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Hohenheim als Persönlichkeit

W Wir haben schon im vorhergehenden Abschnitt genugsam darauf hinzuweisen versucht, daß Theophrastus Paracelsus wohl zu den interessantesten Figuren der philosophischen Renaissance gehört. Ein Grund, der es klar macht, daß sich auch immer Geschichtsforschung und darstellende Geschichtsschreibung eingehend mit diesem Manne beschäftigt haben. Wie man ihn als Persönlichkeit mißverstand und verzerrte und sein ganzes System überhaupt in fremde Begriffe hineingezwängt hat, wie man ihn als Okkultisten und Mystiker, als Charlatan und Faust-Typus zeichnete, wird erst durch die Ergebnisse der modernen, kritischen Paracelsusforschung deutlich. Das von Karl Sudhoff neu erschlossene Handschriftenmaterial, wie auch dessen weitgehende textkritische und bibliographische Arbeiten zwingen uns schon heute, einer an Wesen und Wert neuen historischen Beurteilung und Betrachtung der paracelsischen Naturphilosophie und Theologie Raum zu geben. Und von diesem Punkte aus erscheint uns auch das spezifisch Naturwissenschaftliche und Medizinische als ein Neues, fast so neu wie seine ganze Religionsphilosophie und ärztliche Ethik.

Daß er ein großzügiges Leben war, daß er mit seltener Reife der inneren Persönlichkeit wissenschaftliche Problemstellungen in warm Menschliches versponn, und daß endlich eine hohe christlich-humanistische Frömmigkeit und Glaubenszuversicht an der Verwirklichung einer sittlichen Menschheitsgemeinschaft ihm eigen, das dürften wir wohl als die unterbauenden Grundpfeiler seiner Lehre von der Wirklichkeit und von den geistigen Kräften anzusehen haben. Sein ruheloses Leben hat ihm nicht den Zauber genommen, der immer und überall die großen Gefühle seiner Seele wie goldener Sonnenschein durchbrach: ein starkes naturpoetisches Sehen. Und doch hat er wie wenige seiner Zeit den unaufgebbaren Wert gekannt, der der empirisch-induktiven Methode zukommt. In der Physica des Comenius, einer tiefen und reichen Seele, die so vielfach an Hohenheim erinnert, zittert das noch nach von der Naturforschung, die Menschen erzieht und froh macht, die ihnen bei stiller Versenkung in die Gesetze des Werdens und Vergehens, des Schaffens und des Ruhens, sagt was sie wert ist, die Natur als freier Codex, in dem man von Gott liest und seinem ewigen Leben. Nicht in sich suche man zuerst die Interpretation von der Einheit der menschlichen Erkenntnis, sondern in der Natur selbst, und dann wird Gott der Führer, die Vernunft das Licht und der Sinn der Zeuge. Ist doch nichts in der Einsicht, das nicht zuvor in der Sinnesthätigkeit gewesen; warum sollte auch nicht kein Ding im Glauben sein, das nicht vorher in der Einsicht war? Ja, je näher die Vernunft der Sinnesthätigkeit, desto wirklichkeitskräftiger, greifbarer wird sie, und umgekehrt, je mehr sie von dem lebendigen Kernpunkt der Sinnesauffassung ins Ungewisse rückt, desto mehr naive Verirrung und Einbildung. Das soll nämlich alles aus dem »Lichte der Natur«, das in uns ist, herausquellen, ohne dogmatische Floskel und spitzfindige Wortkunst. Paracelsus hat wie ein Künstler gefühlt und doch wie ein Nomothetiker gedacht, gleichwie er auch in der Hingabe an das All die großen Fragen von der Naturgesetzlichkeit mit dem Mikrokosmos, d. i. mit dem Menschen und seinem Erkennen, Fühlen und Begehren verband. Gewiß, dieser feine, künstlerische Sinn erweist sich als die kühne Brücke, die vom Menschen Paracelsus zum sehkräftigen Wirklichkeitsbeobachter führt, ein wunderlicher Überträger, der auf den Traversen der neuen Menschheitsbildung, der Renaissance, steht. Auf diesem Wege ist ihr die neue Konstruktion des Universums aufgegangen und Paracelsus hierin einer ihrer größten Repräsentanten. Es ist ein Stück geistiger Lebensbestand, das dann später einen Dichter und Philosophen, Künstler und Naturforscher so ganz erfüllte: Giordano Bruno ...

Unverfälschte Offenheit und ein allerdings oft stark subjektiv gefärbtes Wahrheitsstreben beseelte den ernsten und hochbeanlagten Paracelsus. Schein und Charlatanismus hat sein Leben nie gekannt, ja, er dünkt uns hart und unduldsam in der Kritik. Wenn er auch manchmal unter einem verschobenen Gesichtswinkel die Empfindungselemente seiner Zeit auffaßt und diese dann, etwas umgestimmt, in sich nachwirken läßt, so bleibt er doch immer der Mann, der im Dienste einer freimütigen Wahrhaftigkeit und Echtheit die Grundlagen der Naturforschung und Arzneikunst sieht. Ja, er hat die großen Ideale einer Bruderbundreligion, Humanität und Volkserziehung innerlich zu einem Ganzen vereinigt, er hat das, was als spezifisch »Altevangelisches« in dem »christlichen Humanismus« dauernd lebendig geblieben war, selbständig nacherlebt und mit jener seltenen Gottinnigkeit gekündet. Die freie Natur mit ihren unergründlichen Gaben und Schönheiten, mit ihren konstanten Grundformen und Gesetzmäßigkeiten sei das Tor der Arzneikunst, wie auch die Liebe gegen all die Mühseligen und Beladenen, die in dem großen Spital Gottes dieser Erde liegen, das ewig Lebendige bedeutet, das die arcana der Natur aufschließt. Gerade in letzterer ruhe eine helfende Anteilnahme und warme Fürsorge für die Menschen, im Codex naturae lägen die Schätze wie in einem göttlichen Buche, die verborgene Panacee und das Heilmittel für ein starkes Menschentum, für die Erkenntnis des Lebens, der Schlüssel zum Geheimnis vom Reiche Gottes! Und die Welt eines Franz von Assisi und Heinrich Seuse war ihm dabei aufgegangen, wieder liegt Sommersonnenlicht auf der Erde und wieder spielt Gottinnigkeit und glühende Naturliebe mit der Denkerbegeisterung eines ernsten Mannes. Also nicht die weiche Lieblichkeit und fromme Anmut des Franziskus allein, die eine berauschende Frühlingspracht im Katholizismus – die glücklichste unstreitig – heraufgeführt haben, nein, auch der Franziskus, der das wundersame Sonnenlied gesungen, tritt vor unsere Seele. Wie sollte da der fein empfindende Paracelsus von der Mystik unberührt geblieben sein, wenn sie sogar ein Luther nie ganz vergessen hat? Auch ihm griff es ans Herz, das Weh des Abschiednehmens von einer leis verklingenden fernen Zeit, die so Köstliches barg. Wie ein blutrotes Abendsonnenlicht das nochmals aufflammt, wie ein weiter, bebender Feuerschein ... Es ist eine ganz eigenartige Seelenerregung und Tiefe oder sozusagen ein feintöniger Gefühlswert für die Natur, der dann wie eine scheinbar schwache Welle von Paracelsus ausgegangen ist und in Männern wie Amos Comenius und Joh. B. van Helmont kräftig und nachhaltig anschlug. Auch sie hatten etwas von der Weihe einer großen Naturbetrachtung verspürt, auch sie verstanden die leise und keusche Note von Freudsamkeit an der Offenbarungsstätte Gottes.

Paracelsus besaß jene immanente Frömmigkeit, die wir noch heute an den klassischen Mystikern bewundern. Hierin stand er wohl gegen Rationalismus und jede transscendente Religiosität. Er hat in der Natur Gott gesehen, im Makrokosmus, im selben Maße wie er im Mikrokosmos, d. i. in dem Menschen, den Abglanz des göttlichen Lichtes bewunderte. Seine praktischen Konsequenzen sind die Ethik des christlichen Humanismus. Eine enge Verbrüderung sich liebender Gotteskinder soll aus einer sittlichen Menschheit heraus erwachsen, Menschenbewußtsein und die Erkenntnis des unendlichen Werts der Seele entflamme die innere Persönlichkeit. Diese Welt mit ihren Tausenden Formen und Kräften ist sowohl in ihrer Einheit und im kleinsten als auch in ihren inneren Zusammenhängen die Offenbarungsstätte Gottes, die Natur die treueste Freundin und Helferin der Kranken und Schwachen, der Reichen und Bedürftigen. Die Natur mit ihren »wunderbaren« Vorgängen draußen im Felde, wo der Bauer den Samen der lieben Erde vertraut, ohne auch nur zu ahnen, wie das wird, das er erhofft, oben in den stillen Bergen, wo alte Bäume sterben und dürr werden und neue dafür kommen, oder in der flüsternden Waldnacht und im Hain, im See, wo Frau Sonne mit dem Wasser spielt wie mit der köstlichsten Perle, und der herzensharte Kampf zwischen Unkraut und Weizen mitten drin in der wogenden Pracht – alles, alles das war lebendige Natur. Mit Bildern und Vergleichen, Allegorien und Parabeln hat es Paracelsus umrankt. Die Abfolge des Jahres, sein Eingang und Ausgang, die Zeit, wo die neuen Rythmen ins Naturhafte greifen, der Sommer, wo das junge Leben »in die Ernte und Hülsen kommt« und »die Zeit heranreift, wo auch die Frucht da ist« – dann der Herbst, das große Heimgehen und Müdwerden, die Lebensverkümmerung ... wie oft hat er seine Wanderung damit verglichen, sein Leben mit seiner ganzen Fülle des satten Reifwerdens einer neuen Welt. Es war aber so wenig bedacht mit den köstlichen Augenblicken der warmen Freude, mit der Güte seiner Nächsten, die doch alle seine »Brüder« waren und deren Seelen er so lieb hatte bis ans Ende. Die Idee von der Verwirklichung des Reiches Gottes aber, das war ein Lebendiges, das seiner Brüderschaftsgesinnung zugrunde lag. Mit der Glut eines künstlerisch beanlagten freien Menschen hat er diesen Gedanken reflektiert und in sich lebendig erhalten; ich meine, mit der frommen nachempfindenden Reizsamkeit, die sittlichen Bewegungen eines abgeklärten Geistes entspringt, wußte er sich in seinem Verkehr mit Gott geborgen. Starres juristisches Kirchentum und zersetzenden Konfessionalismus hatte er frühzeitig schon weit von sich geworfen. Und so stellte er sich nicht nur gegen sein römisches Bekenntnis, sondern auch gegen Grunddogmen des Protestantismus. Lesen wir z. B. im Codex Vossianus Chymicus Nr. 24 (Leiden): »Es ist vergebens. das täglich kirchen gehn. vnnd alle die kniebüegung. duckhen. vnnd kirchen eheer betrachten. Von gaystlichen vnnd weltlichen. mit nichten außgenomben. Alles ein vergebene arbeit; ohn alle frucht; Ein will vnd dienest des teüfels. wider christum. vnnd die hayllig dryuältigkeit. Ein gantze Abgötterey. verbotten. vndter dem fluch Anathematis. vonn Gott selbs. – – Vrsach. Die Kyrch hayst vff Latein. Chatolica. vnnd ist der geyst aller gerechten glaubigen. vnnd yr zusambkhombung. ist ym heilligen geyst. Also. das sie alle yhm glauben seind. Das ist. fides chatolica. vnnd besytzt khein statt; Aber Ecclesia ist ein Maur. Im Geist besteht die wahre Kirche, die »feyren der Maurkirchen« aber in »tanntz. pauckheten. vnnd thurnir des teüffels«. In jedem einzelnen Menschen »Zwene Tempel sollen wir haben in Vita beata, Einen zur leer vnd ist Mauren, Einen zur volbringung der leer, der ist mir selbst inn vnserem Hertzen: Als im Eußern Tempel lehrt man das Euangelium vom betten etc. So du das hörest, so bette an einem heimlichen orth, oder in deynem kemmerlein, Nitt inn dem Mauren Tempel (sunst wirstu sein wie der Pharisaeer vnd Ethnicus) vnd bethe inn deinem Tempel d. i. in corde, Also bistu eußerlich vnd Innerlich allein, dann also präcipirt Christus, Also magstu knien, Item cum ore betten oder nicht et nemo videt: aber Antichristus heist dich im Eußern Tempel betten, et sic vident homines, vident geniculationem aut alios gestus orandi ... [»Ex Libro de Re templi Ecclesiastica«; Görlitzer Handschrift der Oberlausitzischen Gesellsch. d. Wissensch. Th. VI. 146 4°. S. 324-331]. Vgl. Sudhoff: K. d. Echt. Parac. Schriften II. S. 259. erhebe sich eine heilige Kirche wie ein mächtiger Bau gegen den Himmel, im Herzen und im Geiste – im Gewissen. Hier – also im tiefsten Innenleben – soll man mit sich ins Gericht gehen. Nur hier gilt wahre Beichte, nur hier sollen wir verborgen beten. Zu jeder Stunde soll das Gebet im Herzen bereit liegen. Man bewahre den inneren Menschen rein und keusch, verhülle ihn nicht in Kutte und Ornat, setze ihm keinen goldstrotzenden Hut auf, mache keinen Narren aus ihm – die »Narrenkappe«, sie würde teuer kommen! Es handelt sich immer nur um die Gerechtigkeit und Gesinnung des inwendigen Menschen. Und so müsse man auch das wahre Almosengeben hindurchempfinden: Wie goldene Bäche fließen die Almosen und Gaben aus der Liebe des sittlichen Menschen, allerdings, sie sind nie und nimmer der Weg zum Himmel, denn der Besitz desselben ist nicht käuflich. Darum auch: Fluch dem unglücklichen Menschen, der das »Gott vergelte es« je ausgesprochen hat, aber »selig vnd mer dann selig ist der man, dem got die gnad gibt der Armut ...«

Es würde für unsern Zweck unleugbar zu weit führen, diese ganz originelle Partie seines Innenlebens eingehender auszuzeichnen. Nur das Allgemeine darf uns in unseren knappen Erörterungen interessieren. Wie nun überhaupt Hohenheims Persönlichkeit stets von der religiösen Gefühlsseite und den sinnlichen Emotionen aus am besten gewertet werden kann, so wird man daher unabweislich immer wieder diesen Standort zur Beobachtung wählen. Gerade seine Ansichten über Gottesdiensthaltung und praktische Religiosität – wir haben den Punkt schon oben des öfteren berührt – dürften neben seiner Abendmahlslehre und den Bibelkommentaren überhaupt zu den eigenartigsten seiner Theologie gehören.

Auf die Abendmahlslehre bzw. Lehre »vom Nachtmahl Christi«, die Mariologie u. a. können wir hier nicht näher eingehen. Nur sei der ersteren durch einige charakteristische Stellen aus den trefflichen Handschriftenauszügen von Sudhoff Genüge geleistet: »... Im Lichte der Natur befindet sichs, daß alle Dinge nichts sind, dafür wirs ansehen, sondern unsern Augen die Weise der Corpora alle verborgen sind. All unsere Nahrung ist »Menschenfleisch in mysterio«; drum nicht zu verwundern wie Brod und Wein sein Fleisch und Blut Christi. Hab ich meine tägliche Nahrung bereitet und ein Hungriger kommt und ich teile meine Nahrung mit ihm, so kann ich sagen, er ißt meinen Leib und mein Blut. So konnte auch Christus zu seinen Jüngern sagen; daß wir wirklich seinen Leib und Blut essen, macht die Benedeiung und Danksagung, auf welche wir den Glauben setzen, wie auf einen Fels. Durch Gottes Wort ward Adams Fleisch und Blut aus der Erde; seine Nahrung war vorher erschaffen; in der Schöpfung ist alles Fleisch und Blut des Menschen. So ist der Mensch ein Sohn Gottes! So bleibt der Mensch in Gott und Gott in ihm »und ist sein Verdammnis und Seligkeit«. Ebenso Christus und die neue Kreatur; er giebt uns Leib und Blut von oben herab zu Speise und Trank und zum Gedächtnis der Menschwerdung Gottes. Doch er giebt uns nicht den »universalis corpus«, sondern »particularis corpus Christi«. Aus dem Licht der Natur wird probiert, daß es universaliter ein Leib ist, aber aus Kraft des Glaubens, gegründet aufs Wort Christi wird probiert die Sonderung, wenn wir den Leib Christi genießen. Wir essen nicht den ans Kreuz geschlagenen Leib, darum müssen wir vom natürlichen Verstand weichen; durch den Glauben essen wir seine Substanz als eines gleichen Gottes der Trinität, Brod vom Himmel herab. Das Wort »das ist mein Leib« muß in uns durch den heil. Geist angezündet werden, daß uns der Geist lebendig mache, das Fleisch ohne Geist ist unsere Verdammnis« [Lib. VII. De Coena Domini. Theophr.: D. Ad Clementem VII. Papam. Aus den Büchern Vom Nachtmal Christi. Ad Clementem VII. Anno 1530. Bl. 13a. Wolfenbüttel, herzogl Bibl., Cod. Extrav. Nr. 160, 62 Bll. 4°, – – Bl. 13a. Sudhoff, K. d. Echt. Par.-Sch. II. S. 276 bis 277.] ... Der Brauch des Nachtmahls »soll in keinem Tempel geschehen, der Altar ist der Abgötter Stuhl, kein Gesang dabei, keine Kleider und kein Ornat. Die Abgöttischen heißens ein Sakrament und ihr Herz ist weit von ihrem Maul. »Die rechte Ordnung ist, daß sie zusammen kommen, die den Tod Christi verkündigen wollen den Ungläubigen und essen in ihrem Hause mit einander, brechen das Brod, am letzten benedeien sies dem Herren, essen also dann seinen Leib und trinken sein Blut und singen dem Herren sein Lobgesang, darauf folget die Haltung des Gebotes, gehet in alle Welt und verkündigt den Tod des Herrn, darauf sollen sie sich austeilen und keiner den andern nimmermehr sehen, und keine Nacht liegen, da er die andere geschlafen hat, bis sie finden, das Gott befohlen hat zu suchen ... »Fressen und trinken täglich das Nachtmahl Christi, daß einer oft tausend Hostien und Trunk bekommet, daß er eins Hanfkörnleins groß des Leidens Christi nie verkündigt hat ... fliehet die Pfarrherrn, denn sie leben des Tempels, Altars, verwandeln Christum, verkündigen in Singung, gedenken des Todes, daß es niemand inne wird. Alle diese Abgötterei ist abzustellen, der Glaube thut alles in diesem Essen und Trinken. Die Apostel haben einmal das Nachtmahl genossen und ihr Lebenlang verkündigt bis in ihren Tod.« [Ebd. Bl. 15a-17a; Sudhoff ebd. S. 277-278.]

Doch sie hier kritisch zu beleuchten war schon im Vorhinein nicht unsere Absicht und liegt auch außerhalb unserer Kompetenz. Nur möchte noch eine ganz besonders eindeutige und durchsichtige Stelle aus den Sudhoffschen Handschriftenerschließungen, Hohenheims Verhältnis zu kirchlichen Kreisen und die Einschätzung ihrer Kulte, religiösen Technik und Gebärde eindrücklich machen. Sie dürfte Eigenart und Milieu des armen und schlichten Wanderpredigers ganz vorzüglich charakterisieren. Es ist die Lebensstimmung der letzten Jahre. Alles ist ungemein farbenfrisch und nachfühlbar hingesetzt, wenn vielleicht auch nicht immer frei von Verbitterung, Einseitigkeit und von einem großen negativen Zug:

Ewer täglich widerpellen. vnnd scharpffreden. wider mich; von wegen der warheyt. So ich etwan vnnd etlichmal. yhn Tabernen. krügen. vnnd wyrdtshäusern. geredt hab. Auch hier ein bedeutsames Moment für Hohenheims religiöse Volkstümlichkeit und unerschrockene Evangelisation. wider das vnnütz kyrchen gehn. yppige feyer. vergebens petten vnnd vasten. Almußen geben. opffern. zechendten. byffel. dreissigst. Jarzeit. peychten. Sacrament nemben. vnnd all andere dergleichen priesterliche gebott. vnd aufenthaltung. Auch mir dasselbig yn ein trunckhenheyt gezogen. Darumb das yn tabernen geschehen ist. vnnd die tabernen für vntüchtige örter zu der warheit zusein. anzaygen .|. vnnd vff dz; mich; ein wynckhelprediger genandt. warumb thüet yr mirs yetzt yn der zeyt. dieweyl yr mir geschwygen habt. vnnd euch wol gefallen hat. da ich redt ynn den spelunckhen, man sollt euch opffer geben. vnnd volgen. Euch auch nit einreden .|. Ist das billich yn der spelunckhen gewesen. vnnd ist euch ein dienst gewest. So lassent euch auch yetzt die warheit ynn den tabernen gefallen .|. Dann yn der spelunckhen war ich glaubig yn euch .|. aber yetzt bin ich glaubig Ihn christo; vnnd nymmer yn euch .|. vnnd so ich mit euch mehr ynn die spelunckhen khemb, So wollt ich sagen zu demselbigen volckh. hüetet euch vor den falschen Propheten vnnd betrüegern ... Auch zeücht yr mich. Ich hab nun mein vernunfft vndtern pauren zureden. sey nur ya. ya. Ich soll vndter die Doctores zu Leuen, Paris. gehn wien. Ingolstatt. gehn Cöllen. Die Universität Löwen wurde 1425 von Papst Martin V. und Herzog Johann IV. ins Leben gerufen, die Pariser Universität schon 1200 privilegirt, die Universität Wien, von Herzog Rudolf IV. 1365 gegründet und von Papst Urban XV. bestätigt. Ludwig der Reiche hatte 1472 die Universität Ingolstadt und Erzbischof Friedrich III. 1388 die zu Köln gegründet. da ich leut under augen haben werdt. Nitt pauren. nitt kauffleut. sonder Mayster der Theologj; So wissendt von mir ein solche antwort; Inen wirdt yres gleychen zukomben. bin ichs nit so wirdts ein ander sein .|. yedoch. das mein redt vnnd anzaygen von christo. wirdt herfur komben. vnd wirdt sie vberwennden .|. Christus khamb nye gehn Rom. Noch ist Rom sein verweßer. Sanct Peter kham nye gehn Cöllenn. noch ist er yr günstiger Peter .|. vnnd so ich schon an die endt nit khomb. ligt nichtz an mir. Dann die redt ist nit mein. ist christj ... vnnd wann ich gestorben bin. so lebdt die Leher noch: dann sye ist christj. der stürbt nit. Vnnd so ich zu Leuen wer. vnd zu Paris. mich würden die nit straffen. vff die yr bawet. Sye müeßsten nur christum straffen. vnnd nit mich ... Ihr claget sehr vnd vaßst. Ich hab euch die pauren widerspennig gemacht. das sie nymmer opfferrn. vnnd wenig yff euch halten. vnd schier gar nichtz .|. Gedenckhet. wenn mein redt auß dem teüffel wer. so volgten sie euch. vnd nit mir ... ich widerrede ewern heylligen Vätern .|. dann sie haben dem Leyb geschryben vnd nit der seel. Sye haben poeterey gebraucht. vnd nit die theologey .|. Sie haben schmaychlerey getryben. vnnd nit die warheit erzelt, Irer ist auch kheiner zu einem Martrer worden. seindt also güetig peüchtiger blieben. die yn dem Himmel vnnd yn der hell statt haben. vnnd alle deß brauchs lehrer vnd kuchin prediger, kheiner der ewigen seeligkheit. Das seindt die werckh. darauß erkhendt werden wz Ihr vnd sye für frücht geben vnd tragen habt. Ir zeücht vnnß. mich vnd meine zuhörer. wir seyent wider euch. etc. wir seindt wider den teüfel vnd sein leher. vnnd nit wider euch. Dann yr vnnd wir seindt prüder; wöllet yr .|. Alls wir begeren; so seindt yr aller vheindschafft yberhebt. Allein thuet von euch den teüfel vnnd sein leher. so müget yr die gebott Gottes thun. vnd dann hernacher der menschen gesetz volbrinngen. auß rechter erkhandtnus .|: dieweyl yr aber nachuolgent dem Sathanas vnd nit christo: so seindt wir nit prüder. darum fleysent euch. dz yr kinder Gottes seyent. denn dieselbig freuntschafft vnd pruderschafft gehet nymmer nach dem fleysch. sonder nach dem glauben ... Codex Vossianus Chymicus in Fol. Nr. 24 [Univ. Bibl. Leiden] Bl. 205a-226b: »De Septem punctis Idolatriae Christianae« [Schlußnotiz: ... Gemacht durch Theophrastum von Hohenheym. Doctorem etc. Saltzburg. etc. ...]. Auch die vorher gebrachte Stelle vom »vnnütz kirchen gehn« gehört in diese Schrift. Vgl. Sudhoff, K. d. E. Paracelsus-Schriften. II. 333-338.

Die » pruderschafft« das ist die neue Menschheit, also etwas, das lebendige und doch wieder weltabgewandte Interessengemeinsamkeit und große Ziele zusammenbinden, erziehen und organisch einen, aber nicht wertend nach »Pfründt und andere fürsehung«, sondern vor allem die »Arm, elend, dürfftig Leuth« mit »gebrechen und notturft«. Immer nach dem ewigen unverrückbaren Maße der unendlich kostbaren Menschenseele. Mit grenzenloser Verachtung schilt er den »neuen Herodes, die neuen hierosolimischen Gleisner und Frömmigkeitsheuchler, die da romanische Stuhlbesitzer sind«. Diesen »herodischen Mördern« soll man entfliehen, nicht um das Leben zu retten – sondern um unsere Reichgottesarbeit vollenden zu können, allein um Frucht zu tragen, wo gesäet worden ist. Der Mensch soll warten der Abendstunde, damit er ausrichte das ganze Tagwerk. Nur der kann daher als Priester »von Gott seyn« der nicht »versorgt gewesen sey. mit guter pfründt. mit güeter. mit hauß, mit gewisßer gühlt. mit reychem opffer. mit großem ansehen mit großen ehren. mit grotzer gehorsamkheit. vnnd dazu voller bauchfühl. vohl lußts. vnd vohlles mauls yn essenn vnd yn trinckhen. mit fluchen. vppigkeit. vnnd aller vnrheinigkeit«. ebd. Nicht die, die sich am Elend des Bruders freuen, »mehr denn die fraw, die den pfening verloren hätt. vnd yn wider fundt« oder »lehr, fleyß vnnd arbeyt« auf »die sachen« gründen, können Bürger des Reich Gottes sein. Und damit fällt auch die Sorge um das Tägliche für das Leben. Nie soll der Mensch vergessen, daß ihm die Erde gegeben ist, um darauf Herr zu sein, »das ist, alle die Gewechse so sie vermag, vnd alles so inn jhr ist, dasselbig dem Menschen inn seim Gewalt steht: Also daß er mag dieselben pflantzen vnd bawen, vnd darauß ziehen, was jhm gefallt zu seiner Notturfft vnd Wollust«. Dazu ist ihm ja Weisheit, Energie und Kraft beschert. Aber nur vor einem soll sich der Mensch bewahren – und dieser Gedanke kehrt bei Hohenheim immer wieder – ängstlich und behutsam schützen, – vor der Sünde der Sorge. Ja, er meint, »daß der Mensch nicht darff sorgen, vmb die Form vnd die ding, so in denselben seyn sollen, sondern er seet, vnd laßt die Sorg fallen, vnd alle ding, so den Menschen belüstigen, so jhm ernehren sein Leib, so jhm ausstreiben sein Kranckheit, die ding alle versorget Gott, vnd lasst dem Menschen die Herrschafft, daß er sey, vnd weitter die Natur sorgen laß vmb das, daß es das werdt, das der Mensch begert. Auff solchs begeren schickts jhm die Natur, machts jhm, schnitzlets jhm, ziert es mit Farben.« Fragm. libri de sagis, et earum operibus. [Fol. Ed. 1603 II. Teil. p. 252.] Also auch dem Paracelsus hat sich diese dumpfe Gefahr geoffenbart, die Seele und Herz tyrannisch unterwirft und die Lebenskraft abwelkt wie eine schleichende Frostnacht die junge Blume, »jene Sorge – wie Adolf Harnack so tiefempfunden sagt – die uns zu furchtsamen Sklaven des Tages und der Dinge macht, jene Sorge, durch welche wir stückweise an die Welt verfallen« ...

Wir schneiden hier wieder ein ganz Lebenatmendes, das doch so selbstverständlich und gewöhnlich aussieht. In den Sermones, in Schriften de vita beata, in den Kommentaren und an anderen Orten begegnet es uns überall, in Forderung und Begründung seines einfachen urchristlichen Lebensideals. Mit einer von seltener historischer Nachempfindsamkeit durchglühten Treue wertet er Selbstpflicht, Bruderpflicht und Gottespflicht. Allein um die Forderung des Stifters seiner Religion handelt es sich ihm, des Jesus, der voll Ingrimm und Ironie das »marktschreierische Wesen und die Prostitution der Frömmigkeit« weit von sich wegwarf: »Rein oder unrein sind nicht die Dinge draußen in der Welt, sondern ist das menschliche Herz. Hier gilt es Ordnung zu schaffen durch Ausfegen der bösen Gedanken. Alles, was draußen ist, gehört Gott und darüber haben wir Macht.

Gott besonders wohlgefällig sind nicht die Extrawerke, opfern, verzehnten, wallfahren, fasten, sondern er will das Schwerere im Gesetz, Recht und Liebe und Treue. Im täglichen Leben soll der Mensch ihm dienen, das allein ist der wahre Gottesdienst.

Nicht Heiligkeit, die sich scheu zurückzieht von der argen Welt, ist die Bestimmung des Menschen, sondern Liebe. »Der höchste Grund der Arznei ist die Liebe« ... hat Paracelsus gesagt! Diese Liebe geht den Verirrten, Entfremdeten als unsern Brüdern nach und hebt alle Heiligkeitsschranken auf. Ein Samariter, der Liebe übt, ist Gott und Mensch lieber, als Priester und Levit mit allem Heiligkeitseifer. Der falschen Sabbatsheiligung gegenüber sagt Jesus: es giebt nur ein Entweder – oder: Gutes thun, Seelen retten – oder: Böses thun, Seelen verderben.

... Jesus setzte das Gewissen in sein Recht gegen die Künstelei, die Wahrhaftigkeit gegen die Heuchelei, Moral gegen Kultus, Liebe und Menschlichkeit gegen religiösen Egoismus und Dünkel.« Paul Wernle in seinem schönen Buche »Die Anfänge unserer Religion« Tüb. u. Lpz. [J. C. B. Mohr] 1901. S. 56. Man kann durch diese, von einer lebendigen Geschichtlichkeit getragenen Worte auch Hohenheims Auffassung von der Forderung Jesu gar nicht besser charakterisieren.

Und so hat auch Hohenheim die »Forderungen« nachgefühlt, die »Forderungen« die »nicht für Mönche und Asketen aufgestellt sind, sondern für Menschen in der Welt. Hier ist der Kampfplatz, hier die Vorbereitung für die Ewigkeit. Damit ist aller Pietismus gerichtet. Gewissensernst, Liebe, Gottvertrauen ist die Religionebd.

Das gehört zum Wichtigsten seines inneren Bildes. Diesem und der Reichgottesidee gegenüber, ist alles andere Hohenheims religiös-ethischen Lebens partikular.

Will man die Naturphilosophie und Medizin des Paracelsus recht verstehen, so ist auck eine kurze Klarstellung seiner Mystik erforderlich. Um es aber gleich zu sagen: Mystiker im strengsten Sinne des Wortes war er nie. Dazu war er viel zu viel Realistiker und induktiver Naturforscher, viel zu viel der einfache Mann der Erfahrung und des Experiments. Die geflissentliche Accentuierung der Empirie und des Praktischen als auch der starke soziale Sinn hätte einen reinen Mystizismus, d. h. jene typische Kontemplation und ganz persönliche Innerlichkeit nie aufkommen lassen. Seine gesamte Gestaltungskraft zielte zu sehr nach dem Konkreten, Wirklichen. Auch das unausgesetzte Näherbringen von Wissen und Glauben, von Schriftwort und exakter Fragestellung an die Natur, wie das innere Verweben von Naturalisierung animistischer Kräfte und monistischer Vorstellungen setzten einer akuten Mystik unverrückbare Schranken. Auch der ganze weitschichtige Apparat begrifflicher Gestaltungen, substanzbildender Qualitäten, der Archeus- und Vulkanusprobleme weisen auf den Mann, der das Denken dem Gefühl nicht unterwirft. Aber doch sind wieder Züge im Bilde seines Lebens, die an jene besondere katholische Religionsform, die Mystik, erinnern, Züge, die an ihren großen Meistern Heinrich Seuse, Johannes Eckhart, Johann Tauler und Johann Ruusbroec so lebendig und durchsichtig zum Ausdruck kamen. Doch was ist es, das uns auch an Paracelsus die feine Ingredienz von Mystik merken läßt?

Ein tiefer, teilnahmsvoller Blick in das eigene Innenleben, den eine starke individuelle Frömmigkeit bedingte, die seltene Innenwärme, die immer die wissenschaftliche Schicht seines Fühlens und Wollens durchbricht, hat auch den religiösen Typus dieses wunderlichen Mannes beeinflußt. Ich wies schon darauf hin, daß es ein immanenter, jedem Rationalismus und Transscendenz fernstehender Verkehr mit Gott ist, der in ihm auflebt und zum gewaltigen Inhalt wird. Gott glaubte er in sich zu finden und nachhaltig zu erleben mit jener enthusiastischen Glut, die ihn als einen Freien hoch über seine Umgebung setzt, frei von den Zwingenden und Hemmenden, frei in Gott. »Die Seele und ihr Gott, Gott und die Seele« – und keiner steht zwischen ihnen! Das war es auch, was seine ganze Lebenswertung, seine Gefühlsakte und theoretischen Urteile zu berühren verstand. Aber ich erinnere: nicht Innerlichkeit und Gefühlserregung allein waren seine Frömmigkeit, nicht bloß individuelle katholische Frömmigkeit oder neuplatonische Subjektivitätsphilosophie, die sich nur am Übervernünftigen und Überweltlichen, an Sehnsuchtsstimmung und einer metaphysisch-religiösen Mythologie berauscht – allerdings, er hatte kräftige und feinfarbige Nuancen davon –, nein, es war doch etwas anderes, das ihm den religiösen Typus gab. Ich habe es schon oben gesagt: der christliche Humanismus. Immer nur als ein Vertreter solcher Brüderschaftsgedanken wird er den großen Mystikern innerlich verwandt und tritt als Naturforscher einer Welt, die eine Offenbarungsstätte Gottes ist, auf jene feine Scheidelinie, die zwischen höchster Mystik und Pantheismus steht. Auch Paracelsus, diese überempfindsame Seele, hat viel davon empfunden, als ihm die große freie Natur mit ihren tausenderlei Geheimnissen, mit ihren komplizierten Ein- und Unterordnungen, wie ein Zaubermärchen aufgegangen, auch da hat er die so plötzlich in sich wach gewordene Polarität von höchstem Erlebnis Gottes und Einheit der Wirklichkeit, d. i. die Annahme eines geistigen All-Lebens, nicht ganz überwunden. Die stärksten und eindrücklichsten Affekte, bezw. die letzten Höhepunkte seines Verkehrs mit Gott hatten doch recht oft das historische Moment der Religiosität ihn vergessen machen, und seine flügelkräftige Phantasie und Hingabe an das All brachten es zuwege, daß auch er an der Schwelle des idealistischen Pantheismus stand und Geist und Gemüt der Aufnahme eines Innenlebens des All-Einen nicht verschloß. Gott in ihm und er in Gott. Wie alles in allem ist, so geht auch das Ich im All, in Gott auf. Die Natur mit ihren Erscheinungsformen ist die Explikation der Gottheit, die Gottheit ist der Urgrund der Welt. Welt und Gottheit sind dasselbe.

Das ist es, was religiös und naturpoetisch auf Leben und Tun des Paracelsus kräftige Accente gedrückt hat. Wir sagten schon, Ideengänge und ein Erleben, die wir an den großen Mystikern der katholischen Kirche hindurchempfinden und für die Geschichte der Entdeckung der Seele und ihrer Frömmigkeit ein dauernd Lebendiges sind. Denn auch »die kirchlichen Mystiker haben sich energisch der pantheistischen, ausbrüchigen, wilden Frömmigkeit zu erwehren versucht; aber sie waren selbst häufig mindestens unvorsichtig bei ihren letzten Anweisungen, ja diesen fehlte der volle Schwung, so lange sie noch auf etwas Rücksicht nahmen, was außerhalb Gottes und der Seele lag.« Adolf Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte III, 382.

Und letzlich: die Idee vom Reiche Gottes. Was hat Paracelsus als christlicher Humanist an ihr erlebt und wie hat er sie umgedacht und umgefühlt in das Naturphilosophische seines Wissenschaftssystems und seiner Bewußtseinszusammenhänge? Welche Kräfte und Wirklichkeitswertungen hat er ihr entnommen?

Einige Gedanken haben wir schon oben berührt. – – Dann wurde auch angedeutet, wie Paracelsus die Natur, die uns umgibt, als Offenbarungsstätte Gottes empfand. Aber gleichfalls für ihn gilt: sie ist auch »dadurch geweiht, daß auf ihrem Boden sich das Reich Gottes vorbereitet. Die strenge Trennung des Diesseits vom Jenseits fällt weg, denn auch im Diesseits ist Gott gegenwärtig und wirksam. Diese Welt ist eine Gotteswelt. Das führt bei einzelnen zu einem förmlichen Naturkultus, überall zur innigen Befreundung mit der ganzen Schöpfung, bei nicht wenigen zur Naturforschung. Es besteht ein inniger Zusammenhang zwischen der Naturordnung und der menschlichen Geschichte: die Natur ist eine Übungsschule der Geister und im Mittelpunkt der Geschichte steht Christus als der Träger der Absichten Gottes. Beides zusammen stellt eine Reihe göttlicher Offenbarungen dar.« Karl Sell: Die wissenschaftlichen Aufgaben einer Geschichte der christlichen Religion. Preuß. Jahrb. (1899) Bd. 98 Heft I S. 52 bis 53. Vgl. insbesondere die grundlegenden Arbeiten von Ludwig Keller (Publikation der Comenius-Gesellschaft zu Berlin).

Dem Bürger des »Reiches Gottes« kommt es nicht auf Papst und Bischof, herrschende Verfassungskirchen und kodifizirte Kultgesetze an, sondern einzig und allein auf einen tief im Herzen ruhenden persönlichen Glauben, auf die Werkgemeinschaft an der Verwirklichung einer sittlich-religiösen, christlichen Menschheit, wie auf Hervorbringung christlicher Individualitäten. Mit einer wundersamen Wärme und Aufgeschlossenheit hat Paracelsus davon gepredigt, aber haßglühende Worte gegen eine komplizierte und juristische Gesetzesreligion geschleudert. Auch er sieht ein Geheimnisvolles in diesem Kommen und Werden einer Gottesherrschaft und religiösen Kraft. Denn so wie er in der Natur die Vorgänge mit dem Auge des Forschers bewundert und liebevoll reflektiert, so wie er am Experimentiertisch innerliche Entwicklungen erlebte und der geheimnisvollen Kräfte Wirksamkeit in jene natursinnige Märchenpoesie verwob, so war auch das Schauensneue seiner Reichsgottesidee. Seine zahlreichen Bibelkommentare atmen diesen Geist. Und wie wahr und ungekünstelt hat er das Innenleben des Nazareners aufgefaßt, wie dogmenlos seine Bilder vom Reiche und die Episoden aus dem Leben der Seele! Wie feinsinnig hat er medizinisch-ethische Züge in die Parabelerklärung und Allegorie hineingetragen und der moralischen Entmündigung und doch wieder Indifferenz eine tiefernste Gewissenszucht vor Augen gestellt.

Unwillkürlich drängt sich uns da der Gedanke auf: Jesu Gleichnisse sind der Niederschlag einer uns längst verloren gegangenen wundersamen Empfindungsstärke, einer uns fremd gewordenen Naturanschauung und Wirklichkeitserklärung, eine Bildersprache, die unter dem jüdischen Himmel Galiläas aus uralten Wurzeln das Lebendige und Ausdrucksfähige sog und nicht so sehr das Milieu des Rabbinismus, als vorzugsweise eine heitere und naturfreudige Volkspoesie ausstrahlt. Paracelsus hat dann auch mit warmer Vertiefung und liebevoller Teilnahme den Kernpunkt der Gleichnisse von dem Geheimnis des Reiches Gottes hindurchempfunden. Ja, allerdings wir »mißkennen das Geheimnis in diesen Gleichnissen. Wir deuten sie aus unserer naturwissenschaftlichen Reflexion, welche zwei noch so verschiedene Zustände in allen Fällen durch den Begriff der Entwicklung verbindet. Der Unmittelbarkeit, mit welcher der antike ungeschulte Geist die Natur beobachtete, bot sie aber noch Geheimnisse, indem sie ihm zwei ganz verschiedene Zustände in einer Aufeinanderfolge vorführte, deren Zusammenhang ebenso gewiß als unerklärlich war. Der Begriff der Entwicklung in der Natur, auf welchen es die moderne Erklärung abgesehen hat, wird gar nicht hervorgehoben, sondern die Exposition geht darauf aus, die beiden Zustände so unmittelbar nebeneinander zu stellen, daß man zur Frage gedrängt wird: Wie kann der Endzustand aus dem Anfangszustand hervorgehen? Es wurde ein Senfkorn gesät; daraus sproste eine große Staude hervor, mit Zweigen, daß die Vögel des Himmels darunter wohnen konnten. Wie ging das zu, da doch das Senfkorn so klein ist? – Das ist das Geheimnis!« Albert Schweitzer: Das Abendmahl im Zusammenhang mit dem Leben Jesu u. d. Gesch. d. Urchristentums. II. Heft. Tübingen und Leipzig. J. C. B. Mohr 1901; S. 24-25. Und so ist auch das Reich Gottes, wie es der große Arzt in seinem edlen Herzen trug, so seine Vorstellung vom Geheimnis des Werdens der »sittlichen Menschheit als Gesamtheit«, denn der, »der durch die geheimnisvolle Kraft in der Natur die Ernte erstehen lassen wird, der wird auch das Reich Gottes erstehen lassen«. Ebd. S. 26. Dann bricht es oft wie glührotes Sommersonnenlicht aus diesem wunderhaften, wenn auch so mißverstandenen Leben, aus dieser prächtigen Persönlichkeit, die ganz voll war der reinen und echten Menschengröße, mit siegreicher Kraft brach sich's durch, mit der ganzen Frische seiner Anschauungen und ihrer ehrlichen Schönheit: »... Welcher aber ist der. der sollche große wohlthaten Gottes. kan gnugsam erzehlen. Der allso ein Artzet ist. welcher ist seines gleychen, der allso ein Prophet ist, wz ist ym vnwissent. oder verborgen. Der allso ein Doctor ist. wer ist vber yhn, dann auß sollchem gehn feur stramen. dz ist. wie dz feür seindt sie mit yrem werckh. dann dem feür widerstehrt nichtz, es verzert alle dinng. Also widersteht auch nichtz sollchen Männern. dz sye nit hindurch verzeren vnd yberwyndten yn den erdten. vnnd yn der hellen. Inn denen seindt die Schlüssel zum reych Gottes. yn denen ist vergebung. In denen ist segen. In denen ist dz liecht der welt. von denen geet der weg vnd die warheit. Dann auß denselbigen seindt sie. Inn denen seindt gute hyrten, auß denen werden die Apostell. Auß denen die haylligen.« Codex Vossianus Chymicus in Fol. Nr. 24 (Univ.-Bibl. Leiden) Bl. 133b-140b: Von der widergeburt deßs menschen. ... (K. Sudhoff: Kritik d. Echtheit d. Paracelsus-Schriften. II. Bd. Berlin, Reimer 1899; S. 325.)

Bleibt es ja immer das Kernhafte:

Die Arznei steht auf der Natur, ja die Natur selbst ist die Arznei und darum suche man letztere auch in der Natur. Aber auch schon deswegen ist sie Lehrerin, weil sie älter ist als der Arzt. Er ist aus ihr, nicht umgekehrt. Die Natur ist inwendig im Menschen, im gleichen Maße wie auswendig unter den Menschen. Darum selig Arzt und Naturforscher, die in den Büchern, die Gott selbst geschrieben, wandeln, das sind gerechte, vollkommene und treue Vertreter ihrer Zunft, denn die schreiten in der Lichtfülle der Erkenntnis und nicht in den trüben Niederungen des Irrtums. Sie wandeln in der Natur. Und sie erkennen es dann von selbst, daß Gott in allen Dingen der oberste Skribent ist, der erste, der höchste, ja unser aller Text. Aber doch ist es eine große Sache um das Geheimnis Gottes in der Natur: er wirkt wo er will und in wem er will und wann er will. Darum sollen wir suchen, anklopfen, bitten. Es fragt sich dann: wie muß der sein, der sucht, anklopft und bittet? wie als Mensch? was müssen sie wert sein, eines solchen Forschers und Arztes Redlichkeit, Glauben, Reinheit und Keuschheit, Treue und Barmherzigkeit? Die Antworten bieten uns von selbst die Begründung Hohenheims ärztlicher Ethik. Redlich ist der Arzt der sagt: ja ja, nein nein. Darauf soll er aufbauen als wahrhaftiger Mann. Er muß das Ja der Arznei kennen, so gut wie das Nein derselben. Gläubig ist der Arzt, der nicht lügt, aber Gotteswerke mit echter und reiner Freude vollbringt. Der Glaube muß ehrlich, redlich, stark und wahrhaftig sein, mit den Gaben des Gemütes, Herzens und Sinnes, mit Liebe und Vertrauung bedacht. Dann wird auch Gott seine Wahrheit nicht vorenthalten. Rein und keusch ist der Arzt, der nicht auf Hoffart, Geilheit und Ärgernis sein Werk baut. Denn sobald er gesonnen ist, seine Kunst anders zu gebrauchen als aus seinem Herzen, so steht er auf sandigem Grund. Anders sind eines Arztes Pflichtenkreis und Bedürftigkeit und anders wieder die eines Königs, denn andere Befehle hat der König, und wieder ganz andere der Arzt. Will einer den Weg der Wahrheit gehen, so gibt ihm Gott genug dazu und gibt ihm mit der Wahrheit Nahrung, denn er ist uns schuldig Nahrung zu spenden. Wollen wir Lügner sein, so leben wir als Lügner. Nun gibt aber Gott den Lügnern Nahrung sowohl, als auch den Dienern der Wahrheit. Und alle muß er ernähren: die Guten und die Bösen, gleichwie er es tut mit der Sonne am Himmel oder unserer Erde und mit all dem was auf ihr ist. Das ist des Forschers Rein- und Keuschheit, d. h. daß das, was ihm gegeben worden ist, mit gutem Bedacht soll verwendet werden mit Wahrheit. Sie ist rein und keusch und was aus ihr hervorsprießt in Blüten und dann Früchte bringt, bleibt rein und makellos, rein von nagender Hoffart und welkmachendem Neide, von Pomp und Pracht, von Ansehen und Übermut. Und das Leben draußen in der Welt wird es bestätigen und die schlichten Menschen, die es atmen. Dann die Treue. Was ist es mit ihr? Nur ganz soll sie sein, nicht geteilt. Denn so wenig in Gott die Wahrheit geteilt werden kann, also auch die Treue und die Liebe, die doch beide eins sind. Aber Treue des Arztes ist nicht allein gewissenhafter und fleißiger Krankenbesuch, sondern schon ehe er jemals den Kranken gesehen hat, soll Treue in ihm wohnen mit ihrer ganzen Quellkraft. Sie versäumen die Treue und laufen der Pracht und dem Scheine nach und hören auf Maulgeschwätz und Phrase! Das ist alles untreu, verdorben und fern von aller Liebe und ärztlicher Hinbietung. Darum muß man die Treue auch lang lernen, denn ihre Kräfte werden nicht versagen in unsäglicher Mühe und Arbeit am Kranken, in den glühenden Lebensaugenblicken von Freude und Sichbescheiden, von Suchen und Verlieren. Es ist die Treue des Arztes, welche der vorgelebt hat, in den Tagen »als die Zeit erfüllt war« ... »Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht« ... Die Barmherzigkeit des Arztes, wie hat sie Hohenheim empfunden? Auch hier nur eine flüchtige Skizze, soweit nicht auch schon oben davon die Rede war. Barmherzigkeit ist Arzt, Arznei und Liebe aus Gott. Der Arzt, der hier auf der Erde wohnt, überträgt sie auf die Menschen. Gott hat ihn dazu erwählt, und die er gesund macht, sollen preisen die göttliche Liebe und Barmherzigkeit. Das Amt des Arztes ist, sie zu verteilen, wie man Gaben verteilt, die man erhielt für andere: nicht sein ist die Barmherzigkeit, wie auch nicht die Erfolge seiner Kunst. Gott allein hat das Amt befohlen und verliehen mit seinen Erfüllungen und Vollbringungen, und darum ist nicht Mörderei und Verderben das Wesen der Heilkunde, sondern Aufbringen der Kranken, Barmherzigkeit, Geben, Gnade und dienende Liebe. Fort und fort schafft Gottes Barmherzigkeit in der Liebe, und wir sollen seinen Fußspuren nachgehen. Allerdings liegt dieser Kunst Übung im Herzen: ist das Herz falsch, so ist auch der Arzt von allem Anfang falsch, der es in sich hat, ist das Herz gerecht, so ist es auch der Arzt. Nicht dialektische Wortkunst und kümmerliche Schulmeisterei stehen an den Toren der ärztlichen Vollkommenheit – es sind nicht Menschen die jene betreiben – sondern aus der Barmherzigkeit fließt zu allererst ärztliches Berufsbewußtsein und Heilung. Dafür halte der Arzt seine Seele offen, sein Werk steht auf dieser Grundlage. Fortdauernd soll es auch in ihm rege sein und Herz und Geist berühren: das lodernde Verantwortungsgefühl aus der stillen Freude an diesem Gottesdienst. Ist dein Herz treu und gerecht – und wenn es dir sogar an Kunst mangeln würde – eher reden mit dir Kräuter und Wurzeln, deren Kräfte du benötigst, als daß dein Kranker verdürbe – so viel wert ist der Arzt, dessen Herz treu lebt und gibt. Nie rede ein Arzt: die Krankheit ist unheilbar – er lügt da Gott an, unsern Schöpfer, er belügt die Natur mit ihrer Überfülle von verhüllten Kräften und Veränderlichkeiten. Er schändet die großen Arcana der Natur und Mysteria der Geschöpfe. Gerade in den schweren Krankheiten will Gott sein Lob haben und nicht in der Heilung von lächerlichen Unpäßlichkeiten. Keine Krankheit ist so groß, daß ihr nicht eine Arznei gegenüber steht. Darum ist Verzagen sündhaft. Und dann, wie kann überhaupt einer damit den Mund voll nehmen: alle Arzneischätze und Formen des Lebens seien schon erschlossen, oder was nicht geschrieben ist, wird zweifelsohne nimmermehr erfunden? Wie kann eines Arztes Glauben an Gottes weltschaffende Kraft versiegen, wie seine Hoffnung so dürr und schal werden und zusammenschrumpfen? Wie kann er verzweifeln wenn er sich dessen bewußt ist, daß Gottes Kraft Sonne und Nacht, Sommer und Herbst, Winter und Lenz, Säen und Ernten, Frost und Hitze sich abwandeln läßt, daß sie in uns arbeitet und entwickelt, in Denken und Erfahrung und in all den Lebensmächten, die uns erfüllen. Und da sollte der Glaube an heilkräftige Arzneien hinfällig sein, der Glaube, der doch eigentlich nicht unser ist, sondern wesensverwandt mit dem großen All, das in allem sich wirksam zeigt, wesensverwandt mit dem Hohen das im Niedern ist, mit der fortdauernden Auswickelung [ explicatio] aus einer Einheit zur Vielheit, aus der panpsychischen Gottesnatur zu ihren tausend und abertausend Differenzierungen, die in ihr schon ruhten vom Anbeginn und mit einem unfaßbaren Schatz von vorstellenden Kräften? Nur wenn Gott will, verdirbt und vergeht die schicksalsmächtige und geheimnisreiche Arznei – dann schleicht der Tod herein, und seine Schwingen löschen die heiße Flamme des Lebens. Aber es muß so sein: würde Gott der Arznei nicht Einhalt gebieten und sie still stehen heißen wie die Sonne in den Tagen des Josua – wer würde da noch sterben? Zu sehr vergoldet Lebenswille das Tagwerk und seinen tiefen Sinn, die schlummernde Welt und die Schicksale, die man mit sich trägt, den Leib, die Seele und den Geist. Und die Menschen vergessen dabei das Neuland, das jenseits der Niederungen des Todes liegt ...

So Hohenheim.

Wie gesagt, den Naturforscher und den der Reinheit seines ernsten Berufes bewußten Arzt hat Paracelsus auch da nicht verleugnet; aber nicht war er der armselige Stümper, der aus einem hier falschen Pathos kühne Bogen und Träger baut, um exakte Ergebnisse und religiöses Leben ängstlich in tote Dogmenschemen einzuspannen, Legierungen, die verwittert und brüchig sind wegen der einander in dieser Verbindung sich ausschließenden Bestandstücke. Je komplizierter ein Problem, um so klarer und eindrücklicher bei ihm die naturwissenschaftliche Erklärung, um so freier von doketischen Verklauselierungen und Einkleidungen, um so schärfer in der unmittelbaren Betrachtung. Knüpfen sich etwa religiöse Reflexionen daran, so sind sie schlicht und ungesucht, von erfrischender Klarheit und ehrlicher Naivetät. Das Wesentliche ist doch fast immer auf eine methodische Induktion gestimmt. Wer die naturwissenschaftliche Literatur dieser Zeit kennt, weiß das zu schätzen. Doch wollen wir nicht leugnen, daß es auch bei Paracelsus an Wucherungen und Geschmacklosigkeiten nicht fehlt, an viel unklaren und nur den naturwissenschaftlichen Gedanken retardierendem Beiwerk und verunglücktem Wortspiel. Ganz abgesehen von dem Wert, dem eine Darlegung vom Standpunkt der heutigen Erkenntnis zukommt.

Sehen wir also nicht falsch: auch seine Bibelkommentare und Gleichniserklärungen – wie wir schon oben sagten – haben alles wissentlich Gesuchte und Aufdringliche, Gezwungene und Unerlebte so gut wie ausgeschieden und rundweg abgelehnt. Es steht wohl das Ganze in seiner tiefen, gläubigen Religion, aber immer durchweht eine naturpoetische Empfindsamkeit die Ansicht von der ewigen Bestimmung und erhält sozusagen durch den auch volkspoetischen, allerdings oft drastischen Einschätzungssinn eine ganz eigenartige Wendung. Und insbesondere wenn er wertet, was es um das πλουτεῖν εἰς θεόν sei, um das σῶσαι τὴν ψυχὴν, wie das unsagbar kostbar sei gegenüber der Welt. Aber notwendigerweise trifft das immer und immer wieder den Kern seiner Reichgottesidee. Gewiß, man kann sie nicht ausschalten, ohne wohl das Eigenartigste seiner Persönlichkeit zu dämpfen, ich will nicht sagen unwahr machen. Das Reich Gottes für Hohenheim, überhaupt der religiös-sittliche Inbegriff aller auf einer neuen menschenwürdigeren Gesinnung stehenden Arbeit und Berufssorge, der stille Wundergarten, dessen Thor und vergessene Wege schon auf dieser Erde zu finden seien. Schweigsame Pfade führen durch Gewissensernst und liebevolle Wahrhaftigkeit zum Reiche Gottes, man geht sie nicht mit »Geschrei« und »geistlicher Narretei«, nicht mit äußeren Werken und Saitenspiel des »Teufels«, nein, »der Weg will still sein« und im Herzen seinen Anfang nehmen, ohne Dünkel und Heiligkeitsvirtuosität. Nur so dachte sich ihn Paracelsus, und nur so verstehen wir seinen eschatologischen Unterbau. In den mannigfachsten Aussprachen kehrt es wieder in Bildern und Parabeln, in apokalyptischer Reflexion und Lehrerzählung, im eindeutigen und auch übertragenem Sinne, aber immer und überall veranschaulicht es zugleich eine neue konfessionsfreie, den inneren Menschen kräftigende und verfestigende Lebenshaltung, wenn auch im Hinblick auf die religiöse Entartung und Verwilderung seiner Zeit und seiner Umgebung. Doch ist das Kernhafte zu tiefgehend in der Empfindung und als innere Situation, um es bloß als eine momentane Stimmungsepisode anzuschlagen, die gekommen und wieder gegangen ist. Das wäre ganz falsch. Es ist dasselbe »Reich«, das von jeher den großen »christlichen Humanisten« vor der Seele stand: » neue Menschen sollen werden, und das Gottesreich ist Kraft und Ziel zugleich. Sie suchen den verborgenen Schatz im Acker und finden ihn; sie verkaufen alles und kaufen die köstlichste Perle; sie kehren um und werden wie die Kinder, aber eben dadurch sind sie erlöst und werden Gotteskinder, Gotteshelden ... Es hat die Natur einer geistigen Größe, einer Macht, die in das Innere eingesenkt wird und nur von dem Inneren zu erfassen ist«. Adolf Harnack, Das Wesen des Christentums. Lpz. 1900. S. 39. Damit ist der Zentralpunkt charakterisiert und damit auch das wichtigste Stück Hohenheims Persönlichkeit. Daß er natürlich auch an religiös- politische Erwartungen gedacht hat und von einer ganz eigenartigen Regeneration und Umwertung der »Papstidee«, die die Aufrichtung des Gottesreiches in sich schloß, träumte, dürfte nichts Befremdliches haben – es lag in seiner sehnsuchtsreichen Zeit. Und so Hohenheims apokalyptische Emotionen – sie sind ja nicht zu häufig – die visionären Gedanken und Regungen von den neuen Menschen, den wiedergeborenen und dem neuen Adam, sie sind biegsame und affektvolle Prognostiken, harmlose Utopien, die wohl fraglos aus seiner Reichgottesidee entsprangen. Damals gängige Zukunftentwürfe. Auch bei Amos Comenius finden wir sie dann wieder und auch hier erhielten sie das ganz charakteristische Gepräge.

Was ich im obigen anzudeuten versuchte, schien mir ein ganz Lebendiges, ja ein Neues im Bilde Hohenheims. Denn soweit sich heute überhaupt auf Grund der handschriftlichen Neuerschließungen Sudhoffs urteilen und abschätzen läßt, so ist das sicher, daß die älteren und alten Charakteristiken über den großen Arzt die untersten Hauptfarben seiner Seele meist mißverstanden haben. Das Kernige und Freie und doch Gemütvolle und Fromme haben sie nicht erfaßt, sie waren nicht zu erwägen imstande, daß hinter seinen Bildern und Vergleichen, Allegorien und Parabeln ein starkes und unverbildetes Erleben stand. Und doch war er nicht Schwärmer, nicht markloser Enthusiast. Man wird aber dann einsehen, daß gerade diese persönlichen Züge auch auf sein medizinisch-chemisches System herübergewirkt haben. Zwar leugnen wir nicht, daß vielleicht von uns an manchen Stellen jene Einwirkungsfaktoren und Grundsätze Hohenheims etwas zu breit herausgearbeitet wurden und wir dann in der Begrenzung subjektiven Einschätzungen nachhingen. Wenn auch vornehmlich das ursprüngliche Paracelsuswort unübertragen hingesetzt worden war. Aber hier galt uns eben der Gedanke Nietzsches zu einem großen Teil als Richtschnur: »Einen bedeutenden Gegenstand wird man am besten darstellen, wenn man die Farben zum Gemälde aus dem Gegenstande selber nimmt: so daß man die Zeichnung aus den Grenzen und Übergängen der Farben erwachsen läßt« ...

Und daß der »Gegenstand« keineswegs arm an Nuancen ist, wird der Kundige fraglos bestätigen, sei es in Ansehung Hohenheims lebendig sprechender, ja, ich möchte sagen lebenanschmiegsamer Persönlichkeit, sei es bei gründlicherer Wertung der Kraft seines »Neuen«. Auf die er nachhaltig eingewirkt hat, sie bieten uns vielfach farbenfrische Vorlagen zur Skizzierung seines Bildes oder besser Transparente, die man nur gegen die reine Flamme seiner persönlichen Eigenart zu halten hat, um tiefere Einblicke in sein geistiges Leben zu gewinnen. Wieder nennen wir den Mann, der wohl hier an erster Stelle steht. Joh. Amos Comenius, der große Pädagoge und Pansoph, spiegelt in unübertrefflicher Klarheit vieles von diesem Denkleben, ich meine ebenfalls jene mehr methodische Induktion und unausgesetzte Fragestellung an die Natur: denn am Reformatorischen der chemisch-therapeutischen Heilkunde und der physiologisch-pathologischen Chemie des Paracelsus hat auch er Naturwissenschaft gelernt und mit ihr den Sinn für das Leben erkannt. Und die ganze spätere Zeit mit ihren reich nuancierten Wissenschaftsstimmungen kam zu derselben Überzeugung. Sie hat den überkommenen Geistesbestand in eine moderne Belichtung gerückt.

 

D Diesen Pfad ist Theophrastus Paracelsus gegangen. Sein Mensch sowohl als auch sein Geist. Viele standen an seinem Wege, viele, die man noch heute nennt, und dann wieder andere, die schon längst vergessen sind. Als Johann Pico von seinem sinnenfrohen Traumreich aus Antike und Christentum Abschied nahm und der Schauer des Todes darüber fuhr, als Luther das erste Decennium seines Lebens vollendet, zog Hohenheims Stern still herauf. Dem sterbenden Koppernik war er dann bereits zwei Jahre früher durchs Tor des Todes vorangegangen. Und wieder so verborgen wie beim Eingang seines Lebens vor achtundvierzig Jahren. Paracelsus starb im Mittag seiner Sendung und auch in seinem »Sterben glühte noch sein Geist und seine Tugend, gleich einem Abendrot um die Erde«. Fast alles hat er dann mitgenommen, das ihn einst persönlich berührte, all den bitteren Kampf, die harte Sorge und Kümmerlichkeit, sein Reich Gottes mit dem erhofften neuen Zustand und die tiefe Frömmigkeit. Wie ein leiser, flüchtiger Traum trat es später vor einige erlesene Geister: vor Comenius, den schlichten Brüderbischof, den Menschenhartheit in die Fremde trieb, oder vor Van Helmont, den großen Naturforscher und Arzt des XVII. Jahrhunderts. Auch sein frommes Leben beschien nicht immer die Sonne der Freude. Beide sind in seinen Spuren gegangen ... Paracelsus als Mensch und Geist war bald vergessen. Fratzenhafte Zerrbilder verstellten auf lange Zeit seine schlichte und doch so feine Seele. Erst in einer jüngeren Epoche begann man die alten Schätze zu sichten, zu reinigen und mit dem Neugefundenen zu vergleichen. Stück für Stück mußte aus Schutt und wertlosem Geröll gehoben werden, nicht seine wissenschaftliche Tat allein, auch seine Seele, wie wir schon sagten, alles das, was vor nunmehr 362 Jahren in die Stille des Grabes ging – der bittere Kampf, die harte Sorge und Kümmerlichkeit, das Reich Gottes mit dem erhofften neuen Zustand und die tiefe Frömmigkeit. Und noch vieles andere. Wie war das alles verflogen, vergessen und absichtlich verunstaltet!

Wenige wie er reden noch aus jener Zeit. So klar und volltönig mit der Frische eines erst kürzlich verklungenen Tages. Man vergißt dabei das oft Fremdartige, Seltsame, das an seinen Gedanken beteiligt ist. Hat es doch genugsam Mißverständnisse heraufgeführt. Paracelsus wollte nicht selten sein Neues in den Bildern des Alten sagen, den neuen Geist in den alten Alchemisten- und Astrologenmantel hüllen. Man hat ihn nicht verstanden und hielt die Hülle für das Wesen.

Der frühe Tod brach seine Arbeit ab, wie der gellende Mißklang des Schreckens ein Fest. Wir wissen heute nicht, was seinen Körper so rasch zum Ende trieb, das vereinsamte und wehvolle Leben mit seinen unruhigen Farben oder gar ein ihm günstiges Geschick. Dann ging das Marktgedränge des Alltags darüber ... Hohenheims Riesenwerk hätte bei seiner geradezu titanischen Schaffenskraft gewiß noch um ein gut Teil zugenommen, an Gehalt sowohl als auch an Durchklärung. Aber in der Geschichte von der Methode der Naturforschung und Heilkunde – insbesondere gerade auch in ersterer – gehört er zu den Größten der Renaissance. Wer die Geschichte dieser Gebiete betreibt – wie überhaupt Geschichte des Geistes und der menschlichen Bildung – kann an Paracelsus nicht vorübergehen. Seine Tage verstanden ihn nicht und immer blieb er daher ein »seltsam wunderbarlich« Säender. Die Erntezeit hat er nicht erlebt, aber treu hat er sie erhofft in den großen Lebensaugenblicken seines stillen Weges: »Vielleicht grünet, das jetzt herfür keimet, mit der zeit« .....

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