Hermann Sudermann
Miks Bumbullis
Hermann Sudermann

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XI.

So geschah es eines Novembermorgens kurz vor Sonnenaufgang, als er durchfroren im jungen Schnee saß und gerade auf einen schönen Bock anlegen wollte, daß er rückschauend eine Flintenmündung auf sich gerichtet sah und einen grünbändrigen Hut dahinter, den er wohl kannte.

Er wollte sein Gewehr an die Backe reißen, aber er wußte: Es war zu spät. Darum stand er ganz gemächlich auf und sagte: »Na, wieviel Jahr wird es kosten?«

»Nicht halb so viel, wie du mich Nächte gekostet hast, Miks«, erwiderte der stämmige Förster, der des erschossenen Hegemeisters Nachfolger war, und er fügte hinzu: »Die Flinte laß liegen. Die hol ich mir später. Sonst könnte es passieren, daß du sie mir beim Transport wieder abnimmst und meine dazu.«

»Ich bin gar nicht so schlimm, wie die Leute es machen«, lachte Miks und schlug, ohne erst viel zu fragen, den Weg zum Gendarmen ein, dem er ja doch abgeliefert werden mußte. Der Förster ging zehn Schritt weit hintendrein und hielt die Flinte schußbereit.

»Dreh dich lieber nicht um«, sagte er ganz freundlich, als Miks das Gespräch fortsetzen wollte, »sonst sitzt dir doch gleich eine Kugel im Genick.«

Miks hatte nun eine halbe Stunde Zeit, über das Geschehene nachzudenken. Daß er von der Alute wegkam, war eigentlich ein Segen. Aber dann plötzlich gab ihm das Herz einen Stoß bis in die Kniekehlen hinein. Das Kind! Was wird nun aus dem Kinde? »Ich Dummerjan«, dachte er, »schon wegen des Kindes allein hätt' ich es nicht dürfen.«

Und er fing tausend Pläne zu schmieden an, wie er von der Untersuchungshaft aus das Kind in andere Pflegschaft bringen könnte. Aber er verwarf sie alle. Wenn er die Aufmerksamkeit der Behörden auf das Kind zurücklenkte und in den Verhören irgendein Widerspruch laut wurde, so konnte das künstliche Fachwerk, das Alute damals aufgebaut hatte, davon zusammenfallen wie eine Haferhocke.

Bald begegneten ihnen auch Leute, die halb mitleidig, halb schadenfroh den Zug begleiteten. Reden durften sie nicht mit ihm. Das verbat sich der Förster. So gingen sie in halblauten Gesprächen neben dem Miks daher, und weil sie wußten, daß der Förster kein Litauisch verstand, erwogen sie auch ohne Scheu, ob er nicht doch den Mord auf dem Gewissen habe.

Miks Bumbullis hörte das alles. Es war ein rechter Leidensweg.

Die Schar der Neugierigen wuchs mit jedem Schritte, und als er vor dem Hause des Gendarmen ankam, hatte er ein Gefolge wie ein König. – –

Miks bestritt natürlich alles. Von dem Bock wisse er nichts. Er habe nur ein paar Krähchen schießen wollen, und das könne unmöglich ein großes Verbrechen sein.

Ob er sich nicht schäme, so faule Ausreden zu machen, fragte der Richter.

O nein, er schämte sich nicht. Er wollte ja bei dem Kinde bleiben.

In der Hauptverhandlung kam er mit seinem Weibe und Madlyne wieder zusammen. Er hatte bisher in seinem Innern gewünscht, das Kind möchte nicht geladen sein, denn es war nun schon groß genug, um zu verstehen, welche Schande er ihm antat. Aber nun es wirklich nicht da wär, tat ihm das Herz weh. Er hätte es so gern einmal wiedergesehen.

Madlyne gab sich lange nicht so adrett und fixniedlich wie dazumal, und ihre Augen waren klein und verheult. Aber ihre Antworten kamen auch diesmal wie aus der Pistole geschossen.

Die Flinte habe er wohl gehabt, aber nie in Gebrauch genommen. Ja richtig! Einmal habe er eine Eule geschossen. Das war alles.

Alute schien ihm die schlechte Behandlung längst wieder vergessen zu haben. Nie sei er zu ungewöhnlichen Zeiten aus dem Hause gewesen, nie habe er die Flinte vom Nagel geholt, nie habe er ein Stück Wild oder das Geld dafür von seinen Wegen nach Hause gebracht.

Schade, daß die Frauensleute nicht schwören durften!

Alute zögerte zwar keinen Augenblick, von ihrem Eidesrechte Gebrauch zu machen, aber der böse Staatsanwalt wußte es zu verhindern, ebenso wie die Madlyne, die ihm als Hehlerin verdächtig schien, und so blieben beider Aussagen wirkungslos.

Doch auch die andern, die vereidigt wurden, hielten sich wacker. Selbst diejenigen, die ihn so und so viele Male wegen seiner Schießereien geneckt hatten, konnten sich nicht erinnern, je davon gehört, geschweige denn eine Flinte an ihm gesehen zu haben.

Aber was half das alles! Seine einstige Bestrafung richtete sich drohend hinter ihm auf, und der unaufgeklärte Mord schwebte mit dunklen Flügeln über ihm. Wenn auch nur der Staatsanwalt mit argwöhnischer Anspielung darauf Bezug nahm, ein jeder fühlte, daß um ihn herum Geheimnisse verborgen lagen, die nur eines rächenden Anlasses bedurften, um gegen ihn loszubrechen. Als der Richterspruch verkündet wurde, der ihm drei Jahre Gefängnis zuerkannte, erhob sich Alute, die bis dahin vermieden hatte, seinem Auge zu begegnen, langsam von der Zeugenbank und nickte, den Kopf feierlich wiegend, eine ganze Weile lang zu ihm herüber.

Er schauderte noch Tags hinterher, wenn er dran dachte.

Trotzdem bezwang er sich und verlangte, daß, bevor er in die Strafanstalt überführt wurde, die Seinen ihn besuchten, denn er wußte, daß dies die einzige Möglichkeit war, die kleine Anikke noch einmal zu sehen.

Madlyne hatte ihn wohl verstanden. Denn als die Zellentür sich öffnete und hinter der Alute auch sie hereintrat, da hielt sie richtig das Kind an der Hand.

Miks Bumbullis mußte sich sehr zusammennehmen, sonst wäre er vor dem Kinde niedergekniet und hätte geweint und geweint.

Nun aber sagte er bloß: »Da seid ihr ja alle«, und begrüßte sie freundlich der Reihe nach.

Alute, die einen neuen, weißen Schafpelz trug und auch sonst sehr unternehmend aussah, sagte zu ihm: »Ich könnt mich jetzt von dir scheiden lassen, aber das werde ich nicht tun. Nein, das werde ich nicht tun.«

Er antwortete: »Tu, was du für richtig hältst. Wenn du nur gut zu dem Kinde sein willst.«

»Ich bin gut zu dem Kinde gewesen«, erwiderte sie, »aber da hast du alles verdorben.«

Er demütigte sich vor ihr und sagte: »Ich werde meine Fehler bereuen und ablegen, wenn du mir nur versprichst, daß du gut zu dem Kinde sein willst.«

Sie machte ein hochmütiges Gesicht und antwortete: »Ich verspreche es.« Dann reichte sie ihm die Hand und verlangte von dem Aufseher, er möge sie hinauslassen.

Der Aufseher tat es und wollte auch die andern auffordern fortzugehen, da bemerkte er, daß Miks vor dem Kinde niedergekniet war und weinte und weinte. Und weil er ein guter und aufrichtiger Mann war, so schloß er die Tür noch einmal und ließ ihn gewähren.

Miks streichelte Madlynens Rock und sagte: »Erbarm dich des Kindes!«

Madlyne beugte sich zu ihm nieder und sagte: »Ich schwöre dir, daß ich auf das Kind achtgeben werde.«

»Und wenn du heiratest und weggehst – schwöre mir, daß du das Kind mitnehmen wirst.«

Madlyne neigte sich noch tiefer zu ihm und sagte: »Ich werde nicht heiraten.«

Da wurde Miks wieder ruhig und küßte das Kind und küßte auch Madlyne.

Und dann war die Besuchszeit um.


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