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9. Das erste Abenteuer und die erste Nacht an Bord

Owe war mit seiner Arbeit ungefähr fertig, und ich freute mich schon, bald unten in der Kajüte zusammen mit dem Kapitän zu Tisch sitzen zu dürfen.

Plötzlich fühlte ich mich in die Luft gehoben; zugleich kamen alle Gegenstände um mich herum, auch der Holzklotz, auf dem ich saß, in eigentümliche Bewegung, die ganze Kambüse wackelte.

Ohne Zeit zu haben, mich zu besinnen, stürzte ich vornüber, stieß im Fallen an die zwei Schüsseln mit den Koteletts und Bratkartoffeln und lag im selben Augenblick mit dem Gesicht auf dem Boden.

Die Schüsseln waren zerbrochen, und die Speisen lagen rund umher im Schmutz!

Da war nun guter Rat teuer.

Ganz bestürzt rief Owe:

»Um Gottes willen, was hast du gemacht? Steh schnell auf! Wir müssen sehen, daß wir alles wieder in Ordnung bringen, bevor jemand kommt und die böse Geschichte entdeckt.«

Glücklicherweise hatte ich keinen Schaden genommen. Auch Owe fand sich bald zurecht. Er schloß sorgfältig die Tür, damit niemand uns überrasche. Dann ließen wir uns beide auf die Knie und sammelten in aller Eile das »extrafeine« Abendessen.

Die Koteletts waren bald gefunden und auf eine neue Schüssel gelegt.

Schwieriger ging es mit den gebratenen Kartoffeln. Sie waren über den ganzen Küchenboden hin zerstreut.

Wir lasen sie auf, so schnell es ging.

Endlich waren auch sie aus der Verheerung geborgen. – Aber in welchem Zustande! Fleisch und Kartoffeln waren voll Kohlenstaub, Sand und allerlei Schmutz.

Es war ein Jammer, das zu sehen. Der arme Owe stand ganz niedergeschlagen da und war dem Weinen nahe.

Und wer war schuld an allem? Ich, und niemand anders.

Weil ich mit dem freundlichen Knaben schwatzte, hatte er nicht aufgepaßt in dem Augenblick, als das Schiff plötzlich drehte und sich auf die andere Seite legte.

Infolge eines Windstoßes hatte es unerwartet schnell gewendet, und das Unglück war geschehen.

Ich sah ein, wie unvorsichtig ich gewesen war, und bemühte mich nun um so mehr, Owe aus der Verlegenheit zu helfen.

»Owe«, sagte ich, »hier ist keine Zeit zu verlieren; machen wir uns schnell daran, die Sachen vom Schmutz zu reinigen.«

»Ja, du hast recht«, stimmte er bei.

Wir nahmen zwei Küchenmesser und schabten den Schmutz zuerst von den Koteletts. Dann ging's an die Kartoffeln. Da war das Geschäft schon mühsamer. Aber wir arbeiteten mit allen Händen.

Noch waren wir nicht fertig, da hören wir jemand an der Tür.

Erschreckt dreht Owe sich um – und die Tür geht auf.

Es war der Steuermann!

»Na, kleiner Koch«, sagte er in seiner scherzenden Art, »ist das Abendessen bald fertig?«

»Ja, Herr Steuermann, im Augenblick werde ich damit kommen.«

Anstatt sich zu entfernen, suchte er nun den Owe, der sich am Eingang vor ihn hingestellt hatte, beiseitezuschieben und streckte den Kopf vor, um zu schauen, wer sonst noch da sei.

O weh, dachte ich, jetzt entdeckt er es. Nein, ich muß Owe retten.

Schnell eilte ich auf den Steuermann zu, faßte ihn an der Schulter und rief mit ausgelassener Munterkeit, daß ich selbst kaum wußte wie:

»Ah, wie freue ich mich, Sie wiederzusehen! – Jetzt bin ich so guter Dinge. – Das Segeln macht mir wirklich Spaß. – Aber sagen Sie mir doch, was sind das für Berge dort im Westen?«

Mit diesen Worten zog ich ihn freundschaftlich von der Tür weg. Owe schloß sie und konnte ungestört seine Reinigungsarbeit fortsetzen.

Wie froh war ich, daß es mir durch diese unschuldige List geglückt war, meinem kleinen Freund aus der Verlegenheit zu helfen!

Der Steuermann freute sich, daß ich wieder munter war, und stand eine Weile bei mir auf dem Verdeck. Er suchte die Berge im Westen. Diese waren aber ganz in Nebel gehüllt.

Etwas verwundert über mein Benehmen, fragte er mich, weshalb ich denn so großes Interesse für diese Berge hätte.

Zum Glück konnte ich ihm der Wahrheit gemäß antworten, in dieser Gegend läge mein Geburtsort, Mödruvellir.

Während wir uns so unterhielten, erscholl die Stimme des Kapitäns vom Steuerruder her:

»Steuermann!«

»Herr Kapitän!«

»Es ist Zeit zum Abendessen.«

»Jawohl, Herr Kapitän. Ich werde dafür sorgen, daß die Speisen aufgetragen werden.«

Dann ging er zur Küche zurück.

Ich folgte ihm auf den Fersen, in Todesangst, Owe möchte noch nicht fertig sein. Doch gottlob, als wir kamen, war alles in Ordnung.

»Owe, bring das Abendessen in die Kajüte für den Kapitän und unsern kleinen isländischen Passagier. Ich werde nachher essen, heb mir meinen Teil auf.«

»Jawohl, Herr Steuermann.«

Ich verließ nun mit meinem Freunde, dem Steuermann, das Deck und stieg in die Kajüte hinab.

Hier wurde sofort der Tisch gedeckt.

Ein wenig über der Tischplatte wurde ein Netz ausgespannt. Darin befanden sich einige viereckige Ausschnitte, die dazu dienten, Schüssel und Teller aufzunehmen.

So konnte sich hier ein Unglück wie vorhin in der Küche nicht wiederholen. Mochte das Schiff noch so sehr schaukeln oder sich auf die Seite legen, alle Geräte waren vom Netze festgehalten und konnten so nicht umfallen.

Der Steuermann ging zu seiner Koje, um die Ölkleider anzulegen und dann den Kapitän abzulösen.

Kurz darauf kam dieser pustend die Treppe herunter.

Als er, angetan mit dem Sturmhute und den gelben Ölkleidern, zu mir hereintrat, sah der feine Herr aus wie ein Gespenst.

Fast wurde mir bange.

Als er aber seine Seebärenhülle ablegte, kam wie durch Zauberschlag der feine Mann wieder zum Vorschein.

Ich stand am Tisch und wartete bescheiden, bis der Herr Kapitän sich setzte.

Kaum hatten wir Platz genommen, als der Koch mit dem »extra feinen« Abendessen zur Tür hereintrat.

Während er die Gerichte auf den Tisch stellte, schielte er halb schelmisch, halb verlegen zu mir herüber. Ich mußte mich gewaltig zusammennehmen, um keine Miene zu verziehen.

Wir beide wußten diesmal mehr als der Kapitän, der Steuermann und die ganze Besatzung. Aber wohlweislich behielten wir unser Geheimnis für uns.

Ich war fest entschlossen, alles aufzubieten, um Owe zu retten. Das Unglück durfte nie und nimmer entdeckt werden. Eher wollte ich die Strafe selbst erdulden.

Das Essen begann.

Der Kapitän langte mit der Gabel nach seinem Kotelett und legte es auf den Teller.

Ich saß ihm gegenüber und war aufs höchste gespannt.

Ob er etwas merken wird? Wenn's nur gut geht!

In meiner Angst vergaß ich ganz, selbst etwas von den Speisen zu nehmen, und stierte bloß auf den ernsten Herrn, um zu beobachten, wie es ihm schmecken werde.

Jetzt beugte er sich tief über den Teller und betrachtete den Braten genau. –

»O weh!« dachte ich, »wir sind verloren; er hat's gemerkt.«

Ich fühlte, wie das Blut mir in den Kopf stieg.

Der Kapitän sagte nichts.

Er richtete den Kopf wieder auf und nahm einige Kartoffeln.

Zu meinem Schreck betrachtete er auch diese mit forschendem Blick. –

Er fing an zu essen.

Jetzt wagte ich kaum noch aufzuschauen.

»Wenn das nur nicht ein böses Ende nimmt!« sagte ich bei mir selbst.

Der Kapitän merkte meine Verlegenheit und sah mich fragend an. Ich war überzeugt, er durchschaute meine innersten Gedanken.

Mehr und mehr wurde ich rot im Gesicht.

Da sagte er: »Na, hast du keinen Appetit? Du bist doch wohl nicht seekrank?«

»Nein, Herr Kapitän; vorher war mir etwas übel, jetzt ist es wieder vorbei.«

»Aber so iß doch! Die Sachen stehen auch für dich da.«

»Gottlob«, dachte ich, »er ahnt noch nichts.«

Ich dankte ihm und nahm von dem Fleisch und den Kartoffeln und fing an zu essen.

Bald merkte ich, daß es mit den Speisen nicht stimmte. Sooft ich fest zubiß, fühlte ich kleine Sandkörner zwischen den Zähnen.

Der Kapitän war nach den harten Strapazen am Steuerruder so hungrig, daß er sich keine Zeit zum Kauen zu nehmen schien und deshalb wohl keinen Verdacht schöpfte.

Schon atmete ich freier auf, als er sich an den Mund faßte und sagte:

»Aber was ist denn das? Es ist ja gerade, als wären kleine Schrotkörner im Fleisch!«

Mit dem Mute eines Verzweifelten fiel ich ein:

»Ja, Herr Kapitän, in Island schießt man oft mit Schrot.«

»Was sagst du? Man schießt mit Schrot? Aber doch wohl nicht auf Kühe und Kälber? Was wir essen, ist aber Kalbfleisch. Vor einigen Tagen habe ich es selbst in Akureyri gekauft.«

Ich blieb ihm die Antwort schuldig.

»Merkst du denn nichts an dem Fleisch?« fragte er weiter.

»Doch, Herr Kapitän«, antwortete ich zögernd. »Mir kommt es auch vor, als wären Körner darin; aber es schmeckt sehr gut; es ist ausgezeichnet.«

»Nun ja«, sagte er, »es kann auch etwas anderes sein, vielleicht Sandkörner. Die Isländer gehen mit diesen Sachen oft nachlässig um. Vielleicht hat man das Fleisch auf den Boden fallen lassen, und so ist Sand daran gekommen.«

»Ja, das ist sehr gut möglich, Herr Kapitän. In Island ist man ja manchmal nachlässig und unreinlich.«

Ich war herzlich froh, daß der Kapitän auf diese Erklärung verfallen war.

Um seine Aufmerksamkeit vollends von den verdächtigen Körnern abzulenken, suchte ich das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu bringen.

Es glückte mir.

Der ernste Mann sprach wenig und ließ mich ruhig erzählen. Als ich merkte, daß er mir kein besonderes Gehör schenkte, fing ich an, ihm allerhand Fragen vorzulegen.

»Herr Kapitän, ist es gefährlich, bei der Dunkelheit im Fjord zu fahren?«

»Ja, ja, das ist es. Deshalb stehen nur der Steuermann und ich abwechselnd am Ruder, solange wir hier kreuzen müssen.«

»Aber wenn wir in das freie Meer kommen, wer steht dann am Ruder?«

»Die Matrosen.«

»Ist es draußen nicht so gefährlich?«

»Nein. Gefahr ist nur vorhanden, solang wir in der Nähe des Landes sind, so wie jetzt.«

»Aber sind die großen Wellen auf dem Atlantischen Ozean nicht gefährlich für uns?«

»Höchstens zwischen Eisbergen; aber nicht auf offener See.«

»Glauben Sie, Herr Kapitän, daß draußen auf dem Ozean auch ich mal steuern könnte?«

»Das könntest du wohl, sobald du den Kompaß kennst und der Wind nicht zu stark ist.«

»Ah, das ist prächtig! Den Kompaß werde ich schon studieren.«

So fragte ich hin und her, bis der Kapitän meinte, es sei Zeit zum Schlafengehen.

Wir standen jetzt vom Tische auf, und Owe kam herein, um Schüsseln und Teller abzutragen.

Bevor ich jedoch zu Bett ging, stieg ich nochmals auf das Verdeck, um Owe einen Besuch zu machen.

Er war sehr neugierig, wie es mit dem verhängnisvollen Abendessen zugegangen sei.

»Hat der Kapitän etwas gemerkt?« fragte er gleich.

»Ja und nein. Er glaubte anfangs, es seien Schrotkörner im Fleisch.«

Owe lachte hell auf und ich mit, aber nicht aus Bosheit. Wir hatten beide zu große Achtung vor dem Kapitän wie auch vor dem Steuermann. Sie waren ja immer freundlich und gut gegen uns.

So endete das Abenteuer ohne weitere schlimme Folgen.

Es war Zeit, zu Bett zu gehen. Ich drückte meinem Freunde die Hand und sagte:

»Ich muß mich beeilen, um den Kapitän nicht zu stören. Er hat sich gewiß schon zur Ruhe gelegt.«

»Gut, Nonni. Schlaf recht wohl. Ich möchte dir wünschen, du bekämst eine ruhige Nacht; aber ich zweifle, ob deine Träume süß sein werden.«

»Nun, wir wollen es hoffen«, sagte ich. »Morgen früh komme ich zu dir und gebe dir Nachricht.«

»Gute Nacht, Owe!«

»Gute Nacht, Nonni!«

Ich ging hinab, um mich zur Ruhe zu legen.

Als ich in die Kajüte trat, fand ich eine große Handvoll Rosinen, Feigen und Zwetschgen in einer Untertasse, die in einer kleinen in mein Bett eingedrückten Grube lag.

Der Kapitän stand noch vor seiner Koje. Er hatte die Oberkleider abgelegt und war eben im Begriff, in sein Bett zu steigen. Doch wandte er sich noch erst zu mir hin, zeigte auf die Tasse und sagte:

»Das da ist vom Steuermann.«

»Vielen Dank, Herr Kapitän.«

Voll Freude lief ich wieder die Treppe hinauf, ging zum Steuermann, der am Ruder stand, drückte ihm die Hand und dankte ihm herzlich.

»O du kleiner Nonni du«, antwortete er in seiner gewohnten muntern Art, »du brauchst nicht zu danken; mach lieber, daß du zu Bett kommst, und schlafe süß bis morgen. – Also gute Nacht, kleiner Isländer, gute Nacht. Jetzt schnell hinunter mit dir.«

Ich verstand, daß er auf seinem verantwortungsvollen Posten nicht länger gestört sein wollte, und lief deshalb sofort wieder in die Kajüte hinab.

Der Kapitän lag schon in seiner Koje, am Fußende meines Bettes. –

Das erste, was ich nun tat, war, daß ich die Hälfte der süßen Sachen verspeiste. Die andere Hälfte wickelte ich in ein Stück Papier und verbarg sie unter dem Kopfkissen.

Ich wollte sie am folgenden Tag Owe schenken.

Dann legte ich meine Kleider ab, doch ganz vorsichtig, um den Kapitän nicht im Schlafe zu stören.

Zuerst gedachte ich meiner guten Mutter, von der ich jetzt schon so weit entfernt war.

Dann kniete ich vor meinem Bette nieder, verbarg das Gesicht in beide Hände und suchte nun, so gut es ging, den Rat der Mutter zu befolgen: ich betete ein Vaterunser, überdachte, wie ich diesen ersten Tag der Seereise zugebracht, und ob ich schlimme Fehler begangen.

Ach ja, das hatte ich. Ich war während des Abendessens dem Kapitän gegenüber nicht ganz aufrichtig gewesen – die Sache mit den Schroten und dem Sand im Braten.

Ebenso nicht gegen den Steuermann, der doch so gut und lieb mit mir war. Das tat mir leid. – Sollte ich nicht zu ihm gehen und ihm alles erzählen?

Nein, nein, das durfte ich nicht, schon Owe zulieb nicht. Es war ja auch nur geschehen, um dem kleinen Koch aus der Verlegenheit zu helfen.

Gott hat es mir gewiß nicht übel genommen, dachte ich.

Doch bat ich ihn aufrichtig um Verzeihung, wenn ich ihn beleidigt hätte, und versprach ihm, in Zukunft es nicht wieder zu tun. Auch wollte ich morgen gegen den Kapitän und den Steuermann recht artig sein, um so alles wiedergutzumachen.

Zuletzt betete ich unter Tränen zu Gott, er möge meine Mutter, meine Geschwister und Freunde segnen.

»O mein Gott«, so schloß ich mein Abendgebet, »beschütze meine Mutter und hilf auch mir, daß ich doch ein braver Knabe werde.«

Ich machte das Kreuzzeichen, wie ich es von meiner Mutter gelernt hatte, und kroch leise und vorsichtig ins Bett, indem ich behutsam vermied, gegen das Brett am Kopfe des Kapitäns zu stoßen.

Die Bettdecke zog ich über die Ohren. Dann lag ich ruhig und still wie eine Maus und hörte ganz verwundert zu, wie die Wellen so merkwürdig nahe bei mir, gerade unter meinem Kopfkissen, fortwährend an die Schiffswand plätscherten.

Ich hatte eine kindliche Freude daran, daß sie mich so sanft wiegten, hoben und senkten, bald nach rechts, bald nach links drehten, hie und da auch schüttelten und rüttelten, wobei dann das Bett und die ganze Kajüte stark ins Schwanken kamen.

So schlich der Schlaf sich sanft und leis in alle meine Glieder; ich schlummerte allmählich ein.

Draußen aber in der finstern Nacht trieb der brausende Nordwind mich und das Bett und die Kajüte und das kleine Schiff unaufhörlich voran durch die schäumenden Wogen des Atlantischen Ozeans. –

Wie lange ich so geschlummert habe, weiß ich nicht. Aber so viel weiß ich, daß mein sanfter Schlaf plötzlich eine gar merkwürdige Unterbrechung erlitt.

Das Kopfende meines Bettes wurde nämlich auf einmal so in die Höhe gehoben, daß ich fast aufrecht auf die Füße zu stehen kam, im Schlaf vornüberstürzte und mit Gewalt, so lang wie ich war, in die Koje des Kapitäns geschleudert, ja mit dem ganzen Gewicht meines Körpers ihm auf Kopf und Brust geworfen wurde.

Auf diesen Zusammenstoß folgte ein zweifacher Angstschrei, der eine in tiefem Baß, der andere mit gellender Knabenstimme.

Herr Foß und sein »kleiner isländischer Passagier« schrien um die Wette.

Der Kapitän fuhr erschreckt auf, ergriff mit kräftiger Hand meinen Kopf und Arm und hielt mich so eine Weile fest.

Da schrie ich natürlich noch ärger und suchte mit aller Gewalt mich loszureißen.

Glücklicherweise kam mein Angreifer bald zur Besinnung und ließ mich los.

So stand ich vor der Koje. Noch schlaftrunken und ganz verwirrt rieb ich mir mit beiden Händen die Augen.

Der Kapitän richtete sich im Bette auf, faßte mich wieder am Arm und sagte:

»Aber was ist denn das, mein Kleiner? Hast du dich gestoßen?«

»Ja, meine rechte Schulter tut mir weh.«

Der Kapitän befühlte sie, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß das Schlüsselbein nicht gebrochen war, tröstete er mich und sagte:

»Sei nur ruhig. Das geht bald wieder vorüber.«

Unterdessen war ich ganz wach geworden und fing langsam an zu ahnen, was eben geschehen.

Zur Sicherheit aber fragte ich doch den Kapitän:

»Was ist denn eigentlich passiert?«

»Kannst du das nicht begreifen? Das Schiff hat sich auf die andere Seite gelegt.«

»Richtig, ja, so ist es gekommen. Das hätte ich eigentlich gleich wissen können.«

»Nun, mein Lieber«, sprach der Kapitän, »mach, daß du wieder zu Bett kommst. Leg dich fest an die Wand, dann purzelst du ein anderes Mal nicht so leicht herunter.«

»Danke, Herr Kapitän. Gute Nacht.«

»Gute Nacht, mein Junge, und schlafe wohl.«

»Danke, ebenfalls.«

Ich legte mich wieder in mein Bett und suchte mich nun so einzurichten, wie der Kapitän mir geraten hatte.

Aber es wollte mir nicht glücken. Mein Bett stand noch immer in die Höhe, beinahe lotrecht, mit dem Kopfende nach oben, mit dem Fußende nach unten.

Deshalb rief ich wieder: »Herr Kapitän, das geht unmöglich. Ich stehe beinahe aufrecht auf den Füßen im Bett, und so kann ich doch nicht schlafen.«

»Sieh, daß du dich am Fußende etwas zusammenkauerst«, antwortete der Kapitän halb im Schlafe.

Ich befolgte seinen Rat und rollte mich zusammen, indem ich mich vornüber bog und die Knie bis zum Kinn heraufzog.

So lag ich wie ein rundes Bündel, einen gewaltigen Buckel machend, unten in der Ecke des Bettes. Ich hüllte mich fest in die Decke und konnte dann bald einschlafen.

Wie lange ich schlief, weiß ich nicht. Aber das weiß ich wieder bestimmt, daß bald eine ähnliche Geschichte losging wie vorher.

Ich geriet samt dem Bett in eine gleitende Bewegung, rutschte vom Fußende zum Kopfende, das jetzt unten war, und flog auf den Boden vor die Koje des Steuermanns!

Ich stieß einen Schrei aus.

Abermals hörte ich die Stimme des Kapitäns:

»Ach, du Ärmster, bist du schon wieder aus dem Bett gefallen?«

»Ja«, antwortete ich jammernd, »ich liege hier mit allen meinen Sachen auf dem Boden. Das ist doch eine abscheuliche Einrichtung mit dem Bett. Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Kapitän, aber hier kann ich nicht länger schlafen; ich werde sonst noch zum Krüppel. Schon jetzt tut es mir schrecklich weh in allen Gliedern.«

»Einen Augenblick Geduld, mein Lieber«, sagte der Kapitän beruhigend, »ich komme dir gleich zu Hilfe.«

»Aber ich bitte Sie, Herr Kapitän, lassen Sie mich nicht mehr in dieses Bett kommen. Das ist ja lebensgefährlich.«

»Nur ruhig, Nonni, ich werde schon Rat schaffen.«

Der Kapitän kroch jetzt aus seiner Koje hervor und legte die Kleider an.

Unterdessen hatte ich mich, in eine Decke eingehüllt, an den Rand des Bettes gesetzt. Es stand beinahe senkrecht, das Fußende diesmal, wie gesagt, oben, das Kopfende unten.

Herr Foß zündete zu einer kleinen Nachtlampe noch eine Kerze an und sagte dann in freundlichem Tone:

»So, mein Lieber, jetzt bin ich auf einen guten Gedanken gekommen. Du nimmst deine Bettücher, Decken und Kissen und legst dich in meine Koje. Ich bleibe auf, denn ich habe einstweilen Schlaf genug gehabt. Morgen werde ich dann dein Bett anders einrichten. Sei versichert, in Zukunft sollst du nicht mehr herausfallen.«

Damit war ich ganz einverstanden und dankte ihm herzlich.

Er nahm nun sein Bettzeug fort und half mir das meinige zurechtlegen; auch sorgte er dafür, daß ich gut und bequem zu liegen kam. Dann machte er sich vollends fertig und ging auf Deck.

In der neuen Koje lag ich ganz behaglich. Ja, das war in der Tat etwas anderes als vorher.

Der Eingang zur Koje hinein – es war nur eine enge, rundliche Öffnung in der inneren Seitenwand des Schiffes – war so eingerichtet, daß man unmöglich herausfallen konnte. Zudem lag ich hier nicht quer, sondern längs an der Schiffswand. Wenn nun das Schiff sich von der einen Seite auf die andere legte, wurde ich bloß etwas von rechts nach links gedreht. Das störte mich aber nicht in meiner Nachtruhe.

Bald fiel ich in Schlaf und schlief wie ein Stein bis zum nächsten Morgen.


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