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Der König und die Königin reisen an die Gränzen. Der Verfasser begleitet sie; ein genauer Bericht von der Weise, wie er das Land verläßt. Er kehrt nach England zurück.
Ich hegte stets die feste Ueberzeugung, daß ich dereinst meine Freiheit wieder erlangen würde, ob es mir gleich unmöglich war, die Mittel zu vermuthen, oder einen Plan der gelingen könnte, zu dem Zwecke zu entwerfen. Das Schiff, worin ich anlangte, war das erste, welches an die Küste verschlagen wurde, und der König hatte strengen Befehl gegeben, ein zweites, welches wieder anlangen möchte, an's Ufer zu bringen und mit aller Mannschaft in Körben nach Lorbrulgrud zu transportiren. Er wünschte sehr, mir ein Weib meiner Größe ertheilen zu können, damit ich die Race fortpflanzte; wie ich glaube, wäre ich jedoch lieber gestorben, als daß ich schmählicherweise eine Nachkommenschaft hinterlassen hätte, die man wie zahme Kanarienvögel in Kästchen würde verwahrt und mit der Zeit als Merkwürdigkeiten an Personen von Stande verkauft haben. Ich ward allerdings sehr gütig behandelt; ich war der Günstling eines großen Herrscherpaares und das Entzücken eines ganzen Hofes, allein ich stand mit allen Personen auf einem Fuße, welcher der Würde des Menschengeschlechtes nicht geziemte. Auch konnte ich nie meine theure Familie in England vergessen. Und dann wünschte ich auch unter Leuten zu leben, mit denen ich als mit Meinesgleichen umgehen, und in den Straßen und Feldern ohne Furcht, wie ein Frosch oder junger Hund zertreten zu werden, umherspazieren konnte. Meine Befreiung kam jedoch schneller, als ich erwartete, und in sehr ungewöhnlicher Weise. Die ganze Geschichte mit allen Einzelnheiten will ich hier getreulich berichten.
Ich befand mich jetzt zwei Jahre in Brobdingnag, und im Anfang des dritten begleitete ich mit Glumdalclitch den König und die Königin auf einer Reise nach der Südküste des Königreichs. Wie gewöhnlich wurde ich in meiner Reiseschachtel mitgenommen, die, wie ich bereits berichtet, ein sehr bequemes Zimmer von zwölf Fuß im Umfange war. Ich ließ darin eine Hängematte mit seidenen Fäden an den vier Ecken der Decke befestigen, um dadurch die Heftigkeit der Erschütterung zu vermeiden, wenn mich ein Diener, nach meinem Wunsche, zu Pferde trug. In dieser Hängematte pflegte ich auf der Reise oft zu schlafen. In der Decke meines Zimmers, jedoch nicht gerade über meiner Hängematte, ließ ich von dem Tischler ein Loch von einem Quadratfuß Breite verfertigen, damit ich während des Schlafes bei heißem Wetter frische Luft genieße; dieses Loch konnte ich nach Belieben mit einem vorwärts und rückwärts zu schiebenden Brette in einer Rinne schließen.
Als wir die Reise beendet, war es dem Könige angenehm, einige Tage in einem Palaste bei Flanfiasnic, einer neun Stunden vom Meeresufer liegenden Stadt, zuzubringen. Glumdalclitch und ich waren sehr ermüdet; ich hatte mich leicht erkältet, das arme Mädchen war aber so krank, daß sie das Zimmer hüten mußte. Ich wünschte das Meer zu sehen, durch das ich allein zur Freiheit gelangen konnte, wenn diese jemals mir beschieden war. Deßhalb behauptete ich, mich schlimmer zu befinden, wie es wirklich der Fall war, und bat um die Erlaubniß, mit einem Pagen, den ich sehr liebte, und dem ich schon mehreremale anvertraut wurde, die frische Seeluft genießen zu dürfen. Nie werde ich vergessen, mit welchem Widerstreben Glumdalclitch ihre Einwilligung gab. Sie schärfte dem Pagen die äußerste Sorgfalt ein und brach in eine Thränenfluth aus, als ob sie die baldigen Ereignisse geahnet hätte; der Knabe trug mich in der Schachtel ungefähr eine halbe Stunde weit von dem Palaste an das Meerufer. Dort befahl ich ihm, mich niederzusetzen, zog ein Schiebfenster auf und warf manchen sehnsuchtsvollen melancholischen Blick auf die Fluthen. Ich befand mich nicht wohl und sagte deßhalb dem Sklaven, ich wünsche in meiner Hängematte ein wenig zu schlafen, was mir, wie ich hoffe, gut bekommen werde. Ich ging hinein und der Knabe ließ das Schiebfenster herunter, um die Kälte abzuwehren. Gleich darauf schlief ich ein. Wie ich vermuthe, dachte der Page ein Unfall könne sich nicht ereignen, und ging fort, um unter den Felsen Vogeleier zu suchen. Ich sah nämlich aus meinem Fenster, wie er unter den Klippen suchte und ein- oder zweimal Etwas aufnahm. Genug, ich ward plötzlich durch ein heftiges Ziehen am Ringe erweckt, welcher an der Spitze meiner Schachtel, um sie desto bequemer transportiren zu können, befestigt war. Ich fühlte wie meine Schachtel sehr hoch in die Luft emporgehoben und dann mit wunderbarer Schnelle in horizontaler Richtung weiter fortgeschleppt wurde. Die erste Erschütterung hätte mich beinahe aus meiner Hängematte geschleudert, allein die spätere Bewegung war ziemlich sanft. Ich schrie mehreremale so laut wie möglich, allein dies half mir zu Nichts; ich sah durch meine Fenster, aber erblickte nichts als Himmel und Wolken. Ueber mir vernahm ich ein Geräusch, als wenn Flügel geschwungen würden, und somit begann ich meinen furchtbaren Zustand zu erkennen. Ein Adler hatte den Strick im Ringe meiner Schachtel mit dem Schnabel ergriffen, um sie, wie eine Schildkröte in der Schaale auf einen Felsen fallen zu lassen, und alsdann meinen Leichnam herauszunehmen und zu verschlingen.
Die Spürkraft und der Geruch dieses Vogels befähigt ihn nämlich, in großer Entfernung seine Beute zu wittern, wäre dieselbe auch noch besser verborgen, als es bei mir in einem zwei Zoll dicken Brette der Fall war. Bald darauf bemerkte ich, wie das Geräusch und das Flügelschlagen sich vermehrte; zugleich ward meine Schachtel hin und her geschüttelt, wie eine Wetterfahne an einem stürmischen Tage. Auch hörte ich, wie der Adler mehrere Püffe und Stöße erhielt (ich glaube nämlich mit Sicherheit behaupten zu können, daß ein solches Thier meine Schachtel im Schnabel fortschleppte) und dann fühlte ich plötzlich wie ich in senkrechter Richtung eine Minute lang so schnell herabfiel, daß mir der Athem beinahe verging. Mein Fall wurde durch ein furchtbares Rauschen beendet, welches lauter in meinen Ohren schallte, wie der Wasserfall des Niagara; darauf befand ich mich eine andere Minute lang in vollkommener Finsternis, und endlich stieg meine Schachtel so hoch, daß ich das Licht am oberen Theile der Fenster erblicken konnte. Jetzt erkannte ich, daß ich in das Meer gefallen seyn müsse. Meine Schachtel schwamm wegen meines Körpergewichts, wegen der Güter, die sie enthielt, und der breiten eisernen Platten, welche der Stärke halber an den vier Ecken des Bodens und der Seite geheftet waren, fünf Fuß tief im Wasser. Ich vermuthete damals, und glaube auch noch jetzt, der Adler, welcher mit meiner Schachtel davon flog, wurde von zwei oder drei andern verfolgt und gezwungen, mich fallen zu lassen, während er sich gegen die andern vertheidigte, welche seine Beute zu theilen hofften. Die am Boden der Schachtel befestigten eisernen Platten, welche von der stärksten Art waren, hielten sie im Gleichgewicht während des Fallens, und verhinderten, daß sie vom Wasser zerschellt wurde. Jede Fuge war sehr fest eingerammt, und die Thüre bewegte sich nicht auf Angeln, sondern wurde wie ein Schiebfenster auf und nieder gezogen. Hiedurch war mein Zimmer so eng verschlossen, daß nur wenig Wasser eindringen konnte. Ich gelangte nur mit Schwierigkeit aus meiner Hängematte, nachdem ich zuvor gewagt hatte, den früher erwähnten Schieber auf der Decke zurückzuziehen, um ein wenig frische Luft einzulassen, durch deren Mangel ich beinahe erstickte. Wie oft wünschte ich damals mit meiner theuern Glumdalclitch wieder zusammen zu seyn, von der ich in einer einzigen Stunde so weit getrennt war! Auch kann ich aufrichtig gestehen, daß ich inmitten meines Unglücks nicht unterlassen konnte, meine arme Wärterin und den Schmerz zu beklagen, den sie wegen meines Verlustes, wegen des Mißfallens der Königin und wegen der Vereitlung günstiger Aussichten erleiden mußte. Vielleicht sind wenig Reisende in solcher Noth wie ich gewesen. Ich erwartete jeden Augenblick, meine Schachtel werde zertrümmert, oder wenigstens von dem ersten heftigen Windstoß oder der ersten Woge umgeworfen werden. Wurde eine einzige Glasscheibe zerbrochen, so wäre augenblicklicher Tod unvermeidlich gewesen. Nur die starken äußeren Metallstäbe, welche, um Unglücksfälle auf Reisen zu verhindern, vor den Fenstern befestigt waren, konnten dieselben schützen. Einigemale bemerkte ich, wie das Wasser durch mehrere Ritzen, die jedoch nicht beträchtlich waren, eindrang, und ich versuchte dieselben so gut wie möglich zu verstopfen. Es war mir nicht möglich die Decke meines Zimmers in die Höhe zu heben; ich versuchte dies, um mich oben darauf zu setzen; denn dort hätte ich noch einige Stunden länger mein Leben erhalten können, als wenn ich unten gleichsam in Haft geblieben wäre. Entging ich auch in zwei oder drei Tagen allen Gefahren, so konnte ich doch Nichts erwarten, als einen elenden Tod durch Kälte und Hunger. Vier Stunden lang befand ich mich in diesen Umständen, und dachte, ein jeder Augenblick werde mein letzter seyn; ich hegte sogar diesen Wunsch.
Ich habe dem Leser schon berichtet, daß zwei starke Krampen an jeder Seite meiner Schachtel, wo sich keine Fenster befanden, befestigt waren, durch welche der Bediente, der mich zu Pferde trug, einen ledernen Riemen zog, den er alsdann um seinen Leib schnallte. Als ich mich nun in diesem trostlosen Zustande befand, hörte ich, oder glaubte zu hören, wie etwas an der Seite meiner Schachtel, wo die Krampen befestigt waren, schabte. Ich kam auf den Gedanken, die Schachtel sey in's Schlepptau genommen, und werde so durch das Meer gezogen. Bisweilen fühlte ich nämlich einen Ruck, durch den die Wogen bis an die Höhe meiner Fenster schlugen, so daß ich beinahe im Dunklen blieb. Dieser Umstand weckte bei mir einige schwache Hoffnung, ich würde errettet werden, ob ich gleich mir nicht einbilden konnte, wie die Sache geschehe. Ich wagte einen meiner Stühle loszuschrauben, welche immer auf dem Fußboden befestigt waren; dann brachte ich es mit vieler Mühe dahin, daß ich ihn unter dem Schieber wieder festschraubte, den ich täglich selbst geöffnet hatte, stieg auf den Stuhl, brachte meinen Mund so nahe wie möglich an das Loch und rief endlich in allen Sprachen, die ich verstand, laut um Hülfe. Alsdann befestigte ich mein Schnupftuch an den Stock, den ich zu tragen pflegte, steckte ihn durch das Loch und schwenkte ihn mehreremale in der Luft mit der Absicht, im Fall ein Schiff oder Boot in der Nähe wäre, den Matrosen ein Zeichen zu geben, daß ein unglücklicher Mensch in der Schachtel eingeschlossen sey.
Alles, was ich that, blieb erfolglos; ich fühlte jedoch wie meine Schachtel sich weiter bewegte. Nach einer Stunde stieß die Seite, wo die Klammern waren, gegen etwas Hartes. Ich besorgte, dies sey ein Felsen, denn ich ward heftiger wie jemals erschüttert. Alsdann hörte ich auf dem Deckel meines Zimmers ein deutliches, wie von einem Taue hervorgebrachtes, Geräusch, und vernahm das Schleudern desselben, als es durch den Ring gezogen wurde. Darauf wurde ich allmählich um vier Fuß höher emporgehoben. Ich steckte somit noch einmal meinen Stock mit dem Schnupftuche heraus und rief um Hülfe bis ich beinahe heiser war. Als Antwort vernahm ich ein dreimaliges und lautes Hussa-Rufen, welches mich in solches Entzücken versetzte, daß nur diejenigen, die etwas Aehnliches fühlten, dasselbe begreifen können. Jetzt hörte ich auch ein Getrampel über meinem Haupte, und Jemand rief auf Englisch mit lauter Stimme durch das Loch: Wenn Jemand unten ist, so mag er's sagen. Ich antwortete:
Ich sey ein Engländer, der durch Mißgeschick in das größte Unglück gerieth, welches jemals ein Mensch ertragen habe; ich bitte bei Allem, was heilig sey, mich aus dem Loch, worin ich mich befinde, zu befreien. Die Stimme erwiderte: Ich sey in Sicherheit, denn meine Schachtel sey an einem Schiffe befestigt, der Zimmermann werde sogleich kommen und ein Loch in den Deckel sägen, das groß genug seyn werde, mich herauszuziehen. Da sagte ich, dies sey nutzlos, und werde zu viel Zeit kosten; man brauche nichts weiter zu thun, als daß Einer der Schiffsmannschaft seinen Finger in den Ring stecke, die Schachtel so in das Schiff bringe, und in der Kajütte des Kapitäns niedersetze. – Als nun die Matrosen von mir diese sonderbare Worte hörten, glaubten einige, ich sey verrückt, und andere lachten laut auf. Es war mir auch wirklich nicht eingefallen, daß ich mich unter Leuten meines Wuchses und meiner Stärke befinde. Der Zimmermann kam, sägte in wenigen Minuten ungefähr einen vier Quadratfuß breiten Durchgang in den Deckel und ließ eine kleine Leiter hinunter, die ich bestieg; von dort ward ich äußerst schwach auf das Schiff gebracht.
Die Matrosen erstaunten sämmtlich und legten mir eine Menge Fragen vor, die ich jedoch keine Lust hatte zu beantworten. Ich erstaunte gleichfalls über den Anblick so vieler Zwerge, denn dafür hielt ich sie, weil meine Augen an die ungeheuren Dinge, die ich verlassen, so lange gewohnt gewesen waren. Allein der Kapitän, Herr Thomas Wilcock, ein rechtlicher und braver Mann aus Shropshire, führte mich in die Kajütte. Als er bemerkte, ich sey einer Ohnmacht nahe, gab er mir einen Stärkungstrank und ließ mich auf sein eigenes Bett legen, um der Ruhe zu genießen, deren ich so sehr bedurfte. Bevor ich einschlief erklärte ich ihm, in meiner Schachtel befänden sich mehrere Möbeln von Werth, deren Verlust zu bedauern seyn würde: eine schöne Hängematte, ein treffliches Feldbett, zwei Stühle, ein Tisch und ein Schrank; mein Zimmer sey an allen Seiten mit Cattun und Seide behängt, oder vielmehr gepolstert; wenn er sie von einem Matrosen in die Kajüte bringen lasse, so würde ich sie vor seinen Augen öffnen und ihm meine Seltenheiten zeigen. Der Kapitän, als er von mir diese Albernheiten hörte, glaubte, ich sey toll; er versprach jedoch, wahrscheinlich um mich zu beruhigen, er werde meinen Wünschen gemäß Befehle ertheilen. Alsdann ging er auf's Verdeck und schickte einige seiner Leute in mein Zimmer, die dann, wie ich nachher fand, alle meine Güter herausnahmen und die Polster abrissen. Da Stühle, Schrank und Bettstelle an dem Fußboden festgeschraubt waren, erlitten diese viel Schaden durch die Unwissenheit der Matrosen, welche dieselben mit Gewalt herausrissen. Alsdann hieben sie einige Bretter zum Gebrauche ihres Schiffes ab, und als sie alles was sie wollten genommen hatten, versenkten sie den Rumpf in die See, der dann auch wegen der vielen auf dem Boden und den Seiten eingerissenen Breschen sogleich unterging. Es war mir auch wirklich lieb, daß ich kein Zuschauer der von ihnen angerichteten Verwüstung war; ich würde darüber sicherlich sehr betrübt gewesen seyn, weil ich mich an Dinge hätte erinnern müssen, die ich gern vergessen hätte.
Ich schlief einige Stunden und träumte fortwährend von dem Lande, das ich verlassen, und von den Gefahren, die ich kürzlich bestanden hatte. Als ich jedoch erwachte, fühlte ich mich sehr gestärkt. Es war acht Uhr Abends und der Kapitän ließ sogleich das Abendessen auftragen, denn er glaubte ich habe schon zu lange gefastet. Er bewirthete mich mit vieler Artigkeit und sah, daß ich weder wilde Blicke umherwarf, noch daß ich unzusammenhängend redete. Als wir nun allein waren, bat er mich, ihm einen Bericht von meinen Reisen zu geben, und durch welchen Zufall ich in jener ungeheuern Kiste in's Meer gesetzt worden wäre. Er sagte: Ungefähr um zwölf Uhr Mittags habe er sein Fernrohr zur Hand genommen und etwas in der Ferne bemerkt, das ihm als ein Segel erschienen sey; er habe darauf zusteuern wollen, da die Richtung nicht sehr weit aus seinem Wege lag, um Zwieback zu kaufen, weil der seinige zu mangeln anfange. Als er nun näher gekommen sey, habe er seinen Irrthum erkannt und sein langes Boot ausgesetzt, um zu sehen, was es sey; seine Leute aber wären erschreckt zurückgekehrt und hätten geschworen, es sey ein schwimmendes Haus. Er habe über ihre Dummheit gelacht und selbst das Boot bestiegen, nachdem er seinen Leuten befohlen, ein starkes Tau mitzunehmen. Da das Wetter ruhig war, sey er mehreremale um das Boot herumgerudert und habe so meine Fenster mit den Eisenstäben entdeckt und dann die zwei starken Krampen auf den Seiten ohne Fenster. Er habe alsdann seinen Leuten befohlen, an diese Seite hinzurudern, ein Tau an eine Krampe zu befestigen und so meine Kiste, wie sie die Schachtel nannten, zum Schiffe hinzuziehen. Als sie dort angekommen seyen, habe er ein anderes Tau im Ringe auf dem Deckel befestigen und die Kiste mit Rollen in die Höhe heben lassen, allein seine ganze Mannschaft habe nicht vermocht dieselbe höher als drei Fuß aufzuwinden. Wir sahen, sagte der Kapitän, Ihren Stock mit dem Schnupftuche aus dem Loche hervorragen und schlossen daraus, irgend ein Unglücklicher müsse in der Höhlung eingeschlossen seyn. Ich fragte: ob er oder seine Leute das erstemal, als sie mich entdeckten, wunderbar große Vögel in der Luft gesehen hätten? Er antwortete: während ich schlief habe er die Angelegenheit mit den Matrosen besprochen, und einer derselben habe drei Adler nach Norden stiegen gesehen, zu derselben Zeit, wo man meine Schachtel entdeckte; der Matrose habe jedoch über die außerordentliche Größe dieser Vögel Nichts bemerkt. Der Grund, weßhalb der Matrose sich getäuscht, mußte in der ungeheuern Entfernung liegen, in welcher die Vögel flogen, und der Kapitän konnte natürlich die Bedeutung der Frage nicht verstehen. Alsdann fragte ich ihn, wie weit wir nach seiner Berechnung vom Lande entfernt wären. Er antwortete, nach der genaueren Berechnung wenigstens fünfzig Stunden. Ich gab ihm die Versicherung, er müsse sich wenigstens um die Hälfte irren, denn ich habe das Land, woher ich gekommen sey, höchstens zwei Stunden vor meinem Niederfallen in das Meer verlassen. Hierauf glaubte der Kapitän wiederum daß mein Kopf verwirrt sey; er gab mir hierüber einen Wink und zugleich den Rath, ich möge in die für mich bereitete Kajüte gehen. Allein ich ertheilte ihm die Versicherung, seine gute Bewirthung und Unterhaltung habe mich vollkommen erfrischt, und ich sey so gut bei Verstande, wie jemals in meinem Leben. Alsdann ward er ernst und fragte mich offen: Ob mir der Verstand durch das Bewußtseyn eines ungeheuern Verbrechens, wofür ich auf Befehl eines Fürsten durch Aussetzung in eine Kiste bestraft worden, nicht verwirrt worden sey; man zwinge ja in andern Ländern große Verbrecher mit einem beschädigten Fahrzeuge, ohne Lebensmittel, in die See zu stechen. Es werde in dem Falle ihm zwar leid thun, einen so bösen Mann in sein Schiff aufgenommen zu haben, er gebe mir jedoch sein Wort, im ersten Hafen, wo wir anlangten, mich sicher an das Ufer zu setzen. Er fügte hinzu, sein Verdacht sey durch mehrere alberne Dinge, die ich den Matrosen und dann ihm selbst in Betreff der Kiste gesagt hätte, so wie durch meine sonderbaren Blicke und mein Benehmen während des Abendessens, gestiegen.
Ich bat ihn, er möge meine Geschichte geduldig anhören, die ich ihm auch der Wahrheit getreu von dem Augenblicke an, wo ich England zum letztenmal verließ, bis auf den Zeitpunkt erzählte, wo er mich zuerst bemerkte. Da nun die Wahrheit sich stets dem Verstande vernünftiger Männer aufdrängt, so ward auch dieser würdige Herr, der einen Anstrich von Gelehrsamkeit besaß, von meiner Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit sogleich überzeugt. Um nun Alles, was ich gesagt hatte, ferner zu bestätigen, bat ich ihn, er möge meinen Schrank herbeibringen lassen, dessen Schlüssel ich in der Tasche trug; er hatte mir nämlich schon gesagt, wie die Matrosen mein Zimmer zugerichtet hatten. Ich öffnete den Schrank in seiner Gegenwart und zeigte ihm die kleine Sammlung von Seltenheiten, die ich mir in dem Lande, woraus ich auf so sonderbare Weise befreit worden war, gebildet hatte, darunter befand sich der Kamm, den ich aus des Königs Bartstumpfen verfertigte und ein zweiter von demselben Material, der jedoch in einem Abschnitzel von Seiner Majestät Daumennagel befestigt war, der als Rücken diente. Ferner befand sich darunter eine Anzahl Nadeln, von der Länge eines Fußes bis zu der einer Elle, vier Wespenstacheln, groß wie Tischlerstifte, ein goldener Ring, den mir die Königin auf höchst artige Weise zum Geschenk machte, indem sie ihn von ihrem kleinen Finger zog und ihn mir wie ein Hundehalsband über den Kopf warf. Ich bat den Kapitän, er möge diesen Ring als Dankbezeugung für seine Artigkeit annehmen, allein er gab mir eine entschieden abschlägige Antwort. Alsdann zeigte ich ihm ein Hühnerauge, das ich mit eigener Hand von der Zehe einer Hofdame abgeschnitten hatte. Es war von der Dicke eines ziemlich großen Apfels und so hart geworden, daß ich es nach meiner Ankunft in England als Becher aushölen und mit Silber einfassen ließ. Zuletzt bat ich ihn, die Beinkleider, die ich trug, sich anzusehen; diese waren von Mäusefellen verfertigt.
Ich konnte ihm durch meine Bitten allein den Zahn eines Bedienten aufdringen, den er, wie ich bemerkte, mit großer Neugier untersuchte, und der ihm außerordentlich gefiel. Er empfing ihn mit solchem Dank, welchen diese Kleinigkeit nicht verdiente. Der Zahn war aus Versehen von einem ungeschickten Wundarzte einem Diener der Glumdalclitch ausgezogen worden, der an Zahnweh litt; der Zahn war aber so gesund wie die andern in seinem Mund. Ich ließ ihn abputzen und verwahrte ihn dann in meinem Schrank. Seine Länge betrug ungefähr einen Fuß, und sein Durchmesser vier Zoll.
Der Kapitän war mit meinem einfachen Berichte sehr zufrieden und sprach seine Meinung dahin aus, ich würde mir die Welt verpflichten, wenn ich denselben, nach meiner Rückkehr, in England niederschriebe und drucken ließe. Ich erwiderte: Nach meiner Meinung sey der Büchermarkt bereits mit Reisebeschreibungen überhäuft; gegenwärtig finde dasjenige allein Beifall, was außerordentlich sey; wie es scheine, so hätten viele Schriftsteller weniger die Wahrheit als ihre Eitelkeit und ihr Interesse, oder die Unterhaltung unwissender Leser im Auge. Meine Geschichte könne nur wenig gewöhnliche Ereignisse aber keine zur Ausschmückung dienende Beschreibungen von sonderbaren Pflanzen, Bäumen, Vögeln und andern Thieren enthalten; sie könne auch von barbarischer Sitte und von dem Götzendienst wilder Völker, durchaus nicht jene Schilderung geben, deren Masse man sonst in Reisebeschreibungen finde. Ich sey ihm jedoch für seine gute Meinung sehr dankbar, und werde die Sache überlegen.
Der Kapitän sagte mir ferner, er wundere sich sehr, daß ich so laut schrie. Alsdann fragte er mich, ob der König und die Königin von Brobdingnag harthörig seyen. Ich erwiderte, hieran sey ich schon seit länger als zwei Jahren gewöhnt gewesen, und ich müsse mich sehr über seine und seiner Matrosen Stimme wundern, die mir nur zu flüstern scheinen, ob ich sie gleich sehr wohl verstehe. Als ich aber in Brobdingnag gesprochen habe, sey ich in der Lage eines Mannes gewesen, der auf der Straße mit einem Andern auf einem Kirchthurme sich unterredete, ausgenommen, wenn man mich auf den Tisch gestellt oder in der Hand gehalten habe. Ferner sagte ich ihm, noch etwas Anderes sey von mir beobachtet worden; als ich das Schiff zuerst betrat, und als die Matrosen mich umringten, seyen sie mir als die kleinsten und winzigsten Geschöpfe, die ich jemals gesehen, erschienen. Auch konnte ich in Brobdingnag, als meine Augen sich an das Anschauen jener ungeheuern Gegenstände gewöhnt hatten, es niemals ertragen, mich in einem Spiegel zu beschauen, weil der Vergleich mir eine höchst verächtliche Meinung von mir selbst verschaffte. Der Kapitän sagte ferner, er habe beim Essen bemerkt, wie ich Alles voll Erstaunen betrachtete; oft habe ich kaum das Lachen unterdrücken können, ein Umstand, den er sich nicht erklären konnte, und den er einer Krankheit meines Gehirns zuschrieb. Ich erwiderte: dies sey wahr, ich wundere mich noch, wie ich das Lachen hatte unterlassen können, als ich Schüsseln von der Größe eines Silberdreiers, eine Schweinskeule, die kaum den Mund zu füllen vermöchte, einen Becher, nicht größer als eine Nußschale, erblickte, und so fuhr ich fort die übrigen Geräthschaften und Nahrungsmittel zu beschreiben. Obgleich mir nämlich die Königin, als ich in ihren Diensten stand, einen vollständigen Hausrath hatte verfertigen lassen, so hatten sich meine Ideen nach dem Verhältniß meiner Umgebung gebildet, und ich betrachtete meine eigene Kleinheit in derselben Weise, wie andere Leute ihre Fehler zu erkennen pflegen. Der Kapitän ging auf meinen Spaß ein, und erwiderte scherzhaft mit der alten englischen Redeweise: Er glaube meine Augen seyen größer, wie mein Magen; denn er bemerke, daß mein Magen nicht besonders gut sey, ob ich gleich den ganzen Tag gefastet habe. Dann fuhr er fort mich zu necken und behauptete: Er würde sehr gern hundert Pfund gegeben haben, hätte er meine Kiste in dem Schnabel des Adlers oder von solcher Höhe in das Meer herabstürzen gesehen. Dies müsse wirklich ein höchst erstaunenswerthes Ereigniß gewesen seyn, dessen Beschreibung der Nachwelt überliefert zu werden verdiene. Der Vergleich mit Phaeton lag so nah, daß der Kapitän es nicht unterlassen konnte, ihn anzubringen, ob ich gleich diesen Einfall nicht sehr bewunderte.
Der Kapitän kam von Tunkin und war auf seiner Rückkehr nach England in den vierundvierzigsten Grad nördlicher Breite und den hundertdreiundvierzigsten Grad der Länge nordöstlich verschlagen worden. Zwei Tage nach meiner Ankunft an Bord begann ein Passatwind; wir segelten zuerst südlich, dann der Küste von Neuholland entlang, hierauf Südsüdwest bis wir das Kap der guten Hoffnung umfuhren. Unsere Reise war günstig; ich will den Leser mit einer Beschreibung derselben nicht langweilen. Der Kapitän lief in ein paar Häfen ein und setzte das lange Boot aus, um frisches Wasser und Lebensmittel einzunehmen. Allein ich verließ nie mehr das Schiff, als bis wir am dritten Juli 1706, ungefähr neun Monate nach meiner Befreiung, in den Dünen anlangten. Ich trug dem Kapitän meine Güter als Bürgschaft für die Bezahlung der Ueberfahrt an, allein er schwur, von mir nicht einen Heller annehmen zu wollen. Wir nahmen sehr freundschaftlich von einander Abschied, und ich entlockte ihm das Versprechen, mich zu Hause in Redriff zu besuchen. Alsdann miethete ich ein Pferd und einen Führer um fünf Schillinge, die mir der Kapitän borgte.
Als ich nun unterwegs die Kleinheit der Häuser und Bäume, des Rindviehs und der Menschen bemerkte, begann ich zu glauben, ich sey in Lilliput. Ich befürchtete, jeden mir begegnenden Reisenden zu zertreten, und schrie ihnen oft mit lauter Stimme zu, sie sollten mir aus dem Wege gehen, so daß jene mehreremale nahe daran waren, mir den Hals zu brechen.
Als ich nun mein Haus betrat, das ich hatte erfragen müssen, und als ein Bedienter die Hausthüre öffnete, bückte ich mich beim Hineingehen wie eine Gans, die ein Thor passirt, denn ich befürchtete mir den Kopf einzustoßen. Meine Frau lief mir entgegen um mich zu umarmen, ich bückte mich aber tiefer wie ihre Kniee, denn ich glaubte, sonst würde sie meinen Mund nicht erreichen können. Meine Tochter kniete vor mir nieder und bat mich um meinen Segen; ich sah sie aber nicht eher, als bis sie aufstand, da ich so lange gewohnt gewesen war Kopf und Augen in die Höhe zu heben, um über sechzig Fuß hoch empor zu sehen; alsdann umschlang ich ihren Leib mit meinem Arm, um sie in die Höhe zu heben. Einige meiner Freunde, die gerade im Hause waren, und mein Gesinde behandelte ich in solcher Weise, als sey ich ein Riese und sie nur Zwerge. Ich sagte meiner Frau, sie sey zu knickerig gewesen, denn ich fände sie halb verhungert und meine Tochter fast gänzlich ausgedörrt wieder. Kurz ich benahm mich so sonderbar, daß Alle bei der ersten Unterredung der Meinung des Kapitäns waren, Witz und Verstand seyen bei mir gänzlich verschwunden. Dies erweise ich als Beispiel der großen Gewalt des Vorurtheils und der Gewohnheit.
In Kurzem ward das gute Einverständniß zwischen mir und meiner Familie wieder hergestellt. Meine Frau befahl mir, nie wieder in die See zu gehen, allein mein Schicksal hat es leider gefügt, daß sie keine Gewalt besaß, mich daran zu verhindern, wie der Leser bald erfahren wird. Mittlerweile gebe ich hier den Schluß des zweiten Theiles meiner unglücklichen Reise.