dr. Bentley, der Begründer der kritischen Methode in der Philologie, wie denn rein sachlich Swift hier mit seiner Parteinahme für Sir William Temple entschieden im Unrecht ist; die Phalarisbriefe, die Sir William so glühend verteidigte, waren und bleiben eine Fälschung; Bentleys Werk über sie bildet einen Wendepunkt in der Philologie; aber das tut den Verdiensten Swifts in diesem Streit, die auf einem andern Gebiet liegen, nicht den geringsten Abbruch. ein Mann von grosser Tapferkeit, der jedoch vor allem berühmt ist wegen seiner Menschlichkeit, war als wilder Vorkämpfer der Modernen aufgetreten; und in einem Gefecht auf dem Parnass hatte er gelobt, mit seinen eigenen Händen zwei der alten HeerführerEben Phalaris und Aesop. niederzuschlagen, die auf dem oberen Felsen einen kleinen Pass bewachten; aber als er hinaufzuklettern versuchte, hinderten ihn in grausamer Weise sein eignes, unseliges Gewicht und sein Streben nach seinem eigenen Mittelpunkt: eine Eigenschaft, zu der die Anhänger der modernen Partei ausserordentlich stark neigen; denn da sie leichtköpfig sind, so haben sie in der Spekulation eine wundervolle Behendigkeit und meinen, nichts sei so hoch, dass sie es nicht erklettern könnten; aber wenn es an die Praxis geht, so entdecken sie einen gewaltigen Druck am Hintern und an den Fersen. Als ihm seine Absicht so misslungen war, hegte der enttäuschte Vorkämpfer einen grausamen Groll wider die Alten; und er beschloss, ihn zu befriedigen, indem er den Büchern ihrer Gegner alle Zeichen seiner Gunst verlieh und sie in den schönsten Gemächern unterbrachte; wenn aber irgend ein Buch sich vermass, sich offen als Fürsprecher der Alten auszugeben, so wurde es in einem dunklen Winkel lebendig begraben, und man drohte ihm, es bei der geringfügigsten Ursache zur Tür hinauszuwerfen. Ausserdem begab es sich, dass um diese Zeit eine seltsame Platzverwirrung unter all den Büchern der Bibliothek herrschte. Dafür wurden mehrere Gründe angeführt. Manche schoben es auf einen grossen Haufen gelehrten Staubes, den ein tückischer Wind von einem Brett moderner Autoren dem Kustoden in die Augen geweht hatte. Andre behaupteten, er habe den Hang, die Würmer aus den Scholastikern herauszulesen und sie frisch auf nüchternem Magen zu verschlucken; diese Würmer gerieten zum Teil in seine Milz; und andre kletterten in seinen Kopf empor, so dass beide grosse Störungen erlitten. Und schliesslich versicherten wieder andre, dadurch dass er so viel im Dunkeln durch die Bibliothek gegangen sei, habe er ihren Lageplan ganz aus dem Kopf verloren; wenn er also seine Bücher zurückstellte, irre er sich leicht und werfe Descartes zu Aristoteles; Plato war zwischen Hobbes und die sieben Weisen geraten, und Vergil wurde auf der einen Seite von Dryden eingesäumt, auf der andern von Withers.

Derweilen nun wählten jene Bücher, die die Fürsprecher der Modernen waren, eins aus ihrer Mitte aus, das eine Reise durch die ganze Bibliothek machen sollte, um die Anzahl und die Stärke ihrer Partei zu erforschen und ihre Angelegenheiten zu ordnen. Dieser Bote verrichtete alles sehr fleissig und brachte eine Liste ihrer Streitkräfte mit zurück, die sich auf fünfzigtausend Mann beliefen und hauptsächlich aus leichten Reitern, schwer bewaffneter Infanterie und Söldnern bestanden. Die Infanterie war im allgemeinen jämmerlich schlecht bewaffnet und noch schlechter gekleidet; ihre Pferde waren gross, aber in sehr schlechter Verfassung, und nur einige, die unter den Alten Handel getrieben hatten, waren einigermassen versehen.

Als die Dinge in dieser Gärung waren, wuchs die Zwietracht hoch empor; auf beiden Seiten fielen heisse Worte, und es entstand viel böses Blut. Hier erbot sich ein einsamer Alter, der in ein ganzes Bücherbrett voll Moderner eingepresst war, die Sache offen zu erörtern und durch klare Gründe zu beweisen, dass den Alten kraft des langen Besitzes das Prioritätsrecht gebühre; vor allem aber aus Rücksicht auf ihre Klugheit, ihr hohes Alter und nicht zum mindesten auf ihre grossen Verdienste um die Modernen. Die aber leugneten die Voraussetzungen und schienen sich sehr darüber zu wundern, dass die Alten sich so anmassend auf ihr Alter beriefen, während es doch ganz klar sei (wenn man schon einmal davon rede), dass die Modernen von ihnen beiden bei weitem die älteren wären. Was ihre Verpflichtungen gegen die Alten anginge, so sagten sie sich von ihnen los. »Freilich,« sprachen sie, »hören wir, dass einige wenige aus unsrer Partei verworfen genug waren, ihren Unterhalt von Euch zu borgen; aber die andern, bei weitem die grössere Zahl (und besonders wir Franzosen und Engländer) haben sich keineswegs so weit herabgelassen, ein so niedriges Beispiel zu befolgen, ja bis auf diese Stunde sind kaum sechs Worte zwischen uns ausgetauscht worden. Denn unsre Gäule haben wir selbst gezüchtet, unsre Waffen selbst geschmiedet und unsre Kleider selber zugeschnitten und genäht.« Zufällig stand Plato auf dem nächsten Brett und als er die betrachtete, die da redeten, und erkannte, dass sie in der vor einer Weile erwähnten zerlumpten Verfassung waren: ihre Klepper dürr und verschlagen, ihre Waffen aus faulem Holz und darunter nichts als Fetzen – da lachte er laut auf und schwor in seiner lustigen Art: Bei Gott, er glaube es ihnen.

Nun waren die Modernen in ihren jüngsten Unterhandlungen nicht heimlich genug vorgegangen, um sie den Spähern des Feindes zu verbergen. Denn jene Fürsprecher, die den Zank begonnen hatten, indem sie den Streit um die Priorität aufbrachten, redeten so laut von einer Schlacht, zu der es kommen werde, dass Temple ihre Reden auffing und die Alten auf der Stelle warnte; und die zogen also ihre zerstreuten Truppen zusammen und beschlossen, in der Defensive zu bleiben; worauf von den Modernen mehrere zu ihrer Partei übergingen: unter ihnen auch Temple selber. Dieser Temple war, da er unter den Alten aufgewachsen war und viel unter ihnen verkehrt hatte, von allen Modernen ihr grösster Günstling, und er wurde zu ihrem grössten Vorkämpfer.

Vor dieser Entscheidung standen die Dinge, als etwas ganz Unerhörtes eintrat. Im höchsten Winkel eines hohen Fensters nämlich wohnte eine gewisse Spinne, die durch die Vernichtung einer unendlichen Anzahl von Fliegen zu bedeutender Grösse angeschwollen war; die Überreste der Beutetiere lagen, wie Menschenknochen vor der Höhle eines Riesen, vor den Toren ihres Palastes zerstreut. Die Zugänge ihres Schlosses waren durch Drehkreuze und Pallisaden verwahrt, sämtlich angelegt nach der modernen Art der Befestigung. Man durchschritt mehrere Höfe und kam dann ins Zentrum, wo man den Konstabler in seiner Behausung sitzen sah, die nach jedem Zugang hin ein Fenster und eine Tür besass, durch die man hinauskonnte, sooft die Verteidigung oder eine Raubgelegenheit es erforderte. In diesem Hause hatte die Spinne seit langem in Frieden und Überfluss gelebt, ohne dass von oben her Schwalben ihr Leben oder von unten her Besen ihren Palast bedrohten. Da aber gefiel es dem Zufall, eine wandernde Biene hierherzuführen, deren Neugier sich eine zerbrochene Scheibe im Fenster gezeigt hatte; und so flog sie herein; und nachdem sie eine Weile umhergebrummt war, setzte sie sich auf einen der äusserten Wälle des Schlosses der Spinne; und da dieser Wall dem Gewicht nicht gewachsen war, so sank er bis auf seine Fundamente zusammen. Dreimal versuchte die Biene, sich einen Durchgang zu erzwingen, und dreimal erbebte das ganze Zentrum. Als nun die Spinne drinnen die furchtbare Erschütterung spürte, nahm sie zunächst an, die Welt ginge unter oder Beelzebub sei mit all seinen Legionen gekommen, um den Tod vieler Tausender seiner Schutzbefohlenen zu rächen, die sein Feind erschlagen und verschlungen hatte. Schliesslich aber beschloss sie, tapfer hinauszueilen und ihrem Schicksal entgegenzugehn. Derweilen hatte die Biene sich aus ihren Schlingen gelöst, in einiger Entfernung Posto gefasst und säuberte nun ihre Flügel und befreite sie von den zerfetzten Resten des Spinnengewebes. Inzwischen hatte die Spinne sich hervorgewagt, und als sie die Breschen, die Ruinen und die Lücken in ihrer Festung sah, kam sie fast von Sinnen; sie raste und fluchte wie eine Verrückte und blähte sich auf, bis sie nahezu barst. Und als schliesslich ihr Blick auf die Biene fiel, zog sie einen klugen Schluss aus den Wirkungen auf die Ursache (denn sie kannten einander von Angesicht) und schrie: »Die Pest soll dich holen, du leichtfertige Tochter einer Hure. Hast du, zum Donnerwetter, die Verwüstung hier angerichtet? Konntest du nicht die Augen aufmachen und dich hängen lassen? Meinst du, ich hätte nichts andres zu tun (in Satans Namen), als hinter deinem Arsch herzuflicken und auszubessern?« »Sei friedlich, Freundin,« sagte die Biene, die sich jetzt geputzt hatte und daher zu Scherzen bereit war, »ich will dir meine Hand und mein Wort darauf geben, dass ich deinem Loch nicht wieder nahekommen will; ich war noch nie in einer so verdammten Klemme, seit ich lebe.« »Metze,« erwiderte die Spinne, »wenn ich nicht eine alte Familiensitte brechen müsste, nach der wir uns wider einen Feind nie aus dem Hause begeben dürfen, so würde ich kommen und dich bessere Manieren lehren.« »Bitte,« sagte die Biene, »gedulde dich; sonst vergeudest du deine Kräfte, und nach allem, was ich sehe, könntest du sie nötig haben, um dein Haus auszubessern.« »Du Halunkin,« rief die Spinne, »du solltest einer Person mehr Respekt bezeigen, dünkt mich, die alle Welt als dir so weit überlegen anerkennt!« »Auf mein Wort,« erwiderte die Biene, »der Vergleich wird einen lustigen Scherz abgeben, und du wirst mir einen Gefallen tun, wenn du mich die Gründe wissen lässt, die die Welt in einem so aussichtsreichen Streit geltend macht.« Da blähte die Spinne sich zum Umfang und in der Stellung einer Disputantin auf und begann die Beweisführung im echten Geist der Polemik, indem sie sich vornahm, von Herzen pöbelhaft und grimmig zu reden und ihre eignen Gründe durchzudrücken, ohne im geringsten der Antworten und Einwände der Opponentin zu achten; denn sie war in ihrem Geist vollauf entschlossen, sich nimmermehr überzeugen zu lassen.

»Um mich nicht,« sagte sie, »durch den Vergleich mit einer solchen Schurkin zu erniedrigen – was bist denn du, wenn nicht eine Vagabundin ohne Haus und Besitz und Erbe? Du hast nichts überkommen als ein paar Flügel und eine Brummpfeife. Du lebst von einem ewigen Diebstahl an der Natur; du spielst den Freibeuter auf den Feldern und in den Gärten; und wenn du nur stehlen kannst, so wirst du so gut eine Nessel berauben wie ein Veilchen. Ich dagegen bin ein Haustier, versehen mit einem angeborenen Besitz in meinem Bauch. Dieses grosse Schloss (um nur meine Fortschritte in der Mathematik zu zeigen) habe ich ganz mit meinen eignen Händen erbaut, und die Baumaterialien habe ich ganz aus meinem Leibe entnommen.«

»Es freut mich,« erwiderte die Biene, »dass du wenigstens zugibst, ich sei auf ehrliche Weise zu meinen Flügeln und meiner Stimme gekommen; denn dann, so scheint es, habe ich meine Flügel und meine Musik nur dem Himmel zu danken; und die Vorsehung hätte mir diese beiden Gaben nimmermehr verliehen, wenn sie sie nicht zu den edelsten Zwecken bestimmte. Freilich besuche ich alle Blumen und Blüten in Feld und Garten; aber was ich dort sammle, bereichert mich, ohne ihrer Schönheit, ihrem Wohlgeruch oder ihrem Geschmack zu schaden. Was nun dich und deine Gewandtheit in der Architektur und der Mathematik angeht, so habe ich wenig zu sagen; in deinem Bau da mag nach allem, was ich weiss, viel Mühe und Methode liegen; aber aus der für uns beide schmerzlichen Erfahrung erhellt, dass das Material nichts taugt, und ich hoffe, du wirst dich jetzt gewarnt sein lassen und Stoff und Dauer ebensosehr beachten wie Methode und Kunst. Du rühmst dich freilich, dass du keinem andern Geschöpf verpflichtet bist, sondern alles aus dir selbst herausziehst und spinnst; das heisst, wenn anders wir auf die Flüssigkeit in der Flasche aus dem einen Schluss ziehn dürfen, was ihr entfliesst, du trägst eine Menge von Schmutz und Gift in der Brust; und obwohl ich dir deinen angeborenen Vorrat an beiden keineswegs schmälern oder herabsetzen möchte, so denke ich mir doch, dass du immerhin für die Mehrung beider auch ein wenig fremder Hilfe verpflichtet bist. Dein eingeborener Anteil an Schmutz entbehrt nicht des Zuwachses durch den von unten aufgefegten Staub; und ein Insekt liefert dir das Gift, mit dem du ein andres vernichtest. So läuft also die Frage in Kürze darauf hinaus: Welches ist das edlere Wesen, jenes, das in träger Betrachtung eines Umkreises von vier Zoll, in übergrossem Hochmut, der sich aus sich selber nährt und immer neu erzeugt, alles rings in Exkremente und Gift verwandelt und nichts hervorbringt als Fliegenfallen und Spinngewebe; oder jenes, das durch einen Flug über die ganze Welt, nach langer Suche, vielem Mühen, kluger Auswahl und Beurteilung der Dinge Honig und Wachs nach Hause trägt.«

Der Streit wurde mit grossem Eifer, viel Geschrei und Hitze geführt, so dass die beiden Bücherparteien, die unten in Waffen standen, eine Weile schweigend verharrten und gespannt des Ausgangs warteten, der denn auch nicht lange unentschieden blieb. Denn da die Biene ob soviel Zeitverlustes ungeduldig wurde, flog sie, ohne eine Antwort abzuwarten, stracks zu einem Rosenbeet und liess die Spinne zurück, die wie ein Redner, in sich selbst zusammengerafft, gerade ausbrechen wollte.

Hier begab es sich nun, dass Aesop als erster das Schweigen brach. Er war jüngst von einem seltsamen Anfall der Menschlichkeit des Regenten sehr barbarisch behandelt worden; denn der hatte ihm das Titelblatt ausgerissen und die eine Hälfte seiner Blätter schmählich verunstaltet, um ihn dann auf einem Brett der Modernen anzuketten. Da er nun dort entdeckte, wie hoch der Streit wogen zu wollen schien, so versuchte er all seine Künste und verwandelte sich in tausend Formen. Und als er schliesslich die Gestalt eines Esels entlehnte, hielt der Regent ihn für einen Modernen, und auf diese Weise fand er Zeit und Gelegenheit, zu den Alten zu entfliehen, als eben die Spinne und die Biene ihren Streit begannen, dem er mit unendlichem Vergnügen lauschte; und als er beendigt war, schwor er mit seiner lautesten Stimme, er habe in seinem Leben noch keine zwei Fälle erlebt, die sich so ähnlich wären und sich so genau entsprächen, wie der am Fenster und der auf den Bücherbrettern. »Die Disputanten«, sagte er, »haben den Streit untereinander wundervoll geführt; sie haben alles in voller Kraft ausgeführt, was sich auf beiden Seiten sagen lässt, und sie haben alle Argumente pro und contra ausgeschöpft. Wir brauchen nur die Argumente der beiden auf den vorliegenden Fall zu übertragen und dann die Bemühungen und Früchte beider zu vergleichen und anzuwenden, wie die Biene sie so gelehrt abgeleitet hat, dann werden wir erkennen, dass sich die Schlussfolgerung auf die Modernen und uns klar und genau von selbst ergibt. Denn bitte, meine Herren, war je jemand so modern wie die Spinne in ihrem Gehabe, ihren Listen und Paradoxen? Sie redet in ihrem eignen und eurem, ihrer Brüder, Namen und rühmt sich gar laut ihres angeborenen Besitzes und grossen Genius; sie spinnt und speit alles aus sich selbst heraus und verschmäht es, irgendeine äussere Hilfe oder Verpflichtung anzuerkennen. Und ferner entfaltet sie ihr grosses Geschick in der Architektur und ihre Fortschritte in der Mathematik. Auf all das erwidert die Biene als ein Fürsprecher, den wir, die Alten, für uns in Anspruch nehmen: Wenn man auf den grossen Genius der Modernen und auf ihre Erfindungen nach dem schliessen darf, was sie hervorgebracht haben, so werdet ihr kaum noch die Stirn besitzen, euch ferner des einen wie der andern zu rühmen. Führt eure Entwürfe mit soviel Methode und Geschick durch, wie ihr wollt; wenn eure Stoffe nichts als Schmutz sind, den ihr aus euren eignen Eingeweiden (den Därmen moderner Gehirne) gesponnen habt, so wird der Bau schliesslich doch nur ein Spinnengewebe werden, dessen Dauer gleich der andrer Spinnengewebe nur dem Umstand zugeschrieben werden kann, dass es in einem Winkel vergessen oder missachtet oder verborgen ruht. Denn andres, was echt wäre und worauf die Modernen Anspruch erheben könnten, fällt mir nicht ein; es sei denn eine Fülle von Zank und Satire, die mit dem Gift der Spinne nach Stoff und Art viel gemein hat; und obwohl sie sie angeblich ganz aus sich selbst herausspeien, verbessern sie sie doch durch dieselben Künste, indem sie sich von den Insekten und dem Gewürm des Zeitalters nähren. Was uns, die Alten, angeht, so können wir uns wohl damit zufrieden geben, der Biene gleich ausser unsrer Stimme und unsern Flügeln nichts unser eigen zu nennen, das heisst, ausser unsern Flügen und unsrer Sprache. Was wir im übrigen erreicht haben, ist durch unendliche Mühe und vieles Suchen erreicht worden, als wir jeden Winkel der Natur durchflogen; der Unterschied ist der, dass wir unsre Körbe, statt mit Schmutz und Gift, lieber mit Honig und Wachs anfüllten und so die Menschen mit den zwei edelsten Dingen versehen, nämlich mit Süssigkeit und Licht.«

Der Aufruhr, der sich unter den Büchern erhob, als Aesop diese seine lange Rede schloss, lässt sich kaum vorstellen. Beide Seiten griffen den Wink auf, und ihre Feindseligkeit schwoll so plötzlich empor, dass sie beschlossen, zur Schlacht zu schreiten. Auf der Stelle zogen sich die beiden Hauptheere unter ihren verschiedenen Feldzeichen in die äussersten Winkel der Bibliothek zurück, um sich dort in Kabalen und Beratungen über die jetzt geschaffene Lage zu ergehen. Die Modernen traten in hitzige Debatten über die Wahl ihrer Führer ein; und nichts als die Furcht vor dem drohenden Feind vermochte sie bei dieser Gelegenheit vor Meuterei zu bewahren. Am grössten war das Gezänk unter der Reiterei, bei der jeder Gemeine Anspruch auf den Oberbefehl erhob, von Tasso und Milton an bis zu Dryden und Withers hin. Die leichten Reiter erhielten Cowley und DespreauxDespreaux = Boileau. zu Führern; dann folgten die Bogenschützen unter ihren tapfern Hauptleuten Descartes, Gassendi und Hobbes; und ihre Kraft war so gross, dass sie ihre Pfeile über die Atmosphäre hinaus schiessen konnten, so dass sie nie wieder herunterfielen, sondern sich gleich dem des Evander in Meteore oder gleich der Kanonenkugel in Sterne verwandelten. Paracelsus führte von den schneeigen Bergen Rhätiens ein Fähnlein Stinktopfschleuderer herab. Und es kam auch eine ungeheure Schwadron Dragoner unter der Leitung Harveys,Harvey, der Entdecker der Blutzirkulation. ihres grossen Agas: die waren zum Teil bewaffnet mit Sensen, den Waffen des Todes, zum Teil mit Lanzen und langen Messern, die alle in Gift getaucht waren; andre schossen Kugeln von höchst heimtückischer Art, und sie benutzten weisses Pulver, das ohne Knall unfehlbar tötete. Dann kamen Scharen schwer bewaffneter Infanterie, sämtlich Söldner, unter den Feldzeichen Guicciardinis, Davilas, Polydori, Vergilii, Buchanans, Marianas, Combdens und andrer.Lauter Historiker. Die Ingenieure standen unter dem Befehl des Regiomontanus und Wilkins',Der erste: Johann Müller ›der Regensburger‹, Astronom; der andre Mathematiker; schrieb ›Die Entdeckung einer neuen Welt, oder Abhandlung über die Welt auf dem Monde.‹ und die andern bildeten eine wirre Masse, geführt von Scotus, Aquinas und Bellarmin; Leuten von gewaltigem Umfang und grosser Statur, aber ohne Waffen, Mut und Kriegszucht. An letzter Stelle schliesslich folgten unendliche Schwärme, ein wirres Gewimmel, geführt von L'Estrange: Halunken und Raufbolde, die dem Lager nur folgten, um plündern zu können, und alle ohne Röcke, die sie bekleidet hätten.Das sind Broschüren, die nicht einmal gebunden wurden.

Das Heer der Alten war der Zahl nach weit geringer; Homer führte die schwere, Pindar die leichte Reiterei; Euclid war Oberingenieur; Plato und Aristoteles befehligten die Bogenschützen; Herodot und Livius die Infanterie, und Hippokrates die Dragoner. Die Bundesgenossen bildeten unter Vossius und Temple die Nachhut.

Da nun alles zu einer entscheidenden Schlacht hinstrebte, so flog Fama, die viel in der königlichen Bibliothek verkehrte und einst dort ein grosses Gemach besessen hatte, stracks zu Jupiter hinauf, dem sie getreulich über alles Bericht erstattete, was zwischen den beiden Parteien unten vorgefallen war (denn unter den Göttern sagt sie immer die Wahrheit). Alsbald nun berief Jupiter in grosser Sorge auf der Milchstrasse einen Rat der Götter. Und als die Versammlung eintraf, erklärte er ihr, weshalb er sie berufen hatte; es drohe ein blutiger Kampf zwischen zwei gewaltigen Heeren alter und moderner Geschöpfe, die man Bücher nenne, und an denen auch die Interessen des Himmels tief beteiligt seien. Momus, der Gönner der Modernen, hielt eine ausgezeichnete Rede zu ihren Gunsten, auf die Pallas, die Schutzherrin der Alten, erwiderte. Die Versammlung war noch in ihrer Neigung geteilt, als Jupiter befahl, ihm das Buch des Schicksals vorzulegen. Auf der Stelle brachte Merkur drei dicke Foliobände, die die Memoiren aller vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Dinge enthielten. Die Schliessen waren aus doppelt vergoldetem Silber und die Einbände aus himmlischem Saffian; das Papier hätte hier auf der Erde für Velin gegolten. Nachdem nun Jupiter schweigend die betreffende Stelle gelesen hatte, wollte er ihren Inhalt niemandem mitteilen, sondern klappte das Buch ohne weiteres zu.

Vor den Türen dieser Versammlung harrte eine ungeheure Anzahl leichter, behender Götter, Diener des Jupiter, die er für alle Verrichtungen auf Erden entsandte. Sie fliegen in Form einer Karawane, und sie sind mehr oder minder nah gleich einer Kette Galeerensklaven aneinander gefesselt, und zwar vermöge einer leichten Kette, die von ihnen weiterläuft bis zu Jupiters grosser Zehe; und wenn sie eine Botschaft überbringen oder entgegennehmen, so dürfen sie sich ihm niemals über die unterste Stufe seines Thrones hinaus nahen; durch einen grossen, hohlen Baumstamm flüstern er und sie miteinander. Diese Gottheiten nennen die Sterblichen Zufälle oder Ereignisse, aber die Götter nennen sie Mittelursachen. Als nun Jupiter einer Anzahl dieser Gottheiten seine Befehle übermittelt hatte, flogen sie auf der Stelle zur Zinne der königlichen Bibliothek hinab, und nachdem sie sich ein paar Minuten lang beraten hatten, drangen sie ungesehn ein und verteilten die Parteien ihren Befehlen gemäss.

Derweilen nun lenkte Momus, das Schlimmste befürchtend, denn er entsann sich einer alten Prophezeiung, die seinen Kindern, den Modernen, kein lächelndes Antlitz zeigte, seinen Flug in die Regionen einer boshaften Gottheit, genannt die Kritik. Sie wohnte auf einem schneeigen Gipfel in Nowaja Semlja; und Momus fand sie in ihrer Höhle, ausgestreckt auf den Resten zahlloser Bände, die sie schon halb verschlungen hatte. Zu ihrer Rechten sass die Unwissenheit, ihre Mutter, vor Alter blind; zur Linken ihr Vater, der Stolz, der sie putzte mit den Fetzen Papiers, die er selber zerrissen hatte. Hinter ihr sah er die öffentliche Meinung, ihre Schwester, ein leichtfüssiges Geschöpf mit einer Binde vor den Augen, die sich, halsstarrig und unbesonnen, fortwährend drehte. Und ringsum spielten ihre Kinder: der Lärm und die Unverschämtheit, der Stumpfsinn und die Eitelkeit, die Anmassung, die Pedanterie und die schlechten Manieren. Die Göttin selber hatte Klauen wie eine Katze; ihr Kopf, ihre Ohren und ihre Stimme glichen denen eines Esels; ihre Zähne waren ausgefallen, ihre Augen nach innen gekehrt, als sähe sie nur sich selber an; ihre Kost bestand nur in dem, was aus ihrer eigenen Galle überfloss; ihre Milz war so gross, dass sie wie ein grosses Euter vorragte; und auch an Auswüchsen in der Form von Zitzen fehlte es nicht, an denen eine Schar scheusslicher Ungeheuer gierig sog; das wunderbarste aber war, dass der Umfang der Milz schneller wuchs, als die Saugenden ihn vermindern konnten. »O Göttin,« sagte Momus, »kannst du hier müssig sitzen, während unsre frommen Verehrer, die Modernen, in diesem Augenblick eine grausame Schlacht beginnen und vielleicht schon unter den Schwertern ihrer Feinde stürzen? Wer soll unsrer Göttlichkeit hinfort je wieder opfern und Altäre bauen? Eile drum auf die britische Insel, und wenn möglich, komm ihrem Verderben zuvor, während derweilen ich unter den Göttern Aufruhr errege und sie für unsre Partei gewinne.«

Als nun Momus sich also hatte vernehmen lassen, harrte er keiner Antwort, sondern überliess die Göttin ihrem eignen Groll. Auf fuhr sie in Wut, und wie es bei solcher Gelegenheit die Sitte verlangt, hub sie ein Selbstgespräch an: »Ich,« so sprach sie, »ich gebe Säuglingen und Idioten Weisheit: durch mich werden Kinder klüger als ihre Eltern; durch mich werden Dandys zu Politikern und Schulknaben zu Richtern der Philosophie; durch mich lernen Sophisten debattieren und auf die Tiefen des Wissens Schlüsse ziehn; Kaffeehausklügler können, von mir beseelt, den Stil eines Autors verbessern und seine geringsten Fehler blosslegen, ohne auch nur eine Silbe von dem zu verstehn, was er sagt oder wie er es sagt. Durch mich vergeuden junge Burschen ihre Urteilskraft wie ihr Vermögen, ehe es noch in ihre Hände gelangt. Ich habe Witz und Wissen ihrer Herrschaft über die Dichtung entkleidet und mich selbst an ihre Stelle gesetzt. Und sollen ein paar Emporkömmlinge unter den Alten es wagen, sich mir entgegenzustellen? Aber kommt, mein alter Vater, und ihr, meine teuren Kinder, und du, meine schöne Schwester; wir wollen meinen Wagen besteigen und unsern frommen Modernen zu Hilfe eilen, denn sie opfern uns eben eine Hekatombe, wie ich es an dem lieblichen Duft erkenne, der mir von dort in die Nase steigt.«

Und als die Göttin und ihr Gefolge den Wagen bestiegen hatten, der gezogen wurde von zahmen Gänsen, flog sie über unendliche Strecken dahin, wobei sie an den geeigneten Stellen ihren Einfluss fallen liess, bis sie schliesslich auf ihrer geliebten Insel Britannien ankam; und als sie über der Hauptstadt schwebte, welche Segnungen liess sie da nicht niedersinken auf die Pflanzschulen im Gresham-Kollegium und Covent Garden! Und dann betrat sie die Schicksalsebene der St. Jakobsbibliothek, als eben die beiden Heere den Kampf beginnen wollten. Unsichtbar drang sie mit ihrem Gefolge ein und landete auf einem Bücherbrett, das jetzt verlassen dastand, einst aber von einer Kolonie von Erfindern bewohnt worden war, um von dort aus die Stellungen der beiden Heere eine Weile zu beobachten.

Hier aber begannen die zärtlichen Gefühle einer Mutter ihre Gedanken zu füllen und sich in ihrer Brust zu regen. Denn an der Spitze eines Fähnleins moderner Bogenschützen erblickte sie ihren Sohn Wotton, dem das Schicksal nur einen sehr kurzen Lebensfaden gegeben hatte: Wotton, einen jungen Helden, den ein unbekannter Vater sterblichen Geschlechts durch verstohlene Umarmungen mit der Göttin erzeugt hatte. Er war vor all ihren andern Kindern der Liebling seiner Mutter, und sie beschloss, zu ihm zu gehn und ihn zu trösten. Erst aber dachte sie, guter, alter Göttersitte folgend, daran, die Gestalt zu wechseln; denn sie fürchtete, der göttliche Schein ihres Angesichts möchte seine sterblichen Augen blenden und seine übrigen Sinne überwältigen. Deshalb verwandelte sie sich in einen Oktavband; ihr Leib wurde weiss und dürr und spaltete sich vor Trockenheit in Blätter; das Dicke wurde zu Pappe, das Dünne zu Papier; und ihre Verwandten und Kinder sprengten kunstvoll einen schwarzen Saft aus, einen Aufguss voll Galle und Russ, der die Gestalt von Lettern annahm; Kopf, Stimme und Milz behielten die alte Gestalt, und auch, was zuvor die Hülle aus Haut war, blieb eine Hülle aus Haut. In dieser Form nun ging sie auf die Modernen zu, in Wuchs und Kleidung nicht von dem göttlichen Bentley, Wottons teuerstem Freund, zu unterscheiden. »Tapferer Wotton,« sagte die Göttin, »weshalb stehn unsre Truppen hier müssig umher und vergeuden die gegenwärtige Kraft, indem sie die Gelegenheit dieses Tages verstreichen lassen? Auf, lass uns zu den Heerführern eilen und ihnen raten, auf der Stelle zum Sturm gehn zu lassen.« Sprachs und riss sich das scheusslichste unter den Ungeheuern, die sich an ihrer Milz vollgesogen hatten, von den Zitzen und schleuderte es unsichtbar in seinen Mund; und es flog ihm alsbald in den Kopf empor, presste ihm die Augäpfel heraus, verzerrte sein Gesicht und verdrehte ihm das Gehirn. Dann befahl sie zweien ihrer geliebten Kinder, dem Stumpfsinn und der Schlechten Manier, sich in allen Gefechten ihm dicht zur Seite zu halten. Und nachdem sie ihn also gerüstet hatte, verschwand sie in einem Nebel, und der Held erkannte, dass sie die Göttin, seine Mutter, gewesen war.

Da also die schicksalsbestimmte Stunde nunmehr erschienen war, begann der Kampf; doch ehe ich es wage, von ihm eine genaue Schilderung zu entwerfen, muss ich nach dem Beispiel andrer Autoren um hundert Zungen und Münder, Hände und Federn flehen, die alle noch nicht genügend wären, ein so ungeheures Werk zu vollbringen. Nenne mir, Göttin, die du ob der Geschichte waltest, nenne mir den, der zuerst hinabstieg ins Feld der Schlacht! Paracelsus, der an der Spitze seiner Dragoner kam, erkannte im gegnerischen Flügel Galen und schleuderte seinen Wurfspiess mit gewaltiger Kraft; doch der tapfere Alte fing ihn auf mit seinem Schilde, in dessen zweiter Schicht die Spitze brach.

Hic pauca desunt.
Auf ihren Schultern trugen sie den verwundeten AgaHarvey.
zu seinem Wagen.
Desunt nonnulla.

Dann zog Aristoteles, dieweil er Bacon mit wütender Miene anrücken sah, seinen Bogen bis an den Kopf und liess seinen Pfeil entschwirren, der den tapfern Modernen verfehlte und sausend über sein Haupt dahinflog. Aber er traf Descartes; die stählerne Spitze fand eine Lücke in seinem Helm, durchbohrte Leder und Pappe und drang ihm ins rechte Auge. Die Qual des Schmerzes wirbelte den tapfern Bogenschützen herum, bis ihn der Tod gleich einem Stern von gewaltiger Wirkung in seinen Strudel zog.

Ingens hiatus hic in MS.

            . . . als Homer an der Spitze der Reiterei erschien, sitzend auf einem wütenden Ross, das selbst sein Herr nur mit Mühe bändigte und dem kein andrer Sterblicher zu nahen wagte. Er sprengte hinein in die Reihen des Feindes und warf alles vor sich zu Boden. Sage mir, Göttin, wen er als ersten erschlug, und wen er als letzten erschlug! Zuerst trat GondibertEin Heldengedicht von Sir William Davenant. ihm entgegen, gekleidet in eherne Rüstung, reitend auf einem ruhigen, nüchternen Wallach, der nicht so berühmt war wegen seiner Geschwindigkeit wie wegen der Folgsamkeit, mit der er niederkniete, so oft sein Reiter auf- oder absitzen wollte. Er hatte Pallas ein Gelübde getan, nimmer das Schlachtfeld zu verlassen, bevor er nicht Homer seiner Rüstung entkleidet hätte: der Wahnsinnige, der nie ihren Träger sah noch etwas von seiner Kraft begriff! Ihn warf Homer samt seinem Rosse nieder, so dass er im Schmutz zertreten wurde und erstickte. Dann erschlug er mit seinem langen Speer Denham, einen starken Modernen,Sir John Denham, Verfasser von ›Cooper's Hill‹. der seinen Stammbaum auf Vaters Seite von Apoll herleitete, doch seine Mutter war sterblichen Geschlechts. Er stürzte und biss in die Erde. Seinen himmlischen Teil griff Apollo auf und machte ihn zu einem Stern; doch der irdische Teil rollte hin im Staube. Dann erschlug Homer WesleyVerfasser eines Lebens Christi in Versen. mit einem Huftritt seines Rosses; Perrault riss er mit gewaltiger Kraft aus dem Sattel und schleuderte ihn wider Fontenelle, so dass dieser einzige Schlag ihrer beider Gehirn verspritzte.

Auf dem linken Flügel der Reiter aber erschien in strahlender Rüstung, die sich seinem Leibe genau anschmiegte, Vergil: Er sass auf einem Apfelschimmel, dessen langsamer Gang die Wirkung des höchsten Feuers und äusserster Kraft war. Und als er den Blick auf den feindlichen Flügel warf, um einen Gegner zu finden, der seines Heldenmuts würdig war, siehe, da erschien auf einem Fuchswallach von ungeheurem Wuchs ein Feind, der mitten aus dem dichtesten Gedränge der gegnerischen Schwadronen hervorritt. Doch seine Geschwindigkeit war geringer als der Lärm, den er machte; denn sein altes und hageres Pferd verwandte die Hefe seiner Kraft auf einen hochtrabenden Lauf, der, obwohl er ihn wenig vorwärts brachte, doch ein Rasseln seiner Rüstung zur Folge hatte, das furchtbar anzuhören war. Die beiden Reiter waren sich jetzt bis auf Lanzenwurfweite nahe gekommen, als der Fremde eine Unterhandlung begehrte, indem er das Visier seines Helmes hob; worauf darin ein Antlitz sichtbar wurde, das man nach einer Pause als das des berühmten Dryden erkannte. Der alte Held fuhr jäh empor, gleich einem, den Überraschung und Enttäuschung zugleich anfielen; denn der Helm war für den Kopf neunmal zu gross, und er schien weit hinten darin verborgen zu sein, der Dame im Hummer gleich oder gleich einer Maus unter einem Baldachin oder gleich einem verschrumpften Dandy unter dem Wetterdach einer modernen Perücke; und die Stimme glich dem Gesicht, denn sie klang dünn und fern. Dryden beruhigte den guten Alten in einer langen Ansprache, nannte ihn Vater und liess mit Hilfe langer Genealogien erkennen, dass sie nah miteinander verwandt wären. Dann schlug er in aller Demut als dauerndes Zeichen der Gastfreundschaft, die zwischen ihnen herrschte, einen Austausch der Rüstungen vor. Vergil willigte ein, denn unsichtbar kam die Göttin des Mangels an Selbstvertrauen und warf ihm einen Nebel vor die Augen, obwohl seine Rüstung aus Gold war und hundert Rinder gekostet hatte, während die andre nur aus rostigem Eisen war. Doch diese glitzernde Rüstung stand dem Modernen noch schlechter als seine eigene. Dann vereinbarten sie, die Rosse zu tauschen; doch als es zum Handeln kam, fürchtete Dryden sich, und er war ganz ausserstande, aufzusitzen.

Alter Hiatus in MS.

Lukan erschien auf einem feurigen Rosse von wunderbarem Wuchs, doch trug es seinen Reiter in seiner Halsstarrigkeit über das Feld dahin, wohin es wollte; er richtete unter den feindlichen Reitern ein gewaltiges Blutbad an, und um diesem Verderben Einhalt zu gebieten, stellte sich ihm Blackmore, ein berühmter Moderner,Verfasser eines Gedichts ›Die Schöpfung‹, u. a. W. Ausserdem geschickter Arzt. entgegen (doch war er einer von den Söldnern), und er entsandte seinen Wurfspiess mit starker Hand, und da er seines Ziels verfehlte, so bohrte er sich tief in die Erde ein. Da aber warf Lukan seine Lanze; doch unsichtbar kam Aeskulap und wandte ihre Spitze ab. »Tapfrer Moderner,« sprach Lukan, »ich sehe, dich schirmt ein Gott, denn noch nie zuvor hat mein Arm mich so im Stich gelassen; doch welcher Sterbliche könnte mit einem Gotte kämpfen? Deshalb lass uns nicht länger miteinander ringen, sondern Geschenke austauschen!« Lukan verlieh dem Modernen ein paar Sporen, und Blackmore gab Lukan einen Zügel . . .

Pauca desunt.

CreechÜbersetzte Horaz. – doch der Gott Stumpfsinn nahm eine Wolke, gab ihr die Gestalt des Horaz, bewaffnet und beritten, und stellte sie in fliehender Haltung vor ihm auf. Froh war der Reiter, mit einem fliehenden Feind einen Kampf beginnen zu können; und er verfolgte das Scheinbild, indem er es laut bedrohte, bis es ihn schliesslich in die friedliche Laube seines Vaters führte, Oglabys, durch den er entwaffnet und zur Ruhe verwiesen wurde.

Dann erschlug Pindar . . . und . . ., OldhamSatiriker (Jesuitenfeind). . . . und . . . und Afra, die Amazone;Mrs. Behn, Romanschriftstellerin. und nie rückte er in gerader Linie vor, sondern, indem er mit unglaublicher Behendigkeit und Kraft Wendungen ausführte, richtete er unter des Feindes leichter Reiterei ein furchtbares Blutbad an. Als nun ihn Cowley bemerkte, brannte ihm das mutige Herz in der Brust, und er sprengte gegen den wilden Alten daher, indem er seine Geschicklichkeit, seinen Schritt, sein Ungestüm nachahmte, soweit es die Kraft und die Gewandtheit seines eignen Pferdes erlauben wollte. Und als die beiden Reiter sich bis auf die Entfernung dreier Wurfspiesslängen nahe gekommen waren, warf zuerst Cowley eine Lanze, die Pindar verfehlte und über des Feindes Reihen hinweg wirkungslos zu Boden fiel. Dann schwang Pindar einen so grossen und schweren Wurfspiess, dass kaum ein Dutzend Ritter, wie die Ritter in unserm entarteten Zeitalter sind, ihn vom Boden zu heben vermochten; und doch warf er ihn leicht, und er flog, aus nie irrender Hand geschleudert, schwirrend durch die Luft; nimmer hätte der Moderne den schleunigen Tod vermieden, wenn er nicht zu seinem Glück den Schild vorgehalten hätte, den ihm VenusCowley hatte ein Gedicht ›Die Geliebte‹ geschrieben. gegeben hatte. Und jetzt zogen beide Helden ihr Schwert; doch der Moderne war so entsetzt und verwirrt, dass er nicht mehr wusste, wo er war, und dass ihm der Schild aus den Händen fiel; dreimal entfloh er, und dreimal konnte er nicht entrinnen. Und schliesslich wandte er sich um und hob die Hand in der Haltung des Bittflehenden. »Göttergleicher Pindar!« rief er, »schone mein Leben und nimm mein Ross mit diesen Waffen ausser dem Lösegeld, das meine Freunde, wenn sie vernehmen, dass ich noch lebe und dein Gefangener bin, dir zahlen werden!« »Hund,« sagte Pindar, »lass das Lösegeld deinen Freunden; aber dein Leichnam soll den Vögeln der Luft und den Tieren des Feldes zur Beute fallen.« Und er hob das Schwert und spaltete den elenden Modernen mit einem gewaltigen Streich in zwei Stücke; und die eine Hälfte lag keuchend am Boden, um von den Füssen der Rosse zertreten zu werden, während die andre von dem scheuenden Ross übers Feld dahingetragen wurde. Diesen Teil nahm Venus, wusch ihn siebenmal in Ambrosia und schlug ihn dann dreimal mit einem Zweig von Amaranth; da wurde das Leder weich und rund, und die Blätter verwandelten sich in Federn, und die zuvor den Goldschnitt trugen, blieben auch jetzt vergoldet; so wurde die Hälfte des Buches zur Taube, und sie schirrte sie vor ihrem Wagen an . . .

Hiatus valde deflendus in MS.

Da nun der Tag schon fast verstrichen war und die zahlreichen Scharen der Modernen halb zur Flucht hinneigten, kam aus einer Schwadron ihrer schwer bewaffneten Infanterie ein Hauptmann hervor, dessen Name Bentley war: der verwachsenste aller Modernen; gross, doch ohne edlen Wuchs und Anstand; breit, doch ohne Kraft und Verhältnis. Seine Rüstung war aus tausend verschiedenen Stücken zusammengeflickt, und wenn er ausschritt, klang sie rasselnd und trocken, wie wenn ein Stück Blei fällt, das ein Passatwind plötzlich vom Dach eines Turmes herabweht. Auch sein Helm war aus rostigem alten Eisen, doch das Visier war aus Kupfer, und von seinem Atem angefressen, verwandelte es sich in Vitriol, und auch an Galle aus derselben Quelle mangelte es ihm nicht. Sooft er daher durch Wut oder Anstrengung gereizt war, sah man eine tintige Flüssigkeit von höchst boshafter Art von seinen Lippen tröpfeln. In seiner rechten Hand hielt er einen Dreschflegel und (um nie unversehen zu sein mit einer Angriffswaffe) in seiner linken ein Gefäss voll Kot. Also vollkommen bewaffnet, rückte er langsamen und schweren Schrittes vor, dorthin, wo die modernen Heerführer über den Stand der Dinge berieten; und als er zu ihnen kam, lachten sie seines krummen Beins und seiner buckligen Schulter, denen sich Stiefel und Rüstung, die sich vergebens bemühten, sie zu verbergen, anpassen mussten, um sie noch mehr hervorzuheben. Die Heerführer benutzten ihn wegen seiner Gabe des Hohns, denn wenn sie sich in ihren Grenzen hielt, so erwies sie sich oft für ihre Sache als sehr nützlich; doch zu andern Zeiten richtete sie mehr Unheil an als Gutes; denn wenn er sich nur im geringsten verletzt fühlte, und oft auch ganz ohne das, pflegte er jene Gabe gleich einem verwundeten Elefanten wider seine Führer zu kehren. So war auch in diesem Augenblick Bentleys Stimmung; er war bekümmert, weil er den Feind siegen sah, und mit jedermanns Verhalten ausser seinem eigenen unzufrieden. In aller Demut gab er den Heerführern der Modernen zu verstehn, dass er in der grössten Unterwürfigkeit meinte, sie seien sämtlich eine Bande von Halunken und Narren und Hurensöhnen und verdammten Feiglingen und verwünschten Tölpeln und ungebildeten Kläffern und unsinnigen Schurken; wenn er nur selber zum Heerführer ernannt worden wäre, so wären jene anmassenden Hunde, die Alten, längst aus dem Felde geschlagen worden. »Ihr«, sprach er, »sitzt träge; da wenn aber ich oder irgendein andrer tapferer Moderner einen Feind tötet, so bemächtigt ihr euch sicherlich der Beute. Aber nicht einen Schritt will ich mehr wider den Feind tun, es sei denn, dass ihr mir schwört, ich solle, wen ich auch töte oder gefangen nehme, dessen Rüstung in aller Ruhe besitzen.« Als nun Bentley also gesprochen hatte, warf Scaliger einen grimmigen Blick auf ihn und sprach: »Elender Schwätzer, beredt nur in deinen eignen Augen, du höhnest ohne Witz oder Wahrheit oder Verstand; die Bosheit deines Wesens stellt die Natur auf den Kopf: deine Gelehrsamkeit macht dich nur barbarischer, dein Studium der Humanistik nur unmenschlicher, dein Verkehr mit den Dichtern drückt dich nur mehr zu Boden und macht dich kotiger und stumpfsinniger als zuvor. Alle Künste, andre zu zivilisieren, machen dich gröber und unumgänglicher; die Höfe haben dich nur schlechte Manieren gelehrt, und die elegante Unterhaltung hat dich vollends zum Pedanten gemacht. Ausserdem belastet kein grösserer Feigling das Heer. Doch verzweifle nicht; ich gebe dir mein Wort, die Beute, die du machst, soll sicherlich dein Eigentum sein, wenn ich auch hoffe, dass dieser dein gemeiner Leichnam zuvor die Beute der Geier und Würmer werde.«

Bentley wagte keine Erwiderung, sondern von Wut und Ingrimm erstickt, zog er sich zurück, fest entschlossen, irgendeine grosse Tat zu vollbringen. Mit sich nahm er zu seinem Beistand und seinem Geleit den geliebten Wotton, und er gedachte durch List oder Überrumpelung irgendeinen vergessenen Flügel der Alten zu überfallen. Sie begannen den Marsch über Leichen erschlagener Freunde dahin; wandten sich dann nach dem rechten Flügel des eignen Heeres hinunter und schwenkten schliesslich nach Norden ab, bis sie zum Grabe des Aldrovandus kamen, an dem sie auf der Seite der sinkenden Sonne vorüberzogen. Und jetzt erreichten sie voller Furcht des Feindes Vorposten und schauten aus, ob sie nicht vielleicht das Lager der Verwundeten erspähen könnten oder ein paar verstreute Schläfer, die waffenlos abseits der andern lägen. So schleichen zwei Bastardhunde, die angeborene Gier und Mangel vorwärtstreiben und zu Gefährten machen, obwohl sie sich bangen, entschlossen einzubrechen in die Hürden eines reichen Züchters, mit eingeklemmtem Schwanz und hängender Zunge leise und langsam dahin; derweilen sendet der wissende Mond, der jetzt im Zenith steht, senkrechte Strahlen auf ihre schuldigen Köpfe herab; und sie wagen es nicht zu bellen, obwohl des Gestirns strahlendes Antlitz sie reizt, einerlei, ob sie es in Pfützen gespiegelt sehn oder selbst an der Himmelskugel; aber der eine späht in die Runde, während der andre die Ebene erkundet, ob er nicht vielleicht fern von der Herde ein halb verschlungenes Aas entdecke, das gesättigte Wölfe oder Raben übler Bedeutung zurückgelassen haben. Also zog auch dieses liebliche, liebende Paar der Freunde dahin, in nicht geringerer Furcht und Vorsicht; da erkannten sie in der Ferne zwei leuchtende Rüstungen, die auf einer Eiche hingen; und nicht fern davon lagen die Eigentümer in tiefem Schlaf. Die beiden Freunde zogen das Los, und die Verfolgung dieses Abenteuers fiel Bentley zu; und vorwärts schlich er, und seinen Vortrab bildeten Verwirrung und Entsetzen, während Grauen und Angst die Nachhut schützten. Als er nun nahe kam, siehe, da lagen dort zwei Helden vom Heere der Alten, Phalaris und Aesop, in tiefem Schlaf. Bentley hätte die beiden gern befördert; und also schlich er sich dicht herbei und zielte mit seinem Dreschflegel auf Phalaris Brust. Doch die Göttin Angst legte sich ins Mittel, umfing den Modernen mit ihren eisigen Armen und entzog ihn der Gefahr, die sie voraussah; denn die beiden schlafenden Helden wälzten sich im gleichen Augenblick auf die andre Seite, wiewohl sie fest schliefen und in Träumen gefangen waren. Denn Phalaris träumte gerade in dieser Minute, wie ein elender Poetaster ein Pasquill wider ihn verfasste und wie er ihn brüllend in seinem eigenen Widersinn fing. Aesop aber träumte, dass, als er und die andern Führer der Alten am Boden lagen, ein wilder Esel ausbrach, umherrannte und ihnen in die Gesichter stampfte und schlug und kackte. Bentley also liess die beiden Helden schlafend liegen, ergriff ihre Rüstungen und zog sich auf der Suche nach seinem Liebling Wotton zurück.

Der war derweilen lange auf der Suche nach einem Abenteuer umhergeschweift, bis er schliesslich zu einem schmalen Bächlein kam, das einer Quelle in der Nähe entsprang, die in der Sprache der sterblichen Menschen der Helikon heisst. Dort machte er halt, und da ihn der Durst versengte, so beschloss er, ihn in diesem klaren Wasser zu stillen. Dreimal versuchte er mit profanen Händen das Nass an die Lippen zu heben, und dreimal entrann es ihm durch die Finger. Da warf er sich nieder auf seine Brust, doch ehe sein Mund noch den rinnenden Kristall berührte, kam Apoll und hielt seinen Schild zwischen den Modernen und das Wasser, also, dass er nichts emporsog als Schlamm. Denn obwohl sich kein Wasser auf Erden mit der Klarheit des Helikon vergleichen kann, so liegen doch auf seinem Grunde dicke Sedimente von Schleim und Schlamm, und solches hatte Apoll von Jupiter erbeten als Strafe für jene, die mit ungeweihten Lippen von diesem Wasser zu kosten suchten, und um alle zu lehren, dass sie nicht weit von der Quelle oder allzu tief trinken dürften.

Oben am Quell erkannte Wotton zwei Helden; den einen konnte er nicht erkennen, aber im andern erkannte er Temple, den Führer der Bundesgenossen der Alten. Der wandte ihm den Rücken, und er war eben damit beschäftigt, aus seinem Helm tiefe Züge des Wassers einzusaugen, denn er hatte sich hier an den Quell zurückgezogen, um sich von den Mühen des Kampfes auszuruhn. Als nun Wotton ihn sah, sprach er mit bebenden Knien und zitternden Händen also zu sich selber: »Oh, könnte ich diesen Vernichter unsres Heeres erschlagen, welchen Ruhm würde ich mir unter den Führern erwerben! Doch wider ihn hervorzutreten, Mann wider Mann, Schild wider Schild und Lanze wider Lanze, wer unter uns Modernen würde das wagen? Denn er kämpft einem Gotte gleich, und stets steht ihm Apollo oder Pallas zur Seite. Aber o Mutter, wenn es wahr ist, was das Gerücht behauptet, dass ich der Sohn einer so grossen Göttin bin, so gewähre mir die Gunst, dass ich Temple mit dieser Lanze treffe, und dass der Streich ihn in die Hölle entsende und ich mit seiner Beute beladen in Sicherheit und Triumph heimkehren kann.« Den ersten Teil dieses Gebets erhörten die Götter auf die Fürsprache seiner Mutter und Momus'; doch der zweite Teil wurde durch einen widrigen Wind, den das Schicksal sandte, in die Luft verjagt. Wotton aber packte die Lanze, schwang sie dreimal über dem Haupt und entschleuderte sie mit aller Kraft, während zugleich seine Mutter, die Göttin, seines Armes Kraft vermehrte. Zischend entflog die Lanze und streifte den Gürtel des abgewandten Alten, den sie leicht ritzte, um dann zu Boden zu fallen. Temple fühlte weder, wie ihn die Waffe berührte, noch auch hörte er ihren Fall; und Wotton hätte zu seinem Heer entrinnen können, stolz auf die Ehre, seine Lanze ungestraft wider einen so grossen Führer geschleudert zu haben; Aber Apollo ergrimmte, dieweil ein Speer, entsandt mit Hilfe einer so scheusslichen Göttin, seine Quelle beschmutzen konnte; und er nahm die Gestalt eines . . . an und trat sanft zu dem jungen Boyle, der Temple eben begleitete. Er zeigte erst auf die Lanze, dann auf den fernen Modernen, der sie geschleudert hatte, und befahl dem jungen Helden, auf der Stelle Rache zu nehmen. Boyle, gekleidet in seine Rüstung, die ihm von allen Göttern verliehen worden war,Boyle wurde in seiner Abwehr der Angriffe auf Sir William Temple unterstützt von fast allen genialen und geistreichen Leuten in Oxford. trat sofort wider den zitternden Feind hinaus, und der entfloh vor ihm. So schweift ein junger Löwe durch die lybische Ebene oder die arabische Wüste, entsandt von seinem bejahrten Vater, auf dass er nach Beute oder zur Stärkung oder zur Übung jage; und er wünscht einem Tiger aus den Bergen oder einem wütenden Eber zu begegnen; und da der Zufall ihm einen wilden Esel entgegenschickt, der sein Ohr mit lästigem Iahen beleidigt, jagt er, obwohl es ihm widerstrebt, seine Klauen mit so verworfenem Blut zu beflecken, dennoch, gereizt von dem scheusslichen Lärm, den das Echo, die törichte Nymphe, gleich ihrem ganzen übel beratenen Geschlecht, lauter wiederholt und mit mehr Entzücken als Philomelas Gesang, trotz seiner Grossmut das langohrige Vieh, um die Ehre des Waldes zu retten. Und also entfloh auch Wotton, und Boyle verfolgte. Wotton aber, der schwere Waffen trug und langsamen Fusses war, begann bereits seinen Lauf zu verlangsamen, als sein Liebhaber Bentley erschien, beladen mit der Beute der beiden schlafenden Alten. Boyle bemerkte ihn wohl und erkannte alsbald den Helm und den Schild des Phalaris, seines Freundes, die er beide noch jüngst mit eigner Hand neu poliert und vergoldet hatteBezieht sich auf Boyles Ausgabe der Briefe des Phalaris.; Wut entfunkelte seinen Augen, und indem er abliess von seiner Verfolgung Wottons, stürzte er wütend auf den neuen Ankömmling zu. Gern hätte er sich an beiden gerächt; aber die beiden entflohen jetzt in verschiedener Richtung; und einem Weibe gleich in einem kleinen Hause, das sich mühsam durch Spinnen den Unterhalt gewinnt, wenn ihre Gänse sich über die Weide des Dorfes verstreuen, und sie über die Ebene hin und wider läuft, um hier wie dort die Verirrten zur Herde zurückzujagen, während sie laut gackern und ängstlich über die Felder streben: also verfolgte auch Boyle, und also entfloh dieses Freundespaar. Doch als sie sahen, dass ihre Flucht vergeblich war, stiessen sie wacker zusammen und stellten sich zum Kampf. Zuerst warf Bentley mit aller Kraft seinen Speer, denn er hoffte, des Feindes Brust zu durchbohren; aber Pallas kam unsichtbar herbei und nahm in der Luft die eherne Spitze ab, die sie durch eine aus Blei ersetzte; und nachdem sie kraftlos wider des Feindes Schild geprallt war, fiel sie stumpf zu Boden. Da griff Boyle, der seinen Augenblick ersah, zu einer Lanze von wunderbarer Länge und Schärfe; und als das Paar vereinigter Freunde Seite an Seite dicht nebeneinander stand, schwenkte er rasch nach rechts herum und schleuderte die Waffe mit ungewöhnlicher Kraft. Bentley sah sein Schicksal nahen, legte schnell die Arme der Länge nach an die Rippen und hoffte so, seinen Leib zu retten; aber ein drang die Spitze, durchbohrte Arm und Flanke und machte nicht eher halt und verlor nicht eher die Kraft, als bis sie auch den tapfern Wotton durchbohrt hatte, der, als er seinen sterbenden Freund stützen wollte, seines Schicksals teilhaftig wurde. Wie ein geschickter Koch, wenn er ein paar Schnepfen gerupft hat, mit dem eisernen Spiesschen beider zarte Flanken durchsticht und ihre Beine und Flügel eng an die Rippen heftet – also wurde dieses Freundespaar durchbohrt; und sie stürzten, im Tode verbunden, so eng verbunden, dass Charon sie für einen einzigen Menschen hielt und für seinen halben Fährmannslohn ans andre Ufer des Styx hinüberfuhr. Lebewohl, du liebendes Paar! Wenige habt ihr zurückgelassen, euch gleich; und glücklich und unsterblich sollt ihr werden, wenn mein ganzer Witz und meine Beredsamkeit euch dazu machen können.

Und jetzt . . .

Desunt caetera.

 


 


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