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Als Hinzelmeier aus der Betäubung erwachte, lag er in seinem Bette; Frau Abel saß neben ihm und hielt seine Hand in der ihren. Sie lächelte, da er die Augen zu ihr aufschlug und der Abglanz einer Rose lag auf ihrem Antlitz. »Du hast zu viel erlauscht, um nicht noch mehr erfahren zu müssen«, sagte sie. »Nur darfst du für heute dein Bett nicht verlassen; aber währenddessen will ich dir das Geheimnis deiner Familie mitteilen. Du bist jetzt groß genug, um es zu wissen.«
»Erzähle nur, Mutter«, sagte Hinzelmeier und legte den Kopf zurück in die Kissen; und dann erzählte Frau Abel:
»Weit von dieser kleinen Stadt liegt der uralte Rosengarten, von dem die Sage geht, er sei am sechsten Schöpfungstage mit erschaffen worden. Innerhalb seiner Mauer stehen tausend rote Rosenbüsche, welche nie zu blühen aufhören; und jedes Mal, wenn in unserem Geschlechte, welches in vielen Zweigen durch alle Länder der Welt verbreitet, ein Kind geboren wird, springt eine neue Knospe aus den Blättern. Jeder Knospe ist eine Jungfrau zur Pflegerin bestellt, welche den Garten nicht verlassen darf, bis die Rose von dem geholt worden, durch dessen Geburt sie entsprossen ist. Eine solche Rose, welche du vorhin gesehen hast, besitzt die Kraft, ihren Eigentümer zeitlebens jung und schön zu erhalten. Daher versäumt denn nicht leicht Jemand, sich seine Rose zu holen; es kommt nur darauf an, den rechten Weg zu finden; denn der Eingänge sind viele und oft verwunderliche. Hier führt es durch einen dicht verwachsenen Zaun, dort durch ein schmales Winkelpförtchen, mitunter« – und Frau Abel sah ihren Eheherrn, der eben ins Zimmer trat, mit schelmischen Augen an – »mitunter auch durch's Fenster!«
Herr Hinzelmeier lächelte und setzte sich neben das Bett seines Sohnes. Dann erzählte Frau Abel weiter:
»Auf diese Weise wird die größte Zahl der Jungfrauen aus ihrer Gefangenschaft erlöst und verläßt mit dem Besitzer der Rose den Garten. Auch deine Mutter war eine Rosenjungfrau und pflegte sechzehn Jahre lang die Rose deines Vaters. Wer aber an dem Garten vorübergeht ohne einzukehren, der darf niemals dahin zurück; nur der Rosenjungfrau ist es nach dreimal drei Jahren gestattet, in die Welt hinaus zu gehen, um den Rosenherrn zu suchen und sich durch die Rose aus der Gefangenschaft zu erlösen. Findet sie in dieser Zeit ihn nicht, so muß sie in den Garten zurück und darf erst nach wiederum dreimal drei Jahren noch einmal den Versuch erneuern; aber Wenige wagen den ersten, fast Keine den zweiten Gang; denn die Rosenjungfrauen scheuen die Welt und wenn sie ja in ihren weißen Gewändern hinausgehen, so gehen sie mit niedergeschlagenen Augen und zitternden Füßen; und unter hundert solcher Kühnen hat kaum eine einzige den wandernden Rosenherrn gefunden. Für diesen aber ist dann die Rose verloren; und während die Jungfrau zu ewiger Gefangenschaft zurückgegangen ist, hat auch er die Gnade seiner Geburt verscherzt und muß wie die gewöhnliche Menschheit kümmerlich altern und vergehen. – Auch du, mein Sohn, gehörst zu den Rosenherren und kommst du in die Welt hinaus, dann vergiß den Rosengarten nicht.«
Herr Hinzelmeier neigte sich zur Frau Abel und küßte ihre seidenen Haare; dann sagte er, freundlich des Knaben andere Hand ergreifend: »Du bist jetzt groß genug! Möchtest du wohl in die Welt hinaus und eine Kunst erlernen?«
»Ja«, sagte Hinzelmeier, »aber es müßte eine große Kunst sein; so eine, die sonst noch niemand hat erlernen können!«
Frau Abel schüttelte sorgenvoll den Kopf; der Vater aber sagte: »Ich will dich zu einem weisen Meister bringen, der viele Meilen von hier in einer großen Stadt wohnt; da magst du dir selbst eine Kunst erwählen.«
Da war Hinzelmeier zufrieden.
Einige Tage darauf packte Frau Abel einen großen Koffer mit unzählig vielen Kleidern und Hinzelmeier selber legte noch ein Rasierzeug hinein, damit er den Bart, wenn er käme, sogleich wieder abschneiden könne. Dann fuhr eines Tages der Wagen vor die Tür und als die Mutter ihren Sohn zum Abschied umarmte, sagte sie unter Tränen zu ihm: »Vergiß die Rose nicht!«