Auguste Supper
Die Hexe von Steinbronn
Auguste Supper

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Die Steinbronner hatten seitdem wie andere Christenmenschen auch geglaubt, nur die vielfältigen Laster der Irdischen stammten aus des leidigen Teufels Arsenal.

Erst Samuel Dorn, der ortsfremde, kürzlich zugewanderte Schneider, brachte sie auf die Vermutung, daß auch manches, was man landläufig als Tugend bezeichnete, finsterer Herkunft sein müsse und seine feinsten Würzelchen in jene Regionen senke, wo aus Pech und Schwefel der glänzende Asphalt gekocht wird für den breiten Weg, der zur Verdammnis abführt.

Ging es nicht mit dem Teufel zu, wenn dieser wortkarge, verhutzelte, alte Schneider nie und nie die Geduld verlor, es mochte ihm so hundemiserabel gehen, als es nur wollte?

Ging's nicht mit dem Teufel zu, wenn Samuel Dorn gelassen blieb, selbst wenn sein gelbgesichtiges Weib mit den stechenden Vogelaugen tagelang müßig im Bett lag und den alten Ehegatten Wasser tragen, Feuer anmachen, Suppe kochen, ja die ärmliche Wäsche waschen ließ, ohne sich zu rühren?

Hätte ein einziger, christlicher Steinbronner das je getan, ohne an den allwissenden Herrgott die 6 bittere Frage zu richten, warum man denn in drei Teufels Namen geheiratet habe?

Es kam heraus, daß der Schneider katholisch war. Dazu ein Österreicher. Oder ein Slowak. Kurzum etwas Zweifelhaftes. Von der Donau sprach er dann und wann. Und des reichen Bäckers Sohn, der Fritz, der so ziemlich überall herumgekommen war, der sagte, daß die Ufer der Donau eine Gegend seien für Mausfallenhändler und verwandte Gewerbe.

Die Steinbronner waren aufgeklärt genug, um zu wissen, daß der Teufel, der hinter dem unheimlich geduldigen Schneiderlein stand, nicht der Unhold mit langem, zottigem Schweif, kurzen Hörnern und Pferdefuß persönlich war. Sie wußten genau, daß der Fürst der Finsternis so gut wie der liebe Herrgott oder der König seine Leute hat, die er für sich arbeiten läßt.

Und es blieb nicht lang verborgen, daß die Seph, – eben das viel bettlägerige, gelbgesichtige Weib mit den stechenden und unruhigen Augen, – das Werkzeug der Finsternis war.

Nach der Pfeife dieser Seph tanzte der Schneider. Aus ihren Augen las er seine Befehle, von ihr strömte die knechtende Macht aus, die alle Mannheit, allen Willen in dem Österreicher gefesselt hielt, wie Buben den Maikäfer fesseln.

Wer kann es den Steinbronnern verdenken, daß sie das fremde Weib mieden, ja haßten und sie im Bogen umgingen? Man weiß nicht, wer es zuerst gesagt hat, daß die Seph eine Hexe sei. Aber es 7 war, als ob damit nur ausgesprochen worden wäre, was greifbar in der Luft lag. Es war nur der letzte, leichte Stoß, der die Kristalle zusammen- und anschießen ließ. Und wie jede richtige, tatsächliche Hexe vermied die Seph alles, was ein Licht auf ihre eigentliche Natur hätte werfen können. Sie hielt sich fern von den Menschen, auf deren Verderben sie sann, sie wandte die stechenden Augen ab, wenn man sie ansah, sie ging ihrer Wege in fast schleichender Stille und Scheu, sie grüßte, wo kein anderer an einen Gruß dachte.

Weil die Hexen von selber alles wissen, zeigte sie nie Neugier. Und weil die Hexen alle Macht und jeden Sieg in Händen haben, so stritt sie nie und tat immer, als ob sie nachgäbe.

Können Christenmenschen ruhig werden, wenn Kinder der Finsternis vermummt und verhüllt unter ihnen einhergehen? Ist es nicht, als ob die Luft voll Schwüle wäre, als ob unsichtbarer Zündstoff aufgehäuft würde von ruchlosen Händen? Zündstoff, der dir zu jeder Stunde unversehens das Dach überm Kopf auflodern lassen kann!

Denen von Steinbronn wäre es fast lieber gewesen, die Höllenkraft dieses fremden Weibes hätte sich einmal kräftig in irgendeiner Schandtat entladen, als daß männiglich im Bann des Erwartens stand, indes die bleiche Seph müde durch die Gassen schlich und Sonne suchte, während der unglückselige Schneider daheim die Arbeit tun mußte. 8

Da kam das Frühjahr. Der Sturm durchschüttelte die Wälder rund um Steinbronn und brach nieder, was nicht mehr jung und gesund genug war, um ein neues Emporquellen des Lebens auszuhalten.

Zur selbigen Zeit erlitt die Seph einen Schlaganfall, der ihre linke Seite und die Zunge lähmte.

Ein merkwürdiges Zusammentreffen war's, daß gerade in der Nacht, als das geschah, des reichen Bäckers Weib, dem weitgereisten Fritz seine Mutter, auf ihren Knieen gebetet hatte: »Von allem Bösen erlös' uns, lieber Herr und Gott.«

Im Kämmerlein natürlich hatte sie gebetet und bei verschlossenen Türen. Niemand als Gott allein hat es hören können, denn ihr Mann und ihr Sohn waren zu der Stunde unten in der Backstube und schafften den Teig zu den fünfzehn Laiben Roggenbrot, die der Rößleswirt bestellt hatte für die Taglöhner, die ihm Hopfenstangen setzen mußten am warmen Berg.

Des reichen Bäckers Weib war nicht immer fromm gewesen. Aber jetzt holte sie nach, was sie in der Jugend versäumt hatte. Und wie fast jede nachgeholte Frömmigkeit, hatte auch die ihrige zuviel Fülle, um still und selbstverständlich in die Kahlheiten, Leeren und Mängel dieses Lebens hineinschlüpfen zu können, alles fröhlich auszugleichen und eben zu machen.

Unbeholfen und umfangreich stand die Frömmigkeit der Bäckersfrau auf den kurzen Füßen. Wenn sie sich bewegte, krachten alle Bretter, wenn sie sich 9 setzen wollte, war jeder Stuhl zu schmal, und ein Verstecken gab's gleich gar nicht.

So kam auch jenes nächtliche, zeugenlose Beten an den Tag. Männiglich im Dorf wußte davon und stärkte sein Gottvertrauen an der Tatsache, daß der Himmelsherr wie ein guter Jagdhund gleich die richtige Beute packt, wenn man ihm zuruft: »Faß an!« ohne nähere Instruktionen.

Also das fremde, scheue Weib lag niedergestreckt und unschädlich gemacht im ärmlichen Bett, neben dem der Schneider auf dem Werktisch saß und Kartoffelsäcke flickte, in denen sieben Katzen keine Maus mehr gefangen hätten.

Früher war's zu Steinbronn nicht üblich gewesen, solche Säcke noch einmal flicken zu lassen. Kein Schneider weit und breit hätte die hoffnungslose Arbeit angenommen. Aber dem Österreicher, den die gelbe Hexe am Faden hielt, dem konnte man zutragen, was es auch war. Er saß bei seinem Weib, nähte, schwieg und muckte nicht gegen den Bann. –

Im Frühjahr haben die Steinbronner ein Fest, das aus alten Zeiten stammt. Mit Böllerschüssen beginnt es am frühen Morgen. Mit Lärm und Geschrei endet's am späten Abend im Wirtshaus.

Die Kränze aus Tannenreis, die zu diesem Fest vonnöten sind, winden die ledigen Burschen und Mädchen etliche Abende zuvor in dem weiten Hof des alten Schulzen, der von hinten an das Häuslein stößt, in dem das Schneiderspaar wohnte. 10

Es ging nie still zu bei dieser Arbeit, und damals vielleicht lauter als je. Der Bäckerssohn führte das große Wort, erzählte von draußen, von seinen Wanderfahrten und seinen Abenteuern mit fremden Mädchen.

Die Dämmerung sank, und lauter wurde das Lachen und Kreischen. Hinter des Schulzen Apfelbaum, der erst rötliche Blütenknospen, aber noch keine Blätter hatte, kam der volle Mond grinsend empor.

»Ja,« prahlte der Bäckenfritz, »mit den Weibern kenn' ich mich aus. Und die Schwarzhaarigen, die Blitzaugigen, die sind die Feurigsten. Einmal hab' ich mit einer angebandelt gehabt – – –«

Er wollte weiter reden, er war so schön im Zug; da stand auf einmal wie aus dem Boden gewachsen der alte Schneider mitten unter den Kranzbindern.

Der Mond schien ihm ins kleine Gesicht, das seltsam zuckte.

– »Ssst« – machte er langgedehnt, indem er einen Finger an den Mund legte, als wolle er zur Stille mahnen; »ssst, die Seph, die Seph – –«

Die Jungen um ihn her verstummten. Das Erstaunen machte sie still. Was wollte das armselige Kerlchen da mitten unter ihnen?

»He, Schneider, was gibt's –?« fragte einer dann.

Das Männlein wandte sich ihm zu. Ganz demütig murmelte er in seiner fremden Mundart: »Still e wen'g, wenn S' sein könnten, Euer Gnaden, still e wen'g –«

Es war, als ob sich die Überraschten auf eine Antwort besännen; aber schon war der Schneider 11 zurückgetreten, und man hörte die alte, hintere Stiege am Häuschen dort unter seinen Tritten knarren.

Jetzt kam dem Bäckenfritz die Kaltblütigkeit des Vielgereisten zugute. »Du,« schrie er hinter dem Männlein her, »hat dich deine Gelbe geschickt? Sag' ihr, sie soll doch selber kommen.«

Und von der Stiege her, aus einem Winkel, in den das Mondlicht nicht hineinzuleuchten vermochte, rief es zurück: »Ist recht, – i' vergiß scho' net –«

Sie stritten aber dann mit Lachen, ob das die Stimme des Schneiders oder seiner Herrin gewesen sei.

»Sie liegt im Bett, die Gelbe, und kann sich nicht rühren,« sagte eines der Mädchen. 12

»Was weißt denn du,« gab ein Bursche zurück, »die Schwarzhaarigen, Blitzaugigen, die, die der Bäckenfritz kennt, die Feurigen von der Donau drunten, wo die Seph her ist – –« seine Worte gingen unter im kreischenden Lachen.

Am Abend danach, als wieder die goldene Jugend von Steinbronn zu löblichem Tun in des Altschulzen Hof versammelt war, trat noch einmal der Schneider unter sie. Diesmal kam er nicht leise, unbemerkt und scheu. Stracks, wie einer, der sein Ziel vor Augen hat und genau weiß, was er will, ging er auf den hochgeschichteten Haufen fertiger Kränze zu und nahm einen weg.

Wie über einen ertappten Dieb fielen sie über ihn her.

»Halt, Schneider! Das gibt's nicht. Frechheit!« klang es wirr durcheinander, und der Bäckenfritz nahm mit hastigem Ruck den Kranz aus des Schneiders Hand.

Der Alte sah sich um, als ob er aus dem Schlaf gerissen worden sei. Er stammelte etwas, das klang wie: »Die Seph, die Seph,« dann ward sein Blick bewußter, schärfer und blieb an dem blühenden Gesicht des Fritz hängen. »Du,« sagte er ganz leise und doch seltsam durchdringend und drohend, »jetzt noch einmal!« Und er schritt davon.

Bei Mond und Laternenschein tat die Kommission, der das Schmücken der Straßen und Häuser oblag, noch am Abend einen großen Teil der Arbeit. 13

Des Schneiders Wohnung ging gegen die Hauptstraße, und auch sie sollte grünen Schmuck erhalten, damit das alte und kläglich armselige Haus nicht wie jener Gast in der Bibel das Fest schände durch ein Kleid, das nicht hochzeitlich war.

Aber als die geschäftigen, eifrigen Burschen um Einlaß klopften, tat der Schneider die Türe nicht auf. Keinen Lichtschimmer sah man hinter den geschlossenen Läden. Da schleppten die Findigen kurzerhand eine Leiter her und schlugen von außen den Nagel für den Kranz ins Fenstergesims.

Aber als in der Frühe des Festmorgens die helle 14 Sonne in die Gasse schien, da war der aufgehängte Kranz verschwunden. Ungeschmückt schaute das Haus hohnvoll in den Tag. Nun ergrimmten die Festordner. Zwei Burschen wurden in das Haus geschickt, daß sie dem hergelaufenen Pack die Sachlage klarmachen und das Nötige erzwingen sollten.

Heiß vor Grimm und drohend stiegen die beiden empor.

Still und abgekühlt kamen sie wieder herunter.

Erst winkten sie nur ab und redeten gar nicht. Dann sagten sie, die Seph habe den Kranz; aber die Seph liege da wie tot. Gelb wie eine Zitrone, langhingestreckt und starr, die dürren Hände unter dem Kranz auf der Brust gefaltet. Und der Schneider hocke daneben auf dem Werktisch wie ein Affe. Er rühre sich nicht und rede nicht und lasse die Augen nicht von der Schwarzhaarigen.

Erst schauten die Ortssöhne drein, als hätten ihnen die Hennen das Brot gestohlen. Dann kam ein kurzes Lachen auf.

»Sie wird nicht tot sein, die – sonst könnte der Schneider aufschnaufen –«

»Solange die Hex' nicht unterm Boden ist, ist die Macht bei ihr,« sagte einer.

Das Fest nahm seinen Lauf. Die Böller krachten, daß die Nebel auf den frühlingsfeuchten Wiesen zitterten und wogten.

Der Oberfeuerwerker der Steinbronner war ein grauhaariger Schreiner, ein ehemaliger Kanonier, 15 der bei Belfort mitgeschossen hatte. Nie dröhnten ihm die Böller stark genug, und als der Bäckenfritz sagte: »Matheis, spar' dein Pulver nicht, die Schneidershex' hat ausgeschnauft,« da lud er zuletzt dreifache Ladung.

Den Schlag davon hat man gehört bis nach Niedersteinbach, und der Kanonier, obgleich er Werg in die Ohren gestopft und bei dem Schuß den Mund weit aufgerissen hatte, wie es das Reglement bei seiner einstigen Batterie vorschrieb, – er verspürte einen Schlag, als sei er noch einmal Lehrbub bei seiner bösen Meisterin.

Aber er lachte dazu. Er lachte und dachte, dieser Schlag sei die letzte Bosheit der Gelben gewesen, der der Schuß gegolten hatte.

Nach dem Fest waren die Köpfe schwer. Im Schneidershaus gingen die paar Leute ab und zu, die nötig sind, wenn der stille Gevatter irgendwo eingekehrt ist. Sie wußten von dem Schneider zu sagen, daß er wie ein knurrender Hund um die Tote her sei, und daß man ihm nichts zu Dank machen könne. Das Hemd und das Kissen sei nicht fein genug, und wenn man vom Bezahlen rede, dann fahre der Alte einen an wie ein Wildkater und frage, ob er schon einmal jemand Geld schuldig geblieben sei?

Der Tag war warm, fast heiß, an dem man die Seph hinübertrug nach dem katholischen Gottesäckerlein von Niederbronn. Ob man gleich in der Frühe schon aufbrach und vier Trägerpaare sich 16 ablösten, war es doch eine herbe Mühsal mit diesem kleinen, dürren Weib. Steine oder Bleistücke hätten den ärmlichen Sarg nicht schwerer machen können, als die gelbgesichtige Fremde es tat.

Es war ein kleiner Zug, der hinterherschritt. Den Steinbronnern lag immer noch ihr Fest in Kopf und Gliedern. Der Schneider, der hinter den Trägern ging, hatte einen langen, schwarzen Rock an, den man sonst nie an ihm gesehen hatte, dazu einen Hut, der zu groß war.

Solange man durchs Dorf ging, schaute sich das Männlein ein paarmal um, als wolle er sehen, wer 17 alles sich anschließe. Aber ob auch da oder dort jemand unter der Türe oder auf der Gasse stand und dem Sarg nachschaute, – nur ein paar Weiber traten herzu, um der Seph das Geleit zu geben.

Da senkte zuletzt der Schneider den Kopf und zog seinen großen Hut weit herein.

Durch den Waldgürtel, der Steinbronn umschließt, führte der holperige Weg. Unter den Tannen war es kühl, und aus der Waldestiefe kamen die hallenden Rufe schweifender Kinder. Da stellten die keuchenden Männer ihre Last ins Moos und fingen an, sich die nassen Stirnen zu trocknen.

Der Schreiner, der das Böllerschießen besorgt hatte, schwitzte am gewaltigsten.

»Schneider,« sagte er wohlmeinend und ohne Arg zu dem Witwer, »wenn Ihr an Eurem Weib ein Leben lang so schwer getragen habt, wie wir heute die halbe Stunde – –«

Er wollte weiter reden. Ein teilnehmendes Wort von Mann zu Mann, wie es keinem Christenmenschen verwehrt ist; aber da bewegte sich der Sarg dort. –

Der Schneider fuhr auf mit einem Schrei. »Da ihr! Auf e' Wurzel habt's ihn g'stellt, Leut'! Anders stell'n, Leut', wenn ihr den Sarg tätet –«

Und die Träger sahen jetzt eine harzige, knorpelige Föhrenwurzel durchs Moos laufen, wie eine gekrümmte Schlange. Vorher hatte die kein Mensch gesehen. 18

Sie stellten den Sarg nicht mehr lange anders. Sie hatten genug. Stumm nahmen sie ihn auf; stumm schritten sie unter den Tannen weiter und aus dem grünen Gürtel hinaus auf die rissigen, lehmigen Wege, die schon zur Niederbronner Markung gehören.

Die Weiber blieben am Waldsaum zurück. Die von Steinbronn stehen schlecht mit den Niederbronnern und betreten ihre Markung ungern.

Uralt ist der Streit. Gelegentlich ging's um den Glauben, gelegentlich um ein Holz- oder Streu- oder Wegrecht. Seit Glaubens- und Holzrechte staatlich geregelt sind, ist die äußere Ordnung besser und der innerliche Haß gründlicher geworden.

Niemand weiß, ob der Schneider das Zurückbleiben der Weiber bemerkte. Er zog nur seinen großen Hut noch etwas weiter ins runzelige Gesicht.

Neben dem Weg ist dort ein breiter, nicht sehr tiefer Weiher, der seit alters her den Steinbronnern gehört. Sein Wasser hat eine merkwürdig dunkle Färbung, als ob es auf schwarzem Grunde stände. Die Wasserspinnen zucken über den Spiegel, und rund um den flachen Rand wachsen gelbe Dotterblumen und lachende Vergißmeinnicht. Eine Stelle soll der Weiher haben, die unergründlich tief sei. Die Steinbronner sagen, auf dem Platz des Weihers sei einst ein Nonnenkloster gestanden, das in einer schönen Nacht der Teufel zu sich hinabgeholt habe, wobei ein kleines Löchlein zur Hölle offenstehen geblieben sei. 19

Die Niederbronner aber wollen wissen, daß in alten Zeiten ein Schulze von Steinbronn das Schatzgraben betrieben habe mit des Teufels Hilfe. Ganz tief sei er hinabgekommen, bis dahin, wo das Gold liegt wie sonst die Ackersteine. Aber als er habe zugreifen wollen, da sei das Wasser aus der Erde gebrochen, habe den tiefen Schacht ausgefüllt, den Schatzgräber ersäuft und den Steinbronnern zu einem Weiher verholfen, dem man sein böses Herkommen deutlich genug ansehe.

Nicht friedlich und unbewegt lag heut das dunkle Wasser. Der Bäckenfritz hatte seines Vaters dicken Schimmel in die Schwemme geritten. In langen Stiefeln saß der Bursch auf dem ungesattelten Gaul, der sich's in der sonnenwarmen Flut wiehernd und schnaubend wohl sein ließ. Schwere Wolken bräunlichen Schlammes stiegen auf unter den Pferdehufen. Wie sie da, dickem Rauch gleich, emporkamen, sah man erst, wie klar an sich das dunkelscheinende Wasser war, wenn es in Ruhe über dem moorigen Grund stand.

Dem Bäckenfritz war nicht weniger wohl als seinem dicken Gaul. Er sang ein schmetterndes Lied vom schwarzbraunen Mädchen und hieb mit seiner langen Geißel ins Wasser, daß die Perlen spritzten.

Was Wunder, daß es die schwitzenden Träger der trübseligen Last gelüstete, eine Zeitlang zu verweilen.

Sie stellten ab mitten auf dem Weg und stapften 20 durch das schon hohe, taufeuchte Gras rund um den Weiher, als wollten sie den wiehernden Gaul und den singenden Burschen einkreisen.

Der Schneider schaute auf und bewegte den Mund. Vielleicht wollte er sagen, sie sollten doch die Seph nicht so quer über den Weg stellen, mitten in Steine und Schollen hinein. Aber dann schwieg er. Langsam ging er zum Sarg, und ganz sachte setzte er sich drauf. Dorthin, wo seines Weibes Füße lagen.

So schaute er, den Rücken den Steinbronnern zugekehrt, unter seinem großen Hut hervor über grünende Ackerbreiten hin. aus denen jubelnd die Lerchen stiegen. Grau und ohne Leben war sein runzeliges Gesicht. Fast sah es aus, als wolle er einschlafen.

Da gab es am Weiher hinter seinem Rücken ein Lachen. Ein Ruf klang herüber, als ob er den Schneider anginge. Der wollte sich ermannen, wollte umschauen. Aber da flog schon ein großes Etwas über den Sarg hin, dicht neben dem Männlein, dem sprühende Wassertropfen Rock und Gesicht netzten.

Wie Entsetzen glitt es da über des Schneiders Antlitz.

Er schnellte auf und er taumelte vorwärts. Tief bückte er sich zur Erde nieder, so daß sein Hut weit über den Weg kollerte.

Er nahm einen Stein auf. Einen scharfkantigen Kalkstein mit frischer, bläulicher Bruchfläche. Eine 22 Sekunde lang wog er ihn in der Hand, und dann warf er ihn mit keuchendem Schrei hinter dem Etwas her, das über den Sarg der Seph hinweggesetzt hatte.

Das Etwas war der dicke Schimmel gewesen, dem die Tropfen von den glänzenden Flanken rannen und auf dessen Rücken der Fritz saß.

Nach vorwärts gerissen vom gewaltigen Schwung seines Wurfes taumelte das Schneiderlein über seinen Hut hinweg.

Aber dort vorne taumelte jetzt auch der Reitersmann.

Die Steinbronner sprangen hinzu. Schon lag der Fritz, von dem ungesattelten Gaul geglitten, lang auf dem Weg, und der Schimmel trabte der nächsten Wiese zu.

Das war gegangen wie Blitz und Knall. Auch wenn der Schreiner-Kanonier nicht ganz deutlich gehört hätte, daß der Schneider bei seinem verhängnisvollen Wurf »Seph« schrie – man hätte doch leicht wissen können, wie da die Zusammenhänge waren.

In Niederbronn drüben fing jetzt das katholische Sterbeglöcklein zu läuten an.

Rasch, kurz und geschäftig war sein Klang, anders als man es in Steinbronn gewöhnt war. Es hörte sich an wie eine Mahnung, das fremde Weib endlich herbeizubringen und den Pfarrer nicht warten zu lassen. Die Männer neben dem bewußtlosen Fritz 23 schauten mit feindseligen Augen nach der Richtung, aus der der Klang kam. Ein paar davon zogen die schweren Sackuhren und nickten.

Der Schreiner aber sagte laut und hart gegen den Schneider hin, der jetzt reglos mitten im Wege stand: »Er soll sie selber tragen, seine Kanaille –.«

Da bückte sich das Männlein, nahm den ganz zertretenen und verbeulten Hut vom Boden auf und fing an, den gelben Lehmstaub mit dem Ärmel wegzuputzen.

»Mach's schon, mach's schon, Euer Gnaden,« sagte er dabei ganz erstickt, wie er immer gesagt hatte, wenn man ihm die hoffnungslos zerrissenen Kartoffelsäcke gebracht hatte.

Dem Burschen auf dem Weg rieselte das junge Blut aus dem dichten, blonden Haar.

»Tun wir zuerst den da heim! Die Lebendigen kommen vor den Toten,« sagte einer der Männer.

Da faßten sie an und nahmen den Fritz auf. Andere holten den fressenden Schimmel aus dem glitzernden, morgenfeuchten Gras heraus. Und sie zogen ab mit ihrem blutenden Ortsgenossen und schauten nicht um nach dem österreichischen Schneiderlein und seiner bösen Gefährtin. Umsonst rief in der Ferne das eifrige katholische Glöcklein.


Der Schneider hielt immer noch seinen zerschundenen Hut und säuberte daran. Die dürren 24 Hände zitterten ihm, und sein Gesicht sah aus wie Asche.

Er sah die Leute davongehen, alle, auch den letzten. Da wurden seine alten Augen groß und entsetzt. Er ließ den Hut fallen und tat einen Schritt hinter den Gehenden her.

Dann aber stand er mit hängenden Armen, wie zerschlagen, und ein klagender Ruf kam aus seinem Mund, der klang wie »Seph, Seph!«


Der katholische Pfarrer von Niederbronn und der dortige Totengräber sind die ersten gewesen, die nachher auf den Platz kamen, dicht neben dem Weiher. Bis an die Markungsgrenze gingen sie dem säumenden, fremden Gast ihres Gottesäckerleins entgegen.

Erst eine gute Zeit später kamen auch die Steinbronner Träger unter Verstärkung des Schulzen, des Polizeidieners und so vieler Steinbronner und Steinbronnerinnen, als genügt hätten, um die reichste und vornehmste Ortseingesessene zu begraben.

Aber alle die da kamen, kamen umsonst.

Auf dem heißen, tennenharten Weg zeigte ein kleines Rinnsal dunklen, angetrockneten Blutes, wo der Fritz gelegen hatte. Nicht weit davon lag der zertrampelte Hut des Schneiders und wieder ein Stück weiter weg eine zerbrochene, große Schere.

Mit spitzen und scheuen Fingern nahm die der 25 Schreiner auf. »Herrgott,« sagte er unruhig, »jetzt hat der Schneider die Schere weggeworfen! Und eine Schere im Sack ist das einzige, was hilft gegen eine Hexe. – Jetzt hat sie ihn vollends ganz!«

Der fremde Pfarrer sagte nichts darüber; aber sein Gesicht bekam einen feindseligen und geringschätzigen Ausdruck. Das sah der Schulze, und er setzte scharf ein gegen den Schreiner und seine unvernünftige Rede.

Und jetzt fanden sie am Wegrand zwei runde, braune Stückchen Holz mit je einem blanken Nagel darin. Die musterte der Schulze streng, und er sagte, daß das zwei Füße vom Sarg des Weibes seien, die zu schlecht und schlampig angenagelt waren, als daß sie festgehalten hätten, als man das armselige Bretterhäuslein über den holperigen Weg schleifte.

Dem Schreiner stieg das rasche Blut in den Kopf. »Seit wann macht man die Särge zum Schleifen?« stieß er zornig hervor. »Hätt' ich die Füße einzapfen und eindrehen sollen wie für die Millionäre? Wer zahlt denn mir die Arbeit?«

Und auf einmal fiel dieses »wer zahlt denn?« auch noch anderen Leuten ein, und sie suchten mit geschärften Augen nach dem Schneiderlein.

Zerwühlte und zerquetschte Dotterblumen, zertretene Vergißmeinnicht fand man am Weihersrand. Schwarz und unheimlich dick stand das Wasser. Am dunkelsten und trübsten dort, wo die 26 Steinbronner das sündige Nonnenkloster, die Niederbronner den goldgierigen Schulzen in der Tiefe wissen.

Das Bahrtuch lag säuberlich gefaltet unfern im Gras. Tagelang ist mit Haken und Stangen nach dem fremden Paar gesucht worden. Es gab Stimmen, die sagten, wenn der Schreiner den Sarg nicht so liederlich gemacht hätte, daß durch jede Fuge hätte Wasser dringen können, dann wäre die Sucherei nicht.

Andere sagten, daß eine rechte Hexe jedes Holz könne sinken machen. Und den Schneider, den habe die Gelbgesichtige, nachdem er die Schere von sich geworfen, einfach zu sich in den Sarg gezogen, ehe sie in den Teufelsweiher fuhr.

Daß das Männlein die Last über den Wegrand geschleift und in das Wasser gestürzt habe, das sei ein Ding der Unmöglichkeit, behaupteten die Träger. Denn nie sei ihnen, den starken Männern, ein Toter so schwer geworden, wie das Weib mit den Vogelaugen.

Reglos steht längst der Wasserspiegel wieder über dem moorigen Grund. Nur die Spinnen zucken darüber. Der Bäckenfritz mit seinem zusammengeflickten Schädel getraut sich nicht mehr, den Schimmel in die Schwemme zu reiten. Auch nicht in jenem Teil des Weihers, in dem der Gaul Grund findet. Wenn er das Wasser sieht, packt ihn ein Grauen, so stark, wie es sonst keinen packt. 27

Die Steinbronner sagen, von dem geflickten Schädel allein komme das nicht.

Um den Schneider ist's allen leid. Er ist im Grunde ein gutes Männchen gewesen. Die kleinsten Kartoffeln, die dünnste Milch, das schlechtestgeratene Brot hat man ihm geben dürfen an Zahlungsstatt, ohne daß er aufmuckte.

Hätte er doch die Schere nicht weggeworfen in jener Stunde! Das war sein Untergang. Gott soll seiner Seele gnädig sein! betet das Bäckersweib.

 


 


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