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Dieselbe Dekoration wie vorher.
Aber die Glastüren zum Garten stehen offen. Die Sonne scheint außen und das Atelier ist hell erleuchtet. Die Seitentüren zu den Nebenräumen sind geöffnet. Im Garten erblickt man ein Büfett mit Gläsern und Flaschen. Axel erscheint in schwarzem Rock, ohne Orden, mit hochstehendem Kragen und langer Krawatte, das Haar emporgestrichen. Berta, in dunkler Kleidung, viereckig ausgeschnitten, mit Fichu und Halskrause. Sie hat eine Blume auf der linken Schulter. Karl Stark, in Zivil mit Orden. Die beiden Fräulein Hall, extravagant und kostbar gekleidet.
Berta kommt vom Garten herein, bleich und mit blauen Rändern um die Augen. Abel kommt durch die Tür im Hintergrunde herein.
Abel und Berta (umarmen und küssen sich).
Berta. Guten Tag! Willkommen! Du kommst aber spät!
Abel. Guten Tag!
Berta. Auch Gaga versprach zu kommen!
Abel. Ganz bestimmt. Er war voll Reue und bat um Vergebung.
Berta (zupft an der Halskrause).
Abel. Was fehlt dir denn heute? Dir ist etwas.
Berta. Wieso? Was?
Abel. Du siehst dir nicht gleich! Du hast – Berta! Du hast –
Berta. Ach, schwatze nicht!
Abel. Du hast Farbe, du hast Glanz im Auge! Was? Solltest du? Und so bleich? Berta!
Berta. Ich muß zu meinen Gästen hinaus.
Abel. Sage, ist Karl hier und Östermark?
Berta. Alle beide, draußen im Garten.
Abel. Und die Fräulein Hall und die Frau?
Berta. Frau Hall kommt später, aber die Mädchen sind hier, in meinem Zimmer.
Abel. Das wird wohl auch ein schönes Gesicht werden.
Berta. Nein, das hier nicht!
Willmer (kommt mit einem Blumenstrauß, geht auf Berta zu, küßt ihre Hand und überreicht ihr den Strauß).
Die Vorigen. Willmer.
Willmer. Vergib! Um meiner Seele willen!
Berta. Nein, nicht darum, aber – es ist gleich! Ich weiß nicht – aber heute will ich keine Feinde haben!
Axel (kommt).
Die Vorigen. Axel.
Berta und Willmer (stehen verlegen da).
Axel (zu Berta, ohne Willmer zu beachten). Vergib, wenn ich störe!
Berta. Durchaus nicht!
Axel. Ich wollte nur fragen, ob du die Soupers bestellt hast?
Berta. Ja gewiß. Nach deinem Wunsch!
Axel. Ich wollte es nur wissen!
Abel. Wie feierlich sie aussehen!
Willmer (geht hinaus in den Garten).
Abel (eilt ihm nach). Höre! Gaga!
Berta. Axel.
Axel. Was hast du zum Souper bestellt?
Berta (sieht ihn an und lacht). Hummer und junge Hühner.
Axel (unsicher). Worüber lachst du?
Berta. Über deine Gedanken.
Berta. Du denkst an – ach nein, ich weiß es natürlicherweise nicht – sofern es nicht an das erste Souper ist, das wir als Verlobte im Stockholmer Tiergarten hatten, an jenem Frühlingsabend, da du um mich gefreit hattest –
Axel. Du hattest gefreit –
Berta. Axel! – Und nun ist es das letzte, das letztemal. Das war ein kurzer Sommer!
Axel. Sehr kurz; aber die Sonne kommt wohl wieder.
Berta. Ja, für dich, der den Sonnenschein auf jeder Straße findet.
Axel. Was hindert dich, dich am selben Feuer zu wärmen?
Berta. Dann träfen wir uns vielleicht, meinst du, eines Abends wieder beim Laternenschein?
Axel. Das meinte ich nicht – aber á la bonne heure! Es wird dann zum mindesten ein freies Verhältnis.
Berta. Ja, sehr frei, besonders für dich.
Axel. Für dich auch. Aber behaglicher für mich.
Berta. Das ist ein nobler Gedanke.
Axel. Rühren wir das Alte nicht auf! Wir sprachen von dem Souper! Und wir dürfen unsre Gäste nicht vergessen! So! (Er geht in sein Zimmer.)
Berta. Vom Souper! Ja natürlich! Davon sprachen wir!
(Sie geht bewegt in ihr Zimmer.)
Amelie und Therese Hall (treten ein).
Amelie und Therese Hall kommen aus dem Garten. Dann Doktor Östermark.
Amelie. Was das hier langweilig ist!
Therese. Unerträglich finde ich es. Und die Gastgeber sind auch nicht gerade höflich.
Amelie. Die Frau ist mir besonders unsympathisch. So eine mit Polkahaar!
Therese. Ja, aber es soll ein Leutnant kommen –
Amelie. Na, das ist nett, denn die Künstler hier sind solche Freihändler. Still, das ist sicher ein Diplomat – er sieht so distinguiert aus.
Beide (setzen sich auf das Sofa).
Doktor (kommt vom Garten herein und betrachtet sie durch sein Pincenez). Ich habe die Ehre, meine Damen. Hm! Man trifft so viele Landsmänninnen hier. Sind die Damen auch Künstlerinnen? Malerinnen wahrscheinlich.
Amelie. Nein, wir malen nicht!
Doktor. Ach, ein klein wenig doch! Hier in Paris pflegen alle Damen – sich zu malen.
Therese. Das brauchen wir nicht!
Doktor. So spielen die Damen wohl?
Amelie. Spielen?
Doktor. Ja, ich meine nicht Karten! Aber ein wenig spielen tun ja alle Damen.
Amelie. Sie sind gewiß erst kürzlich vom Lande hergekommen, mein Herr.
Doktor. Ganz kürzlich, mein Fräulein. Kann ich Ihnen einen Dienst leisten?
Therese. Verzeihen Sie, wir wissen nicht, mit wem wir die Ehre haben?
Doktor. Die Damen sind gewiß erst vor kurzem von Stockholm hergekommen. Hierzulande darf man miteinander reden, ohne Bürgschaft.
Amelie. Wir haben noch keine verlangt.
Doktor. Was wünschen Sie denn, um Ihre Neugier zufrieden zu stellen. Na, ich bin ein alter Hausarzt und heiße Andersson. Vielleicht kann ich nun auch die Namen der Damen erfahren – den Charakter brauche ich nicht.
Therese. Wir heißen Hall, wenn es den Herrn Doktor interessieren sollte.
Doktor. Hall? Hm! Den Namen habe ich bestimmt schon früher gehört. Verzeihen Sie, verzeihen Sie eine Frage! Eine etwas ländliche Frage.
Amelie. Genieren Sie sich nicht!
Doktor. Lebt Ihr Herr Vater noch?
Amelie. Nein, er ist tot!
Doktor. So! Ja, bin ich so weit gegangen, muß ich auch noch weiter gehen. Herr Hall –
Therese. Unser Vater war Direktor einer Feuerversicherungsgesellschaft in Göteborg.
Doktor. So! Da bitte ich um Entschuldigung. – Gefällt es Ihnen in Paris?
Amelie. Sehr! – Therese, hast du nicht gesehen, wo ich meinen Schal hingelegt habe? Hier zieht es so sehr. (Sie erhebt sich.)
Therese. Wahrscheinlich vergaßest du ihn im Gartenpavillon. (Sie erhebt sich.)
Doktor (steht auf). Nein, gehen Sie nicht hinaus. Gestatten Sie mir ihn zu holen. Nein, bleiben Sie nur sitzen. (Er geht in den Garten.)
Frau Hall (kommt von links, ziemlich angetrunken, mit flammend roten Augen und lallender Sprache).
Amelie. Therese. Frau Hall.
Amelie. Sieh, da ist Mama! Und wieder in solchem Zustand! Gott, was will sie hier! – Was tust du hier, Mama?
Frau Hall. Seid still! Ich kann ebensogut hier sein wie ihr!
Therese. Warum hast du nun wieder getrunken? Denke, wenn jemand kommt!
Frau Hall. Ich habe nicht getrunken! Was redest du für Zeug!
Amelie. Was sollen wir nur tun, wenn der Doktor zurückkommt und dich so sieht. Komm hier hinein, da kannst du ein Glas Wasser bekommen.
Frau Hall. Das ist ja recht hübsch, seine Mutter so zu behandeln und zu behaupten, sie habe getrunken; so etwas von seiner eignen Mutter zu sagen.
Therese. Rede nicht, sondern geh sofort dort hinein. (Sie führt sie nach rechts ab.)
Frau Hall (widerstrebend). Seine Mutter so zu behandeln. Habt ihr denn gar keine Achtung vor eurer Mutter?
Amelie. Nicht sonderlich viel. Beeile dich nur!
Alle drei (gehen nach rechts ab).
Axel und Karl (kommen aus dem Garten).
Axel. Karl Stark.
Karl. Na, du siehst aber wohl aus, mein lieber Axel, und hast ein männlicheres Aussehen als früher.
Axel. Ja, ich habe mich emanzipiert!
Karl. Du hättest es machen sollen wie ich.
Axel. Wie du?
Karl. Wie ich. Ich nahm sofort meine Stellung als Chef und Oberhaupt der Familie ein, für welchen Platz ich mich auf Grund meines überlegenen Verstandes und meiner natürlichen Anlagen berufen fühlte.
Axel. Was meinte denn deine Frau dazu?
Karl. Weißt du, das vergaß ich sie zu fragen! Aber nach ihrem Aussehen zu urteilen, fand sie das ganz in seiner Ordnung. Wenn nur richtige Kerle da sind, so sind auch die Frauenzimmer danach!
Axel. Aber die Macht soll doch wohl wenigstens geteilt werden.
Karl. Macht kann nicht geteilt werden! Gehorchen oder befehlen! Du oder ich. Ich zog das Ich dem Du vor, und sie mußte sich darein fügen.
Axel. Ja, ja! – Aber sie hatte doch Geld!
Karl. Keinen Heller! Sie besaß nicht mehr als einen silbernen Löffel. Aber sie wünschte Ehepakt darüber, und den bekam sie. Sie hat Grundsätze, weißt du! – Und dann ist sie gut, so gut, siehst du, und darum bin ich auch gut gegen sie. Ich finde es sehr nett, verheiratet zu sein, warum auch nicht? Und außerdem kocht sie ausgezeichnet.
Amelie und Therese (kommen von rechts).
Die Vorigen. Amelie. Therese.
Axel. Darf ich mir erlauben vorzustellen? Leutnant Stark, Fräulein Amelie und Fräulein Therese Hall.
Karl. Sehr angenehm, die Bekanntschaft der Damen zu machen.
Amelie und Therese (verneigen sich verlegen und gehen in den Garten).
Karl. Wie kommen die beiden Damen hierher?
Axel. Wieso? Es sind Freundinnen meiner Frau und sind zum erstenmal hier. Kennst du sie?
Karl. Ja, etwas!
Axel. Was soll das heißen?
Karl. Hm! Ich traf sie eine Nacht in Petersburg.
Axel. Eine Nacht!
Karl. Ja!
Axel. Ist das nicht ein Irrtum?
Karl. O nein! Kein Irrtum. Sie waren in Petersburg sehr bekannt.
Axel. Und Berta führt sie in mein Haus ein!
Berta (tritt erregt ein).
Die Vorigen. Berta.
Berta. Was bedeutet das! Habt ihr die Mädchen beleidigt?
Axel. Nein – aber –
Berta. Sie kommen von hier weinend heraus und erklären, daß sie in Gesellschaft dieser Herren nicht bleiben können! Was ist geschehen?
Axel. Kennst du diese Damen?
Berta. Sie sind meine Freundinnen. Genügt das? Oder nicht?
Axel. Nicht ganz!
Berta. Nicht ganz? Nun aber, wenn –
Doktor (kommt vom Garten herein).
Die Vorigen. Doktor Östermark.
Doktor. Was soll das heißen? Was habt ihr den kleinen Mädchen getan, daß sie davonliefen! Ich wollte ihnen helfen die Mäntel ausziehen, aber sie lehnten es ab und hatten Tränen in den Augen.
Karl. Ich möchte fragen: sind das Bertas Freundinnen?
Berta. Ja, das sind sie! Aber wenn mein Schutz nicht hinreichen sollte, dann wird Doktor Östermark sie vielleicht unter den seinigen nehmen, da er eine gewisse Verpflichtung dazu hat.
Karl. Hier liegt ein Irrtum vor. Du meinst, daß ich, der mit diesen Damen in Verbindung gestanden, als ihr Ritter auftreten sollte.
Berta. Was für eine Verbindung?
Karl. Eine zufällige, wie man sie mit solchen Damen hat!
Berta. Solche Damen! Du lügst!
Karl. Ich pflege nicht zu lügen!
Doktor. Aber ich verstehe nicht, was habe ich denn mit diesen Damen zu schaffen?
Berta. Du möchtest natürlich am liebsten von deinen verlassenen Töchtern nichts wissen!
Doktor. Meine Töchter? Ich verstehe nichts von dem allen.
Berta. Das waren deine zwei Töchter von deiner geschiedenen Frau.
Doktor. Da du ein Recht zu haben glaubst, anzüglich zu sein und meine Familienverhältnisse der Öffentlichkeit zu unterbreiten, werde ich dir auch öffentlich antworten. Du meinst herausbekommen zu haben, daß ich nicht Witwer bin, sondern geschieden. Gut! Vor zwanzig Jahren wurde meine Ehe, die kinderlos war, aufgelöst. Dann bin ich eine neue Verbindung eingegangen und habe aus derselben ein Kind, das kürzlich fünf Jahre alt geworden ist. Diese zwei erwachsenen Mädchen sind also nicht meine Kinder. Nun weißt du, wie die Sache sich verhält!
Berta. Aber deine Frau stießest du in die Welt hinaus –
Doktor. Nein, so war es auch nicht. Sie ging ihren Weg oder taumelte, wenn du willst, und dann erhielt sie die Hälfte meiner Einkünfte, bis ich erfuhr, daß sie – doch genug davon. Hättest du eine Ahnung, welche Arbeit und Entbehrungen es mich gekostet hat, für zwei Haushaltungen zu sorgen, würdest du mir diesen unbehaglichen Augenblick erspart haben, aber davon kannst du dir ja natürlich keine Vorstellung machen. Mehr brauchst du nicht zu wissen, um so mehr, als diese ganze Sache dich gar nichts angeht!
Berta. Es würde mich interessieren, zu wissen, warum deine erste Frau dich verließ!
Doktor. Ich glaube nicht, daß es dich interessieren würde, zu hören, daß sie boshaft, kleinlich und gemein war, und ich viel zu gut gegen sie gewesen bin! Und nun, du weichherzige, feinfühlige Berta, bedenke, wenn das wirklich meine Töchter gewesen wären, diese deine und Karls gemeinsame Freundinnen, bedenke, wie mein altes Herz sich gefreut haben würde, nach achtzehn Jahren diese Kinder wiederzusehen, die ich während der langen Krankheitnächte auf meinen Armen getragen. Und denke, wenn sie, meine erste Liebe, meine Gattin, mit der das Leben zum erstenmal ein Leben für mich wurde, deine Einladung angenommen hätte und gekommen wäre. Welcher dankbare fünfte Akt in dem Melodram, das du uns bieten wolltest, welch noble Rache an einem Unschuldigen. Dank, alte Freundin, vielen Dank für diese Rückzahlung der Freundschaft, die ich dir erwiesen.
Berta. Rückzahlung! Ja, ich weiß, daß ich dir – Honorar schuldig bin –
Axel, Karl und Doktor. O! O!
Berta. Ich weiß es! Ich weiß es sehr wohl!
Axel, Karl und Doktor. Nein, pfui! pfui!
Doktor. So, nun gehe ich! Quelle horreur! Ja, du bist mir eine von der richtigen Sorte! Entschuldige, Axel, aber ich kann nichts dafür!
Berta. Das ist ein rechter Mann, der seine Frau beschimpfen läßt!
Axel. Ich greife nicht in deine Rechte ein, weder zu schimpfen, noch beschimpft zu werden!
(Musik im Garten, Gitarre und italienischer Gesang.)
Axel. Die Sänger sind gekommen, vielleicht behagt es den Herrschaften hinauszutreten, um ein wenig Harmonie nach diesem Tage zu genießen.
Axel, Karl und Berta (gehen hinaus in den Garten).
Doktor allein. Dann Frau Hall.
(Die Musik vom Garten klingt gedämpft herein.)
Doktor (geht und betrachtet die Zeichnungen an der rechten Wand, neben der Türe zu Axels Zimmer).
Frau Hall. (tritt heraus und kommt mit unsicheren Schritten weiter vor, bleibt stehen und setzt sich auf einen Stuhl).
Doktor (der sie nicht wieder erkennt, verneigt sich).
Frau Hall. Was ist das für Musik draußen?
Doktor. Es sind Italiener, gnädige Frau!
Frau Hall. So; das sind wohl dieselben, die ich in Monte Carlo hörte.
Doktor. O, es gibt wohl noch mehr Italiener!
Frau Hall. Ich glaube, das ist Östermark selbst! – Ja, es gab nicht so bald einen, der so flott im Antworten war wie er.
Doktor (fixiert sie). Ah! – Es gibt Dinge – die – weniger furchtbar sind als die Furcht! Du bist es, Karoline! Und dies ist der Augenblick, den ich nun seit achtzehn Jahren geflohen, erträumt, gesucht, gefürchtet, herbeigesehnt; herbeigesehnt, um den Schlag zu fühlen und dann nichts mehr zu fürchten! (Er zieht eine kleine Flasche vor und befeuchtet die Zunge mit einigen Tropfen.) Fürchte nichts, es ist kein Gift, in solch kleiner Dosis. Es ist nur für das Herz, siehst du!
Frau Hall. Ach, das Herz. Ja! Du hattest so viel Herz.
Doktor. Es ist doch eigen, daß zwei alte Menschen sich nicht nach achtzehn Jahren treffen können, ohne in Streit zu kommen.
Frau Hall. Du warst es immer, der zankte!
Doktor. Ich allein? Wie! – Soll das das Ende sein? – Ich möchte versuchen dich anzusehen. (Er nimmt einen Stuhl und setzt sich ihr mitten gegenüber.) Ohne zu beben!
Frau Hall. Ich bin alt geworden!
Doktor. Man wird es; man hat es gelesen, gehört, gesehen, selbst gefühlt, aber doch ist es schauerlich. Ich bin auch alt!
Frau Hall. Und du bist glücklich mit deinem – neuen Leben?
Doktor. Aufrichtig gesagt: es ist einerlei; anders, aber ziemlich gleich.
Frau Hall. Das alte war vielleicht besser?
Doktor. Nein, es war nicht besser, da es ebenso war, aber es ist die Frage, ob es nicht jetzt besser gewesen wäre, nur just, weil es das alte war. Man blüht nur einmal, und dann setzt man Frucht an; was später kommt, ist nur kleine Nachmahd. Und du? Wie lebst du?
Frau Hall (beleidigt). Wie ich lebe?
Doktor. Verstehe mich recht! Bist du zufrieden mit – deinem Leben, ich meine – ach, daß es so schwierig ist, mit Frauenzimmern zu reden.
Frau Hall. Zufrieden? Hm!
Doktor. Ja, du warst niemals zufrieden! Aber wenn man jung ist, will man alles prima haben, und man bekommt alles tertia, wenn man alt ist. Na! Du hast zu Frau Alberg gesagt, deine Mädchen wären meine Kinder!
Frau Hall. Ich? Das ist eine Unwahrheit!
Doktor. Immer lügen! Früher, als ich unverständig war, machte ich dir deshalb Vorwürfe; aber nun weiß ich, es ist ein Naturfehler. Du glaubst selbst, was du lügst, und das, siehst du, hat eine bedenkliche Seite. Aber das gehört nicht hierher! Gedenkst du zu gehen oder willst du, daß ich gehen soll?
Frau Hall (erhebt sich). Ich werde gehen! (Sie fällt auf den Stuhl nieder und tastet umher.)
Doktor. Was? Betrunken? – Das ist unbehaglich, entsetzlich unbehaglich, o pfui! Ich glaube, ich fange an zu weinen! – Karoline! Nein, das halte ich nicht aus!
Frau Hall. Ich bin krank!
Doktor. Ja, man wird krank, wenn man zuviel trinkt! Aber! Das ist schlimmer, als ich gedacht. Ich habe kleine ungeborene Kinder getötet, um die Mutter zu retten, und ich habe sie im Todeskampf beben gefühlt; ich habe in lebende Muskeln hineingesägt und das Mark wie Butter aus frischen Knochen herausfließen sehen, aber niemals hat mir etwas so weh getan, seit dem Tage, da du mich verließest. Da war es, als wenn du mit einer meiner Lungen davongingst, so daß ich mit der andern nur noch keuchen konnte! – Ach, nun glaube ich, ich ersticke!
Frau Hall. Hilf mir fort von hier! Hier ist es so schrecklich! Und ich weiß nicht, was wir hier zu tun hatten. Gib mir deine Hand!
Doktor (führt sie zur Türe nach dem Hintergrund). Damals war ich es, der um deine Hand bat; und es ruhte schwer auf mir, das feine Händchen. Es schlug mich einmal ins Gesicht, das feine, weiße Händchen; und ich küßte es doch. – O! Nun ist es welk und schlägt nicht mehr. – Ah, dolce Napoli! Lebensfreude, wo kamst du hin? Sie nahm denselben Weg wie du! Du, die Braut meiner Jugend!
Frau Hall (im Flur). Wo ist mein Mantel?
Doktor (schließt die Tür). Im Flur vermutlich. – Es ist schaurig! (Er zündet eine Zigarre an.) O, dolce Napoli! Ich möchte wohl wissen, ob es in dem kohlenverrauchten Fischerhafen so süß ist? Lüge, vermutlich! Lüge! Lüge! Bräute! Liebe, Neapel, Lebensfreude, antik, modern, liberal, konservativ, idealistisch, realistisch, naturalistisch, Lüge! Lüge! Auf der ganzen Linie!
Axel, Abel, Willmer, Karl und Frau Stark (treten auf).
Doktor. Axel. Abel. Willmer. Karl und Frau Stark.
Frau Stark. Welche Linie, Herr Doktor?
Doktor. Vergebung, es war nur ein kleines Quidproquo. Hier hatten sich zwei Fremde eingeschlichen, die wir identifizieren mußten.
Frau Stark. Die jungen Mädchen?
Karl. Ja, das hat nun nichts damit zu schaffen. Aber ich weiß nicht, ich wittere hier gleichsam den »Feind in der Luft!«
Frau Stark. Ach, du siehst immer Feinde, lieber Karl.
Karl. Nein, ich sehe sie nicht, aber ich fühle sie.
Frau Stark. Dann komm zu deinem Weibchen, es wird dich verteidigen.
Karl. Ach, du bist immer so gut gegen mich.
Frau Stark. Warum sollte ich nicht, wenn du es so gut mit mir meinst!
(Die Türe im Hintergrunde wird geöffnet.)
Zwei Männer (tragen ein Bild herein).
Das Mädchen und Berta (kommen).
Die Vorigen. Berta. Das Mädchen. Zwei Männer.
Axel. Was ist das?
Das Mädchen. Der Portier sagte, es sollte ins Atelier hineingetragen werden, denn er könnte es nicht bei sich behalten.
Axel. Was sind das für Dummheiten. Tragen Sie das Bild hinaus!
Das Mädchen. Madame hat ja selbst nach dem Bilde geschickt.
Berta. Das ist nicht wahr! Übrigens ist es nicht mein Bild! Es ist das des Herrn! Stellen Sie es hierher!
Das Mädchen und die Männer (gehen ab).
Berta. Vielleicht ist es gar nicht deins, Axel? Wir müssen sehen!
Axel (stellt sich vor das Bild).
Berta. Geh ein wenig beiseite, damit wir sehen können!
Axel (tritt zur Seite). Das ist ein Versehen!
Berta (erschrickt). Was! Was ist denn das?! Das ist ein Versehen! Was soll das heißen? Das ist ja mein Bild, aber Axels Nummer. Ah! (Sie sinkt um.)
Axel. Sie stirbt!
Frau Stark. Hilf Gott, was ist das! Arme Kleine! Doktor Östermark, tun Sie doch etwas! Sagen Sie doch etwas! Und Axel steht ganz versunken da!
Doktor und Karl (tragen Berta in ihr Zimmer zur Linken hinein).
Die Damen (folgen).
Willmer und Axel (bleiben allein).
Axel. Willmer.
Axel. Das hast du getan!
Willmer. Ich?
Axel (nimmt ihn beim Ohr). Du, aber nicht alles! Hier sollst du dein Teil bekommen. (Er führt ihn zur Tür, die er mit dem einen Fuß öffnet: mit dem andern stößt er Willmer hinaus.) Hinaus!
Willmer. Das wirst du bereuen!
Axel. Warten wir's ab!
Doktor und Karl (kommen zurück).
Axel. Doktor Östermark. Karl Stark.
Doktor. Was war das mit dem Bilde?
Axel. Das sollte die Schwefelsäure vorstellen!
Karl. Sag einmal! Bist du nun eigentlich zurückgewiesen oder sie?
Axel. Ich bin zurückgewiesen mit ihrem Bilde! Ich wollte ihr weiterhelfen, als guter Kamerad, und darum vertauschte ich die Nummern.
Doktor. Ja, aber hier liegt noch etwas andres vor! Sie sagt, du liebst sie nicht mehr.
Axel. Darin hat sie recht. So ist es, und morgen trennen wir uns.
Doktor und Karl. Trennen?
Axel. Ja! Da kein weiteres Band zu zerreißen ist, so löst es sich von selbst. Das hier war keine Ehe, es war nur ein Zusammenwohnen, wenn nicht Schlimmeres!
Doktor. Welch schlechte Luft hier! Kommt, gehen wir!
Axel. Ja, auch ich will hinaus – fort von hier!
Alle drei (gehen nach dem Hintergrunde).
Die Vorigen. Abel.
Abel. Was? Wollen die Herren gehen?
Axel. Wundert dich das?
Abel. Kann ich mit dir reden?
Axel. Sprich!
Abel. Willst du nicht zu Berta hineingehen?
Axel. Nein!
Abel. Was hast du ihr getan?
Axel. Ich habe sie zu Boden gedrückt.
Abel. Ich habe es gesehen, denn sie war ganz blau um die Handgelenke. Sieh mich an! Das hätte ich dir niemals zugetraut! Nun, Sieger, triumphiere denn!
Axel. Ein zweifelhafter Sieg, den ich gar nicht wünsche!
Abel. Bist du dessen so sicher? (Sie neigt sich gegen ihn und sagt gedämpft.) Berta liebt dich, seit – du sie gebeugt hast.
Axel. Das weiß ich. Aber ich liebe sie nicht mehr.
Abel. Willst du nicht zu ihr hineingehen?
Axel. Nein, es ist zu Ende. (Er nimmt des Doktors Arm.) Komm!
Abel. Soll ich Berta nichts ausrichten?
Axel. Nein! Ja! Sage ihr, ich verachte und verabscheue sie!
Abel. Lebewohl, mein Freund!
Axel. Adieu, meine Feindin!
Abel. Feindin?
Axel. Bist du etwa meine Freundin?
Abel. Ich weiß nicht! Beides; nichts! Ich bin ein Bastard –
Axel. Das sind wir wohl alle, als Kreuzungen von Mann und Weib! Vielleicht hast du mich in deiner Weise geliebt, da du mich und Berta auseinanderbringen wolltest.
Abel (rollt sich eine Zigarette). Geliebt? – Ich wüßte gern, wie es wohl sein mag! Nein, ich kann nicht lieben; ich muß anormal sein – denn es freute mich euch anzusehen, bis der Neid des Krüppels mich entflammte. – Vielleicht hast du mich geliebt?
Axel. Nein, aus Ehre! Du warst für mich eilt trefflicher Kamerad, der zufällig als Weib gekleidet ging; du machtest niemals den Eindruck, einem andern Geschlecht anzugehören; und die Liebe, siehst du, kann und darf nur zwischen Individuen verschiedenen Geschlechtes vorkommen –
Abel. Geschlechtsliebe, ja!
Axel. Gibt es denn eine andre?
Abel. Ich weiß nicht! – Aber es ist bestimmt schade um mich! Und dieser Haß, dieser entsetzliche Haß! Vielleicht würde er schwinden, wenn ihr euch nicht so fürchten möchtet, uns zu lieben, wenn ihr nicht so – wie soll ich denn sagen? – so sittlich, heißt es gewiß, wäret!
Axel. Na, dann seid doch in Teufels Namen etwas liebenswürdiger und staffiert euch nicht aus, daß man ans Strafgesetz denken muß, wenn man euch sieht!
Abel. Findest du, ich sehe so schauderhaft aus?
Axel. Ja, weißt du, du mußt entschuldigen! Aber du bist fürchterlich.
Berta (kommt).
Die Vorigen. Berta. Dann das Mädchen.
Berta (zu Axel). Du gehst?
Axel. Ja, eben wollte ich es, aber nun bleibe ich!
Berta (weich). Wie? Du –
Axel. Ich bleibe in meinem Heim!
Berta. In unserm – Heim!
Axel. Nein, in meinem Atelier, bei meinen Möbeln!
Berta. Und ich?
Axel. Du magst tun, was dir beliebt, aber du sollst wissen, was du riskierst! – Siehst du, ich habe um Scheidung von Tisch und Bett für ein Jahr nachgesucht. Bleibst du, das heißt, besuchst du mich während dieser Zeit, so hast du die Wahl zwischen Gefängnisstrafe oder als meine Maitresse angesehen zu werden! Hast du noch Lust zu bleiben?
Berta. O! – Ist das Gesetz?
Axel. Das ist Gesetz!
Berta. Du jagst mich also hinaus?
Axel. Nicht ich, das Gesetz!
Berta. Und du glaubst, ich gebe mich damit zufrieden?
Axel. Das nicht, denn du bist nicht zufrieden, bevor du mich nicht zu Tode gequält hast!
Berta. Axel! Wie kannst du so sprechen? Wenn du wüßtest, wie ich – dich liebe!
Axel. Das finde ich nicht unbegreiflich, aber ich liebe dich nicht mehr!
Berta (steht auf). Weil du die dort liebst!
Axel. Nein, gewiß nicht! Das habe ich nicht getan und werde es nicht tun! Welch unglaubliche Einbildung! Als wenn es nicht mehr Weiber gäbe und anziehendere als sie.
Berta. Aber sie liebt dich!
Axel. Wohl möglich; ich glaube beinahe, daß sie selbst so etwas angedeutet hat; ja, ich entsinne mich, sie sagte es geradezu; wie war es nur?
Berta (in anderm Ton). Du bist wirklich der unverschämteste Mensch, der mir jemals vorgekommen ist.
Axel. Ja, ich glaub's!
Berta (zieht den Mantel an und setzt den Hut auf). Und nun denkst du mich auf der Straße zu lassen? Ist das dein Ernst?
Axel. Auf der Straße oder wo es dir beliebt.
Berta (wütend). Glaubst du, ein Weib läßt sich so behandeln?
Axel. Du batest mich einmal, zu vergessen, daß du ein Weib seist. Nun Wohl! Ich habe es vergessen!
Berta. Aber weißt du, daß du Pflichten gegen diejenige hast, die deine Gattin gewesen ist?
Axel. Bezahlen also, für gute Kameradschaft? Was? Leibrenten-Anstalt!
Berta. Ja!
Axel. Hier hast du für einen Monat Vorschuß! (Er legt ein paar Scheine auf den Tisch.)
Berta (nimmt das Geld und zählt es). Du hast doch wenigstens noch etwas Ehre im Leib!
Abel. Adieu, Berta, nun gehe ich!
Berta. Warte, ich gehe mit!
Abel. Nein, jetzt gehe ich nicht mehr mit dir.
Berta. Wie? Warum das?
Abel. Weil ich mich schäme!
Berta (erstaunt). Du schämst dich?
Abel. Ja, ich schäme mich! Lebwohl! (Sie geht ab.)
Berta. Das verstehe ich nicht! – Adieu, Axel! Dank für dies! Sind wir Freunde? (Sie erfaßt seine Hand.)
Axel. Ich wenigstens bin es nicht! – Laß meine Hand los, sonst glaube ich, du willst mich wieder verführen!
Berta (geht zur Tür).
Axel. (mit einem Seufzer der Erleichterung). Treffliche Kameraden! Ah!
Das Mädchen (kommt vom Garten herein). Das Fräulein erwartet den Herrn!
Axel. Jawohl! Stehe sogleich zur Verfügung.
Berta. Ist das die neue Kameradin?
Axel. Nein, keine Kameradin; das ist eine Geliebte!
Berta. Und künftige Frau!
Axel. Vielleicht! Denn Kameraden will ich im Café haben, daheim aber eine Frau! (Bewegung, wie vorher, zum Gehen.) Entschuldige!
Berta. Also adieu! Treffen wir uns niemals mehr?
Axel. O doch! – Aber nur im Café! – Lebwohl!
Ende.