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Ich hatte Paris hauptsächlich deshalb als Reiseziel gewählt, weil ich dort meine alten Freunde wiederfinden wollte, die in alle meine Excentricitäten eingeweiht waren, die meine Neigungen und meine Gedankensprünge, meine Paradoxen und meine Kühnheiten kannten, und die deshalb befähigt waren, über den augenblicklichen Geisteszustand ihres Dichters ein Urteil abzugeben. Außerdem hatten sich in Paris die berühmtesten skandinavischen Schriftsteller niedergelassen; unter ihren Schutz wollte ich mich stellen, um die schändlichen Absichten Marias zu durchkreuzen, die mich in eine Irrenanstalt bringen lassen wollte.
Während der Reise ist Maria fortwährend wütend, und da sie nicht durch die Gegenwart einer nahestehenden Person geniert ist, behandelt sie mich auf eine niederträchtige Weise. Ihre Miene ist stets erregt, ihre Blicke zerstreut, sie nimmt an nichts Anteil. Ich führe sie in den Städten, wo wir übernachten, spazieren, aber sie interessiert sich für nichts, sie sieht nichts und hört mich kaum an. Meine Liebenswürdigkeit ist ihr lästig, und sie scheint etwas zu entbehren. Aber was? Ein fremdes Land, wo sie so viel gelitten, und wo sie nicht einen einzigen Freund, außer vielleicht einen Liebhaber, zurückläßt?
Außerdem zeigt sie sich vollkommen unpraktisch und ungebildet, so daß ihre Überlegenheit als Geschäftsführerin, womit sie sich immer rühmte, kläglich Schiffbruch leidet. Sie läßt sich nach den ersten Hotels führen, und wegen einer einzigen Nacht verlangt sie die Umstellung der Möbel, läßt wegen einer Tasse Thee den Hotelwirt kommen und verursacht auf den Korridoren einen furchtbaren Lärm, der uns demütigende Zurechtweisungen zuzieht; sie versäumt die bequemsten Züge, um bei Tisch zu schlafen; sie läßt das Gepäck fälschlich nach den entferntesten Stationen dirigieren, und bei der Abreise verteilt sie eine Mark an die Hotelbedienten.
– Du bist feige, sagt sie, wenn ich eine Bemerkung darüber mache.
– Und Du nachlässig und ungebildet!
Ein richtiger Vergnügungszug diese schreckliche Fahrt!
Als wir in Paris angekommen und mitten unter meinen Freunden waren, die sich durch ihre Künste nicht fangen ließen, da zieht sie den Kürzern, sie merkt, daß sie in einer Falle gefangen ist. Was sie am meisten ärgert, ist die enge Freundschaft, die ich mit dem berühmtesten norwegischen Dichter schließe. Sie verabscheut ihn, weil das Wort dieses Mannes eine Erklärung zu meinem Gunsten bedeuten kann.
Eines Abends, bei einem Banket der Künstler und Schriftsteller, erhebt sich der genannte Dichter, um auf mich, als auf den Führer der modernen schwedischen Litteratur, einen Toast auszubringen.
Da sitzt nun die arme Maria da, die Märtyrerin in einer Ehe, die sie mit dem bei ihren geschlechtslosen Freundinnen übel berufenen Pamphletisten geschlossen. Es thut mir leid zu sehen, wie sie von den Beifallsrufen der Festteilnehmer niedergedrückt ist; und als der Redner mich ermahnt zu versprechen, daß ich wenigstens zwei Jahre im Auslande bleiben wolle, kann ich den schmerzlichen Blicken meiner Frau nicht mehr widerstehen. Und um sie zu trösten und ihr gleichzeitig eine Genugtuung zu gewähren, antwortete ich, daß in meiner Ehe alle wichtigen Entschlüsse von beiden Gatten gemeinsam gefaßt werden; das bringt mir einen herzlichen Blick von Maria und die Sympathie sämtlicher Damen ein.
Aber der Redner will davon nichts wissen, er besteht auf meinem längeren Aufenthalt, er veranlaßt seine Anhänger, ihr Glas »auf einen zweijährigen Aufenthalt dieses Herrn da« zu leeren.
Ich muß gestehen, daß ich diese Hartnäckigkeit meines Freundes niemals verstanden habe, wenn ich auch damals fühlte, daß sich zwischen ihm und meiner Frau ein geheimer Kampf abspielte, dessen Grund ich jedoch nicht kannte. War dieser Mann besser unterrichtet als ich, und hatte er in seiner vorschauenden Klugheit das Geheimnis, erraten, da er selbst mit einer Frau von sonderbaren Manieren verheiratet war?
Das waren Mysterien, die mir bis heute nicht klar geworden sind!
Nachdem ich mich drei Monate in Paris aufgehalten hatte, wo meine Frau sich sehr unbehaglich fühlte, da sie die allgemein anerkannte Bedeutung ihres Gatten entdeckte, fing sie an, die große Stadt zu hassen, sie hetzte mich unaufhörlich gegen »die falschen Freunde« auf, die mir eines Tages noch Unglück bringen würden. Da trat eine neue Schwangerschaft ein, und die Hölle that sich wieder auf.
Was mir aber den Zweifel an der Vaterschaft benahm, war der Umstand, das ich im Stande zu sein glaubte, das Datum, ja sogar den Augenblick der Empfängnis festzustellen, indem ich mir alle Einzelheiten ins Gedächtnis zurückrief.
Wir gehen nach der französischen Schweiz und geben uns dort in eine bürgerliche Pension, um allen Streit wegen des Haushalts zu vermeiden. Jetzt rafft sie sich wieder auf, da ich nun isoliert und nicht mehr geschützt bin.
Sie beginnt damit, sich als Irrenwärterin zu geben, und schließt mit dem Arzt ein Bündnis, sie informiert den Wirt und die Wirtin und bietet den Heerbann der Mädchen, der Dienstboten und der Pensionäre auf. So bin ich nun gefangen und eines Umgangs beraubt, der die Fähigkeit hat, mich zu verstehen. An der Table d'hôte rächt sich die Thörin für ihre Niederlage in Paris; sie nimmt das Wort und tischt alle die Dummheiten auf, die ich tausend Mal in Abrede gestellt hatte. Und da diese Gesellschaft von kleinen, ungebildeten Bürgern aus Höflichkeit ihren Albernheiten zustimmt, bin ich zum Schweigen gezwungen, und das überzeugt sie von ihrer Überlegenheit. Dabei sieht sie krank und leidend aus, als hätte sie einen Kummer; mir gegenüber aber zeigt sie einen vollkommenen Haß.
Alles, was ich liebe, verabscheut sie: Ihr sind die Alpen gleichgiltig, weil ich sie liebe, sie verabscheut die Spaziergänge, sie vermeidet ein Alleinsein mit mir. Sie errät meinen Wunsch, sie zu fesseln, sie sagt ja, wenn ich nein sage, und umgekehrt – kurz, ich bin ihr ein Ekel.
Und ich, allein, in einem fremden Lande, ich bin gezwungen, um ihre Gesellschaft zu bitten, und wenn wir nicht mit einander sprechen, um keinen Streit hervorzurufen, bin ich schon zufrieden, wenn ich sie an meiner Seite sehe, wenn ich das Gefühl habe, daß ich nicht isoliert bin.
Nachdem die Schwangerschaft festgestellt war, glaube ich für mein Liebesbedürfnis freie Bahn zu haben; da sie nun keinen Grund mehr hat, mich zurückzuweisen, erfindet sie Vorwände, um mich am Gängelbande zu führen; und da sie meine Befriedigung nach den ungehemmten Liebesbezeugungen merkt, bei denen doch die Vorsichtsmaßregeln nicht mehr nötig sind, grollt sie mir, weil ich mir ein Vergnügen verschafft habe.
Allzuviel Glück für mich, dessen Nervenleiden hauptsächlich von der Enthaltsamkeit herrührt! Inzwischen verschlimmert sich mein nervöses Magenübel, sodaß ich schließlich nichts Festes genießen kann; in der Nacht wache ich infolge von Magenschmerzen und unerträglichem Brennen auf, das ich durch kalte Milch zu beseitigen versuche. Mein fein konstruirtes Gehirn verwirrt sich durch die Berührung mit einem niedriger stehenden Gehirne, und jeder Versuch, es mit dem meiner Frau in Einklang zu bringen, verursacht Krämpfe bei mir. Wenn ich mit den Fremden anzuknüpfen versuche, ziehe ich mich wieder zurück, da ich merke, daß sie mich wie einen Irren behandeln.
So schweige ich denn schließlich drei Monate hintereinander, und am Ende dieser Zeit merke ich mit Schrecken, daß meine Stimme aus Mangel an Übung erloschen und der Gebrauch des gesprochenen Wortes mir abhanden gekommen ist.
Als Ersatz beginne ich einen Briefwechsel mit meinen Freunden in Schweden, aber ihre zurückhaltende Sprache, ihr mich schmerzendes Mitleid und ihr väterlicher Rat zeigt mir ihre Meinung über meinen geistigen Zustand.
Sie triumphiert, und ich bin auf dem Punkte, ein Weichling zu werden, und die ersten Anzeichen eines Verfolgungswahns treten auf.
Warum der Wahn? Ich werde verfolgt, darum ist es doch sehr logisch, sich für verfolgt zu halten! Kurz, ich falle in die Kindheit zurück, und in meiner außerordentlichen Schwäche verbringe ich die Stunden auf einem Sopha; mein Kopf ruht auf Marias Schoß, mein Arm hält ihre Taille umschlungen, wie bei der Pietà des Michel Angelo. Ich drücke mich an ihren Busen, nenne mich ihr Kind, der Mann verwandelt sich in das Kind, das Weib wird zur Mutter. Sie blickt mich mit einem Lächeln an, das manchmal triumphirend, manchmal sanft ist. Es ist die weibliche Spinne, die den Mann auffrißt, nachdem sie von ihm begattet worden.
Während meines Siechtums führt Maria ein geheimnisvolles Leben. Sie bleibt bis zum Mittagessen, das heißt, bis 1 Uhr im Bette. Dann geht sie ohne bestimmtes Ziel in die Stadt und kommt erst zum Abendbrod nach Hause, meistens zu spät. Man fragt nach der Frau Gemahlin.
– In der Stadt, antworte ich; und schließlich lacht alle Welt verstohlen.
Niemals kommt mir ein Verdacht, niemals der Gedanke zu spionieren.
Nach dem Abendessen bleibt sie mit den Fremden im Salon und plaudert.
In der Nacht trinkt sie Cognac mit dem Dienstmädchen, und ich höre sie halblaut schwatzen, doch kann ich mich nicht so weit erniedrigen, an der Thür zu horchen.
Warum? Weil es Handlungen giebt, für welche man sich selbst zu gut hält.
Warum? Weil uns das durch die Erziehung wie eine Sittenlehre für den Mann eingeimpft wird.
Nach drei Monaten bin ich von den übermäßigen Unkosten des Haushalts überrascht, und jetzt, wo die Ausgaben geregelt sind, kann ich leicht berechnen.
Die Pension zu zwölf Francs täglich macht monatlich eine runde Summe von 369 Francs, ich habe aber Maria tausend Francs monatlich ausgesetzt, also wird der Überschuß von 609 Francs monatlich auf Nebenausgaben verwendet.
Als ich Rechenschaft von ihr verlange, antwortet sie mir wütend, daß der Rest auf außergewöhnliche Ausgaben verwendet worden sei.
– Dreihundert und sechzig Francs für gewöhnliche Ausgaben und sechshundert für außergewöhnliche! Glaubst Du, daß ich ein Dummkopf bin?
– Du hast mir tausend Francs ausgesetzt, aber Du selbst verbrauchst den größten Teil.
Ich fange an vorzurechnen. Tabak (sehr schlechter, Zigarren zu 2 Centimes mit einbegriffen) zehn Francs; Porto für Briefe zehn Francs; und dann, was noch?
– Fechtstunden.
– Eine einzige Stunde: drei Francs.
– Reitstunden.
– Zwei Stunden: fünf Francs.
– Bücher.
– Bücher: Zehn Francs. Das macht achtunddreißig Francs. Nehmen wir an hundert Francs, so bleiben fünfhundert Francs für die Nebenausgaben. Das ist enorm!
– Du glaubst, daß ich Dich bestehle, Du Lump, Du! Was soll ich darauf antworten? Nichts! Ich bin also ein Lump, und alle Freundinnen in Schweden werden mit dem Fortschreiten meines Wahnsinns bekannt gemacht.
Auf diese Weise wird die Legende von meinem Wahnsinn vollständig ausgebildet; und im Lauf der Jahre nimmt mein Bild immer schärfere Züge an, und anstatt des makellosen Dichters wird eine mythologische Figur in düstern Farben geschaffen, welche den Verbrecher-Typus aufweist.
Ein Versuch, nach Italien zu entweichen, wo ich Freunde habe, die der gleichen Kunstrichtung angehören, schlägt fehl, und um die Zeit der bevorstehenden Entbindung kehren wir an das Ufer des Genfer Sees zurück. Nachdem das Kind zur Welt gekommen, schmückt sich Maria mit der Märtyrerkrone des unterjochten Weibes, der rechtlosen Sklavin, und sie bittet mich inständig, das Neugeborene taufen zu lassen. Sie weiß sehr gut, daß ich vor kurzem offen meine Abneigung gegen den Aberglauben des Christentums bekannt hatte, und daß meine Stellung als Schriftsteller einer bestimmten Richtung mir verbietet, die Gebräuche der Kirche mitzumachen.
Obgleich sie nicht fromm ist, da sie seit zehn Jahren nicht zur Kirche gegangen ist und wer weiß wie lange, nicht gebeichtet hat, betet sie für Pudel, Kaninchen und zum Tode verurteilte Hühner; und jetzt ist sie darauf versessen, eine Taufe in aller Form zu haben, ohne Zweifel, weil ich sie gebeten habe, mich künftig mit diesen Formen nicht zu behelligen, die von meiner Seite Heuchelei wären und in grellem Widerspruch mit meinen Grundsätzen stehen.
Sie bittet mich flehentlich mit Thränen in den Augen, appelliert an meine Großmut, meine Gnade, so daß ich schließlich nachgebe, mir aber vorbehalte, nicht zur Taufe zu kommen. Sie küßt mir darauf die Hände, dankt mir warm für diesen Beweis meiner Liebe, welcher für sie eine Gewissens-, ja eine Lebensfrage ausmacht.
Die Taufe findet statt. Als sie nach Haus zurückgekehrt ist, lacht sie in Gegenwart der Zeugen darüber, spielt den Freigeist, zieht die Ceremonie ins Lächerliche und rühmt sich sogar, daß sie die Confession nicht kenne, in welche ihr Sohn aufgenommen worden ist.
Nachdem sie das Spiel gewonnen hat, macht sie sich darüber lustig, und die Lebensfrage ist weiter nichts als ein Kampf gewesen, in dem ich unterlegen bin.
Wiederum erniedrigt, bloßgestellt, um die Launen eines herrschsüchtigen Weibes zu befriedigen!
Da kommt plötzlich eine Skandinavierin zu uns, die den Frauen-Emancipationsschwindel mitmacht und beim ersten Zusammentreffen Marias erklärte Freundin wird; ich bin ein verlorener Mann. Sie bringt als Waffe das feige Buch eines geschlechtslosen Mannes mit, welcher von allen Parteien durchschaut und verleugnet worden und zum Verräther an seinem Geschlecht herabgesunken ist, wodurch er alle Blaustrümpfe der civilisierten Welt für sich gewonnen hat. Nachdem ich »der Mann und das Weib« von Emil Girardin gelesen, erfasse ich die Frauenfrage mit allen ihren Consequenzen, die darauf hinauslaufen, den Mann abzusetzen, ihn durch das Weib zu ersetzen und die Herrschaft des Mutterrechts wieder aufzurichten.
Den wahren Herrn der Schöpfung entthronen, der die Civilisation, die Wohlthaten der Kultur geschaffen, ihn, den Schöpfer der großen Gedanken der Kunst, der Handwerke, kurz des ganzen Getriebes, um die dummen Weiber zu erheben, welche niemals an der civilisatorischen Tätigkeit teilgenommen haben, wenn man von geringen Ausnahmen absieht – das war für mich eine Herausforderung, die meinem Geschlecht entgegengeschleudert wurde; und wenn ich nur daran denke, daß jene Intelligenzen des Bronzezeitalters, jene Anthropomorphen, jene Halbaffen, jene Horden von reißenden Tieren sich wieder erheben könnten, so empört sich alles Männliche in mir, und so sonderbar es klingt, ich werde von meiner Krankheit geheilt, die mir der Widerwille gegen den Widerstand einer geistig niedriger stehenden, mir aber durch den gänzlichen Mangel an moralischem Sinn überlegenen Frau eingeflößt hat. Da nun in einem Todeskampf zwischen zwei Völkerschaften der weniger Anständige, der Verderbtere als Sieger hervorgehen muß, und die Aussicht zu gewinnen für den Mann infolge der ihm inne wohnenden Achtung vor der Frau sehr zweifelhaft ist, die Frau auch den Vorteil hat, daß sie immer noch Versorger hat, wodurch sie freie Zeit behält für den Kampf – so greife ich die Frage ernsthaft an. Ich rüste mich für den Kampf und arbeite an einem Buche, welches der Fehdehandschuh sein soll, den ich den emancipierten Frauen ins Gesicht schleudere, welche die Freiheit durch die Unterdrückung des Mannes erlangen wollen.
Der Frühling kommt, und wir ziehen in eine andere Pension. Bald befinde ich mich in einem Fegefeuer; ich werde von fünfundzwanzig Frauen bewacht, die mir den nötigen Stoff für meine Abhandlung gegen die Angriffe auf das Recht des Mannes liefern, Nach Verlauf von drei Monaten kann mein Buch erscheinen. Es ist eine Sammlung von Erzählungen aus dem Eheleben; in der Vorrede streue ich eine Menge von bitteren Wahrheiten aus für diejenigen, die es angeht; der Gedankengang ist ungefähr folgender:
Die Frau ist nicht die Sklavin, weil sie und ihre Kinder sich von der Arbeit des Mannes ernähren; die Frau ist niemals unterjocht, weil sie ihre Rolle erwählt, oder weil die Natur ihr ihre Stellung zugewiesen hat und sie doch unter dem Schutz des Mannes bleibt, während sie ihre Mutterpflichten erfüllt; das Weib steht dem Manne nicht gleich inbezug auf den Intellekt, der Mann nicht dem Weibe auf dem Gebiete der Erzeugungsthätigkeit; das Weib ist also bei der großen civilisatorischen Arbeit überflüssig, weil der Mann diese seine Aufgabe besser versteht als sie; und nach der Evolutionstheorie ist, je größer der Abstand der Geschlechter ist, desto stärker und kräftiger die Nachkommenschaft. Daher ist der Maskulinismus, d. h. die Gleichstellung der Geschlechter, ein Rückwärtsschreiten, eine Sinnlosigkeit, es ist der letzte Trumpf der romantisierenden und idealisierenden Sozialisten.
Das Weib, der notwendige Zubehör zum Manne und in geistiger Hinsicht sein Geschöpf, kann an den Rechten des Mannes nicht teilnehmen, weil sie die »andere Hälfte« der Menschheit nur im numerischen Sinne bedeutet, im Verhältnis macht sie nur ein Sechstel aus. Darum lasset also dem Manne den Arbeitsmarkt frei, solange er verpflichtet ist, für die Frau und ihre Kinder zu sorgen, und bedenket, daß jedes Geschäft, welches man einem Manne fortnimmt, eine alte Jungfer und eine Prostituierte mehr bedeutet.
Man kann sich nun eine Vorstellung von der Wut der Maskulinisten machen und von ihrer furchtbaren Macht, wenn man hört, daß sie die Konfiskation des Buches beantragten. Leider reichte ihr Geist nicht hin, um ihre Sache, die sie als Verteidigung der Religion bezeichneten, zu gutem Ende zu führen. So waren nun die Thorheiten der Geschlechtslosen bereits mit der Religion auf eine Stufe gestellt.
Maria widersetzt sich entschieden meiner Reise in die Heimat, da unsere Mittel uns die Übersiedelung der ganzen Familie nicht gestatten. Sie fürchtet sich, mich ohne Aufsicht zu lassen; noch mehr fürchtet sie, daß mein öffentliches Erscheinen vor Gericht die Gerüchte über meinen Geisteszustand widerlegen könnte.
Indessen wird sie krank, ohne daß sie ein bestimmtes Leiden hätte, und ist genötigt, das Bett zu hüten. Nichtsdestoweniger bin ich entschlossen zu reisen, um vor Gericht zu erscheinen, und ich reise in der That ab.
Die Briefe, welche ich ihr während dieser qualvollen sechs Wochen schreibe, wo eine Verurteilung zu zwei Jahren Zwangsarbeit stets über meinem Haupte schwebt, atmen die durch die Entfernung und durch das erzwungene Cölibat wieder erwachte Liebe. Mein überarbeiteter Kopf malt sich poetisch ihre Gestalt aus und vergoldet sie, und die Enthaltsamkeit und die Sehnsucht tragen dazu bei, sie wieder in das weiße Gewand des Schutzengels zu kleiden. Alles Häßliche, alles Niedrige und Schlechte verschwindet, und die Madonna meiner ersten Liebesträume taucht empor, und das geht soweit, daß ich bei einem Zusammentreffen mit einem alten Kollegen von der Journalistik ihm gestehe, daß ich durch ein edles Weib demütiger und reiner geworden sei. Diese Erklärung macht die Runde durch alle Zeitungen der vereinigten Königreiche.
Hat sie gelacht, das Scheusal? Das Publikum wenigstens hat sich durch ein unbezahlbares Lachen entschädigt. Marias Antworten auf meine zärtlichen Briefe bezeugen ein lebhaftes Interesse für die finanzielle Seite der Angelegenheit, und zwar in dem Maße, als die Ovationen, die mir auf dem Theater, auf der Straße dargebracht werden, sich mehren. Sie ändert plötzlich ihre Meinung, spricht von der Bornirtheit der Richter und bedauert lebhaft, nicht persönlich teilnehmen zu können.
Auf meine Liebesergüsse geht sie nicht näher ein, sie beschränkt sich auf die allgemeinen Worte »sich verstehen, sich begreifen«; und sie streift unsere unglückliche Ehe nur in dem Sinne, daß sie erklärt, ich hätte sie niemals verstanden. Trotzdem möchte ich schwören, daß sie vielmehr niemals ein Sterbenswörtchen von der Sprache ihres Gelehrten verstanden hat.
Unter ihren Briefen war einer, der meinen alten Argwohn wachrief. Um sie zu ängstigen, machte ich ihr bemerklich, daß, wenn ich einmal den Fängen der Justiz entschlüpft wäre, ich lieber im Auslande bleiben würde. Sie ärgert sich, beschwört mich, droht, mir ihre Liebe zu entziehen, fleht mein Mitleid an, beschwört das Bild meiner Mutter herauf, sie gesteht, daß nur der Gedanke »ihre« Heimat (nicht etwa Finnland) niemals wiederzusehen, sie erstarren mache, daß sie dann sterben würde.
Woher dieses plötzliche Starrwerden, fragte ich mich; aber bis jetzt habe ich den Grund dafür nicht finden können.
Endlich werde ich vom Gericht freigesprochen, und ich kehre nach Genf zurück, wo sich meine Familie während meiner Abwesenheit aufgehalten hat. Zu meiner großen Überraschung erwartet mich Maria, die nach ihren Berichten stets bettlägerig gewesen, frisch und gesund, wenn auch mit etwas verlegener Miene, auf dem Bahnhof.
Doch bald lebe ich wieder auf, und der Abend und die Nacht entschädigen mich für das überstandene Ungemach. Am andern Tage entdecke ich, daß die Pension von Studenten und Dirnen besetzt ist; und indem ich den Gesprächen lausche, glaube ich zu verstehen, daß Maria ein Vergnügen daran findet, in dieser schlechten Gesellschaft Karten zu spielen und zu trinken, und ich werde von den schmutzigen Intimitäten, die ich haufenweise höre, angeekelt. In alter Weise spielt sie das Mütterchen bei diesen Studenten; mit dem schlimmsten Weibe in dieser Gesellschaft ist sie eng befreundet, es ist eine Person, die furchtbar betrunken zu Tisch kommt und eine erschreckende Ähnlichkeit mit einer dicken Sau hat.
Und in dieser Lasterhöhle mußten meine Kinder sechs Wochen lang leben! Und die Mutter sah nichts, sagte nichts, sie hatte auch die letzte Scheu abgelegt. Und ihre vorgeschobene Krankheit hat sie nicht gehindert, an den Zusammenkünften dieser verdächtigen Gesellschaft teilzunehmen!
Sie nennt mich eifersüchtig, konservativ, aristokratisch, und die früheren Kämpfe entbrennen aufs neue.
*
Jetzt tritt eine neue Frage auf, die Erziehung der Kinder. Das Dienstmädchen, eine Bauerntochter, die von jedem Verdacht einer Sachkenntnis frei ist, wird zur Erzieherin erhoben und macht zusammen mit der Mutter die schlimmsten Dummheiten. Die beiden faulen Frauen lieben es, bis in den Vormittag hinein zu schlafen, und infolgedessen sind die Kinder gezwungen, wach im Bett zu bleiben, und wenn sie sich dagegen sträuben, bekommen sie Prügel. Da aber trete ich dazwischen, und ohne irgend welche Rücksicht blase ich morgens zur Reveille, und die Kinder begrüßen mich mit fröhlichen Rufen als ihren Befreier. Meine Frau beruft sich auf die individuelle Freiheit, die nämlich darin besteht, die Freiheit eines andern zu unterdrücken, der rechtzeitig aufstehen will. Und so richtet die Monomanie eines schwachen und untergeordneten Gehirns, welches durchaus gleich machen will, was nicht gleich sein kann, den schlimmsten Wirrwarr in unserer Familie an. Meine älteste Tochter, die klug, frühreif und seit ihrem ersten Jahre gewöhnt ist, meine illustrierten Bücher zu betrachten, genießt auch weiter dieses Recht als Älteste, und da ich dieselbe Gunst nicht auch der Jüngeren gewähren kann, die es noch nicht versteht, ein kostbares altes Buch in die Hand zu nehmen, ohne es zu Schanden zu machen, so wirft mir die Mutter Ungerechtigkeit vor.
– Alles soll gleich sein!
– Alles? Die Größe der Kleider und Schuhe auch?
Die Antwort bleibt aus, an Stelle derselben wirft sie mir Unvernunft vor.
– Jeder nach seinen Fähigkeiten und seinem Verdienst. Das Eine für die Erwachsene, das Andere für die Jüngere!
Sie will nicht verstehen, und ich werde als ein ungerechter Vater hingestellt, der das jüngere Kind »haßt«. Und um die Wahrheit zu sagen, ist mir die ältere sympathischer geworden, weil sie älter ist, weil wir gemeinsame Erinnerungen an die ersten schönen Tage meines Lebens haben, weil sie schon in das verständige Alter eingetreten ist vor der Jüngeren, vielleicht auch, weil die Geburt der Jüngeren in eine Zeit fiel, wo ich bereits an der Treue meiner Frau zweifelte. Übrigens zeigt sich die Gerechtigkeit der Mutter in einer vollkommenen Gleichgiltigkeit der Kinder, da sie nicht immer draußen ist, sobald sie nicht ausgeht, und so bleibt sie den Kindern fremd, welche sich mit immer steigender Zuneigung an mich anschließen, so daß die Eifersucht der Mutter erweckt wird. Um dies zu vermeiden, habe ich mich gewöhnt, alle Spielsachen und Bonbons durch die Mutter verteilen zu lassen, um ihr die Zuneigung der Kinder zuzuwenden.
In dieser Weise bilden die Kinder einen Teil meines Lebens, und in den düstern Augenblicken, wo die Einsamkeit mich niederdrückt, knüpft die Berührung mit diesen kleinen Wesen mich wieder an das Leben und zugleich an meine Frau. So erscheint mir denn jeder Gedanke an eine Trennung unausführbar, ein verhängnisvoller Zustand, der mich schließlich in die tiefste Unterjochung bringt.
*
Die Folgen meines Sturmes gegen die Maskulinisten machen sich fühlbar, man greift mich in den schwedischen Zeitungen an und macht mir den Aufenthalt unerträglich; man verbietet den Verkauf meiner Werke, und von Stadt zu Stadt getrieben, fliehe ich nach Frankreich. In Paris aber sind meine Freunde von mir abgefallen und verbinden sich jetzt mit meiner Frau. Wie ein wildes Tier verfolgt, wechsele ich das Schlachtfeld, und als das Elend sich naht, finde ich endlich einen neutralen Hafen in einem Künstlerdorf in der Umgebung von Paris; da sitze ich nun wieder in einer Schlinge, in welcher ich zehn Monate, wohl die schlimmste Zeit meines Lebens, gefangen bin.
Die Gesellschaft besteht aus jungen skandinavischen Malern; es sind meistens ungebildete Leute, Bauern, frühere Handwerkslehrlinge, ebenso verschieden von Herkunft wie an Fähigkeiten, und was noch schlimmer ist, malende Damen, die alle Vorurteile von sich geworfen haben und eine lächerliche Liebe für die hermaphroditische Litteratur an den Tag legen, bis sie schließlich sich einbilden, dem Manne gleich zu sein. Und um ihr Geschlecht zu verhüllen, nehmen sie die Äußerlichkeiten des Mannes an, sie rauchen, betrinken sich, spielen Billard, – und außerdem fröhnen sie unerlaubter Liebe.
Das ist der Gipfel.
Um nicht allein zu sein, knüpfe ich mit zweien von diesen Scheusalen eine Bekanntschaft an. Die Eine ist eine sogenannte Litteratin, die andere eine pinselnde Dame. Zuerst besucht mich die Litteratin, da ich der berühmte Schriftsteller bin. Das erweckt aber die Eifersucht meiner Frau, sie macht sich sofort daran, diese Verbündete zu gewinnen, die mir aufgeklärt genug scheint, um den Wert meiner gegen die Halbfrauen vorgebrachten Gründe zu würdigen.
Indessen trägt eine ganze Reihe von Zufällen dazu bei, finstere Gedanken wieder zu erwecken, und nach einer bestimmten Zeit bricht jene früher so oft besprochene Monomanie in voller Freiheit aus.
Eines Abend tranken ich und Maria zusammen mit einem alten Herrn aus Schweden, der kürzlich von dort gekommen war, in einem Garten Kaffee. Es war heller Tag, so daß ich Marias Gesicht beobachten konnte. Der alte Herr berichtete mir, was seit meiner Abreise von Schweden sich dort ereignet hatte. Dabei sprach er auch den Namen jenes Arztes aus, der bei Maria die Massage angewendet hatte. Diese unterbricht den alten Herren und fragt ihn:
– Ach, Sie kennen den Doktor X.?
– Er ist sehr bekannt ... ich meine, er besitzt einen gewissen Ruf...
– Als Geck, unterbreche ich ihn.
Marias Gesicht wurde ganz bleich, und ein schamloses Lächeln glitt über ihre offenen Lippen und ließ ihre Zähne sehen. Die Unterhaltung aber verstummte unter allgemeiner Verlegenheit.
Als ich mit dem alten Herrn allein war, bat ich ihn um Mitteilungen über die Redereien in Bezug auf die Angelegenheit, die mich peinigte. Er schwor bei allen Teufeln, daß nach dieser Richtung hin keine Gerüchte umliefen. Aber nachdem ich ihn eine Stunde lang mit Bitten bestürmt hatte, giebt er mir folgenden rätselhaften Trost: – Übrigens, lieber Freund, wenn es so einen giebt, dann seien Sie versichert, dann giebt es auch mehrere!
Das war alles, aber seit diesem Tage wurde der Name des Doktors von Maria nicht mehr genannt, die sonst stets geneigt war, das Geklatsch Lügen zu strafen, indem sie diesen Namen öffentlich nannte, als wenn sie sich gewöhnen wollte, ihn, ohne zu erröten, nennen zu hören. Sie folgte dabei einer Regung, welche alle Skrupel unterdrückte.
Durch diese sonderbare Entdeckung aufgeschreckt, nehme ich mir Zeit, um in meinem Gedächtnis nach übereinstimmenden Anzeichen zu forschen, und da fällt mir plötzlich ein litterarisches Werk ein, welches zur Zeit des Prozesses erschienen war, und dieses bringt ein, wenn auch etwas undeutliches Licht in die Sache, aber es genügt, um den Faden zu finden, der zu der Quelle jenes Gerüchtes hinführt. Es war ein Drama von dem berühmten norwegischen Blaustrümpfler, dem Erfinder des Gleichheitswahnsinns. Das Buch war mir in die Hände gefallen, ohne daß ich sagen könnte, auf welche Weise. Jetzt aber erklärte sich alles leicht und gab den schlimmsten Vermutungen in Bezug auf den Ruf meiner Frau Raum; der Inhalt des Dramas war folgender:
Ein Photograph (ein Spitzname, den ich mir durch meine dem wirklichen Leben entnommenen Romane erworben hatte) hat eine zweifelhafte Person geheiratet, die früher die Maitresse eines Großgrundbesitzers gewesen war. Die Frau bestreitet den Haushalt aus geheimen Fonds, die von dem früheren Liebhaber herrühren. Außerdem führt sie das Geschäft des Gatten, eines Faulenzers, welcher seine Zeit damit zubringt, daß er sich in Gesellschaft nichtsnutziger Leute betrinkt. Das ist nun eine Verdrehung der Thatsachen, welche die Herausgeber bewirkt hatten. Sie hatten Kenntnis davon, daß Maria die Übersetzungen machte, wußten aber nicht, daß ich es war, der sie unentgeltlich korrigierte, und der ihr den Betrag dafür auszahlte.
Die Sache wird schlimm, als der arme Photograph entdeckt, daß die angebetete Tochter, die vor der Zeit zur Welt kommt, nicht sein Kind ist, und daß die Frau ihn genarrt hat, als sie ihn zur Heirat bestimmte. Um den Schimpf voll zu machen, erlaubt sich der getäuschte Gatte, eine große Summe von dem früheren Liebhaber als Entschädigung anzunehmen.
Hierunter verstehe ich Marias Anlehen mit der Bürgschaft des Barons, die ich nach der Hochzeit gegenzeichnete.
Aber, was die illegitime Geburt der Tochter betrifft, so sehe ich nicht eine Spur von Analogie, denn meine Tochter wurde erst zwei Jahre nach der Hochzeit geboren.
Aber, wie? Das verstorbene Mädchen! Da bin ich auf der Fährte! Das verstorbene Kind, das uns zu der Heirat zwang, die sonst nicht stattgefunden hätte!
Für den Nachmittag bereitete ich eine große Scene vor, ich wollte Maria in ein Kreuzverhör nehmen, dem ich die Form einer Verteidigung für uns beide geben wollte; waren wir ja gemeinsam durch den Strohmann der Maskulinisten angegriffen, der sich für das saubere Geschäft hatte bezahlen lassen.
Als Maria ins Zimmer trat, begrüßte ich sie herzlich und bat sie, Platz zu nehmen.
– Was giebt es?
– Eine wichtige Angelegenheit, die uns beide sehr nahe berührt. Darauf gebe ich ihr den Inhalt des Stückes an, indem ich noch das Detail erfand, daß der Komödiant sich eine Maske gemacht hätte, die mir ähnlich war.
Sie schweigt und denkt über einen Plan nach, ist aber augenscheinlich erregt.
Nun beginne ich das Plaidoyer.
– Wenn sich das so verhält, dann sage es mir, und ich schwöre, Dir zu verzeihen, weil, wenn wirklich das gestorbene Mädchen von einem Anderen war, Du in Deinem Recht warst, da Du nur durch ein unbestimmtes Versprechen mit mir verbunden warst; Du konntest auch frei handeln, da Du von mir Nichts bekommen hast. Was den Helden des Dramas betrifft, so scheint es mir, daß er sich als ein Mann von Herz benimmt, der nicht fähig ist, die Zukunft seiner Tochter und seiner Frau zu beschmutzen, und in dem Gelde, das er als Zuschuß für die Tochter annimmt, sehe ich nur eine gebührende Entschädigung.
Sie hat aufmerksam zugehört, und dieser Geist, der im innersten Grunde bürgerlich ist, beißt auf den Köder an, ohne ihn ganz zu verschlingen. Nach der Windstille zu urteilen, die ihre von Gewissensbissen entstellten Züge aufhellt, scheint ihr die Feststellung ihres Rechts, über ihren Körper zu verfügen, weil sie kein Geld bekommen hat, zu genügen, auch den getäuschten Gatten läßt sie gelten, sie erachtet ihn als »ein edles Herz.«
Es gelingt mir nicht, ihr ein Geständnis zu entlocken, und ich fahre in meiner Rede fort, ich baue ihr eine goldne Brücke, um zu entwischen, verwerfe ihren Rat, Maßregeln zu treffen, um uns zu rehabilitieren, und schlage vor, unseren Roman zu schreiben, um uns vor der Welt und vor unseren Kindern zu reinigen.
Meine Rede hat eine ganze Stunde gedauert; sie hat währenddessen an meinem Tisch gesessen, außerordentlich aufgeregt, mit einem Federhalter gespielt, aber kein Wort gesprochen, abgesehen von einigen Ausrufen.
Beruhigt gehe ich spazieren und spiele eine Partie Billard. Als ich in mein Zimmer trat, saß Maria noch an ihrem Platze, unbeweglich wie eine Statue, zwei Stunden lang.
Als sie mich hört, blickt sie auf.
– War das eine Falle, die Du mir da gestellt hast, fragt sie.
– Keineswegs! Glaubst Du, daß ich, im Stande wäre, die Mutter meiner Kinder zu verlieren?
– Ich halte Dich zu Allem fähig, Du willst Dich meiner entledigen, wie damals, wo Du Herrn Y*** (Name eines noch nicht erwähnten Freundes) geschickt hast, um mich zu verführen, damit Du mich auf dem Ehebruch ertappen könntest.
– Wer hat Dir das gesagt?
– Anna!
Es war die angebliche Geliebte von Maria, die letzte Freundin vor unserer Abreise. Die Rache der Lesbierin!
– Und Du hast es geglaubt?
– Gewiß! Aber, siehst Du, ich habe Dich an der Nase geführt, ebenso wie Herrn X., euch alle beide.
– Du hast mich also mit einem Dritten hintergangen.
– Das sage ich nicht!
– Aber Du hast es zugestanden. Da Du uns Beide getäuscht hast, hast Du mich getäuscht. Ist das nicht logisch?
Wie eine Schuldige ereifert sie sich und verlangt Beweise!
Beweise!
Ich aber, der ich durch die Entdeckung einer Schandthat zu Boden geschmettert war, die alles an Bosheit übersteigt, was ich im menschlichen Herzen vermutet hatte, ich hänge den Kopf, ich falle auf die Kniee und flehe um Gnade.
– Und Du hast so etwas geglaubt! Du hast geglaubt, daß ich mich von Dir trennen wolle; ich, der ich der treue Freund war, der anhängliche Gatte, der ohne Dich nicht leben konnte! Du hast Dich über meine Eifersucht beklagt, Du hast gesehen, wie die Frauen mich verführen wollten, und daß ich sie vor Dir als schlechte Geschöpfe verklagte – und Du hast so etwas geglaubt!
Sie wird von Mitleid gerührt, und in augenblicklicher Aufrichtigkeit gesteht sie, daß sie es niemals geglaubt habe.
– Du hast mich doch aber getäuscht, gestehe es, und ich verzeihe Dir. Befreie mich von den finstern Gedanken, die mich beherrschen. Sage es!
Sie sagt Nichts, sondern beschränkt sich darauf, Herrn Y*** einen Lumpen zu nennen.
Mein intimster Freund ein Lump! Ich wünsche mir den Tod, das Leben ist mir unerträglich!
Während des Essens ist Maria mehr als zuvorkommend gegen mich, und als ich zu Bett gegangen war, besucht sie mich, setzt sich an mein Bett, drückt mir die Hände, küßt mir die Augen, und schließlich bricht sie in Thränen aus; sie ist ganz gebrochen.
– Du weinst, liebes Kind, sage mir doch, was Dich bekümmert, ich werde Dich trösten.
Sie bringt abgebrochene Worte vor, lobt mein edles Herz, meine Nachsicht, meine weitherzige Anschauung von dem Elend dieser Welt.
Welcher Gegensatz! Ich beschuldigte sie des Ehebruchs, und sie liebkost und rühmt mich.
Doch das Feuer ist angelegt, und der Brand bricht aus.
Sie hat mich betrogen. Ich muß also wissen, mit wem.
Die folgende Woche gehört zu den bittersten meines Lebens; ich liege in heftigem Kampfe mit angeborenen und ererbten Prinzipien, den Folgen unserer Erziehung; ich bin bereit, ein Verbrechen zu begehen. Ich bin entschlossen, die für Maria ankommenden Briefe zu erbrechen, um zu wissen, woran ich bin. Und trotz meines unbedingten Vertrauens, das ich ihr bewies, indem ich ihr gestattete, in meiner Abwesenheit die für mich bestimmten Briefe zu lesen, scheue ich doch vor dem Bruch mit jenem geheiligten Gesetz zurück, es ist dies die feinste Furcht des stillschweigenden Gesellschaftsvertrages, welcher die Verletzung des Briefgeheimnisses verbietet.
Doch ich kann der Versuchung nicht widerstehen, und eines Tages habe ich auch vor mir die Achtung verloren, ich halte einen erbrochenen Brief in der Hand und zittere, als wenn über meine Ehre das Todesurteil ausgesprochen worden wäre. Ich lese einen Brief der abenteuerlichen Freundin Nummer 1.
In spöttischem und verächtlichem Tone spricht sie über meinen Wahnsinn und bittet den lieben Gott, er möchte Maria gnädigst aus ihrem Unglück erlösen, indem er mir meinen gestörten Geist nähme.
Nachdem ich die schändlichen Stellen abgeschrieben, schließe ich das Kouvert, mit der Abendpost soll der Brief abgegeben werden. Im geeigneten Augenblick gebe ich meiner Frau den Brief und setze mich neben sie, um sie zu beobachten.
Als sie an die Stelle kam, wo von meinem erwünschten Tode die Rede ist, auf der zweiten Seite, lacht sie mit einem wilden Lachen.
Meine Angebetete sieht also einen Ausweg aus ihren Gewissensbissen nur durch meinen Tod. Ihre letzte Hoffnung, den Folgen eines Verbrechens zu entgehen, beruht darauf, mich sterben zu sehen. Nachher wird sie die Summe erheben, mit der mein Leben versichert ist, wird die Pension des berühmten Dichters einstreichen, sich wieder verheiraten oder nach Gefallen die galante Witwe bleiben. Die Angebetete!
Ich bin also ein zum Tode verurteilter, und ich will die Katastrophe beschleunigen, indem ich mich dem Absynth hingebe, der mich selig macht, und dem Billardspiel, das meinen heißen Kopf beruhigt.
Inzwischen tritt eine neue Verwickelung auf, die verhängnisvoller ist als alle früheren. Die litterarische Freundin, die so that, als ob sie mich lieb hätte, wird von Maria gewonnen; es entsteht eine so innige Liebe zwischen Beiden, daß wieder die bösen Reden hervorgerufen werden. Gleichzeitig wird die Kollegin der Freundin eifersüchtig, was die schlimmen Nachreden noch verstärkt. Eines Abends fragt mich Maria im Bett, von meinen Umarmungen ermattet, ob ich denn nicht Fräulein Z. liebte.
– Durchaus nicht! Dieses betrunkene Weib! Hältst Du das für möglich?
– Und ich bin ganz vernarrt in sie! Ist das nicht sonderbar? Ich fürchte mich sogar, mit ihr allein zu sein.
– Was willst Du denn von ihr?
– Ich weiß nicht! Sie küssen! Sie ist wirklich reizend ...
Acht Tage später hatten wir Freunde aus Paris mit ihren Frauen eingeladen; es waren Künstler ohne jeden Skrupel und ohne jedes Vorurteil.
Die Männer kommen, aber die Frauen bleiben fort, sie brauchen unbestimmte Ausflüchte, um uns nicht tötlich zu verletzen.
Darauf wird eine Orgie gefeiert, und das skandalöse Benehmen der Herren erregt mich bis ins Mark.
Die beiden Freundinnen von Maria werden wie Dirnen behandelt, und in der allgemeinen Trunkenheit bemerke ich, wie sich Maria mehrere Male von einem Lieutenant küssen läßt.
Ich verlange eine Erklärung und erhebe die Billard-Queue gegen die Unverschämten.
– Ach, ein Jugendfreund, ein Verwandter, entgegnet Maria. Mach Dich nicht lächerlich! Übrigens küßt man sich in Rußland sehr herzlich, und wir sind russische Unterthanen!
– Lüge! ruft mir ein Freund zu. Sie sind nicht verwandt! Lüge!
Ich bin nahe daran, einen Mord zu begehen, und nur der Gedanke, die Kinder ohne Vater und Mutter zu lassen, hält mich zurück.
Als ich mit Maria allein war, nehme ich sie vor:
– Dirne!
– Warum!
– Weil Du dich als Dirne behandeln läßt!
– Du bist eifersüchtig!
– Gewiß; ich bin eifersüchtig auf meine Ehre, auf die Würde der Familie, auf den Ruf meiner Frau, auf die Zukunft meiner Kinder. Und Du hast durch Deine schlechten Sitten bewirkt, daß wir aus der Gesellschaft anständiger Frauen verbannt sind! Sich öffentlich von einem fremden Mann umarmen lassen! Weißt Du auch, daß Du wahnsinnig bist, denn Du siehst nichts, hörst nichts, begreifst nichts und hast alle Gefühle von Pflicht von Dir geworfen. Ich werde Dich in ein Irrenhaus stecken, wenn Du Dich nicht besserst, und ich verbiete Dir den Umgang mit den Freundinnen. Hat denn nicht Fräulein Z., als sie, wie gewöhnlich, betrunken war, vor mir und Dir erklärt, sie würde zur Deportation verurteilt werden, wenn sie in der Heimat wäre.
– Aber Du erkennst ja keine Laster an!
– Wenn diese Fräuleins sich amüsieren, so berührt mich das nicht, weil es keine Consequenzen für meine Familie mit sich bringt. In dem Augenblicke jedoch, wo die besondern Umstände, wenn Du willst, uns Sorge bereiten, dann liegt eine uns schädigende Handlung vor. Für mich als Philosophen giebt es keine Laster, außer in dem Sinne von körperlichen oder psychischen Defekten. Und jetzt, wo die Deputiertenkammer in Paris über die Frage der widernatürlichen Laster verhandelt, sind alle bedeutenden Mediziner der Ansicht, daß das Gesetz sich in diese Dinge nicht mischen darf, außer in dem Falle, daß die Interessen der Bürger ernstlich gefährdet sind.
Ich hätte ebenso gut den Fischen predigen können als eine philosophische Vorlesung für dieses Weib halten, das nur seinen tierischen Instinkten folgte.
Aber da ich inbezug auf die umlaufenden Gerüchte im reinen sein wollte, schrieb ich an einen ergebenen Freund in Paris und bat ihn, mir alles zu sagen.
Er teilte mir offen mit, daß meine Frau, nach der feststehenden Ansicht der Skandinavier, sich der unerlaubten Liebe hingebe, und daß die beiden dänischen Fräuleins in Paris als Tribaden bekannt seien und Cafés besuchten, wo man der lesbischen Liebe huldigt.
Da wir in der Pension Schulden hatten und uns die weiteren Mittel fehlten, gab es keine Möglichkeit zu fliehen. Zu unserem Glück hatten die dänischen Fräuleins ein hübsches junges Mädchen aus dem Dorf entführt und sich dadurch den Haß der Dorfbewohner zugezogen, so daß sie gezwungen waren fortzuziehen. Aber ich wollte eine Bekanntschaft, die schon acht Monat dauerte, nicht so schroff auflösen, und da die jungen Mädchen aus guter Familie und wohlerzogen und meine Leidensgefährtinnen waren, wollte ich ihnen einen ehrenvollen Rückzug bereiten, und deshalb wurde in dem Atelier eines jungen Künstlers ein Abschiedsmahl bereitet.
Als beim Dessert wieder allgemeine Trunkenheit herrschte, erhebt sich Maria, von ihren Gefühlen fortgerissen, und mit dem Glas in der Hand singt sie ein Abschiedslied, das sie selbst nach der bekannten Mignon-Melodie gedichtet hatte.
Sie hatte mit Feuer und mit aufrichtigem Gefühl gesungen, ihre großen, mandelförmigen Augen schwammen in Thränen und spiegelten das Licht der Kerzen wieder, sie hatte ihr Herz weit geöffnet, und ich, ich war wirklich hingerissen. Sie hatte eine Naivetät, eine rührende Aufrichtigkeit, die jeden schlüpfrigen Gedanken fernhielt, denn das Weib besang das Weib! Und sonderbar, sie hatte weder das Gebahren noch den Ausdruck eines Mannweibes, nein, es war das lebende, zärtliche, geheimnisvolle, räthselhafte unfaßbare Weib. Und der Gegenstand dieser Liebe? Ein bizarres Ding, russischer Typus, männliches Gesicht, mit krummer, hängender Nase, dickem Kinn, gelben Augen, die Backen aufgeschwommen vom Trinken, mit flacher Brust, krallenartigen Fingern, kurz das abscheulichste Geschöpf, das man sich denken kann, und das sogar ein Stallknecht verschmähen würde.
Als das Lied zu Ende war, setzt sich Maria neben das Scheusal, welches aufsteht, ihren Kopf nimmt; und indem sie den Mund weit öffnet, verschlingt sie Mariens beide Lippen, die sie in ihren abscheulichen Rachen einschließt. Das ist wenigstens fleischliche Liebe, sage ich zu mir, und ich stoße mit der Russin an und mache sie total betrunken, sodaß sie schließlich auf die Knie fällt, mich mit verstörten Augen ansieht und sich gegen die Wand lehnend wie ein Blödsinniger lacht.
Noch niemals habe ich solche Scheuseligkeiten in menschlicher Form gefunden, und meine Ansichten von der Emanzipation der Frauen haben für die Zukunft feste Gestalt gewonnen.
Nach einem Skandal auf der Straße, wo die Malerin auf einem Steine saß und schrecklich heulte, war das Fest zu Ende, und am andern Tage verschwanden die Freundinnen.
Darauf muß Maria eine schreckliche Krise durchmachen, die dir wirklich Mitleid einflößt. Eine unaussprechliche Sehnsucht nach der Freundin hat sie ergriffen, sie leidet entsetzlich und bietet das Schauspiel einer unglücklich Liebenden dar. Sie geht allein im Walde spazieren, singt Liebeslieder, sie sucht den Ort auf, an denen die Freundin geweilt, kurz alle Symptome eines tief verwundeten Herzens zeigen sich, und ich fürchte schließlich für ihren Verstand. Sie ist unglücklich, und es gelingt mir nicht, sie auf andere Gedanken zu bringen. Sie weicht meinen Liebkosungen aus und stößt mich zurück, wenn ich sie küssen will, so daß mich schließlich ein tätlicher Haß gegen die abwesende Freundin erfaßt, die mir die Liebe meiner Frau raubt.
Und Maria verbirgt in ihrer Harmlosigkeit den Grund ihres Kummers durchaus nicht, indem sie ihre Klagen und ihren Liebesschmerz aller Welt kundgiebt. Es ist nicht zu glauben.
Während dieser Jammerzeit wird zwischen den Freundinnen eine eifrige Korrespondenz geflogen, und eines Tages lege ich, von Wut über mein unfreiwilliges Cölibat ergriffen, die Hand auf einen Brief der Freundin. Ein richtiger Liebesbrief! Mein weißes Hühnchen, mein Kätzchen, die verständige Maria, die Zarte mit den edlen Gefühlen, und daneben der rohe Gatte, der Dummkopf, der Blödsinnige! Und dann die Versuche zu entwischen, zu entführen! Da erhebe ich mich gegen die Nebenbuhlerin, und eines Abends, o du gütiger Gott, entspinnt sich im Mondschein ein wirklicher Zweikampf, sie beißt mir in die Hand, und ich schleppe sie an das Ufer des Flusses, um sie wie eine Katze zu ertränken, aber der Gedanke an meine Kinder bringt mich wieder zur Vernunft.
Ich bereite mich auf den Selbstmord vor, aber ehe ich sterbe, will ich mein Leben beschreiben.
Der erste Teil ist fertig, da verbreitet sich die Nachricht im Dorfe, daß die dänischen Fräuleins für den Sommer eine Wohnung gemietet hätten.
Auf der Stelle lasse ich die Koffer packen, und wir reisen nach der deutschen Schweiz ab.
*
Das heitere Land des Aargau ist ein Arkadien, wo die Heerden vom Postmeister zur Weide geführt werden, wo der Oberst die einzige Mietskutsche zur Stadt fährt, wo die jungen Mädchen noch den Wunsch haben, sich als Rosenjungfrauen zu verheiraten, wo die Burschen nach der Scheibe schießen und die Trommel schlagen, es ist das Schlaraffenland; das Land des gelben Bieres und der gesalzenen Würste, die Heimat des Kegelspiels, der Habsburger und des Wilhelm Tell, der ländlichen Feste, der einfachen herzlichen Lieder, der Pastorenfrauen und der geistlichen Idyllen.
In die erregten Geister kehrt die Ruhe wieder ein, ich lebe auf, und Maria, des Kampfes müde, hüllt sich in eine vollkommene Gleichgiltigkeit. Das Brettspiel wird als Blitzableiter im Hause eingeführt, die gefährliche Unterhaltung wird durch das Klappern der Würfel ersetzt, und das gute, beruhigende Bier tritt an Stille des Absynths und des aufregenden Weins.
Der Einfluß der Umgebung macht sich bemerkbar, und stundenlang staune ich darüber, daß das Leben nach so viel Stürmen so heiter sein kann, und daß der Geist elastisch genug ist, so vielen Erschütterungen Stand zu halten; ein völliges Vergessen der Vergangenheit tritt ein und ich träume, der glücklichste Gatte zu sein an der Seite des treuesten Weibes.
Da Maria keinen Umgang und keine Freundinnen mehr hat, kommt sie ihren Mutterpflichten nach, die Kinder tragen jetzt Kleider, welche ihre Mama zugeschnitten und genäht hat, und diese wird nicht müde, ihnen ihre ganze Zeit zu widmen. Doch sie fängt an, schwächer zu werden, die alte fröhliche Laune schwindet, und das reife Alter hält seinen Einzug. Welcher Kummer, da sie ihren ersten Schneidezahn verliert! Arme Maria! Sie weinte, drückte mich an ihr Herz und bat mich, ihr meine Liebe niemals zu entziehen. Sie hat ihr siebenunddreißigstes Jahr erreicht; die Haare lichten sich, der Busen senkt sich, wie die Wogen nach dem Sturm, die Treppen sind für den kleinen Fuß zu hoch, und die Lungen atmen schwer bei dem kleinsten Druck. Und dabei liebe ich sie noch mehr, da sie jetzt mir und uns allein gehört, obwohl ich mein Wiederaufblühen, meinen zweiten Frühling vor mir sehe, meine männliche Kraft wächst und meine Gesundheit blüht. Und so gehört sie endlich mir, sie muß, vor Verführung geschützt, unter meiner Obhut alt werden und wird fortan den Kindern ihr Leben opfern.
Die Zeichen ihrer Genesung machen sich in rührender Weise bemerkbar, und da sie sieht, welche Gefahr es ist, an einen jungen Mann von achtunddreißig Jahren verheiratet zu sein, so erweist sie mir die Ehre, eifersüchtig zu werden, sie fängt an, mehr auf ihre Toilette zu achten und vergißt nicht mehr, bei meinen nächtlichen Besuchen sich als vollkommenes Weib zu geben.
Es ist in Rücksicht auf meine rein monogamische Natur in der That keine Gefahr zu fürchten, und statt meine Lage zu mißbrauchen, thue ich mein Möglichstes, um ihr die grausamen Schmerzen der Eifersucht zu sparen, indem ich sie durch die Beweise meiner verjüngten Liebe beruhige.
*
Gegen den Herbst unternehme ich eine längere, dreiwöchentliche Reise. Maria hat noch immer die fixe Idee von meiner zerrütteten Gesundheit und bemüht sich, mir von meinem so gefährlichen Unternehmen abzuraten.
– Das wird Dir den Tod bringen, mein Kind!
Wir wollen einmal sehen.
Die Reise ist für mich Ehrensache geworden und soll eine Heldenthat sein, durch welche ich ihre Liebe für den Mann wieder zu beleben gedenke.
Ich kehre nach unglaublichen Beschwerden gestärkt, von der Sonne gebräunt, kräftig und blühend zurück. Sie blickt mich bewundernd und herausfordernd an; in ihrem Gesicht malt sich aber auch eine unangenehme Enttäuschung. Ich aber behandle sie als Geliebte und Frau, ich fasse sie um die Taille und mache von meinem Rechte Gebrauch, obwohl ich volle vierzig Stunden hintereinander gefahren war. Sie weiß nicht recht, welche Miene sie dazu machen soll; sie ist ganz erstaunt, sie fürchtet sich auch, mir ihre wahren Gefühle zu verraten, vielleicht hat sie Angst, daß der bezwingende Mann sich im Gatten erheben könnte.
Als ich wieder zu Sinnen gekommen war, bemerkte ich eine Veränderung in Marias Aussehen, und als ich nachforschte, entdeckte ich, daß sie falsche Zähne hat, welche sie jünger erscheinen lassen, und gewisse Einzelheiten in ihrer Toilette verraten eine beabsichtigte Koketterie, und als ich meine Nachforschungen fortsetze, stoße ich auf ein fremdes junges Mädchen von vierzehn Jahren, mit welchem Maria eine innige Freundschaft geschlossen hat. Sie küssen sich, gehen spazieren, baden, so daß ich eine Flucht für nötig halte.
Nunmehr wohnen wir in einer deutschen Pension am Vierwaldstätter-See.
Da kommt ein neuer Rückfall, und zwar ein gefährlicher.
Im Hause wohnt auch ein Lieutenant. Maria macht ihm den Hof, sie schieben Kegel und gehen im Garten spazieren, während ich arbeite.
An der Table d'hote glaube ich zu bemerken, daß die Beiden zärtliche Blicke wechseln, ohne sich zu unterhalten. Um ganz die Wahrheit zu sagen, es scheint mir, daß sie mit dem Auge ihre Liebe ausdrücken. Ich entschließe mich, sie sofort zu überführen, ich neige mich vor und sehe meiner Frau ins Gesicht. Ertappt läßt sie ihre Blicke an der Schläfe des Lieutenants vorbeigleiten und richtet sie auf die Wand, wo das Plakat einer Brauerei angebracht war. Da improvisiert sie stockend und verwirrt einen Einfall.
– Was ist das für eine Brauerei da?
– Du liebäugelst mit dem Lieutenant, antwortete ich.
Sie senkt den Hals, wie wenn dem Pferde das Mundstück angezogen wird, und schweigt bestürzt.
Eines Abends erklärt sie, sehr müde zu sein, sie giebt mir den Nachtkuß und verschwindet in ihrem Zimmer. Ich lege mich hin und lese noch, da höre ich plötzlich Maria unten im Salon, wo das Klavier steht, singen.
Ich stehe auf und gebe dem Dienstmädchen den Befehl, meine Frau fortzubringen.
– Sagen Sie, meiner Frau, daß sie sofort heraufkommen soll; sonst gehe ich hinunter und prügele sie vor den Leuten durch!
Maria kommt sofort herauf, sie ist schamrot, hat eine unschuldige Miene und fragt mich nach dem Grunde einer so sonderbaren Botschaft, die ihr die Gesellschaft von Fremden, unter denen auch Damen wären, verbiete.
– Das ist es nicht, was mich ärgert; es ist Deine Hinterlist, daß Du mich veranlassest, den Salon zu verlassen, um allein dort bleiben zu können.
– Nun gut, wenn Du durchaus willst, gehe ich schlafen!
Welche Unschuld, welche plötzliche Unterwürfigkeit! Was war vorgegangen?
Dem Herbst folgte ein schneereicher, trüber, einsamer Winter. Wir sind die Letzten in dieser bescheidenen Pension. Wegen der Kälte speisen wir in dem großen gemeinsamen Saal des Restaurants. Eines Morgens setzt sich ein Mann von starker Figur, anscheinend ein Diener, ziemlich hübsch für seinen Stand, an den Tisch, um ein Glas Wein zu trinken.
Maria, gemäß ihrer zügellosen Natur, fixiert alsbald den Gast, verfolgt die Linien seines Körpers und versinkt dann in Nachdenken. Der Gast geht fort, augenscheinlich durch eine so ehrende Aufmerksamkeit verwirrt.
– Ein hübscher Mann, ruft Maria aus, indem sie sich an den Wirt wendet.
– Es war mein früherer Portier, antwortet er.
– Wirklich? Er hatte ein stattliches Äußere, das in seinem Stande nicht gerade häufig ist. Wirklich ein hübscher Mann!
Und zum Erstaunen des Wirtes verbreitet sie sich über die Einzelheiten der männlichen Schönheit.
Am andern Tage sitzt der Portier bei unserem Eintritt bereits an seinem Platze. Er hat sich herausgeputzt, seinen Sonntagsstaat angelegt, Haare und Bart sorgfältig gepflegt und sieht aus, als ob er von seiner Eroberung Kenntnis erhalten hätte. Nachdem uns der Lümmel begrüßt und als Revanche einen graziösen Gruß von meiner Frau erhalten hatte, sitzt er da in seinem Bewußtsein, ein schöner Mensch zu sein.
Ist der hübsch!
Am nächsten Tage kommt er wieder mit dem Entschlusse, Feuer zu geben. Und mit richtigem Portiergeschick fängt er mit meiner Frau eine Unterhaltung an, voller Galanterie, wie man sie im Thorweg findet; er wendet sich direkt an meine Frau, ohne sich des gewöhnlichen Manövers zu bedienen, das darin besteht, den Ehemann zunächst für sich einzunehmen.
Es ist nicht zu glauben!
Aber, was ich weiß, ist, daß Maria in Gegenwart ihres Gatten und ihrer Kinder sich in eine Unterhaltung einläßt, wobei sie anmutig, anziehend und bezaubernd ist.
Ich versuche es noch einmal, ihr die Augen zu öffnen, und flehe sie an, ihren Ruf in Acht zu nehmen, das bringt mir die gewöhnliche Dosis von »schmutziger Phantasie« ein.
Da tritt eine zweite Schönheit in Gestalt des Tabakhändlers im Dorfe auf. Es ist ein dicker Kerl, bei dem Maria Kleinigkeiten einzukaufen pflegt. Er ist schlauer als der Diener und sucht mich zu gewinnen; er ist auch unternehmender. Beim erstenmal sieht er Maria in unverschämter Weise gerade ins Gesicht, dann sagt er mit lauter Stimme zum Wirt gewendet:
– Welch schöne Familie! O Gott!
Marias Herz fängt Feuer, und der Anbeter kommt alle Tage wieder.
Eines Abends ist er betrunken und infolgedessen kühn. Er kommt mit dem Brettspiel zu uns heran und, sich zu Maria neigend, bittet er um Erklärung der Geheimnisse des Spiels. Ich lasse ihm eine möglichst höfliche Andeutung zukommen, und er nimmt seinen Platz wieder ein. Maria besitzt aber ein feinfühliges Herz und glaubt sich verpflichtet, dem beleidigten Kaufmann eine Genugthuung zu gewähren, sie wendet sich an ihn und fragt ihn aufs Geratewohl!
– Spielen Sie Billard?
– Nein, gnädige Frau, oder doch sehr schlecht, mit Verlaub!
Darauf erhebt er sich und bietet mir eine Zigarre an. Als ich ablehne, wendet er sich an Maria mit seiner Einladung:
– Und Sie, gnädige Frau?
Zum Glück für sie, für den Tabakshändler und für die Zukunft meiner Familie lehnt sie mit dem Ausdruck schmeichelhaften Dankes ab.
Wie kam der Mensch dazu, einer Dame in einem Restaurant, in Gegenwart des Gatten eine Zigarre anzubieten?
Bin ich ein eifersüchtiger Narr, oder beträgt sich meine Frau so gemein, daß sie die Begehrlichkeit des ersten besten Mannes erweckt?
Nachher arrangiere ich in meinem Zimmer eine Szene, um die Nachtwandlerin aufzuwecken, die geraden Weg ins Verderben rennt, ohne es zu wissen. Ich präsentiere ihr einen Rechnungsabschluß, mache ihr eine Aufstellung ihrer alten und neuen Sünden und analysiere auch ihre unbedeutendsten Handlungen.
Schweigend, bleich, verwirrt hört sie mir bis zu Ende zu. Dann erhebt sie sich und geht hinunter, um schlafen zu gehen. Jetzt aber bringe ich es zum erstenmale in meinem Leben über mich zu spionieren, ich gehe die Treppe hinunter, stelle mich vor die Thür ihres Zimmers und blicke durchs Schlüsselloch.
Das Mädchen sitzt da, hell von der Lampe beschienen, sodaß ich sie deutlich sehen kann. Maria ist sehr aufgeregt und erzählt lebhaft von meinem ungerechten Argwohn, wie eine Angeklagte, die sich verteidigt. Sie wiederholt meine Ausdrücke, als wollte sie dieselben los werden, indem sie ausspie.
– Und dabei bin ich unschuldig! – Obgleich es an Gelegenheit zu sündigen nicht gefehlt hat. Er ist verrückt, es ist kein Zweifel, ich glaube, er will mich vergiften. Ich habe schon Schmerzen im Magen... Nein, ich glaube es nicht!... Ich muß nach Finnland fliehen, nicht wahr?... Aber es wird sein Tod sein, denn er liebt die Kinder...
Was bedeutet das alles, wenn es nicht Gewissensbisse waren? Aus ihren geheimen Schlupfwinkeln verjagt, ist sie von Schrecken erfaßt, und am Busen eines Weibes sucht sie Schutz! Ein verderbtes Kind, eine schändliche Verbrecherin, und vor allem eine Unglückliche.
Von Schmerzen gequält, bleibe ich die ganze Nacht wach. Um zwei Uhr fängt Maria im Traum an, schrecklich zu heulen – übrigens nicht das erste Mal – und von Mitleid ergriffen, klopfe ich an die Wand, um sie von den Schreckgebilden zu befreien.
Am Morgen dankt sie mir für mein Dazwischentreten; ich liebkose sie, ich beklage sie und frage, ob sie nicht einem Freunde beichten wolle.
– Was denn? – Nichts!
Wenn sie mir in diesem Augenblicke alles gestanden hätte, ich hätte ihr verziehen, so sehr rührten mich ihre Gewissensbisse, so sehr liebte ich sie trotzdem, und vielleicht infolge ihres Elends! Sie war eine Unglückliche! Und wie sollte ich gegen eine Unglückliche die Hand erheben!
Aber anstatt mich von meinen schrecklichen Zweifeln zu befreien, leistet sie heftig Widerstand, und sie ist bereits dahin angelangt, mich für verrückt zu halten, der Selbsterhaltungstrieb veranlaßt sie, eine Fabel zu erfinden, die Züge von der Wahrheit entlehnt hat; und das muß ihr ein Schild gegen die Gewissensbisse sein.
*
Gegen Neujahr gehen wir nach Deutschland, und am Bodensee machen wir Halt.
Als wir in Deutschland, dem Lande der Soldaten, angekommen waren, wo noch das Vaterrecht gilt, fühlte sich Maria mit ihren dummen Ansichten von den angeblichen Rechten der Frau ganz vereinsamt. Hier ist den jungen Damen der Besuch der Universitäten verboten, hier wird die Mitgift einer Offiziersfrau im Kriegsministerium niedergelegt, als unantastbares Familieneigentum, hier sind alle Staatsämter dem Manne, dem Versorger der Familie, vorbehalten.
Maria zappelt wie in einem Netz, und ihr erster Versuch, mich mit einem Kreis von Frauen zu umgeben, scheitert kläglich. Hier werde ich schließlich von der Partei der Frauen unterstützt, und meine arme Maria fliegt in den Sand. Ich trete in vertrauten Verkehr mit den Offizieren, ich erhole mich, und infolge der Anpassung nehme ich die guten männlichen Manieren an, der Mann in mir richtet sich nach zehnjähriger moralischer Entmannung wieder auf.
Gleichzeitig nehme ich meine gewöhnliche Haartracht wieder an und werfe die Pferdemähne von mir; meine Stimme, die durch die fortwährende Gewohnheit, eine nervöse Frau zu hätscheln, halb erloschen ist, gewinnt ihren sonoren Klang wieder, meine eingefallenen Backen werden voll, die ganze physische Verfassung entwickelt sich zu meinem Vorteil beim Herannahen der Vierzig.
Im vertrauten Verkehr mit den Damen des Hauses gewöhne ich mich daran, das Wort zu ergreifen, so daß Maria, die diesen Damen wenig sympatisch ist, ganz verlassen dasteht.
Jetzt fängt sie an, mich zu fürchten, und eines Morgens kommt sie, zum ersten Male während unserer Ehe, vollkommen angekleidet in mein Schlafzimmer und überrascht mich im Bett. Ich verstehe diese plötzliche Wandlung nicht recht, aber nach einer stürmischen Erklärung läßt sie mich erraten, daß sie auf das Mädchen eifersüchtig ist, welches jeden Morgen in mein Zimmer kommt, um Feuer zu machen. Gleichzeitig aber erklärt sie, daß ihr meine neuen Manieren nicht gefallen.
– Ich verabscheue die Männlichkeit, und ich fange an, Dich zu hassen, wenn Du Dich aufblähst.
Ja, es war der Page, der Salonhund, der Schwächling, ihr Kindchen, welchem sie ihre Liebe, so gering diese auch war, geschenkt hatte; das Mannweib konnte auch nicht den Mann im Gatten lieben, wenn sie ihn auch bei den andern anbetete.
Doch bin ich von den Damen sehr gern gesehen, und ich suche ihre Gesellschaft auf, sie umgeben mich stets mit jener echt weiblichen, bezaubernden Wärme, welche dem Mann achtungsvolle Liebe und unbedingte Ergebenheit einflößt; und diese widmet ein Mann nur den wirklich weiblichen Frauen.
Jetzt nun, wo von der demnächstigen Rückkehr in die Heimat die Rede ist, erwacht mein alter Argwohn wieder, und ich fürchte mich, den intimen Verkehr mit den alten Freunden wieder aufzunehmen, weiß ich doch nicht, wieviele Liebhaber unter ihnen sind. Um darüber ins Reine zu kommen, stelle ich eingehende Nachforschungen an. Schon vorher hatte ich meine Freunde in Schweden in Bezug auf die Gerüchte über die Untreue meiner Frau angefragt; ich erhielt natürlich keine aufrichtige Antwort.
Man empfindet Mitleid mit der Mutter, und Niemand kümmert sich um das Gespött, dem der Vater zum Opfer fällt.
Darauf lerne ich die neue psychologische Wissenschaft, die mit dem Gedankenlesen verbunden wird, anwenden, und bei unseren Abendgesellschaften führe ich in der Form eines Gesellschaftsspieles den Damen die Manipulationen von Bischof und anderen vor. Maria wird mißtrauisch, klagt mich als Spiritisten an, verspottet mich als abergläubischen Freidenker und überschüttet mich mit Schmähungen, um mich von meinem für sie gefährlichen Beginnen abzubringen.
Um sie hinters Licht zu führen, gebe ich scheinbar nach, ich gebe die hypnotische Kunst auf, fasse sie aber ganz unvermutet, als wir beide allein waren.
Eines Abends saßen wir beide im Eßzimmer einander gegenüber; nach und nach führe ich die Unterhaltung auf die Gymnastik, und nachdem ich sie soweit interessiert habe, daß sie sich fortreißen läßt, sei es durch die Macht meines Willens, sei es durch die Association der Ideen, die den von mir vorgezeichneten Weg nehmen müssen, kommt sie schließlich auf die Massage, und von da springen ihre Gedanken direkt auf die Schmerzen über, die die Massage verursacht, sie erinnert sich ihrer Besuche beim Arzt und sagt:
– Das Massieren thut weh, ich fühle noch die Schmerzen, wenn ich daran denke...
Da hatte ich sie gefaßt! Sie senkt den Kopf, um ihre Todesblässe zu verbergen, ihre Lippen bewegen sich, um von etwas anderem zu sprechen; die Augen sind halb geschlossen, ein schreckliches Stillschweigen tritt ein, das ich mich zu verlängern bemühe. Es ist der Gedankenzug, der von mir mit vollem Dampf in der gewollten Richtung geführt wurde, und den sie vergeblich zu bremsen versucht. Der Abgrund ist da, und die Maschine kann nicht stoppen. Mit einer letzten Anstrengung erhebt sie sich, entzieht sich meinen bannenden Blicken und verschwindet durch die Thür, ohne ein Wort zu sagen.
Nach einigen Minuten jedoch kommt sie zurück, das Gesicht ist wieder hell; sie will mir die wohlthätige Wirkung der Massage an meinem Kopfe zeigen, stellt sich hinter meinen Stuhl und kratzt mir den Kopf. Unglücklicherweise war gegenüber ein Spiegel, ich blicke verstohlen hinüber und gewahre ein totenbleiches, verstörtes Gesicht, ihre Augen forschen scheu in meinen Zügen und unsere prüfenden Blicke begegnen sich.
Da habe ich sie gefaßt.
Gegen alle Gewohnheit setzt sie sich auf meinen Schoß, umschlingt meinen Hals und erklärt, daß sie totmüde sei.
– Was hast Du denn Böses begangen, daß Du mich liebkosest, frage ich sie.
Sie verbirgt ihr Gesicht an meiner Brust, küßt mich und geht fort, indem sie mir gute Nacht sagt.
Es sind das keine Beweise, die vor dem Richter gelten würden, aber mir genügen sie, da ich ihre Art genau kenne.
*
Ich will nicht in die Heimat zurückkehren, wo meine Ehre Schaden leiden muß, da ich genötigt wäre, täglich mit Leuten zu verkehren, die ich in Verdacht habe, Liebhaber meiner Frau zu sein. Um nicht als getäuschter Gatte der Lächerlichkeit anheimzufallen, fliehe ich.
Ich reise nach Wien!
Als ich in meinem Hotel allein bin, verfolgte mich das Bild der einst Angebeteten, ich bin unfähig zu arbeiten, ich fange an zu korrespondieren und schreibe ihr schließlich täglich zwei Briefe, Liebesbriefe. Die fremde Stadt kommt mir wie ein Grab vor, und ich gehe in der Menge wie ein Leichnam umher. Bald aber beginnt meine Phantasie zu arbeiten, sie bevölkert diese Einöde, sie schafft eine Fabel, um meine Maria in diese tote Umgebung einzuführen. Ich bilde mir ein, Maria solle eine berühmte Sängerin werden, und um diesen Traum zur Wirklichkeit zu machen und die Schönheiten der Hauptstadt zu einem Hintergrunde für Maria umzubilden, besuchte ich den Direktor des Konservatoriums, und ich, der Blasierte, der das Theater verabscheut, ich bringe meine Abende in der Oper und in den Konzerten zu. Und indem ich alles, was ich sehe und höre, Maria berichte, erwacht ein lebhaftes Interesse an allem in mir. Wenn ich aus einer Oper komme, setze ich mich an den Schreibtisch und unterwerfe den Gesang, das Lied, das eine Sängerin gesungen, einer eingehenden Besprechung und stelle Vergleiche an, die alle zu Marias Gunsten ausfallen.
Dazwischen besuche ich die Gemäldegallerie, und überall sehe ich Maria. Im Belvedere stand ich eine Stunde vor der Venus des Guido Reni, welche in allem meiner Angebeteten glich, schließlich erfaßt mich ein Heimweh nach ihrem Körper, ich packe meine Koffer und kehre schleunigst zurück. Es ist klar, ich bin von diesem Weibe verzaubert, und es giebt kein Mittel, ihr zu entrinnen.
Welch' schöne Heimkehr! Es scheint, daß meine Liebesbriefe Maria entflammt haben, sie erwartet mich im kleinen Garten, ich küsse sie innig, nehme ihren Kopf in meine Hände und sage:
– Verstehst du denn die Magie, kleine Zauberin? – Ah! wolltest wohl entwischen?
– Es war ein Fluchtversuch, ja! Aber Du bist stärker als ich, und ich ergebe mich.
Als ich in mein Zimmer komme, finde ich eine blühende Rose auf meinem Tisch.
– Du liebst mich also ein wenig, Du Gräuel!
Sie thut schüchtern wie ein junges Mädchen, sie wird rot, und es ist um mich geschehen, um mein Ehrgefühl, um meine Kraft, mich der Ketten zu entledigen, deren Fehlen ich nicht mehr ertragen kann.
Einen ganzen Monat verbringen wir in vollem Frühlingszauber, in einem ungetrübten Liebesleben, wir singen Duette mit Klavierbegleitung, wir üben das Brettspiel, und damit sind die schönsten Tage, die wir in den letzten fünf Jahren genossen, zu Ende. Welcher Frühling zur Herbsteszeit! Wir dachten gar nicht daran, daß der Winter herankomme.
*
Nun zappele ich wieder im Netz; Maria ist sicher, daß sie mich wieder bezaubert hat, und sie kehrt zu ihrer früheren Gleichgültigkeit zurück. Sie kleidet sich wieder nachlässig und macht sich nichts daraus, ohne ihre falschen Zähne zu erscheinen, trotz meiner Ermahnungen; ich sehe voraus, daß hieraus ungewollt ein Erkalten unserer Beziehungen entspringen wird. Ihre Leidenschaft für ihr Geschlecht bricht mit neuer Gewalt hervor, sie ist diesmal gefährlicher, da sie sich auf Minorenne richtet.
Ich hatte einen Officier und seine vierzehnjährige Tochter, sowie unsere Wirtin, ihre fünfzehnjährige Tochter und ein drittes gleichaltriges Mädchen zu einer einfachen Abendgesellschaft eingeladen, bei der musiziert und getanzt werden sollte.
Gegen Mitternacht bemerke ich zu meinem größten Schrecken, daß Maria halbtrunken die Mädchen um sich versammelt hat, sie wirft ihnen gierige Blicke zu und küßt sie mit jenem Pferdeschmatzen, das ich damals kennen gelernt habe, wo sie die lesbischen Lieder sang.
Der Officier beobachtet sie von einer Ecke aus und ist nahe daran loszubrechen. Ich sehe schon im Geiste das Gefängnis, die Zwangsarbeiten und den unausbleiblichen Skandal; ich trete in die Gruppe der jungen Mädchen und treibe sie auseinander, indem ich sie zum Tanzen einlade.
Als wir in der Nacht allein waren, nehme ich Maria vor, und die stürmische Auseinandersetzung dauert bis zum Morgen. Da sie zu viel getrunken hat, enthüllt sie ihr Inneres wider Willen, und schreckliche, ungeahnte Dinge kommen zum Vorschein.
Vom Zorn fortgerissen, wiederhole ich alle Beschuldigungen und füge eine neue hinzu, die ich selbst übertrieben finde.
– Und wegen dieser geheimnisvollen Krankheit, sage ich, die mir ein Kopfleiden verschafft hat...
– Du Elender, Du meinst, daß ich Dich angesteckt habe...
Ich hatte gar nicht daran gedacht, denn ich wollte die Symptome für eine Cyankalivergiftung angeben. In diesem Augenblick blitzt eine Erinnerung in mir auf, es fällt mir ein Vorfall ein, der mir damals so ganz unerklärlich war, daß er mir nicht im Gedächtnis haften blieb. Jetzt aber wird mein Argwohn aufs höchste gesteigert. Warum diese Verteidigung, die einer Anklage gleichkommt? Mein Argwohn paßt auch zu einer Stelle in einem anonymen Briefe, den ich nach dem Prozeß erhielt; darin wird Maria »die Dirne von Soedertelje« genannt.
Was sollte das bedeuten? Verfolgen wir einmal die neuen Spuren.
Zur Zeit, als der Baron, ihr früherer Gatte, Maria in Soedertelje kennen lernte, war sie so gut wie verlobt mit einem Lieutenant, von dem man wußte, daß sein Körper verwüstet war. Der arme Gustav, der als Retter begrüßt wurde, hätte also die Rolle des Hintergangenen gespielt; das konnte man auch aus Marias lebhafter Dankbarkeit entnehmen, die bei Gelegenheit der Scheidung zu Tage trat, denn damals gestand sie, daß sie durch ihn von Gefahren befreit worden sei, die sie nicht näher bezeichnete. Aber die Dirne von Soedertelje! Und die Abgeschlossenheit, in der die jungen Eheleute lebten, fern von allen Beziehungen, niemals in der Gesellschaft eingeladen, geächtet von den Kreisen, aus denen sie stammten!
Hatte vielleicht Marias Mutter, eine frühere Erzieherin, die aus einer bürgerlichen Familie stammte, den finnländischen Baron, Marias Vater, verführt? Hatte vielleicht nach dem Zusammenbruch, nachdem sie wegen Schulden nach Schweden geflohen war, die Wittwe in ihrem verborgenen Elend sich so weit erniedrigt, daß sie ihre Tochter verkaufte?
Dieses alte Weib, eine Kokette von sechzig Jahren, flößt mir eine große Abneigung ein, in die sich aber auch Mitleid mischt; sie hat das Benehmen einer Abenteuerin, sie ist habgierig und genußsüchtig, sie betrachtet die Männer als geeignete Ausbeutungsobjekte, sie ist eine wahre Männerverderberin; sie hatte mir spitzbübischer Weise ihre Schwester vermacht und einen Schwiegersohn, den Baron, durch eine angebliche Mitgift angelockt, die sie herbeischaffte, indem sie ihre Gläubiger betrog.
Arme Maria! Aus dieser befleckten Vergangenheit stammten also ihre Gewissensbisse, ihre Unruhe und ihre trüben Gedanken. Und wenn ich an die jüngsten Vorkommnisse dachte, konnte ich mir die erregten Zänkereien zwischen Mutter und Tochter wohl erklären; ich dachte an die vorgefallenen Ereignisse und an die rätselhaften Geständnisse von Maria, die es manchmal unwiderstehlich dazu trieb, der Mutter an die Kehle zu springen.
Wollte sie sie zum Schweigen bringen? Wahrscheinlich! denn »sie hatte gedroht, zwischen mir und Maria einen Bruch herbeizuführen, indem sie Alles aufdeckte«.
Und Marias Antipathie gegen diese Mutter, die von Gustav mit dem Titel »Luder« belegt worden war. Und das war nur hervorgerufen durch das unbestimmte Geständnis, daß sie alle Kunst der Koketterie angewandt hätte, um einen Mann zu ködern.
Alles dies läßt in mir den unabänderlichen Entschluß reifen, um jeden Preis zu fliehen. Ich reise nach Kopenhagen ab, um alle möglichen Nachrichten über das Weib zu sammeln, dem ich meinen Namen für die Zukunft überantwortet hatte.
*
Nach einer Abwesenheit von mehreren Jahren komme ich wieder mit Landsleuten zusammen, und ich bemerke, daß ich durch die eifrigen Bemühungen Marias und ihrer Freundinnen einer feststehenden Meinung über mich begegne.
Sie ist zu einer heiligen Märtyrerin geworden, und ich bin der Verrückte, der eingebildete Hahnrei!
Es ist, um die Wände emporzuklettern! Man hört mich an, man lächelt wohlwollend, und man betrachtet mich wie ein wunderbares Tier. Ohne auch nur ein Körnchen von Aufklärung erhascht zu haben, da ich von aller Welt im Stich gelassen bin, am meisten von den Mißgünstigen, für die mein Untergang das einzige Mittel ist emporzukommen, kehre ich in mein Gefängnis zurück, und Maria empfängt mich mit einer so sichtbaren Todesangst, das diese allein mir mehr Aufklärung bringt als die lange Reise.
Noch zwei Monate lang trage ich meine Ketten, dann entfliehe ich zum vierten Male, und zwar nach der Schweiz, aber meine Kette ist nicht aus Eisen, so daß man sie zerbrechen könnte, sondern aus elastischem Kautschuk, und jemehr er sich dehnt, desto stärker zieht er mich zurück. Ich kehre noch einmal zurück, und sie verachtet mich ernstlich, sie verabscheut mich, weil sie überzeugt ist, daß eine Flucht für mich der Tod ist, ihre einzige Hoffnung.
Zu dieser Zeit werde ich krank und glaube dem Tode nahe zu sein; ich bin entschlossen, einen Bericht über die ganze Vergangenheit aufzusetzen. Da ich nun entdeckt habe, daß ich von einem Vampyr hintergangen bin, will ich leben, mich von dem Schmutze reinigen, mit dem diese Frau mich beworfen hat, dann ins Leben zurückkehren, um mich zu rächen, nachdem ich die Beweise für ihre Täuschung gesammelt.
*
Jetzt steigt in mir ein Haß auf, der verhängnisvoller ist als die Gleichgiltigkeit, weil er die Kehrseite der Liebe ist; ich möchte das so formulieren: ich hasse sie, weil ich sie liebe. Und an einem Sonntag, als wir in einem Bosquet saßen, entlud sich das elektrische Fluidum, das sich seit zehn Jahren angesammelt hatte, bei einem unbedeutenden Anlasse. Und zum ersten Male schlage ich sie. Ein Hagel von Ohrfeigen fällt auf ihr Gesicht nieder, und wenn sie versucht, Widerstand zu leisten, drücke ich sie zu Boden. Sie stößt ein furchtbares Geschrei aus, und die augenblickliche Befriedigung, die ich empfand, verwandelt sich in Schrecken, als die Kinder, außer sich vor Angst, entsetzlich zu schreien anfangen. Eine Frau, eine Mutter schlagen, das ist eine Schändung, ein Mord, ein Verbrechen wider die Natur! Und nun erst die Kinder! Es kommt mir vor, als ob die Sonne sich hinter den Wolken verberge, und das Leben ekelt mich an. Trotzdem aber zieht Ruhe, wie nach einem Sturm, und Zufriedenheit, wie nach der Erfüllung einer heiligen Pflicht, in mein Gemüt ein. Ich bedaure, aber ich bereue nicht. Wie die Ursache, so die Wirkung. Abends geht Maria im Mondschein spazieren. Ich gehe ihr entgegen und umarme sie. Und sie stößt mich nicht zurück, sie bricht in Thränen aus. Nach einer Auseinandersetzung begleitet sie mich in mein Zimmer, wo das Spiel der Liebe bis zur Mitternacht dauert.
Welch' sonderbares Eheleben! Ich habe sie Mittags geschlagen, und in der Nacht schlafen wir bei einander!
Welch' sonderbares Weib! Sie küßt den Henker!
Hätte ich das gewußt, so hätte ich sie vor zehn Jahren geschlagen, und ich wäre heute der glücklichste Ehemann.
Mögen die betrogenen Männer sich das wohl merken!
Aber sie sinnt auf Rache. Einige Tage später besucht sie mich in meinem Zimmer, beginnt das Vorspiel, und nach unzähligen Umschweifen gesteht sie, daß sie ein Mal, ein einziges Mal vergewaltigt worden sei, und zwar während ihrer Reise nach Finnland.
Meine Vermutung hat sich also bestätigt!
Dann bittet sie mich, ja nicht zu glauben, daß es mehrmals geschehen, und vor allem nicht zu argwöhnen, daß sie einen Liebhaber hätte.
Das heißt also: mehrere Male und mehr als einen Liebhaber!
– Du hast mich also hintergangen, und um die Welt zu täuschen, hast Du das Märchen von meiner Verrücktheit erfunden. Und um Dein Verbrechen zu verdecken, wolltest Du mich zu Tode quälen. Du bist eine Verbrecherin! Ich will Scheidung.
Sie fällt auf die Knie und weint heiße Thränen, indem sie mich um Verzeihung bittet.
– Ich verzeihe Dir und lasse mich von Dir scheiden! Am andern Tage ist sie ruhig, am nächsten hat sie sich erholt, und am dritten Tage nimmt sie die Miene einer Unschuldigen an:
– Da ich so offenherzig war, alles einzugestehn, habe ich mir nichts vorzuwerfen!
Sie ist mehr als unschuldig, eine Märtyrerin, die mich mit beleidigender Herablassung behandelt.
Sie hat keine Ahnung von den Folgen ihres Verbrechens, und sie begreift das Dilemma nicht, in welchem ich mich befinde. Ob ich nun ein Hahnrei bleibe zum Gespötte der Welt, oder ob ich abreise, das Unglück ist da, und ich bin ein verlorener Mann.
Zehnjährige Qualen gegen eine Anzahl Ohrfeigen und einen thränenreichen Tag, das ist keine Gerechtigkeit.
Und zum letzten Male entfliehe ich, da mir der Mut fehlt, den Kindern Lebewohl zu sagen.
An einem Sonntag Mittag bestieg ich in Konstanz das Dampfschiff, ich wollte meine Freunde in Frankreich aufsuchen und sofort den Roman dieser Frau schreiben, die der richtige Typus für die Epoche der Geschlechtslosen ist.
Da erscheint im letzten Augenblick Maria mit Thränen in den Augen, aufgeregt, fieberhaft und zum Unglück so hübsch, daß sie einem den Kopf verdrehen muß. Ich bleibe kalt und stumm, ich empfange ihre heuchlerischen Küsse, ohne sie zu erwidern.
– Sage doch, daß wir Freunde sind, ruft sie mir zu.
– Feinde für die kurze Zeit des Lebens, die mir noch bleibt!
Und so muß sie davongehen!
Und als das Schiff abfährt, sehe ich sie am Quai umherirren, sie versucht noch, mich durch die magische Gewalt ihrer Blicke zurückzuhalten, die mich durch so viel Jahre getäuscht haben; sie läuft hin und her wie ein verlaufener Hund, die scheußliche Hündin! Ich erwartete, wie sie ins Wasser springen würde, ich wollte dann nachspringen und uns beide in einer letzten Umarmung ertränken. Doch sie wendet den Rücken und verschwindet in einer Gasse. Sie hinterläßt nur den Eindruck ihrer bezaubernden Gestalt und ihrer kleinen Füße, die ich zehn Jahre lang auf meinem Nacken gefühlt habe, ohne auch nur ein einziges Mal in meinen Schriften aufgeschrieen zu haben; habe ich doch das Publikum getäuscht, indem ich die wirklichen Unthaten dieses Scheusals verheimlichte, das ich bis dahin in meinen Gedichten verherrlicht hatte.
Um mich gegen die Sehnsucht zu wappnen, gehe ich sofort in den Salon hinunter und setze mich an die Table d'hôte; aber bei der ersten Schüssel überwältigen mich die Thränen, und ich bin genötigt, wieder aufs Verdeck zu gehen.
Ich sehe den grünenden Hügel und darauf das weiße Häuschen, in welchem meine Kleinen wie in einem zerstörten Nest ohne Schutz, ohne Lebensmittel hausen, ich empfinde einen stechenden Schmerz, und das Herz krampft sich mir zusammen.
Ich komme mir vor wie die Puppe eines Seidenspinners, aus dem die Dampfmaschine die Seide herauszieht, und bei jeder Bewegung des Kolbens werde ich leerer, und die Kälte nimmt in dem Maße zu, wie der Faden sich verlängert.
Es ist der Tod, der naht!
Ein wie einheitlicher und lebensvoller Organismus ist doch die Familie! Ich habe es vorher zur Zeit der ersten Scheidung unbewußt empfunden, als ich vor dem Verbrechen zurückschreckte und die Gewissensbisse mich fast töteten. Und sie, die Ehebrecherin, die Mörderin, schreckte nicht davor zurück!
Von Konstanz fuhr ich mit der Bahn nach Basel. Was für ein Sonntag Nachmittag!
Wenn es einen Gott giebt, so möchte ich ihn bitten, selbst meine schlimmsten Feinde vor solchen Stunden des Leids zu bewahren!
Jetzt rüttelt mir die Lokomotive die Gedärme, die Gehirnlappen, die Nerven, die Blutgefäße, die Eingeweide, sodaß ich ausgeleert wie ein Gerippe in Basel ankomme.
In Basel ergreift mich eine plötzliche Wut, alle Orte in der Schweiz wiederzusehen, wo wir geweilt haben, um mich mit Erinnerungen an sie und an die Kinder zu sättigen.
Ich verbringe eine Woche in Genf, in Anchy, von einem Hotel ins andere getrieben, ohne Ruh und Rast, ich irre umher wie ein Verurtheilter, wie der ewige Jude, ich verbringe meine Nächte mit Weinen und rufe mir das Bild meiner Lieben in das Gedächtnis zurück, ich besuche die Orte, die sie besucht haben, und werfe am Ufer des Genfer Sees den Möven, die meine Kinder so gern hatten, Brod zu.
Alle Tage erwarte ich einen Brief von Maria; aber vergebens. Sie ist zu schlau, als daß sie ihrem Feinde geschriebene Beweise in die Hände gäbe; und ich schreibe täglich mehrere Liebesbriefe, in denen ich ihr vollkommen verzeihe; aber ich schicke sie nicht ab.
Wahrhaftig, meine Herren Richter, wenn ich Anlage zum Wahnsinn gehabt hätte, so versichere ich Ihnen, daß er in jenen Stunden der Trostlosigkeit und des Elends ausgebrochen wäre.
Meine Widerstandskraft ist zu Ende, und ich fange an, mir Einbildungen zu machen; ich bilde mir ein, daß Marias Geständnis eine Falle war, um sich meiner zu entledigen und mit einem anderen, dem geheimnisvollen, unbekannten Liebhaber wieder anzufangen, schlimmstenfalls auch als Liebhaberin, als dänische Tribade! Ich sehe meine Kinder unter der Hand eines Stiefvaters, oder unter den Klauen einer »Stiefmutter«, welche sich von dem Ertrage meiner gesammelten Werke mästet.
Da erwacht mein Selbsterhaltungstrieb wieder, und ich nehme zu einer List meine Zuflucht. Da es für mich unumgänglich nötig ist, bei meiner Familie zu leben, um schreiben zu können, so beschließe ich zurückzukehren und bis zur Vollendung meines Romans dort zu bleiben, will aber gleichzeitig genaue Daten über Marias Verbrechen sammeln. So bediene ich mich ihrer, ohne daß sie es argwöhnt, und sie wird das Werkzeug meiner Rache, das ich nach dem Gebrauch fortwerfe.
Zu diesem Zwecke sende ich ihr eine kurze, von Empfindsamkeit freie Depesche, worin ich ihr die Zurückweisung unserer Scheidungsklage melde; ich gebe vor, daß sie gewisse Schriftstücke unterzeichnen müsse, und ich fordere sie auf, nach Romanshorn diesseits des Bodensees zu kommen.
Nun lebe ich wieder auf, ich fahre am folgenden Tage ab und komme zur rechten Zeit an. Die Leiden einer Woche sind vergessen, das Herz schlägt wie gewöhnlich, die Augen glänzen, die Brust dehnt sich, sobald ich die Hügel auf dem anderen Ufer sehe, wo sich meine Kinder befinden, das Schiff kommt an, aber Maria sehe ich nicht. Endlich kommt sie aufs Verdeck, das Gesicht vergrämt, um zehn Jahre gealtert. Welcher Schlag für mich, die junge Frau in eine Alte verwandelt zu sehen! Der Gang ist schleppend, die Augen von Thränen gerötet, die Wangen eingefallen, das Kinn hängend!
Jetzt empfinde ich nur noch Mitleid, und dieses drängt alle Gefühle der Abneigung und des Hasses zurück; ich bin bereit, sie mit offenen Armen aufzunehmen; aber da weiche ich plötzlich zurück, richte mich auf und nehme die Miene eines Burschen an, der zu irgend einem Rendez-vous kommt. Ein Gedanke durchzuckt mein Hirn, als ich Maria in der Nähe betrachte, die in diesem Augenblick eine frappante Ähnlichkeit mit ihrer dänischen Freundin zeigte; in allem ähnelt sie ihr, das Aussehen, die Haltung, die Gebärden, die Haartracht, der Gesichtsausdruck! Sollte vielleicht die Tribade mir diesen Streich gespielt haben? Sollte Maria direkt aus den Armen ihrer Liebhaberin kommen?
Was diese Vermutung bestätigt, ist die Erinnerung an zwei Vorfälle im Anfang dieses Sommers. Zuerst hatte ich sie überrascht, wie sie einen Gastwirt in der Nähe unserer Wohnung fragte, ob er noch Platz in seiner Pension hätte.
Für wen, für was?
Dann hatte sie die Erlaubnis ausgewirkt, alle Abend in ein benachbartes Haus gehen zu dürfen, um Klavier zu spielen.
Ohne daß ich daraus zwingende Beweise bilden konnte war ich doch in Rücksicht auf diese Einzelheiten entschlossen, auf der Lauer zu liegen, und indem ich Maria nach dem Hotel führte, wiederhole ich mir die Rolle, die ich zu spielen hatte.
Sie erklärt, daß sie sehr leidend sei, trotzdem aber bewahrt sie ihre Kaltblütigkeit, sie stellt mir klare und richtige Fragen über das Scheidungsverfahren; sie legt die Leidensmiene ab und behandelt mich so hochfahrend wie möglich, da mein Benehmen keine Spur von Mitleid zeigte. Und während ihrer Fragen erinnerte sie mich so sehr an die Freundin, daß ich versucht war, offenes Spiel zu spielen und sie zu fragen, wie es Fräulein Z. ginge. Sie hatte außerdem eine tragische Pose, die mir sehr auffiel, – die Freundin wendete sie oft an – dazu eine eigenartige Bewegung mit der Hand, die auf den Tisch gestützt war.
Inzwischen hatte ich ihr berauschenden Wein zu trinken gegeben, den sie mit vollen Zügen trank, sodaß sie bald umsank. Da benutzte ich die Gelegenheit um sie nach den Kindern zu fragen. Sie brach in Thränen aus und gestand, daß sie die schlimmste Woche ihres Lebens verbracht hätte, da sie anhören mußte, wie die Kinder von Morgens bis Abends Papa riefen; sie glaube nicht imstande zu sein, ohne mich zu leben. Und da sie bemerkte, daß der Trauring an meinen Ringfinger fehlte, bekam sie einen gewaltigen Schreck.
– Wo ist Dein Trauring, fragte sie.
– Ich habe ihn in Genf verkauft, und für das Geld bin ich zu einem Frauenzimmer gegangen, um wenigstens in einem gewissen Grade ein Gleichgewicht herzustellen.
Sie erbleicht!
– Da wir nun quitt sind, stottert sie, können wir ja von vorn anfangen.
– Das heißt nun bei Dir Ausgleichung! Du hast Dich in eine Handlungsweise eingelassen, welche verderbliche Folgen für die Familie mit sich bringt, weil Zweifel an der Legitimität der Kinder daraus entstanden sind. Und so hast Du das Verbrechen begangen, die Zukunft einer Rasse zu zerstören; Du hast das Leben von vier Menschen geknickt, Deiner drei Kinder von zweifelhafter Geburt und Deines Gatten, der als hintergangener Ehemann ein Gespött der Welt ist. Was hat meine Handlungsweise für Folgen? Gar keine.
Sie weint, und ich schlage ihr vor, das Scheidungsverfahren seinen Gang gehen zu lassen; sie solle als meine Geliebte in meinem Hause bleiben, und ich wollte die Kinder nach meinem Tode adoptieren.
– Ist das nicht die freie Vereinigung, von der Du geträumt hast, Du, die Du die Ehe verfluchtest?
Sie überlegte einen Augenblick, aber die Sache widerstrebt ihr.
Und wie? Du hast mir doch gesagt, daß Du die Absicht hättest, eine Stelle als Erzieherin in einem Hause bei einem Witwer anzunehmen! Ich bin der Witwer, den Du wünschest!
– Das muß überlegt werden; dazu brauche ich Zeit! Und Du kommst inzwischen zu uns zurück?
– Wenn Du mich aufforderst!
– Komm nur!
Und ich kehre zum sechstenmale zurück, aber jetzt fest entschlossen, die Frist zu benutzen, meine Erzählung zu vollenden und Rache zu üben.
*
Die Geschichte ist zu Ende, Geliebte; ich habe mich gerächt, und wir sind quitt!