Hermann Sudermann
Der Katzensteg
Hermann Sudermann

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An einem der letzten Augusttage dieses merkwürdigen Jahres saß in der Sommerstube eines ansehnlichen Bauerngehöfts eine Gesellschaft von jüngeren Männern um den eichenen Eßtisch herum, der in seiner ganzen Breite mit irdenen Bierkrügen und rundbauchigen Schnapsflaschen besetzt war. Der Tabaksqualm, der zwischen den Ritzen der Pfeifendeckel hervorquoll, hüllte die heißen, von Branntwein und Begeisterung leuchtenden Gesichter in seine blaugrauen Wolken.

Es waren jüngst heimgekehrte Vaterlandsverteidiger, die in kriegerischen Erinnerungen schwelgten.

Alle trugen sie den unverkennbaren Zug von Familienähnlichkeit, den gleiche Geburt, gleiche Sitten und gleiche Gedankenbildung auch Blutsfremden aufprägen. Der Krieg hatte ihre derben, ehrlichen Gesichter verwildert und mit Schrammen und Schmarren übersät. Zwei oder drei hatten den Arm noch in der Binde ruhen, und kaum einer war schon zu dem schweren Entschlusse gekommen, den schwarzverschnürten Jägerrock an den Nagel zu hängen.

Es waren Freibauern des Dorfes Heide, zerstreut wohnend und doch nachbarlich verbunden – etliche, die noch unter der Fuchtel des Vaters standen, andre, die bereits in den Besitz des Hofes eingerückt waren. Sie hatten niemals gefront und gescharwerkt, die großen Umwälzungen, welche die Steinschen Gesetze vor wenigen Jahren dem Bauernstande gebracht, hatten auf sie keinen Einfluß gehabt, und als im vorigen Frühling der Heerruf des Königs durch die Lande gegangen, waren sie stolz wie Herrensöhne mit eigenen Waffen und auf eigenem Pferde in die Reihen der freiwilligen Jäger eingerückt, mochte darob auch das letzte Saatkorn zu Markte gewandert sein.

Nur einer unter ihnen, der, welcher auf dem einzigen Polsterstuhle des Hauses, einem schmutzigbraunen, vielfach zerschlissenen Ungeheuer, saß und als der einzige eine Flasche roten Weines vor sich stehen hatte, gehörte augenscheinlich andern Lebenskreisen an.

Er hatte ein bleiches, etwas gelblich getöntes Gesicht von feinen, weichgeschnittenen Formen, braune, düstere Augen und lange, schwarze Wimpern, die beim Niedersinken tiefe Schattensegmente auf die schmalen Wangen warfen. Wiewohl er der jüngste von allen schien – er konnte das zweiundzwanzigste Jahr kaum überschritten haben –, sah er aus wie einer, der mit der Lust dieses Lebens abgeschlossen hat. Eine trotzige Energie thronte auf der faltenfreien Stirn, und in den bläulichen Augenhöhlen lag etwas wie ein alter Gram. –

Er trug einen grauen Rock, der in den Achseln zu enge schien, und darunter ein blauwürfliges Wollenhemd mit zerzaustem Gefältel und einer Reihe von Perlmutterknöpfen. Das einzig Militärische an ihm war die Feldmütze mit dem Landwehrkreuz, die er in den Nacken zurückgeschoben hatte, offenbar, weil der harte Lederschirm auf die kaum verharschte Narbe drückte, die sich als glühender Streif aus dem dunklen Gelock quer über die hohe Stirn zog.

Aller Augen hingen an ihm. – Jedes Wort wollte vorerst von ihm vernommen sein. –

Neben ihm saß ein junger, kräftiger Bursch, wenig älter als er, der mit zärtlicher Besorgnis ihn unaufhörlich beobachtete – der Wirt des Hauses ohne Zweifel. Er hatte die rechte Schläfe weiß bepflastert. Lachend und kühn guckte das rotwangige, runde Gesicht unter dem blonden Haarwalde hervor, der mit seinem wirren Gelock noch Hals und Nacken umrahmte.

»Aber du trinkst ja nicht, Leutnant!« ermunterte er ihn, die Flasche näher an ihn heranschiebend, »du bist an unser Bier nicht gewöhnt und an den Schnaps noch weniger – brauchst dich drum gar nicht zu genieren, das rote Zeug zu saufen, das mir gestohlen werden kann. – Reich sind wir nicht, das weißt du, aber so viel haben wir doch, daß, wenn du bei uns bleiben willst, täglich bis an dein Lebensende solch eine Flasche für dich parat stehen soll. Nicht wahr, Jungens?«

Jubelnd stimmten die andern bei und drängten sich herzu, mit ihren Krügen und Schnapsgläsern an sein halbzerbrochenes Weinglas anzustoßen.

Ein Leuchten dankbarer Freude glitt über das düstere Gesicht.

»Ich hab's wohl gewußt«, sagte er, »daß ich bei euch eine Heimat finden würde – sonst wär' ich auch nicht eingekehrt.«

»Noch schöner!« rief der Wirt. »Haben wir uns deshalb Blutsbrüderschaft geschworen vor der ersten Schlacht – in der Kirche damals – in dem verfluchten Nest – dessen Namen ich nie behalten kann?« –

»Dannigkow hieß das Nest«, erwiderte der junge Fremde, den man »Leutnant« anredete.

»Weißt's noch so gut«, erwiderte der Wirt, »und hättest am Ende daran denken können, dich an uns vorbeizuschleichen? – Hatten wir dich deshalb zu unserem Offizier gewählt und waren dir blindlings nachgesprengt immer ins Dickste 'rin? – Blut und Tod, das leimt zusammen, Baumgart, und drum schere dich den Teufel um die Welt und bleib bei uns.«

»Schwatz kein dummes Zeug, Alterchen«, erwiderte der Leutnant und blies nachdenklich gegen den purpurnen Spiegel des Weins.

Aber jener ließ sich nicht abweisen.

»Du kannst sicher sein«, fuhr er fort, »daß wir dir nie mit neugierigen Fragen zu Leibe rücken werden. Wir sind ja von jeher gewohnt, dich als ein Stück Geheimnis zu betrachten. Wenn wir andern beim Biwakfeuer lagen und uns von Haus und Hof, von Mutter und Vater, von Suff und Liebschaften erzählten, dann kniffst du alleweil den Mund zusammen, akkurat wie du's jetzt wieder tust. Faßte sich einer aber ein Herz und fragte dich, wo du her wärst und was du sonst getrieben hättst, dann standst du auf und gingst ab . . . Da gewöhnten wir uns denn das Fragen ab und dachten: Er mag wohl was ausgefressen haben, was ihm das Leben verleidet hat. . . . Schließlich, was geht's uns an? Ein guter Kamerad warst du, das Zeugnis geben wir dir – und mehr als das, der Bravste, der Tapferste, der . . . na, kurz und gut: hättst du einem von uns befohlen: geh, hack dir die rechte Hand für mich ab – wahrhaftig, ohne Murren hätt' er's getan. – Red' ich die Wahrheit, Jungens?«

Ein Rufen des Beifalls ging rings um die Tafelrunde.

»Hört endlich auf«, sagte der junge Leutnant, die Jubelnden von sich wehrend. »Ihr lobt mich ja in Grund und Boden hinein.« –

»Der hinkende Bote kommt nach!« fuhr der Hausherr fort. – »Wir sind auch gehörig unzufrieden mit dir gewesen. Du weißt wohl noch, wie das kam. Es war während des Waffenstillstandes, kurz nachdem wir uns mit den Litauern unter dem tollen Platen und den Bülowschen vereinigt hatten. Da ließest du eines Abends Ronde machen und erklärtest uns: ›Jungens, ich muß euch verlassen – – fragt nicht, warum? – Aber glaubt mir, ich kann nicht anders – die Landwehr braucht Offiziere. Es ist keine Ehre, von den freiwilligen Jägern zur Landwehr überzuspringen, aber ich geh' zur Landwehr.‹ – War's nicht so, Baumgart?«

Der junge Leutnant nickte, und um seine Lippen spielte ein Zug aufquellender Bitterkeit.

»Wir sahen, wie dir dabei das Wasser in den Augen stand, sonst wär' wohl einer oder der andre mit der Frage gekommen: Ist das der Dank für das Vertrauen, welches wir dir geschenkt haben, daß du uns jetzt verläßt, jetzt gerade, wo wir den Platenschen zeigen wollen, was 'ne echte und rechte Franzosenhetze ist? – Und drum ließen wir dich ohne Widerrede ziehen, wenn uns auch das Herz dabei geblutet hat. – Keiner hat später noch einen Ton über dich erfahren, so viel wir auch nachfragen taten, aber das können wir dir versichern: noch monatelang haben wir allabendlich von dir gesprochen und uns den Kopf zerbrochen, was dich wohl fortgetrieben haben möchte und was du wärst und dergleichen sonst, so daß diejenigen, die später zu uns stießen und dich nicht gekannt hatten, meinten, das ewige Gerede von dir sei ihnen langweilig und wir hätten besser getan, mit dir zusammen zu den Schmutzfinken von der Landwehr zu kapitulieren. Siehst du, so haben wir an dir gehangen, und dafür willst du uns schon nach ein paar Tagen den Rücken kehren! Vom Marnestrom bis hinter die Weichsel ist ein weiter Weg, wenn man ihn einsam und zu Fuße macht, und deine Wunden knurren auch noch immer. Drum ruh dich aus und erzähl uns nach und nach, wie's dir bei den Graubärten eigentlich ergangen ist und wie es kam, daß du in Gefangenschaft gerietst – denn du und gefangen, das muß ja ein absonderlicher Zufall gewesen sein.«

Er blickte mit naivem Stolze auf das Eiserne Kreuz hernieder, das zwischen den Fangschnüren seines Rockes erschimmerte. Es war ihm zum Lohne dafür geworden, daß er sich einst, ohne den dargebotenen Pardon anzunehmen, mit Schwabenstreichen aus einem Knäuel französischer Husaren herausgehauen hatte.

Die Brust des jungen Landwehrleutnants war jeden Schmuckes bar. Als gegen Ende des Feldzuges die große Flut von Dekorationen sich über die siegreichen Krieger ergoß, hatte er sich wahrscheinlich schon in Gefangenschaft befunden. –

Ein peinliches Gefühl des Zurückgesetztseins, der Scham vielleicht, mochte in ihm sein Spiel treiben. Er rückte die Landwehrmütze in die Stirn zurück, und den Stuhl mit einem gewaltsamen Ruck nach hinten schiebend, als dulde es ihn nicht länger in den Lotterpolstern, sagte er: »Ich dank' euch für die gute Absicht, aber ich muß nach Königsberg, mich beim Kommando zu melden.«

»Da wirst du lange suchen müssen«, entgegnete einer, der den rechten Arm in einer schwarzen Binde trug, ein krausköpfiger Gesell mit glänzend braunen Augen. »Weißt du denn nicht, daß die Landwehr gleich nach ihrer Rückkunft entlassen worden ist?«

»Selbst der Stab soll sich auflösen«, fügte ein andrer hinzu.

»So muß ich mein Heil bei der Generalkommission versuchen«, entgegnete Leutnant Baumgart. »Ich habe mehr Ursache als jeder andre, dafür zu sorgen, daß meine Abschiedspapiere in guter Ordnung sind. Das glaubt mir. Mir soll keiner nachsagen dürfen, daß ich mich heimlich aus der Armee herausgeschlichen habe. Also kurz und gut: Gibt's morgen Fahrgelegenheit auf der Königsberger Landstraße?«

Ein Sturm der Entrüstung erhob sich. Man drängte auf ihn ein, man umfaßte seine Hände, man schloß einen Kreis um ihn, als gelte es, ihn schon im nächsten Augenblick am Entweichen zu verhindern.

»Bleib wenigstens so lange, daß das Fest, das wir dir zu Ehren geben wollen, nicht ins Wasser fällt«, ließ sich Karl Engelbert, der junge Wirt, vernehmen, als der Lärm ein eigen Wort verstattete.

Baumgart fuhr mit hastiger Bewegung nach dessen Sitze herum.

»Mir zu Ehren? . . . Ihr seid toll geworden!«

»Da hilft kein Wehren mehr!« entgegnete ihm jener. »Die Sache ist schon längst gedrechselt. Vor drei Tagen, gleich nachdem du hier hereingeschneit warst, hab' ich den Johann Radtke auf die Wanderschaft geschickt mit 'ner Liste von all den freiwilligen Jägern, die im Kreise zu Hause sind, denn wir haben hier Leute aus sechs oder acht Regimentern – vor allem sollt' er nach Schranden, wo der Merckel wohnt – der bei den Platenschen gestanden hat und dann gleicherweis' zur Landwehr gegangen ist. Aber bei dem hat's 'nen Sinn gehabt, weil sie ihm dort erst das Leutnantspatent zugesichert hatten.«

Baumgart war bei Nennung des Namens sichtlich zusammengefahren, aber sofort hatte er sich gefaßt, und halb vorgebeugt, mit klammerndem Griffe die rohen Lehnenknäufe seines Sessels umfassend, hörte er schweigend an, was der gutmeinende Freund ihm über die werdende Ruhmesfeier zu berichten wußte . . . Er widersprach nicht mehr, vielleicht weil ein offner Widerstand ihn nutzlos dünkte, aber in dem unruhigen Seitwärtsblinzeln seines Auges lag etwas wie ein Fluchtgedanke.

Den Freunden, deren aufgewühltes Blut in der Heimat noch immer nicht zur Ruhe kommen wollte, war jeder Anlaß recht, der sie über die Dumpfheit schlichter Werkeltage, in die sie zu versinken drohten, und war's für etliche Stunden, hinaushob. Sie besprachen mit großer Wichtigkeit die Rückkehr ihres Vertrauensmannes, der schon am Vormittag von dem fünf Meilen entfernten Schranden her erwartet wurde.

»Bin doch neugierig«, sagte Peter Negenthin, der mit der schwarzen Binde, »was die Schrandener mit ihrem saubern Gutsherrn angefangen haben!«

Der Leutnant Baumgart horchte auf.

»Den roten Hahn haben sie ihm schon längst aufs Dach gesetzt«, versetzte ein andrer, »seit fünf Jahren soll er zwischen den schwarzen Brandmauern hausen wie ein Uhu.«

»Warum baut er denn sein Schloß nicht wieder auf?« fragte ein dritter.

»Warum? Weil die Bauern und Bürger drunten im Dorf jeden zuschanden prügeln, der für ihn arbeiten kommt. Einmal hat er sich Tagelöhner aus dem Masurschen verschreiben lassen, hat gedacht, weil sie kein Deutsch verstehen, werden sie bei ihm aushalten – da hat's denn in den Schenken unten 'ne regelrechte Schlacht gegeben, und – schupp, schupp! – sind die Polacken wieder abgeschoben. Seitdem macht er nicht einmal Miene mehr, seine Länder zu beackern.«

»Wovon lebt er denn?«

»Was geht's uns an? . . . Mag er verhungern!«

Mitten in das Gelächter des Hasses, das dieser wenig barmherzige Wunsch bei den Söhnen des Landes hervorrief, trat, dampfend und schweißbedeckt von hastigem Ritte, der ausgesandte Bote, ein kurzer, gedrungener Bursche mit blondem, schlichtem Haupthaar, das gelb und glänzend wie ein neues Strohdach auf sein feistes, von der Sonne krebsrot gekochtes Gesicht herabfiel.

Bevor er zu reden anhub, griff er nach der großen Steinkanne, die in der Mitte des Tisches stand, und mit beiden Fäusten ihren weitausgeschweiften Bauch umklammernd, sog er sich an ihrem Rande fest, bis sie ihm mit Gelächter vom Munde gerissen wurde.

Unter allerhand Possen und Fratzen stattete er Bericht ab.

Das große Fest war von vornherein gesichert. – Allen im Kreise juckte die Haut nach Tanz und Suff und Feuerwerk, und wenn sich's so machte, zur Feier der deutschen Einigkeit auch nach einer gediegenen Prügelei; nur über den Ort, an dem das alles vor sich gehen sollte, hatte noch Zwiespältigkeit geherrscht. – Vor allem begehrten die Schrandener, der Leutnant Merckel voran, daß der Schrumm bei ihnen gefeiert würde.

»Warum? Jungens, das ist eine Bande – die Schrandener. Ganz aus dem Häuschen vor Freude – sauft und tollt den ganzen Tag. Immer Bein' in die Höchte. – Warum? Weil sie sich verschworen haben, ihren Baron, den Vaterlandsverräter, der sie verschimpfiert hat in alle Ewigkeit – wißt ihr, was sie dort für einen Choral in der Kirche singen seit sieben Jahren:

Unser gnäd'gen Herrn von Schranden,
Der uns bedeckt mit Schimpf und Schanden,
Der uns gemacht zu Hohn und Spott,
Schlag mit der Pest, o Herre Gott! –

Das singen sie dort allsonntäglich, und nun, wie ihr Gebet halbwegs erhört worden ist, haben sie sich verschworen, ihn hinter dem Zaun vermodern zu lassen.«

Erregte Fragen drangen von allen Seiten auf ihn ein. »Ist er tot, der Hund? – hat der Teufel ihn endlich geholt?«

Mitten in das Lärmen drang ein knackender, prasselnder Laut. Die Hand des jungen Baumgart hatte die Lehne des Sessels so heftig umklammert, daß das morsche Holz mitten durchgebrochen war. Er selbst saß blaß und regungslos und starrte den Sprecher mit weitgeöffneten Augen an, ohne des Übels, das er dem alten Erbstück angetan, gewahr zu werden.

Und der lustige Johann Radtke fuhr fort: »Sie werden ihn wohl glücklicherweise zu Tode geärgert haben – wenigstens hat der Schlag ihn gerührt, als sie ihm gerade den Katzensteg zerstören wollten. Leutnant, hast du je vom Katzensteg gehört?«

Der stierte immer noch zu ihm empor und sprach kein Wort. Seine Zähne hatten sich in die Unterlippe eingebissen. Wie versteinert saß er da.

»Der Katzensteg ist nämlich der Weg, auf dem der Baron Anno sieben die Franzosen, die das Schloß Schranden besetzt hielten, den Preußen in den Rücken geführt hat. Von dem Schrandener Überfall wirst du doch wohl gehört haben – der steht ja in jedem Kalender.«

Der Leutnant nickte ein paarmal langsam vor sich hin, wie einer wohl tut, der verurteilt ist, sich in ohnmächtiger Ergebung mit seinem Schicksal abzufinden.

»Vor ihren sehenden Augen ist er umgesunken«, erzählte Johann Radtke weiter, »der Schaum hat ihm vorm Mund gestanden – und sein feinslieber Schatz, die Tischlerstochter aus dem Dorf, die mit ihm lebt, hat sich über den Leichnam geworfen. – Wer weiß, was sie sonst noch damit angefangen hätten in ihrer blut'gen Wut.«

»Und nun wollen sie ihn nicht begraben lassen, sagst du?« warf der gutmütige Karl Engelbert mit bedenklichem Kopfschütteln darein. »Ist denn das erlaubt in einem christlichen Staat?«

Johann lachte verschmitzt.

»Die Schrandener halten zusammen wie die Kletten, und wenn sich keiner die Hand beschmutzen will, so 'nen Hundsfott zu Grab zu tragen, kann man's ihnen nicht übelnehmen.«

»Aber wenn's der Obrigkeit zu Ohren kommt?«

»Obrigkeit – hahaha! – Der alte Merckel ist ihre Obrigkeit, und der hat gemeint, seinetwegen wär' der Schindanger noch – – –«

Ein Schrei voll Not und Qual, wie aus erstickender Kehle, hieß ihn verstummen. Aufgerichtet, weiß wie der Kalk an der Wand, stand der junge Leutnant da, die Arme mit geballten Fäusten halb abwehrend, halb drohend gegen ihn ausgestreckt. An seinen bläulichen Lippen hing ein Blutstropfen und rann, eine leuchtende Furche hinter sich ziehend, langsam auf das Kinn herab.

Ein Stammeln, tonlos, kaum verständlich, kam aus seinem Munde, aber wer es verstanden hatte, erstarrte in bleichem Entsetzen.

»Hör auf«, hatte er gesagt, »hör auf! . . . Es ist mein Vater.«

 


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