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Heute bin ich in die Behausung eingezogen, die ich nun ein ganzes Jahr lang nicht verlassen soll.

Rings um mich sind glatte, kühle Marmorwände, vortrefflich gefügt, mit keinem anderen Schmuck als einer schmalen Leiste oben und unten, einer Leiste, die von lauter geflügelten Sonnenscheiben gebildet wird, dem Sinnbild der Ewigkeit bei den Ägyptern. Wessen bedarf ein solches Werk mehr als der Vortrefflichkeit der Arbeit? Ich muß sagen, daß mich diese Vollkommenheit in der Einfachheit tiefer ergreift als der geistvollste bildhauerische Dekor. Ich betrachte diese Steine, die so sauber aufeinander gepaßt sind, daß sich die Fugen nur bei genauem Hinsehen als ein feiner Strich wahrnehmen lassen. Ich fahre mit dem Finger darüber hin, ich befühle die kühlen, glattpolierten Steinflächen und empfinde alle diese Berührungen als etwas Köstliches. Der Marmor hat wenige Adern in sich, sie sind wie zarte Moose, wie Kräuter oder jene pflanzenähnlichen Seetiere in einem Klumpen Kristall eingeschlossen. Wenn ich lange hinsehe, so ist es, als wären diese leicht gefärbten Bänder, Zacken, Spitzen und seltsam fremdartigen Buchstaben unter einer Schicht durchsichtigen Eises, in einer Tiefe, zu der eben noch der Blick zu dringen vermag. Eine erstarrte Welt reizvoller Formen, ausgeschlossen von den Zufälligkeiten und den Sensationen des Lebens und der Bewegung. Das edelste Material für ein Grabdenkmal.

In der Mitte der Hinterwand, wenige Spannen über dem Boden, ist die Bronzetafel eingelassen mit der einfachen Inschrift: Anna Feodorowna Wassilska, gestorben 13. März 1911. Sie verschließt den Schacht, in den man den Sarg versenkt hat.

Ein schmaler Spalt führt aus diesem marmornen Gemach ins Freie. Draußen liegt der Friedhof im Sonnenlicht des Augusttages, hier drinnen ist es kühl, nur um den Eingang spielt die Luft noch in kleinen, warmen Wellen, die den Duft der Blumen mitbringen. Manchmal summen Bienen vorüber, oder eine blauschillernde Fliege steht einen Augenblick mit schwirrenden Flügeln vor dem Spalt, um dann ganz plötzlich wegzuzucken. Außer dem Schwirren und Summen des kleinen Lebens über den Gräbern ist aber noch ein tieferer Ton da, ein ununterbrochenes Zittern der Luft.

Das ist Paris.

Paris, das jenseits des Père Lachaise liegt, das seine Brandung von Arbeit und Vergnügen und Leidenschaft gegen den Frieden dieser Stätte schäumen läßt.

Wenn ich in den Eingang trete, der gerade die Breite eines Mannes hat, so bin ich an der Grenze meines Gebietes angelangt. Ein Jahr lang ist dieser Blick vom Eingang eines Grabmales der einzige Blick, den ich in die Außenwelt tun kann. Ein Blick auf Gräber und Grabdenkmäler.

Aber ich kann mit dieser Aussicht zufrieden sein. Wenn ich mich vorbeuge, so sehe ich gerade noch rechts Bartholomès inniges und wundersames Werk, das tiefst empfundene steinerne Gedenken an eine Liebe, die nicht vergehen kann. Ich sehe die Gestalten der Mühseligen, Gebrochenen, Verzweifelten, die der Pforte des Todes zuwanken. Ich sehe die beiden rührenden Liebenden, die eben in die Dunkelheit eingehen. Den Mann, zusammengefaßt und stark dem Schicksal gegenüber, die Frau, die in so unendlich hingebendem Vertrauen seinen Weg teilt.

*

Ich werde mich in meinem Marmorgemach nicht langweilen, obwohl ich ein Jahr darin zubringen muß.

Ich sitze wie Hieronymus im Gehäuse, aber ich höre Paris, ich atme den Duft all dieser blühenden Gräber, ich habe den Schimmer der Kunst. Und wie Hieronymus im Gehäuse bin ich wohlversehen mit Büchern, mit Schreibzeug und Papier, und ich werde in dieser Einsamkeit mein großes Werk verfassen. Nicht ein Werk der Gottesgelahrtheit, wie Hieronymus, aber eins der Wissenschaft. Ich werde hier meine Gedankengänge über den Zerfall und die Endlichkeit der Materie zu Ende führen, ich werde aus all den Einzeltatsachen, aus den Überraschungen, die uns die Wissenschaft der letzten Jahrzehnte bereitet hat, ein System aufbauen, das meinen Namen tragen wird.

Was will ich eigentlich? Sind nicht alle meine Wünsche schon jetzt erfüllt? Habe ich, der arme Privatgelehrte, der seine Liebe zu unabhängiger Forschung nur befriedigen konnte, wenn er den Hungergurt enger schnallte, überhaupt so etwas jemals zu hoffen gewagt?

Ich habe Zeit, um mein Werk zu vollenden. Alle Störungen werden mir ferngehalten, denn ich darf während eines Jahres mit niemandem sprechen als mit dem Diener, der mir zweimal täglich das Essen bringt. Weder die Freundschaft noch die Liebe darf zu mir. Und ich habe keine Sorgen um das tägliche Brot. Madame Feodorowna Wassilska verpflegt mich. Sie hat sogar den Speisezettel für die ganze Woche festgesetzt. Und wahrhaftig, soviel ich heute, am dritten Tag meiner Einsamkeit, sagen kann – das Menü läßt nichts zu wünschen übrig. Die Dame, in deren Grabmal ich sitze, verstand etwas von einer guten Mahlzeit. Warum soll ich es leugnen, ich freue mich darüber, so gut und reichlich essen zu können … meine Mahlzeiten haben meine volle Aufmerksamkeit. Jede von Ihnen ist mir ein Erlebnis. Ich habe allzulange hungern müssen, um nicht jetzt einen gefüllten Poulard oder Pökelzunge mit dieser wundervollen polnischen Sauce oder diese nach russischer Art bereiteten kleinen Vorspeisen gebührend zu schätzen.

Ich fühle mich also vollkommen wohl, und ich weiß auch, daß dieses Wohlbefinden das ganze Jahr meiner Gefangenschaft andauern wird.

Wenn das Jahr aber um ist, dann bekomme ich von der verstorbenen Madame Wassilska die Kleinigkeit von zweimalhunderttausend Franken.

Zweimalhunderttausend Franken!

Das bedeutet, daß ich vor keinem Verleger zu winseln brauche, um mein Werk gedruckt zu sehen. Denn natürlich würden die Halunken mich auslachen, wenn ich als armer Teufel ihnen zumuten würde, ein Buch drucken zu lassen, von dem alle Hohlköpfe der Akademie dröhnen werden. Jetzt brauche ich sie nicht. Jetzt kann ich mein eigener Verleger sein oder mir einen von ihnen kaufen, wenn es mir so passen sollte.

Zweimalhunderttausend Franken?

Das bedeutet, daß ich Vortragsreisen machen kann, um meine Ideen überallhin zu tragen, wohin mein Buch nicht gedrungen ist.

Das bedeutet, daß ich meine kleine Margot in ein Auto packen und nach dem Bahnhof schaffen werde. Am nächsten Morgen sind wir in Marseille, und die weiße Jacht draußen auf dem blauen Meer wartet auf uns. Die arme Kleine, sie hat so trübe Zeiten mit mir durchgemacht, daß sie eine Fahrt ins Märchenglück reichlich verdient hat. Jeden Tag Sonne und Seeluft und nichts anderes zu tun, als ihn so behaglich als möglich zu verbringen.

*

Diese Madame Anna Feodorowna Wassilska muß – meine Wohltäterin möge es mir gnädigst verzeihen – ein seltsames Möbel gewesen sein, ein verrücktes Huhn, noch verrückter, als wir Pariser es von ihren Landsleuten gewohnt sind.

Ich habe eine ganz bestimmte Vorstellung von dieser Madame Wassilska. Sie gründet sich auf ein Bild und auf die Berichte der Nachbarschaft.

Ich denke sie mir als so eine Art Kaiserin Katharina, voll Gier, das Leben in allen seinen Formen, von den feinsten bis zu den brutalsten, zu erfassen. Da kommen diese reichen Russinnen von ihren unermeßlichen Gütern irgendwo in staubigen Steppen oder zwischen Morästen und endlosen Getreidefeldern nach Paris. Sie haben jahrelang ihre Bauern geschunden und zur Abwechslung sich an irgendwelchen kleinen netten Verschwörungen beteiligt. Jetzt kommen sie nach Paris und wollen das, was ihnen das Leben dort tropfenweise gab, in vollen Zügen genießen.

Das glaube ich in den Zügen ihres Bildes gelesen zu haben.

Man hat mir, als ich mich vor Gericht bereit erklärte, die Bestimmung ihres Testamentes zu erfüllen, so wie es in diesem Testament angeordnet war, ihr Porträt gezeigt und mich eine Stunde mit ihm allein gelassen.

Nun, Frau Wassilska hat dem Maler keine schwierigen Gewandprobleme gestellt. Sie ist keine jener Damen in Weiß oder Rot oder Grün, wie sie im Salon zu Dutzenden herumwimmeln. Sie ist sozusagen eine Dame in Garnichts.

Hüllenlos steht sie vor einem offenen Fenster, und sie hat einen schönen Körper … das muß man sagen. Der Kopf zeigt die herbe, herbstliche Schönheit einer Frau in den Fünfzigern. Kluge, kalte Augen unter prachtvoll geschwungenen Brauen, eine derbe russische Nase, ein voller, üppiger Mund, dessen blutrote Lippen langsam von den starken, weißen Zähnen zurückzuweichen scheinen, während ein grausames und kühles Lächeln – ein richtiges Gioconda-Lächeln – mehr zu ahnen ist, als sich wirklich ausdrückt. Seltsam hat der Maler die Hände gestaltet. Die Finger sind so lang und laufen so spitz zu, und es liegt ein so merkwürdiger Schatten auf ihnen, daß sie beinahe aussehen wie Klauen.

Oh, angesichts dieses Bildes kann man sich vorstellen, daß die ersten jugendlichen Liebesrasereien dieser Frau ein unerhörtes Glück gewährt haben müssen.

Mit diesem Bilde stimmt sehr gut überein, was mir die Nachbarn über Wassilska erzählt haben. Denn sobald ich einmal entschlossen war, die ausgesetzten zweimalhunderttausend Franken zu verdienen, habe ich mich selbstverständlich nach ihr erkundigt. Man will doch nicht ein ganzes Jahr im Grabmal einer völlig Unbekannten wohnen, man will wissen, an wen man seinen Gutenachtgruß zu richten hat.

Nun, man hat mir eine ganze Menge seltsamer Dinge erzählt, aber es scheint mir, als hätte man mir noch mehr verschwiegen. Vielleicht gerade das Seltsamste und Unglaubwürdigste, weil man sich nicht ausgelacht sehen wollte. Die guten Leute wissen nicht, wieviel gerade unsereiner an Unglaubwürdigem verträgt, welchen Reiz das für uns hat, deren Phantasie sonst durch Zahlen und Experimente vollkommen gefesselt ist.

Madame Wassilska liebt also, wie nach ihrer Katharinanatur zu erwarten war, die Kunst. In ihrem Nachlaß findet sich eine ganze Sammlung von Gemälden, etwa aus der Periode von Goya bis van Gogh. Sie stellen sämtlich den nackten Körper dar. Landschaften, Stilleben, Porträts scheinen für sie keinen Reiz gehabt zu haben.

Zu dieser Gemäldesammlung gesellt sich ein nach demselben Grundsatz zusammengetragenes Porzellankabinett. Nymphen und Najaden, Aphroditen, Galatheen und Grazien aus den Händen der Meister von Meißen, Nymphenburg, Wien und Sevrès, auf deren runden blanken Formen das Licht spielt. Zierliche Geliebte galanter Könige, denen es ein Vergnügen bereitete, sich als leuchtertragende oder spiegelhaltende Göttinnen der Schönheit auf dem Toilettetisch ihres Freundes zu wissen.

Aber Madame Wassilska bannt ihre Liebe nicht allein in die Kunst, die doch immer noch eine Sehnsucht nach dem Leben übrigläßt.

Und sie hat sehr brutale und tatenlustige Bedürfnisse. Wie Katharina der Zweiten führt man ihr junge Männer zu. Sie verläßt ihr Haus in Männerkleidern, um auf den Gassen umherzustreifen und Gott weiß was für Abenteuer aufzusuchen. Manchmal mietet sie die Räume eines großen Hotels und gibt ein glänzendes Fest. Ich erinnere mich, hie und da von diesen Nächten gehört zu haben, die, halb Hofball und halb Orgie, für einige Tage die Aufmerksamkeit von Paris erregten.

Manchmal nimmt ihr Liebesbedürfnis die Wendung ins Grausame. Keines ihrer Mädchen soll es lange bei ihr ausgehalten haben. Sie liebt es, wie die römischen Damen, ihre Kammerzofen mit langen Nadeln ins Fleisch zu stechen oder plötzlich mit dem Brennkolben zu versengen. Eine wahrhaft fürstliche und antike Neigung, nur daß unsere Pariser Kammerzofen nicht gezwungen waren, das zu ertragen, was die lybischen oder persischen Sklavinnen über sich ergehen lassen mußten.

Seltsam genug ist auch die Sache mit dem Bäckerlehrling. Madame Wassilska sieht eines Tages den Bäckerjungen, der ihr die Semmeln ins Haus bringt. Er hat einen hübschen runden Hals. Madame Wassilska findet Gefallen an diesem Hals und erkundigt sich, ob sich der Junge von ihr dreimal in diesen Hals beißen lassen wolle. Eine bedeutende Anzahl von Franken beschwichtigte seine Bedenken und macht ihn dazu geneigt. Aber nach dem zweiten Biß läuft er schreiend davon, wird krank und ist nicht mehr zu bewegen, noch einmal die Wohnung der Russin zu betreten.

Dies ist das Porträt meiner Wohltäterin.

Man wird zugeben, daß ich die Vorhalle zu der letzten Wohnung einer sehr interessanten Frau bezogen habe, und daß unter diesen glatten Marmorfliesen ein sehr heißer Drang zur Ruhe gekommen ist.

*

Gestern habe ich mit meiner Arbeit begonnen.

Es gilt zuerst eine unzählige Menge von Zetteln zu ordnen. Meine Freunde haben mir immer lachend vorgehalten, ich arbeite so umständlich wie ein deutscher Professor. Es ist keine Schande, denke ich, gründlich zu sein, wenn man ein System zu errichten beabsichtigt, von dem eine neue Periode der Wissenschaft anheben soll.

Verschiedene Arten von Zetteln bilden diese ungeheuere Menge. Weiße, auf denen ich meine Experimente und meine eigenen Gedanken verzeichnet habe. Blaue, auf denen die entgegenstehenden Meinungen anderer Gelehrter eingetragen sind. Und gelbe, auf denen ich diese Meinungen widerlege. Das muß alles zueinander eingepaßt und nach Materien geordnet werden …

Aber ich habe gleich zu Beginn meiner Arbeit ein kleines Mißgeschick gehabt. Gestern abend habe ich den ersten Teil meines Werkes in diesen Zetteln wohlgeordnet auf dem Tisch hinterlegt. Als ich mich heute früh von meinem Feldbett erhob, lagen alle diese Hunderte von Zetteln über den ganzen Boden verstreut. Sie waren nur schwer von dem Marmor aufzuheben, es war, als hafteten sie an ihm wie von elektrischen Kräften angezogen.

Es muß während der Nacht ein Windstoß durch den Eingangsspalt hereingedrungen sein und alle diese Hunderte von Blättern heruntergefegt haben.

Nun kann ich mit meiner Arbeit von vorn beginnen.

*

Iwan könnte gewiß mehr von seiner Herrin erzählen, wenn er nur sprechen wollte.

Aber ich weiß noch gar nicht, ob er etwas anderes sagen kann, als »Guten Tag« und »Adieu«. Er spricht diese Worte mit einer schnarrenden Stimme, wie ein Papagei oder ein Grammophon aus jener noch sehr frühen Zeit seiner Unvollkommenheit, da es noch Phonograph hieß.

Pünktlich zweimal des Tages erscheint er mit seinem kleinen Wägelchen, in das die Aluminiumtöpfe mit den Speisen eingesenkt sind, und in dem sie von einem kleinen System von Flammen warm gehalten werden. Er schiebt dieses Wägelchen vor sich her, wie die italienischen Eisverkäufer in den Straßen ihre Karren.

Langsam kommt er den kleinen Hügel hinauf, hält vor dem Grabmal seiner Herrin an und setzt mir die Speisen auf den Tisch.

Dann hockt er sich mir gegenüber auf den Boden, mit gekreuzten Beinen, nach Tatarenart und starrt mich an. Es ist nicht sehr angenehm, sich während des Essens auf den Mund starren zu lassen. Ich habe versucht, ihn zum Plaudern zu bewegen, schon um dieses peinliche Anglotzen zu beenden und Leben in dieses Gesicht zu bringen. Aber es ist, als wollte ich einem Zaunpfahl eine Antwort abringen.

Iwan ist ein kleiner Kerl mit borstigem Haar, auf dem er selbst jetzt im Sommer eine Tatarenmütze sitzen hat. Wäre er jünger und hübscher, so würde ich annehmen, er tue es, um aufzufallen und bei den aufs Ausländische versessenen Mädchen aus der Bretagne Glück zu haben; so wie die russischen Studenten in Röhrenstiefeln und verschnürten Röcken herumlaufen, um irgendeine kleine Verkäuferin zu finden, von der sie sich aushalten lassen können. Aber Iwan ist vor einem solchen Verdacht gesichert. Sein Gesicht ist eine Berg- und Tallandschaft. Zwischen Pockennarben stehen unzählige rote Pusteln, jede mit einem weißen, eiterigen Punkt in der Mitte. Die Haare seines Hängeschnurrbartes stecken in dieser verwüsteten Haut so, als hätten sie keine Wurzeln und unter sich keinen Zusammenhang. Wie kleine Tüten, die spielende Kinder in einen Sandhaufen gesteckt haben. Die Glieder dieses grotesken Scheusals sind ähnlich unorganisch an den Leib gefügt, als wären sie ihm schon einmal abgerissen und nur höchst ungeschickt wieder angesteckt worden.

Dieser borstige Tatare ist der einzige Diener, den Madame Wassilska aus ihrer Heimat mitgebracht hat. Er hat allen Wechsel ihres Dienstpersonals überstanden und bei seiner Herrin ausgehalten.

Er muß alle ihre Lebensgewohnheiten kennen, er müßte mir so manche Eigentümlichkeit ihres Wesens näher zu beschreiben imstande sein, denn diese russischen Damen tun sich vor ihren vertrauten Dienern keinen Zwang an.

Ich wüßte vor allem gerne von ihm, was der Zweck dieser seltsamen Bestimmung im Testament seiner Herrin gewesen sein mag. Ich kann mir doch kaum denken, daß sie ihr gutes Herz dazu angetrieben hat; es widerspricht jedem Zug ihres Charakters, daß sie es getan haben sollte, um sich die Dankbarkeit eines ihr Unbekannten zu erwerben, um ihr Andenken zu sichern, jemanden gewiß zu haben, dessen Seele bei jedem höheren Lebensimpuls ihren Namen mitschwingen lassen muß.

Dreierlei erscheint mir als Sinn der Testamentsbestimmung möglich. Es könnte einfach Angst vor dem Lebendigbegrabenwerden gewesen sein. Von Zeit zu Zeit erscheinen in den Zeitungen Schauernachrichten über solche Fälle, und sie wollte vielleicht wissen, daß jemand da sei, der sie hören könne, wenn sie in der schauerlichen Enge ihres Grabes noch einmal erwachte. – Halt! Dann hätte sie anordnen müssen, daß ihr Grabmal sogleich nach ihrer Beerdigung bezogen werde, aber nicht den Eintritt in das Jahr der Leichenwache dem Bewerber freistellen dürfen:

Oder aber, es war die Besorgnis vor Leichenräubern. Vielleicht ist ihr einmal der Fall des Sergeanten Bertrand zu Ohren gekommen, der sich gerade diesen Père Lachaise zum Schauplatz seiner Scheußlichkeiten ausgewählt hatte. Er hatte eines Tages beim Anblick der Leiche eines schönen, jungen Mädchens plötzlich den Drang empfunden, sie zu umarmen. In der Nacht nach ihrer Beerdigung schlich er sich auf den Friedhof, riß das frische Grab auf und wühlte sich zu der Toten durch. Die abscheuliche Lust dieser Schändung war so groß, daß Bertrand von nun an nicht mehr davon lassen konnte, nachts auf den Friedhöfen umherzustreifen und wie eine Hyäne nach Leichen zu fahnden. Er hat bei der Gerichtsverhandlung gestanden, oft in einer Nacht zwölf bis fünfzehn Leichen ausgegraben zu haben, um eine tote Frau zu finden, auf die er sich warf, um sie zu küssen, zu zerbeißen und zu verstümmeln. Dabei war dieses Scheusal von einer außerordentlichen, nahezu unbegreiflichen Schlauheit und betrieb sein Handwerk lange, trotz aller Vorsichtsmaßregeln und Wachen, bis er endlich beim Überklettern der Friedhofsmauer durch eine Art Höllenmaschine verwundet und so gefangen wurde. Es könnte sein, daß Madame Wassilska der Gedanke peinlich war, in die Hände einer solchen Bestie zu fallen.

Es ist aber noch eine dritte Möglichkeit da, und diese scheint mir am besten zu dem Wesen dieser asiatischen Tyrannin zu stimmen. Vielleicht hat sie jene zweimalhunderttausend Franken nur zu dem Zweck ausgesetzt, um die Vorfreude an der Qual des Bewerbers zu haben, um die Vorstellung genießen zu können, wie der in dieses Grabmal Gebannte durch alle Ängste und Schrecknisse eines Friedhofes aufgerieben werden würde.

Nun, wenn das die Absicht der Madame Anna Feodorowna Wassilska gewesen ist, so soll sie sich gründlich getäuscht haben. Ich esse wie ein Tiger und schlafe wie eine Ratte.

Es ist spät. Ich habe eine Flasche Burgunder getrunken und bin in guter Laune. Ich muß mich von meiner Wohltäterin verabschieden.

Ich erhebe mich, mache eine Verbeugung und klopfe mit dem gekrümmten Finger an die Bronzeplatte: »Gute Nacht, Anna Feodorowna, gute Nacht!«

Das ganze Grabmal widerhallt von dem Schwingen der Bronzeplatte: Gute Nacht!

*

Zum zweiten Male dasselbe Mißgeschick.

Meine Zettel, die ich wohlgeordnet auf dem Tisch hinterließ, sind wieder über den ganzen Boden verstreut. Ich darf nicht mehr daran vergessen, sie entweder an einem anderen Ort aufzubewahren oder mit irgendeinem gewichtigen Gegenstand zu beschweren.

Heute habe ich deutlich gesehen, wie sie ein Luftzug zu Boden gewirbelt hat.

Ich wache auf, mitten in der Nacht, aus meinem tiefsten Schlaf, wie wenn meine Nerven mit einer elektrischen Batterie verbunden wären, die ein Signal gegeben hat. Das ist eine durchaus erklärliche Sache. Meine ganze innere Aufmerksamkeit, das Eigentlichste meines Wesens hängt an dieser Arbeit, ist auf sie gerichtet und fühlt sie als Bestandteil seiner selbst. Während ich schlief, war doch diese Aufmerksamkeit wach. Das Vorgefühl einer Gefahr für meine Arbeit hat meinen guten Schlaf unterbrochen.

Ich erwache und sehe mein Marmorgemach von einer mäßigen Helle durchtränkt. Es ist kein Mondschein draußen. Diese Helligkeit scheint der Widerglanz der vielen Marmordenkmäler dort draußen zu sein, der hier eindringt und sich mit dem eigentümlichen Leuchten vereinigt, das auch der Stein rings um mich ausstrahlt. Es ist eine Beleuchtung, die ich zum erstenmal sehe, ein Licht, das etwa an das Meerleuchten erinnert, oder so, als ob der Stein das Sonnenlicht, das er tagsüber eingesogen hat, nun in sanftem Schimmern wieder von sich gäbe.

Ich setze mich in meinem Feldbette auf, das Phänomen regt mich ungemein an, denn sind es nicht eben die neuen Lichterscheinungen, die den Gegenstand meines Studiums ausmachen, von denen ich ausgehe, um eine gründliche Umwälzung in unseren Anschauungen vom Wesen der Materie zu unternehmen? Welche noch unbekannte Art geheimnisvoller Strahlen mag das sein?

In diesem Augenblick bemerke ich an der Hinterwand des Grabmales, an der Stelle, an der die Bronzeplatte eingesenkt ist, ein schwarzes, viereckiges Loch, als ob man diese Platte entfernt hätte.

Und zugleich ist es mir, als gehe ein sanfter Lufthauch über mich hin, der einen Geruch von verwelkten Blumen und verlöschenden Kerzen mit sich bringt, jener Geruch, der manchmal den Père Lachaise erfüllt. Dieser Hauch geht von dem Eingang meines Grabmales nach der Hinterwand, oder von dort zum Eingang, und ich sehe, wie er meine Zettel erfaßt, über den Tisch hinflattern läßt und zu Boden wirbelt.

Halb erschrocken, halb wütend springe ich aus meinem Bett, um den Rest meiner Arbeit zu retten. Die Zettel scheinen wieder an dem Marmor des Bodens festzukleben, als ziehe er sie an, es ist, als sei der Stein ein wenig feucht und klebrig, wie eine erstarrte Masse, deren oberste Schicht sich langsam aufzulösen beginnt.

Ich raffe meine Zettel mühsam zusammen. Dann erst fällt mir wieder die Bronzeplatte ein.

Aber sie ist da, ist an ihrer Stelle, ist von dem sanften Licht bestrahlt, so daß ich sogar den Namen der Verstorbenen deutlich lesen kann.

Eine ungeheuere Aufregung erfaßt mich. Ich sehe mich vor ein neues Rätsel gestellt, vor eine neue Entdeckung auf dem Gebiet der geheimnisvollsten aller Kräfte, des Lichtes. Ich bin gewiß, daß es sich hier um eine neue Lichtgattung handelt, vielleicht um Strahlen, die wie die Strahlen Röntgens Metalle durchdringen, sie unter gewissen Bedingungen, unter einem besonderen Brechungswinkel ganz verschwinden zu lassen vermögen.

Von meinem Bette aus gesehen, war die Bronzeplatte fort.

Ich setze mich wieder auf das Bett, aber nun bleibt sie an ihrer Stelle. Ich habe den vielleicht einzigen Moment versäumt, in dem das Phänomen sichtbar war.

In dieser Nacht habe ich wenig geschlafen. Alle Methoden der Lichtuntersuchung bin ich im Geiste durchgegangen, um die für diesen Fall beste herauszufinden. Erst in der Morgendämmerung, im langsamen Schwinden der seltsamen Strahlung vor dem Tag habe ich endlich Ruhe gefunden.

*

Ab und zu kommen Neugierige vorüber, bleiben draußen stehen und versuchen, mich zu erblicken.

Es läßt sich denken, daß in allen Zeitungen über mich berichtet wird. Der Pariser kann es sich nicht vorstellen, daß ein Mensch ein ganzes Jahr lang freiwillig an einem Fleck bleibt.

Einige lachen mich einfach aus wie einen Narren, sie stehen draußen im Sonnenschein und grinsen; andere schütteln den Kopf über mich, wehmütig und mitleidig.

Oh, wenn ihr wüßtet, daß ich so gar nicht an dem leide, was ihr Pariser fast ebensosehr fürchtet wie den Tod: an der Langenweile! Wenn ihr wüßtet, was ich erlebe, was meine Gedanken zu arbeiten haben, wie nicht einmal meine Nächte der Ruhe gehören.

Ein kleiner Journalist hat versucht, mit Notizbuch und Bleistift bei mir einzudringen; er wäre imstande, mich um meine zweimalhunderttausend Franken zu bringen, indem er mich zum Reden verleitet, nur um seiner Zeitung ein pikantes Feuilleton zu liefern.

(Übrigens wüßte ich wirklich ganz gern, was die Zeitungen über mich schreiben, ob sie mich als einen Helden hinstellen oder als einen Idioten. Und ich brauchte ja wohl nur Iwan zu sagen, daß er mir die Blätter bringen solle. Aber ich habe mir geschworen, nichts von dem erfahren zu wollen, was außerhalb des Ausschnittes aus dem Père Lachaise, den ich von meinem Eingang überblicken kann, vorgeht; nichts in der Welt soll mich von meiner Arbeit ablenken.)

Mein kleiner Journalist hat mir brav zugesetzt. Ich habe ihm durch Gebärden bedeutet, daß ich schweigen müsse, und habe ihm endlich die Türe gewiesen, wenn ich den Spalt in der Marmorwand so nennen darf.

Ein anderer Besuch hat mich ärger aufgewühlt. Margot war da, sie getraute sich nicht heran, ich sah ihren schwarzen Hut mit den gelben Teerosen zwischen den Grabhügeln von ferne. Dann begann es zu regnen, ein Trupp Leute kam von einem Begräbnis zurück und an meiner Behausung vorbei. Sie blieben stehen, drängten sich aneinander und glotzten herein. Ein schwarzer Klumpen, mit naßglänzenden Schirmen darüber, jemand machte einen Witz, ein paar Leute verzogen die Gesichter.

Dann sah ich plötzlich, nur auf einen Augenblick, zwischen zwei feuchten Schirmen, hinter einem feinen, dünnen Regenschleier Margots großen Hut, darunter das blasse, traurige Gesicht …

Die Gute!

Es ist ja auch für dich, Margot, daß ich hier drinnen sitze, auch für dich.

*

Es unterliegt für mich keinem Zweifel mehr, daß in dem Marmor dieses Grabmales intermolekulare Kräfte wirken, die der Wissenschaft bis jetzt entgangen sind.

Ich habe meine nächtlichen Beobachtungen fortgesetzt. Sobald völlige Dunkelheit eintritt, etwa gegen Mitte der Nacht beginnt dieses rätselhafte Leuchten, dieser grünliche Schimmer, der von dem Stein auszugehen scheint. Ich wäre geneigt, anzunehmen, daß es sich um eine besondere Art von Marmor handelt, der tagsüber Licht einsaugt und es nachts in einer Phosphoreszenz wieder von sich gibt.

Dagegen spricht aber der sonderbare Umstand, daß sich durch diese Ausstrahlung auch die Struktur des Marmors selbst zu ändern scheint. Jener Eindruck, den ich schon zweimal hatte, wiederholt sich immer wieder. Die Oberfläche des Marmors scheint weich zu werden, wandelt sich zu einer zähen, gallertartigen Masse; zugleich sehe ich in dem unerklärlichen Licht die Zeichnungen und Adern des Steines, diese Farne, Moose, Seesterne, Korallenzweige und Flußsysteme deutlicher hervortreten, als kröchen sie näher an die Oberfläche heran.

Wenn ich über die Marmorquadern des Bodens hingehe, so ist es, als träte ich auf einen weichen Teppich, wenn ich die Wände betaste, so vermeine ich, daß ein Eindruck meiner Finger zurückbleiben müsse.

Welch seltsames und glückliches Zusammentreffen, daß ich, im Begriff eine grundlegende Arbeit über den Zerfall der Materie zu beginnen, eine Erscheinung kennen lerne, die in so engem Zusammenhang mit meinem Thema steht. Eine Erscheinung, die meine Theorie ganz wesentlich unterstützen wird, sobald ich sie erst nur gründlich untersucht habe.

Ich bin entschlossen, das zu tun, denn es ist ganz unzweifelhaft, daß diese Lichterscheinung und die Strukturveränderung des Marmors in engster Verbindung stehen, daß sie miteinander zu erklären und irgendwie aus den ersten und elementaren Gesetzen der Materie abzuleiten sind, genau so, wie mir dies mit allen anderen bekannten Strahlungserscheinungen gelungen ist.

Zu meinen Experimenten bedarf ich noch einiger Apparate. Ich habe Iwan ein Verzeichnis übergeben und ihn beauftragt, sie mir zu besorgen.

Er hat mich verständnislos angesehen und höhnisch gegrinst. Armer Teufel, er hat in seinem Asiatenschädel keine Ahnung von den wunderbaren Hochgefühlen des Forschers und Entdeckers.

*

Ich fange an, dick zu werden.

Wahrhaftig, so lächerlich dies ist, und so ungern ich mir es eingestehe – wenn ich mich nicht selbst belügen will: ich fange an, dick zu werden. Mein ausgehungerter Körper hat die Speisen mit einer solchen Gier in sich aufgenommen, daß sie ihm allzu gut angeschlagen haben.

Schon längst habe ich bemerkt, daß meine mageren Hände, diese Bündel aus Sehnen und Adern, ihr Aussehen verändert haben. Zwischen den Sehnen sind keine Vertiefungen mehr, die Adern liegen in Fettpolstern eingebettet, die Finger sind rund geworden. Meine hageren Beine haben die Hosen ausgefüllt, die spitzen Knie sind beim Sitzen gewölbt wie die Kuppel des Invalidendomes und ich nehme beim Gehen eine ungewohnte Schwerfälligkeit wahr.

Heute aber habe ich einen unzweideutigen Beweis dafür erhalten, wie dick ich geworden bin.

Über meine Arbeit gebeugt, habe ich mich selbst und meine ganze Umgebung vergessen. Plötzlich, mitten in einem Satz, zwingt mich etwas, die Feder hinzulegen und hinauszusehen. Ich erblicke ein Stück blauen Himmels und des Friedhofes in einem wundervollen Herbstsonnenschein. Langsam treibt ein orangefarbenes Lindenblatt bei dem Spalt des Grabmales vorüber. Es ist früh am Tage, die Gräber sind alle von den dünnen Fäden des Altweibersommers übersponnen, und jeder von ihnen trägt eine Reihe von funkelnden Tautropfen.

Eine unbändige Sehnsucht überfällt mich, Bartholomès Grabdenkmal in diesem reinen, kühlen Licht zu sehen, den Zug der Marmorgestalten aus dem Reiche der Sonne in die Nacht des Grabes zu bewundern, alles Glücksgefühl auszukosten, das von einem großen Kunstwerk ausgeht.

Ich erhebe mich und trete in den Eingang, beuge mich vor und versuche, einen Blick auf das Denkmal zu werfen. Aber es gelingt mir nicht, mein aufgeschwemmter Körper füllt den schmalen Spalt aus, steckt in ihm drinnen wie in einer Falle und nur, indem ich mich mit aller Kraft gegen die Seitenwände stemme, kann ich mich nach rückwärts befreien.

Ich muß mir die lächerliche Tatsache eingestehen, daß ich ein Gefangener bin. Ich, der spindeldürre Hungerleider, bin ein Gefangener meines Bauches geworden. Meine Gefräßigkeit hat mich um die Tröstungen und das Glück der Kunst gebracht.

Es ist kein Wunder, ich esse wie ein Drescher und mache keine Bewegung. Aber das soll anders werden. Ich werde von nun an mäßig essen und jeden Tag einen Dauerlauf von einer halben Stunde rund um meinen Tisch unternehmen. Was soll daraus werden, wenn mein Umfang weiter zunimmt und ich am Ende des Jahres mit meinen wohlverdienten zweimalhunderttausend Franken das Grabmal nicht verlassen kann?

Heute will ich mit der Enthaltsamkeit beginnen. –

O lächerliche Tragikomödie der Gefräßigkeit! Was ist aus meinem schönen Vorsatz geworden? Ich halte ihn in meiner Seele festgenietet, mit den Hammerschlägen des Willens in alle Tiefen hineingetrieben, dicht neben allen anderen großen Entschließungen, neben meinem Glauben an mich selbst und an meine Arbeit. Noch als ich Iwan mit seinem Wägelchen zwischen den Gräbern, auf den sandbestreuten Wegen kommen sah, habe ich geprüft, ob alles fest säße und mich meines Willens gefreut.

Dann stand eine Schüssel vor mir mit einem verführerischen Ragout. Im blanken Silber der Untertasse sah ich mein dickes, rundes Gesicht, und ich erneuerte meinen Vorsatz.

»Nein,« sagte ich, indem ich die Schüssel von mir schob, »ich möchte heute nichts als eine Schale Bouillon und ein Weißbrot.«

Iwan sah mich an und sein Grinsen, der Blick, mit dem er meinen Umfang abzumessen schien, zeigten mir, daß er mich verstand. Stillschweigend schob er die Schüssel mit dem in Muscheln angerichteten Ragout zurück und schob eine Schale mit Bouillon von seinem fahrbaren Herd. Schon, indem er sie vor mich hinsetzte, drang der Duft der schöngefärbten braunen Brühe so lieblich auf mich ein, daß ich meine festen Entschließungen wanken fühlte. Wie der Dampf einer Waschküche oder einer Färberei schließlich die stärksten Mauern durchdringt und zerstört, so zerstörte dieser liebliche Duft meinen Vorsatz, nur daß er keiner längeren Zeit bedurfte, als der eines Atemzuges. Und als ich den ersten Schluck getan hatte, überfiel mich ein wahrer Heißhunger. Mein Magen schrie nach Speise, als ob ich schon vierzehn Tage nichts gegessen hätte, meine Eingeweide krampften sich zusammen, ich warf alle Bedenken beiseite.

Iwan war wieder hinausgetreten und, indem er sich den Anschein gab, als bereite er alles zur Rückfahrt vor, entblößte er die Töpfe und Schüsseln seines Karrens und zeigte das weiße Fleisch des Geflügels, die braunen Krusten verschiedener Braten, das Farbengemenge eines italienischen Salates, das gelbliche Weiß des Creme-Übergusses auf einer Torte.

Ich stand auf, beugte mich über den Tisch und zog die Schüssel mit dem Muschelragout an mich. »Iwan,« sagte ich, »bringen Sie alles … bringen Sie es … ich habe doch Appetit bekommen.«

Im Augenblick des Niedersetzens sah ich mein Gesicht wieder im Spiegel der Untertasse. Ich hatte die Zähne gefletscht, die Augen rollten fürchterlich umher, mein ganzes Gesicht war von Gier verzerrt, ich sah aus wie ein Tier, dem man den schon gezeigten Fraß wieder entreißen will.

Von der ganzen Mahlzeit ist nichts übrig geblieben. Ich habe das Ragout verzehrt, sämtliche Braten und einen halben Truthahn aufgegessen, und ich mußte mir Zwang auferlegen, um nicht auch noch die Knochen zu zerbeißen und zu vertilgen – wie ein gefräßiger Hund.

Man muß es dem Koch, der diese Mahlzeiten nach den Anordnungen der Madame Wassilska zubereitet, nachsagen: er ist ein Künstler in seinem Fach. Ich glaube nicht, daß es möglich ist, noch besser zu kochen als dieser Mann. Jede Speise ist für sich vollkommen, und dabei sind sie so zu einer Mahlzeit abgestimmt, daß eine die andere hebt und fördert, daß sie wechselseitig ihren Wohlgeschmack zur Geltung bringen. Es ist unmöglich, einer solchen Mahlzeit zu widerstehen, die mit allem Raffinement hergestellt ist, lieblich zugleich für das Auge, die Nase und den Gaumen.

Ich segne den unbekannten großen Künstler, und ich verwünsche ihn. Denn es sieht aus, als würde ich dieses Grabmal wirklich nicht mehr verlassen, wenn es so weitergeht, es sieht so aus, als würde ich hier – gemästet.

*

Iwan hat mir die Apparate gebracht, die ich zu meinen Untersuchungen brauche. Er hat die Dinger mit diesem trübsinnigen und boshaften Grinsen vor mich hingestellt, das zwischen den Pusteln seines Gesichtes dahinrinnt, wie ein zäher Schleim. Wie soll er verstehen, was diese Prismen, Fernrohre, Blenden, Glasröhren, elektrischen Elemente und photographischen Kameras bedeuten?

Das chemische Laboratorium der Universität hat mir diese Apparate in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt und einen schmeichelhaften Begleitbrief geschrieben, man schätze sich glücklich, einem jungen Gelehrten dienen zu können, dessen Ruf usw.

Wenn sie wüßten, zu welchem Zwecke sie mir die Waffen liefern; daß ich darauf ausgehe, ihre ganzen mühsam errichteten Lehrgebäude niederzureißen, ihre Kapazitäten ans Messer zu liefern, in ihre strohenen Theorien die Brandfackel der Vernichtung zu schleudern. Meine ganze neue Lehre steht in meinem Kopf fest, meine Beweise sind in Stößen von Zetteln angesammelt – es handelt sich nur noch darum, die seltsamen Erscheinungen, deren Zeuge ich hier bin, meinem System zwanglos einzuordnen.

Vorläufig sind alle meine Mühen fruchtlos. Je gründlicher und sorgsamer ich untersuche, desto geheimnisvoller werden die Vorgänge.

Ich beobachte die ganzen Nächte hindurch. Wie könnte ich Schlaf finden, solange ich dem Rätsel dieser Strahlungen nicht auf den Grund gekommen bin? Sie gehören keiner der bisher bekannten und beschriebenen Gattungen an. Es ist ein schwaches grünliches Schimmern, vollkommen deutlich erkennbar, das ohne jede ersichtliche Ursache aus den Wänden, aus dem Marmor auszugehen scheint.

Aber diese deutlich sichtbaren Strahlen, von denen man erwarten sollte, daß die Gesetze der Optik auch auf sie Anwendung finden müssen, können weder gebrochen, noch polarisiert noch durch magnetische oder elektrische Felder abgelenkt werden. Ja, sie haben – und das ist geradezu unheimlich – sie haben überhaupt kein Spektrum. Sie gehen durch das Prisma hindurch, wie durch gewöhnliches Glas, sie verlassen es genau so, wie sie eingetreten sind, sie werden durch eine Linse weder konzentriert noch zerstreut. Sie zeigen keine chemische Reagenz und hinterlassen keinerlei Spur auf der photographischen Platte.

Sie sprechen überhaupt allen Naturgesetzen Hohn.

Daß sie aber dessenungeachtet nicht ohne chemische Wirkungen sind, zeigt jene seltsame Begleiterscheinung: das Weichwerden des Marmors. Auch das ist keine Sinnestäuschung, ebensowenig wie der grüne Schimmer. Meine Hände fühlen es, meine Werkzeuge stellen es fest. Es beginnt in der Regel erst nach Mitternacht, als müßte der grüne Schimmer erst eine Weile eingewirkt haben, ehe der Marmor seine Struktur verändert. Es steigert sich gegen Morgen, erreicht nach Tagesanbruch, wenn der grünliche Schimmer verlischt, seinen Höhepunkt und verliert sich allmählich im Tageslicht. Tagsüber ist der Stein wieder hart und fest – wie Marmor sein soll.

Solange diese Erscheinung andauert, gibt der Stein dem Fingerdruck nach, läßt sich leicht einschneiden und stechen. Er verhält sich wie eine Gallerte, wie ein riesiger Quittenkäse, der in Erstarrung begriffen ist; ein Griff der Hand scheint Eindrücke zurückzulassen, die sich langsam wieder ausfüllen, der Messerschnitt bleibt eine Zeitlang sichtbar und verschwindet dann wieder. Dabei scheint der Marmor besondere anziehende Kräfte zu entfalten. Seine Oberfläche ist klebrig anzufühlen, leichte Gegenstände haften auf ihr, die Hand wird bei der Berührung ein wenig festgehalten und fühlt nachher ein leises Brennen.

Ich weiß nicht, wie ich alle diese absonderlichen und einander widersprechenden Phänomene miteinander in Einklang bringen soll.

Ich bin vollständig ratlos.

Und ich will tun, was jeder Gelehrte tut, wenn er vollständig ratlos ist, ich will versuchen, mir eine Theorie aufzustellen. Eine Theorie, die sich mit meinem System vereinigen läßt.

Eine Zeitlang habe ich daran gedacht, ob diese Strahlungen nicht mit den von dem polnischen Ingenieur Rychnowski beobachteten Erscheinungen verwandt sein könnten. Rychnowski hat, mit der Anlage der elektrischen Beleuchtung im Landtagsgebäude in Lemberg betraut, folgendes wahrgenommen. Bei nächtlichen Versuchen mit einer von ihm konstruierten Dynamomaschine erschienen in einem neben dem Maschinenraum liegenden, von ihm durch eine meterdicke Mauer getrennten Zimmer kleine leuchtende Kugeln von grünblauer Farbe, und zwar immer in dem Augenblick, in dem eine Stromunterbrechung stattfand. Rychnowski schaltete nun, um diese rätselhafte Erscheinung genauer zu untersuchen, einen Apparat zur Stromunterbrechung ein, und es gelang ihm, eine größere Anzahl dieser selbstleuchtenden Kugeln zu erzeugen, die schließlich zusammenflossen, so daß ein kontinuierliches Leuchten entstand. Der Entdecker hält diese Kugeln für materiell und deutet sie auf das Vorhandensein eines noch unerforschten Stoffes, den er Elektroid nennt.

Haben diese selbstleuchtenden Kugeln des Ingenieurs Rychnowski im Lemberger Landhaus nicht eine unzweifelhafte Ähnlichkeit mit dem grünen Schimmer im Grabmal der Madame Wassilska? Die Beschreibung, die von diesem grünlichen Licht gegeben wird, könnte verführen, ja zu sagen. Aber wo ist hier die Dynamomaschine, die doch sicher irgendwie ursächlich mit den Beobachtungen Rychnowskis zusammenhängt? Und, abgesehen davon, daß die Wissenschaft vorläufig noch überhaupt dem Bericht des Ingenieurs ein wenig ungläubig gegenübersteht, die Richtigkeit seiner Beobachtungen zugegeben, so liegt die wesentliche Verschiedenheit darin, daß Rychnowski seine Lichtkugeln ausdrücklich als materiell bezeichnet.

Denn meine Lichterscheinungen sind ganz sicher immateriell oder vielmehr, da es ja eine Immaterialität irdischer Erscheinungen nicht gibt, sie liegen an den Grenzen der Meßbarkeit und Wägbarkeit und chemischen Reaktionsfähigkeit.

Mit einem Wort: ich halte sie für selbstleuchtenden Äther, für den sichtbar gewordenen Weltäther, der alles durchdringt und alles erfüllt, dessen Atomgewicht mit 0.00 000 96 des Wasserstoffatoms, dessen Geschwindigkeit mit 2 240 000 Meter in der Sekunde verrechnet wurde.

Noch vor einigen Jahren konnte Poincaré in seiner »Mathematischen Theorie des Lichtes« schreiben: »Die Frage, ob der Äther wirklich existiert, hat für uns (nämlich die Physiker) wenig Bedeutung; das zu untersuchen ist Sache der Metaphysiker.«

Diese Äußerung Poincarés zeigt die ganze Kurzsichtigkeit eines sonst genialen Gelehrten in Dingen, die er von sich fernhalten zu müssen glaubt. Oh nein – diese Frage geht uns, die Physiker, ganz ungemein viel an. Seit Maxwell seine elektromagnetische Lichttheorie aufgestellt hat, seit wir annehmen müssen, daß die Elektrizität keine Naturkraft, sondern eine Substanz ist, seit zu den bisherigen chemischen Elementen zwei neue hinzugekommen sind: die positiven und negativen Elektronen, ist der Geltungsbereich des Begriffes »Kraft« viel enger geworden. Es war nur ein Schritt von da zu der kühnen Behauptung Mendelejeffs, des Entdeckers des periodischen Systems der Elemente, auch der Weltäther sei chemischer Natur, und auch er reihe sich in die Periodizität der Elemente ganz unten ein.

Damit und mit den bestätigenden Ausführungen George Rudorfs über Urmaterie und Lichtäther fällt die alte Ansicht von den Atomen, die sozusagen im Weltäther schwimmen, wie das Holz im Wasser und ihm eigentlich fremd seien. Nun – hier stehe ich an den Grundmauern meines eigenen Systems.

Die Atome bilden sich aus dem Äther selbst, sie sind Wirbelstürme im Äther, Zyklone, in denen er sich verdichtet, und sie entstehen an Stellen, an denen jene ungeheuer, unausdenkbar schnelle Bewegung der Ätherteilchen, die sonst geradlinig verläuft, sich in eine drehende Bewegung umwandelt. Und wie entsteht dieser Weltäther selbst? Hier ist das große Wunder, wo das physische mit dem Methaphysischen zusammenhängt. Hier, Herr Poincaré, vollzieht sich der Übergang der Bewegung in die Substanz!

Der Weltäther ist nichts anderes als der Übergang der Kraft in die Materie. Energie ist nicht eine Eigenschaft des Stoffes, sondern sie ist das früher Vorhandene, aus dem der Stoff hervorgeht. So ist auch das Rätsel des Zerfalles der Materie gelöst, das unsere Physiker so beunruhigt, die Materie muß zerfallen, um wieder zu reiner Energie zu werden. Das Gesetz von der Erhaltung der Kraft ist richtig, aber seine Geltung beginnt schon vor der Geburt des Stoffes. Es gibt einen Kreislauf der Weltenergie, die aus sich erst die Materie bildet.

Darum ist der Weltäther zugleich materiell und immateriell, ist Element und Energie, er ist der Träger aller Erscheinungen der sichtbaren Welt, aber eben, weil er alle Eigenschaften annehmen muß, selbst nahezu eigenschaftslos. Darum kann ich an dem in meinem Marmorhaus aus unbekannten Ursachen selbstleuchtend gewordenen Äther keine der Eigenschaften des Lichtes experimentell feststellen.

Es sind aber doch Umstände da, die mich immer wieder mit Bestürzung erfüllten, so oft ich sie wahrnehme, weil sie doch auf Eigenschaften hindeuten, für die mir jede Erklärung fehlt. Ich meine das Verschwinden der Bronzeplatte an der Hinterwand des Grabmales. Diese Erscheinung stellt sich ganz plötzlich ein, und verschwindet wieder ebenso plötzlich, ohne daß ich eine Gesetzmäßigkeit beobachten kann.

Ich sehe mitten in der Nacht von meiner Arbeit auf, die Bronzeplatte ist fort. Ich erhebe mich, trete hinzu, um das Metall zu befühlen, – es ist wirklich fort, es ist aufgelöst, ohne eine Spur zu hinterlassen. Und nach einer Weile ist die Bronzeplatte wieder an ihrer Stelle. Es scheint mir notwendig, festzustellen, daß mit dem Wiedererscheinen der Bronzeplatte eine unangenehme Beklemmung, eine Art Atemnot und ein verzweifeltes Herzklopfen, das mich im Augenblick ihres Verschwindens überfallen hat, vorüber ist.

Des anderen Umstandes, der Strukturveränderung des Marmors habe ich schon gedacht.

Und so muß ich am Ende meiner Erklärungsversuche immer wieder gestehen, daß ich so klug bin wie zuvor. Die unvereinbaren Eigenschaften dieser Strahlungen verwirren mich, und ich bin am Ende meiner zuversichtlich begonnenen Gedankengänge immer wieder im Zweifel, ob es wirklich der Weltäther ist, der nachts meine Behausung mit grünlichem Licht erfüllt.

Wenn es aber nicht der Weltäther ist, was ist es dann?

*

Ich habe auf meine Frage eine Antwort erhalten.

Unter dem letzten Satz der Aufzeichnungen, die ich erst beim Grauen des Morgens beendet habe, um, bis zum Umsinken erschöpft, schlafen zu gehen, ist etwas hingeschrieben. Unter der Frage, mit der ich schließen mußte, steht:

»Es ist der Atem der Katechana.«

Wer ist Katechana? Was ist das? Die Antwort auf meine Frage gibt mir ein neues Rätsel auf.

Und wer hat mir diese Antwort gegeben? Das ist vielleicht das seltsamste an diesem ganzen Schwarm von Absonderlichkeiten, der mich umgibt.

Es scheint auf den ersten Blick, meine eigene Schrift zu sein. Sie trägt alle charakteristischen Merkmale meiner Züge, das mitten entzweigebrochene K, das langgestreckte A. Aber man braucht nur genauer hinzusehen, um zu bemerken, daß es nur ein Versuch ist, meine Schrift nachzuahmen. Als hätte sich ein Fremder ihrer bemächtigt, um mich durch eine möglichst getreue Fälschung zu verblüffen.

Aber wer sollte wohl hier eingedrungen sein, um sich diesen Scherz mit mir zu machen?

Dann bleibt nur noch übrig, anzunehmen, daß ich selbst im Schlafe aufgestanden bin und die rätselhafte Antwort hingesetzt habe, mit meiner eigenen, durch den abnormalen Zustand meines Gehirnes etwas veränderten Schrift.

Aber woher habe ich dann das Wort Katechana, von dem ich durchaus nicht weiß, was es bedeuten könnte. Aus einem Traum, aus den Abgründen des Bewußtseins, wohin kein Strahl des Wachens dringt?

Ich habe freilich noch keine Neigung zum Schlafwandeln an mir bemerkt, ich, dessen Körper mir niemals andere Streiche gespielt hat als durch Paroxysmen des Hungergefühles, dessen Geist geübt war, auf den steilsten Hochgebirgspfaden der Forschung schwindelfrei zu gehen.

*

Immerhin: es ist nicht ausgeschlossen, daß ich in krankhafte Bewußtseinszustände verfalle. Ich muß mir eingestehen, daß mein Körper und mein Geist sich in einem seltsamen Widerstreit befinden. Während ich, von einer unheimlichen Freßlust gequält und meinen täglich erneuerten Vorsätzen untreu gemacht, immer dicker werde, scheint mein Geist zu erschlaffen.

Ich habe die Gedankengänge von neulich, auf die ich jene rätselhafte Antwort bekam, nachgeprüft. Sie sind im allgemeinen richtig, aber ich finde sie doch im einzelnen plump und unzulänglich, ich vermisse den Scharfsinn, der sonst meine Arbeiten ausgezeichnet hat und selbst von meinen Feinden anerkannt werden mußte.

Trotzdem ich alle Fehler klar erkenne, bemühe ich mich nicht, sie zu verbessern, ich weiß auch gar nicht, wie ich es tun sollte. Viel wichtiger als alle Fragen erscheint mir nun die, was das ist: der Atem der Katechana, als wäre in diesem Wort wirklich die Erklärung für alles enthalten.

Ich bin überzeugt, daß das alles besser werden muß, daß ich meine Klarheit wiedergewinnen werde, wenn ich erst diese ekelerregende Eßgier, diesen tierischen Trieb, mir den Bauch anzufüllen, überwunden haben werde. Der Kampf gegen diesen unersättlichen Hunger reibt mich auf. Und, wenn ich endlich genug habe, so möchte ich mir vor Abscheu vor mir selber und Scham über die Schwäche meines Willens am liebsten mein gedunsenes Gesicht zerfleischen, diese weißen, weichen, fettgepolsterten Hände zermalmen, die die Speisen zum Munde zu führen gezwungen sind.

Ich habe nicht gewußt, daß auch dem Essen ein Kater folgen kann. So muß es den Gänsen zumute sein, die gemästet werden, um große Lebern zu geben.

Gemästet! Es ist, als sollte ich gemästet werden.

Aber zu welchem Zweck?

*

Heute habe ich seit langer Zeit zum erstenmal geschlafen.

Ich wollte gestern abend zu arbeiten beginnen, wie immer, aber mehr als je wirrten sich meine Gedanken durcheinander.

Gestern war der Allerseelentag. Eine ungeheuere Menschenmenge erfüllte von den ersten Morgenstunden bis zur Abenddämmerung den Friedhof. Paris war aufgebrochen, um seine Toten aufzusuchen, das Leben kam zu den Gräbern der Geschiedenen. Überall Kränze und Blumen und Kerzen, das Summen der vielen Menschen lag wie eine murmelnde Wolke über den Gräbern.

Fast den ganzen Tag standen Gruppen von Menschen vor meinem Marmorhaus. Die ersten Besucher waren zwei schwarzgekleidete Frauen, die ein kleines Mädchen zwischen sich führten. Vielleicht Gattin und Mutter und Kind eines Verstorbenen. Das Kind sah mich mit großen Augen angstvoll an: »Mama,« sagt es, »ist das der Mann, der ein Jahr drinnen bleiben muß?«

Die Frauen zogen die Kleine fort, sie empfanden es als zudringlich, mich anzustarren. Nach fünfzehn Schritten hatte das kleine Mädchen mich und seine ganze Friedhofsschau vergessen, hing sich an die Arme der Frauen, zog die Beine ein und ließ sich als schwebendes Englein ein Stückchen tragen.

Nicht alle Besucher waren so zartfühlend wie diese Frauen; einige machten den Versuch, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Der Himmel wechselte zwischen Sonnenschein und Regengewölk, ich habe von dem Tage nur einen allgemeinen Eindruck von Menschengruppen, bald im Licht, bald im Schatten. Endlich kehrte ich dem Eingang des Grabmales den Rücken zu.

Gegen Abend wurde es still.

Iwan brachte mir das Abendessen. Während ich dasaß und die Speisen hinunterschlang, trat noch jemand in den Türspalt. »Mein Herr,« sagte er, »entschuldigen Sie!« Es war ein junger Mensch mit einem frischen Gesicht, dem Anschein nach ein Handwerker, Verkäufer oder etwas dergleichen.

»Mein Herr,« wiederholte er, »bleiben Sie nicht länger hier … ich rate es Ihnen, lassen Sie das Geld … sie hat mich zweimal in den Hals gebissen …«

Da springt Iwan mit einem Satz vor, wie ein wildes Tier. So habe ich ihn nie gesehen, die struppigen Schnurrbarthaare scheinen sich zu sträuben. Er hebt die Faust gegen den jungen Menschen und dieser duckt den Kopf zwischen die Schultern, murmelt etwas und zieht sich scheu in die Dämmerung des wieder schweigsam gewordenen Friedhofes zurück.

»Wer war das?« frage ich.

Iwan grinst: »Ich weiß es nicht«, sagt er mit seiner mühsam schnarrenden Stimme.

Aber ich weiß es – es ist der Bäckerlehrling … der Bäckerlehrling der Madame Wassilska … den sie in den Hals gebissen hat …

Nach diesem Tage habe ich, müde von der andauernden Anspannung des Willens, den ich den Gaffern entgegensetzen mußte, geschlafen wie ein Toter.

Mein Erwachen war, als schwebe ich in ein Gefühl des Unbehagens hinein … Ich verspüre ein Brennen an meinem rechten Unterarm und an meinem Hals. Mein Blick fällt auf eine kleine eingetrocknete Blutkruste oberhalb des Handgelenkes. Sie sitzt an den Rändern einer kleinen Wunde, die aus einer Reihe gegenüberstehender Verletzungen besteht … als sei ich dort gebissen worden. Gebissen … ich finde kein anderes Wort für diese Art von Wunde. Und ringsum ist die Haut auf etwa Handtellergröße weißlich gefärbt und schlaff, eine blutleere Stelle, als sei dort die Nacht über ein Pflaster mit irgendeiner ziehenden Salbe aufgelegt gewesen.

Ich greife nach dem Hals und finde dort eine ähnliche Wunde.

Ich will nicht nachdenken, wer mir diese Verletzungen zugefügt haben könnte. Sollte der Sergeant Bertrand doch Nachahmer bekommen haben? Sollte es Menschen geben, die ein bestialisches Gelüste nicht unterdrücken können, die nachts auf Friedhöfen umherstreichen und Leichen zerfleischen, und die es auch nicht verschmähen, Schlafende anzufallen?

Die Nächte werden sehr kühl. Ich will von nun an immer die Tür meiner Behausung fest verschließen. Dann muß auch bald ein Ofen aufgestellt werden, wenn ich nicht in diesem Marmorgefängnis krank werden soll.

Ich frage Iwan, welche Vorkehrungen er für den Winter treffen will. Er schaut mich an, als ob er mich nicht verstünde. Irgendeine dunkle Stimme hat mir gesagt, ich möge meine Wunden vor diesem Menschen verbergen. So habe ich einen hohen Kragen genommen und die Manschette am rechten Ärmel weit über das Handgelenk vorgezogen. Aber nun werden mir die Blicke des Russen peinlich, es ist, als untersuchten sie meinen Körper, ich fühle mich wie einer, der ein geheimes Gebrechen an sich hat.

»Ich brauche einen Ofen!« sage ich wütend, »einen Ofen … verstehen Sie.«

Er nickt.

Plötzlich fällt mir etwas ein. »Hören Sie, Iwan,« sage ich … »warum haben Sie eigentlich nicht selbst … es waren doch zweimalhunderttausend Franken zu verdienen. Das ist doch ein Vermögen. Und es war doch jedem freigestellt … warum haben Sie sich eigentlich nicht selbst gemeldet?«

Da sehe ich zum erstenmal, daß dieser wortkarge, mürrische Mensch, dieser Automat, von einer inneren Macht ergriffen wird. Sein Gesicht verzerrt sich zu einer Grimasse des Entsetzens, seine verkrüppelten Hände mit den verbogenen Fingern strecken sich weit vor, und wie ein erschreckter Papagei kreischt er, schnarrt er: »Nein … nein!«

Ich weiß nicht, warum ich bei diesem Nein gleichfalls von Entsetzen gepackt werde, warum ich plötzlich zittere, warum mich eine solche Angst befällt, als sei ein siedendheißer und zugleich eiskalter Strom in mich ergossen.

Ich greife nach dem Weinglas, um diese Aufregung zu bemeistern.

Die Manschette verschiebt sich, zieht sich zurück. Der Blick Iwans fällt auf die Wunde oberhalb des Handgelenkes.

Das Entsetzen weicht von seinem Gesicht, macht einem Grinsen Platz, das zwischen den eitrigen Pusteln stockt und zerrinnt …

*

Margot war da.

Sie stand zwischen den Marmorwänden des Einganges, der große Hut mit den gelben Rosen war von einem kahlen Baumwipfel überragt. Ihre Augen waren voll Tränen, die über ihre blassen, abgehärmten Wangen glitten. Sie stand da, wie eine Abgesandte des Lebens, die Versuchung in eigener Person, als habe sie Paris geschickt, die Stadt, die ich da unten summen höre. Fast eine Stunde lang dauerte dieser Kampf der Liebe.

»Ernest«, sagte sie, »ich bitte dich … komm von hier fort. Liebst du mich denn nicht mehr? Ich habe dir deinen Willen gelassen … ich wollte nicht, daß du glauben solltest, ich besäße nicht die Kraft, die du hast. Aber nun kann ich es nicht mehr länger zugeben, daß du hier bleibst … wenn ich dich nicht von hier mit mir nehmen darf … o Ernest, wie siehst du aus? Welcher Unsinn, deine Gesundheit und dein Leben aufzuopfern, um des Geldes willen. Waren wir nicht glücklich, wir beiden, da wir nicht wußten, wie wir die nächste Miete bezahlen sollten? Denk an die Abende auf meinem Zimmer, an die Spaziergänge in Fontainebleau, an die große Zeche, die wir machten, und zu der uns gerade fünf Sou fehlten … wenn du mich liebst, so komm von hier fort.«

Ich stand, drei Schritte entfernt, hielt mich mit beiden Händen an den Rand des Tisches. Tausend Worte der Liebe lagen mir auf den Lippen, tausend Versicherungen meiner Sehnsucht und Zärtlichkeit drängten mir aus dem Herzen. Aber ich durfte nicht sprechen, wenn ich meinen Preis ehrlich gewinnen wollte. Ich konnte nur meine Augen sprechen lassen. Aber wie konnten meine Blicke das alles sagen, was zu sagen nötig gewesen wäre, warum ich nicht von hier fort konnte, daß ich nicht all das umsonst auf mich genommen haben wollte, daß ich nun erst recht entschlossen war, das Geld zu gewinnen; daß ich schon deshalb nicht fort konnte, weil ich ein Gefangener meines Leibes war; und vor allem deshalb nicht, weil ich mir vorgenommen hatte, hinter das Geheimnis dieses Grabmales zu kommen, zu erfahren, was das sei – der Atem der Katechana.

Es war sehr schwer. Margot weinte. »Oh … du weißt ja nicht, was die Zeitungen über dich schreiben … was deine Freunde sagen … du hast einen Bericht über deine Beobachtungen an die Akademie geschickt …«

Man sprach und schrieb also darüber, daß ich einen vorläufigen Bericht über die geheimnisvollen Strahlen aus meinem Gefängnis hatte ausgehen lassen. Nun – sie mochten sagen, was sie wollten – meinetwegen, daß ich verrückt geworden sei …

»Willst du, daß es Wahrheit wird, was die Leute sagen … oh, wie ich dich liebe, Ernest, wie ich dich liebe …«

Ich konnte es nicht länger ertragen. Ich fühlte, daß ich schwach wurde, und winkte ihr mit beiden Händen, sich zu entfernen … ich wandte ihr den Rücken zu, stand so lange, bis ihr Schatten von dem Marmorboden wich, bis ihr Schluchzen zwischen den Gräbern verhallte. –

Aber sie ist in der Nacht wiedergekommen, die Treue, die Gute, die beste Geliebte, die je ein Mann gehabt hat. Sie hat den Schrecken des Friedhofes, vor denen sie sonst zitterte wie ein Kind, getrotzt.

Wer sonst sollte es gewesen sein, als Margot?

Ich erwache des Nachts aus dem dumpfen Schlaf, in den ich nun immer verfalle. Und ich fühle, daß ich nicht allein bin. Jemand ist bei mir, hat sich über mich geworfen und küßt mich so schmerzhaft, daß es ist wie Bisse. In dem grünlichen Schimmer sehe ich eine Frau, ich fühle sie … ich erwidere die Küsse, ohne ein Wort zu sprechen … ich darf nicht sprechen, aber küssen darf ich. Und Margot preßt mich mit einer wütenden Kraft an sich, mit aller Kraft der Sehnsucht und Verzweiflung.

Margot – wer sonst sollte es gewesen sein, als Margot?

Mein ganzer Körper ist mit Wunden bedeckt … mit Bißwunden, den Spuren der wilden Küsse.

Ich wanke kraftlos herum, mein Fleisch ist wie blutleer … die Muskeln liegen schlaff und schwammig unter der welken Haut.

Und die Wunden heilen nicht zu … es werden abscheuliche Narben daraus, eitrige Pusteln … genau so wie die Pusteln Iwans.

Und Margot kommt jede Nacht … jede Nacht.

*

Iwan hat gesprochen.

Ich weiß, was das ist, die Katechana … ich habe es ihm entrissen.

Ich sah es seinen Augen an, daß er es wußte, an diesen tückischen Blicken, mit denen er meine Wunden betrachtete, sie abzuschätzen und zu zählen schien; ich habe diesen prüfenden Kennerblick bei Preisrichtern in einem Boxkampf gesehen, als die beiden blutenden, zerschundenen Gegner nicht abließen, aufeinander loszuschlagen …

Und auf einmal war es mir ganz klar, daß Iwan wußte, was das sei, die Katechana.

Ich sehe ihn noch, wie er vor mir zurückweicht, da ich auf ihn zuschleiche, um ihn beim Halse zu packen. Er drückt sich in eine Ecke, und ich stehe vor ihm …

»Wer ist das, die Katechana?« frage ich.

Und da sehe ich, wie seine Angst sich in Trotz wandelt, in jene höhnische Frechheit, die ich mir schon zu lange gefallen ließ.

Er blinzelt mich tückisch an, aber ich weiß, daß er jetzt die Wahrheit sprechen wird. »Sie nennt sich so«, schnarrt er.

»Wer?«

»Sie hat es auf Kreta gelernt. Sie lebte ein halbes Jahr an den Abhängen der Leuka Vrune, und ich mußte ihr Schafe bringen, die sie zerriß.«

»Was bedeutet das … Katechana?«

»Es bedeutet dasselbe … was in Albanien Wurwolak heißt und in Bulgarien Lipir, was die Tschechen Mura nennen, die Griechen auf den Ruinen von Sparta Bourkolak und die Portugiesen Bruxa … sie war bei allen diesen Völkern …«

»Das sind Namen … Elender … was es bedeutet, will ich wissen …«

»Es bedeutet eine, die nie genug haben kann an Blut und dem Opfer der Mannheit, die über den Tod hinaus …«

Ich lasse ab von ihm, ich weiß genug.

Ich werde hier in einem marmornen Gefängnis gemästet … ich werde gemästet … mein schwammiger, aufgetriebener Leib ist nur ein Behälter für recht viel Blut, die Gefäßwände müssen sich ausdehnen, um recht viel des Saftes aufnehmen zu können – für einen Vampir, der jede Nacht kommt, um sich satt zu trinken.

Und meine Mannheit ist durch diese verbrecherisch gewürzten Speisen aufgestachelt, durch geheime Mittel aufgereizt …

Sie trinkt meine Kraft fort, sie saugt mein Leben ein, und je mehr ich davon hergebe, desto voller und stärker wird der Balg des Vampirs. Die Gestalt, die mir anfangs leicht und luftig erschien, wie eine Wolke, ist in den letzten Nächten körperhaft schwer geworden, lastet auf mir …

Ihr Atem durchdringt den Stein und umhüllt mich mit einem grünlichen Schimmer. Er zersetzt den Marmor … oder aber, es könnte sein, daß die Veränderung des Marmors nur scheinbar ist, daß nur ich es so fühle, weil mein ganzer Körper von ihrem Atem getränkt ist, weil meine Muskeln und meine Nerven, meine Sinne und mein Gehirn vollgesogen sind mit diesem leuchtenden Gift der Verwesung …

*

Nun bin ich wieder vollkommen ruhig, da ich alles weiß.

Jetzt erst fühle ich, daß ich in der letzten Zeit meiner selbst nicht ganz mächtig war, daß ich in einem Zustand beklommener Betäubung dahinwankte.

Aber nun habe ich wieder meinen Mut.

Ich bin entschlossen, mich nicht zu ergeben, jetzt da ich weiß, gegen welchen Feind ich gerüstet sein muß. Ich bin entschlossen, meine zweimalhunderttausend Franken zu gewinnen, gegen die Katechana und alle Schrecken des Grabes …

Da sie körperlich zu werden vermag, muß sie den Gesetzen der Körper unterworfen sein. Da sie Leben zu gewinnen vermag, muß sie noch ein zweitesmal sterben können …

Und damit zerreiße ich alles, was mich einspinnt. Ja – einspinnt, im ganz tatsächlichen Sinn des Wortes. Denn ich bin dahintergekommen, daß sie ein Netz um mich gewoben hat. Nicht genug an dem, daß ich selbst hier bleiben will, um meine zweimalhunderttausend Franken nicht zu verlieren, daß das Marmorhaus mir zum Gefängnis geworden ist, weil ich nicht mehr hinaus kann – sie hat mich zur Sicherheit noch in ein Netz gesponnen.

Meine Beine sind am Gehen gehindert, bei jedem Schritt stoße ich an elastische, klingende Fäden, die nur langsam nachgeben. Jede Bewegung meiner Hände ist erschwert, dadurch, daß ich erst diese Fäden heben und beiseite schieben muß … und sie weichen nur einem starken Druck … über mein Gesicht huscht es unaufhörlich dahin, wie das Gewebe eines Spinnennetzes, wie wenn man im Sommer auf einsamen Waldwegen geht. Nur daß es Fäden eines unsichtbaren Metalles sind. Ich höre sie klingen, ich habe immer das feine Läuten im Ohr, mit dem sie schließlich zerspringen.

Oh, ich werde dieses Netz zerreißen … ehe es zu fest wird …

Heute Nacht!

*

Es ist geschehen.

Ich bin befreit.

Die Katechana wird mich nicht mehr quälen. Ich habe ihr meine zweimalhunderttausend Franken entrissen. Ich bin Sieger.

Heute nacht habe ich gelauert, so wach, wie nie in meinem Leben.

Das Summen der Stadt dort unten wird leiser. Ich habe die Türe offengelassen, trotz der Herbstkälte, um dieses Summen zu hören, das mir vom Leben erzählt, vom Leben, in das ich mich mit meinen zweimalhunderttausend Franken stürzen will.

Aus den Nachtwolken ist der Widerschein der vielen Lichter. Ab und zu wird dieser Schein heller, in regelmäßigen Zwischenräumen, durch das Aufblitzen einer Lichtreklame, die eine Badewanne verspricht, eine Theatervorstellung, eine Vergnügungsreise …

Ich warte geduldig.

Gegen Mitternacht wird der grüne Schimmer in meinem Gefängnis stärker. Ich schaue gespannt auf die Bronzeplatte mit dem Namen Anna Feodorowna Wassilska … ich atme aber ruhig, als ob ich schliefe …

Und nun ist es, als löse sich die Bronzeplatte langsam in dem grünen Schimmer auf, als werde sie dünner, als woge ein leichter roter Dampf im grünen Leuchten hin und her. Nun wolkt das Letzte davon, verdampft, verschwindet … eine viereckige schwarze Öffnung klafft im Marmor.

Und daraus dringt nun wieder ein Hauch hervor, ein Dunst, wie Atem an kalten Wintertagen, ballt sich zusammen, wird dichter, nimmt Formen an.

Und auf einmal steht jemand an meinem Lager … ich sehe die Augen der Madame Wassilska, die derbe Nase, den vollen Mund, dessen blutrote Lippen langsam von den starken, weißen, spitzen Zähnen zurückweichen … jeder Zug, den ich von dem Bilde kenne, das man mir gezeigt hat.

Sie beugt sich über mich, küßt mich …

Ich schlage meine Hände in ihren Hals, ich fühle meine Nägel in ihr Fleisch dringen – es ist Fleisch, das ich fühle … sie röchelt, schlägt um sich, stemmt ihre Arme gegen meine Brust … aber ich halte sie und lasse nicht nach.

Ich falle von meinem Lager, wir wälzen uns auf dem Boden … ich immer mit den Händen in ihrem Hals, ich spüre das Zucken in ihrem Körper, oh, eines aus meinem Blut gebildeten Körpers, der ist, wie der eines lebenden Menschen …

Wie ein Hund hänge ich an ihr, meine Zähne packen ihre Gurgel …

Ihr Wehren wird schwächer … hört auf … sie leistet keinen Widerstand mehr … aber ich will sicher sein, daß ich wirklich gesiegt habe. Blut füllt meinen Mund, ah … es ist ja nur mein eigenes Blut, das ich zurücktrinke.

Nun liegt sie lange schon still.

Ich erhebe mich … ein süßer Geschmack erfüllt meinen Mund, die Lippen kleben leicht aneinander, meine Hände sind von Blut überronnen – meinem eigenen zurückgewonnenen Blut.

Sie liegt langhingestreckt am Boden – die Katechana; und mein Marmorhaus ist dunkel. Der Atem der Katechana ist erloschen. Ich sitze die ganze Nacht, ohne Licht zu machen. In mir selber ist es hell. Ich bin befreit.

Grau und trübselig dämmert der späte Herbstmorgen.

Die Katechana liegt am Boden, langhingestreckt, mit durchbissener Kehle. Sie ist ein zweites Mal tot, diese Madame Wassilska. Ich sehe ihr ins Gesicht.

Oh – sie hat mir noch einen letzten Schrecken antun wollen, da sie vor mir weichen mußte. Sie hat die Gestalt Margots angenommen.

Sie wollte mich glauben machen, ich hätte Margot getötet … Ich stoße den Balg mit dem Fuß von mir. Iwan wird sich wundern.

Der Tag bricht an.

Ich bin befreit …


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