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Nahe an hundert Jahre waren vergangen, seit Ingolstadt, das Raubschlößlein, sich den mannhaften Rothenburger Bürgern und Bauern hatte geben müssen. Mit Schirm und Leitern, Beil und Pickel, Seil und Tartschen und was zu solchem Handel gehört, waren sie herangezogen und eingedrungen, ehe die weinschweren Köpfe der Edlen drinnen sich klärten, die Köpfe Wilhelm von Elms, des acht Schuh langen, raublustigen Burgherren, und seines Genossen Peter Pfeil, von dem das alte Volkslied klagte:
»Peter Pfeil war ein Schalk so groß! Kein' Bosheit ihn je nie verdroß, Zu reiten und zu laufen! Bürger und Bauern warf er so viel, Als wollt' er Kälber kaufen!«
In den folgenden Versen hielt noch das Landvolk der Umgegend die Erinnerung an den glücklichen Ausgang des Abenteuers wach:
»Die Bauern schoben zween Wägen hinan. Dahinter stund manch stolzer Mann, Die konnten gar frischlich schießen! Wilhelm von Elm und Peter Pfeil Tut das gar hart verdrießen!
Wilhelm von Elm an die Leitern trat – Er zu Hansen Kreglingen sprach: Nimm du mich gefangen! Ich und meine Gesellschaft Haben's gar großes Verlangen!«
Sein Verlangen ward erfüllt. Aber nicht zum Vorteil des Riesen. Auf dem Marktplatz zu Rothenburg hieb man ihm eilends das Haupt ab und ebenso seinen festen Gesellen vom Adel, dem Klingenburg und dem Greusing, dem Hutten und dem Ursprung, und schlug zur ewigen Erinnerung an die seltsame Länge des Gerichteten in Höhe von acht Fuß eine Eisenklammer an das Galgentor der guten Stadt, ehe man auch Peter Pfeil mit drei Knechten ihrem Herren nachschickte. Das Schlößlein aber sank in Schutt und Asche. Seine Wassergräben versiegten und wandelten sich in raschelndes Röhricht, in seinen geschwärzten Mauern grünte der Wald, und um den Burgfried lärmte das Raubvolk der Raben. So träumten die Trümmer dahin, Jahr um Jahr, ein Jahrzehnt nach dem anderen, in Sonne und Regen langsam zerbröckelnd und zerfallend, eine verrufene Stätte, an der zur Nachtzeit ungern nur ein sich bekreuzigender Wanderer vorüberschlich. – –
Und nun plötzlich füllte wie vor hundert Jahren der Lärm der Waffen die stillen, grasübersproßten und vom Brombeergerank überwucherten Mauern. Aber die Zeiten hatten sich geändert; die damals die Burg zerstörten, die freien Bauern aus dem Taubergrund, die suchten jetzt in den Ruinen Schutz, und statt der paar vom Adel, die sie damals innen überfallen, ritt es jetzt hundertfach und tausendfach mit wehenden Büschen und blitzenden Schwertern über die Gefilde heran. Denn rasch hatte sich überall die Runde von der Einkreisung der schwarzen Schar auf dem Schlachtfeld verbreitet und die Reisigen von der Verfolgung der Bauern ihre Rosse nach Ingolstadts Trümmerwerk zurückwenden lassen.
Das Fußvolk samt dem groben Geschütz war noch in weiter Ferne. Nur ein paar Falkonette kläfften gegen die Mauern und hatten an einer ohnedies schon halb zusammengesunkenen Stelle ein handliches Loch von zehn, zwölf Fuß hineingebissen. Dahinter freilich waren die Geyerschen unverzagt bei der Arbeit. Man sah, wie sie als geübte Kriegsleute Steine herbeitrugen und Terrassen aufwarfen, um den drohenden Sturm zu bestehen. Und hinter den auf dem Mauerkranz nickenden Waldbüschen blitzte es ununterbrochen in die zornig und kampfgierig gleich ratlosen Hatzrüden auf und nieder reitenden Ritterschwärme.
»Sie schießen so feindlich heraus,« schrie, neben seinem sich mit der Steinkugel im Leibe wälzenden Gaule stehend, Diepolt vom Steyn, »als stünd' keine Sorge ihnen da an ihrem Verlust.« Und von innen klang es dumpf dawider: »Heran, heran! wir begehren weder Gnad' noch Fried'!«
Der graue Graf Montfort schüttelte grimmig die Eisenfaust, daß die Fingernetze klirrten. »Sollen wir auf die Landsknechte warten«, knirschte er, »und auf die langen Stücke! Flugs, ihr Herren! Wir wollen zum Sturme antreten!«
»Das Tor ist wohl verwahrt!« warnte neben ihm unter dem Visier eine hohle Stimme. »Sie vermeinen nicht mit Unrecht, sich darin zu erhalten.«
Zorniges Gelächter antwortete ihm. »Herab vom Pferde, ihr Grafen und Herren!« schrie der Dynast von Montfort und schwang sich aus dem Sattel. »Herab vom Pferde, ihr Ritter und Knechte!« Diepolt vom Steyn schwenkte, den Fuß auf seinen erstarrten Hengst setzend, die Klinge, und brausend mischte sich in seine Worte der Ruf der vom Rossesrücken gleitenden Knechte: »Lauft uns voran, ihr lieben Herren! Wir wollen das Schlößlein zum Sturme vornehmen!«
In ungeordneten Haufen rannte und rasselte es, während sich alle Sättel fast gleichzeitig lichteten und die Buben truppweise die Pferde beiseite führten, gegen den Schloßgraben heran. Jenseits davon erschienen die Köpfe der Verteidiger, lange Reihen finsterer, sonnengebräunter Gesichter. »Heran, heran!« grollte der Schlachtruf der schwarzen Schar, und hinter ihren Blechkappen zerstiebten in Staub die dürren Erdbrocken, die sie uraltem Kriegsgebrauch gemäß vor Beginn der Schlacht vom Boden hoben und über die Schulter rückwärts schleuderten.
Die ersten Gewappneten, die unter dem Klatschen und Pfeifen der Steinkugeln die Grabensohle gewonnen hatten, glitschten dort aus und fielen lang hin. »Merkt auf, Adel und Unadel!« warnten sie, sich mühsam aufrichtend, den schwerfällig herabkletternden und wogenden Panzerschwarm. »Der Graben ist wüst und moosig, voll lehmichten Kotes, kommt in Ordnung, der Sturm ist nicht leicht zu gewinnen!«
Aber die Nachdrängenden waren viel zu hitzig, um sich zu einer rechten Sturmsäule zusammenzuschlagen, wie es sich traf, wateten sie regellos dahin. Voran, das breite Schlachtschwert hiebgerecht mit beiden Händen vor sich hinhaltend, stapften und stelzten die kostbaren Panzerrüstungen des Adels durch das zischelnde Schilf; ihnen folgten, im Schlamm stecken bleibend, ausgleitend und sich gegenseitig unter Flüchen wieder aufrichtend, die reisigen Knechte.
Da, wo der Schuttwall der eingeschlossenen Mauer in den Graben vorsprang, klommen, von den Hintermännern gestützt und gedrängt, die Vordersten über das Steingeröll einher. Der ganze Raum vor der Bresche bedeckte sich mit dem schuppigen, zornig aufwärts strebenden Gewimmel.
Aber die Bresche war nicht leer. Ein Wall von Hellebarden füllte sie aus. In zehn Reihen starrte das stachlige Gehege aus den Fäusten der nach bester Landsknechtkunst dahinter geordneten Schar, deren erste Glieder knieten, die folgenden standen und die letzten auf herbeigeschafften Steinen ihre Genossen überhöhten. Unbeweglich, wie in den Boden eingerammt, stand die reisige Dornenhecke. Die Edlen mochten mit der gepanzerten Brust dagegen drücken, sie mochten mit den Schwertern blindlings in die Schäfte hineinschlagen und sie herauszureißen suchen – es war umsonst.
»Sie weichen nicht!« keuchte es in dem Gewühl der ineinander knirschenden und sich scheuernden Panzer, »wir müssen zurück! Laßt ab, liebe Herren und frommen Knechte, wir müssen zurück!«
Aber kaum begann die eiserne Welle zerschellt und zersprengt in die Grabentiefe hinabzurollen, da entlud es sich von den Höhen der Ruine wie die Schloßen eines Hagelschlags. Die Musketen sandten in knatternden Rauchwirbeln ihre groben Steine, von stählernen Armbrüsten flitzten die scharfen Bolzen in die Harnischfugen, und in Menge flogen, wie ein steinerner Regen, die mächtigen Mauerblöcke aus nervigen Händen auf Federbusch und Helm, daß die Getroffenen in lautem Klirren niederbrachen.
Zurück, so rasch es ging, durch den zähen, grausam die Schritte hemmenden Morast! Zurück und unter dem Hohngeschrei der Schwarzen den jenseitigen Grabenrand herauf, voraus die unbeschädigt Gebliebenen, dann, von ihren Knechten unter den Armen geführt, mühsam holpernde Ritter und erbitterte, mit der Faust nach rückwärts drohende Nachzügler; hinter ihnen da und dort, wie schlammüberzogene Krebse dahinkriechend, die stöhnenden, die Blutspur ihrer Wunde hinter sich ziehenden Knappen.
Viele auch waren ganz still geworden, überall in dem Schilf, von Wasser und Morast halb bedeckt, lagen die zuckenden Gestalten von Edlen und Unedlen ausgestreckt.
»Wir haben an die hundert Mann verloren!« jammerte und zeterte es aus den rückkehrenden Haufen draußen im Felde, wo bei den Pferden der Truchseß mit den Fürsten hielt, »Viele Herren und gute, rechte Gesellen vom Adel. Die Geyerschen stellen sich in ihrer letzten Not ganz ernstlich zur Gegenwehr!«
»Ich merk's!« Der Truchseß musterte finster die Gesichter seiner Herren, die unter dem nun aufgeklappten Visier mehr noch aus Scham als von der Hitze des Kampfes dunkelrot über struppigen Bärten glühten. »Sie haben sich des ersten Anlaufs trefflich erwehrt und euch abgeworfen!«
»Das geschossene Loch ist zu klein!« riefen viele Stimmen dagegen, »wir müssen's weiter machen!«
Herr Georg wies auf die groben Stücke, an denen die Zeugmeister standen. »Da hab' ich die rechte Arkeley, so wie sie eben kommen ist, vor das Schlößlein geruckt! Laßt sie baß in die Mauern gehen und schießet den Rittern ein ziemliches Loch, daß all die guten Leut' zum andernmal mit allem Ernste wieder antreten mögen!«
Die Geschütze brüllten zur Antwort, daß der Boden zitterte und die ledigen Rosse prustend an der Hand der Buben tanzten. Durch den Qualm drangen das Poltern zusammenstürzenden Quaderwerks und verworrene Stimmen von drüben.
Aber als der Rauch sich verzog, war der Schaden am Schlößlein nicht allzu groß, Und ebenso nach der zweiten, der dritten Tage. »Es hätte doch niemand geglaubt,« – Herr Georg und die Fürsten schüttelten den Kopf – »daß die alte, schlechte Mauer solchem Geschütz widersteht!«
»Sie wollen sich ergeben!« schrie einer der Ritter. »Sehet, wie sie die Hüte in die Höhe werfen.«
»Ei was, ergeben?« Der Truchseß lachte grimmig. »Das ist der Geyerschen Art nicht! Sie wollen mich locken, ich weiß, und Zeit gewinnen, daß wir bei der zufallenden Nacht vom Handel ablassen müssen. Das ist aber nicht meine Meinung. Heda! Lasset die ganze Arkeley in einem an die Bresche gehen, daß wir Raum gewinnen!«
Diesmal zitterte und stäubte die Mauer nicht nur unter dem Aufschmettern der schweren Eisenkugeln, sie begann zu wanken und fiel, sich vornüber beugend und in lockeres Geröll auflösend, in den Graben.
»Da komme ich gerade zu paß mit meinen frommen Knechten!« Ein großer, dicker Herr mit dunklem Krausbart schritt gemächlich, eine schwere Lanze über der Achsel, zu Fuße heran und sah sich nach dem langen Zuge sonnenverbrannter, in schreiende Farben gekleideter Gesellen um, die staubwirbelnd mit geschulterter Hellebarde herbeitrabten. »Wir wollen euch zeigen, wie man solch Schlößlein aufbricht!«
»Ihr mögt Euch aller Landsknechte Vater mit Recht nennen, Herr Jörg von Frundsberg,« erwiderte der Truchseß verdrießlich, »aber denkt nicht zu weniges von denen da drinnen! Es sind verzweifelte Kriegsleut' – wir müssen erst noch mit Kugeln unter sie schießen –«
»Bis die Nacht da ist und sie heimlich entlaufen. Nein, seid getrost, wir wollen ihnen lieber heute etwas angewinnen als morgen. Nicht zum Saufen und Schlemmen hat Seine Römische Majestät mich die deutschen Knechte aus Neapolis über die Alpen herüberführen geheißen, sondern zum herzhaften Kriegen. Da sehet – Schärtlin von Burtenbach, der jüngst wegen seiner Tapferkeit zum Ritter geschlagen ist, wartet nicht erst lange! Da steigt er mit den Knechten schon hinunter und läuft mit vorgereckten Spießen an!«
Der ganze, bisher so düstere Graben war bunt von der bizarren Farbenpracht der Landsknechte, den geflammten Pluderhosen und federverbrämten Hüten, den grellgrün und scharlachfarben gemusterten Röcken und dem Waffenglanz der Hellebarden. Selbst die Ritter jauchzten Beifall, als sie die Kriegskunst sahen, mit der die verwegenen Knechte trotz Sumpf und Wasser und dem immer spärlicher blitzenden Musketenfeuer als wohlgeordneter, festgeballter Gewalthaufe in die Bresche krochen und mit ihren ersten Kolonnen in den klaffenden Schlund einstiegen.
»Sie sind darin!« schrie es in den Gruppen der abgesessenen Edlen. »Die Bauern können das große Loch nicht füllen – sie sind darin –«
Aber die zu Pferde saßen, machten besorgte Mienen. »Die Geyerschen haben einen Klumpen gemacht im Hof. Jetzt rennen sie an – sie fallen wie die Wütigen auf die Knechte –«
Der Hellebardenzug im Graben begann zu stocken, und plötzlich fuhr es wie ein Stoß aus Riesenfaust durch die Bresche, daß der bunte Farbenknäuel der Landsknechte in Fetzen auseinanderstob und rückwärts herabrollend als eilig davonhastendes, von nachgeschleuderten Steinblöcken gelichtetes Gewimmel den Schilfgrund übersäte.
Nur in wenigen Zacken und Leisten des halbzerschmetterten Mauerwerks blieben wie die Katzen angeklebt und gekauert einige tollkühne Kerle zurück. Die große Masse stieg verstört und atemlos wieder zu den Geschützen empor, den durch einen Steinwurf nahe bis an den Tod verwundeten Herrn Schärtlin mit sich schleppend.
Ein greller Aufschrei der Wut rollte durch das bündische Geschwader, von Scham und Zorn sinnlos, ordneten sich Adel und Unadel, Ritter, Reisige, Landsknechte und Söldner der Reichsstädte, wie es sich traf, ohne Ansehen der Person, zum erneuten, verzweifelten Angriff.
»Wir wollen den rechten Ernst fürwenden!« heulte es unter den buntgefiederten Eisentöpfen der voraustappenden Edlen. »Sturm, ihr lieben Schwäger! Sturm, ihr frommen Knechte!«
»Sturm! Sturm!« brauste der wütende Ruf. In tollem Anlauf, einer kampfgierig am anderen vorbeihastend, brandete es zur Bresche hinan und mengte sich mit den entgegenstürzenden Bauern zu einem Wirbel geschwungener Schwerter und ineinandergekeilter, sich umkrallender, tosender und röchelnder Klumpen, der in stetem Strudel doch beinahe reglos in der Mauerlücke stand.
Die Abendsonne schien hell darauf. In ihrem Glänze blinkte es von den beiden, hin und her zuckenden und sich ineinander verbeißenden Sturmhaufen wie von zwei silbergeschuppten Drachen, die sich da, inmitten ihres zerklüfteten Schlupfwinkels, auf Tod und Leben würgten.
Grimmer und grimmer preßten sich die Angriffssäulen, alle Wucht der Leiber zusammenkrampfend, schwitzend und stöhnend wider die Öffnung, in das zähneknirschende Handgemenge, in dem lebende und Sterbende in Haufen übereinandergewälzt, von Staub und Qualm geblendet, in Wutgeschrei und Todesröcheln sich mengten und der hochgeborene Freiherr Auge in Auge mit dem armen Bauernknechte rang. Kaum noch konnte man Freund und Feind unterscheiden. Die Banner waren in dem Getümmel versunken. Tot lagen der Fähnrich von Augsburg, tot der von Nürnberg mit ihrer zerfetzten Seide unter den Füßen der Kämpfenden, über deren Häupten immer noch als einziges Feldzeichen grimmig die schwarze Fahne nickte. Aber es ging den Angreifern vorwärts! Zoll für Zoll erst – dann Schritt für Schritt – es wurde matter da vorn – ein Aufstöhnen der Erleichterung entrang sich der keuchenden Brust – ein heiseres Siegesgeschrei – die Schwarzen wichen zurück – –
»Das war eine mühsam gefährliche Arbeit,« ächzte im Schwarme aufwärts watend der dampfende Ritter Diepolt zu seinem Nebenmann, »als sich die Bauern so unterstunden! Gottlob, nun ist die größte Not erstritten!«
Sein Nachbar, ein riesenlanger Landsknecht, reckte sich empor und stieß, über die Häupter der vorderen blickend, einen wilden italienischen Fluch aus. »Vermeint das nicht, Ritter!« keuchte er. »Da fängt sich das Lärmen erst an!«
»Es ist inwendig noch ein Mäuerlein!« schrie es vorn. »Es steht ein zweites Mäuerlein im Hof. Davon stechen und werfen die Bauern so ernstlich heraus, wie je zuvor – wollen uns wiederum abtreiben und in merkliche Gefahr bringen.«
»Möcht' nur von Gottes Gnaden kein Edler mehr beschädigt werden!« Ein alter Reitersknecht mit langflatterndem Weißhaar hob einen Feldstein, »Werft ihnen die Mauerblöcke an den Kopf, sie haben nicht Kraut und Kugeln mehr, der Handel ist gleich.«
Krachend und polternd kreuzten sich die Steine und klangen in hellem Schlage auf dem Eisen. Wie ein Zyklopenkampf der Vorzeit tobte um die niedere Hofmauer, die die Ritter nicht ersteigen, die Bauern nicht lassen wollten, das grobe, Kappe und Schädel zermalmende Spiel, und jauchzend erklang, je mehr die Dämmerung herabsank, das Kampfgeschrei der schwarzen Schar. Dunkler ward es und dunkler in den bluttriefenden Ruinen. Schon sah man das Funkensprühen, mit dem die Steinklumpen am Boden aufschlugen und von beiden Seiten über dem Mauerkranz hin die Hellebarden in nutzloser Wut aufeinander hämmerten. »Sturm! Sturm, ihr Herren!« schrien immer noch die unverzagt kämpfenden Knechte. Aber keiner wagte den gefährlichen Aufstieg auf die ungebrochene Mauer, und schon konnte man im Abendgrauen kaum mehr die nächsten Nachbarn erkennen.
An der langen Gestalt merkte Herr Diepolt vom Steyn, daß der Landsknecht von vorhin neben ihm stand. »Haben wir uns darum so schwer durch das Loch gearbeitet,« fluchte er, »um vor solch Mäuerlein die Nacht zu liegen.«
»Die Nacht ist der Bauern Heil!« erwiderte der finstere Geselle, der sich eine Quetschung am Kopf hatte verbinden lassen und mit schräg aufgestülptem Hut in den Kampf zurückgekehrt war. »Es sind ihrer schon etliche im Dunkel rücklings durchgebrochen, in das kleine Waldstück hart daneben. Der Geyer selbst und seine Freunde, meinen sie, wären mit darunter und hätten sich im Gesträuch verschanzt.«
»Wo hast du das gehört?«
»Als ich eben bei Herrn Jörgen, dem Truchseß, vorbeiging. Er hat das Gehölz mit Reisigen umstellen lassen und große Wachtfeuer davor anzünden, daß keiner entläuft, bis morgen bei Tag die Knechte in den Wald fallen und denen darin einen guten Morgen bieten, davor sie sich bedanken!«
Ritter Diepolt hörte die letzten Worte nicht mehr. »Es steigen Fackeln auf die Mauer,« jubelte er, »schaut, liebe Gesellen, eine nach der anderen kommt herauf, sie haben vom Tor aus die Mauer gestürmt – vorwärts, duckt euch, fromme Knechte! Wir vom Adel wollen euch auf die Schulter steigen und die ersten auf dem Zarchen sein!«
Zugleich mit ihm klommen überall die Gewappneten die niedere Mauer empor und sprangen in dröhnendem Satze auf der anderen Seite hernieder, um sich in das letzte wütende Handgemenge zu stürzen, das in Dunkelheit und Fackelgeloder durcheinander sich über die Trümmerstätte, über Schuttwerk und Gebüsch bis in die Kellerwölbungen hinabzog. Dort wehrten sich in greulicher Finsternis die Schwarzen noch einmal wie wilde Tiere in ihrer Höhle, bis die davorgehäuften brennenden Strohmassen sie zwangen, wieder herauszusteigen und sich auf ihre Verfolger zu werfen.
Jede Hoffnung war jetzt verloren. Bei dem himmelan lohenden, alles mit Feuerschein übergießenden Strohbrand konnten die Fürsten und Bischöfe, die außen auf freiem Felde hielten, deutlich den Untergang der schwarzen Schar gegen zehnfache Übermacht erkennen. Immer noch verschlangen sich zahlreiche Gruppen waffenklirrend mit Spieß und Schwert, aber in einer nach der anderen ward es still. Die Männer traten auseinander und schauten schweratmend auf leblose dunkle Gestalten zu ihren Füßen nieder, um dann den anderen, vom Lärm des Kampfes noch erfüllten Haufen mit geschwungener Waffe beizuspringen.
Das Feuer erlosch. So wie es in sich zusammenfiel und im Nichts verging, so erlosch auch im Tode die schwarze Schar. Ein letzter geller Schrei fuhr noch einmal durch die Nacht, dann löste sich das Ächzen und Brüllen des Kampfes in das rauhe Stimmengewirr auf, mit dem die Knechte bei Fackelschein die Walstatt nach etwa noch verborgenen Geyerschen und nach Herrn Florian selbst absuchten.
Sie fanden ihn nicht und keinen anderen Ritter. Und nichts regte sich mehr vor dem prüfenden Lichte. Die schwarze Schar war tot.
Inmitten des Kranzes der lodernden Ringfeuer, die ihren funkenübersäten Qualm weithin durch die linde Nachtluft sandten, lag der Waldhügel finster als eine undeutliche schwarze Masse da. Es knackte und raschelte unsichtbar in seinem Dickicht, als schlichen Wölfe lauernd darin umher. Aber das heisere Raunen und Zischeln, das zuweilen der Frühlingswind herübertrug, war Menschenlaut, und die Reisigen draußen im Flackerschein wußten, was das bedeutete. Sie nahmen die Waffen fester zur Hand und spähten, gegen die Windseite des Feuers tretend, nach der leise rauschenden Wipfelgruppe, eines verzweifelten Durchbruchversuchs der Handvoll Geyerschen gewärtig, denen in ihrem Waldversteck das verbleichen der Gestirne, das erste Grauen des Maimorgens unrettbar das Verderben ankündigte.
Kein Wunder also, wenn Herr Florian mit den letzten Schwarzen seine Verbündete, die schwarze Nacht, sich zunutze machen sollte!
Aber es blieb still. Selbst das Flüstern und Räuspern verstummte im Gestrüpp. Der Wind hatte sich gelegt. Reglos standen die Schattenwölbungen der Bäume. In das verworrene Summen aus dem in der Ferne als weites Flammenfeld leuchtenden Lager mischte nur der Waldbach sein eintöniges Plätschern, der an einem dichtbewachsenen Hügelhange hin seine Wellen in bei Ingolstadt versumpfte, heute zu einem Schlammbrei zerstampfte Gräben führt.
Ab und zu wieherte ein müdes Roß. Manche der erschöpften Tiere hatten sich mit Zaum und Sattel lang in das Gras gewälzt und unterschieden sich nur durch die ruhig hingestreckten Beine von ihren der Hitze und dem Kugelschlag des verflossenen Tages erlegenen Genossen, deren Hufe, von steifen Sehnen emporgereckt, weit in die Luft starrten.
Neben den Pferden lagen die Reiter, matt und fröstelnd in einem Halbtraum, der das bunte Farbenspiel des hitzigen Abenteuers noch einmal an ihnen vorbeiziehen ließ, und die Erinnerung an den oder jenen guten Gesellen, der morgen nicht und nimmermehr beim Trompetenruf von seinem Walplatz auf grüner Heide aufstand, um mit ihnen wider das Gehölz da drüben anzutreten. Auch an den Ärger dachten sie, daß bei den armen Bauern kein Beutepfennig einzunehmen sei, kein Lösegeld, wie in ritterlichen Fehden, wie damals gegen den Sickingen, und in den lustigen Waffenhändeln des schwäbischen Bundes gegen den tollen Herzog Ulrich, den verjagten Württemberger, der von der Schweiz her gestern den Bauern zu spät mit einem Fähnlein hatte zu Hilfe reiten wollen.
Die Riedgräser zitterten, als schliche eine ungeheure Schlange aus ihrem nächtlichen Waldverließ auf Beute aus.
Etwas Langes, Schuppiges kroch lauernd am Boden dahin, Glied für Glied langsam, in listigem Schweigen über die weichen Wiesen schleppend.
Näher und näher kam der gepanzerte Wurm heran. Schon war er im Bereich des im Lufthauch wechselnden Lichtscheins zwischen zwei Lagerfeuern.
»Die Geyerschen!« Ein alter Kriegsknecht schnellte aus den Träumen empor. »Die Geyerschen kriechen durch!«
Vom Wachtfeuer drüben gellte die Trompete. Hastig auffahrende Gestalten, erschrocken scheuende Gäule, schreiende Troßbuben drehten sich ein paar Augenblicke im Wirbel um die flammenden Scheiter. Dann strebte es von zwei, drei Seiten zugleich, in hallendem Rosseslauf und atemlosem Fußgetrabe der Furche zu, die die schwarze Riesenschlange im Gras gezogen hatte.
Die Schlange war nicht mehr da! Ihre Glieder hatten sich getrennt und rannten einzeln, behende Männer, mit dem Tod im Nacken, über die Matten, dem Rauschen des Waldbachs zu. Das Dunkel nahm sie auf. Aber in den hinterherjagenden Gruppen, in deren Mitte die in der Hand gehaltenen Fackeln auf und nieder tanzten, scholl höhnendes Gelächter. Die da vorn konnten ja nicht das tiefe, reißende Frühlingswasser überschreiten! Sie waren abgeschnitten und verloren!
Die Sprünge der Pferde wurden kürzer und mühsam. Es gurgelte unter ihren Hufen. Man näherte sich dem sumpfigen Bachgrund. Aus den Sätteln gleitend liefen die Reisigen mit gezücktem Degen zu Fuße weiter. Jeden Augenblick mußte ihnen jetzt der vorauszitternde Lichtkreis der Fackeln das ratlos am Ufer auf und nieder irrende feindliche Häuflein enthüllen.
Aber da war schon das Ufer! Dicht vor ihnen sprühte im Feuerschein der Silberflimmer des eilig rauschenden Baches, und da – wütende Flüche begrüßten die Entdeckung – da lag an einer, vom Gebüsch umwachsenen, nur dem Bauern- und Jägervolk der Umgegend bekannten Stelle ein bemooster Baumstamm quer über dem Wasserspiegel.
Und drüben knackte und prasselte es schon flüchtig den Berg aufwärts! Hinüber, hinüber, ehe es zu spät war!
Die Verfolger machten jählings Halt! Der Weg über die Brücke war nicht frei! Eine dunkelgepanzerte Rittergestalt stand reglos mit geschlossenem Visier am anderen Ende und hielt ihnen, hell vom Licht umflossen, schweigend die zehn Fuß lange Lanze entgegen.
Dawider mit den kurzen Schwertern über den Baumstamm anzulaufen, bedeutete den sicheren Tod in den schäumenden Wellen. Und ihre eigenen Speere hatten sie, um nicht im Rennen behindert zu sein, beim Absteigen den Buben gelassen.
Diesseits und jenseits der Brücke standen sich die Feinde in stillem Grimm gegenüber. Fern aus dem bebuschten Berge verlor sich der Lärm der Flüchtenden. Sie waren entronnen. Und auch der Ritter mußte entrinnen! Er konnte sich lange in dem Dunkel verlieren, ehe sich seine Feinde, auf dem Bauche rutschend und den glitschrigen, runden Stamm mit Armen und Beinen umfangend, über das Wildwasser gearbeitet hatten.
Da flog seine Lanze in zischendem Wurfe herüber, daß die Knechte zur Seite fuhren. Der Gewappnete machte einen raschen Sprung seitwärts, aus dem Bereich der Fackeln in die tiefen Schatten des Bergwaldes.
Aber im selben Augenblick blitzte es von der anderen Seite auf. Einer der zu Fuß nachrennenden bündischen Schützen war herangekommen und hatte, noch atemlos sich aufs Knie werfend, die Muskete gelöst.
Drüben klang es hell wie Stein auf Eisen, und dumpf danach, wie das Klirren eines zusammenstürzenden Mannes.
So rasch es ging, schoben sich die Knechte, einer hinter dem anderen, über den feuchtbemoosten Baum und hoben leuchtend die Fackeln. Es blinkte im Grase. Da lag der Ritter, ohne sich zu regen.
Der Schütze trat heran und musterte mit raschem Blick von Kopf zu Fuß den Panzer. »Es hat den Helm getroffen,« sagte er und wies auf eine tiefe, von strahlenförmigen Rillen durchsetzte Beule in dem Eisenhut, »aber durchgeschlagen nicht. Der Ritter ist nicht tot und nicht gequetscht. Der Kugelschlag hat ihn betäubt.«
»Ich hör' ihn unter dem Visier schnaufen!« bestätigte einer der Reisigen, und der alte Kriegsknecht faltete fromm die Hände: »Wir haben Herrn Geyer gefangen und bekommen Ehre und Lohn vom Bunde!«
»Wer weiß, ob es der Geyer ist!« Der Schütze bemühte sich umsonst, das durch die Kugel verbogene Visier zu öffnen, »Wir wollen warten, bis er bei sich ist, und ihn dann zu Herrn Jörg ins Lager führen.«