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In schrägen Strahlen zitterte die scheidende Sonne durch das lichtgrüne, feuchtglänzende Laubwerk. Ein würziger weißlicher Dunst stieg aus dem Boden, in dessen weichem Moos die Schritte lautlos verhallten. Auch sonst regte sich nichts ringsum. In feierlichem Schweigen dämmerte die Maienlandschaft zur Nacht hinüber.
Herr Albin sah rechts und links. Kein Baum und Strauch entging seinem Auge. Aber dies Auge weidete sich nicht an der Waldespracht; es blickte spähend und finster – überall eines Feindes oder eines reißenden Wolfes gewärtig.
»So schreiten wir durch dies Leben!« dachte er bei sich, indes er behutsam durch das Dickicht sich den Weg bahnte. »Rings um uns lauert das Verderben und die Gefahr und die Versuchung. Wer sich hier beugt, nur eine Blume am Bachrand zu pflücken, den mag im selben Augenblick eine Musketenkugel aus dem nächsten Busche fällen – und wer hier stehen bliebe, auf den Vogelgesang zu horchen und zum Abendhimmel hinaufzuschauen, dem springt wohl unversehens einer rücklings mit scharfem Schwerte bei. So heißt es: Wache und bete! Sei eingedenk, daß du auf einer Pilgerfahrt durch dies Erdental schreitest, und hoffe auf die Stunde der Erlösung. Mög' die mir Gottes Gnade auf grüner Heide bescheren . . . das Gesicht wider den Feind in ehrlichem Feldtod –«
Er hemmte seinen Schritt, denn vor ihm lichtete sich der Wald. Ein Tal breitete sich sanft abfallend zu seinen Füßen aus.
Im Tale unten lag ein Dorf. Noch konnte man im Abendschatten deutlich die Reihen spitzgiebliger Häuser erkennen, die still zwischen dem Grün hochaufgeschossener Bäume dalagen.
Ueber dem Dorfe, höher als der Obrist von Habstein selbst stand, erhob sich altersgrau und finster, wie ein lauerndes Ungetüm, eine mächtige Burg. In feurigem Glanze lag das Abendrot auf den trotzig aussteigenden Quadern, den ragenden Türmen der Umwallung, von der sich, langen Spinnenarmen gleich, hohe Mauern den Abhang hinab ins Tal zogen, wie um das Dörflein unten zu umklammern und festzuhalten.
Und tiefe Stille ringsum! Kein Lebenszeichen von dem Schlosse, kein Hahnenschrei aus dem Dorf, kein Kuhgebrüll oder Hundekläffen oder Jauchzen spielender Kinder, kein Rauchwölkchen über den moosbedeckten Firsten.
Ein eigenes Gefühl des Grauens erfaßte den Obristen. Noch niemals hatte er, im lärmenden Kriegslager, von seinen Reitern umringt, im Kreise der Kameraden diese Empfindung gehabt, dies plötzlich auftauchende Gefühl der tiefsten Einsamkeit und Verlassenheit auf der Welt, als sei er der einzige Mensch auf Erden, ohne einen Freund, allein in der mitleidlosen Natur.
Und wie er da in das stille Tal hinabsah, da meldete sich in ihm wieder jene leise, unerklärliche Sehnsucht, die er schon so oft empfunden. Das Grauen verschwand in ihr. Nur eine Art Traurigkeit blieb übrig, ein schwermütiger Drang, ein unbestimmtes geheimnisvolles Glück zu suchen, das irgendwo auf der Welt zu finden war.
Im Feldlager gewiß nicht. Im Waffengeklirr und Fluchen und lärmenden Gelagen gewiß nicht.
Aber wo sonst? Herr Albin sann nach. Und indes er grübelte, nahm sein Sehnen eine immer festere Gestalt an.
Die Gestalt eines Weibes.
Da erschrak er – denn er merkte, daß ihn der Teufel wieder neckte – und fuhr aus seinem Sinnen auf.
In das Dörflein hinunter wagte er sich so wenig wie in das Schloß. So zog er in weitem Bogen um die Burg herum, die über ihm in unheimlichem, rotem Glanze lag, und schlug sich mühsam am Fuß des Hügels durch halb eingestürztes Mauerwerk und mannshohe Brombeerhecken hindurch.
»Der Böse weicht nicht von mir!« sprach er zu sich in dieser sauern Arbeit. »Er will, daß ich meine Gelübde breche. Mit Wein und Gold hat er mich schon versucht. Nun kann er leicht zu seiner schlimmsten Waffe gr . . .«
Er verstummte in staunender Ueberraschung. Die Brombeerhecke über ihm hatte sich geteilt, und zwischen den schwankenden Zweigen sah ein süßes, schwermütiges Gesicht auf ihn hernieder. Die schmalen Lippen waren halb geöffnet, die großen, dunklen Augen hingen halb ängstlich, halb verlangend an seiner Gestalt, und braunes Seidenhaar umflutete in reichlichem Gelock die zarten Schultern«.
Die beiden standen still und schauten sich an. Da hörte Herr Albin eine zitternde Stimme. Leise und lockend klang sie an sein Ohr.
»Herr – seid Ihr ein Christ?«
»Ich bin ein katholischer Edelmann,« sprach Herr Albin finster und langsam. »Aber dich – dich kenne ich –« und zögernd hielt er die umgedrehte Klinge vor sich, also, daß das Kreuz des Handgriffes zwischen ihm und dem bösen Feinde stand.
»Was entsetzt Ihr Euch denn?« fragte er höhnisch, als er sah, wie sein Gegenüber rasch zurückfuhr.
Da tauchte der blasse, schöne Kopf wieder aus den Zweigen auf.
»Ich erschrecke vor Eurem Schwerte! Tut mir nichts zu leide! Ich sah Euch vom Turme oben und merkt' Euch an Gewandung und Gebaren an, daß Ihr einer von gutem Adel seid – darum schlich ich zu Euch hinab. Herr – um Jesu willen – erbarmt Euch!«
Er sah zu ihr auf. »Was begehrt Ihr?« fragte er lauernd.
Da neigte sie sich zu ihm herab, daß ihre dunklen Augen dicht vor ihm in feuchtem Glanze schimmerten und ihr warmer Atem sein Gesicht berührte, und deutete auf das finstere Gemäuer über sich und bat leise: »Folgt mir, Herr!«
Herr Albin lachte zornmütig auf! Eine eigene, frohe Kampfbegier reckte sich in ihm. Dem Teufel soll man ja nicht ausweichen, sondern ihn dreist an den Hörnern packen, daß er das Wiederkommen vergißt!
Und laut sprach er: »Wohl, Fräulein, ich folge Euch!«
»Mög' es Gott dem Herrn lohnen!« Mit flüchtigen Sprüngen huschte sie vor ihm einen steilen, vielfach von Geröll überschütteten und verwachsenen Ziegenpfad hinauf. So sehr er sich auch anstrengte, er vermochte sie, durch die schweren Reiterstiefel und die Sporen behindert, nicht einzuholen. Sie glitt leichtfüßig vor ihm her, einem Irrlicht gleich, und wandte nur zuweilen den Kopf nach ihm, in ernster Sorge, ob er ihr auch folge.
Nun hatte sie die Wallmauer oben erreicht. Er sah, wie ihre schlanke Gestalt in der Torwölbung verschwand, und trat hinter ihr in den Burghof.
Hohes Gras sproßte da überall zwischen verkohlten und halb zermorschten Balken. Ein Schwarm Krähen hob sich lärmend von dem hohen Bergfried, über dessen Zinnen statt des Spitzdaches sich junge Bäume wölbten. Die letzten Strahlen der Abendsonne leuchteten von außen durch die leeren Fensterhöhlen des Herrenhauses herein, das völlig kahl als ein Steingerippe dastand, indes das zusammengestürzte Holzwerk, mit Steinen untermischt und von Brennesseln überwuchert, den Boden bedeckte.
Wohin Herr Albin sah, überall ragten von der mächtigen Burg nur noch die Mauern. Ihr Inneres war zerstört und ausgebrannt, wie überall in deutschen Landen, und machte in dem rötlichen Dämmerlicht, in dem klagenden Geschrei der Krähen, einen unheimlichen, gespenstigen Eindruck.
Wem mochte das Schloß gehört haben? Unwillkürlich blickte der Obrist zu dem Torbogen auf, über dem ein halbzerstörtes Wappen – wie es schien, ein springender Hund – prangte. Der darunter eingemeißelte Spruch war noch lesbar.
Das Purkstâl hat ange
vangen ze pauen her Kaspar
von Ampringen den
naechsten nach unser Frauwen tag
Nativitatis da von Krist gpurd
waren ergangen
MCCXXVIII Jar.
Da weckte ihn die Stimme seiner Führerin aus dem Sinnen.
»Beliebt es dem Herrn?« fragte sie demütig.
Sie stand auf der anderen Seite des Hofes vor einem Quergebäude, dem einzigen, das die Feuersbrunst verschont. Wohl war auch hier das Dach halb eingestürzt und hingen Tür und Läden windschief in den Angeln. Doch mochte es zur Not noch als Behausung dienen.
So schritt er also auf den Eingang zu, und zugleich verschwand jene in der dunklen Wölbung. Er hörte, wie eine Holztreppe unter ihrem leichten Fuße knarrte, und tastete sich selbst vorsichtig durch das Dämmern ihr nach.
Nun stand er auf dem Söller. Die wurmstichigen Dielen erkrachten unter seinem schweren Tritt, und ein dicker Staub wirbelte auf. In den Ecken hingen mächtige Spinngewebe. Ein Modergeruch umwehte ihn. Es schien, als seien Jahre vergangen, seit der letzte Mensch diese Räume betrat.
Wohl richteten sich da und dort ernste, hochmütige Gesichter auf den Eindringling. Aber die Gesichter waren nicht von Fleisch und Blut. Die Ahnenbilder, die an den Wänden hingen, hatten auch den Zeiten ihren Tribut entrichtet. Vielfach von Säbelhieben kreuz und quer zerfetzt, von Staub bedeckt und mit zersprungenen Farben, schienen sie so recht den Untergang ihres stolzen Geschlechtes zu verkörpern, wie die zerbrochenen alten Kriegswaffen und das verrostete Feldgerät alter Jahrhunderte, das, mit Hirschgeweihen vermengt, zwischen ihnen und am Boden lag.
Am Ende des Söllers war eine schwere Eichentüre. Die ging jetzt geräuschlos auf. In ihr stand, von gedämpftem, aus dem Gemache dringendem Lichtschein umflossen, die schlanke Gestalt und winkte Herrn Albin mit großen Augen geheimnisvoll zu.
Jetzt galt's.
Nie hatte der von Habstein noch solches Behagen am Kampfe wider den Bösen empfunden wie diesmal! Das war doch eine Versuchung, an der man seine Kraft erproben konnte! Er wußte, wie es in solch verhexten Burgen zuging: Ein verführerisches, hellerleuchtetes Zimmer – ein Tisch mit köstlichen Speisen und funkelndem Wein – und an dem Tische ein wunderschönes Weib. »Jetzt gilt's!« dachte der von Habstein noch einmal in grimmem Mut, ging raschen Schrittes den Söller entlang und trat ins Zimmer.
Vier kahle Wände umgaben Herrn Albin. In den Ecken da und dort etwas Gerümpel. Durch die klapperigen Holzläden der Fenster pfiff der kühle Abendwind und ließ beinahe das Talglicht erlöschen, das mühsam flackernd auf dem Boden stand. Kein Mensch war zu erblicken.
In die Ecke des Gemachs war ein Bett geschoben. Ein tiefes Stöhnen drang plötzlich von dort zu dem Obristen, und ein paar geisterhafte Augen richteten sich auf ihn. Rasch trat er hinzu.
In dem Bette lag ein Sterbender.
Da war kein Zweifel. Der Obrist kannte den Tod. Dem hageren Manne, der da vor ihm lag, das leidende, abgemagerte Gesicht von grauem Barte umrahmt, dem waren nur noch wenige Stunden vergönnt.
Der Kranke richtete sich mühsam auf. »Ich danke dem Herrn, daß er den Weg zu mir gefunden hat,« sprach er schweratmend. »Ich bin Melchior von Ampringen – der Herr der Burg, oder was von der Burg noch steht, seit sie die Schweden zweimal eingeäschert – und Ihr?«
»Albinus Reichsfreiherr von Habstein, Feldobrist in der Kaiserlichen Armada. Volk und Rosse gingen mir heute bei einem Ueberfall der Freibeuter zu schanden. So muß ich zu Fuß wie ein Landstörzer gen Augsburg zu meinem Regimente wandern.«
»Bleibe der Herr die Nacht hier,« murmelte der Kranke, »so seid Ihr in Sicherheit vor Mensch und Tier und handelt einem Sterbenden zu Dank.«
»Was will ich!« erwiderte Herr Albin, zog aber den Degen an sich und spähte mißtrauisch im Zimmer umher.
Melchior Ampringen schüttelte das Haupt. »Sei der Herr unbesorgt! Kein Mensch lebt in diesen Trümmern hier außer mir und Ruth, meiner Nichte. Mir aber möge der Herr vertrauen. Auch ich stand einst im Dienst des Kaisers – und war mehr als Ihr – war zu Wien schon kaiserlicher Rat, als Ihr wohl noch in der Wiege lagt.«
Albinus Habstein überlegte. »Ich hörte von Euch,« sprach er. »Ein Ampringen war, wenn mir recht ist, am eifrigsten unter denen, die vor dreißig Jahren auf Seine selige Majestät einsprachen, endlich der Ketzerei in Böhmen ein Ziel zu setzen.«
Der Sterbende sah ihn an, mit einem langen, unergründlichen Blick. »Der Ampringen war ich!« sprach er. »Aber ich bin es schon lange nicht mehr. Ich ward des Krieges und Blutes müde. Ich habe mich hierher in die Stille getan, um es nicht mehr zu schauen! Man sagt mir, man könne das Hessenland tagelang aufwärts reiten, ohne ein menschliches Angesicht zu sehen. Wo in der Kurpfalz sonst fünfzig Christen waren, da ist jetzt kaum mehr einer übrig. Zerbrochen liegen die Burgen, verwüstet Dörfer und Städte. Wo vor dem Kriege aus beiden Kirchen das Gebet zu Gott hinaufging, da stehen jetzt noch die kahlen Mauern, und statt der Glocken läutet das Wolfsgeheul den Sonntag ein.«
»Dem ist so,« erwiderte der von Habstein finster, »eine Prüfung, die Gott uns sendet, um die Gerechten von den Ungerechten zu scheiden. Die Krankheit hat Euch zugesetzt, daß Ihr das nicht erkennt.«
»Die Krankheit hat mir zugesetzt, daß ich verbleichen muß,« murmelte der Kranke, »aber ich will in Frieden mit Gott von hinnen fahren. Nicht im Krieg der Menschen. Mein bußfertiger Geist sucht die heilige Taube. Ihr Kriegsleute aber solltet den Geier über Euch sehen. Gott ist die Liebe! Ihr seid der Haß!«
Der Feldobrist entzog sich ihm mit einem ungeduldigen Ruck. »Wisset!« sagte er ärgerlich, »ich komme wieder, wenn Ihr nicht mehr närrisch seid! Vielleicht, daß Ihr mir dann verratet, wie ich Euch als ein Edelmann dem anderen zu Diensten sein kann –«
Der andere seufzte auf. »Ich werd's Euch sagen – bald – wann meine letzte Stunde schlägt. Lebt wohl indes.«
Er deutete matt auf eine Tür, die zu einem Nebenraum führte.
Herr Albin öffnete die Tür. Er atmete schwer. Der Kampf mit dem Teufel regte ihn auf. »Aber er soll mir nicht beikommen,« murmelte er kampfesfroh, »ob er mir nun in der Hülle eines Sterbenden meinen Glauben und mein Heil nehmen will, oder als ein schönes Weib –«
Er verstummte und blieb erstaunt stehen. Nun ging's wahrhaftig um Kopf und Kragen!
Der wohnlich, beinahe behaglich eingerichtete Raum, in den er trat, war hell beleuchtet. Ein weißgedeckter Tisch stand in der Mitte, darauf ein paar geheimnisvoll dampfende Schüsseln und eine Karaffe mit blutrot funkelndem Wein. Zwei Stühle waren an dem Tische traulich aneinander gerückt. Der eine war leer. Auf dem anderen saß seine schöne Führerin, den Kopf auf die Hand gestützt, und sah ihn schwermütig an.
»Ich hab' indessen für den Herrn gesorgt,« klang ihre tiefe, sanfte Stimme, »nehme der Herr Platz, wenn es beliebt, und lange zu –«
Herr Albin blickte sie mißtrauisch an. Dann ergriff er den leeren Stuhl und zog ihn an das andere Ende des Tisches. Dort ließ er sich schweigend nieder.
Sie sah erstaunt auf, sagte aber nichts, sondern füllte einen Becher mit Wein und schob ihn ihm hin.
Der Obrist wehrte mit der Hand ab. »Ich danke dem Fräulein,« sagte er spöttisch, »ein Trunk Wasser wäre mir lieber«.
Sie erhob sich und goß ihm ein.
Er dankte, nahm sich eine Schnitte Brot und begann, das kärgliche Mahl zu verzehren. Die anderen Speisen, die sie ihm anbot, wies er von sich.
Das schien sie zu kränken. Doch sie schwieg, setzte sich wieder an die andere Seite des Tisches und schaute ihm aus ihren großen Augen forschend ins Gesicht. Zuweilen schüttelte sie sich mit einer kurzen Kopfbewegung das Lockengewirr aus der Stirne, und dann zog ein ganz feiner Wohlgeruch über den Tisch zu dem Ritter hinüber, der längst aufgehört hatte, sein trocken Brot zu kauen, und stumm vor sich hin sah.
Es war eine schwüle Stille in dem kleinen Gemach. Nur von draußen klang das gewaltige Rauschen des Maiensturmes und zuweilen das Klatschen der Regengüsse, die er in tiefem Stöhnen vor sich her über die Lande trieb.
So ging das nicht weiter. Herr Albin faßte sich ein Herz. Er schlug unbemerkt unter dem Tisch das Zeichen des Kreuzes, sah sein schönes Gegenüber fest an und fragte mit starker Stimme: »Fräulein, wer seid Ihr?«
Sie schien erstaunt.
»Ich bin Ruth von Ampringen. Hat's Euch mein Oheim nicht gesagt? Seit sieben Jahren – seit mir die Eltern starben – leb' ich bei ihm und hab' diese Burg nicht verlassen!«
»Und warum rief das Fräulein mich in diese Burg?« fragte Herr Albin weiter und wiederholte verborgen das Kreuzeszeichen.
»Ich rief Euch, um meinem Oheim beizustehen,« sagte Ruth und warf einen angstvollen Blick nach dem Nebenraum. »Ich bin doch nur ein schwaches Weib, und Klaus, unser letzter Knecht, ist letzthin mit den Bayern davongeritten. Er wolle seine Fortune im Lager suchen, schrie er mir noch aus dem Sattel zu. Seitdem sind wir verlassen.«
Der von Habstein lachte spöttisch auf.
»Und das Dörflein unten?« fragte er, »was geht Ihr nicht hinunter und holt Euch, wen Ihr braucht?«
»Im Dorf unten –?« Ruth lächelte schmerzlich. »Herr, da ist's still genug. Ihr mögt von Haus zu Hause gehen und trefft keine Menschenseele mehr. Früher, als ich kam, entsinn' ich mich wohl, da gab es noch viele Menschen dort. Dann schwanden sie mehr und mehr – und seit verflossenen Herbst die Schweden zum drittenmal hier waren, haben sich die letzten verlaufen.«
»Waren die Schweden nicht auch hier oben?«
»Sie haben gesehen, daß alles hier zum Steinhaufen gemacht ist – da war ihnen der Weg herauf zu sauer.«
»Und wenn sie doch einmal kommen?«
»Dann flüchten wir in das Dickicht. Dort haben wir ein sicheres Versteck.«
Der Obrist sah sie an.
»Was aber mögt Ihr machen, Fräulein,« sagte er, »wenn Euer Oheim des Todes verfahren sollte?«
»Des Todes?« Sie sprang auf und starrte ihn entsetzt an. »Meint Ihr, daß er ernstlich erkrankt ist?«
Herr Albin zuckte die Schultern.
»Wenn Ihr ein Christenmensch seid,« sprach er ernst, »so betet für ihn! Er wird noch heute nacht sterben!«
Im nächsten Augenblick bereute er diese Worte, die ihm, dem Kriegsmann, so gewohnt und geläufig waren, da er das schreckensvolle Staunen auf Ruths schönem Antlitz sah.
»Sterben!« wiederholte sie tonlos und trat dicht an ihn heran. »Sterben – sagt Ihr, Herr!«
Er nickte.
Da fühlte er, wie sich zwei zitternde Hände auf seine Schultern legten und hilfeflehend da festklammerten. Er hörte ihr schweres Atmen an seiner Brust und sah, wie ihr schlanker Körper vor Schluchzen zitterte. Und halb von Tränen erstickt klang ihre warme Stimme zu ihm auf: »Herr – helft ihm – erbarmt Euch meiner. Ohne den Oheim bin ich ja ganz allein auf der Welt!«
Herr Albin wagte sich kaum zu rühren. Ihm war seltsam wohl zumut. Ein wunderliches Gefühl der Zärtlichkeit erwachte in ihm, der Fürsorge für das schwache, schöne Wesen, das sich da zitternd an ihn schmiegte. Schon streckte er die Hand aus, um ihr Haupt aufzurichten und ihr Mut zuzusprechen, da plötzlich kam wie ein Schrecken der Gedanke an sein Gelübde über ihn –!
»Du hast geschworen, kein Weib zu berühren!« Das ging Herrn Albinus jählings durchs Gemüt; er erkannte, wie nahe er am Rande des Verderbens stand, und entzog sich, mit rauhem Auflachen zurücktretend, den zitternden Händen, die auf seinen Schultern ruhten.
Sie blieb stehen und sah ihn verschüchtert an.
Da drang aus dem Nebenzimmer ein schwacher Ruf.